Stefan Mey präsentierte zunächst sein Buch, das die Vielfalt
nicht-kommerzieller Projekte als “digitale Gegenwelt zu den
kommerziellen Tech-Giganten” beschreibt. Trotz ihrer Transparenz
und Nutzerorientierung bleiben diese Projekte oft hinter den
Angeboten großer Konzerne zurück. Mey identifizierte fehlende
finanzielle Ressourcen und stabile Infrastrukturen als
Hauptprobleme. Er betonte: „Stabile Infrastrukturen wie große
Rechenzentren fehlen, wodurch die alternativen Anwendungen nicht
immer reibungslos laufen.“
Herausforderungen und
Lösungsansätze
Die Diskussion verdeutlichte, dass staatliche Institutionen mehr
tun müssen, um nicht-kommerzielle Projekte zu fördern. Katharina
Nocun betonte die Bedeutung staatlicher Unterstützung für die
Entwicklung gemeinnütziger Software. Tobias B. Bacherle kritisierte
die komplizierten Ausschreibungsverfahren, die großen Konzernen
zugutekommen. Eine Lösung könnte laut Stefan Mey in Kooperationen
zwischen kleineren Unternehmen und Open-Source-Entwicklern liegen.
Er fügte hinzu: „Eine weitere Möglichkeit der Finanzierung kann
auch entstehen, wenn kleinere Unternehmen, die ebenfalls mit
Big-Tech Konzernen hadern, Kollaborationen mit Open Source
Entwicklern eingehen.“
Bewusstsein für digitale
Souveränität schaffen
Es wurde diskutiert, dass fehlendes Bewusstsein für digitale
Souveränität ein zentrales Problem darstellt. Die Bedeutung dieses
Themas muss sowohl von Unternehmen als auch von der Bevölkerung
erkannt werden. Hier besteht noch Aufklärungsbedarf, um ein
Umdenken zu erreichen.
Förderung und politische
Maßnahmen
Abschließend wurde betont, dass konkrete Maßnahmen und
Förderungen notwendig sind, um nicht-kommerzielle Projekte zu
stärken. Dies kann durch finanzielle Unterstützung, aber auch durch
politisches Engagement und Sensibilisierung für digitale
Souveränität geschehen. Katharina Nocun erinnerte daran: „Dass
aktuell von staatlicher Seite eher kommerzielle Dienstleister
genutzt werden, ist auch ein Regulierungsversagen.“
Fazit: Eine andere digitale Welt
ist möglich
Die Diskussion bei Wikimedia Deutschland verdeutlichte die
Herausforderungen und Chancen nicht-kommerzieller Projekte im
digitalen Raum. Es liegt an allen Beteiligten, gemeinsam Lösungen
zu finden und eine digitale Welt zu schaffen, die auf Prinzipien
wie Transparenz, Freiheit und Selbstbestimmung basiert.
Die gesamte Podiumsdiskussion im
Video:
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Mehr zu den
Panelteilnehmer*innen:
Stefan Mey ist Buchautor und investigativer
IT-Journalist. Er interessiert sich dafür, welche Auswirkungen
digitale Umstände auf eine Gesellschaft haben und hat sich von
Anfang an für die Frage von Macht und Gegenmacht im Internet
interessiert. Mey kennt sowohl große IT-Konzerne als auch viele
unbekannte Projekte der digitalen Gegenwelt von innen.
Katharina Nocun ist Publizistin und ehemalige
Politikerin. Sie war von Mai bis November 2013 politische
Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland und leitete bei
Campact unter anderem die Kampagne „Schutz für Edward Snowden in
Deutschland“. Seit 2012 veröffentlichte Nocun vornehmlich Artikel
zu digital politischen Themen und seit 2020, häufig gemeinsam mit
der Sozialpsychologin Pia Lamberty, Sachbücher und Artikel zu
Verschwörungstheorien und Esoterik.
Tobias B. Bacherle ist ein deutscher Politiker
(Bündnis 90/Die Grünen) und seit 2021 Mitglied des Deutschen
Bundestages. Für seine Fraktion ist Bacherle Mitglied im
Auswärtigen Ausschuss und Ausschuss für Digitales. Bacherle ist
entschiedener Gegner der sogenannten Chatkontrolle.
Moderation: Tobias Schmid ist Informations- und
Kommunikationswissenschaftler und Moderator, dessen Arbeit sich
darum dreht, die digitale Transformation besser zu verstehen. Als
Moderator legt er Wert darauf, eine angenehme und rücksichtsvolle
Atmosphäre zu schaffen, damit sich Publikum und Gäste während des
Diskurses wohlfühlen.
Neue Folge von „Wissen. Macht.
Gerechtigkeit.“: Wer bricht die Macht der IT-Konzerne?
Um die Frage, wem das Internet gehört, geht es auch in der
aktuellen Folge des Podcasts „Wissen. Macht. Gerechtigkeit.“ in
Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk Kultur. Autor Stefan Mey,
der Informatiker und KI-Kritiker Jürgen Geuter alias tante und die
Autorin und Forscherin Zara Rahman diskutieren, wie Wikipedia,
Mastodon, Firefox oder Signal das Internet fairer, freier und
demokratischer machen.
Mit den #100WomenDays
setzen sich die Ehrenamtlichen der Wikipedia seit 2019 für mehr
Gleichberechtigung und die Stärkung der weiblichen Präsenz in der
freien Online-Enzyklopädie ein. Innerhalb von 100 Tagen sollen
möglichst viele Biografien über Frauen geschrieben werden, die
bislang noch keinen Wikipedia-Eintrag besitzen, obwohl sie
Bemerkenswertes geleistet haben – sei es in der Kunst, der
Wissenschaft, im Sport, als Unternehmerinnen oder in anderen
Bereichen.
Spitzenplatz für
Sportlerinnen
Das Ziel der #100WomenDays, bis
zum Internationalen Frauentag am 8. März mindestens 100 Artikel zu
frauenbezogenen Themen entstehen zu lassen, ist schon im
vergangenen Jahr mit 1.416 neuen Texten weit übertroffen worden.
Bei der jetzt zu Ende gegangenen fünften Ausgabe wurde ein neuer
Rekord aufgestellt: 1.841 Artikel sind hinzugekommen. Ergänzt
werden sie durch eine„Hall of Femmes“mit Bildern aus dem freien
Medienarchiv Wikimedia Commons.
Den
größten Anteilmachen in
diesem Jahr die Biografien verdienter Sportlerinnen aus (473),
gefolgt von bildenden Künstlerinnen (255) und Wissenschaftlerinnen
(160). Immerhin zwei Adelige und drei Herrscherinnen finden sich
ebenfalls in der Statistik der fünften#100WomenDays. Die meisten Beschriebenen
stammen aus den Niederlanden (312), den Vereinigten Staaten (200)
sowie Deutschland (187), der Großteil der Frauen (217) wurde in den
1990er Jahren geboren.
Paint it blue
Fehlende Frauenbiografien – in
der deutschsprachigen Wikipedia „Frauen in Rot“ und international
aufgrund der rot markierten fehlenden Links „Women in Red“ genannt
– werden auf dergleichnamigen
Projektseitegesammelt.
Dort ist im Live-Ticker auch die Entwicklung der Zahlen zu
beobachten: Aktuell machen die Frauen-Biografien in der
deutschsprachigen Wikipedia 17,8 Prozent aus – gegenüber 2019 ein
Zuwachs von 1,8 Prozent. Seit 2009 hat sich der Gender-Gap in
Biografien insgesamt um 3 Prozentpunkte verringert. Eineeigene Statistik-Seitedokumentiert außerdem den Anteil
der Biografien von non-binären, inter- und transgeschlechtlichen
Personen in der Wikipedia.
Einladung zum
Mitmachen
Die #100WomenDays wurden
ursprünglich von der Kölner Wikipedia-Community rund um dasLokal Kinitiiert, um auf die Unterrepräsentanz von
Frauen-Biografien und frauenbezogenen Themen in der Wikipedia
aufmerksam zu machen und dem aktiv gegenzusteuern. Mittlerweile
machen aber auch viele Aktive aus anderen Regionen Deutschlands
mit. Allein in der aktuellen Runde haben rund 100 Ehrenamtliche
Artikel zu #100WomenDays beigetragen. Im Schnitt hat jeder davon 19
Artikel geschrieben.
Diese weiteren Initiativen und
Projekte machen sich ebenfalls für mehr Sichtbarkeit von Frauen in
der Wikipedia stark – und zwar ganzjährig:
WomenEdit
Bei regelmäßigen Treffen von Wikipedianerinnen wird gemeinsam
editiert – vor Ort und online. In
Berlin jeweils am ersten Mittwoch im Monat in der
Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland und am dritten Mittwoch
im Lokalen Wikipedia-Raum WikiBär. In
Erlangen trifft sich WomenEdit üblicherweise am zweiten Montag
im Monat in der Stadtbibliothek.
Women in Red
Der deutschsprachige Teil des internationalen kollaborativen
Projekts „Women in Red“ hat
zum Ziel, so viele rote Links auf fehlende Frauenbiografien in der
Wikipedia wie möglich in blaue umzuwandeln.
FemNetz
Das FemNetz ist ein Netzwerk von unterschiedlichen
Wikipedianer*innen und Schreibgruppen. FemNetz spinnt stärkende
Verbindungen zwischen interessierten und engagierten Schreibenden
aller Geschlechter.
wiki:wo:men
Der Arbeitskreis wiki:wo:men trifft sich monatlich in Stuttgart.
Eingeladen sind alle Menschen, die Interesse am Thema „Frauen in
der Wikipedia“ haben – egal, ob Wikipedianer*innen oder Neulinge.
Die Treffen finden in der Regel an jedem 3. Freitag im Monat
statt.
Workshop-Reihe
60 Minuten – Gender & Diversity in der Wikipedia
Die Online-Workshop-Reihe dient dem länderübergreifenden Austausch
(Deutschland, Österreich, Schweiz) zu Fragen rund um Gender und
Diversity in der Wikipedia – an jedem 4. Montag im Monat von 19 bis
20 Uhr.
Mentorinnennetzwerk
FemSupport
Das feministische Support-Netzwerk bietet kollegiale Unterstützung
für Frauen, die bei Wikipedia aktiv werden wollen, sich aber im
Dschungel der Hilfeseiten und Video-Tutorials (noch) nicht
zurechtfinden.
Berlinale
FilmFrauen Edit-a-thon
Der Edit-a-thon findet jährlich am ersten Berlinale-Wochenende in
Berlin statt und bringt mehr Biografien über Filmfrauen aller
Sparten in die Wikipedia: von der Regisseurin bis zur Tonmeisterin.
Hier gibts einen
lesenswerten Rückblick auf den Berlinale Edit-a-thon 2024.
Wiki Riot
Squad Berlin
Im Rahmen von Schreibwerkstätten und Edit-a-thons werden
Wikipedia-Artikel diskutiert und bearbeitet – der Fokus liegt dabei
auf möglichen Gender Bias, also einer verzerrten Wahrnehmung durch
sexistische Vorurteile und Stereotype.
Art+Feminism
Diese Gemeinschaft von Aktivist*innen setzt sich dafür ein,
Informationslücken im Zusammenhang mit Geschlecht, Feminismus und
Kunst zu schließen, beginnend mit Wikipedia.
Who writes his_tory?
Dieses Schweizer Projekt hinterfragt die Reproduktion von Wissen
und struktureller Diskriminierung im Internet und vor allem auf
Wikipedia. In der Schweiz sind außerdem Les sans
pagEs (französischsprachig) und die Künstler*innengruppe
Femme Artist Table FATart
aktiv.
Durch die Diskussion führte Medienjournalistin Vera Linß. Was
mit Vielfalt als Zielgröße für eine Reform des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) gemeint sei, wollte sie von
Thorolf Lipp wissen. Was Vielfalt ist und wie man sie realisiert,
müsse der zentrale Gegenstand der Reformdebatte im
öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein, so der Herausgeber des
Buches. Lipp verwies darauf, dass die Beiträge im Sammelband
verschiedene Bezugspunkte für diese Debatte gäben: Vielfalt der
Perspektiven, der Akteur*innen, aber auch der Formate.
Warum ist Vielfalt so
wichtig?
Die kurze Antwort lautet: Ohne Vielfalt kein Public Value. Es
sei nicht ausreichend für ein öffentlich-rechtliches Mediensystem,
zu behaupten, es produziere Inhalte, die dem Gemeinwohl dienen,
sagte Lipp. Die gesamte Institution müsse sich am Gemeinwohl
orientieren. Indem sie sich der Vielfalt verschreibt und flache
Hierarchien sowie Barrierefreiheit in den Strukturen etabliert
werden.
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Von der Theorie in die Praxis –
Wie kann Vielfalt gelingen?
Lipp vertrat die These, dass man angesichts des enormen
Kulturwandels den Mut haben sollte, ein weißes Blatt Papier aus der
Schublade zu ziehen und sich die Frage zu stellen: Wenn wir heute
ein öffentlich-rechtliches Mediensystem neu aufsetzen würden, wie
würde das aussehen? Es brauche von Anfang an die Beteiligung der
Bürger*innen, strukturelle Reformen innerhalb der Sendeanstalten
und im Zuge dessen die Etablierung von neuen Institutionen und
Verfahren. Man brauche eine Plattform mit möglichst vielen
verschiedenen Perspektiven und dementsprechend einer großen
Vielfalt.
Mit der Erweiterung des Panels um Tabea Rößner (MdB, Bündnis
90/Die Grünen), C. Cay Wesnigk (Drehbuchautor und Filmproduzent)
und Laura-Kristine Krause (Mitglied des ZDF-Fernsehrats für den
Bereich Internet und Co-Founderin von More in Common) taten
sich weitere Anregungen und Perspektiven zum Thema Rundfunkreformen
auf.
Die Digital- und Medienpolitikerin Rößner betonte, dass ohne
einen höheren Rundfunkbeitrag keine Reform durchgeführt werden
könne. Insbesondere mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im
Osten Deutschlands sei Vielfalt wichtiger denn je. Die
Verantwortung dafür sieht Rößner bei der Medienpolitik.
Wir müssen uns überlegen: Was soll der Auftrag sein?
Tabea Rößner
Aus Sicht von Laura-Kristine Krause erfülle der ÖRR seinen
Auftrag, wenn er als gemeinsamer Informations- und
Diskursraum fungiere. „In einer Demokratie ist es ganz wichtig,
einen gemeinsamen Informations- und Diskursraum zu haben“, so
Krause. Mit Blick auf die Frage, wie Vielfalt zu realisieren sei,
warf sie ein, dass Bürger*innen nicht unbedingt selbstmitmachen wollten. Wichtiger sei es, dass sie in
Medienformaten vorkommen. Laut einer Studie von More in
Common beteiligen sich demokratiezufriedene Menschen eher als
Menschen, die mit der Demokratie unzufrieden sind. Dies führt
unter anderem zu einem starken Gefühl des Nicht-Gesehen-Werdens.
Folglich laufe man hier Gefahr, in eine Art Selbstverstärkung zu
laufen.
Freie Lizenzen als Teil der
Rundfunkreformen?
Der Produzent Cay Wesnigk sprach sich für die Nutzung der
sogenannte MEDIFO-Lizenz aus. Die Lizenzbedingungen
erläutert er in seinem Sammelbandbeitrag „Ein innovatives
Lizenzmodell stärkt das Gedächtnis unserer Demokratie”. Die Lizenz
mache Formate des ÖRR länger nachnutzbar. Entscheidend für die
Akzeptanz dieser Lizenz sei aber, dass die Medienschaffenden besser
vergütet werden. Denn sie müssen es sich leisten können, dass ihre
Werke in Online-Mediatheken kostenfrei zur Verfügung stehen. Eine
CC-Lizenz sei hingegen für Inhalte des ÖRR nicht möglich, da diese
keine angemessene Vergütung garantieren, meinte Wesnigk. Die
MEDIFO-Lizenz lasse aber offen, ob jemand unter CC-Lizenz
veröffentlichen möchte.
Thorolf Lipp ergänzte: “Ich finde, es macht total Sinn“ und betont,
dass CC-Lizenzen vor allem für Trailer und Ausschnitte sinnvoll
sind, die auf der Wikipedia hochgeladen werden können und so
wiederum die Reichweite erhöhen.
Die französische
RegisseurinClaire Burgerhat mit ihrem “Langue Étrangère” am Wettbewerb
der diesjährigen Berlinale teilgenommen. VonEva Hillerwar die digital restaurierte Fassung ihres
Essayfilms “Unsichtbare Tage oder Die Legende von den weißen
Krokodilen” in der Reihe “Retrospektive” zu sehen. Die dänische
Filmemacherin
Brigitte Staermosewiederum hat auf dem Festival die vielbeachtete
Dokumentation “Afterwar” gezeigt. Was diese drei Filmemacher*innen
außer ihrer Teilnahme an der Berlinale aber noch gemeinsam haben:
Über sie – und viele weitere weibliche und nicht-binäre
Filmschaffende – existieren jetzt endlich auch Artikel in der
deutschsprachigen Wikipedia.
Den Gender-Gap in Wikipedia
verringern
Vom 16. bis 18. Februar fand der
diesjährige Berlinale Edit-a-thon statt, eine Initiative des
Wikipedia-Projekts WomenEdit mit Unterstützung von Wikimedia
Deutschland. Das Ziel dieser seit einigen Jahren am ersten
Festivalwochenende veranstalteten Schreibwerkstatt ist es,
möglichst vielen Frauen* im Film und ihren Werken Sichtbarkeit in
der Online-Enzyklopädie zu verschaffen. Schließlich sind die
Biografien von Frauen* und non-binären Menschen in der Wikipedia
noch immer unterrepräsentiert. Beispielsweise sind insgesamtknapp 36 Prozent der Biografien im
Filmbereich über Frauen(was aber deutlich am Beruf Schauspiel liegt).
Im Bereich Kamera sind es gerade einmal 6,7
Prozent.
Wobei viele Ehrenamtliche der
Wiki-Community seit Jahren mit Erfolg daran arbeiten, dass sich
dieser Gender-Gap verkleinert. Der Berlinale Edit-a-thon,
organisiert von den Wikipedianerinnen Grizma und Reisen8, ist ein
strahlkräftiges Beispiel dafür.
Wikipedia als Anlaufstelle für
Filminteressierte
28 Freiwillige haben vor Ort in
Berlin am Edit-a-thon teilgenommen, weitere sieben
Community-Mitglieder waren remote dabei. Insgesamt
entstandenfast 100 neue Artikelüber Filmfrauen* und ihre
Werke:
Zu 39 Personen wurden neue
Artikel angelegt, 47 Filmtitel (von “Afterwar” bis “Yoake no
subete”) fanden ihren Weg in die Wikipedia. Ein beachtlicher und
wichtiger Beitrag – schließlich ist die Online-Enzyklopädie oft
eine der ersten Anlaufstellen für Filminteressierte und
Journalist*innen. Finden sich im Netz keine leicht zugänglichen
Informationen, werden Frauen* in der Filmbranche schnell übersehen.
Gerade für weibliche Filmschaffende, die noch am Anfang ihrer
Karriere stehen, ist ein Wikipedia-Artikel enorm hilfreich, um
Öffentlichkeit zu bekommen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass die
Relevanzkriterien erfüllt sind.
Leichter Einstieg für neue
Freiwillige
Beim Berlinale Edit-a-thon waren
auch 2024 wieder alle Geschlechter willkommen, die einen
respektvollen und sensiblen Umgang mit feministischen und diversen
Themen wahren. Teilgenommen haben nicht nur langjährig erfahrene
Community-Mitglieder, sondern auch viele Neu-Wikipedianer*innen,
die “mit großem Enthusiasmus sofort nach der Einführung in die
Artikelarbeit eingestiegen sind”, wie Organisatorin Grizma erfreut
berichtet. Sogar eine österreichische Teilnehmerin habe den weiten
Weg aus Graz auf sich genommen, um erstmals an der Schreibwerkstatt
mitzuwirken.
“Durch den persönlichen Bezug zur Community (‘Wikipedia wird von
echten Menschen gemacht!’) und die mündliche Erklärung mit
parallelem Zeigen am Beamer und Fragemöglichkeiten finden gerade
Neue mit geringer Technikaffinität leichter den Einstieg in die
Wikipedia-Arbeit als über Hilfeseiten oder Videos.”
Co-Organisatorin
reisen8
WomenEdit: Immer offen für alle
Interessierten
Für viele ist ein Event wie der
Berlinale Edit-a-thon der perfekte Start, um sich auch langfristig
als Freiwillige in der Wikipedia zu engagieren. “Mit einigen
Teilnehmer*innen sind wir auch nach dem Edit-a-thon noch im
Austausch, viele haben zugesagt, mal bei WomenEdit reinzuschauen,
zwei waren sogar schon dabei”, erzählt Grizma.
Für Interessierte, die tiefer in
die Welt von Wikipedia eintauchen möchten, steht das regelmäßige
Format WomenEdit in Berlin und Erlangen stets offen. Hier können an
jedem 1. und 3. Mittwoch des Monats FLINTA (Frauen, Lesben, inter,
trans und asexuelle Personen) aktiv an Wikipedia-Artikeln arbeiten
und ihre individuellen Themen und Anliegen einbringen.
Einsteiger*innen bekommen ihre Fragen von langjährigen
Community-Mitgliedern gern beantwortet. Die genauen Termine und
alle Infos unter:wmde.org/WomenEdit
Anton, unter welchen Bedingungen arbeitet Wikimedia
Ukraine aktuell?
Anton Protsiuk: In Kyiv, wo wir unser Büro haben, ist die
Situation ein bisschen zwiespältig. Einerseits arbeiten wir nach
wie vor unter Kriegsbedingungen, was bedeutet, dass es regelmäßig
russische Raketen- und Drohnenangriffe gibt. Erst kürzlich wurde
unser Büro von einem Raketeneinschlag in der Nähe in
Mitleidenschaft gezogen, glücklicherweise ist nur ein Fenster zu
Bruch gegangen, niemand wurde verletzt. Der Krieg ist Realität.
Andererseits gibt es auch eine Art Rückkehr zum Alltag, die
Menschen haben sich, so weit es eben möglich ist, mit der Situation
arrangiert, gehen zur Arbeit.
Wie sieht der Büroalltag bei WMUA aus? Ist das Kernteam
der Organisation zusammen geblieben?
Unser Büro ist klein, wir sind in einem Co-Working-Space in Kyiv
untergekommen, von wo aus ich auch gerade dieses Gespräch führe.
Wir brauchen aber auch nicht viel Platz, unser Kernteam, das
geblieben ist, besteht aus sieben festen Mitarbeitenden, von denen
wiederum weniger als die Hälfte in Kyiv leben. Wie bei anderen
Wikimedia-Organisationen wird auch viel Arbeit von einem größeren
Netz aus Freiwilligen geleistet, die uns bei unseren Projekten
unterstützen, vor allem remote. Da reden wir von ein paar Dutzend
engagierten Leuten, von denen viele fast täglich involviert sind.
Die meisten der Menschen, mit denen wir vor Beginn der russischen
Vollinvasion gearbeitet haben, sind nach wie vor an Bord, aber
natürlich hat der Krieg auch hier Auswirkungen.
Was meinst Du konkret?
Manche haben die Ukraine verlassen und sind bis jetzt nicht
zurückgekehrt, vor allem Menschen mit kleinen Kindern. Andere haben
sich zur Armee gemeldet. Gerade jetzt gehen wieder viele an die
Front, um diejenigen abzulösen, die schon so lange kämpfen. Bei
WMUA fokussieren wir uns aber natürlich nicht nur auf den Krieg,
wir haben Programme wieder aufgenommen und teilweise sogar
ausgebaut, die wir vor dem 24. Feburar 2022 gestartet hatten. Wir
halten Konferenzen ab, veranstalten Community-Treffen.
Welche Projekte haben momentan Priorität?
Wir haben vor dem Angriffskrieg eine Reihe von Zielen definiert, die noch immer Bestand
haben – darunter Kampagnen oder Artikel-Wettbewerbe zu
organisieren, die helfen, die Wikipedia und andere
Wikimedia-Projekte anzureichern, neue Freiwillige für die
Wikimedia-Projekte zu gewinnen, besonders aus unterrepräsentierten
Communitys, und unsere bestehende Community zu unterstützen. Auf
der Liste steht auch der Punkt „Advocacy“, bei dem es darum geht,
Gesetzesinitiativen in der Ukraine anzustoßen, die dem Freien
Wissen dienen. Zum Beispiel setzen wir uns für Panoramafreiheit
ein. Allerdings hat das im Moment keine Priorität. Die ukrainischen
Politiker haben gerade andere Sorgen.
Welche Veranstaltungen plant ihr gerade?
Eins unserer Standbeine ist der Fotowettbewerb „Wiki Loves
Earth“ (WLE) rund um Naturerbe, den wir sowohl international als
auch für die Ukraine ausrichten. Ebenso laden wir zu „Wiki Loves
Monuments“ (WLM) ein – zwar nur national, aber die ukrainische
WLM-Ausgabe ist eine der größten weltweit. Außerdem laufen die
Planungen für unsere jährliche Wiki-Konferenz, die eine besondere
wird: Wir feiern in diesem Jahr den 20. Geburtstag der ukrainischen
Wikipedia, ein Anlass, zu dem die gesamte Community zusammenkommt,
wenn auch nur hybrid. Alle Menschen in einem Raum zu versammeln,
wäre nicht sicher. Schon im vergangenen Jahr haben wir eine Serie
von kleineren Meet-ups und auch die Wiki-Konferenz an verschiedenen
Orten der Ukraine abgehalten, sowohl virtuell, als auch analog
teilweise in Schutzräumen, nur für den Fall, dass irgendetwas
passiert.
Wie unterstützt ihr die Community?
Zu Beginn der russischen Vollinvasion, in der schwierigsten
Zeit, haben wir der Community geholfen, konkrete materielle Hilfe
zu finden. Inzwischen hat sich die Situation stabilisiert, es gibt
mehr staatliche Stellen, die Unterstützung leisten. Wir fokussieren
uns deswegen wieder mehr auf unsere Kernmission, Freies Wissen zu
fördern. Zum Beispiel mit unserer jährlichen „Wiki Science
Competition“, die ukrainische Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler unterstützt, oder mit unserem „Wiki Education
Program“, das sich an Erziehende und Pädagogen richtet. Hier bieten
wir Community-Mitgliedern zum Beispiel Trainings zu Themen wie
Desinformation an, dazu hatten wir eine Reihe von Webinaren.
Haben die Freiwilligen mittlerweile wieder mehr Zeit,
sich in den Wikimedia-Projekten zu engagieren?
Das kommt darauf an. Um Dir ein konkretes Beispiel zu geben: Die
Preisverleihung für die „Wiki Science Competition“ wollen wir
hybrid abhalten, analog und online, weswegen ich zuletzt viel mit
den Planungen beschäftigt war, wie sich der Livestream am besten
umsetzen lässt. Zuvor haben uns dabei zwei Mitglieder der Community
unterstützt – aber beide können diesmal nicht teilnehmen, weil sie
sich den ukrainischen Streitkräften angeschlossen haben. Deswegen
müssen wir jetzt nach anderen Menschen mit entsprechendem
technischen Knowhow suchen. Nur ein kleines Beispiel unter
vielen.
Wikimedia Russland musste am 19. Dezember 2023 aufgelöst
werden. Seid ihr in Kontakt mit ehemaligen Mitarbeitenden des
Chapters? Bestehen generell Verbindungen zu Wikimedianer*innen oder
user groups, die in ihren Ländern unter Risiko arbeiten, zum
Beispiel in Belarus?
Nein, Wikimedia Ukraine steht als Organisation nicht in Kontakt
mit Wikimedians aus Russland oder Belarus, wir arbeiten auch nicht
an diesem Thema. Ich persönlich habe Empathie für alle Wikimedians,
die Verfolgung ausgesetzt sind, egal, in welchen Ländern – aber
gleichzeitig verfügen wir nur über begrenzte Zeit und Energien.
Diese Ressourcen wollen wir lieber dafür einsetzen, ukrainische
Wikimedians zu unterstützen. Natürlich verfolgen wir, was in
Russland vorgeht, ein Vorfall wie die Auflösung des russischen
Chapters ist auch für ukrainische Journalisten ein Thema. Und es
gibt einzelne ukrainische Wikimedians, die Kontakte unterhalten.
Aber für uns als Organisation hat die Ukraine Priorität.
Welchen Stellenwert nimmt der Kampf gegen Propaganda und
Desinformation aktuell ein?
Ein Beispiel: Der Messenger-Dienst Telegram ist in der Ukraine
auch ein großes Newsportal, ähnlich wie Facebook oder andere
Plattformen. Gerade deswegen ist es wichtig, ein grundlegendes
Verständnis dafür zu haben, wie Nachrichten dort kuratiert werden,
was vertrauenswürdig ist und was nicht. Dazu haben wir ein Training
für die Community angeboten. Schließlich betrifft das Thema mehr
oder weniger direkt die Wikipedia: Es geht darum, was als Quelle
für Wikipedia dienen kann. Und zugleich reden wir über einen
größeren Kontext von Informationskompetenz generell.
Wo konnten Erfolge erzielt werden?
Die ukrainische Wikipedia-Community mit ihren Hunderten
Freiwilligen war und ist sehr erfolgreich darin, Desinformation zu
bekämpfen und Barrieren gegen Fake News zu errichten. Die Artikel
werden fortlaufend gecheckt, ehrenamtliche Administratoren helfen
dabei, die Inhalte zu überwachen. In Kriegszeiten sind zusätzliche
Administratoren angeworben worden, nach einem viel simpleren
Community-Prozedere als sonst – einfach, um flexibler darin zu
sein, Falschinformation und Vandalismus abzuwehren. Es wird also
viel unternommen, sowohl von der Community, als auch von uns als
Organisation.
Was ist ein Beispiel für Desinformation?
Da gibt es eine breite Spanne. Angefangen bei simplem
Vandalismus, wo Leute versuchen, Informationen aus
Wikipedia-Artikeln zu entfernen oder falsche Behauptungen
hinzuzufügen. Das lässt sich relativ leicht erkennen und beheben,
das ist nicht das größte Problem. Schwieriger wird es dort, wo die
Ukraine noch immer durch eine neokoloniale Linse betrachtet wird –
als Teil der früheren Sowjetunion und des russischen Reichs. Das
ist oft in kleineren Sprachausgaben der Wikipedia der Fall.
Bestimmte Personen, die eigentlich aus der Ukraine stammen, werden
dort als Russen bezeichnet. Das ist im klassischen Sinne keine
Desinformation, aber dennoch ein verzerrtes Bild. Auch deswegen
beschränken wir uns nicht darauf, gegen Falschinformationen
vorzugehen…
Sondern?
Wir bemühen uns, generell mehr verlässliche Informationen über
die Ukraine in anderen Sprachversionen zugänglich zu machen. Die
englische Wikipedia ist diesbezüglich gut entwickelt, die deutsche
zählt zu den besten überhaupt – aber es gibt ja insgesamt über 300
Sprachausgaben. Wir versuchen, zum Beispiel in der georgischen oder
slowakischen Wikipedia Artikel über die Ukraine zu fördern – unter
anderem mit unserer jährlichen Kampagne „Cultural Diplomacy Month“,
bei dem wir Artikel über alle möglichen Themen rund um ukrainische
Kultur anregen.
Welche Rolle spielt der 24. Februar für euch? Sind
irgendwelche Aktionen geplant?
Nein, nicht speziell zum 24. Februar. Es gibt andere wichtige
Daten, die sich 2024 jähren und auf die wir uns fokussieren. Wir
blicken zurück auf zehn Jahre des russischen Kriegs gegen die
Ukraine, denn dieser Krieg begann 2014 mit der Annexion der Krim.
Und ebenfalls jährt sich zum zehnten Mal die Maidan-Revolution, die
mit der Forderung nach demokratischen Reformen in der Ukraine viele
Entwicklungen angestoßen hat. Rund 100 Menschen haben während der
Proteste ihr Leben verloren, darunter der ukrainische Wikipedianer
Ihor Kostenko. Er wurde 2014 noch
posthum als „Wikimedian of the Year“ von Jimmy Wales ausgezeichnet,
dem Gründer der Wikipedia. Wir wollen versuchen, seinen zehnten
Todestag entsprechend zu ehren.
Das Lokal K, einer der ältesten regionalen Treffpunkte der
Wikipedia-Community, war am ersten Februar-Wochenende die
Anlaufstelle und Homebase für zehn Jungwikipedianer, die in Köln zu
einem ihrer regelmäßigen Treffen zusammengekommen waren – und von
Mitgliedern der ortsansässigen Community nicht nur herzlich
empfangen, sondern auch in spannende Aspekte rund um die Arbeit in
der Wikipedia eingeführt wurden.
„Wir haben viel über Drohnenfotografie und Bots in der Wikipedia
gelernt“, berichtet MrBenjo, einer der jungen Teilnehmenden.
Außerdem wurde intensiv „über geschlechtergerechte Sprache, den
Umgang mit ehemaligen Jungwikipedianern (JWP) oder die Untiefen der
JWP-Unterseiten“ diskutiert. Und, nicht zu vergessen: gemeinsam
editiert, gechillt und gekocht.
Zusammenkunft aus allen Teilen
Deutschlands
Die Jungwikipedianer sind die
Gemeinschaft von und für junge Wikipedianer*innen. Mitmachen können
hier alle, die jünger als 21 Jahre sind und in den vergangenen 18
Monaten mindestens 50 Bearbeitungen in Wikipedia vorgenommen haben.
In dieser jungen Wiki-Community gibt es die Möglichkeit, sich ohne
Druck auszutauschen, Freundschaften zu knüpfen und gemeinsam an
Artikeln zu schreiben. Gearbeitet werden soll hier unter dem Motto
„Gemeinsam sind wir stark“.
Das Projekt der
Wikipedia-Community beweist, dass junge Menschen wertvolle und
solide Artikelarbeit leisten – und soll sie langfristig als
Ehrenamtliche im Einsatz für Freies Wissen
halten.
Seit 2015 ermöglicht Wikimedia
Deutschland regelmäßige Treffen dieser Nachwuchs-Community. Die
diesjährige Zusammenkunft – vom 2. bis 4. Februar – war bereits die
zehnte, einige der Teilnehmenden waren zum ersten Mal dabei, denn
sie haben in der Corona-Zeit begonnen zu editieren. Entsprechend
lag ein Fokus auch auf dem wechselseitigen Kennenlernen. Begleitet
und betreut wurde die aus allen Teilen Deutschlands zusammen
gekommene Gruppe von Lorna Baars und Janna Siebert aus dem
Wikimedia-Team Communitys und Engagement.
Artikelideen aus dem
Olympia-Museum
Ein Highlight des Wochenendes war am Samstag neben Sightseeing
entlang des Rheins der gemeinsame Besuch des Deutschen Sport- und
Olympia-Museums, wo von Torwandschießen bis zur Radfahrt durch
einen Windkanal alles mögliche auch selbst ausprobiert werden
durfte. Wobei, wie es sich für ein Jungwikipedianer-Treffen gehört,
ein Akzent bei der Führung durchs Museum auch auf Anregungen für
mögliche Artikelbearbeitungen lag. Zum Beispiel zur „Englischen
Krankheit“ im Eintrag über „Fußball in Deutschland“ (eine frühere
Schmähbezeichnung für den Sport!). Oder die „Festspiele der Heraia“
– ein Frauensportfest im antiken Olympia.
Der Abend klang dann wiederum im Lokal K aus – bei Chili con und
sin carne und enzyklöpädischem Brainstorming. „Bei der Vorstellung
von favorisierten Themen in der Wikipedia hat man den Eindruck, die
Wikipedia wäre der spannendste Ort für junge Menschen“, bilanziert
Janna Siebert. Das Fazit der Teilnehmenden fiel ebenfalls durchweg
positiv aus: „Danke für das Treffen, sogar in noch besserer
Besetzung als letztes Jahr!“, so einer der Jungwikipedianer.
Weiter geht’s jeden Donnerstag
im Berliner WikiBär
Selbstverständlich sind bei den Jungwikipedianern neue
Mitglieder immer willkommen und gern gesehen. Unter anderem
veranstalten die jungen Freiwilligen deswegen an jedem 1.
Donnerstag im Monat im WikiBär – dem regionalen Treffpunkt in
Berlin – die Reihe „Jugend editiert“.
Die Reihe ist offen für alle interessierten Jugendlichen bis 25
Jahre, die Lust haben, sich für Freies Wissen zu engagieren,
Wikipedia-Artikel zu bearbeiten und zu erstellen. Oder auch einfach
neue Freundschaften zu schließen. Für kostenfreie Getränke und
Snacks wird gesorgt. Außerdem kann sich kostenlos einen Laptop
ausleihen, wer keinen eigenen hat. Einfach vorbeikommen und
mitmachen, und gern auch weitersagen!
Das nächste Treffen gibt es am 7. März von 18 bis 21 Uhr in der
Köpenicker Straße 45 in Berlin. Zur kostenlosen Anmeldung geht es
hier.
Kim, auf deinem Instagram-Profil bezeichnest du dich als
„multidisciplinary artist using scent and breath”. Was macht deine
Arbeit aus?
Ich habe 8 bis 10 Jahre als Projektmanagerin im Bereich Social
Impact gearbeitet, bevor ich mich in den Bereichen Breathwork,
Duft- und Aromatherapie selbständig gemacht habe. Das alles mit dem
Ziel, Menschen mehr zu sich zu bringen und ihnen zu helfen, ihre
innere Mitte zu finden. Mandy habe ich über eine BIPoC-Community
kennengelernt. Wir beschäftigen uns beide mit Aktivismus und
Wellbeing. Im Rahmen der Atemarbeit biete ich Gruppen- und
Einzelsessions für alle Menschen an. Es gibt aber auch Formate
speziell für FLINTA oder BIPoC. Diese Sitzungen kann man sich wie
Yogastunden vorstellen: Wir sitzen zusammen und atmen zusammen.
Warum beschäftigst du dich mit dem Atem?
Breathwork hat mir als Methode bei meiner eigenen
Traumaaufarbeitung geholfen. Ich praktiziere schon seit Jahren
Meditation und Yoga und bin durch Zufall in einem Atem-Workshop
gelandet. Als es mir schlecht ging, half nichts außer Therapie und
Atemarbeit. Vor ein paar Jahren habe ich mich dann entschieden,
mein Wissen zu teilen. Der Atem ist ein zugängliches und inklusives
Tool: Er ist immer bei dir. So passt die Arbeit auch zu meinem
politisierten oder aktivistischen Hintergrund. Ich möchte etwas
teilen, das einfach ist. Ich sage immer: Der Atem kam zu mir.
Was hat dein Wirken mit Freiem Wissen zu tun? Warum hast
du dich für re·shape beworben?
Das Atmen hat keine Privilegien-Barrieren. Es ist sozusagen
freies Wissen, das wir bei uns tragen, aber nicht immer sehen oder
spüren, weil wir so verkopft sind. Die Praktizierenden, mit denen
wir arbeiten, leiten Menschen mehr in ihren Körper. Uns war es
wichtig, sichtbar zu machen, dass es in Berlin Healers of Color
gibt, um es BIPoC zu ermöglichen, sichere und relevante Räume zu
finden. Wir haben mit einem Glossar an Heiler*innen angefangen und
dann mit re·shape überlegt, was wir frei zur Verfügung stellen
können. Uns war es wichtig, dass die Wūpó Collective Library
barrierearm erreichbar ist. Niemand muss Geld zahlen oder aus dem
Haus gehen, um darauf zuzugreifen.
Bitte stell uns die Bibliothek näher vor.
Wir haben Videos aufgenommen, in denen die Heiler*innen aus
unserem Glossar ihr Wissen und ihre Kompetenzen teilen. Sie helfen
den Nutzer*innen, also den BIPoC oder Allies, sich auszuprobieren
und herauszufinden, von welchen Praktizierenden sie sich
angesprochen fühlen. Und sie sehen auch, was sie hier lernen
können. Es ist ein Setting, in dem sich die Nutzer*innen in ihrer
BIPoC-Identität mehr gesehen fühlen. Die Videos werden auf
Instagram ausgestrahlt, auf unsere Website gepackt und in einem
nächsten Schritt dann hoffentlich auch mit der Community auf
Telegram geteilt. Auch unser Glossar und ein Eventkalender werden
auf der Website zu finden sein.
Worin besteht die Arbeit von Heiler*innen?
Der Definition nach sind Heiler*innen Menschen aus dem
nichtmedizinischen, alternativen und spirituellen Kontext. Darunter
fallen sehr verschiedene Disziplinen. Der Großteil ihrer Arbeit ist
körperbasiert, aber es gibt auch kognitive Disziplinen, wie zum
Beispiel Sprachtherapie. Die Spanne reicht von weniger
wissenschaftlichen Ansätzen wie Reiki oder Astrologie bis zu
klassischer Tanztherapie. Dabei sind z.B. Heilpraktiker*innen,
Geburtshelfer*innen oder Heiler*innen, die sich mit Glaubenssätzen
beschäftigen. Da Wikipedia sehr akademisch und wissenschaftsbasiert
ist, war uns nicht klar, wie wir Beiträge hinzufügen können, die in
die Nische der alternativen Medizin oder des Wellbeing fallen. Dazu
gibt es nicht so viele Quellen, weil viele Medien, mit denen unsere
Heiler*innen arbeiten, nicht aus dem akademischen Kontext stammen.
Umso mehr hat es uns gefreut, dass wir von re·shape angenommen
wurden und der Impact und die Relevanz gesehen wurden.
Mit eurem Projekt wollt ihr ein kostenfreies
Video-Repositorium, genannt „Wiki des Körperwissens für QBIPoC“,
entwickeln. Was finden die Nutzer*innen dort?
Unsere Videos dauern 2 bis 4 Minuten. Ich habe zum Beispiel ein
Video geteilt, in dem es darum geht, Wut auszuatmen. Wut ist eine
Emotion, die wir als BIPoC oft nicht rauslassen können. Diese Wut
akkumuliert sich über Alltagsrassismus, der immer wieder
Triggerpunkte setzt. Mandy hat ein Video über das Setzen von
Grenzen aufgenommen, speziell für Menschen mit
Migrationshintergrund und großen Familienzusammenhängen, besonders
auch solche, die eine starke Erwartungshaltung seitens ihrer Eltern
spüren. Beim Aufnehmen der Videos mit den Praktizierenden lernen
wir auch selbst viel Neues.
Es geht euch mit dem Projekt auch darum, Werkzeuge zu
teilen, die eine nachhaltige Wirkung haben…
Die Videos und die Bibliothek sind eine Toolbox, weil
verschiedene Methoden und Personen gezeigt werden. Hier wird Wissen
geteilt, das du selber auswählen und danach auch ohne das Video
selbst anwenden kannst. Die Videos sind wie ein Buffet an
Methoden, mit denen wir uns als BIPoC sicherer fühlen und die dabei
helfen, sich selbst tiefer kennenzulernen.
Ihr wollt außerdem Behind the Scenes Videos zu den
Absichten und Praktiken der Heiler*innen zur Verfügung stellen.
Warum ist es euch wichtig, diese Einblicke zu teilen?
Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Wir wollen, dass die
Nutzer*innen ein Gefühl dafür bekommen, wer die Praktizierenden
sind und danach entscheiden können, wem sie sich anvertrauen
wollen. Nur weil die Community BIPoC ist, haben nicht alle
dieselben Erwartungen und denselben Grad an Politisierung oder
Aktivismus. Bei der Wūpó Collective Library schwingt das
Aktivistische mit, wir machen dieses Projekt, um mehr Sichtbarkeit
zu schaffen und um unserer Community Tools zur Verfügung zu
stellen. In diesem Zusammenhang ist es uns wichtig, dass die
Praktizierenden ein gewisses Verständnis der eigenen Identität oder
eine Positionierung in der Gesellschaft haben.
Was ist seit dem Start von re·shape konkret passiert? Wo
steht ihr jetzt, was sind eure nächsten Schritte?
Wir haben eine Website aufgebaut und etwa 25 Videos aufgenommen,
die sich noch in der Postproduktion befinden. Das kostet viel mehr
Zeit, als gedacht. Die Telegram-Gruppe haben wir im kleinen Kreis
bereits angeteasert, um zu sehen, was die Community braucht. Wir
haben viele Praktizierende getroffen, Interviews geführt und Videos
aufgenommen. Die nächsten Schritte werden der Launch und die
Kommunikation sein.
Bei re·shape werden alle Projekte von Mentor*innen aus
dem Bereich des freien Wissens begleitet. Wie läuft die
Zusammenarbeit mit eurem Mentor?
Essam is a darling! Wir treffen uns regelmäßig, mindestens
einmal im Monat. Am Anfang waren wir unsicher, was die
Erwartungshaltung für re·shape ist und wie wir ein Teil des
Wikiverse sein können. Ist der Anspruch, dass wir Artikel
schreiben? Nein, hat er uns beruhigt, das ist nicht der Grund,
warum ihr gefördert wurdet. Wir waren auch eingeschüchtert von der
Diskussion um alternative Medizin. Mandy und ich sind ja nicht die
Heilenden selbst, wir versuchen nur Sichtbarkeit zu schaffen. Er
hat uns gesagt, wir sollten uns auf das fokussieren, was den Impact
generiert. Das hat total geholfen.
Körperweisheit steht im Fokus eures Projekts. Was
versteht ihr darunter – und welche Rolle spielt Körperweisheit in
Bezug auf freies Wissen?
Nehmen wir mich selbst. Ich habe 32 Jahre Lebenserfahrung, die
sich in diesem Körper, diesem Geist, dieser Seele, wie auch immer
du es nennen möchtest, akkumuliert hat. Darunter sind positive und
negative Erfahrungen, Weisheiten, die ich gelernt habe, Traumata
und Emotionen. All das hat sich in den Körper eingeschrieben. Und
darüber würde ich Körperweisheiten definieren. Für mich gehört dazu
auch der Aspekt von Repräsentanz. Wenn ich in eine Yogaklasse gehe
und merke, da ist eine Person of Color, die versteht, wo Yoga
herkommt – dann macht das auch Körperweisheit aus. Wenn man sieht,
dass man auf dem gleichen Level mit den Praktizierenden ist, öffnen
sich Zugänge und man fühlt sich gesehen, sicherer und wohler.
re·shape
Ein Wikimedia-Programm zur
Förderung von Wissensgerechtigkeit
Was Eingang in Wissensbestände und offizielle Erzählungen
findet, ist in starkem Maße durch Fragen von Macht bestimmt. Das
prägt, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen, welche
Perspektiven und Interessen wir zentrieren und welche als weniger
wichtig oder irrelevant deklariert werden.
Mit re•shape – Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von
Wissensgerechtigkeit möchte Wikimedia Deutschland in
Zusammenarbeit mit den neuen deutschen organisationen – das
postmigrantische netzwerk e.V. dazu beitragen, marginalisiertem
Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit zu verschaffen. Dabei wendet sich
das Programm explizit an Menschen und Communitys, die Rassismus
erfahren.
In der Bewerbungsphase haben sich fast 90 Projekte auf re·shape
beworben. Das Kuratorium und je eine Vertreterin von den neuen
deutschen organisationen e. V. und Wikimedia Deutschland e. V.
haben daraus zehn Projekte ausgewählt.
Als Stefan Motz 2005 die Idee hat, dass man aus
Wikipedia-Artikeln mit Text-to-Speech-Technologie (TTS) doch
Podcasts machen könnte, klingen Sprachaufnahmen mit TTS noch so,
als ob ein Roboter mit Schluckauf in eine Blechdose spricht. An
ChatGPT ist noch gar nicht zu denken. Trotzdem sichert sich der
Softwarearchitekt die Domain Wikipodia.de
Heute, 19 Jahre später, ist die technologische Entwicklung
deutlich weiter und Motz produziert täglich einen Podcast mit
KI.
Du lässt ja den jeweiligen Wikipedia-Artikel des Tages
erstmal von ChatGPT zu einem Skript umbauen. Und daraus wird dann
mittels Text-to-Speech (TTS) der tägliche Wikipodia-Podcast. Du
schreibst, dass Du das auch deshalb machst, weil man einen ganzen
Wikipedia-Artikel nicht einfach so einem TTS Werkzeug zur
Verarbeitung geben kann. Magst Du einmal kurz erklären, warum das
so ist?
Stefan Motz: Das liegt zum einen daran, dass herkömmliche
Text-to-Speech-Interpreter nicht alles interpretieren können, was
in einem Wikipedia-Artikel steht. Nehmen wir als Beispiel den
Podcast vom 21. Januar 2024. Darin geht es um die Eishockey-Legende
Georges Vézina. Der Wikipedia-Artikel beginnt mit: Georges
Joseph Gonzague Vézina ([ʒɔʁʒ vezina]; * 21. Januar 1887 in
Chicoutimi, Québec; † 27. März 1926 ebenda) war ein kanadischer
Eishockeytorwart. Der Text-to-Speech Interpreter kann die
Symbole für “geboren” und “verstorben” nicht interpretieren. Damit
geht der Sinn für die Hörenden verloren.
Hier kann ChatGPT helfen, und den Text zunächst umformen, so
dass die TTS-Engine ihn gut lesen kann. Der Prompt, den ich dafür
benutze, ist: Bereite den Text als Vorlage für eine
Sprachausgabe (TTS) auf: [Text]. Das ergibt dann die
Textausgabe: Georges Joseph Gonzague Vézina, geboren am
einundzwanzigsten Januar achtzehnhundertsiebenundachtzig in
Chicoutimi, Québec, und verstorben am siebenundzwanzigsten März
neunzehnhundertsechsundzwanzig ebenda, war ein kanadischer
Eishockeytorwart.
Außerdem enthalten Wikipedia-Artikel häufig Tabellen und
Aufzählungen, die zwar vorgelesen werden können, aber für den
Zuhörer nicht gut nachvollziehbar oder hilfreich sind.
Jeder Podcast ist ja eine Zusammenfassung vom Artikel
des Tages und dauert um die 5 Minuten. Warum hast Du Dich dafür
entschieden, Artikel zusammenfassen zu lassen? Und warum nimmst Du
immer den Artikel des Tages?
Es gibt gleich mehrere Beweggründe für kurze Zusammenfassungen.
Der erste ist: Ich möchte jeden Podcast selbst hören. Nicht
zuletzt, um zu kontrollieren, dass die KI nicht – trotz aller
inhärenten Regeln von ChatGPT – Unsinn von sich gibt. Darüber
hinaus empfinde ich persönlich die Qualität der Sprachausgabe noch
nicht gut genug, um länger konzentriert zuzuhören. Die Auswahl der
Zusammenfassung liegt bei der KI.
Ich habe mich ganz bewusst für die Artikel des Tages
entschieden, da sie aus der Liste der exzellenten Artikel
ausgewählt sind. Mir war es wichtig, besonders hochwertige Inhalte
als Grundlage für den Podcast zu haben.
Und, hat ChatGPT schon mal Unsinn von sich
gegeben?
Bisher ist das, soweit ich das beurteilen kann, noch nicht
passiert. Aber ich gehe fest davon aus, dass es passieren wird.
Das Skript, das ChatGPT aus dem Wikipedia Artikel macht,
liest Du nicht selbst vor, sondern hast dafür eine Stimme durch
eine KI generieren lassen. Welche Anforderungen hast Du an die
künstliche Stimme und wie hast Du sie mit KI erstellt?
Der Klang der Stimme bzw. der Stimmen sollte so gefällig wie
möglich sein. Die Stimme darf nicht zu monoton sein, damit die
Zuhörenden auch wirklich die rund 5 Minuten folgen können.
TTS-Engines haben meines Erachtens erst in den letzten Jahren
Stimm-Modulationen, die das Vorlesen längerer Texte erlauben. Da
Wikipodia ein reines Hobby-Projekt ohne Einnahmen ist, darf die TTS
Konvertierung nicht zu teuer sein. Für die Konvertierung von Text
in Sprache zahle ich bei OpenAI derzeit etwa 0,12 US Dollar pro
Folge. Fast noch wichtiger als die Kosten sind die
Lizenzbedingungen; diese müssen – so wie bei OpenAI – eine
Veröffentlichung und langfristig freie Nutzung erlauben.
Wenn man sich einen der Podcasts auf Wikipodia
anhört, merkt man: Hier geht es um die Vermittlung von Fakten. Aber
der Podcast ist im Vergleich zu dem zugrunde liegenden
Wikipedia-Artikel erzählerischer. Die KI-Stimme fordert die
Zuhörenden auch auf, sich in eine bestimmte Situation oder Person
zu versetzen, rhetorische Fragen strukturieren den Inhalt. Warum
hast Du Dich entschieden, einen Artikel auf diese Art und Weise
aufzubereiten?
Meiner persönlichen Überzeugung nach funktionieren Podcasts
nicht als reines Vorlesen von Fakten. Ich bin großer Podcast-Fan
und höre neben Unterhaltung und News auch Podcasts, die sich um
faktisches Wissen drehen, wie Eine Stunde History oder IQ
Wissenschaft und Forschung. Solche Formate mag ich nicht nur
inhaltlich, sondern sie leben für mich von den Vortragenden und
ihrer Art zu kommentieren. Und diese Kommentare sind manchmal
explizit, manchmal aber auch nur über Tonlage und Ausdruck
transportiert. Genau so, wird ein KI-Podcast das so schnell nicht
erreichen.
Aber wie bekommt man es hin, einen enzyklopädischen Text
so zusammenfassen und umschreiben zu lassen, dass er so klingt, wie
ein Mensch, der anderen Menschen etwas erzählt und die Zuhörenden
anspricht?
Das war erstaunlich einfach. In meinem Prompt bzw. in der
Konfiguration für die KI steht: Die Zusammenfassung muss so
geschrieben sein, dass sie als Skript für einen Podcast verwendet
werden kann. Die Sätze sollen einfach sein und wenig Fachjargon
enthalten. Der Text soll das Engagement des Zuhörers fördern, indem
Fragen eingebaut werden.
Was die Bewertung der Themen angeht, um die es in einem Artikel
geht, war ich selbst von einigen Podcast-Skripten sehr überrascht.
Die KI wählt oft Formulierungen, die ich selbst nie wählen würde.
Grundsätzlich bin ich mit dem Ergebnis jedoch zufrieden,
insbesondere bei sensiblen Themenbereichen. Ein Beispiel dafür ist
der Podcast zum Artikel
Foto vom Torhaus Auschwitz-Birkenau. Die Zusammenfassung am
Ende des Podcasts enthält im Schlussteil den Satz: [Das Foto]
ermahnt uns, die Geschichten derer, die dort gelitten haben, nicht
zu vergessen und uns für eine Welt einzusetzen, in der so etwas nie
wieder passiert. Auch beim Podcast vom 8. Feburar zur
S-Mine ist die Zusammenfassung aus meiner Sicht gelungen.
Sie enthält den Satz: Während wir diesen Podcast beenden, lade
ich Sie ein, über die Rolle nachzudenken, die jeder von uns bei der
Förderung des Friedens und der Sicherheit spielen kann.
Daran sieht man auch, wie wichtig die Qualität der
Trainingsgrundlagen für KI sind. Nicht auszudenken, wenn der KI als
Trainingsgrundlage rechtsradikale, antisemitische oder militante
Inhalte bei diesen Artikeln gedient hätten.
Und, wirst Du mit Wikipodia weitermachen?
Ja, denn für mich ist diese Art des podcastens auch ein
Technologie-Experiment. Ich will sehen, ob und wie sich der Podcast
verändert, wenn eine neue Version von ChatGPT rauskommt oder neue
Stimmen. Außerdem möchte ich auch mal probieren, einen Podcast mit
einem anderen KI System, wie zum Beispiel GoogleGemini, zu machen.
Das Gesetz, das in Deutschland definiert, welche Struktur und
Befugnisse sowie personelle und materielle Ausstattung die
Koordinierungsstelle bekommt, ist noch nicht verabschiedet. Zwar
ist klar, dass die Bundesnetzagentur zur Koordinierungsstelle wird
– aber die finale Ausgestaltung des Gesetzentwurfs liegt aktuell im
Parlament. Unter Schirmherrschaft von Tabea Rößner (Büdnis
90/GRÜNE, Vorsitzende des Ausschusses für Digitales) haben wir mit
den Partnerorganisationen aus dem Bündnis F5 gemeinsame
Empfehlungen für eine nutzer*innenfreundliche Gestaltungs des DDG
mit zuständigen Parlamentarier*innen diskutiert.
Umsetzung einer wegweisenden
Gesetzgebung
Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) wird auf nationaler Ebene
die Umsetzung des Digital Services Acts (DSA) auf den Weg gebracht.
Das wegweisende Gesetz soll die Rechte von Nutzer*innen im
digitalen Raum stärken,
Transparenz hinsichtlich der Aktivitäten von
Plattformbetreibern schaffen und sicherstellen, dass die
Anbieter sich an einheitliche Regeln halten müssen.
Zu diesen Regeln gehören:
Plattformen müssen Nutzenden die Möglichkeit geben, illegale
Inhalte online zu melden und müssen die Meldungen schnell
bearbeiten.
Für Nutzende muss nachvollziehbar gemacht werden, wie Inhalte
empfohlen werden. Sie müssen immer auch eine Möglichkeit geboten
bekommen, eine Plattform ohne Profiling zu nutzen.
Dark Patterns sind verboten. Digitalen Plattformen und Dienste
dürfen also keine Mechanismen einbauen, die dazu führen, dass ihre
Kund*innen Entscheidungen treffen, die gegen ihre Interessen
verstoßen – etwa indem nervige Pop-ups sie daran hindern, eine
Auswahl zu ändern.
Online-Marktplätze müssen besser kontrollieren, ob die
Produkte, die bei ihnen angeboten werden, sicher sind.
Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen monatlichen
Nutzer*innen,
also auch die Wikipedia, werden unter die Aufsicht der
europäischen Kommission gestellt. Plattformen und Hosting-Anbieter,
die unter diese Schwelle fallen, werden auf nationaler Ebene durch
dort eingesetzte Koordinierungsstellen beaufsichtigt. Für
Deutschland wird das die Bundesnetzagentur.
Gesetzesentwurf enthält bereits
gute Elemente
Die Ausarbeitung des DSA und des DDG haben Wikimedia Deutschland
und das Bündnis F5 in den vergangenen Jahren bereits intensiv
begleitet. So enthält der aktuelle Entwurf des Gesetzes bereits
viele gute Elemente, für die wir uns gemeinsam mit anderen
zivilgesellschaftlichen Organisationen starkgemacht haben. Dazu
zählen beispielsweise die
Ausgestaltung der zentralen Beschwerdestelle im Interesse aller
Internet-Nutzer*innen, das Aufgeben der Sonderzuständigkeit für
soziale Netzwerke beim Bundesamt für Justiz sowie der Ausschluss
von Firmen, die vom Gesetz betroffen sind vom Beirat der
Koordinierungsstelle. Wir begrüßen die deutliche Stärkung
zivilgesellschaftlicher Expertise in diesem Gremium mit nun acht
Sitzen.
Unsere Empfehlungen für das
DDG
Allerdings bleiben für Wikimedia Deutschland noch Wünsche offen,
die auch vom Bündnis F5 beim parlamentarischen
Frühstück formuliert wurden:
Eine starke Koordinierungsstelle, die bei der Einbindung
weiterer zuständiger Behörden die alleinige Vertreterin
Deutschlands im EU-Gremium ist (nach §16, Abs. 2).
Eine nutzer*innenorientierte und effektive
Beschwerdebearbeitung durch das Festschreiben von
Qualitätskriterien (nach § 20). Dafür fordert das Bündnis, dass für
die Bearbeitung von Anfragen oder Beschwerden klare Kriterien
festgelegt werden. Sie sollten darauf abzielen, bedarfsgerechte
Zugänge, ein vielfältiges Sprachangebot und eindeutige Fristen für
die Bearbeitung von Anfragen und Beschwerden sicherzustellen.
Einschränkungen bei der Datenweiterleitung an das BKA
(nach § 13 DDG-E; i.V.m. Art. 18 DSA): Die Straftatbestände müssen
definiert und eingeschränkt werden. Die Regelung ist aktuell zu
weit gefasst und zu offen formuliert. Das gilt auch dafür, welche
Daten an das BKA weitergeleitet werden sollen. Schutzmechanismen,
wie das Informieren Betroffener bei Datenweiterleitungen, sind
derzeit nicht enthalten.
Zustellungsbevollmächtigte Stellen (nach Art. 29):
Solche Stellen, wie sie im NetzDG vorgesehen waren, sollten nicht
leichtfertig aufgegeben werden, auch wenn das EuGH-Urteil zum
österreichischen Kommunikationsplattform-Gesetz nachvollziehbar
ist. Es sollte geprüft werden, ob eine Zustellungsbevollmächtigte
Stelle im verbleibenden nationalen Rechtsrahmen – etwa beim Gesetz
gegen digitale Gewalt – aufgegriffen werden kann.
Eine deutliche Erhöhung des Forschungsetats. Der liegt
bisher bei lediglich 300.000 €. In Anbetracht der Ziele, die der
DSA verfolgt, und des Aufwandes bei externen Untersuchungen, wäre
mindestens ein zehnfacher Betrag von 3 Mio. €
Transparente Verfahren und Wirksamkeit des Beirats
sicherstellen (nach § 21): Es sollte festgelegt werden, wie mit
Empfehlungen des Beirats umgegangen wird. Zumindest sollte bei
Nicht-Befolgung eine einsehbare Begründung abgelegt werden.
Außerdem sollte die Beteiligung von Zivilgesellschaft und
Forschungscommunity in die Arbeit der Koordinierungsstelle
einfließen – entweder über den Beirat oder auch durch die
Etablierung eines dezidierten Forschungskonsortiums.
Darüber hinaus wäre aus Sicht von Wikimedia Deutschland ein
öffentlicher Jahresbericht des Beirates ein sinnvoller Beitrag zur
Transparenz und Offenheit im Sinne des DSA. Erfreulich ist
immerhin, dass der Jahresbericht der Koordinierungsstelle auf der
Internetseite in barrierefreiem Format zur Verfügung stehen soll (§
17, 1 Nr. 7). Das entspricht der Forderung von Wikimedia
Deutschland, dass vor allem mit öffentlichem Geld finanzierte
Institutionen ihre Information auch öffentlich zugänglich machen
sollten. Idealer wäre eine maschinenlesbare Verknüpfung des
enthaltenen Zahlenwerkes, etwa über die Anzahl der Beschwerden, als
Linked Open Data. Wenn es um die Beteiligung der Zivilgesellschaft
und die Rückkopplung mit den Bedarfen von Nutzenden geht, sollten
außer dem Beirat noch weitere dialogorientierte Formate geschaffen
werden. Solch ein Austausch dient beiden Seiten und damit letztlich
der Umsetzung des DSA im Sinne der europäischen Vorgaben.
WMDE hofft nun auf zügige Umsetzung des DDG mit Berücksichtigung
der von zivilgesellschaftlichen Organisationen eingebrachter
Interessen.
Die von der Bundesregierung veröffentlichte
“Strategie für die Internationale Digitalpolitik” bindet im
Vergleich zum Referentenentwurf die vielen Aktionsflächen
internationaler Digitalpolitik kohärenter ein. Sie fügt sich nun
ein in die insgesamt 13 Strategien zu technologiepolitischen
Zielen, die miteinander in Beziehung stehen, u.a. die
Digitalstrategie, Datenstrategie, KI-Strategie,
Klimaaußenstrategie, Gigabitstrategie, Fachkräftestrategie,
Raumfahrtstrategie, Zukunftsstrategie und Deutschen
Nachhaltigkeitsstrategie.
Es ist müßig darüber zu streiten, ob hier eine Strategie im
Sinne einer langfristigen, strukturierten Planung vorliegt oder
eher eine Aufzählung von Absichten und Positionen. Wir haben uns
das Dokument angeschaut und vermissen vor allem detaillierte Punkte
zu digitalen Commons, nichtkommerziellen digitalen Öffentlichkeiten
und offenen Infrastrukturen. Diese sind essenzielle Bausteine, um
den großen Herausforderungen der Zukunft – der Übermacht von
Technologiekonzernen, strategisch motivierter Desinformation, einer
autoritären Wende vielerorts – gerecht werden zu können.
Multilaterale Prozesse, offene
Basistechnologien: gute Absichten und Zielbilder
Erfreulich ist die Neuordnung der digitalpolitischen Grundsätze:
Während wertebasierte Technologiepartnerschaften im
Referentenentwurf noch an erster Stelle standen, findet sich dort
ein klares Bekenntnis zum Schutz von Menschenrechten online und
offline sowie an zweiter Stelle das globale, offene, freie und
sichere Internet. Regeln für Datenschutz, Interoperabilität
und Datensicherheit sollen “gefördert” werden. Konkret soll die
“anlasslose und grundrechtswidrige Überwachung” koordiniert mit den
europäischen und internationalen Gremien abgewehrt werden. Das von
vielen zivilgesellschaftlichen Beteiligten geforderte Recht auf
Verschlüsselung und Anonymisierung hat es leider nicht konkret in
die Strategie geschafft.
Die “ethischen Herausforderungen” der Technologienutzung, etwa
ausbeuterische Arbeitsbedingungen gering geschützter und bezahlter
Click-Worker, werden leider nur sehr indirekt benannt, wenn sich
die Strategie für gute und faire Ausbildungs- und
Arbeitsbedingungen in einer globalisierten digitalen Wirtschaft
einsetzen möchte. Ob faire Wettbewerbsbedingungen – die faire
Arbeitsbedingungen beinhalten müssen – alleine Monopolbildung
vermeiden kann, wird sich zeigen. In der Strategie wird KI
Regulierung nicht ausgeschlosssen, eine freiwillige
Selbstverpflichtung bleibt als “zusätzliches Instrument”
erwähnt.
“Hohe Priorität” genießen in der Strategie
Multi-Stakeholder-Formate und -Foren. Sie werden als “essentiell”
eingestuft. Ihre “aktive” Unterstützung konkretisiert sich
beispielsweise darin, dass das Internet Governance Forum (IGF)
“unterstützt” und dessen Mandat “zeitgemäß fortentwickelt” werden
soll. Auch an anderen Stellen findet sich ein erkennbarer Wille,
Deutschland hier stärker einzubringen und zivilgesellschaftliche
Akteur*innen in diesem Rahmen zu stärken. Das Bundesministerium für
Digitales und Verkehr zeigt, dass es in den Beteiligungsprozessen
zur internationalen Digitalstrategie zugehört hat, denn die
Bundesregierung möchte nun etwa Doppelstrukturen vermeiden. Dies
kann helfen, um unter anderem zivilgesellschaftliche Akteure vor
Überlastung durch zeit- und ressourcenintensiven Sitzungen in
internationaler Gremienarbeit zu schützen und sich am
Kapazitätsaufbau für zivilgesellschaftliche Organisationen im
Globalen Süden beteiligen. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe wird
angestrebt. Auch soll es eine Politik der Abrüstung im Digitalen
geben. Überwachungstechnologien sollen nicht an repressive Regime
gehen, allerdings wird dieses Bekenntnis aus dem Referentenentwurf
nun mit einem Absatz relativiert, der digitalen Techniken eine
“Schlüsselrolle” einräumt, Menschenrechtsverstöße zu entdecken und
zivilgesellschaftliches Engagement zu ermöglichen.
Bei der Betrachtung der globalen digitalen Infrastruktur sind
Nachhaltigkeitsaspekte hinzugekommen. Die aktuellen Erfahrungen mit
den Realitäten des Krieges schlagen sich in dem Bemühen nieder,
geschützte Kommunikation aufzubauen, Kreislaufwirtschaft zur
Vermeidung von Abhängigkeiten auszubauen und den Weltraum als
Interessensphäre einzubeziehen.
Eine erfreuliche leichte Veränderung ist auch in der Haltung zu
kritischer Technologie erkennbar: Zwar möchte sich Deutschland nach
wie vor schützen gegen den “Abfluss” dieser Technik und
Wissen, aber in Abstimmung mit der EU und internationalen Partnern
und zugleich sollen Deutschland und Europa “stärker von relevanten,
neu entstehenden Wissensquellen profitieren können”. Es wird sich
zeigen, inwiefern offenes, freies Wissen gemeint ist.
Instrumente der Zensur wie Netzsperren werden abgelehnt und die
Repräsentation von Partnerländern im Globalen Süden in Internet
Governance Foren soll gefördert werden. Begrüßenswert sind zudem
das Bekenntnis zum Abbau des Digital Gap sowie zum Einsatz für
umwelt- und klimafreundliche Entwicklung, Produktion, Nutzung,
Reparatur und Entsorgung digitaler Produkte und
Dienstleistungen.
Besonders erfreulich ist, dass die Bedeutung offener
Basistechnologien anerkannt und entsprechende Unterstützung
angestrebt wird. Hier kann auf den guten Erfahrungen mit dem
Sovereign Tech Fund als beispielgebendem Instrument aufgebaut
werden.
Unklar bleibt, wie sich die handlungsleitende Rahmung aus
Grundsatz 5, Vertrauenswürdige und sichere grenzüberschreitende
Datenflüsse – in der Praxis auswirken wird. Hier wird nun sehr
konkret “ungerechtfertigte und willkürlich verhängte
Datenlokalisierungsvorgaben und Einschränkungen des Datenverkehrs”
abgelehnt. Aus Sicht von Wikimedia wäre die freie Nutzung von
Videodaten ohne geolokale Beschränkung ein Schritt in die richtige
Richtung. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass der europäische
Datenschutz gemeint ist, wenn von “willkürlichen” Einschränkungen
des Datenverkehrs die Rede ist. Dafür spricht auch die klare
Unterstützung des EU-US Data Privacy Framework und des “Data Free
Flow with Trust (DFFT) sowie die eher vagen Ambitionen, die
“Standards” für Datenaustausch zu erhöhen.
Die Förderung breiterer Beteiligung ist ein wichtiges Anliegen.
Allerdings sind dafür konkrete Unterstützungsstrukturen und Anreize
nötig, um ein aktives, nachhaltiges Engagement gerade wenig
ressourcenstarker Akteur*innen zu ermöglichen. Hier fehlen konkrete
Ansätze und es bleibt fraglich, wie die Beteiligung realisiert
werden soll.
Schlüsselfaktor für die Zukunft
des guten Internets: Digitale Commons
Aus Sicht des Freien Wissen sind vier Leitsätze aus der
Strategie besonders gewichtig:
Wir schützen die Grund- und Menschenrechte online wie
offline.
Wir treten für ein globales, offenes, freies und sicheres
Internet ein.
Wir stärken eine sichere und nachhaltige globale digitale
Infrastruktur.
Wir fördern menschenzentrierte und innovationsfreundliche
Regeln für den digitalen Raum.
Doch für diese Punkte und die erklärte Absicht, ein “globales,
freies und offenes Internet” zu gestalten, ist die politische
Förderung digitaler Commons unverzichtbar.
Die nationale und internationale Förderung von Open
Source-Basistechnologien und die Befürwortung der Schaffung von
öffentlichen digitalen Gütern sind Schlüsselfaktoren für ein
inklusives, offenes und gerechtes Netz. Die Strategie möchte
“Freiheitsräume in der digitalen Welt erhalten, erweitern und neu
erschließen”. Digitale Commons sind ein essentieller Teil dieser
Freiheitsräume. Erfreulich ist, dass digitale öffentliche Güter
explizit befürwortet werden, allerdings eher auf allgemeiner Ebene,
im Rahmen der Vereinten Nationen. Das lässt darauf schließen, dass
ich die Bundesregierung bei den Verhandlungen zum GDC besonders in
diesem Kapitel engagieren möchte. Eigene Initiativen wären aber
auch erfreulich gewesen.
Freies Wissen als Schlüssel für
die Bekämpfung digitaler Desinformation
Ein Schwerpunkt internationaler Digitalpolitik sollte auch auf
der Eindämmung digitaler Desinformation liegen, insbesondere durch
die gemeinsame Entwicklung internationaler Standards zur
Kennzeichnung von Authentizität, Bearbeitung und Herkunft digitaler
Inhalte. Auf diese Weise können gezielt manipulierte Inhalte
identifiziert und konsequent sanktioniert werden, anstatt dass sie
unbeachtet von Trollgruppen künstlich verbreitet werden.
Ein wichtiges Instrument, das als Gegengewicht zu
Desinformationsdynamiken wirken kann, taucht nicht auf: Freies
Wissen und offene Informationsquellen wie Wikipedia. Frei
zugängliche Information hat es leichter, von Informationssuchenden
genutzt zu werden. Wikipedia gehört zu den Top 10 der am meisten
genutzten Webseiten weltweit und ist auch in den populärer
werdenden Large Language Modellen eine der stützenden, seriösen
Wissensquellen. Gerade Wikipedia erweist sich im Umgang mit
Desinformation weltweit vielfach als schneller, flexibler und
weniger fehleranfällig als die großen Plattform-Unternehmen. Denn
Wikipedia und ihre Schwesterprojekte setzen auf die Weisheit der
Vielen. Damit leistet freies Wissen einen wichtigen Beitrag im
weltweit verfügbaren Informationsangebot.
Auf Initiative von Wikimedia Deutschland wurden im Rahmen eines
Bündnisses aus zivilgesellschaftlichen Organisationen
Vorschläge für wünschenswerte Ziele mit Blick auf das
UN-Projekt Global Digital Compact erarbeitet. Beim Internet Governance Forum
Deutschland 2023 wurden diese im Auswärtigen Amt übergeben.
Folgenden Punkte sollten aus zivilgesellschaftlicher
Sicht und Perspektive Freien Wissens nun ausgearbeitet
werden
Menschen- und Bürger*innenrechte im Digitalen müssen
gestärkt und weiterentwickelt werden.
Digitalpolitische Vorhaben müssen auf ihre Vereinbarkeit mit
Menschenrechten geprüft werden. Entsprechend sollten
Menschenrechtsprinzipien bei technischen und politischen Lösungen
berücksichtigt werden.
Globale digital commons sollten die starke
Zielvision werden. Gemeinschaftliche Güter,
gemeinwohlorientierte Prozesse und Werte: Auch im Digitalen sollte
es öffentliche Räume wie Parks geben, als sichere, anlasslose
Treffpunkte, um die „civic fabric” der globalen Gesellschaft zu
stützen. Sie ermöglichen Lern- und Emanzipationsprozesse, in denen
Menschen unabhängig von einer Markt- und Konsumlogik
Eigeninitiative entwickeln und Verantwortung für die Zukunft
übernehmen.
Eine gerechte und inklusive globale digitale
Transformation fußt auf offenen Infrastrukturen, Codes und
Standards.
Zu den entscheidenden Instrumenten für selbstbestimmte und
lebenslange Bildung und menschliche Entwicklung gehören der Zugang
zu allen Arten von Datenbanken, zu Bibliotheken und Medien, aber
auch offene digitale Infrastrukturen, offene Technologien und Codes
mit möglichst offener Lizenzierung von Daten nach Standards der
Creative
Commons. Dies sollte im künftigen GDC konkretisiert und
vorangetrieben werden.
Menschenrechtliche und unternehmerische
Sorgfaltspflichten und Regulierungsmöglichkeiten etwa von
Plattformen müssen deutlicher und konkreter angesprochen
werden.
Damit Menschenrechte im digitalen Raum gewahrt werden, braucht es
bestimmte Voraussetzungen – etwa Verschlüsselung und
Anonymisierung. Staaten sollten ihrer Pflicht zur Wahrung von
Menschenrechten nachkommen. Sie sollten ihre politischen
Instrumente auch dafür nutzen, den Privatsektor zur Verantwortung
zu rufen, mit technischen Möglichkeiten zur Wahrung von
Menschenrechten beizutragen.
Die zivilgesellschaftliche Beteiligung und der
Multi-Stakeholder-Ansatz müssen im weiteren Prozess konsequent
gestärkt werden. Die effektive Beteiligung von
Zivilgesellschaft, Tech-Community und Wissenschaft angesichts der
rasanten technischen Entwicklungen und ihrer komplexen Auswirkungen
wichtiger als zuvor, um gemeinschaftlich und
für das Gemeinwohl eine bessere Zukunft zu gestalten. Hier
braucht es konkrete Lösungen, um wirksame Beteiligung aktiv zu
gestalten.
Veranstaltungshinweis
Buchvorstellung und Diskussion “Der Kampf um das
Internet: Wie Wikipedia, Mastodon und Co. die Tech-Giganten
herausfordern” von Stefan Mey bei Wikimedia
Deutschland
Magnus Manske ist ein Wikipedianer der ersten Stunde. Er hat den
fünften Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia geschrieben. Und
er hat die Grundlagen für MediaWiki geschaffen – die Software, auf
der die Wikipedia basiert. Mit WikiFlix hat der
Softwareentwickler nicht sein erstes und vermutlich auch nicht sein
letztes Werkzeug für Wikidata entwickelt. Aber im Gegensatz zu
einigen anderen Wiki-Tools, braucht man kein Wiki-Wissen um
WikiFlix zu benutzen. Jede*r kann nach Filmen suchen und sie sich
anschauen. Eine Anmeldung oder ein Login sind nicht notwendig.
„Die Idee für WikiFlix und der Name stammen ursprünglich von
der Wikipedianerin Spinster. Jemand hat mich wegen eines
technischen Problems auf das Projekt aufmerksam gemacht. Ich fand
die Idee sehr schön, aber das Interface und die halb-manuelle
Pflege der Listen schien mir etwas zu klobig. Ich dachte mir, das
könnte ich etwas ansprechender gestalten, vieles automatisieren,
und auch Videos anbieten, die nicht aus Wikimedia Commons
kommen.“ — Magnus Manske, Softwareentwickler und
Wikimedianer
Für die Entwicklung der ersten Version hat Magnus Manske etwa
eine Woche gebraucht.
Obskure Schätzchen und
Welterfolge: Das gibt’s bei WikiFlix
Wie bei kommerziellen Streamingdiensten auch, kann man in
WikiFlix gezielt nach Filmen suchen. Oder man schaut sich an, was
in den verschiedenen Kategorien wie Fantasyfilm, Melodrama oder
Abenteuerfilm im Angebot ist. Sehr viele der Filme in WikiFlix sind
englischsprachig. Aber auch für Liebhaber*innen französischer,
dänischer, russischer oder japanischer Filme ist einiges
geboten.
Wer sich ziellos durch die Filme auf der Startseite treiben
lässt, wird dabei sowohl Bewegtbilder aus der Frühzeit des Films
finden – wie den Einminüter „The Four Troublesome Heads“ (Ein Mann
der Köpfe) des Filmpioniers Georges Méliès aus dem Jahr 1889. Aber
auch berühmte Filme wie die amerikanische Romantikkomödie
Charade mit Cary Grant, The Kid von und mit Charlie
Chaplin oder der Science Fiction Film Metropolis von Fritz
Lang sind in WikiFlix.
Da Filmschaffende Werke manchmal selbst und frühzeitig unter
Public Domain freigeben, sind auch aktuelle Werke in WikiFlix zu
sehen. Wie Big Buck Bunny, ein animierter Comedy-Kurzfilm
aus dem Jahr 2008. Der Film wurde mit Blender gedreht. Das ist eine
freie und quelloffene Softwareanwendung für 3D-Computermodellierung
und -animation, die von der Blender Stiftung entwickelt wurde. Der
Film wurde als Open-Source-Film unter der Creative Commons
Attribution 2.5-Lizenz veröffentlicht. Die Handlung folgt einem Tag
im Leben des gut gelaunten und etwas naiven Big Buck Bunny, an dem
er drei tyrannische Nagetiere kennenlernt: Frank, das Flughörnchen,
und seine Freunde Rinky, das rote Eichhörnchen, und Gimera, das
Chinchilla. Die Nager amüsieren sich, indem sie hilflose
Waldbewohner mit Früchten, Nüssen und Steinen bewerfen. Nachdem die
Nagetiere zwei Schmetterlinge getötet und Bunny angegriffen haben,
legt er seine sanfte Natur ab und schmiedet einen Plan, um die
beiden Schmetterlinge zu rächen. Informationen wie diese liefert
WikiFlix oft mit zu den Filmen.
Die Filme kommen über Wikidata in
den Streamingdienst. Über 31.000 Einträge für Filme gibt es in der
offenen Wissensdatenbank. Ein Beispiel dafür ist der Eintrag zu dem
legendären Film Metropolis aus dem Jahr 1927.
2.519 dieser Film-Einträge (Stand 1.2.2024) haben eine
Filmdatei. Diese Dateien liegen nicht in Wikidata selbst. Die
Einträge in Wikidata sind mit den Filmdateien, die in Archiven wie
Wikimedia Commons, dem Internet Archive oder YouTube liegen,
sozusagen verbunden. Das funktioniert über einen sogenannten
Identifier. Ein Identifier ist eine Bezeichnung, etwa eine
Kombination aus Zahlen und Buchstaben, mit der innerhalb einer
Datenbank ein Ort, eine Person, ein Kunstwerk oder Ähnliches
eindeutig benannt wird. Den Identifier für den Eintrag
Metropolis in Wikidata sieht man neben dem Namen, in dem
Fall Q151599. Die Identifier für die zwei Filmdatein im Internet
Archive sind:
Die Wikiflix Datenbank aktualisiert sich stündlich über
Wikidata. Jedes Mal, wenn also jemand einem Film-Eintrag in
Wikidata einen Identifier aus einem Film-Archiv hinzufügt, ist
dieser kurze Zeit später in WikiFlix auffindbar.
Wikiflix wächst – und alle
können dazu beitragen
Wikiflix hat ein ungeheures Wachstumspotenzial. Das liegt
einerseits daran, dass in der Zukunft immer mehr Filmwerke in die
Public Domain übergehen und damit frei genutzt werden können. Aber
es sind noch längst nicht alle der rund 31.000 Filme, die schon
einen Eintrag in Wikidata haben, über einen Identifier in diesem
Eintrag mit einer Filmdatei in einem Archiv verbunden. Hier können
filmbegeisterte, datenaffine Menschen ins Spiel kommen.
Wikidata ist eine offene Datenbank, alle können Datensätze
bearbeiten oder beitragen. Wer also in Wikidata sieht, dass ein
bestimmter Film, zum Beispiel Cleopatra aus dem Jahr
1917:
einen Eintrag in Wikidata hat,
der unter Copyright Status als Film unter Public Domain
ausgewiesen ist,
im Wikidata-Eintrag aber keinen Identifier vom Internet
Archive, Wikimedia Commons oder YouTube findet,
kann in diesen Archiven nachschauen, ob dort eine Filmdatei zu
finden ist und den Wikidata Eintrag um den Identifier aus dem
Filmarchiv ergänzen.
Oder man nutzt diesen Link zu
einer Abfrage, die alle Filme in Wikidata unter Public Domain
anzeigt, die nicht über einen Identifier mit einer Filmdatei
verbunden sind. Und geht dann in einem der drei Filmarchive auf die
Suche nach den Filmdateien.
Mit seiner enormen Vielfalt an Filmen ist WikiFlix eine
fabelhafte und nicht-kommerzielle Alternative zu Netflix und Co. –
und bietet sogar die Möglichkeit, das Programm selbst
mitzugestalten. Dass es stetig wächst, zeigt ein einfacher
Vergleich. Am 31. Januar waren noch 2.379 Filme in WikiFlix
anzuschauen. Nur einen Tag später sind es schon 2.519. Tragen Sie
dazu bei, das es mehr werden!
Bei Folklore denke ich zunächst
an altmodische, vielleicht romantisierende Trachten und Tänze, die
mit der Gegenwart und Lebensrealität von Menschen wenig zu tun
haben. Dem widersprecht ihr wahrscheinlich vehement, oder? Was
bedeutet Folklore für euch und was mögt ihr daran?
Es gibt ziemlich viele unterschiedliche Lebensrealitäten, auch
innerhalb des Wikimedia Movements. Wir haben uns bei dem
Fotowettbewerb an den internationalen Namen gehalten und wissen,
dass Folklore ein Begriff ist, der etwas altbacken klingt. Aber zur
Folklore gehören neben traditionellen deutschen Trachten auch
Weihnachtsmärkte, Fastenbrechen oder regionales Handwerk wie
Blaudruck und Leb- und Pfefferkuchen. Jüngere deutsche Traditionen
wie Hip-Hop-Kultur und Chormusik sind als immaterielles Kulturerbe
ebenfalls dabei. Es ist spannend, was man alles entdecken kann.
Passend zum Thema gab es auch eine GLAM_digital-Veranstaltung im
Januar 2024, die bei einem virtuellen Austausch mit dem Sorbischem
Institut die Sprache, Geschichte und Kultur der Sorben
thematisiert.
Könnt ihr erklären, warum es
einen internationalen Fotowettbewerb zum Thema Folklore
braucht?
Die weltweiten vielfältigen Aspekte des immateriellen
Kulturerbes sind eine wichtige Ergänzung zum Kultur- und Naturerbe,
die wir schon seit vielen Jahren mit den Wettbewerben Wiki Loves
Monuments (WLM) und und Wiki Loves Earth (WLE) dokumentieren.
Wie ist der Fotowettbewerb
entstanden und wie kommt es, dass Wiki Loves Folklore Deutschland
in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet?
Vorläufer von Wiki Loves Folklore war “Wiki Loves Love”, das
2019 stattgefunden hat und bei dem es um weltweite
Liebestraditionen ging. Der Wettbewerb ist seit 2020 international
und man konnte schon immer auch Beiträge aus Deutschland
einreichen. Bei der Preisverleihung von WLM und WLE hatten wir
mehrere Gespräche, ob ein eigener deutscher Wettbewerb denkbar wäre
und wollen jetzt einen Versuch wagen.
So reich ist die Vielfalt der verschiedenen Volkskulturen
der Welt: Das sind die internationalen Gewinnerbilder von Wiki
Loves Folklore der vergangenen vier Jahre. Mehr Fotos gibt es unter
wikilovesfolklore.org.
Wie läuft der Wettbewerb ab? Wer
kann mitmachen?
Jeder, der thematisch passende Bilder gemacht hat, kann diese
über den Upload Wizard auf dieser Seite ganz einfach unter
einer freien Lizenz nach Commons hochladen und gleichzeitig am
Wettbewerb teilnehmen. Anschließend wird eine Jury die Bilder
bewerten und die Sieger küren.
Immaterielles Kulturerbe war ja
auch in den letzten Jahren schon Thema beim europäischen
Foto-Wettbewerb Wiki Loves Living Heritage. Was ist bei Wiki Loves
Folklore anders?
Wiki Loves Folklore ist ein internationaler Wettbewerb und damit
nicht auf Europa beschränkt. Wir möchten, dass Wiki Loves Folklore
auch in Deutschland jährlich stattfindet genau wie Wiki Loves Earth
und Wiki Loves Monuments.
Anders als bei Wiki Loves Earth
oder Wiki Loves Monuments stehen hier ja vor allem Menschen im
Vordergrund. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für die
ehrenamtlichen Fotograf*innen?
Beim Fotografieren von Menschen ist es wichtig, immer die
Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten zu beachten. Zumindest
außerhalb von öffentlichen Auftritten sollte immer das
Einverständnis der fotografierten Person zum Fotografieren und auch
zu einer Veröffentlichung der Fotos vorliegen.
Vergangenes Jahr haben 2200
ehrenamtliche Fotograf*innen aus 140 Ländern bei Wiki Loves
Folklore mitgemacht und über 38 000 Fotos und Videos hochgeladen.
Wer sichtet und entscheidet, welche davon gewinnen? Was passiert
mit all dem Material, wenn der Wettbewerb abgeschlossen
ist?
Unabhängig von der Jury für Deutschland wird es auch eine
internationale Jury geben, die diese Bildmengen bewältigen muss.
Wir hoffen bei Wiki Loves Folklore in Deutschland auf 5000 Fotos.
Diese werden durch eine Jury bestehend aus Mitgliedern der
Community und möglichen externen Experten bewertet. Die 10 besten
Bilder bekommen einen Preis. Während und auch nach dem Wettbewerb
stehen die Bilder unter einer freien Lizenz auf Wikimedia Commons
zur Verfügung und können für Wikipedia und auch für viele andere
Zwecke unter Namensnennung des Fotografen und unter
Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten genutzt
werden.
Danke für das
Interview!
Mehr über Wiki Loves
Folklore
Wiki Loves Folklore ist ein internationaler Fotowettbewerb der
Wiki-Community, der die reiche Vielfalt der Volkskultur unserer der
Welt feiert. Der Schwerpunkt liegt auf der Bewahrung und Förderung
des immateriellen Kulturerbes durch die Kunst der Fotografie. Der
Wettbewerb lädt jedes Jahr vom 1. Februar bis 31. März dazu ein,
den lebendigen Geist der Volkstraditionen mit der Kamera
einzufangen: von hypnotisierenden Volkstänzen und bezaubernder
Volksmusik bis hin zu traditionellen Volksschauspielen, saisonalen
Events, Bräuchen oder aus der Mythologie.
In den fünf Jahren seines Bestehens hat Wiki Loves Folklore eine
beeindruckende Sammlung von knapp 80 000 Mediendateien aus 168
Ländern zusammengetragen, zu denen rund 6500 engagierte Freiwillige
einen unschätzbaren Beitrag geleistet haben. Die Fotos werden unter
freier Lizenz bei Wikimedia Commons hochgeladen und können in der
Wikipedia und an anderen Stellen mit verwendet werden.
Provenienzforscher*innen erkunden die Biografien von Kunstwerken
und Kulturgütern. Dabei enthüllen sie nicht selten Kriminalfälle
oder bringen Geschichten von unrechtmäßiger Enteignung, Raub und
kolonialer oder nationalsozialistischer Gewalt ins öffentliche
Bewusstsein. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat mit dem
Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter
entscheidende Impulse für eine Dekolonialisierung von Museen
geleistet. Die Kunsthistorikerin Meike Hopp forscht zum Kunsthandel
im Nationalsozialismus. Sie war Mitglied der Taskforce
Schwabinger Kunstfund, die erforscht hat, welche Werke aus der
Sammlung Gurlitt zur NS-Raubkunst gehören. Aber wie können
Museen, Archive oder Bibliotheken die vielen Daten, die von
Provenienzforscher*innen zusammengetragen werden, öffentlich und
zugänglich machen?
Das Ende der
Geheimnistuerei
Diese und andere Fragen diskutierten die Provenienzforscherinnen
Hopp und Savoy gemeinsam mit Wikimedia-Präsidiumsmitglied und
Kuratorin Larissa Borck, Provenienzforscherin Lynn Rother und dem
Computerwissenschaftler Tobias Matzner beim Roundtable: Part of
a Global Cultural Commons? Provenance Research in 2024. Er
bildete den Auftakt für die zweitägige Workshopreihe zur Öffnung
von Provenienzdaten, die eine Initiative der
AG Kunstwissenschaften + Wikipedia ist und mit Wikimedia
Deutschland realisiert wurde.
„Wir haben die Veranstaltung organisiert, um
Kunstwissenschaftlerinnen mit Protagonistinnen der
Wikimedia-Projekte zusammenzubringen. Ein Austausch von und
Expertisen und das gemeinsame Arbeiten an konkreten Fallstellungen
zu digitalen Provenienzdaten standen im Vordergrund. Zudem haben
wir mit dem manifesto 24 internationale Empfehlungen für den Umgang
mit Provenienzdaten entlang der FAIR-Prinzipien
formuliert.“
Waltraud von Pippich, AG
Kunstwissenschaften + Wikipedia
Die Digitalisierung habe für die Provenienzforschung alles
verändert, sagte Bénédicte Savoy. „Sie führt dazu, dass es eine
größere Sichtbarkeit von Sammlungsbeständen gibt. Das Wissen der
Museen über sich selbst ist kein Familiengeheimnis mehr.“ Aber
warum sind nicht alle Sammlungsdaten der staatlichen Museen in
Europa offen zugänglich? Eine einfache Antwort darauf gibt es
nicht. Bei NS-Raubkunst sei jede Erforschung ein kompliziertes
Puzzle aus Quellen verschiedenster Archive, Museumsdaten und
Informationen aus privaten Quellen, erklärt Meike Hopp. Und es
liege auch nicht nur an den Kulturinstitutionen, betont Larissa
Borck. „Museen sind unterfinanziert, ihnen fehlen oft die
personellen Ressourcen und dann können sie das Urheberrecht als
Begründung nennen, warum Informationen nicht zugänglich sind.“ Lynn
Rother verweist aus ihrer Erfahrung im Museum of Modern Art darauf,
dass es in Europa zudem eine ganz andere Kultur gebe als in den
USA. „Die amerikanischen Museen haben in den frühen 2000er Jahren
Sammlungsdaten öffentlich gemacht und auch die Lücken in der
Überlieferung offengelegt.“ Sie hob aber auch hervor, dass
amerikanische Museen oft über ganz andere personelle Ressourcen
verfügen.
Einig waren sich die Diskutierenden darüber, dass der Status quo
sich ändern soll – und dass Projekte wie Wikidata, Wikibase, die
Wikipedia oder Wikimedia Commons und die Expertisen aus der
Freiwilligen-Community dazu beitragen können.
Kulturinstitutionen müssen eine langfristige Strategie für die
Zusammenarbeit mit Online-Communitys besitzen, damit man gemeinsam
zielführend an Kulturinhalten in Wiki-Projekten arbeiten kann.
Dabei müssen interne Ressourcen zur Verfügung stehen, die in den
Austausch mit Wikimedianer*innen treten können. Außerdem muss man
sich im Klaren sein, dass in Wikiprojekten wie Wikidata, Wikipedia
oder Wikimedia Commons eigene Regeln wie offene Lizenzen und
enzyklopädische Relevanz gelten – auf diese muss man sich
einlassen.”
Larissa Borck,
Wikimedia-Präsidiumsmitglied und Kuratorin im Sörmlands
Museum
Wikidata für Kulturdaten:
Beispiele aus der Praxis
Bevor es ans Barcampen ging, erhielten die Teilnehmenden
Eindrücke davon, wie man mit Wikidata Kulturdaten offen zugänglich,
vernetzen oder diverser machen kann.
Maarten Dammers, in der Wikipedia- und Wikidata-Community besser
bekannt als Multichill, berichtete über das
Freiwilligen-Projekt SOAP – Sum of all Paintings (Die Summer
aller Bilder). Das Ziel: In Wikidata sollen Informationen zu jedem
bekannten Kunstwerk frei und offen verfügbar sein. Seit bald zehn
Jahren arbeiten die Freiwilligen daran, Sammlungsdaten, die Museen
digital zur Verfügung stellen, oder Wissen aus gedruckten Katalogen
in Wikidata einzubringen. Wikidata enthält aktuell mehr als 108
Millionen Datensätze, die miteinander verknüpfbar sind. Ein
Datensatz zu einem Kunstwerk kann also mit unglaublich vielen
Informationen verbunden werden: Das kann der Maler*innenname sein,
das Genre des Bildes, die Identifikationsnummer in anderen
Datenbanken, Aussagen über das Material oder Gegenstände und Orte
im Bild, wann es Besitzer*innen gewechselt hat und vieles mehr.
Yann LeGall berichtete den Teilnehmenden von seiner Arbeit mit
Wikidata im Rahmen des Forschungsprojekts The Restitution of
Knowledge. Darin rekonstruieren die Forschenden, wie
Kulturgüter ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bei sogenannten
Strafexpeditionen aus Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent nach
Europa verschleppt wurden. Es geht ihnen darum, sichtbar zu machen,
dass mit dieser Art des „Sammelns“ Geschichten der Gewalt, des
Raubes oder der Unterdrückung verbunden sind. Beim Überführen von
Forschungsergebnissen in Wikidata haben Lucy Patterson,
Projektmanagerin digitales Kulturgut, und Cin Pietschmann,
Projektmanager*in marginalisiertes Wissen von Wikimedia Deutschland
Yann LeGall unterstützt.
Wir haben LeGall und das Forschungsteam beraten, wie sie ihre
Forschungsergebnisse in Wikidata einbringen können. Es gab eine
Einführung dazu, wie man in Wikidata editiert und mehrere
Workshops. Zudem haben wir untersucht, wie koloniale Geschichte und
Artefakte derzeit in Wikidata dargestellt werden, und stellten
fest, dass die antikoloniale Perspektive oft noch
fehlte.
Dr. Lucy Patterson,
Projektmanagerin digitales Kulturgut bei Wikimedia
Deutschland
Mit Unterstützung von Wikimedia Deutschland konnte LeGall sich
mit der Wikidata-Community vernetzen. Gemeinsam mit Sabine von
Mering (Museum für Naturkunde Berlin) und Mohammed Sadat Abdulai
(Dagbani
Wikimedia Nutzer*innengruppe) entwickelte LeGall Ideen dafür,
wie er seine Forschungsergebnisse in Datensätze einfügen oder
verknüpfen kann – etwa zu Akteuren oder Ereignissen des
anti-kolonialen Widerstands. Am Beispiel der Ngonnso’ Figur aus
Kamerun, heute im Ethnologischen Museum Berlin, verdeutlichte
LeGall die Möglichkeiten einer offenen Datenbank. Im musealen
Kontext wird Ngonnso’ üblicherweise schlicht als Statue bezeichnet.
In der Realität der kamerunischen Nso ist die Skulptur aber
zugleich ein Objekt und eine Gottheit. Durch die Ergänzung der
Bezeichnung „deity“ (Gottheit) im Datenbankeintrag spiegelt dieser
nun nicht nur die westliche Perspektive auf Ngonnso’ wieder,
sondern auch die der Nso. Solche Ergänzungen tragen dazu bei,
Wissen diverser zu machen.
Die Forschenden ergänzten den Wikidata-Eintrag zu dem Objekt
außerdem mit der Information „geplündert bei der Nso Expedition
1902“. Sie machten so deutlich, dass die Skulptur im Zuge
einer gewalttätigen Niederschlagung von anti-kolonialem Widerstand
nach Europa verschleppt wurde. Solche Ergänzungen, aber auch das
Anlegen bisher nicht vorhandener Eigenschaften (Properties), tragen
dazu bei, dass koloniale Kontexte sichtbar werden.
Unter dem Titel Towards Wikidata: How to Transform Provenance
with AI sprach Fabio Mariani über seine aktuelle Forschung zum
Einsatz von sogenannter Künstlicher Intelligenz und
Provenienzdaten. Er befasst sich damit, wie Informationen zur
Herkunft eines Kunstwerks, die in Textform vorliegen, mit KI in
Einzelinformationen getrennt und gelesen werden können. Die KI kann
darauf trainiert werden, Logiken und Zeichensetzungen von Texten zu
verstehen und diese dann in einzelne Informationen zu splitten. Was
das mit Wikidata zu tun hat? Die KI kann keine fehlenden oder
unvollständigen Daten ergänzen oder Fehler korrigieren. Um die aus
den Texten extrahierten Daten anzureichern und zu erweitern,
ergänzt Mariani diese daher mit dem Wissen aus Wikidata.
„Kann man euch dabei irgendwie
helfen?”
Dieser Satz war bei der Konferenz immer wieder zu hören. Die
Unterstützungsangebote kamen von den Teilnehmenden, die sich
ehrenamtlich in Wiki-Projekten wie Wikidata oder Wikipedia
engagieren oder Wikibase nutzen. So wurde bereits zu Beginn der
Konferenz deutlich: Die Ehrenamtlichen aus den Wiki-Communitys
haben ein großes Interesse daran, Provenienzforschende dabei zu
unterstützen, Wikidata oder Wikibase zu nutzen. Als es darum ging,
Barcamp-Sessions zu entwickeln, wurden direkt offene Fragen von
Forschenden zu Wikidata und Wikibase bearbeitet.
Einige der Themen lauten:
Wie funktionieren Datenbankabfragen in Wikidata?
Wie können Kulturinstitutionen offene Datensätze im Ganzen in
Wikidata importieren?
Wie entwickelt man fortgeschrittene Datenmodelle?
Welche Wikimedia-Werkzeuge, etwa für Datenbankabgleiche, gibt
es?
Was motiviert diese Hilfsbereitschaft? Das ist sicherlich bei
allen Wiki-Aktiven unterschiedlich. Daniel Mietchen, der in der
Wikipedia-, Wikidata- und Wikibase-Community aktiv ist und das
Werkzeug Scholia mit
entwickelt hat, beschreibt sie so:
Im Wiki-Ökosystem beschäftige ich mich ja primär mit Sachen, die
mich auch interessieren. Ich bin also fast nur in den Bereichen
unterwegs, wo es Spaß macht und da habe ich auch Spaß, mit anderen
zu interagieren und Wissen weiterzugeben – zum Beispiel zu
SPARQL-Abfragen in Wikidata. Ich kann mich noch an die Zeiten
erinnern, als ich das auch mal nicht konnte. Und als
Wissenschaftler bin ich sowieso an Problemlösungen und
Zusammenarbeit interessiert.
Dr. Daniel Mietchen, aktiv in
der Wikipedia-, Wikidata- und Wikibase-Community und Mitentwickler
des Werkzeugs Scholia
Wikibase für
Sammlungsdaten-Management?
Ein Wiki-Projekt, das auf der Konferenz vielfach
diskutiert wurde, war Wikibase. Das ist die Software hinter
Wikidata. Sie kann dank freier Lizenzierung von jedem und jeder
benutzt werden, um eine eigene Datenbank anzulegen – deren Daten
man wiederum mit Wikidata verknüpfen und so neues Wissen sichtbar
machen kann.
In der Barcamp Session Best Practice for Wikibase: the
Adolphe Schloss Collection sprach die Kunsthistorikerin Ruth
von dem Busche über die Vorteile, die Wikibase aus ihrer Sicht für
die Arbeit mit Provenienzdaten bietet. 1943 hatten die Gestapo und
das französische sogenannte Judenreferat die Bilder des
französisch-jüdischen Sammlers Adolphe Schloss beschlagnahmt.
Einige Kunstwerke wurden verkauft, andere gingen in das sogenannte
Führermuseum in Linz und in den Louvre. Im Rahmen des Projektes
sollte deutlich gemacht werden, wer, wann und wo welches Kunstwerk
beschlagnahmte, übergab, verkaufte oder aufkaufte.
Ein Vorteil, so Busche, bestand darin, dass sie mit Wikibase ihr
eigenes Datenmodell entwickeln und so für dieses Projektziel
maßschneidern konnte.
Sie hat außerdem die Erfahrung gemacht, dass Wikibase gut
geeignet für das Zusammentragen großer Datenmengen, aber auch für
die Arbeit mit granularen Daten ist. Für die Verbindung von
Geschichte und Daten sei es aus ihrer Sicht zudem hilfreich, dass
man die Datensätze mit Bildern und Scans anreichern und mit
Wikipages, also mit Informationen zu Personen, Ereignissen oder
Orten verbinden könne.
Nach zwei Tagen ist der Auftakt für eine Vernetzung von
Provenienzforschenden, Ehrenamtlichen aus den Wiki-Projekten und
Wikimedia Deutschland gelungen. Neue Ideen wurden angestoßen und an
einigen offenen Fragen oder Problemen konnte sogar direkt vor Ort
gearbeitet werden.
Mit aktuell über 6,7 Millionen Artikeln kann man die Wikipedia
getrost als Mammutwerk bezeichnen. Gedruckt unübertroffen war in
seiner Zeit das Grosse vollständige Universallexicon Aller
Wissenschafften und Künste, das zwischen 1731 und 1754
erschien. Der Zedler, benannt nach seinem Verleger Johann Heinrich
Zedler, enthielt rund 120 Millionen Wörter. Ein echter Riese ist
auch der Artikel zu Griechenland aus Ersch und Gruber’s
Allgemeiner Encyclopädie (1818-89). Er überraschte Lesende mit
einer Länge von 3.668 Seiten.
Nicht alle Enzyklopädieplanungen wurden in die Praxis umgesetzt.
Sie wurden abgebrochen, bevor alle Buchstaben bearbeitet waren,
oder der Eifer ließ nach. So endete die Deutsche
Encyclopädie (1778-1807) mit dem Buchstaben K. Bei der
Encyclopédie nouvelle (1834-42) wurde dem Buchstaben “A”
weit mehr als ein Band gewidmet, während die Buchstaben “S” bis “Z”
in einem einzigen letzten Band abgehandelt wurden.
Was ist enzyklopädisches
Wissen?
In der Wikipedia muss sich jeder Artikel – und damit alle
Autor*innen – die Frage stellen lassen: Ist das Thema
enzyklopädisch relevant? Diese Frage haben auch Verfasser*innen der
frühen Enzyklopädien diskutiert – mit unterschiedlichen
Ergebnissen. Mit dem Begriff Wissen meinen wir heute oft
abstraktes, theoretisches Wissen, während praktisches Wissen als
trivial vernachlässigt wird. Dabei beinhalteten die frühen
Enzyklopädien oft sehr praktisches Wissen: Die Deutsche
Encyclopädie (1778-1807) beinhaltete Rezepte und
Waschanleitungen. Im sogenannten Wunder-Meyer
(1840-1853) war der Artikel zur Auswanderung 72 Seiten lang und
beinhaltete praktische Hinweise. Er empfahl unter anderem „die
Auswanderung für fähige, kräftige, harte Arbeiter zwischen zwanzig
und vierzig Jahren“, informierte über Preise für den Transport
zwischen amerikanischen Städten und gab an, welches Budget
Auswandernde für die Gründung einer Farm in der amerikanischen
Prärie brauchten.
Berühmte Männer und eine Frau
als Artikelautor*innen
Viele Autor*innen von Wikipedia-Artikeln schreiben unter
Pseudonymen und wir wissen daher nicht, wer sie sind und welchen
fachlichen Hintergrund sie haben. Einige Autoren von gedruckten
Enzyklopädieartikeln hingegen waren regelrechte Stars. Albert
Einstein hat den Artikel „Raumzeit” in der Encyclopedia
Britannica geschrieben, zu der auch Henry Ford einen Artikel
beigesteuert hat. . Der anarchistische Theoretiker Piotr Kropotkin
hat passenderweise den Beitrag über „Anarchismus” zu der bekannten
englischsprachigen Enzyklopädie geleistet. Vladimir
Lenin schrieb einen Beitrag zur siebten Ausgabe der
Enciklopediceskij slovar und Louis-Napoléon Bonaparte, der
spätere Kaiser Napoléon III., hat den Artikel „Kanone” im
Dictionnaire de la conversation verfasst.
Bis ein Enzyklopädieartikel über Frauen erstmals von einer Frau
geschrieben wurde, dauerte es bis 1902 und erfolgte durch die
Schriftstellerin Mary Jeune.
Der
Enzyklopädie-Verkäufer
Dass Wikipedia den Zugang zu Wissen revolutioniert hat, ist
beileibe keine Übertreibung. Denn fast überall auf der Welt können
Menschen auf das Wissen aus über 300 Sprachversionen zugreifen. Es
ist auch noch gänzlich kostenlos. Das war bei gedruckten
Enzyklopädien nicht so und ist auch bei ihren digitalen
Nachfolgern, wie etwa dem heutigen Brockhaus, nicht so. Wer
Enzyklopädien verkaufen wollte, musste sie also bewerben.
Die Eigentümer von World Book sponsorten 1960 eine
Expedition von Edmund Hillary in den Himalaya, um nach dem Yeti
oder sogenannten Schneemenschen zu suchen. Die Reise sorgte für
Aufsehen und die Ergebnisse wurden im Jahrbuch der Enzyklopädie
festgehalten. Die Funk and Wagnalls New Standard Ecyclopedia
war für längere Zeit gar nicht zu kaufen, da sie nur als Bonus für
Abonnent*innen des Literary Digest erhältlich war. Das Bild
des aggressiven Enzyklopädie-Verkäufers, der von Tür zu Tür ging,
wurde sogar zu einem solchen Stereotypen, dass dieser in einem
Sketch von Monty Python’s Flying Circus im Jahr 1969
auftauchte. Darin klingelt ein Mann an einer Tür, eine Frau öffnet.
Er gibt sich als Einbrecher zu erkennen. Die Frau befürchtet aber,
dass er ein Lexikon-Verkäufer ist und weigert sich, ihn
hereinzulassen. Dem Mann gelingt es, sie davon zu überzeugen, dass
er ein Einbrecher ist, sie lässt ihn hinein – woraufhin er beginnt,
ihr eine Enzyklopädie zu verkaufen.
By playing the video you agree that YouTube and Google might
store and process your data. Please refer to Google’s Privacy
Policy.
Alter Wein in neuen
Schläuchen
Einige Diskussionen, die es in und um die Wikipedia gibt, gab es
schon bei den gedruckten Enzyklopädien.
Die Wikipedia ist ein sehr textlastiges Medium, weil
Wissensvermittlung in der westlichen Welt überwiegend über Texte
erfolgte und erfolgt. Den Bildern misstrauten und misstrauen viele
als oberflächlich oder manipulierbar. Auch der Brockhaus
verweigerte sich lange der Aufnahme von Illustrationen. Bis zum
Ende des 19. Jahrhunderts das mit Illustrationen ausgestattete
Meyers Konversations-Lexikon dreimal so viel Lexika
verkaufte und Brockhaus zum Umdenken zwang.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde lamentiert, dass Schüler*innen
und Student*innen ihre Berichte einfach aus Enzyklopädien
abschreiben. Ein Vorwurf, der früher auch häufig gegenüber der
Wikipedia gemacht wurde.
Enzyklopädien hatten schon damals den Anspruch auf Neutralität.
Insofern überrascht der mutige Werbeclaim der deutschen
Enzyklopädie Brockhaus aus der Mitte des 20. Jahrhundert
nicht: “Brockhaus berichtet, aber richtet nicht: Brockhaus kennt
keine Vorurteile”
Versuche von staatlichen Akteur*innen, enzyklopädisches Wissen
zu beeinflussen oder sogar zu zensieren, sind auch nichts Neues.
Dies wird in verschiedenen Ländern bei der Wikipedia versucht und
betraf auch die Bolshaia Sovietskaja Entsiklopediia. Nach
Stalins Tod wurden aus politischen Gründen entfernte Biographien
wiederhergestellt. Die Zensur ging jedoch weiter. Im Jahr 1954
wurden die Abonnenten der Entsiklopediia aufgefordert, die
Seiten 21-4 von Band V zu entfernen und sie durch gelieferte Seiten
zu ersetzen. Damit sollte die Biografie von Lawrenti Beria, Stalins
kurz davor hingerichteter Sicherheitschef, entfernt werden. Als
Ausgleich erhielten die Abonnenten mehr Material über die
Beringsee.
Und die Wikipedia?
Zum Abschluss des Buches widmet sich der Autor auf 16 Seiten der
freien Online-Enzyklopädie: „Wikipedia hat ein neues Paradigma für
Enzyklopädien geschaffen. Wikipedia übertrifft jede frühere
Enzyklopädie in ihrer Offenheit für Beiträge aus der breiten
Öffentlichkeit. Ebenso wichtig ist, dass Wikipedia die erste
soziotechnische Enzyklopädie ist, die sowohl auf Software als auch
auf Menschen angewiesen ist; die erste Enzyklopädie, die als Marke
in mehr als einer Handvoll Sprachen existiert.”
Dr. Christian Humborg ist einer der Geschäftsführenden
Vorstände von Wikimedia Deutschland
An sechs Samstagen von Juni bis November trafen sich
Interessierte in der Amerika-Gedenkbibliothek, um sich über
(queer-)feministische Kunst und die Mitarbeit in Wikipedia zu
informieren. Unter dem Motto „Schreiben, Zeichnen, sichtbar machen“
lernten sie, wie sie Artikel über FLINTA*-Künstler*innen in
Wikipedia erstellen und bearbeiten können.
Den Auftakt machte die Künstlerin und Kuratorin der Reihe,
Sandra Becker, mit einem Input zu ihrer Arbeit „People Queer
Shapes“. Sie sprach über ihre Erfahrungen als queer-feministische
Künstlerin und darüber, wie sie sich in Wikipedia einbringt:
„Als Künstlerin und Wikipedia-Autorin kann ich gut nachvollziehen,
warum die Hürden, in Wikipedia aktiv zu werden, erstmal hoch
erscheinen“, sagte Becker. „Es ist ein komplexes Regelwerk, das z.
B. darüber entscheidet, welche Künstler*innen-Biografien relevant
genug sind, um in Wikipedia aufgenommen zu werden. Diese
Veranstaltungsreihe ermöglicht es den Künstler*innen und
Kunstinteressierten gemeinsam mit Menschen aus der
Wikipedia-Community die ersten Schritte in Wikipedia zu
gehen.“
Von Ping Pong über Insekten bis
hin zu Frauendenkmälern: Ein vielfältiges Programm rund um
(queer-)feministische Kunst
Die Wikipedia-Trainerin Siggi Weide referierte über
verschollenes Wissen und Überlieferungslücken in Archiven. Sie gab
den Teilnehmenden Tipps, wie sie Informationen über
FLINTA*-Künstler*innen finden und aufbereiten können.
Die Wikipedianerin Ruesselbueffel nahm die Relevanzkriterien und
die Regeln für das Editieren in den Blick, die für die Wikipedia
gelten. Sie argumentierte, dass aufgrund dieser Regeln und
Strukturen oft nicht nur gegendertes Wissen in der Wikipedia einen
schweren Stand habe, sondern auch das Wissen von gesellschaftlich
marginalisierten Personengruppen sowie Themen um Sexualität,
Herkunft und Klasse. Dass es an Bereitschaft allerdings nicht
mangelt, zeigen die seit Jahren aktiven Initiativen wie
Art+Feminism, WomenEdit oder Who Writes His_tory. Und eben die
Workshopreihe FLINTAstic.
Die Künstlerin Frauke Beeck zeigte in ihrem Vortrag am Beispiel
von Denkmälern auf, dass öffentliches Gedenken in Deutschland meist
männlich geprägt ist. Sie verwies auf die Tatsache, dass nur etwa
200 historische Frauendenkmäler in Deutschland existieren und von
diesen lediglich vier lesbischen bzw. Transfrauen gewidmet sind.
Zum Vergleich: Allein Otto von Bismarck wurde in Deutschland rund
700 mal ein Denkmal gesetzt.
Die Künstlerin annette hollywood stellte in ihrem Vortrag ihr
digitales Projekt [anderkawer] vor, eine detektivische
Spurensuche nach lesbischen Müttern seit den 1920er Jahren in
Deutschland. Wie man die Ergebnisse dieser Detektivarbeit auf
Wikipedia dokumentieren kann, zeigte anschließend die
Wikipedia-Trainerin Grizma.
Rege Diskussionen und Anstoß für
neue Projekte
Insgesamt haben an der Veranstaltungsreihe 45 Personen
teilgenommen. Für viele Teilnehmende waren es erste Einblicke in
die Arbeit in Wikipedia. Mit ersten Erfolgen: „Es haben sich zwei
neue Zusammenarbeiten aus der Veranstaltungsreihe ergeben:
Künstler*innen und Wikipedianer*innen, die künftig gemeinsame
Aktionen planen”, berichtet Sandra Becker. „Es freut mich, dass wir
Interessierte zu diesem Thema zusammenbringen konnten.
FLINTA*-Künstlerinnen und ihre Kunst gehören zu unserer
Gesellschaft. Wir wollen dazu beitragen, dass sie in Wikipedia die
Anerkennung erhalten, die sie verdienen.“
Das Konzept der Überwachunsgesamtrechnung (ÜGR) ist aufgrund des
Urteils vom Bundesverfassungsgericht zur Vorratsdatenspeicherung
von 2010 entstanden. Darin hatte das Gericht geurteilt, dass
rechtliche Befugnisse zur Überwachung nicht isoliert bewertet
werden dürfen. Die Auswirkungen, die eine Überwachungsmaßnahme auf
unsere Freiheitsrechte hat, müssen immer im Kontext aller
gesetzlich möglichen Überwachunsmaßnahmen gesehen werden, die es
bereits gibt. In der Rechtswissenschaft ist daraus der Begriff
Überwachungsgesamtrechnung geworden. Die aktuelle Bundesregierung
hat sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt, ein wissenschaftliches
und evidenzbasiertes Konzept für eine solche Rechnung erstellen zu
lassen. Jurist*innen erhoffen sich davon, dass vor der Einführung
einer Überwachungsbefugnis überprüft wird, welche es bereits gibt
und welche es überhaupt braucht – oder eben nicht. Aber wie kann
aus der ÜGR ein Instrument werden, das unsere Privatsphäre schützt
und dazu beiträgt, dass der freie Austausch von Wissen und
Informationen im digitalen Raum nicht übermäßig beschränkt
wird?
Sicherheitspolitik neu gedacht:
Warum wir jetzt eine echte Überwachungsgesamtrechnung
brauchen.
Zu dieser Frage veranstaltete das Bündnis F5 im vergangenen Jahr
ein parlamentarisches Frühstück unter der Schirmherrschaft des
innenpolitischen Sprechers der FDP, Manuel Höferlin MdB. Einig
waren sich die Bündnisorganisationen und Höferlin darüber, dass es
für die ÜGR eine robuste gesetzliche Grundlage braucht. Denn
während es in der Sicherheitsgesetzgebung in den vergangenen
Jahrzehnten stets zu Verschärfungen kam, gibt es aktuell keine
Möglichkeit zu überprüfen, wie hoch der Gesamtdruck von
Überwachungsmaßnahmen auf einzelne Personen tatsächlich ist. Das
Bündnis drängt deshalb darauf, durch die ÜGR ein Instrument zu
verankern, das einen elementaren Beitrag zum Schutz von
Bürger*innenrechten leisten kann.
Umsetzung der ÜGR in
Gefahr?
Henriette Litta, Leiterin der Open Knowledge Foundation, hob
hervor, dass kaum eine andere Passage aus dem Koalitionsvertrag so
viele Vorschusslorbeeren aus der Zivilgesellschaft erhalten hat wie
das Vorhaben der ÜGR. Allerdings sieht das Bündnis nun die Gefahr,
dass die verbleibende Zeit der Legislaturperiode nicht mehr für die
Umsetzung der Ergebnisse der ÜGR genügen könnte – auch weil die
federführenden Ministerien, das Bundesinnenministerium (BMI) und
Bundesministerium der Justiz (BMJ) laut eigenen Angaben planen, die
ÜGR erst
bis Ende 2024 abzuschließen.
Und auch in prozeduralen Fragen sowie dem aktuell geplanten
Umfang sieht das Bündnis Herausforderungen für die ÜGR. In ihren
Impulsvorträgen beleuchteten Helene Hahn (Referentin für Referentin
Advocacy / Internetfreiheit, Reporter ohne Grenzen) und Kai
Dittmann (Leiter Politik, Gesellschaft für Freiheitsrechte) daher
verschiedene Aspekte, die aus Sicht von F5 berücksichtigt werden
müssen, um die ÜGR auf ein solides Fundament zu stellen.
Forderungen des Bündnis
F5
Die ÜGR darf nicht als isoliertes Projekt betrachtet werden,
sondern sollte als fortlaufender Prozess verstanden werden. Um das
zu gewährleisten, ist die geplante Freiheitskommission mit
weitreichenden, flankierenden und beratenden Befugnissen eine
zentrale Institution, deren gesetzliche Verankerung im laufenden
Verfahren höchste Priorität genießen muss. Zudem sollte das
Gesetzgebungsverfahren transparent, ergebnisoffen und unter
intensiver Stakeholder-Beteiligung geführt werden. Denn das Bündnis
ist der Überzeugung: nur unter Einbezug der Zivilgesellschaft und
durch eine breite öffentliche Debatte kann mit der ÜGR eine
rechtsstaatlich angemessene Leitlinie der Sicherheitspolitik
entstehen.
Die Vertreter*innen des Bündnisses merkten außerdem an, dass der
aktuell geplante Umfang der ÜGR in einigen Fällen nicht ausreicht,
um einen umfassenden Schutz vor unverhältnismäßiger Überwachung zu
gewährleisten. Zum Beispiel sollte die Maßnahme
Berufsgeheimnisträger*innen wie Journalist*innen einen besonderen
Schutz vor Überwachung einräumen, da diese mit ihrem unabhängigen
Journalismus einen wesentlichen Beitrag zu unserer demokratischen
Gesellschaft leisten, betonte Helene Hahn.
Auch forderte das Bündnis eine Ausweitung der ÜGR auf weitere
Rechtsbereiche, die bisher nicht in der Ausschreibung des BMI und
BMJ inkludiert sind. Ein Fokus sollte dabei vor allem auf dem
Schutz besonders vulnerabler Gruppen wie Asylbewerber*innen liegen,
die bereits heute Ziel einer Vielzahl von Überwachungsmaßnahmen
sind und nur sehr begrenzte Möglichkeiten haben, sich davor zu
schützen.
Worauf es jetzt
ankommt
Schließlich zeigte die Diskussion zwischen den
Parlamentarier*innen und dem Bündnis F5 über das Zusammenspiel von
EU-, Bundes- und Länderebenen sowie das Schwachstellenmanagement im
Kontext der ÜGR, dass viele der zivilgesellschaftlichen Anliegen
parteiübergreifend auf Zustimmung stoßen. Neben dem Wunsch nach
einer breiteren öffentlichen Debatte kommt es aus Sicht des
Bündnisses nun darauf an, trotz der Komplexität des Themas nicht
davor zurückschrecken, die ÜGR mit einer begleitenden
Freiheitskommission schnellstmöglich zu etablieren und durch die
gesetzliche Verankerung einen langfristigen Prozess anzustoßen.
Denn nur so hat die Überwachungsgesamtrechung das Potenzial, einen
bedeutungsvollen Schutz von Freiheitsrechten zu gewährleisten und
zu einer neuen Leitlinie für die Sicherheitspolitik der nächsten
Jahrzehnte zu werden.
Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein
Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren
umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal
intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und
mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach
mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der
deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man
die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den Wind.
Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am
Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem
Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird. Die weniger
peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend sind.
Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen
Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein
Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen Bezugspunkten zu
unserer Welt. Und selbst dort kommt Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es
geht um „Moon over Soho“ von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen
2012 bringt es der Roman auf den Punkt:
Auf deutsch etwa:
„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz, können
etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren. Lady Tys
Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem PR-Schreiber
verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen PR-Schreiber
beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite ihren Vorstellungen
entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer „Leute“ hatte eine
PR-Agentur beauftragt, die einen Freelancer beschäftigt hatte, der
das in einer halben Stunde runtergeschrieben hatte, damit er sich
schneller wieder auf den Roman konzentrieren konnte, den er grade
schrieb. Der Artikel gab preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu
nicht weniger als einem Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder
hatten von denen der Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu
fahren aber jung genug um noch zu Hause zu wohnen.“
Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen
Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber
professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus anderen
Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich zu stören.
Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur den geringsten
Mehrwert zu bieten.
Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der
Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012
richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der diskutierenden
Community im Jahr 2022.
(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie
Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto
versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)
Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich
heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes scheint
es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in dem
jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen. Mit
dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu
„verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch raffinierter: Einfach
einen etablierten Nutzer und dessen Vertrauensvorschuss nehmen und
in dieser Tarnung PR-Edits durchführen.
Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft
Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal
lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr
teilhaben.
Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben, räuspere
mich noch einmal und deklamiere:
Wir waren dieses Jahr mit WikiAhoi wieder bei der SMWCon dabei. Die
Konferenz zu Semantic MediaWiki findet zweimal pro Jahr statt, im
Frühling in Nordamerika und im Herbst in Europa. Letztes Jahr waren
wir schon in Wien dabei und dieses Jahr gings ins
herbstlich-sonnige Barcelona. In freundlicher, persönlicher
Atmosphäre wurden technische Neuigkeiten, innovative Projekte und
besondere Anwendungsfälle besprochen. Wir möchten Sie an den
wichtigsten Neuerungen teilhaben lassen.
Neuigkeiten aus der Semantic MediaWiki-Welt
Semantic
Forms (Version 3.4 September 2015) hat sich
mittlerweile als eigenständige Erweiterung etabliert und ist nun
technisch nicht mehr von der Grunderweiterung Semantic MediaWiki
abhängig. Weitere wichtige Änderungen:
Statt den Spezialattributen werden nun ParserFunctions
eingesetzt.
Kartenbasierte Eingabeformate (Google Maps, Open Layers) sind
nun möglich – diese werden nur eingesetzt, wenn Semantic Maps nicht
vorhanden ist.
Weiters wird nun Cargo unterstützt, es
lassen sich in Formularen auch Eingabeformate und die
Autovervollständigungsfunktion aus Cargo nutzen.
Dazu kann man nun auch „mapping“-Werte hinterlegen, das sind
andere Werte, als auf der Seite angezeigt werden.
Ein neuer Parameter erlaubt es, nur einzigartige Werte
speichern zu lassen.
Alle roten Links können nun mit einer einzelnen Einstellung auf
eine Formularauswahlliste weitergeleitet werden.
Die MediaWiki Stakeholder’s
Group nahm die Konferenz zum Anlass, um weitere
Schritte zu besprechen: Ziel der Gruppe ist die Koordination und
die Kommunikation mit Wiki-Nutzern in Unternehmen, die
Unterstützung von Entwicklern und Administratoren und die
offizielle Kommunikation mit der Wikimedia Foundation. Wikipedia hat etwas
andere Ziele als einzelne Drittnutzer der Software MediaWiki. Es
geht also stark darum, die Interessen der Nutzer von Wiki in
Unternehmen zu vertreten und in der Weiterentwicklung der
Software voranzutreiben.
Interessante neue
semantischeErweiterungen
gibt es zu Breadcrumbs, Zitaten, Sprachenlinks und
Metatags:
Semantic Breadcrumb
Links – mittels Attributen können Breadcrumbs erstellt
werden, die eine Hierarchie erzeugen, ohne Unterseiten erstellen zu
müssen.
Semantic Cite – unabhängig
von der Cite
Erweiterung, ermöglicht das seitenübergreifende Verwenden von
Zitaten und eine automatische/manuelle Quellenliste.
Semantic
Interlanguage Links – automatische Sprachanzeigen (gibt es
diese Seite in anderen Sprachen?) in Wikis mit Interwikis.
Und warum „eine Konferenz mit Folgen“? Diese Konferenz hat
Folgen auf mehreren Ebenen: Wir haben persönliche Kontakte für
Zusammenarbeit und Austausch geknüpft, es wurden Ideen
beflügelt und Inspirationen für neue Projekte ausgetauscht,
die Motivation wieder gestärkt, das Projekt MediaWiki als Ganzes
voranzubringen und nicht zuletzt viele Features und
Software-Änderungen besprochen, die in der Regel meist recht
schnell umgesetzt werden. Die Konferenz war somit ein voller
Erfolg.
Die Konferenz fand von 28.–30.10.2015 in Barcelona statt, in der
schönen Fabra
i Coats Kunstfabrik im Stadtteil Sant Andreu. Knappe 40
Teilnehmer nahmen an einem Tutorial- und zwei Konferenztagen
teil.
Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal,
die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema wabert
ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch dieses
Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg ist
noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die Komposition
eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum, Cembalo und
Spottdrossel.
Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das Nächstbeste:
ein Gedicht.
Wikipredia
Die Regeln existieren und doch
nicht nach Mondstand
Die Ethik absolut seit
Anbeginn nein denn ja
Die Praxis gesperrt verworfen
gelöscht freigeschaltet
Wikipredia Darwinismus der
Agenturen Überleben des
Dreistesten
Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch Hall)
Wikipedia-KNORKEerwähnte ich ja an
dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und
Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen
unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es etwas
besonderes: Auf ins Museum!
In Berlin gastiert gerade die Darmstädter
Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim dem
Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und
Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde des
16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre faszinieren.
Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung der Autorin des
exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.
Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner Gruppe vor
dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden über eine
Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna und zur
Sonderausstellung "Holbein
in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die
Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber
engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in dessen
Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige
Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von
Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen,
sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der
besseren Kunstausstellungen.
Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten
Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des
Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage des
Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der Reformation
war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und seine Falte. Wir
staunten über die Eigentümlichkeit, dass sich niemand auf dem
Gemälde eigentlich anschaut und wurden über dden Unterschied
zwischen Schutzmantelmadonnen und Stifterbildern aufgeklärt.
Vermutungen tauchten auf, wo das Bild wohl im Original hing -
vermutlich in der Martinskirche
als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus
Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis hin zum
Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin zum
spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth. Die Meinungen
über die Sammlung Würth in der Gruppe waren durchaus geteilt,
ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist es nun eher die
Darmstädter Madonna oder eher die Madonna des
Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?
Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner Madonna und
einem der prägenden Momente deutscher Kunstgeschichte: dem Dresdner
Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen
bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur
eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter
lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten der
Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich für das
Darmstädter Gemälde. Eine Sensation, da die Kunstkennerschaft
vorher felsenhaft von der Originalität des Dresdner Gemäldes
ausging. Hier zeigte sich erstmals das Bemühen, um eine rein
sachlich, objektive Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der
Dresdner Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die
Kunstwissenschaft als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich
später herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem
ihren Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen
naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die
originale der beiden bestätigten.
Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes
(beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus
unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in das
Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".
Hans Holbein der Jüngere:
Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze in London, 1532.
Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm. Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen
Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz
Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die beiden
Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren der
Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in der
Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp einer
Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist
Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise
fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch noch
mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich begleitete
wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und London.
Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt. Nachdem wir dann
noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie immer im Bodemuseum
nicht ganz einfach und jedes mal findet man zwischendurch neue
Säle) folgte noch ein erschöpfter Abschlusskaffee.
Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu
entdecken.
Über den Dächern, Türmen und Gasometern Westberlins senkte sich
die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen des Ullstein Castles und
sinnierte. Direkt unter mir Straßentreiben, Sirenen, betrunkene
Jugendliche, ein Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde
Ausflügler überquerten die Stubenrauchbrücke.
In der Ferne betrachtete ich die Türme des
Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der
Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen Wasserturm im
Naturpark Schöneberger Südgelände. Heute Nacht auf dem Heinweg:
Welchen Weg sollte ich wählen? Unten, im Süden, über den Prellerweg
vorbei am Sommerbad am Insulaner? Die Nordvariante über den
Tempelhofer Damm und durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder
die Mittelweg, mit Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später
über den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.
Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die
Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die
Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich,
unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein einzelnes
Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge stellt, richtig
ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.
Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte
ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der
Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit der
Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team Tödenhöfer über
Volt bis zur Tierschutzpartei. Und so sehr es mich schmerzte das zu
sagen: Das Plakatgame gewannen bisher die CDU und ihr
Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl optisch – als auch
damit, überhaupt inhaltliche Aussagen fern von Plattitüden zu
machen.
Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl.
Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf Deutsch
das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung. Die Wikipedia
steht meinem Herzen näher als der Bundestag und selbst als der
Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern merh Gedanken.
Diese Gedanken bedurften des Kontextes.
Was ist die Wikimedia Foundation?
Die Wikimedia
Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie
zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und
Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik,
ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den Wikipedien
passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450 Angestellte,
ein Endowment von 90
Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen
US-Dollar.
Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia
Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich
kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten. Sie
ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere schreiben
keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit Artikel
oder legen Inhalte in den Projekten an.
Die Foundation ist eine Organisation eigener selbstgenügsamer
Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und ist – rechtlich –
niemand rechenschaftspflichtig. Das Board besetzt sich prinzipiell
aus sich selbst heraus. Es hat entschieden die Hälfte der Sitze
Wahlen der weltweiten Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu
lassen.
Was ist das Board of Trustees?
Das Board of Trustees ist das
ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16
Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben Sitze
besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine weltweite
Communitywahl bestimmt.
Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und „weltweit / 450
Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar Einnahmen“ klar, dass das Board
eine abstrakte Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick
über so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe.
Dieser Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine
bestimmte Richtung zu lenken, eine Herausforderung.
Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich
hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß. Seiner
Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die Vollzeitkräfte
machen und besetzt die Geschäftsführung.
Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die Geschäftsführerin der
Foundation Catherine Maher verschwand im April 2021 überraschend.
Der Posten ist seitdem unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief
Operations Officer im Jahr 2021 verabschiedete, die Abteilungen
Communication und Technology auch niemand im Vorstand haben. Auf
dem Schiff besetzt nur eine Notbesatzung an Offizier*innen die
Brücke. Dem Board obliegt es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell
und kompetent zu beenden.
Welche Kriterien habe ich?
Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei Kriterien
erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele teilen. Und sie
sollte in der Lage sein, sich in einem ehrenamtlichen Job gegen
eine komplette Organisation aus Vollzeitangestellten zu behaupten.
Oft genug stehen bei solch ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur
Wahl, bei denen ich denke „Will Schlechtes, aber wird das
erreichen“ und „Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die
Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt Chaos.“
Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts
der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit, möchte ich
Kandidat*innen, die sich durchsetzen können. Kandidat*innen, die
nach Möglichkeit die US-Zentrik der Foundation aufbrechen können.
Ich möchte Kandidat*innen, die verstehen, dass Wikip/media keine
allgemeine Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr
spezifische Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt nicht
kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine Weltbeglückungsziele zu
stürzen, die weder die Foundation noch die Communities umsetzen
können.
Welche Kandidaten?
Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier
Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie
Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele
Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die
fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.
Die Urgesteine
Dariusz
Jemielniak – Professor of Management,
daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der
intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.
Rosie
Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup, Women
in red, you name it. Bei überraschend vielen der
Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie
Stephenson-Goodknight beteiligt.
Gerard Meijssen – gefühlt
war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab. Vielleicht
der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein Chaot.
Mike Peel – langjähriges
Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC) Hat bei mir in
der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck hinterlassen.
Ravishankar Ayyakkannu – Mr.
Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005 in der
Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero, Google)
zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte, weil er nicht
nur aus dem Global South stammt, sondern auch Ausbildung und
Berufstätigkeit dort durchführte.
Lorenzo Losa –
Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.
Farah Jack Mustaklem – Software Engineer,
einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software. Aktiv bei den
Wikimedians of the Levant und der Arabic language User Group. Mir
persönlich zu sehr USA-sozialisiert für eine Board-Mitgliedschaft,
andererseits sicher in jeder Hinsicht kompetent.
Douglas Ian Scott –
Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der Wikimania
2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen Wartepause am
Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens persönlich besser
kennenlernte – und begeistert war.
Iván Martínez – langjährig
engagiert bei Wikimedia Mexiko, LGBTQ+-Aktivist und soweit ich
hörte, das Wikiversum Lateinamerika ist begeistert von ihm.
Pavan Santhosh Surampudi –
Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich professionell
etwas von Communities.
Adam Wight – Programmierer,
Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard der Vertreter des
Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und
Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen Movements.
Vinicius Siqueira – in Wiki
Movimento Brasil
Newbies
Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene
Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte
oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit größeren
Organisationen im Wikiversum fehlt vollkommen.
Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur
Wen werde ich wählen?
Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die Grenzen des
Wikiversums sinnvoll einschätzen können. Perspektiven auf das
Leben, anders aussehen als „in US-NGOs sozialisiert“ werden
bevorzugt.
Die Top 4
Douglas Ian Scott
Iván Martínez
Adam Wight
Dariusz Jemielniak
Top 8
Rosie Stephenson-Goodknight
Lorenzo Losa
Farah Jack Mustaklem
Gerard Meijssen
Wählbar
Reda Kerbouche
Pavan Santhosh Surampudi
Ravishankar Ayyakkannu
Wer wird wählen
Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem
Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig
angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen zu haben,
kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt gesperrt zu sein.
Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind somit einfacher zu
erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in der deutschen
Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021 erfüllt sein. Es
hilft nicht, jetzt noch schnell zu editieren.
Das Wahlsystem
Es gilt das Präferenzwahlsystem.
Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als besonders
fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen weniger als viele
andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings nur selten
eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl in letzter Zeit
war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New York.
Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen nach
Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der Kandidat
danach eine zwei und so weiter. Hält man keine Kandidatin mehr für
geeignet, hört man auf zu nummerieren.
Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen mit „1“
gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten davon. Dieser scheidet aus.
Von allen „1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die
„2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf die entsprechenden
weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis nur noch so viele
Kandidatinnen übrig sind, wie es Plätze zu besetzen gilt.
Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das Schild am
Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die Türen lassen sich
öffnen. Am Zug steht nichts geschrieben, außer Wagennummern, die
nicht zu den Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert.
Etwa die Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im
Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am
Bahnsteig.
Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels seiner
Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren. Eine Frau
entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die falschen
Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken „Also 22 statt der
angezeigten 32.“
Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die ältere
Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den gedruckten
Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch zwischen einem
Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im Innenministerium,
die sich gerade kennenlernen über, den relativen Wert von
Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch deutscher?
Illustration aus
dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de
Neuville & Léon Benett
Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils
Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon auf dem Cover
ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was Deutschland bewegt.
Minkmar lässt sich über deutsche Normalität aus. Der deutsche
Ingenieur, lange Jahrzehnte Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr
normal. Minkmar erzählt aus seiner französisch-deutschen
Kindheit:
„Meine Mutter nannte dann immer eine
Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les
ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze frisch
aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les ingenieurs
berechnet, gegossen und zum Schluss noch festgedübelt hatten. […]
Viele Jahre später sollte ich die Gelegenheit haben, diese seltene
Spezies besser studieren zu können. Sie saßen direkt hinter mir,
zwei ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der
Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die sich
verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken, Politiker, auf keinem
Gebiet fanden sich diese beiden braven Männer wieder, alles zu
grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre spezifischen Werte und Tugenden,
Sorgfalt und diese stille Freude an der eigenen Biederkeit, das
alles war an den Rand gerückt. Ingenieure waren nun Exzentriker.
[…] Diese Männer fanden sich kulturell kaum zurecht.“
Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in Deutschland ist,
sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und Musicaldarsteller?
Forschung Maschinenbau Braunschweig
Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht
normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt schlägt mir
„Deutscher Ingenieur“ rechts und links um die Ohren. Braunschweig
hebt das Thema "autogerechte Stadt" in Höhen, die selbst mir als
gebürtigem Hannoveraner unerreichbar schienen.
Braunschweig.
Bahnhofsvorplatz.
VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich
wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem
Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle
und wurde prompt begrüßt mit „Tag des Maschinenbaus. Herzlich
Willkommen.“
Vor allem aber fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie
unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte
keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle, über die
irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel verwunderlicher war, dass
selbst die in Braunschweig reichlich vorhandenen 1970er-Großbauten
gepflegt und sorgsam hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber,
offensichtlicher spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser
gepflegt als Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen
darum herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie
frisch aus der Packung genommen.
Wegbier. In
Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber
stilgerecht,
Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben
gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen gesperrt.
Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement eine Rolle,
sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.
Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und
hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch schon ins
Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7 Geräte) nachlesend,
wie das nun ist mit Braunschweig. Bekanntes taucht beim Nachlesen
auf: Die physikalische-technische Bundesanstalt mit der Atomuhr;
geahntes lese ich (Volkswagen – hey, das ist Niedersachsen und die
Technische Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:
„Im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum
(EWR) verfügt die Region Braunschweig über die höchste
Wissenschaftlerdichte,[103] im bundesweiten Vergleich über eine
hohe Ingenieurquote[104] sowie über die höchste Intensität auf dem
Gebiet der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region
Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus
über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie 20.000
Beschäftigte in 250 Unternehmen der
Hochtechnologie[106]“
Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten
Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren EU-Rangliste
ist Braunschweig die innovationsfreudigste Region der EU vor
Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der deutsche Ingenieur. Hier
lebt die deutsche Technik. Was für ein passender Ort für Jules
Verne.
Jules Verne
Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts und
vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem
vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller wie
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von der
Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der Erde
bekannt. Wikipedia und die Deutsche Jules-Verne-Gesellschaft hatten
ein gemeinsames Wochenende organisiert mit einer Tagung zu Jules
Verne und Gesprächen zu Wikipedia.
Volker Dehs
bestreitet das halbe Programm
Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den
1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen blau
eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so anders war
als die großen mir bekannten Abenteuerromane von Jules Verne. Warum
ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich hätte nur schwerlich begründen
können, was genau mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in
die Veranstalter, Science Fiction und Neugier auf diese andere
niedersächsische Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.
Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt er
als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans, Ingenieure
und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene Bibliographen waren
Thema und Anwesend, ebenso wie die phantastische Bibliothek in
Wetzlar – die Mischung der Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich
gar nicht so sehr von der Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die
Perspektiven, aus denen Verne hier unter die Lupe genommen wurden,
waren vielgestaltiger als sie es in der Literatur sonst sind.
Faszinierend hier war die Neigung unterschiedlicher und leicht
besessener Menschen sich zu einem Thema auseinanderzusetzen.
Haus der
Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.
Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor
Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder
eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen Büchern
durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein, während auf Verne
eher zurückgeht, dass alles menschliche Streben gegenüber der
göttlichen Macht sinnlos bleibt? Wen inspirierte er? Ist es eine
sinnvolle Frage, dem nachzugehen, welche seiner Voraussagen, sich
bewahrheiten? Dazu kamen dann noch Exkursionen zu Friedrich
Gerstäcker, Fenimore Cooper, die Ingenieure, die ihre U-Boote dann
nach Jules Verne „Nautilus“ nannten – und stark von diesem
beeinflusst waren
Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie die
Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent werden
wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken beeinflusste.
Romancier war er eher gezwungenermaßen – und verdiente mit seinen
zwei erfolgreichen Theaterstücken in seinem Leben ein Viertel so
viel Geld wie mit etwa 80 bis 100 Romanen.
Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman "der
Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was niemand der
Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine Dreiviertelstunde
später kam die Bemerkung in einem anderen Zusammenhang,
dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes einziges Buch mit einer
weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen Zusammenhang,Update: Es kam wie es kommen musst. Da denke ich mal, ich
habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas falsch verstanden.
Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht das einzige Werk mit einer
Protagonistin. Das prägnanteste Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur
die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in
anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser
Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews
darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr.
(*Affiliate Links)
Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von Vernes Werk
gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört, sondern es
(fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo Verne
Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet, dienen diese
vor allem dem Zweck zu reisen.
Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen Strahl.
Die Phantastische Bibliothek
Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur mittelbar
mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen Bibliothek
Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le Blanc auf Wolfgang
Thadewald. Den großen Phantastik- und Jules-Verne-Sammler.
Thadewald verstarb 2014. Er
lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch
persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner Sammlertätigkeit,
seiner Liebe zu Büchern und zu Menschen, aber auch die Besessenheit
mit der Thadewald an ein Thema heranging und auch von Krankheit
schon schwer gekennzeichnet das Arbeiten an Bibliographien nicht
lassen konnte – es ließ sich nicht anders beschreiben als bewegend.
Sicher war dieser Vortrag mein emotionaler Vortrag des
Programms.
Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia
Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei
hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen:
Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der
Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers
zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die
Berichte werden manchmal von öffentlichen Stellen, öfter von
Großunternehmen bestellt, die damit selber zukunftsfähig werden
wollen und in die Zukunft denken.
Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten
Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist
gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die
Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.
Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes
Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die größte Bibliothek
ihrer Art im Hintergrund und seit mittlerweile einigen Jahren eine
große Datenbank aufgebaut, was Autoren zu verschiedenen Themen
schreiben.
Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich durch
gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen Büchern im
Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen muss, dass ein Roman
nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass es nichts gibt, was
so sehr Denkprozesse auslösen und Kreativität triggern kann, wie
Romane. Der befreit das Hirn gerade vom strikt
logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die Perspektive etwas nach
links oder oben, und schon öffnen sich vollkommen neue
Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es überraschend ist,
dass sie wirklich angenommen wird. Anscheinend wird sie das.
Mensch Maschine Normal
Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste Handy-Ticket
meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder. Ist diese
Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so unfassbar „normal“
vorkommt, vielleicht die große Ausnahme? Sind die
Musicaldarsteller, die mit „dem Alex“ [Alexander Klaws]
telefonieren, normal? Die Menschen im Ministerium? Die größten
Jules-Verne-Experten des Landes, die alle noch einen anderen
Brotjob haben? Oder eher die Normalität vieler Menschen, die darin
besteht, am Ende des Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10
Tage mit dem leeren Konto noch überbrückt werden können?
Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In
seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in
Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer
Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.
Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem
Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:
„Nichts gegen das große Geld und die
wenigen, die es genießen können, aber die Stärke mitteleuropäischer
Gesellschaften liegt gerade in der Mischung. Für Reiche ist es in
Singapur, Russland und Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping
Malls gibt es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter
Wasser und auf dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder
Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und Dunkle,
Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und drängeln, gibt
es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich, dass es in Algerien
beispielsweise keine öffentlichen Schwimmbäder gibt oder dass man
in den USA oder in Brasilien Mitglied in einem Club werden muss.
Das ist eine teure und in vieler Hinsicht sozial sehr
voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur um mit den Kindern mal
schwimmen zu gehen, es sei denn natürlich, jeder hat seinen eigenen
Pool im Garten, was, für mich zumindest, wie eine Definition von
struktureller Langeweile klingt.“ (s. 104)
*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es
handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision,
wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten
bestellt.
I still remember the time when real life meetings for
Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one
really want to meet these strange other people from the Internet?
How would they be? Could they even talk in real life or would they
just sit behind a laptop screen staring on it for hours?
My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in
Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!)
sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen.
These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and
personal in nature and no talk about projects, collaborations, “the
movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians having a nice
evening.
So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the
old school way. Half improvised, organized by our dearest local
troll user:Schlesinger
on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come
and what would happen except some people having a good time.
And so It was. In the “Matzbach” in the heart of Berlin-Kreuzberg
seven people promised to come, in the end we were almost twenty.
Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians, a Wikipedian
active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies and two and a
half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from Wikimedia
Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake, and we
just talked and laughed, talked about history and future.
Actually, mostly we talked about future.
About the Wikipedian above 30, who has just started a new a
university degree in archaeology, the question whether the Berlin
community should have its own independent space, industrial beer,
craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the
temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the vending
machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in the
future, who should come to the open editing events, how to work
better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t there,
looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or rather
not when planning something for Wikipedians, explaining Wikipedia
to the newbie, the difficulties of cake-cutting and whatsoever.
No frustration, almost no talk about meta and politics, just
Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be
active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old
school. So good.
Crossposting eines Posts von mir aus demWikipedia
Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja doch andere
Menschen.
Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal
weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten
Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen
spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren und
Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen sind
und gearbeitet haben.
Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias
kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren. Wie
armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka Wikifanten -
fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die entschwanden.
Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es um lauter
einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben, Arbeitsstilen und
Interessen geht, die in Wikipedia tätig waren und sind. Es gibt vor
allem diejenigen, die kommen, einen Beitrag leisten und dann wieder
verschwinden. Der größte Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von
Menschen und Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im
Artikelnamensraum aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie
unermütlich über viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an
einen oder zwei Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass
sich fast nichts über sie sagen lässt. Vielleicht sind die
Beitragenden per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr
fleißige Autorin? Wer weiß?
Viele Wikipedianerinnen und
Wikipedianer sind derzeit inaktiv.
Anlässlich des Projektes
WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele
Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele
Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher
fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer
sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir
bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat,
musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir unbekannter
Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten Wikipedistas waren
dort vor allem mir unbekannte Accounts. Accounts, die oft aufgehört
haben zu editieren. Meist sind sie still und leise gegangen. Ihre
Edits und Kommentare geben keinen Hinweis warum. Aber anscheinend
war es anderswo schöner. Oder sie hatten den Einruck, alles in
Wikipedia geschrieben zu haben, was sie beitragen wollten. Um
diesen Autorinnen und Autoren zumindest nachträglich etwas
Aufmerksamkeit zu geben, um ihre Namen kurz aus den Tiefen der
Versionsgeschichten zu retten, sollen hier einfach einige
Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt werden, die sich um den Wedding
in Wikpedia bemühten bevor sie verschwanden.
Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße.
Ein Mammutwerk von Gtelloke,
dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast
ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.
Bild: Die Chausseestraße 114-118 in Richtung
Invalidenstraße von Gtelloke
Da ist der Artikel zum Wedding selber.
Angelegt 2002 von Otto, dessen
letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann
maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich
auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu
Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und Schlafgängern waren
Teil seines kurzen Werks, das im Wesentlichen nur zwei Wochen im
November 2004 dauerte, aber die Grundlagen wichtiger Artikel zur
Berliner Sozialgeschichte legte. Ein Blick auf seine Benutzerseite
zeigt auch den Geist der Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König
ist tod, lang lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes!
Licht und Liebe''
Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64,
auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und
acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier, mal die
Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort, Hinzufügen und Löschen von
berühmten Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute
noch aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin
freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen Artikel
etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.
Der Leopoldplatz;
angelegt von Frerix, der in
den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie auch nur
eine Benutzerseite für nötig hielt und anscheinend auch in keine
Diskussion verwickelt wurde. Zu seinen wenigen Beiträgen
gehören neben der Anlage des Leopoldplatzes auch noch die Anlage
der englischen Stadt Sandhurst, die Anlage des Kreuzviertels in
Münster und des Three Horses Biers. Dann war er/sie wieder weg.
Mutter des Artikels ist hier aber 44Pinguine,
die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute noch aktiv
ist.
Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so entscheidend
wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte
in seiner Frühzeit von WHell,
engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher
Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ. Der
letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo WHell, ich
möchte Dich als den Hauptautor darüber informieren, dass ich den
Artikel John Bull (Lokomotive) in die Wiederwahl zum Exzellenten
Artikel gestellt habe,“ Größere Beiträge zur WEG folgten in den
späteren Jahren durch Peterobst –
aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit Beiträgen zur
Berliner Industriegeschichte, nach seiner Benutzerseite AEG-Kenner
und in Arbeit an einem Buch über den Konzern. Es folgten
80.226.238.197, von Georg
Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht
unregelmäßig), Flibbertigibbet
2006 ,
79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen 44Pinguine.
Weiter ausgebaut von Onkel
Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und
vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit
der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben !“ und
hielt sich im Wesentlichen daran.
Da ist der Volkspark
Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005,
aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich ausgebaut,
umfassend überarbeitet 2007 von
84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka.
Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009 und 2014,
die Edits waren wenige, aber die Qualität war hoch.
Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin
Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in
Berlin, Wedding (Mitte). Von:
Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch
heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und
Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv,
Magadan,
Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.
Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur
einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen.
Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts und IPs an
den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren deutlich
weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in den von mir
angesehenen Artikeln verteilen sich auf 44Pinguine, Fridolin
freudenfett und Definitiv. Wikipedia wird kleiner und noch lebt
sie. Aber wir können all‘ den Verschwundenen danken, die vor uns
kamen.
Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder über
Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad auch der
serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt übernommen
haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer Meinung sind,
rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.
Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah
sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon
zumindest ein Admin gebannt.
Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht; oder
genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit
gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp
behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil Polen
einen Genozid an Deutschen verübt hätten.
Der ganze Bericht kann
hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl
traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es geht
aufklären und nicht Propaganda verbreiten!
Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen,
sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es
nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir Glück 🙂.
Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die
Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry
und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche: Viel
Erfolg!
Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die Seite
zur
Auskunft. Dort können Menschen mögliche und unmögliche Fragen
stellen, die dann mal launisch, mal larmoyant, mal ernsthaft oder
auch gar nicht beantwortet werden. Wie im wahren Leben und eine
ewige Fundgrube obskuren Wissens, seltsamer Fragestellungen und
logischen Extremsports.
Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad
(1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo:
102.
Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:
"Warum
gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit
Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach
Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und ist mir
auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden Verwandtschaft
bestätigt worden. Warum?"
Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige Diskussion, die
immerhin folgendes ergab:
* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten
sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli,
darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der
DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere
Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR ähnelte in
vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als dies für die
westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als
Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war
Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die mangelnde
Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter, Italienreisen,
Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce
Carbonara!
Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild:
Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von: Brian
Ammon, Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an
exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti,
Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika
des geteilten Deutschlands.
Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber?
Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?
Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die dortige
Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das heimische
"Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des Badischen
Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in Karlsruhe, kennt sowohl
Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt für heute: die Makkaroni
werden in "halbfingerlange Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30
Minuten gekocht.
Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal
Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden erklärt als
"Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte. Beim Einkauf achte
man darauf, daß sie nicht hohl sind"
Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur
bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine
Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar
schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.
Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine
Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch
Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das
frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren "Macronen"
waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18. Jahrhunderts
entstanden in Prag und Wien echte Makkaroni-Fabriken.
Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus
Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours für
junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und klassische
europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf der Tour aber
anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen kennenlernten, sondern
auch Pasta.
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild:
Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade,
1773.
In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni
für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow who dressed
and even spoke in an outlandishly affected and epicene
manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch:
"Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl auch
die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.
Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen Männern
ist nun wiederum im Englischen der Macaroni
penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.
Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil,
nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South
Georgia von Liam Quinn,
Lizenz: CC-BY-SA
2.0
Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit wann?
Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia
of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen
Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge
unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert.
Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich relativ
problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende ’ngegno da
maccarun anschließen lies, die es den Neapolitanern ersparte
stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu kneten: im
Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer, je nach Form
des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und damit unter
anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen Fäden zum
trocknen in die süditalienische Sonne gehängt.
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild:
Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di
maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo:
6204.
Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR
zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern
plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum die
Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die Tomatensauce in
der Schweiz ließen? Warum gibt es in Deutschland kein Äquivalent zu
"Macaroni and cheese" (mehr)? Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der
DDR, bei dem es Pasta, Sauce und Käse schon in einer Packung gab?
Warum sind Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in
vielen anderen Ländern aber dicker und hörnchenförmig-gebogen? Es
ist hochspannend. Und ein Grund, noch viel mehr zu
recherchieren.
Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die besten
Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken. Eines
davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.
Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer
Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich
ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so
fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger
vereisen ließ.
Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener,
Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter
verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen gezeichnet. Der
Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht blies, trieb die
Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles war geschlossen
und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht mehr sehen. Über
der Szene kreiste ein hungriger Taubenschwarm.
„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ Hüpfburg. „So viel Platz!
Fast das ganze Hafengelände gehört uns. Und wir können uns
problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“ – Sie
antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt. Ich bibbere. Das letzte
Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im Rozbrat mit meiner
ehemaligen Band aufgetreten: „Pierdzące Zakonnice“.
Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein
sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette
wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das
Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir
Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu
erfrieren.
Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am
Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der
Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im
Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße
Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es
nur scheißkalt. Ich gehe.“
Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an ein Video
erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte: „Wikimedia
Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ Hüpfburg für
die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern, postete ich ihr den
Link.
Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen. Fast
nur Technik und kreative Sachen.
Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll
gehen?
Southgeist: Schau doch mal.
Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang Berliner
Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine Lautsprecher wären
kaputt.
Hüpfburg: I like the music.
Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.
Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia schauen?
In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen Priester vom
Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage mir lieber,
was für Tools vorkommen.
Die coolest Tools
Ich erzählte.
Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser
(Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“), SDZeroBot
generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder Benutzer
noch ihre Seiten“), Proofread
Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch spießiger?“),
Listen to Wikipedia
(„Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei Wikipedianer
kommen und einander heiraten wollen, werde ich das Tool in den
Event integrieren“), AbuseFilter
(„Zu sehr Polizei“), LinguaLibre („I
like“), und Pywikibot – ein Tool zum Erstellen weiterer Tools.
(„Das klingt spannend – erzähle mir mehr.“)
Pywikibot
Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders
gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit überschaubarem
Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an einem der bereits auf
dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen. Die Bots können
prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von MediaWiki-Wikis auch
können – nur schneller.
Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich bedeutet: jemensch
muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das dauert länger als
ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel, wo es eine hohe Zahl
gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben ist das wenig – zum
Anpassen von Formalien ist es super. Und dazwischen liegt ein
Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht alles ist erlaubt –
und um die Kontrolle zu wahren, hat der Pywikibot einen
automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot absichtlich
ausbremst.
Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus dem
Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die aktuelle
Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die Community, die
sich um das Framework kümmert, hat eine dreistellige Zahl von
Mitgliedern und ist so international, wie es die frühe Wikipedia
war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus würde ich auch sagen, was
Charaktertypen und Soziodemographie angeht, ist die
Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der Ur-Wikipedia als die
heutigen Wikipedistas.
DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese Tool-Awards sind
solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework gibt es seit fast
20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast 15 Jahren. Ist
der Award so langsam oder gibt es so wenig Neues?“
Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert
erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten
Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden. Wie
bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit
gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft
aber nur selten fundamental Neues.
Change Musiker to Musiker*innen
„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video nach zu
urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine
wichtige Aufgabe erfüllt.
DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot alle
‚Musiker‘ in Wikipedia durch ‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene Hindernisse.
Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“
DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so
strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch, würde sie
einen beigen Pullunder über weißem Hemd tragen und Leserbriefe an
die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber ich kann mein eigenes Wiki
aufsetzen und da noch Herzenslust alles bot-mäßig umbauen?“
Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel zu tun
und die sind superfreundlich dort.“
DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in Wikidata! Das
wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der Kutsche, die dann doch
nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends spielten wir Mozart. Da
haben die Squatter angefangen mit Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter
dem Gong geduckt und ich ein Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich
noch an den einen Tänzer, der allein Stand und Luft-Küchenmaschine
gespielt hat. Ein Arm angwickelt am Körper als würde er die
Maschine an sich drücken, mit dem anderen weit ausholende
Bewegungen, um dann auf dem Einschaltknopf zu laden.“
„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock versetzt und
die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir alle
Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris,
Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer Studentinnen“
sagte mal eine Professorin. Kasia wäre fast dieses Jahr in der
Philharmonie aufgetreten. Aber Deine komische Wikipedia hat immer
noch keinen Artikel von ihr.“
Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“
Ruhe. Hüpfburg dachte.
„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle Personen
auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in Wikipedia
anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das müsste doch gehen.
Vielleicht ist es einen Versuch wert.“