Das Dilemma der alternativen Projekte

Stefan Mey präsentierte zunächst sein Buch, das die Vielfalt nicht-kommerzieller Projekte als “digitale Gegenwelt zu den kommerziellen Tech-Giganten” beschreibt. Trotz ihrer Transparenz und Nutzerorientierung bleiben diese Projekte oft hinter den Angeboten großer Konzerne zurück. Mey identifizierte fehlende finanzielle Ressourcen und stabile Infrastrukturen als Hauptprobleme. Er betonte: „Stabile Infrastrukturen wie große Rechenzentren fehlen, wodurch die alternativen Anwendungen nicht immer reibungslos laufen.“

Herausforderungen und Lösungsansätze

Die Diskussion verdeutlichte, dass staatliche Institutionen mehr tun müssen, um nicht-kommerzielle Projekte zu fördern. Katharina Nocun betonte die Bedeutung staatlicher Unterstützung für die Entwicklung gemeinnütziger Software. Tobias B. Bacherle kritisierte die komplizierten Ausschreibungsverfahren, die großen Konzernen zugutekommen. Eine Lösung könnte laut Stefan Mey in Kooperationen zwischen kleineren Unternehmen und Open-Source-Entwicklern liegen. Er fügte hinzu: „Eine weitere Möglichkeit der Finanzierung kann auch entstehen, wenn kleinere Unternehmen, die ebenfalls mit Big-Tech Konzernen hadern, Kollaborationen mit Open Source Entwicklern eingehen.“

Bewusstsein für digitale Souveränität schaffen

Es wurde diskutiert, dass fehlendes Bewusstsein für digitale Souveränität ein zentrales Problem darstellt. Die Bedeutung dieses Themas muss sowohl von Unternehmen als auch von der Bevölkerung erkannt werden. Hier besteht noch Aufklärungsbedarf, um ein Umdenken zu erreichen.

Förderung und politische Maßnahmen

Abschließend wurde betont, dass konkrete Maßnahmen und Förderungen notwendig sind, um nicht-kommerzielle Projekte zu stärken. Dies kann durch finanzielle Unterstützung, aber auch durch politisches Engagement und Sensibilisierung für digitale Souveränität geschehen. Katharina Nocun erinnerte daran: „Dass aktuell von staatlicher Seite eher kommerzielle Dienstleister genutzt werden, ist auch ein Regulierungsversagen.“

Fazit: Eine andere digitale Welt ist möglich

Die Diskussion bei Wikimedia Deutschland verdeutlichte die Herausforderungen und Chancen nicht-kommerzieller Projekte im digitalen Raum. Es liegt an allen Beteiligten, gemeinsam Lösungen zu finden und eine digitale Welt zu schaffen, die auf Prinzipien wie Transparenz, Freiheit und Selbstbestimmung basiert.

Die gesamte Podiumsdiskussion im Video:

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Mehr zu den Panelteilnehmer*innen:

Stefan Mey ist Buchautor und investigativer IT-Journalist. Er interessiert sich dafür, welche Auswirkungen digitale Umstände auf eine Gesellschaft haben und hat sich von Anfang an für die Frage von Macht und Gegenmacht im Internet interessiert. Mey kennt sowohl große IT-Konzerne als auch viele unbekannte Projekte der digitalen Gegenwelt von innen.

Katharina Nocun ist Publizistin und ehemalige Politikerin. Sie war von Mai bis November 2013 politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland und leitete bei Campact unter anderem die Kampagne „Schutz für Edward Snowden in Deutschland“. Seit 2012 veröffentlichte Nocun vornehmlich Artikel zu digital politischen Themen und seit 2020, häufig gemeinsam mit der Sozialpsychologin Pia Lamberty, Sachbücher und Artikel zu Verschwörungstheorien und Esoterik.

Tobias B. Bacherle ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen) und seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Für seine Fraktion ist Bacherle Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Ausschuss für Digitales. Bacherle ist entschiedener Gegner der sogenannten Chatkontrolle.

Moderation: Tobias Schmid ist Informations- und Kommunikationswissenschaftler und Moderator, dessen Arbeit sich darum dreht, die digitale Transformation besser zu verstehen. Als Moderator legt er Wert darauf, eine angenehme und rücksichtsvolle Atmosphäre zu schaffen, damit sich Publikum und Gäste während des Diskurses wohlfühlen.

Neue Folge von „Wissen. Macht. Gerechtigkeit.“: Wer bricht die Macht der IT-Konzerne?

Um die Frage, wem das Internet gehört, geht es auch in der aktuellen Folge des Podcasts „Wissen. Macht. Gerechtigkeit.“ in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk Kultur. Autor Stefan Mey, der Informatiker und KI-Kritiker Jürgen Geuter alias tante und die Autorin und Forscherin Zara Rahman diskutieren, wie Wikipedia, Mastodon, Firefox oder Signal das Internet fairer, freier und demokratischer machen.

Mit den #100WomenDays setzen sich die Ehrenamtlichen der Wikipedia seit 2019 für mehr Gleichberechtigung und die Stärkung der weiblichen Präsenz in der freien Online-Enzyklopädie ein. Innerhalb von 100 Tagen sollen möglichst viele Biografien über Frauen geschrieben werden, die bislang noch keinen Wikipedia-Eintrag besitzen, obwohl sie Bemerkenswertes geleistet haben – sei es in der Kunst, der Wissenschaft, im Sport, als Unternehmerinnen oder in anderen Bereichen.

Spitzenplatz für Sportlerinnen

Das Ziel der #100WomenDays, bis zum Internationalen Frauentag am 8. März mindestens 100 Artikel zu frauenbezogenen Themen entstehen zu lassen, ist schon im vergangenen Jahr mit 1.416 neuen Texten weit übertroffen worden. Bei der jetzt zu Ende gegangenen fünften Ausgabe wurde ein neuer Rekord aufgestellt: 1.841 Artikel sind hinzugekommen. Ergänzt werden sie durch eine „Hall of Femmes“ mit Bildern aus dem freien Medienarchiv Wikimedia Commons.

Den größten Anteil machen in diesem Jahr die Biografien verdienter Sportlerinnen aus (473), gefolgt von bildenden Künstlerinnen (255) und Wissenschaftlerinnen (160). Immerhin zwei Adelige und drei Herrscherinnen finden sich ebenfalls in der Statistik der fünften #100WomenDays. Die meisten Beschriebenen stammen aus den Niederlanden (312), den Vereinigten Staaten (200) sowie Deutschland (187), der Großteil der Frauen (217) wurde in den 1990er Jahren geboren.

Paint it blue

Fehlende Frauenbiografien – in der deutschsprachigen Wikipedia „Frauen in Rot“ und international aufgrund der rot markierten fehlenden Links „Women in Red“ genannt – werden auf der gleichnamigen Projektseite gesammelt. Dort ist im Live-Ticker auch die Entwicklung der Zahlen zu beobachten: Aktuell machen die Frauen-Biografien in der deutschsprachigen Wikipedia 17,8 Prozent aus – gegenüber 2019 ein Zuwachs von 1,8 Prozent. Seit 2009 hat sich der Gender-Gap in Biografien insgesamt um 3 Prozentpunkte verringert. Eine eigene Statistik-Seite dokumentiert außerdem den Anteil der Biografien von non-binären, inter- und transgeschlechtlichen Personen in der Wikipedia.

Einladung zum Mitmachen

Die #100WomenDays wurden ursprünglich von der Kölner Wikipedia-Community rund um das Lokal K initiiert, um auf die Unterrepräsentanz von Frauen-Biografien und frauenbezogenen Themen in der Wikipedia aufmerksam zu machen und dem aktiv gegenzusteuern. Mittlerweile machen aber auch viele Aktive aus anderen Regionen Deutschlands mit. Allein in der aktuellen Runde haben rund 100 Ehrenamtliche Artikel zu #100WomenDays beigetragen. Im Schnitt hat jeder davon 19 Artikel geschrieben.

Diese weiteren Initiativen und Projekte machen sich ebenfalls für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Wikipedia stark – und zwar ganzjährig:

WomenEdit
Bei regelmäßigen Treffen von Wikipedianerinnen wird gemeinsam editiert – vor Ort und online. In Berlin jeweils am ersten Mittwoch im Monat in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland und am dritten Mittwoch im Lokalen Wikipedia-Raum WikiBär. In Erlangen trifft sich WomenEdit üblicherweise am zweiten Montag im Monat in der Stadtbibliothek.

Women in Red
Der deutschsprachige Teil des internationalen kollaborativen Projekts „Women in Red“ hat zum Ziel, so viele rote Links auf fehlende Frauenbiografien in der Wikipedia wie möglich in blaue umzuwandeln.

FemNetz
Das FemNetz ist ein Netzwerk von unterschiedlichen Wikipedianer*innen und Schreibgruppen. FemNetz spinnt stärkende Verbindungen zwischen interessierten und engagierten Schreibenden aller Geschlechter.

wiki:wo:men
Der Arbeitskreis wiki:wo:men trifft sich monatlich in Stuttgart. Eingeladen sind alle Menschen, die Interesse am Thema „Frauen in der Wikipedia“ haben – egal, ob Wikipedianer*innen oder Neulinge. Die Treffen finden in der Regel an jedem 3. Freitag im Monat statt.

Workshop-Reihe 60 Minuten – Gender & Diversity in der Wikipedia
Die Online-Workshop-Reihe dient dem länderübergreifenden Austausch (Deutschland, Österreich, Schweiz) zu Fragen rund um Gender und Diversity in der Wikipedia – an jedem 4. Montag im Monat von 19 bis 20 Uhr.

Mentorinnennetzwerk FemSupport
Das feministische Support-Netzwerk bietet kollegiale Unterstützung für Frauen, die bei Wikipedia aktiv werden wollen, sich aber im Dschungel der Hilfeseiten und Video-Tutorials (noch) nicht zurechtfinden.

Berlinale FilmFrauen Edit-a-thon
Der Edit-a-thon findet jährlich am ersten Berlinale-Wochenende in Berlin statt und bringt mehr Biografien über Filmfrauen aller Sparten in die Wikipedia: von der Regisseurin bis zur Tonmeisterin. Hier gibts einen lesenswerten Rückblick auf den Berlinale Edit-a-thon 2024.

Wiki Riot Squad Berlin
Im Rahmen von Schreibwerkstätten und Edit-a-thons werden Wikipedia-Artikel diskutiert und bearbeitet – der Fokus liegt dabei auf möglichen Gender Bias, also einer verzerrten Wahrnehmung durch sexistische Vorurteile und Stereotype.

Art+Feminism
Diese Gemeinschaft von Aktivist*innen setzt sich dafür ein, Informationslücken im Zusammenhang mit Geschlecht, Feminismus und Kunst zu schließen, beginnend mit Wikipedia.

Who writes his_tory?
Dieses Schweizer Projekt hinterfragt die Reproduktion von Wissen und struktureller Diskriminierung im Internet und vor allem auf Wikipedia. In der Schweiz sind außerdem Les sans pagEs (französischsprachig) und die Künstler*innengruppe Femme Artist Table FATart aktiv.

In Österreich gibt es die TypIn*frauen*schreiben*wiki – eine Schreibwerkstatt für Frauen in Graz.

Durch die Diskussion führte Medienjournalistin Vera Linß. Was mit Vielfalt als Zielgröße für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) gemeint sei, wollte sie von Thorolf Lipp wissen. Was Vielfalt ist und wie man sie realisiert, müsse der zentrale Gegenstand der Reformdebatte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein, so der Herausgeber des Buches. Lipp verwies darauf, dass die Beiträge im Sammelband verschiedene Bezugspunkte für diese Debatte gäben: Vielfalt der Perspektiven, der Akteur*innen, aber auch der Formate.

Warum ist Vielfalt so wichtig?

Die kurze Antwort lautet: Ohne Vielfalt kein Public Value. Es sei nicht ausreichend für ein öffentlich-rechtliches Mediensystem, zu behaupten, es produziere Inhalte, die dem Gemeinwohl dienen, sagte Lipp. Die gesamte Institution müsse sich am Gemeinwohl orientieren. Indem sie sich der Vielfalt verschreibt und flache Hierarchien sowie Barrierefreiheit in den Strukturen etabliert werden.

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Von der Theorie in die Praxis – Wie kann Vielfalt gelingen?

Lipp vertrat die These, dass man angesichts des enormen Kulturwandels den Mut haben sollte, ein weißes Blatt Papier aus der Schublade zu ziehen und sich die Frage zu stellen: Wenn wir heute ein öffentlich-rechtliches Mediensystem neu aufsetzen würden, wie würde das aussehen? Es brauche von Anfang an die Beteiligung der Bürger*innen, strukturelle Reformen innerhalb der Sendeanstalten und im Zuge dessen die Etablierung von neuen Institutionen und Verfahren. Man brauche eine Plattform mit möglichst vielen verschiedenen Perspektiven und dementsprechend einer großen Vielfalt.

Mit der Erweiterung des Panels um Tabea Rößner (MdB, Bündnis 90/Die Grünen), C. Cay Wesnigk (Drehbuchautor und Filmproduzent) und Laura-Kristine Krause (Mitglied des ZDF-Fernsehrats für den Bereich Internet und Co-Founderin von More in Common)  taten sich weitere Anregungen und Perspektiven zum Thema Rundfunkreformen auf.

Die Digital- und Medienpolitikerin Rößner betonte, dass ohne einen höheren Rundfunkbeitrag keine Reform durchgeführt werden könne. Insbesondere mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im Osten Deutschlands sei Vielfalt wichtiger denn je. Die Verantwortung dafür sieht Rößner bei der Medienpolitik.

Wir müssen uns überlegen: Was soll der Auftrag sein?
Tabea Rößner

Aus Sicht von Laura-Kristine Krause erfülle der ÖRR seinen Auftrag, wenn er als  gemeinsamer Informations- und Diskursraum fungiere. „In einer Demokratie ist es ganz wichtig, einen gemeinsamen Informations- und Diskursraum zu haben“, so Krause. Mit Blick auf die Frage, wie Vielfalt zu realisieren sei, warf sie ein, dass Bürger*innen nicht unbedingt selbst mitmachen wollten. Wichtiger sei es, dass sie in Medienformaten vorkommen. Laut einer Studie von More in Common beteiligen sich demokratiezufriedene Menschen eher als Menschen, die mit der Demokratie  unzufrieden sind. Dies führt unter anderem zu einem starken Gefühl des Nicht-Gesehen-Werdens. Folglich laufe man hier Gefahr, in eine Art Selbstverstärkung zu laufen.

Freie Lizenzen als Teil der Rundfunkreformen?

Der Produzent Cay Wesnigk sprach sich für die Nutzung der sogenannte MEDIFO-Lizenz aus. Die Lizenzbedingungen erläutert er in seinem Sammelbandbeitrag „Ein innovatives Lizenzmodell stärkt das Gedächtnis unserer Demokratie”. Die Lizenz mache Formate des ÖRR länger nachnutzbar. Entscheidend für die Akzeptanz dieser Lizenz sei aber, dass die Medienschaffenden besser vergütet werden. Denn sie müssen es sich leisten können, dass ihre Werke in Online-Mediatheken kostenfrei zur Verfügung stehen. Eine CC-Lizenz sei hingegen für Inhalte des ÖRR nicht möglich, da diese keine angemessene Vergütung garantieren, meinte Wesnigk. Die MEDIFO-Lizenz lasse aber offen, ob jemand unter CC-Lizenz veröffentlichen möchte.
Thorolf Lipp ergänzte: “Ich finde, es macht total Sinn“ und betont, dass CC-Lizenzen vor allem für Trailer und Ausschnitte sinnvoll sind, die auf der Wikipedia hochgeladen werden können und so wiederum die Reichweite erhöhen.

Die französische Regisseurin Claire Burger hat mit ihrem “Langue Étrangère” am Wettbewerb der diesjährigen Berlinale teilgenommen. Von Eva Hiller war die digital restaurierte Fassung ihres Essayfilms “Unsichtbare Tage oder Die Legende von den weißen Krokodilen” in der Reihe “Retrospektive” zu sehen. Die dänische Filmemacherin Brigitte Staermose wiederum hat auf dem Festival die vielbeachtete Dokumentation “Afterwar” gezeigt. Was diese drei Filmemacher*innen außer ihrer Teilnahme an der Berlinale aber noch gemeinsam haben: Über sie – und viele weitere weibliche und nicht-binäre Filmschaffende – existieren jetzt endlich auch Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia.

Den Gender-Gap in Wikipedia verringern

Vom 16. bis 18. Februar fand der diesjährige Berlinale Edit-a-thon statt, eine Initiative des Wikipedia-Projekts WomenEdit mit Unterstützung von Wikimedia Deutschland. Das Ziel dieser seit einigen Jahren am ersten Festivalwochenende veranstalteten Schreibwerkstatt ist es, möglichst vielen Frauen* im Film und ihren Werken Sichtbarkeit in der Online-Enzyklopädie zu verschaffen. Schließlich sind die Biografien von Frauen* und non-binären Menschen in der Wikipedia noch immer unterrepräsentiert. Beispielsweise sind insgesamt knapp 36 Prozent der Biografien im Filmbereich über Frauen (was aber deutlich am Beruf Schauspiel liegt). Im Bereich Kamera sind es gerade einmal 6,7 Prozent. 

Wobei viele Ehrenamtliche der Wiki-Community seit Jahren mit Erfolg daran arbeiten, dass sich dieser Gender-Gap verkleinert. Der Berlinale Edit-a-thon, organisiert von den Wikipedianerinnen Grizma und Reisen8, ist ein strahlkräftiges Beispiel dafür.

Wikipedia als Anlaufstelle für Filminteressierte

28 Freiwillige haben vor Ort in Berlin am Edit-a-thon teilgenommen, weitere sieben Community-Mitglieder waren remote dabei. Insgesamt entstanden fast 100 neue Artikel über Filmfrauen* und ihre Werke:

Zu 39 Personen wurden neue Artikel angelegt, 47 Filmtitel (von “Afterwar” bis “Yoake no subete”) fanden ihren Weg in die Wikipedia. Ein beachtlicher und wichtiger Beitrag – schließlich ist die Online-Enzyklopädie oft eine der ersten Anlaufstellen für Filminteressierte und Journalist*innen. Finden sich im Netz keine leicht zugänglichen Informationen, werden Frauen* in der Filmbranche schnell übersehen. Gerade für weibliche Filmschaffende, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, ist ein Wikipedia-Artikel enorm hilfreich, um Öffentlichkeit zu bekommen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass die Relevanzkriterien erfüllt sind.

Leichter Einstieg für neue Freiwillige

Beim Berlinale Edit-a-thon waren auch 2024 wieder alle Geschlechter willkommen, die einen respektvollen und sensiblen Umgang mit feministischen und diversen Themen wahren. Teilgenommen haben nicht nur langjährig erfahrene Community-Mitglieder, sondern auch viele Neu-Wikipedianer*innen, die “mit großem Enthusiasmus sofort nach der Einführung in die Artikelarbeit eingestiegen sind”, wie Organisatorin Grizma erfreut berichtet. Sogar eine österreichische Teilnehmerin habe den weiten Weg aus Graz auf sich genommen, um erstmals an der Schreibwerkstatt mitzuwirken.

“Durch den persönlichen Bezug zur Community (‘Wikipedia wird von echten Menschen gemacht!’) und die mündliche Erklärung mit parallelem Zeigen am Beamer und Fragemöglichkeiten finden gerade Neue mit geringer Technikaffinität leichter den Einstieg in die Wikipedia-Arbeit als über Hilfeseiten oder Videos.”
Co-Organisatorin reisen8

WomenEdit: Immer offen für alle Interessierten

Für viele ist ein Event wie der Berlinale Edit-a-thon der perfekte Start, um sich auch langfristig als Freiwillige in der Wikipedia zu engagieren. “Mit einigen Teilnehmer*innen sind wir auch nach dem Edit-a-thon noch im Austausch, viele haben zugesagt, mal bei WomenEdit reinzuschauen, zwei waren sogar schon dabei”, erzählt Grizma.

Für Interessierte, die tiefer in die Welt von Wikipedia eintauchen möchten, steht das regelmäßige Format WomenEdit in Berlin und Erlangen stets offen. Hier können an jedem 1. und 3. Mittwoch des Monats FLINTA (Frauen, Lesben, inter, trans und asexuelle Personen) aktiv an Wikipedia-Artikeln arbeiten und ihre individuellen Themen und Anliegen einbringen. Einsteiger*innen bekommen ihre Fragen von langjährigen Community-Mitgliedern gern beantwortet. Die genauen Termine und alle Infos unter: wmde.org/WomenEdit

Zwischen Krieg und Alltag

Saturday, 24 February 2024 07:30 UTC

Anton, unter welchen Bedingungen arbeitet Wikimedia Ukraine aktuell?

Anton Protsiuk: In Kyiv, wo wir unser Büro haben, ist die Situation ein bisschen zwiespältig. Einerseits arbeiten wir nach wie vor unter Kriegsbedingungen, was bedeutet, dass es regelmäßig russische Raketen- und Drohnenangriffe gibt. Erst kürzlich wurde unser Büro von einem Raketeneinschlag in der Nähe in Mitleidenschaft gezogen, glücklicherweise ist nur ein Fenster zu Bruch gegangen, niemand wurde verletzt. Der Krieg ist Realität. Andererseits gibt es auch eine Art Rückkehr zum Alltag, die Menschen haben sich, so weit es eben möglich ist, mit der Situation arrangiert, gehen zur Arbeit.

Wie sieht der Büroalltag bei WMUA aus? Ist das Kernteam der Organisation zusammen geblieben?

Unser Büro ist klein, wir sind in einem Co-Working-Space in Kyiv untergekommen, von wo aus ich auch gerade dieses Gespräch führe. Wir brauchen aber auch nicht viel Platz, unser Kernteam, das geblieben ist, besteht aus sieben festen Mitarbeitenden, von denen wiederum weniger als die Hälfte in Kyiv leben. Wie bei anderen Wikimedia-Organisationen wird auch viel Arbeit von einem größeren Netz aus Freiwilligen geleistet, die uns bei unseren Projekten unterstützen, vor allem remote. Da reden wir von ein paar Dutzend engagierten Leuten, von denen viele fast täglich involviert sind. Die meisten der Menschen, mit denen wir vor Beginn der russischen Vollinvasion gearbeitet haben, sind nach wie vor an Bord, aber natürlich hat der Krieg auch hier Auswirkungen.

Was meinst Du konkret?

Manche haben die Ukraine verlassen und sind bis jetzt nicht zurückgekehrt, vor allem Menschen mit kleinen Kindern. Andere haben sich zur Armee gemeldet. Gerade jetzt gehen wieder viele an die Front, um diejenigen abzulösen, die schon so lange kämpfen. Bei WMUA fokussieren wir uns aber natürlich nicht nur auf den Krieg, wir haben Programme wieder aufgenommen und teilweise sogar ausgebaut, die wir vor dem 24. Feburar 2022 gestartet hatten. Wir halten Konferenzen ab, veranstalten Community-Treffen.

Welche Projekte haben momentan Priorität?

Wir haben vor dem Angriffskrieg eine Reihe von Zielen definiert, die noch immer Bestand haben – darunter Kampagnen oder Artikel-Wettbewerbe zu organisieren, die helfen, die Wikipedia und andere Wikimedia-Projekte anzureichern, neue Freiwillige für die Wikimedia-Projekte zu gewinnen, besonders aus unterrepräsentierten Communitys, und unsere bestehende Community zu unterstützen. Auf der Liste steht auch der Punkt „Advocacy“, bei dem es darum geht, Gesetzesinitiativen in der Ukraine anzustoßen, die dem Freien Wissen dienen. Zum Beispiel setzen wir uns für Panoramafreiheit ein. Allerdings hat das im Moment keine Priorität. Die ukrainischen Politiker haben gerade andere Sorgen.

Welche Veranstaltungen plant ihr gerade?

Eins unserer Standbeine ist der Fotowettbewerb „Wiki Loves Earth“ (WLE) rund um Naturerbe, den wir sowohl international als auch für die Ukraine ausrichten. Ebenso laden wir zu „Wiki Loves Monuments“ (WLM) ein – zwar nur national, aber die ukrainische WLM-Ausgabe ist eine der größten weltweit. Außerdem laufen die Planungen für unsere jährliche Wiki-Konferenz, die eine besondere wird: Wir feiern in diesem Jahr den 20. Geburtstag der ukrainischen Wikipedia, ein Anlass, zu dem die gesamte Community zusammenkommt, wenn auch nur hybrid. Alle Menschen in einem Raum zu versammeln, wäre nicht sicher. Schon im vergangenen Jahr haben wir eine Serie von kleineren Meet-ups und auch die Wiki-Konferenz an verschiedenen Orten der Ukraine abgehalten, sowohl virtuell, als auch analog teilweise in Schutzräumen, nur für den Fall, dass irgendetwas passiert.

Wie unterstützt ihr die Community?

Zu Beginn der russischen Vollinvasion, in der schwierigsten Zeit, haben wir der Community geholfen, konkrete materielle Hilfe zu finden. Inzwischen hat sich die Situation stabilisiert, es gibt mehr staatliche Stellen, die Unterstützung leisten. Wir fokussieren uns deswegen wieder mehr auf unsere Kernmission, Freies Wissen zu fördern. Zum Beispiel mit unserer jährlichen „Wiki Science Competition“, die ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützt, oder mit unserem „Wiki Education Program“, das sich an Erziehende und Pädagogen richtet. Hier bieten wir Community-Mitgliedern zum Beispiel Trainings zu Themen wie Desinformation an, dazu hatten wir eine Reihe von Webinaren.

Haben die Freiwilligen mittlerweile wieder mehr Zeit, sich in den Wikimedia-Projekten zu engagieren?

Das kommt darauf an. Um Dir ein konkretes Beispiel zu geben: Die Preisverleihung für die „Wiki Science Competition“ wollen wir hybrid abhalten, analog und online, weswegen ich zuletzt viel mit den Planungen beschäftigt war, wie sich der Livestream am besten umsetzen lässt. Zuvor haben uns dabei zwei Mitglieder der Community unterstützt – aber beide können diesmal nicht teilnehmen, weil sie sich den ukrainischen Streitkräften angeschlossen haben. Deswegen müssen wir jetzt nach anderen Menschen mit entsprechendem technischen Knowhow suchen. Nur ein kleines Beispiel unter vielen.

Wikimedia Russland musste am 19. Dezember 2023 aufgelöst werden. Seid ihr in Kontakt mit ehemaligen Mitarbeitenden des Chapters? Bestehen generell Verbindungen zu Wikimedianer*innen oder user groups, die in ihren Ländern unter Risiko arbeiten, zum Beispiel in Belarus?

Nein, Wikimedia Ukraine steht als Organisation nicht in Kontakt mit Wikimedians aus Russland oder Belarus, wir arbeiten auch nicht an diesem Thema. Ich persönlich habe Empathie für alle Wikimedians, die Verfolgung ausgesetzt sind, egal, in welchen Ländern – aber gleichzeitig verfügen wir nur über begrenzte Zeit und Energien. Diese Ressourcen wollen wir lieber dafür einsetzen, ukrainische Wikimedians zu unterstützen. Natürlich verfolgen wir, was in Russland vorgeht, ein Vorfall wie die Auflösung des russischen Chapters ist auch für ukrainische Journalisten ein Thema. Und es gibt einzelne ukrainische Wikimedians, die Kontakte unterhalten. Aber für uns als Organisation hat die Ukraine Priorität.

Welchen Stellenwert nimmt der Kampf gegen Propaganda und Desinformation aktuell ein?

Ein Beispiel: Der Messenger-Dienst Telegram ist in der Ukraine auch ein großes Newsportal, ähnlich wie Facebook oder andere Plattformen. Gerade deswegen ist es wichtig, ein grundlegendes Verständnis dafür zu haben, wie Nachrichten dort kuratiert werden, was vertrauenswürdig ist und was nicht. Dazu haben wir ein Training für die Community angeboten. Schließlich betrifft das Thema mehr oder weniger direkt die Wikipedia: Es geht darum, was als Quelle für Wikipedia dienen kann. Und zugleich reden wir über einen größeren Kontext von Informationskompetenz generell.

Wo konnten Erfolge erzielt werden?

Die ukrainische Wikipedia-Community mit ihren Hunderten Freiwilligen war und ist sehr erfolgreich darin, Desinformation zu bekämpfen und Barrieren gegen Fake News zu errichten. Die Artikel werden fortlaufend gecheckt, ehrenamtliche Administratoren helfen dabei, die Inhalte zu überwachen. In Kriegszeiten sind zusätzliche Administratoren angeworben worden, nach einem viel simpleren Community-Prozedere als sonst – einfach, um flexibler darin zu sein, Falschinformation und Vandalismus abzuwehren. Es wird also viel unternommen, sowohl von der Community, als auch von uns als Organisation.

Was ist ein Beispiel für Desinformation?

Da gibt es eine breite Spanne. Angefangen bei simplem Vandalismus, wo Leute versuchen, Informationen aus Wikipedia-Artikeln zu entfernen oder falsche Behauptungen hinzuzufügen. Das lässt sich relativ leicht erkennen und beheben, das ist nicht das größte Problem. Schwieriger wird es dort, wo die Ukraine noch immer durch eine neokoloniale Linse betrachtet wird – als Teil der früheren Sowjetunion und des russischen Reichs. Das ist oft in kleineren Sprachausgaben der Wikipedia der Fall. Bestimmte Personen, die eigentlich aus der Ukraine stammen, werden dort als Russen bezeichnet. Das ist im klassischen Sinne keine Desinformation, aber dennoch ein verzerrtes Bild. Auch deswegen beschränken wir uns nicht darauf, gegen Falschinformationen vorzugehen…

Sondern?

Wir bemühen uns, generell mehr verlässliche Informationen über die Ukraine in anderen Sprachversionen zugänglich zu machen. Die englische Wikipedia ist diesbezüglich gut entwickelt, die deutsche zählt zu den besten überhaupt – aber es gibt ja insgesamt über 300 Sprachausgaben. Wir versuchen, zum Beispiel in der georgischen oder slowakischen Wikipedia Artikel über die Ukraine zu fördern – unter anderem mit unserer jährlichen Kampagne „Cultural Diplomacy Month“, bei dem wir Artikel über alle möglichen Themen rund um ukrainische Kultur anregen.

Welche Rolle spielt der 24. Februar für euch? Sind irgendwelche Aktionen geplant?

Nein, nicht speziell zum 24. Februar. Es gibt andere wichtige Daten, die sich 2024 jähren und auf die wir uns fokussieren. Wir blicken zurück auf zehn Jahre des russischen Kriegs gegen die Ukraine, denn dieser Krieg begann 2014 mit der Annexion der Krim. Und ebenfalls jährt sich zum zehnten Mal die Maidan-Revolution, die mit der Forderung nach demokratischen Reformen in der Ukraine viele Entwicklungen angestoßen hat. Rund 100 Menschen haben während der Proteste ihr Leben verloren, darunter der ukrainische Wikipedianer Ihor Kostenko. Er wurde 2014 noch posthum als „Wikimedian of the Year“ von Jimmy Wales ausgezeichnet, dem Gründer der Wikipedia. Wir wollen versuchen, seinen zehnten Todestag entsprechend zu ehren.

Ein Leitspruch des Lokal K vor rotem Hintergrund: "Hier trifft sich die Wikipedia-Community und tut Dinge." Neun Hände berühren das Poster.

Das Lokal K, einer der ältesten regionalen Treffpunkte der Wikipedia-Community, war am ersten Februar-Wochenende die Anlaufstelle und Homebase für zehn Jungwikipedianer, die in Köln zu einem ihrer regelmäßigen Treffen zusammengekommen waren – und von Mitgliedern der ortsansässigen Community nicht nur herzlich empfangen, sondern auch in spannende Aspekte rund um die Arbeit in der Wikipedia eingeführt wurden.

„Wir haben viel über Drohnenfotografie und Bots in der Wikipedia gelernt“, berichtet MrBenjo, einer der jungen Teilnehmenden. Außerdem wurde intensiv „über geschlechtergerechte Sprache, den Umgang mit ehemaligen Jungwikipedianern (JWP) oder die Untiefen der JWP-Unterseiten“ diskutiert. Und, nicht zu vergessen: gemeinsam editiert, gechillt und gekocht.

Zusammenkunft aus allen Teilen Deutschlands

Gruppenfoto vor dem Kölner Dom.

Die Jungwikipedianer sind die Gemeinschaft von und für junge Wikipedianer*innen. Mitmachen können hier alle, die jünger als 21 Jahre sind und in den vergangenen 18 Monaten mindestens 50 Bearbeitungen in Wikipedia vorgenommen haben. In dieser jungen Wiki-Community gibt es die Möglichkeit, sich ohne Druck auszutauschen, Freundschaften zu knüpfen und gemeinsam an Artikeln zu schreiben. Gearbeitet werden soll hier unter dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“.

Das Projekt der Wikipedia-Community beweist, dass junge Menschen wertvolle und solide Artikelarbeit leisten – und soll sie langfristig als Ehrenamtliche im Einsatz für Freies Wissen halten.  

Seit 2015 ermöglicht Wikimedia Deutschland regelmäßige Treffen dieser Nachwuchs-Community. Die diesjährige Zusammenkunft – vom 2. bis 4. Februar – war bereits die zehnte, einige der Teilnehmenden waren zum ersten Mal dabei, denn sie haben in der Corona-Zeit begonnen zu editieren. Entsprechend lag ein Fokus auch auf dem wechselseitigen Kennenlernen. Begleitet und betreut wurde die aus allen Teilen Deutschlands zusammen gekommene Gruppe von Lorna Baars und Janna Siebert aus dem Wikimedia-Team Communitys und Engagement.

Artikelideen aus dem Olympia-Museum

Ein Jungwikipedianer stemmt eine Hantel.

Ein Highlight des Wochenendes war am Samstag neben Sightseeing entlang des Rheins der gemeinsame Besuch des Deutschen Sport- und Olympia-Museums, wo von Torwandschießen bis zur Radfahrt durch einen Windkanal alles mögliche auch selbst ausprobiert werden durfte. Wobei, wie es sich für ein Jungwikipedianer-Treffen gehört, ein Akzent bei der Führung durchs Museum auch auf Anregungen für mögliche Artikelbearbeitungen lag. Zum Beispiel zur „Englischen Krankheit“ im Eintrag über „Fußball in Deutschland“ (eine frühere Schmähbezeichnung für den Sport!). Oder die „Festspiele der Heraia“ – ein Frauensportfest im antiken Olympia.

Der Abend klang dann wiederum im Lokal K aus – bei Chili con und sin carne und enzyklöpädischem Brainstorming. „Bei der Vorstellung von favorisierten Themen in der Wikipedia hat man den Eindruck, die Wikipedia wäre der spannendste Ort für junge Menschen“, bilanziert Janna Siebert. Das Fazit der Teilnehmenden fiel ebenfalls durchweg positiv aus: „Danke für das Treffen, sogar in noch besserer Besetzung als letztes Jahr!“, so einer der Jungwikipedianer.

Weiter geht’s jeden Donnerstag im Berliner WikiBär

Selbstverständlich sind bei den Jungwikipedianern neue Mitglieder immer willkommen und gern gesehen. Unter anderem veranstalten die jungen Freiwilligen deswegen an jedem 1. Donnerstag im Monat im WikiBär – dem regionalen Treffpunkt in Berlin – die Reihe „Jugend editiert“.

Die Reihe ist offen für alle interessierten Jugendlichen bis 25 Jahre, die Lust haben, sich für Freies Wissen zu engagieren, Wikipedia-Artikel zu bearbeiten und zu erstellen. Oder auch einfach neue Freundschaften zu schließen. Für kostenfreie Getränke und Snacks wird gesorgt. Außerdem kann sich kostenlos einen Laptop ausleihen, wer keinen eigenen hat. Einfach vorbeikommen und mitmachen, und gern auch weitersagen!

Das nächste Treffen gibt es am 7. März von 18 bis 21 Uhr in der Köpenicker Straße 45 in Berlin. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.

„Das Atmen hat keine Privilegien“

Tuesday, 13 February 2024 14:20 UTC

Kim, auf deinem Instagram-Profil bezeichnest du dich als „multidisciplinary artist using scent and breath”. Was macht deine Arbeit aus?

Ich habe 8 bis 10 Jahre als Projektmanagerin im Bereich Social Impact gearbeitet, bevor ich mich in den Bereichen Breathwork, Duft- und Aromatherapie selbständig gemacht habe. Das alles mit dem Ziel, Menschen mehr zu sich zu bringen und ihnen zu helfen, ihre innere Mitte zu finden. Mandy habe ich über eine BIPoC-Community kennengelernt. Wir beschäftigen uns beide mit Aktivismus und Wellbeing. Im Rahmen der Atemarbeit biete ich Gruppen- und Einzelsessions für alle Menschen an. Es gibt aber auch Formate speziell für FLINTA oder BIPoC. Diese Sitzungen kann man sich wie Yogastunden vorstellen: Wir sitzen zusammen und atmen zusammen.

Warum beschäftigst du dich mit dem Atem?

Breathwork hat mir als Methode bei meiner eigenen Traumaaufarbeitung geholfen. Ich praktiziere schon seit Jahren Meditation und Yoga und bin durch Zufall in einem Atem-Workshop gelandet. Als es mir schlecht ging, half nichts außer Therapie und Atemarbeit. Vor ein paar Jahren habe ich mich dann entschieden, mein Wissen zu teilen. Der Atem ist ein zugängliches und inklusives Tool: Er ist immer bei dir. So passt die Arbeit auch zu meinem politisierten oder aktivistischen Hintergrund. Ich möchte etwas teilen, das einfach ist. Ich sage immer: Der Atem kam zu mir.

Was hat dein Wirken mit Freiem Wissen zu tun? Warum hast du dich für re·shape beworben?

Das Atmen hat keine Privilegien-Barrieren. Es ist sozusagen freies Wissen, das wir bei uns tragen, aber nicht immer sehen oder spüren, weil wir so verkopft sind. Die Praktizierenden, mit denen wir arbeiten, leiten Menschen mehr in ihren Körper. Uns war es wichtig, sichtbar zu machen, dass es in Berlin Healers of Color gibt, um es BIPoC zu ermöglichen, sichere und relevante Räume zu finden. Wir haben mit einem Glossar an Heiler*innen angefangen und dann mit re·shape überlegt, was wir frei zur Verfügung stellen können. Uns war es wichtig, dass die Wūpó Collective Library barrierearm erreichbar ist. Niemand muss Geld zahlen oder aus dem Haus gehen, um darauf zuzugreifen.

Bitte stell uns die Bibliothek näher vor.

Wir haben Videos aufgenommen, in denen die Heiler*innen aus unserem Glossar ihr Wissen und ihre Kompetenzen teilen. Sie helfen den Nutzer*innen, also den BIPoC oder Allies, sich auszuprobieren und herauszufinden, von welchen Praktizierenden sie sich angesprochen fühlen. Und sie sehen auch, was sie hier lernen können. Es ist ein Setting, in dem sich die Nutzer*innen in ihrer BIPoC-Identität mehr gesehen fühlen. Die Videos werden auf Instagram ausgestrahlt, auf unsere Website gepackt und in einem nächsten Schritt dann hoffentlich auch mit der Community auf Telegram geteilt. Auch unser Glossar und ein Eventkalender werden auf der Website zu finden sein.

Worin besteht die Arbeit von Heiler*innen?

Der Definition nach sind Heiler*innen Menschen aus dem nichtmedizinischen, alternativen und spirituellen Kontext. Darunter fallen sehr verschiedene Disziplinen. Der Großteil ihrer Arbeit ist körperbasiert, aber es gibt auch kognitive Disziplinen, wie zum Beispiel Sprachtherapie. Die Spanne reicht von weniger wissenschaftlichen Ansätzen wie Reiki oder Astrologie bis zu klassischer Tanztherapie. Dabei sind z.B. Heilpraktiker*innen, Geburtshelfer*innen oder Heiler*innen, die sich mit Glaubenssätzen beschäftigen. Da Wikipedia sehr akademisch und wissenschaftsbasiert ist, war uns nicht klar, wie wir Beiträge hinzufügen können, die in die Nische der alternativen Medizin oder des Wellbeing fallen. Dazu gibt es nicht so viele Quellen, weil viele Medien, mit denen unsere Heiler*innen arbeiten, nicht aus dem akademischen Kontext stammen. Umso mehr hat es uns gefreut, dass wir von re·shape angenommen wurden und der Impact und die Relevanz gesehen wurden.

Mit eurem Projekt wollt ihr ein kostenfreies Video-Repositorium, genannt „Wiki des Körperwissens für QBIPoC“, entwickeln. Was finden die Nutzer*innen dort?

Unsere Videos dauern 2 bis 4 Minuten. Ich habe zum Beispiel ein Video geteilt, in dem es darum geht, Wut auszuatmen. Wut ist eine Emotion, die wir als BIPoC oft nicht rauslassen können. Diese Wut akkumuliert sich über Alltagsrassismus, der immer wieder Triggerpunkte setzt. Mandy hat ein Video über das Setzen von Grenzen aufgenommen, speziell für Menschen mit Migrationshintergrund und großen Familienzusammenhängen, besonders auch solche, die eine starke Erwartungshaltung seitens ihrer Eltern spüren. Beim Aufnehmen der Videos mit den Praktizierenden lernen wir auch selbst viel Neues.

Es geht euch mit dem Projekt auch darum, Werkzeuge zu teilen, die eine nachhaltige Wirkung haben…

Die Videos und die Bibliothek sind eine Toolbox, weil verschiedene Methoden und Personen gezeigt werden. Hier wird Wissen geteilt, das du selber auswählen und danach auch ohne das Video selbst anwenden kannst. Die Videos sind wie ein Buffet an Methoden, mit denen wir uns als BIPoC sicherer fühlen und die dabei helfen, sich selbst tiefer kennenzulernen.

Ihr wollt außerdem Behind the Scenes Videos zu den Absichten und Praktiken der Heiler*innen zur Verfügung stellen. Warum ist es euch wichtig, diese Einblicke zu teilen?

Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Wir wollen, dass die Nutzer*innen ein Gefühl dafür bekommen, wer die Praktizierenden sind und danach entscheiden können, wem sie sich anvertrauen wollen. Nur weil die Community BIPoC ist, haben nicht alle dieselben Erwartungen und denselben Grad an Politisierung oder Aktivismus. Bei der Wūpó Collective Library schwingt das Aktivistische mit, wir machen dieses Projekt, um mehr Sichtbarkeit zu schaffen und um unserer Community Tools zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang ist es uns wichtig, dass die Praktizierenden ein gewisses Verständnis der eigenen Identität oder eine Positionierung in der Gesellschaft haben.

Was ist seit dem Start von re·shape konkret passiert? Wo steht ihr jetzt, was sind eure nächsten Schritte?

Wir haben eine Website aufgebaut und etwa 25 Videos aufgenommen, die sich noch in der Postproduktion befinden. Das kostet viel mehr Zeit, als gedacht. Die Telegram-Gruppe haben wir im kleinen Kreis bereits angeteasert, um zu sehen, was die Community braucht. Wir haben viele Praktizierende getroffen, Interviews geführt und Videos aufgenommen. Die nächsten Schritte werden der Launch und die Kommunikation sein.

Bei re·shape werden alle Projekte von Mentor*innen aus dem Bereich des freien Wissens begleitet. Wie läuft die Zusammenarbeit mit eurem Mentor?

Essam is a darling! Wir treffen uns regelmäßig, mindestens einmal im Monat. Am Anfang waren wir unsicher, was die Erwartungshaltung für re·shape ist und wie wir ein Teil des Wikiverse sein können. Ist der Anspruch, dass wir Artikel schreiben? Nein, hat er uns beruhigt, das ist nicht der Grund, warum ihr gefördert wurdet. Wir waren auch eingeschüchtert von der Diskussion um alternative Medizin. Mandy und ich sind ja nicht die Heilenden selbst, wir versuchen nur Sichtbarkeit zu schaffen. Er hat uns gesagt, wir sollten uns auf das fokussieren, was den Impact generiert. Das hat total geholfen.

Körperweisheit steht im Fokus eures Projekts. Was versteht ihr darunter – und welche Rolle spielt Körperweisheit in Bezug auf freies Wissen?

Nehmen wir mich selbst. Ich habe 32 Jahre Lebenserfahrung, die sich in diesem Körper, diesem Geist, dieser Seele, wie auch immer du es nennen möchtest, akkumuliert hat. Darunter sind positive und negative Erfahrungen, Weisheiten, die ich gelernt habe, Traumata und Emotionen. All das hat sich in den Körper eingeschrieben. Und darüber würde ich Körperweisheiten definieren. Für mich gehört dazu auch der Aspekt von Repräsentanz. Wenn ich in eine Yogaklasse gehe und merke, da ist eine Person of Color, die versteht, wo Yoga herkommt – dann macht das auch Körperweisheit aus. Wenn man sieht, dass man auf dem gleichen Level mit den Praktizierenden ist, öffnen sich Zugänge und man fühlt sich gesehen, sicherer und wohler.

re·shape

Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von Wissensgerechtigkeit

Was Eingang in Wissensbestände und offizielle Erzählungen findet, ist in starkem Maße durch Fragen von Macht bestimmt. Das prägt, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen, welche Perspektiven und Interessen wir zentrieren und welche als weniger wichtig oder irrelevant deklariert werden.

 

Mit re•shape – Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von Wissensgerechtigkeit möchte Wikimedia Deutschland in Zusammenarbeit mit den neuen deutschen organisationen – das postmigrantische netzwerk e.V. dazu beitragen, marginalisiertem Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit zu verschaffen. Dabei wendet sich das Programm explizit an Menschen und Communitys, die Rassismus erfahren.

In der Bewerbungsphase haben sich fast 90 Projekte auf re·shape beworben. Das Kuratorium und je eine Vertreterin von den neuen deutschen organisationen e. V. und Wikimedia Deutschland e. V. haben daraus zehn Projekte ausgewählt.

Wikipodia: Der Wissenspodcast mit KI

Monday, 12 February 2024 21:34 UTC

Als Stefan Motz 2005 die Idee hat, dass man aus Wikipedia-Artikeln mit Text-to-Speech-Technologie (TTS) doch Podcasts machen könnte, klingen Sprachaufnahmen mit TTS noch so, als ob ein Roboter mit Schluckauf in eine Blechdose spricht. An ChatGPT ist noch gar nicht zu denken. Trotzdem sichert sich der Softwarearchitekt die Domain Wikipodia.de

Heute, 19 Jahre später, ist die technologische Entwicklung deutlich weiter und Motz produziert täglich einen Podcast mit KI.

Du lässt ja den jeweiligen Wikipedia-Artikel des Tages erstmal von ChatGPT zu einem Skript umbauen. Und daraus wird dann mittels Text-to-Speech (TTS) der tägliche Wikipodia-Podcast. Du schreibst, dass Du das auch deshalb machst, weil man einen ganzen Wikipedia-Artikel nicht einfach so einem TTS Werkzeug zur Verarbeitung geben kann. Magst Du einmal kurz erklären, warum das so ist?

Stefan Motz: Das liegt zum einen daran, dass herkömmliche Text-to-Speech-Interpreter nicht alles interpretieren können, was in einem Wikipedia-Artikel steht. Nehmen wir als Beispiel den Podcast vom 21. Januar 2024. Darin geht es um die Eishockey-Legende Georges Vézina. Der Wikipedia-Artikel beginnt mit: Georges Joseph Gonzague Vézina ([ʒɔʁʒ vezina]; * 21. Januar 1887 in Chicoutimi, Québec; † 27. März 1926 ebenda) war ein kanadischer Eishockeytorwart. Der Text-to-Speech Interpreter kann die Symbole für “geboren” und “verstorben” nicht interpretieren. Damit geht der Sinn für die Hörenden verloren.

Hier kann ChatGPT helfen, und den Text zunächst umformen, so dass die TTS-Engine ihn gut lesen kann. Der Prompt, den ich dafür benutze, ist: Bereite den Text als Vorlage für eine Sprachausgabe (TTS) auf: [Text]. Das ergibt dann die Textausgabe: Georges Joseph Gonzague Vézina, geboren am einundzwanzigsten Januar achtzehnhundertsiebenundachtzig in Chicoutimi, Québec, und verstorben am siebenundzwanzigsten März neunzehnhundertsechsundzwanzig ebenda, war ein kanadischer Eishockeytorwart.

Außerdem enthalten Wikipedia-Artikel häufig Tabellen und Aufzählungen, die zwar vorgelesen werden können, aber für den Zuhörer nicht gut nachvollziehbar oder hilfreich sind.

Jeder Podcast ist ja eine Zusammenfassung vom Artikel des Tages und dauert um die 5 Minuten. Warum hast Du Dich dafür entschieden, Artikel zusammenfassen zu lassen? Und warum nimmst Du immer den Artikel des Tages?

Es gibt gleich mehrere Beweggründe für kurze Zusammenfassungen. Der erste ist: Ich möchte jeden Podcast selbst hören. Nicht zuletzt, um zu kontrollieren, dass die KI nicht – trotz aller inhärenten Regeln von ChatGPT – Unsinn von sich gibt. Darüber hinaus empfinde ich persönlich die Qualität der Sprachausgabe noch nicht gut genug, um länger konzentriert zuzuhören. Die Auswahl der Zusammenfassung liegt bei der KI.

Ich habe mich ganz bewusst für die Artikel des Tages entschieden, da sie aus der Liste der exzellenten Artikel ausgewählt sind. Mir war es wichtig, besonders hochwertige Inhalte als Grundlage für den Podcast zu haben.

Und, hat ChatGPT schon mal Unsinn von sich gegeben?

Bisher ist das, soweit ich das beurteilen kann, noch nicht passiert. Aber ich gehe fest davon aus, dass es passieren wird.

Das Skript, das ChatGPT aus dem Wikipedia Artikel macht, liest Du nicht selbst vor, sondern hast dafür eine Stimme durch eine KI generieren lassen. Welche Anforderungen hast Du an die künstliche Stimme und wie hast Du sie mit KI erstellt?

Der Klang der Stimme bzw. der Stimmen sollte so gefällig wie möglich sein. Die Stimme darf nicht zu monoton sein, damit die Zuhörenden auch wirklich die rund 5 Minuten folgen können. TTS-Engines haben meines Erachtens erst in den letzten Jahren Stimm-Modulationen, die das Vorlesen längerer Texte erlauben. Da Wikipodia ein reines Hobby-Projekt ohne Einnahmen ist, darf die TTS Konvertierung nicht zu teuer sein. Für die Konvertierung von Text in Sprache zahle ich bei OpenAI derzeit etwa 0,12 US Dollar pro Folge. Fast noch wichtiger als die Kosten sind die Lizenzbedingungen; diese müssen – so wie bei OpenAI – eine Veröffentlichung und langfristig freie Nutzung erlauben.

Wenn man sich einen der Podcasts auf Wikipodia anhört, merkt man: Hier geht es um die Vermittlung von Fakten. Aber der Podcast ist im Vergleich zu dem zugrunde liegenden Wikipedia-Artikel erzählerischer. Die KI-Stimme fordert die Zuhörenden auch auf, sich in eine bestimmte Situation oder Person zu versetzen, rhetorische Fragen strukturieren den Inhalt. Warum hast Du Dich entschieden, einen Artikel auf diese Art und Weise aufzubereiten?

Meiner persönlichen Überzeugung nach funktionieren Podcasts nicht als reines Vorlesen von Fakten. Ich bin großer Podcast-Fan und höre neben Unterhaltung und News auch Podcasts, die sich um faktisches Wissen drehen, wie Eine Stunde History oder IQ Wissenschaft und Forschung. Solche Formate mag ich nicht nur inhaltlich, sondern sie leben für mich von den Vortragenden und ihrer Art zu kommentieren. Und diese Kommentare sind manchmal explizit, manchmal aber auch nur über Tonlage und Ausdruck transportiert. Genau so, wird ein KI-Podcast das so schnell nicht erreichen.

Aber wie bekommt man es hin, einen enzyklopädischen Text so zusammenfassen und umschreiben zu lassen, dass er so klingt, wie ein Mensch, der anderen Menschen etwas erzählt und die Zuhörenden anspricht?

Das war erstaunlich einfach. In meinem Prompt bzw. in der Konfiguration für die KI steht: Die Zusammenfassung muss so geschrieben sein, dass sie als Skript für einen Podcast verwendet werden kann. Die Sätze sollen einfach sein und wenig Fachjargon enthalten. Der Text soll das Engagement des Zuhörers fördern, indem Fragen eingebaut werden.

Was die Bewertung der Themen angeht, um die es in einem Artikel geht, war ich selbst von einigen Podcast-Skripten sehr überrascht. Die KI wählt oft Formulierungen, die ich selbst nie wählen würde. Grundsätzlich bin ich mit dem Ergebnis jedoch zufrieden, insbesondere bei sensiblen Themenbereichen. Ein Beispiel dafür ist der Podcast zum Artikel Foto vom Torhaus Auschwitz-Birkenau. Die Zusammenfassung am Ende des Podcasts enthält im Schlussteil den Satz: [Das Foto] ermahnt uns, die Geschichten derer, die dort gelitten haben, nicht zu vergessen und uns für eine Welt einzusetzen, in der so etwas nie wieder passiert. Auch beim Podcast vom 8. Feburar zur S-Mine ist die Zusammenfassung aus meiner Sicht gelungen. Sie enthält den Satz: Während wir diesen Podcast beenden, lade ich Sie ein, über die Rolle nachzudenken, die jeder von uns bei der Förderung des Friedens und der Sicherheit spielen kann.

Daran sieht man auch, wie wichtig die Qualität der Trainingsgrundlagen für KI sind. Nicht auszudenken, wenn der KI als Trainingsgrundlage rechtsradikale, antisemitische oder militante Inhalte bei diesen Artikeln gedient hätten.

Und, wirst Du mit Wikipodia weitermachen?

Ja, denn für mich ist diese Art des podcastens auch ein Technologie-Experiment. Ich will sehen, ob und wie sich der Podcast verändert, wenn eine neue Version von ChatGPT rauskommt oder neue Stimmen. Außerdem möchte ich auch mal probieren, einen Podcast mit einem anderen KI System, wie zum Beispiel Google Gemini, zu machen.

Für ein Digitale-Dienste-Gesetz, das uns allen nutzt

Monday, 12 February 2024 20:38 UTC

Das Gesetz, das in Deutschland definiert, welche Struktur und Befugnisse sowie personelle und materielle Ausstattung die Koordinierungsstelle bekommt, ist noch nicht verabschiedet. Zwar ist klar, dass die Bundesnetzagentur zur Koordinierungsstelle wird – aber die finale Ausgestaltung des Gesetzentwurfs liegt aktuell im Parlament. Unter Schirmherrschaft von Tabea Rößner (Büdnis 90/GRÜNE, Vorsitzende des Ausschusses für Digitales) haben wir mit den Partnerorganisationen aus dem Bündnis F5 gemeinsame Empfehlungen für eine nutzer*innenfreundliche Gestaltungs des DDG mit zuständigen Parlamentarier*innen diskutiert.

Umsetzung einer wegweisenden Gesetzgebung

Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) wird auf nationaler Ebene die Umsetzung des Digital Services Acts (DSA) auf den Weg gebracht. Das wegweisende Gesetz soll die Rechte von Nutzer*innen im digitalen Raum stärken, Transparenz hinsichtlich der Aktivitäten von Plattformbetreibern schaffen und sicherstellen, dass die Anbieter sich an einheitliche Regeln halten müssen.

Zu diesen Regeln gehören:

  • Plattformen müssen Nutzenden die Möglichkeit geben, illegale Inhalte online zu melden und müssen die Meldungen schnell bearbeiten.
  • Für Nutzende muss nachvollziehbar gemacht werden, wie Inhalte empfohlen werden. Sie müssen immer auch eine Möglichkeit geboten bekommen, eine Plattform ohne Profiling zu nutzen.
  • Dark Patterns sind verboten. Digitalen Plattformen und Dienste dürfen also keine Mechanismen einbauen, die dazu führen, dass ihre Kund*innen Entscheidungen treffen, die gegen ihre Interessen verstoßen – etwa indem nervige Pop-ups sie daran hindern, eine Auswahl zu ändern.
  • Online-Marktplätze müssen besser kontrollieren, ob die Produkte, die bei ihnen angeboten werden, sicher sind.

Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzer*innen, also auch die Wikipedia, werden unter die Aufsicht der europäischen Kommission gestellt. Plattformen und Hosting-Anbieter, die unter diese Schwelle fallen, werden auf nationaler Ebene durch dort eingesetzte Koordinierungsstellen beaufsichtigt. Für Deutschland wird das die Bundesnetzagentur.

Gesetzesentwurf enthält bereits gute Elemente

Die Ausarbeitung des DSA und des DDG haben Wikimedia Deutschland und das Bündnis F5 in den vergangenen Jahren bereits intensiv begleitet. So enthält der aktuelle Entwurf des Gesetzes bereits viele gute Elemente, für die wir uns gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen starkgemacht haben. Dazu zählen beispielsweise die Ausgestaltung der zentralen Beschwerdestelle im Interesse aller Internet-Nutzer*innen, das Aufgeben der Sonderzuständigkeit für soziale Netzwerke beim Bundesamt für Justiz sowie der Ausschluss von Firmen, die vom Gesetz betroffen sind vom Beirat der Koordinierungsstelle. Wir begrüßen die deutliche Stärkung zivilgesellschaftlicher Expertise in diesem Gremium mit nun acht Sitzen.

Unsere Empfehlungen für das DDG

Allerdings bleiben für Wikimedia Deutschland noch Wünsche offen, die auch vom Bündnis F5 beim parlamentarischen Frühstück formuliert wurden:

  • Eine starke Koordinierungsstelle, die bei der Einbindung weiterer zuständiger Behörden die alleinige Vertreterin Deutschlands im EU-Gremium ist (nach §16, Abs. 2).
  • Eine nutzer*innenorientierte und effektive Beschwerdebearbeitung durch das Festschreiben von Qualitätskriterien (nach § 20). Dafür fordert das Bündnis, dass für die Bearbeitung von Anfragen oder Beschwerden klare Kriterien festgelegt werden. Sie sollten darauf abzielen, bedarfsgerechte Zugänge, ein vielfältiges Sprachangebot und eindeutige Fristen für die Bearbeitung von Anfragen und Beschwerden sicherzustellen.
  • Einschränkungen bei der Datenweiterleitung an das BKA (nach § 13 DDG-E; i.V.m. Art. 18 DSA): Die Straftatbestände müssen definiert und eingeschränkt werden. Die Regelung ist aktuell zu weit gefasst und zu offen formuliert. Das gilt auch dafür, welche Daten an das BKA weitergeleitet werden sollen. Schutzmechanismen, wie das Informieren Betroffener bei Datenweiterleitungen, sind derzeit nicht enthalten.
  • Zustellungsbevollmächtigte Stellen (nach Art. 29): Solche Stellen, wie sie im NetzDG vorgesehen waren, sollten nicht leichtfertig aufgegeben werden, auch wenn das EuGH-Urteil zum österreichischen Kommunikationsplattform-Gesetz nachvollziehbar ist. Es sollte geprüft werden, ob eine Zustellungsbevollmächtigte Stelle im verbleibenden nationalen Rechtsrahmen – etwa beim Gesetz gegen digitale Gewalt – aufgegriffen werden kann.
  • Eine deutliche Erhöhung des Forschungsetats. Der liegt bisher bei lediglich 300.000 €. In Anbetracht der Ziele, die der DSA verfolgt, und des Aufwandes bei externen Untersuchungen, wäre mindestens ein zehnfacher Betrag von 3 Mio. €
  • Transparente Verfahren und Wirksamkeit des Beirats sicherstellen (nach § 21): Es sollte festgelegt werden, wie mit Empfehlungen des Beirats umgegangen wird. Zumindest sollte bei Nicht-Befolgung eine einsehbare Begründung abgelegt werden. Außerdem sollte die Beteiligung von Zivilgesellschaft und Forschungscommunity in die Arbeit der Koordinierungsstelle einfließen – entweder über den Beirat oder auch durch die Etablierung eines dezidierten Forschungskonsortiums.

Darüber hinaus wäre aus Sicht von Wikimedia Deutschland ein öffentlicher Jahresbericht des Beirates ein sinnvoller Beitrag zur Transparenz und Offenheit im Sinne des DSA. Erfreulich ist immerhin, dass der Jahresbericht der Koordinierungsstelle auf der Internetseite in barrierefreiem Format zur Verfügung stehen soll (§ 17, 1 Nr. 7). Das entspricht der Forderung von Wikimedia Deutschland, dass vor allem mit öffentlichem Geld finanzierte Institutionen ihre Information auch öffentlich zugänglich machen sollten. Idealer wäre eine maschinenlesbare Verknüpfung des enthaltenen Zahlenwerkes, etwa über die Anzahl der Beschwerden, als Linked Open Data. Wenn es um die Beteiligung der Zivilgesellschaft und die Rückkopplung mit den Bedarfen von Nutzenden geht, sollten außer dem Beirat noch weitere dialogorientierte Formate geschaffen werden. Solch ein Austausch dient beiden Seiten und damit letztlich der Umsetzung des DSA im Sinne der europäischen Vorgaben.

WMDE hofft nun auf zügige Umsetzung des DDG mit Berücksichtigung der von zivilgesellschaftlichen Organisationen eingebrachter Interessen.

Die von der Bundesregierung veröffentlichte “Strategie für die Internationale Digitalpolitik” bindet im Vergleich zum Referentenentwurf die vielen Aktionsflächen internationaler Digitalpolitik kohärenter ein. Sie fügt sich nun ein in die insgesamt 13 Strategien zu technologiepolitischen Zielen, die miteinander in Beziehung stehen, u.a. die Digitalstrategie, Datenstrategie, KI-Strategie, Klimaaußenstrategie, Gigabitstrategie, Fachkräftestrategie, Raumfahrtstrategie, Zukunftsstrategie und Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.

Es ist müßig darüber zu streiten, ob hier eine Strategie im Sinne einer langfristigen, strukturierten Planung vorliegt oder eher eine Aufzählung von Absichten und Positionen. Wir haben uns das Dokument angeschaut und vermissen vor allem detaillierte Punkte zu digitalen Commons, nichtkommerziellen digitalen Öffentlichkeiten und offenen Infrastrukturen. Diese sind essenzielle Bausteine, um den großen Herausforderungen der Zukunft – der Übermacht von Technologiekonzernen, strategisch motivierter Desinformation, einer autoritären Wende vielerorts – gerecht werden zu können.

Multilaterale Prozesse, offene Basistechnologien: gute Absichten und Zielbilder

Erfreulich ist die Neuordnung der digitalpolitischen Grundsätze: Während wertebasierte Technologiepartnerschaften im Referentenentwurf noch an erster Stelle standen, findet sich dort ein klares Bekenntnis zum Schutz von Menschenrechten online und offline sowie an zweiter Stelle das globale, offene, freie und sichere Internet.  Regeln für Datenschutz, Interoperabilität und Datensicherheit sollen “gefördert” werden. Konkret soll die “anlasslose und grundrechtswidrige Überwachung” koordiniert mit den europäischen und internationalen Gremien abgewehrt werden. Das von vielen zivilgesellschaftlichen Beteiligten geforderte Recht auf Verschlüsselung und Anonymisierung hat es leider nicht konkret in die Strategie geschafft.

Die “ethischen Herausforderungen” der Technologienutzung, etwa ausbeuterische Arbeitsbedingungen gering geschützter und bezahlter Click-Worker, werden leider nur sehr indirekt benannt, wenn sich die Strategie für gute und faire Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in einer globalisierten digitalen Wirtschaft einsetzen möchte. Ob faire Wettbewerbsbedingungen – die faire Arbeitsbedingungen beinhalten müssen –  alleine Monopolbildung vermeiden kann, wird sich zeigen. In der Strategie wird KI Regulierung nicht ausgeschlosssen, eine freiwillige Selbstverpflichtung bleibt als “zusätzliches Instrument” erwähnt.

“Hohe Priorität” genießen in der Strategie  Multi-Stakeholder-Formate und -Foren. Sie werden als “essentiell” eingestuft. Ihre “aktive” Unterstützung konkretisiert sich beispielsweise darin, dass das Internet Governance Forum (IGF) “unterstützt” und dessen Mandat “zeitgemäß fortentwickelt” werden soll. Auch an anderen Stellen findet sich ein erkennbarer Wille, Deutschland hier stärker einzubringen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen in diesem Rahmen zu stärken. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr zeigt, dass es in den Beteiligungsprozessen zur internationalen Digitalstrategie zugehört hat, denn die Bundesregierung möchte nun etwa Doppelstrukturen vermeiden. Dies kann helfen, um unter anderem zivilgesellschaftliche Akteure vor Überlastung durch zeit- und ressourcenintensiven Sitzungen in internationaler Gremienarbeit zu schützen und sich am Kapazitätsaufbau für zivilgesellschaftliche Organisationen im Globalen Süden beteiligen. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe wird angestrebt. Auch soll es eine Politik der Abrüstung im Digitalen geben. Überwachungstechnologien sollen nicht an repressive Regime gehen, allerdings wird dieses Bekenntnis aus dem Referentenentwurf nun mit einem Absatz relativiert, der digitalen Techniken eine “Schlüsselrolle” einräumt, Menschenrechtsverstöße zu entdecken und zivilgesellschaftliches Engagement zu ermöglichen.

Bei der Betrachtung der globalen digitalen Infrastruktur sind Nachhaltigkeitsaspekte hinzugekommen. Die aktuellen Erfahrungen mit den Realitäten des Krieges schlagen sich in dem Bemühen nieder, geschützte Kommunikation aufzubauen, Kreislaufwirtschaft zur Vermeidung von Abhängigkeiten auszubauen und den Weltraum als Interessensphäre einzubeziehen.

Eine erfreuliche leichte Veränderung ist auch in der Haltung zu kritischer Technologie erkennbar: Zwar möchte sich Deutschland nach wie vor schützen gegen den  “Abfluss” dieser Technik und Wissen, aber in Abstimmung mit der EU und internationalen Partnern und zugleich sollen Deutschland und Europa “stärker von relevanten, neu entstehenden Wissensquellen profitieren können”. Es wird sich zeigen, inwiefern offenes, freies Wissen gemeint ist.

Instrumente der Zensur wie Netzsperren werden abgelehnt und die Repräsentation von Partnerländern im Globalen Süden in Internet Governance Foren soll gefördert werden. Begrüßenswert sind zudem das Bekenntnis zum Abbau des Digital Gap sowie zum Einsatz für umwelt- und klimafreundliche Entwicklung, Produktion, Nutzung, Reparatur und Entsorgung digitaler Produkte und Dienstleistungen.

Besonders erfreulich ist, dass die Bedeutung offener Basistechnologien anerkannt und entsprechende Unterstützung angestrebt wird. Hier kann auf den guten Erfahrungen mit dem Sovereign Tech Fund als beispielgebendem Instrument aufgebaut werden.

Unklar bleibt, wie sich die handlungsleitende Rahmung aus Grundsatz 5, Vertrauenswürdige und sichere grenzüberschreitende Datenflüsse – in der Praxis auswirken wird. Hier wird nun sehr konkret “ungerechtfertigte und willkürlich verhängte Datenlokalisierungsvorgaben und Einschränkungen des Datenverkehrs” abgelehnt. Aus Sicht von Wikimedia wäre die freie Nutzung von Videodaten ohne geolokale Beschränkung ein Schritt in die richtige Richtung. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass der europäische Datenschutz gemeint ist, wenn von “willkürlichen” Einschränkungen des Datenverkehrs die Rede ist. Dafür spricht auch die klare Unterstützung des EU-US Data Privacy Framework und des “Data Free Flow with Trust (DFFT) sowie die eher vagen Ambitionen, die “Standards” für Datenaustausch zu erhöhen.

Die Förderung breiterer Beteiligung ist ein wichtiges Anliegen. Allerdings sind dafür konkrete Unterstützungsstrukturen und Anreize nötig, um ein aktives, nachhaltiges Engagement gerade wenig ressourcenstarker Akteur*innen zu ermöglichen. Hier fehlen konkrete Ansätze und es bleibt fraglich, wie die Beteiligung realisiert werden soll.

Schlüsselfaktor für die Zukunft des guten Internets: Digitale Commons

Aus Sicht des Freien Wissen sind vier Leitsätze aus der Strategie besonders gewichtig:

  1. Wir schützen die Grund- und Menschenrechte online wie offline.
  2. Wir treten für ein globales, offenes, freies und sicheres Internet ein.
  3. Wir stärken eine sichere und nachhaltige globale digitale Infrastruktur.
  4. Wir fördern menschenzentrierte und innovationsfreundliche Regeln für den digitalen Raum.

Doch für diese Punkte und die erklärte Absicht, ein “globales, freies und offenes Internet” zu gestalten, ist die politische Förderung digitaler Commons unverzichtbar.

Die nationale und internationale Förderung von Open Source-Basistechnologien und die Befürwortung der Schaffung von öffentlichen digitalen Gütern sind Schlüsselfaktoren für ein inklusives, offenes und gerechtes Netz. Die Strategie möchte “Freiheitsräume in der digitalen Welt erhalten, erweitern und neu erschließen”. Digitale Commons sind ein essentieller Teil dieser Freiheitsräume. Erfreulich ist, dass digitale öffentliche Güter explizit befürwortet werden, allerdings eher auf allgemeiner Ebene, im Rahmen der Vereinten Nationen. Das lässt darauf schließen, dass ich die Bundesregierung bei den Verhandlungen zum GDC besonders in diesem Kapitel engagieren möchte. Eigene Initiativen wären aber auch erfreulich gewesen.

Freies Wissen als Schlüssel für die Bekämpfung digitaler Desinformation

Ein Schwerpunkt internationaler Digitalpolitik sollte auch auf der Eindämmung digitaler Desinformation liegen, insbesondere durch die gemeinsame Entwicklung internationaler Standards zur Kennzeichnung von Authentizität, Bearbeitung und Herkunft digitaler Inhalte. Auf diese Weise können gezielt manipulierte Inhalte identifiziert und konsequent sanktioniert werden, anstatt dass sie unbeachtet von Trollgruppen künstlich verbreitet werden.

Ein wichtiges Instrument, das als Gegengewicht zu Desinformationsdynamiken wirken kann, taucht nicht auf: Freies Wissen und offene Informationsquellen wie Wikipedia. Frei zugängliche Information hat es leichter, von Informationssuchenden genutzt zu werden. Wikipedia gehört zu den Top 10 der am meisten genutzten Webseiten weltweit und ist auch in den populärer werdenden Large Language Modellen eine der stützenden, seriösen Wissensquellen. Gerade Wikipedia erweist sich im Umgang mit Desinformation weltweit vielfach als schneller, flexibler und weniger fehleranfällig als die großen Plattform-Unternehmen. Denn Wikipedia und ihre Schwesterprojekte setzen auf die Weisheit der Vielen. Damit leistet freies Wissen einen wichtigen Beitrag im weltweit verfügbaren Informationsangebot.

Auf Initiative von Wikimedia Deutschland wurden im Rahmen eines Bündnisses aus zivilgesellschaftlichen Organisationen Vorschläge für wünschenswerte Ziele mit Blick auf das UN-Projekt Global Digital Compact erarbeitet. Beim Internet Governance Forum Deutschland 2023 wurden diese im Auswärtigen Amt übergeben.

 

Folgenden Punkte sollten aus zivilgesellschaftlicher Sicht und Perspektive Freien Wissens nun ausgearbeitet werden 

  1. Menschen- und Bürger*innenrechte im Digitalen müssen gestärkt und weiterentwickelt werden.
    Digitalpolitische Vorhaben müssen auf ihre Vereinbarkeit mit Menschenrechten geprüft werden. Entsprechend sollten Menschenrechtsprinzipien bei technischen und politischen Lösungen berücksichtigt werden.
  2. Globale digital commons sollten die starke Zielvision werden.
    Gemeinschaftliche Güter, gemeinwohlorientierte Prozesse und Werte: Auch im Digitalen sollte es öffentliche Räume wie Parks geben, als sichere, anlasslose Treffpunkte, um die „civic fabric” der globalen Gesellschaft zu stützen. Sie ermöglichen Lern- und Emanzipationsprozesse, in denen Menschen unabhängig von einer Markt- und Konsumlogik Eigeninitiative entwickeln und Verantwortung für die Zukunft übernehmen.
  3. Eine gerechte und inklusive globale digitale Transformation fußt auf offenen Infrastrukturen, Codes und Standards.
    Zu den entscheidenden Instrumenten für selbstbestimmte und lebenslange Bildung und menschliche Entwicklung gehören der Zugang zu allen Arten von Datenbanken, zu Bibliotheken und Medien, aber auch offene digitale Infrastrukturen, offene Technologien und Codes mit möglichst offener Lizenzierung von Daten nach Standards der Creative Commons. Dies sollte im künftigen GDC konkretisiert und vorangetrieben werden.
  4. Menschenrechtliche und unternehmerische Sorgfaltspflichten und Regulierungsmöglichkeiten etwa von Plattformen müssen deutlicher und konkreter angesprochen werden.
    Damit Menschenrechte im digitalen Raum gewahrt werden, braucht es bestimmte Voraussetzungen – etwa Verschlüsselung und Anonymisierung. Staaten sollten ihrer Pflicht zur Wahrung von Menschenrechten nachkommen. Sie sollten ihre politischen Instrumente auch dafür nutzen, den Privatsektor zur Verantwortung zu rufen, mit technischen Möglichkeiten zur Wahrung von Menschenrechten beizutragen.
  5. Die zivilgesellschaftliche Beteiligung und der Multi-Stakeholder-Ansatz müssen im weiteren Prozess konsequent gestärkt werden.
    Die effektive Beteiligung von Zivilgesellschaft, Tech-Community und Wissenschaft angesichts der rasanten technischen Entwicklungen und ihrer komplexen Auswirkungen wichtiger als zuvor, um gemeinschaftlich und für das Gemeinwohl eine bessere Zukunft zu gestalten. Hier braucht es konkrete Lösungen, um wirksame Beteiligung aktiv zu gestalten.

Veranstaltungshinweis

Buchvorstellung und Diskussion “Der Kampf um das Internet: Wie Wikipedia, Mastodon und Co. die Tech-Giganten herausfordern” von Stefan Mey bei Wikimedia Deutschland

Montag, 11. März, 19:30-22:00, Wikimedia Deutschland, Tempelhofer Ufer 23-24

Gäste:

– Konstantin von Notz, MdB, Bündnis 90 / Die Grünen

– Stefan Mey, Journalist und Autor des Buches

– Katharina Nocun, Bürgerrechtlerin und Publizistin

Moderation: Geraldine de Bastion, Politikwissenschaftlerin und Beraterin

Eine Aufzeichnung wird nach der Veranstaltung zur Verfügung gestellt.

Weitere Informationen und die Anmeldung finden Sie hier.

Netflix kann einpacken, hier kommt WikiFlix!

Thursday, 1 February 2024 09:11 UTC

Magnus Manske ist ein Wikipedianer der ersten Stunde. Er hat den fünften Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia geschrieben. Und er hat die Grundlagen für MediaWiki geschaffen – die Software, auf der die Wikipedia basiert. Mit WikiFlix hat der Softwareentwickler nicht sein erstes und vermutlich auch nicht sein letztes Werkzeug für Wikidata entwickelt. Aber im Gegensatz zu einigen anderen Wiki-Tools, braucht man kein Wiki-Wissen um WikiFlix zu benutzen. Jede*r kann nach Filmen suchen und sie sich anschauen. Eine Anmeldung oder ein Login sind nicht notwendig.

Das Foto zeigt den Entwickler von WikiFlix, Magnus Manske, in schwarz weiß. Aufgennommen wurde es beim Wikidata Lab VIII im Jahr 2018 in Brasilien. Foto: Rodrigo.Argenton, Wikidata Lab VIII (15), CC BY-SA 4.0

 

„Die Idee für WikiFlix und der Name stammen ursprünglich von der Wikipedianerin Spinster. Jemand hat mich wegen eines technischen Problems auf das Projekt aufmerksam gemacht. Ich fand die Idee sehr schön, aber das Interface und die halb-manuelle Pflege der Listen schien mir etwas zu klobig. Ich dachte mir, das könnte ich etwas ansprechender gestalten, vieles automatisieren, und auch Videos anbieten, die nicht aus Wikimedia Commons kommen.“ — Magnus Manske, Softwareentwickler und Wikimedianer

Für die Entwicklung der ersten Version hat Magnus Manske etwa eine Woche gebraucht.

Obskure Schätzchen und Welterfolge: Das gibt’s bei WikiFlix

Wie bei kommerziellen Streamingdiensten auch, kann man in WikiFlix gezielt nach Filmen suchen. Oder man schaut sich an, was in den verschiedenen Kategorien wie Fantasyfilm, Melodrama oder Abenteuerfilm im Angebot ist. Sehr viele der Filme in WikiFlix sind englischsprachig. Aber auch für Liebhaber*innen französischer, dänischer, russischer oder japanischer Filme ist einiges geboten.

Wer sich ziellos durch die Filme auf der Startseite treiben lässt, wird dabei sowohl Bewegtbilder aus der Frühzeit des Films finden – wie den Einminüter „The Four Troublesome Heads“ (Ein Mann der Köpfe) des Filmpioniers Georges Méliès aus dem Jahr 1889. Aber auch berühmte Filme wie die amerikanische Romantikkomödie Charade mit Cary Grant, The Kid von und mit Charlie Chaplin oder der Science Fiction Film Metropolis von Fritz Lang sind in WikiFlix.

Da Filmschaffende Werke manchmal selbst und frühzeitig unter Public Domain freigeben, sind auch aktuelle Werke in WikiFlix zu sehen. Wie Big Buck Bunny, ein animierter Comedy-Kurzfilm aus dem Jahr 2008. Der Film wurde mit Blender gedreht. Das ist eine freie und quelloffene Softwareanwendung für 3D-Computermodellierung und -animation, die von der Blender Stiftung entwickelt wurde. Der Film wurde als Open-Source-Film unter der Creative Commons Attribution 2.5-Lizenz veröffentlicht. Die Handlung folgt einem Tag im Leben des gut gelaunten und etwas naiven Big Buck Bunny, an dem er drei tyrannische Nagetiere kennenlernt: Frank, das Flughörnchen, und seine Freunde Rinky, das rote Eichhörnchen, und Gimera, das Chinchilla. Die Nager amüsieren sich, indem sie hilflose Waldbewohner mit Früchten, Nüssen und Steinen bewerfen. Nachdem die Nagetiere zwei Schmetterlinge getötet und Bunny angegriffen haben, legt er seine sanfte Natur ab und schmiedet einen Plan, um die beiden Schmetterlinge zu rächen. Informationen wie diese liefert WikiFlix oft mit zu den Filmen.

So funktioniert WikiFlix

Die Filme kommen über Wikidata in den Streamingdienst. Über 31.000 Einträge für Filme gibt es in der offenen Wissensdatenbank. Ein Beispiel dafür ist der Eintrag zu dem legendären Film Metropolis aus dem Jahr 1927.

2.519 dieser Film-Einträge (Stand 1.2.2024) haben eine Filmdatei. Diese Dateien liegen nicht in Wikidata selbst. Die Einträge in Wikidata sind mit den Filmdateien, die in Archiven wie Wikimedia Commons, dem Internet Archive oder YouTube liegen, sozusagen verbunden. Das funktioniert über einen sogenannten Identifier. Ein Identifier ist eine Bezeichnung, etwa eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben, mit der innerhalb einer Datenbank ein Ort, eine Person, ein Kunstwerk oder Ähnliches eindeutig benannt wird. Den Identifier für den Eintrag Metropolis in Wikidata sieht man neben dem Namen, in dem Fall Q151599. Die Identifier für die zwei Filmdatein im Internet Archive sind:

Die Wikiflix Datenbank aktualisiert sich stündlich über Wikidata. Jedes Mal, wenn also jemand einem Film-Eintrag in Wikidata einen Identifier aus einem Film-Archiv hinzufügt, ist dieser kurze Zeit später in WikiFlix auffindbar.

Wikiflix wächst – und alle können dazu beitragen

Wikiflix hat ein ungeheures Wachstumspotenzial. Das liegt einerseits daran, dass in der Zukunft immer mehr Filmwerke in die Public Domain übergehen und damit frei genutzt werden können. Aber es sind noch längst nicht alle der rund 31.000 Filme, die schon einen Eintrag in Wikidata haben, über einen Identifier in diesem Eintrag mit einer Filmdatei in einem Archiv verbunden. Hier können filmbegeisterte, datenaffine Menschen ins Spiel kommen.

Wikidata ist eine offene Datenbank, alle können Datensätze bearbeiten oder beitragen. Wer also in Wikidata sieht, dass ein bestimmter Film, zum Beispiel Cleopatra aus dem Jahr 1917:

  • einen Eintrag in Wikidata hat,
  • der unter Copyright Status als Film unter Public Domain ausgewiesen ist,
  • im Wikidata-Eintrag aber keinen Identifier vom Internet Archive, Wikimedia Commons oder YouTube findet,
  • kann in diesen Archiven nachschauen, ob dort eine Filmdatei zu finden ist und den Wikidata Eintrag um den Identifier aus dem Filmarchiv ergänzen.

Oder man nutzt diesen Link zu einer Abfrage, die alle Filme in Wikidata unter Public Domain anzeigt, die nicht über einen Identifier mit einer Filmdatei verbunden sind. Und geht dann in einem der drei Filmarchive auf die Suche nach den Filmdateien.

Mit seiner enormen Vielfalt an Filmen ist WikiFlix eine fabelhafte und nicht-kommerzielle Alternative zu Netflix und Co. – und bietet sogar die Möglichkeit, das Programm selbst mitzugestalten. Dass es stetig wächst, zeigt ein einfacher Vergleich. Am 31. Januar waren noch 2.379 Filme in WikiFlix anzuschauen. Nur einen Tag später sind es schon 2.519. Tragen Sie dazu bei, das es mehr werden!

Wiki Loves Folklore feiert Premiere in Deutschland

Thursday, 1 February 2024 08:06 UTC
Bei Folklore denke ich zunächst an altmodische, vielleicht romantisierende Trachten und Tänze, die mit der Gegenwart und Lebensrealität von Menschen wenig zu tun haben. Dem widersprecht ihr wahrscheinlich vehement, oder? Was bedeutet Folklore für euch und was mögt ihr daran?

Es gibt ziemlich viele unterschiedliche Lebensrealitäten, auch innerhalb des Wikimedia Movements. Wir haben uns bei dem Fotowettbewerb an den internationalen Namen gehalten und wissen, dass Folklore ein Begriff ist, der etwas altbacken klingt. Aber zur Folklore gehören neben traditionellen deutschen Trachten auch Weihnachtsmärkte, Fastenbrechen oder regionales Handwerk wie Blaudruck und Leb- und Pfefferkuchen. Jüngere deutsche Traditionen wie Hip-Hop-Kultur und Chormusik sind als immaterielles Kulturerbe ebenfalls dabei. Es ist spannend, was man alles entdecken kann. Passend zum Thema gab es auch eine GLAM_digital-Veranstaltung im Januar 2024, die bei einem virtuellen Austausch mit dem Sorbischem Institut die Sprache, Geschichte und Kultur der Sorben thematisiert.

Könnt ihr erklären, warum es einen internationalen Fotowettbewerb zum Thema Folklore braucht?

Die weltweiten vielfältigen Aspekte des immateriellen Kulturerbes sind eine wichtige Ergänzung zum Kultur- und Naturerbe, die wir schon seit vielen Jahren mit den Wettbewerben Wiki Loves Monuments (WLM) und und Wiki Loves Earth (WLE) dokumentieren.

Wie ist der Fotowettbewerb entstanden und wie kommt es, dass Wiki Loves Folklore Deutschland in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet?

Vorläufer von Wiki Loves Folklore war “Wiki Loves Love”, das 2019 stattgefunden hat und bei dem es um weltweite Liebestraditionen ging. Der Wettbewerb ist seit 2020 international und man konnte schon immer auch Beiträge aus Deutschland einreichen. Bei der Preisverleihung von WLM und WLE hatten wir mehrere Gespräche, ob ein eigener deutscher Wettbewerb denkbar wäre und wollen jetzt einen Versuch wagen.

So reich ist die Vielfalt der verschiedenen Volkskulturen der Welt: Das sind die internationalen Gewinnerbilder von Wiki Loves Folklore der vergangenen vier Jahre. Mehr Fotos gibt es unter wikilovesfolklore.org

Wie läuft der Wettbewerb ab? Wer kann mitmachen?

Jeder, der thematisch passende Bilder gemacht hat, kann diese über den Upload Wizard auf dieser Seite ganz einfach unter einer freien Lizenz nach Commons hochladen und gleichzeitig am Wettbewerb teilnehmen. Anschließend wird eine Jury die Bilder bewerten und die Sieger küren.

Immaterielles Kulturerbe war ja auch in den letzten Jahren schon Thema beim europäischen Foto-Wettbewerb Wiki Loves Living Heritage. Was ist bei Wiki Loves Folklore anders?

Wiki Loves Folklore ist ein internationaler Wettbewerb und damit nicht auf Europa beschränkt. Wir möchten, dass Wiki Loves Folklore auch in Deutschland jährlich stattfindet genau wie Wiki Loves Earth und Wiki Loves Monuments.

Anders als bei Wiki Loves Earth oder Wiki Loves Monuments stehen hier ja vor allem Menschen im Vordergrund. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für die ehrenamtlichen Fotograf*innen?

Beim Fotografieren von Menschen ist es wichtig, immer die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten zu beachten. Zumindest außerhalb von öffentlichen Auftritten sollte immer das Einverständnis der fotografierten Person zum Fotografieren und auch zu einer Veröffentlichung der Fotos vorliegen.

Vergangenes Jahr haben 2200 ehrenamtliche Fotograf*innen aus 140 Ländern bei Wiki Loves Folklore mitgemacht und über 38 000 Fotos und Videos hochgeladen. Wer sichtet und entscheidet, welche davon gewinnen? Was passiert mit all dem Material, wenn der Wettbewerb abgeschlossen ist?

Unabhängig von der Jury für Deutschland wird es auch eine internationale Jury geben, die diese Bildmengen bewältigen muss. Wir hoffen bei Wiki Loves Folklore in Deutschland auf 5000 Fotos. Diese werden durch eine Jury bestehend aus Mitgliedern der Community und möglichen externen Experten bewertet. Die 10 besten Bilder bekommen einen Preis. Während und auch nach dem Wettbewerb stehen die Bilder unter einer freien Lizenz auf Wikimedia Commons zur Verfügung und können für Wikipedia und auch für viele andere Zwecke unter Namensnennung des Fotografen und unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten genutzt werden.

Danke für das Interview!

Mehr über Wiki Loves Folklore

Wiki Loves Folklore ist ein internationaler Fotowettbewerb der Wiki-Community, der die reiche Vielfalt der Volkskultur unserer der Welt feiert. Der Schwerpunkt liegt auf der Bewahrung und Förderung des immateriellen Kulturerbes durch die Kunst der Fotografie. Der Wettbewerb lädt jedes Jahr vom 1. Februar bis 31. März dazu ein, den lebendigen Geist der Volkstraditionen mit der Kamera einzufangen: von hypnotisierenden Volkstänzen und bezaubernder Volksmusik bis hin zu traditionellen Volksschauspielen, saisonalen Events, Bräuchen oder aus der Mythologie.

In den fünf Jahren seines Bestehens hat Wiki Loves Folklore eine beeindruckende Sammlung von knapp 80 000 Mediendateien aus 168 Ländern zusammengetragen, zu denen rund 6500 engagierte Freiwillige einen unschätzbaren Beitrag geleistet haben. Die Fotos werden unter freier Lizenz bei Wikimedia Commons hochgeladen und können in der Wikipedia und an anderen Stellen mit verwendet werden.

Provenienzforscher*innen erkunden die Biografien von Kunstwerken und Kulturgütern. Dabei enthüllen sie nicht selten Kriminalfälle oder bringen Geschichten von unrechtmäßiger Enteignung, Raub und kolonialer oder nationalsozialistischer Gewalt ins öffentliche Bewusstsein. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat mit dem Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter entscheidende Impulse für eine Dekolonialisierung von Museen geleistet. Die Kunsthistorikerin Meike Hopp forscht zum Kunsthandel im Nationalsozialismus. Sie war Mitglied der Taskforce Schwabinger Kunstfund, die erforscht hat, welche Werke aus der Sammlung Gurlitt zur NS-Raubkunst gehören. Aber wie können Museen, Archive oder Bibliotheken die vielen Daten, die von Provenienzforscher*innen zusammengetragen werden, öffentlich und zugänglich machen?

Das Ende der Geheimnistuerei

Diese und andere Fragen diskutierten die Provenienzforscherinnen Hopp und Savoy gemeinsam mit Wikimedia-Präsidiumsmitglied und Kuratorin Larissa Borck, Provenienzforscherin Lynn Rother und dem Computerwissenschaftler Tobias Matzner beim Roundtable: Part of a Global Cultural Commons? Provenance Research in 2024. Er bildete den Auftakt für die zweitägige Workshopreihe zur Öffnung von Provenienzdaten, die eine Initiative der AG Kunstwissenschaften + Wikipedia ist und mit Wikimedia Deutschland realisiert wurde.

„Wir haben die Veranstaltung organisiert, um Kunstwissenschaftlerinnen mit Protagonistinnen der Wikimedia-Projekte zusammenzubringen. Ein Austausch von und Expertisen und das gemeinsame Arbeiten an konkreten Fallstellungen zu digitalen Provenienzdaten standen im Vordergrund. Zudem haben wir mit dem manifesto 24 internationale Empfehlungen für den Umgang mit Provenienzdaten entlang der FAIR-Prinzipien formuliert.“
Waltraud von Pippich, AG Kunstwissenschaften + Wikipedia

Die Digitalisierung habe für die Provenienzforschung alles verändert, sagte Bénédicte Savoy. „Sie führt dazu, dass es eine größere Sichtbarkeit von Sammlungsbeständen gibt. Das Wissen der Museen über sich selbst ist kein Familiengeheimnis mehr.“ Aber warum sind nicht alle Sammlungsdaten der staatlichen Museen in Europa offen zugänglich? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Bei NS-Raubkunst sei jede Erforschung ein kompliziertes Puzzle aus Quellen verschiedenster Archive, Museumsdaten und Informationen aus privaten Quellen, erklärt Meike Hopp. Und es liege auch nicht nur an den Kulturinstitutionen, betont Larissa Borck. „Museen sind unterfinanziert, ihnen fehlen oft die personellen Ressourcen und dann können sie das Urheberrecht als Begründung nennen, warum Informationen nicht zugänglich sind.“ Lynn Rother verweist aus ihrer Erfahrung im Museum of Modern Art darauf, dass es in Europa zudem eine ganz andere Kultur gebe als in den USA. „Die amerikanischen Museen haben in den frühen 2000er Jahren Sammlungsdaten öffentlich gemacht und auch die Lücken in der Überlieferung offengelegt.“ Sie hob aber auch hervor, dass  amerikanische Museen oft über ganz andere personelle Ressourcen verfügen.

Einig waren sich die Diskutierenden darüber, dass der Status quo sich ändern soll – und dass Projekte wie Wikidata, Wikibase, die Wikipedia oder Wikimedia Commons und die Expertisen aus der Freiwilligen-Community dazu beitragen können.

Kulturinstitutionen müssen eine langfristige Strategie für die Zusammenarbeit mit Online-Communitys besitzen, damit man gemeinsam zielführend an Kulturinhalten in Wiki-Projekten arbeiten kann. Dabei müssen interne Ressourcen zur Verfügung stehen, die in den Austausch mit Wikimedianer*innen treten können. Außerdem muss man sich im Klaren sein, dass in Wikiprojekten wie Wikidata, Wikipedia oder Wikimedia Commons eigene Regeln wie offene Lizenzen und enzyklopädische Relevanz gelten – auf diese muss man sich einlassen.”
Larissa Borck, Wikimedia-Präsidiumsmitglied und Kuratorin im Sörmlands Museum

Anmerkung: Den Livestream des Roundtables finden Sie hier.

Wikidata für Kulturdaten: Beispiele aus der Praxis

Bevor es ans Barcampen ging, erhielten die Teilnehmenden Eindrücke davon, wie man mit Wikidata Kulturdaten offen zugänglich, vernetzen oder diverser machen kann.

Maarten Dammers, in der Wikipedia- und Wikidata-Community besser bekannt als Multichill, berichtete über das Freiwilligen-Projekt SOAP – Sum of all Paintings (Die Summer aller Bilder). Das Ziel: In Wikidata sollen Informationen zu jedem bekannten Kunstwerk frei und offen verfügbar sein. Seit bald zehn Jahren arbeiten die Freiwilligen daran, Sammlungsdaten, die Museen digital zur Verfügung stellen, oder Wissen aus gedruckten Katalogen in Wikidata einzubringen. Wikidata enthält aktuell mehr als 108 Millionen Datensätze, die miteinander verknüpfbar sind. Ein Datensatz zu einem Kunstwerk kann also mit unglaublich vielen Informationen verbunden werden: Das kann der Maler*innenname sein, das Genre des Bildes, die Identifikationsnummer in anderen Datenbanken, Aussagen über das Material oder Gegenstände und Orte im Bild, wann es Besitzer*innen gewechselt hat und vieles mehr.

Yann LeGall berichtete den Teilnehmenden von seiner Arbeit mit Wikidata im Rahmen des Forschungsprojekts The Restitution of Knowledge. Darin rekonstruieren die Forschenden, wie Kulturgüter ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bei sogenannten Strafexpeditionen aus Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent nach Europa verschleppt wurden. Es geht ihnen darum, sichtbar zu machen, dass mit dieser Art des „Sammelns“ Geschichten der Gewalt, des Raubes oder der Unterdrückung verbunden sind. Beim Überführen von Forschungsergebnissen in Wikidata haben Lucy Patterson, Projektmanagerin digitales Kulturgut, und Cin Pietschmann, Projektmanager*in marginalisiertes Wissen von Wikimedia Deutschland Yann LeGall unterstützt.

Wir haben LeGall und das Forschungsteam beraten, wie sie ihre Forschungsergebnisse in Wikidata einbringen können. Es gab eine Einführung dazu, wie man in Wikidata editiert und mehrere Workshops. Zudem haben wir untersucht, wie koloniale Geschichte und Artefakte derzeit in Wikidata dargestellt werden, und stellten fest, dass die antikoloniale Perspektive oft noch fehlte.
Dr. Lucy Patterson, Projektmanagerin digitales Kulturgut bei Wikimedia Deutschland

Mit Unterstützung von Wikimedia Deutschland konnte LeGall sich mit der Wikidata-Community vernetzen. Gemeinsam mit Sabine von Mering (Museum für Naturkunde Berlin) und Mohammed Sadat Abdulai (Dagbani Wikimedia Nutzer*innengruppe) entwickelte LeGall Ideen dafür, wie er seine Forschungsergebnisse in Datensätze einfügen oder verknüpfen kann – etwa zu Akteuren oder Ereignissen des anti-kolonialen Widerstands. Am Beispiel der Ngonnso’ Figur aus Kamerun, heute im Ethnologischen Museum Berlin, verdeutlichte LeGall die Möglichkeiten einer offenen Datenbank. Im musealen Kontext wird Ngonnso’ üblicherweise schlicht als Statue bezeichnet. In der Realität der kamerunischen Nso ist die Skulptur aber zugleich ein Objekt und eine Gottheit. Durch die Ergänzung der Bezeichnung „deity“ (Gottheit) im Datenbankeintrag spiegelt dieser nun nicht nur die westliche Perspektive auf Ngonnso’ wieder, sondern auch die der Nso. Solche Ergänzungen tragen dazu bei, Wissen diverser zu machen.

Die Forschenden ergänzten den Wikidata-Eintrag zu dem Objekt außerdem mit der Information „geplündert bei der Nso Expedition 1902“.  Sie machten so deutlich, dass die Skulptur im Zuge einer gewalttätigen Niederschlagung von anti-kolonialem Widerstand nach Europa verschleppt wurde. Solche Ergänzungen, aber auch das Anlegen bisher nicht vorhandener Eigenschaften (Properties), tragen dazu bei, dass koloniale Kontexte sichtbar werden.

Unter dem Titel Towards Wikidata: How to Transform Provenance with AI sprach Fabio Mariani über seine aktuelle Forschung zum Einsatz von sogenannter Künstlicher Intelligenz und Provenienzdaten. Er befasst sich damit, wie Informationen zur Herkunft eines Kunstwerks, die in Textform vorliegen, mit KI in Einzelinformationen getrennt und gelesen werden können. Die KI kann darauf trainiert werden, Logiken und Zeichensetzungen von Texten zu verstehen und diese dann in einzelne Informationen zu splitten. Was das mit Wikidata zu tun hat? Die KI kann keine fehlenden oder unvollständigen Daten ergänzen oder Fehler korrigieren. Um die aus den Texten extrahierten Daten anzureichern und zu erweitern, ergänzt Mariani diese daher mit dem Wissen aus Wikidata.

„Kann man euch dabei irgendwie helfen?”

Dieser Satz war bei der Konferenz immer wieder zu hören. Die Unterstützungsangebote kamen von den Teilnehmenden, die sich ehrenamtlich in Wiki-Projekten wie Wikidata oder Wikipedia engagieren oder Wikibase nutzen. So wurde bereits zu Beginn der Konferenz deutlich: Die Ehrenamtlichen aus den Wiki-Communitys haben ein großes Interesse daran, Provenienzforschende dabei zu unterstützen, Wikidata oder Wikibase zu nutzen. Als es darum ging, Barcamp-Sessions zu entwickeln, wurden direkt offene Fragen von Forschenden zu Wikidata und Wikibase bearbeitet.

Einige der Themen lauten:

  • Wie funktionieren Datenbankabfragen in Wikidata?
  • Wie können Kulturinstitutionen offene Datensätze im Ganzen in Wikidata importieren?
  • Wie entwickelt man fortgeschrittene Datenmodelle?
  • Welche Wikimedia-Werkzeuge, etwa für Datenbankabgleiche, gibt es?

Was motiviert diese Hilfsbereitschaft? Das ist sicherlich bei allen Wiki-Aktiven unterschiedlich. Daniel Mietchen, der in der Wikipedia-, Wikidata- und Wikibase-Community aktiv ist und das Werkzeug Scholia mit entwickelt hat, beschreibt sie so:

Im Wiki-Ökosystem beschäftige ich mich ja primär mit Sachen, die mich auch interessieren. Ich bin also fast nur in den Bereichen unterwegs, wo es Spaß macht und da habe ich auch Spaß, mit anderen zu interagieren und Wissen weiterzugeben – zum Beispiel zu SPARQL-Abfragen in Wikidata. Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als ich das auch mal nicht konnte. Und als Wissenschaftler bin ich sowieso an Problemlösungen und Zusammenarbeit interessiert.
Dr. Daniel Mietchen, aktiv in der Wikipedia-, Wikidata- und Wikibase-Community und Mitentwickler des Werkzeugs Scholia

Wikibase für Sammlungsdaten-Management?

Ein  Wiki-Projekt, das auf der Konferenz vielfach diskutiert wurde, war Wikibase. Das ist die Software hinter Wikidata. Sie kann dank freier Lizenzierung von jedem und jeder benutzt werden, um eine eigene Datenbank anzulegen – deren Daten man wiederum mit Wikidata verknüpfen und so neues Wissen sichtbar machen kann.

In der Barcamp Session Best Practice for Wikibase: the Adolphe Schloss Collection sprach die Kunsthistorikerin Ruth von dem Busche über die Vorteile, die Wikibase aus ihrer Sicht für die Arbeit mit Provenienzdaten bietet. 1943 hatten die Gestapo und das französische sogenannte Judenreferat die Bilder des französisch-jüdischen Sammlers Adolphe Schloss beschlagnahmt. Einige Kunstwerke wurden verkauft, andere gingen in das sogenannte Führermuseum in Linz und in den Louvre. Im Rahmen des Projektes sollte deutlich gemacht werden, wer, wann und wo welches Kunstwerk beschlagnahmte, übergab, verkaufte oder aufkaufte.

Ein Vorteil, so Busche, bestand darin, dass sie mit Wikibase ihr eigenes Datenmodell entwickeln und so für dieses Projektziel maßschneidern konnte.

Sie hat außerdem die Erfahrung gemacht, dass Wikibase gut geeignet für das Zusammentragen großer Datenmengen, aber auch für die Arbeit mit granularen Daten ist. Für die Verbindung von Geschichte und Daten sei es aus ihrer Sicht zudem hilfreich, dass man die Datensätze mit Bildern und Scans anreichern und mit Wikipages, also mit Informationen zu Personen, Ereignissen oder Orten verbinden könne.

 

Nach zwei Tagen ist der Auftakt für eine Vernetzung von Provenienzforschenden, Ehrenamtlichen aus den Wiki-Projekten und Wikimedia Deutschland gelungen. Neue Ideen wurden angestoßen und an einigen offenen Fragen oder Problemen konnte sogar direkt vor Ort gearbeitet werden.

Aus einer Zeit vor Wikipedia

Monday, 15 January 2024 08:21 UTC

Von Mammutwerken und halben Sachen

Mit aktuell über 6,7 Millionen Artikeln kann man die Wikipedia getrost als Mammutwerk bezeichnen. Gedruckt unübertroffen war in seiner Zeit das Grosse vollständige Universallexicon Aller Wissenschafften und Künste, das zwischen 1731 und 1754 erschien. Der Zedler, benannt nach seinem Verleger Johann Heinrich Zedler, enthielt rund 120 Millionen Wörter. Ein echter Riese ist auch der Artikel zu Griechenland aus Ersch und Gruber’s Allgemeiner Encyclopädie (1818-89). Er überraschte Lesende mit einer Länge von 3.668 Seiten.

Nicht alle Enzyklopädieplanungen wurden in die Praxis umgesetzt. Sie wurden abgebrochen, bevor alle Buchstaben bearbeitet waren, oder der Eifer ließ nach. So endete die Deutsche Encyclopädie (1778-1807) mit dem Buchstaben K. Bei der Encyclopédie nouvelle (1834-42) wurde dem Buchstaben “A” weit mehr als ein Band gewidmet, während die Buchstaben “S” bis “Z” in einem einzigen letzten Band abgehandelt wurden.

Was ist enzyklopädisches Wissen?

In der Wikipedia muss sich jeder Artikel – und damit alle Autor*innen – die Frage stellen lassen: Ist das Thema enzyklopädisch relevant? Diese Frage haben auch Verfasser*innen der frühen Enzyklopädien diskutiert – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Mit dem Begriff Wissen meinen wir heute oft abstraktes, theoretisches Wissen, während praktisches Wissen als trivial vernachlässigt wird. Dabei beinhalteten die frühen Enzyklopädien oft sehr praktisches Wissen: Die Deutsche Encyclopädie (1778-1807) beinhaltete Rezepte und Waschanleitungen. Im sogenannten Wunder-Meyer (1840-1853) war der Artikel zur Auswanderung 72 Seiten lang und beinhaltete praktische Hinweise. Er empfahl unter anderem „die Auswanderung für fähige, kräftige, harte Arbeiter zwischen zwanzig und vierzig Jahren“, informierte über Preise für den Transport zwischen amerikanischen Städten und gab an, welches Budget Auswandernde für die Gründung einer Farm in der amerikanischen Prärie brauchten.

Berühmte Männer und eine Frau als Artikelautor*innen

Viele Autor*innen von Wikipedia-Artikeln schreiben unter Pseudonymen und wir wissen daher nicht, wer sie sind und welchen fachlichen Hintergrund sie haben. Einige Autoren von gedruckten Enzyklopädieartikeln hingegen waren regelrechte Stars. Albert Einstein hat den Artikel „Raumzeit” in der Encyclopedia Britannica geschrieben, zu der auch Henry Ford einen Artikel beigesteuert hat. . Der anarchistische Theoretiker Piotr Kropotkin hat passenderweise den Beitrag über „Anarchismus” zu der bekannten englischsprachigen Enzyklopädie geleistet Vladimir Lenin schrieb einen Beitrag zur siebten Ausgabe der Enciklopediceskij slovar und Louis-Napoléon Bonaparte, der spätere Kaiser Napoléon III., hat den Artikel „Kanone” im Dictionnaire de la conversation verfasst.

Bis ein Enzyklopädieartikel über Frauen erstmals von einer Frau geschrieben wurde, dauerte es bis 1902 und erfolgte durch die Schriftstellerin Mary Jeune.

Der Enzyklopädie-Verkäufer

Dass Wikipedia den Zugang zu Wissen revolutioniert hat, ist beileibe keine Übertreibung. Denn fast überall auf der Welt können Menschen auf das Wissen aus über 300 Sprachversionen zugreifen. Es ist auch noch gänzlich kostenlos. Das war bei gedruckten Enzyklopädien nicht so und ist auch bei ihren digitalen Nachfolgern, wie etwa dem heutigen Brockhaus, nicht so. Wer Enzyklopädien verkaufen wollte, musste sie also bewerben.

Die Eigentümer von World Book sponsorten 1960 eine Expedition von Edmund Hillary in den Himalaya, um nach dem Yeti oder sogenannten Schneemenschen zu suchen. Die Reise sorgte für Aufsehen und die Ergebnisse wurden im Jahrbuch der Enzyklopädie festgehalten. Die Funk and Wagnalls New Standard Ecyclopedia war für längere Zeit gar nicht zu kaufen, da sie nur als Bonus für Abonnent*innen des Literary Digest erhältlich war. Das Bild des aggressiven Enzyklopädie-Verkäufers, der von Tür zu Tür ging, wurde sogar zu einem solchen Stereotypen, dass dieser in einem Sketch von Monty Python’s Flying Circus im Jahr 1969 auftauchte. Darin klingelt ein Mann an einer Tür, eine Frau öffnet. Er gibt sich als Einbrecher zu erkennen. Die Frau befürchtet aber, dass er ein Lexikon-Verkäufer ist und weigert sich, ihn hereinzulassen. Dem Mann gelingt es, sie davon zu überzeugen, dass er ein Einbrecher ist, sie lässt ihn hinein – woraufhin er beginnt, ihr eine Enzyklopädie zu verkaufen.

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Alter Wein in neuen Schläuchen

Einige Diskussionen, die es in und um die Wikipedia gibt, gab es schon bei den gedruckten Enzyklopädien.

Die Wikipedia ist ein sehr textlastiges Medium, weil Wissensvermittlung in der westlichen Welt überwiegend über Texte erfolgte und erfolgt. Den Bildern misstrauten und misstrauen viele als oberflächlich oder manipulierbar. Auch der Brockhaus  verweigerte sich lange der Aufnahme von Illustrationen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das mit Illustrationen ausgestattete Meyers Konversations-Lexikon dreimal so viel Lexika verkaufte und Brockhaus zum Umdenken zwang.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde lamentiert, dass Schüler*innen und Student*innen ihre Berichte einfach aus Enzyklopädien abschreiben. Ein Vorwurf, der früher auch häufig gegenüber der Wikipedia gemacht wurde.

Enzyklopädien hatten schon damals den Anspruch auf Neutralität. Insofern überrascht der mutige Werbeclaim der deutschen Enzyklopädie Brockhaus aus der Mitte des 20. Jahrhundert nicht: “Brockhaus berichtet, aber richtet nicht: Brockhaus kennt keine Vorurteile”

Versuche von staatlichen Akteur*innen, enzyklopädisches Wissen zu beeinflussen oder sogar zu zensieren, sind auch nichts Neues. Dies wird in verschiedenen Ländern bei der Wikipedia versucht und betraf auch die Bolshaia Sovietskaja Entsiklopediia. Nach Stalins Tod wurden aus politischen Gründen entfernte Biographien wiederhergestellt. Die Zensur ging jedoch weiter. Im Jahr 1954 wurden die Abonnenten der Entsiklopediia aufgefordert, die Seiten 21-4 von Band V zu entfernen und sie durch gelieferte Seiten zu ersetzen. Damit sollte die Biografie von Lawrenti Beria, Stalins kurz davor hingerichteter Sicherheitschef, entfernt werden. Als Ausgleich erhielten die Abonnenten mehr Material über die Beringsee.

Und die Wikipedia?

Zum Abschluss des Buches widmet sich der Autor auf 16 Seiten der freien Online-Enzyklopädie: „Wikipedia hat ein neues Paradigma für Enzyklopädien geschaffen. Wikipedia übertrifft jede frühere Enzyklopädie in ihrer Offenheit für Beiträge aus der breiten Öffentlichkeit. Ebenso wichtig ist, dass Wikipedia die erste soziotechnische Enzyklopädie ist, die sowohl auf Software als auch auf Menschen angewiesen ist; die erste Enzyklopädie, die als Marke in mehr als einer Handvoll Sprachen existiert.”

Dr. Christian Humborg ist einer der Geschäftsführenden Vorstände von Wikimedia Deutschland

An sechs Samstagen von Juni bis November trafen sich Interessierte in der Amerika-Gedenkbibliothek, um sich über (queer-)feministische Kunst und die Mitarbeit in Wikipedia zu informieren. Unter dem Motto „Schreiben, Zeichnen, sichtbar machen“ lernten sie, wie sie Artikel über FLINTA*-Künstler*innen in Wikipedia erstellen und bearbeiten können.

Den Auftakt machte die Künstlerin und Kuratorin der Reihe, Sandra Becker, mit einem Input zu ihrer Arbeit „People Queer Shapes“. Sie sprach über ihre Erfahrungen als queer-feministische Künstlerin und darüber, wie sie sich in Wikipedia einbringt:

„Als Künstlerin und Wikipedia-Autorin kann ich gut nachvollziehen, warum die Hürden, in Wikipedia aktiv zu werden, erstmal hoch erscheinen“, sagte Becker. „Es ist ein komplexes Regelwerk, das z. B. darüber entscheidet, welche Künstler*innen-Biografien relevant genug sind, um in Wikipedia aufgenommen zu werden. Diese Veranstaltungsreihe ermöglicht es den Künstler*innen und Kunstinteressierten gemeinsam mit Menschen aus der Wikipedia-Community die ersten Schritte in Wikipedia zu gehen.“

Von Ping Pong über Insekten bis hin zu Frauendenkmälern: Ein vielfältiges Programm rund um (queer-)feministische Kunst

Die Wikipedia-Trainerin Siggi Weide referierte über verschollenes Wissen und Überlieferungslücken in Archiven. Sie gab den Teilnehmenden Tipps, wie sie Informationen über FLINTA*-Künstler*innen finden und aufbereiten können.

Die Wikipedianerin Ruesselbueffel nahm die Relevanzkriterien und die Regeln für das Editieren in den Blick, die für die Wikipedia gelten. Sie argumentierte, dass aufgrund dieser Regeln und Strukturen oft nicht nur gegendertes Wissen in der Wikipedia einen schweren Stand habe, sondern auch das Wissen von gesellschaftlich marginalisierten Personengruppen sowie Themen um Sexualität, Herkunft und Klasse. Dass es an Bereitschaft allerdings nicht mangelt, zeigen die seit Jahren aktiven Initiativen wie Art+Feminism, WomenEdit oder Who Writes His_tory. Und eben die Workshopreihe FLINTAstic.

Die Künstlerin Frauke Beeck zeigte in ihrem Vortrag am Beispiel von Denkmälern auf, dass öffentliches Gedenken in Deutschland meist männlich geprägt ist. Sie verwies auf die Tatsache, dass nur etwa 200 historische Frauendenkmäler in Deutschland existieren und von diesen lediglich vier lesbischen bzw. Transfrauen gewidmet sind. Zum Vergleich: Allein Otto von Bismarck wurde in Deutschland rund 700 mal ein Denkmal gesetzt.

Die Künstlerin annette hollywood stellte in ihrem Vortrag ihr digitales Projekt [anderkawer] vor, eine detektivische Spurensuche nach lesbischen Müttern seit den 1920er Jahren in Deutschland. Wie man die Ergebnisse dieser Detektivarbeit auf Wikipedia dokumentieren kann, zeigte anschließend die Wikipedia-Trainerin Grizma.

Rege Diskussionen und Anstoß für neue Projekte

Insgesamt haben an der Veranstaltungsreihe 45 Personen teilgenommen. Für viele Teilnehmende waren es erste Einblicke in die Arbeit in Wikipedia. Mit ersten Erfolgen: „Es haben sich zwei neue Zusammenarbeiten aus der Veranstaltungsreihe ergeben: Künstler*innen und Wikipedianer*innen, die künftig gemeinsame Aktionen planen”, berichtet Sandra Becker. „Es freut mich, dass wir Interessierte zu diesem Thema zusammenbringen konnten. FLINTA*-Künstlerinnen und ihre Kunst gehören zu unserer Gesellschaft. Wir wollen dazu beitragen, dass sie in Wikipedia die Anerkennung erhalten, die sie verdienen.“

Zum Nachlesen: https://www.wikimedia.de/flintastic/

Das Konzept der Überwachunsgesamtrechnung (ÜGR) ist aufgrund des Urteils vom Bundesverfassungsgericht zur Vorratsdatenspeicherung von 2010 entstanden. Darin hatte das Gericht geurteilt, dass rechtliche Befugnisse zur Überwachung nicht isoliert bewertet werden dürfen. Die Auswirkungen, die eine Überwachungsmaßnahme auf unsere Freiheitsrechte hat, müssen immer im Kontext aller gesetzlich möglichen Überwachunsmaßnahmen gesehen werden, die es bereits gibt. In der Rechtswissenschaft ist daraus der Begriff Überwachungsgesamtrechnung geworden. Die aktuelle Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt, ein wissenschaftliches und evidenzbasiertes Konzept für eine solche Rechnung erstellen zu lassen. Jurist*innen erhoffen sich davon, dass vor der Einführung einer Überwachungsbefugnis überprüft wird, welche es bereits gibt und welche es überhaupt braucht – oder eben nicht. Aber wie kann aus der ÜGR ein Instrument werden, das unsere Privatsphäre schützt und dazu beiträgt, dass der freie Austausch von Wissen und Informationen im digitalen Raum nicht übermäßig beschränkt wird?

Sicherheitspolitik neu gedacht: Warum wir jetzt eine echte Überwachungsgesamtrechnung brauchen.

Zu dieser Frage veranstaltete das Bündnis F5 im vergangenen Jahr ein parlamentarisches Frühstück unter der Schirmherrschaft des innenpolitischen Sprechers der FDP, Manuel Höferlin MdB. Einig waren sich die Bündnisorganisationen und Höferlin darüber, dass es für die ÜGR eine robuste gesetzliche Grundlage braucht. Denn während es in der Sicherheitsgesetzgebung in den vergangenen Jahrzehnten stets zu Verschärfungen kam, gibt es aktuell keine Möglichkeit zu überprüfen, wie hoch der Gesamtdruck von Überwachungsmaßnahmen auf einzelne Personen tatsächlich ist. Das Bündnis drängt deshalb darauf, durch die ÜGR ein Instrument zu verankern, das einen elementaren Beitrag zum Schutz von Bürger*innenrechten leisten kann.

Umsetzung der ÜGR in Gefahr?

Henriette Litta, Leiterin der Open Knowledge Foundation, hob hervor, dass kaum eine andere Passage aus dem Koalitionsvertrag so viele Vorschusslorbeeren aus der Zivilgesellschaft erhalten hat wie das Vorhaben der ÜGR. Allerdings sieht das Bündnis nun die Gefahr, dass die verbleibende Zeit der Legislaturperiode nicht mehr für die Umsetzung der Ergebnisse der ÜGR genügen könnte – auch weil die federführenden Ministerien, das Bundesinnenministerium (BMI) und Bundesministerium der Justiz (BMJ) laut eigenen Angaben planen, die ÜGR erst bis Ende 2024 abzuschließen.

Und auch in prozeduralen Fragen sowie dem aktuell geplanten Umfang sieht das Bündnis Herausforderungen für die ÜGR. In ihren Impulsvorträgen beleuchteten Helene Hahn (Referentin für Referentin Advocacy / Internetfreiheit, Reporter ohne Grenzen) und Kai Dittmann (Leiter Politik, Gesellschaft für Freiheitsrechte) daher verschiedene Aspekte, die aus Sicht von F5 berücksichtigt werden müssen, um die ÜGR auf ein solides Fundament zu stellen.

Forderungen des Bündnis F5

Die ÜGR darf nicht als isoliertes Projekt betrachtet werden, sondern sollte als fortlaufender Prozess verstanden werden. Um das zu gewährleisten, ist die geplante Freiheitskommission mit weitreichenden, flankierenden und beratenden Befugnissen eine zentrale Institution, deren gesetzliche Verankerung im laufenden Verfahren höchste Priorität genießen muss. Zudem sollte das Gesetzgebungsverfahren transparent, ergebnisoffen und unter intensiver Stakeholder-Beteiligung geführt werden. Denn das Bündnis ist der Überzeugung: nur unter Einbezug der Zivilgesellschaft und durch eine breite öffentliche Debatte kann mit der ÜGR eine rechtsstaatlich angemessene Leitlinie der Sicherheitspolitik entstehen.

Die Vertreter*innen des Bündnisses merkten außerdem an, dass der aktuell geplante Umfang der ÜGR in einigen Fällen nicht ausreicht, um einen umfassenden Schutz vor unverhältnismäßiger Überwachung zu gewährleisten. Zum Beispiel sollte die Maßnahme Berufsgeheimnisträger*innen wie Journalist*innen einen besonderen Schutz vor Überwachung einräumen, da diese mit ihrem unabhängigen Journalismus einen wesentlichen Beitrag zu unserer demokratischen Gesellschaft leisten, betonte Helene Hahn.

Auch forderte das Bündnis eine Ausweitung der ÜGR auf weitere Rechtsbereiche, die bisher nicht in der Ausschreibung des BMI und BMJ inkludiert sind. Ein Fokus sollte dabei vor allem auf dem Schutz besonders vulnerabler Gruppen wie Asylbewerber*innen liegen, die bereits heute Ziel einer Vielzahl von Überwachungsmaßnahmen sind und nur sehr begrenzte Möglichkeiten haben, sich davor zu schützen.

Worauf es jetzt ankommt

Schließlich zeigte die Diskussion zwischen den Parlamentarier*innen und dem Bündnis F5 über das Zusammenspiel von EU-, Bundes- und Länderebenen sowie das Schwachstellenmanagement im Kontext der ÜGR, dass viele der zivilgesellschaftlichen Anliegen parteiübergreifend auf Zustimmung stoßen. Neben dem Wunsch nach einer breiteren öffentlichen Debatte kommt es aus Sicht des Bündnisses nun darauf an, trotz der Komplexität des Themas nicht davor zurückschrecken, die ÜGR mit einer begleitenden Freiheitskommission schnellstmöglich zu etablieren und durch die gesetzliche Verankerung einen langfristigen Prozess anzustoßen. Denn nur so hat die Überwachungsgesamtrechung das Potenzial, einen bedeutungsvollen Schutz von Freiheitsrechten zu gewährleisten und zu einer neuen Leitlinie für die Sicherheitspolitik der nächsten Jahrzehnte zu werden.

Bezahltes Wikipedia-Schreiben in der Belletristik

Monday, 12 September 2022 20:02 UTC

Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den Wind. Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird. Die weniger peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend sind.

Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen Bezugspunkten zu unserer Welt. Und selbst dort kommt Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es geht um „Moon over Soho“ von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen 2012 bringt es der Roman auf den Punkt:

Auf deutsch etwa:

„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz, können etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren. Lady Tys Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem PR-Schreiber verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen PR-Schreiber beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite ihren Vorstellungen entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer „Leute“ hatte eine PR-Agentur beauftragt, die einen Freelancer beschäftigt hatte, der das in einer halben Stunde runtergeschrieben hatte, damit er sich schneller wieder auf den Roman konzentrieren konnte, den er grade schrieb. Der Artikel gab preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu nicht weniger als einem Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder hatten von denen der Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu fahren aber jung genug um noch zu Hause zu wohnen.“

Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus anderen Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich zu stören. Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur den geringsten Mehrwert zu bieten.

Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012 richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der diskutierenden Community im Jahr 2022.

(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)

Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes scheint es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in dem jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen. Mit dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu „verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch raffinierter: Einfach einen etablierten Nutzer und dessen Vertrauensvorschuss nehmen und in dieser Tarnung PR-Edits durchführen.

Die Lyrik der Wikipedia-Auskunft

Monday, 18 July 2022 17:15 UTC

Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr teilhaben.

Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben, räuspere mich noch einmal und deklamiere:

Honda Motorrad,
6-Zylinder,
6 Vergaser,
Blockmotor quer,
luftgekühlt.

Alle Daten fehlen!
Keine Daten vorhanden.
Warum?

Die Frage stammte von einer nicht angemeldeten Person, die am 17. Juli um 16:19h mit der IP 2003:D4:2713:1F50:F120:9BAE:47CF:6C2A unterwegs war.

Beitragsbild: 2016-08-05 Tokaido Seki Juku Kameyama City Mie,東海道五十三次 関宿 DSCF6949☆ von: 松岡明芳 Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Wir waren dieses Jahr mit WikiAhoi wieder bei der SMWCon dabei. Die Konferenz zu Semantic MediaWiki findet zweimal pro Jahr statt, im Frühling in Nordamerika und im Herbst in Europa. Letztes Jahr waren wir schon in Wien dabei und dieses Jahr gings ins herbstlich-sonnige Barcelona. In freundlicher, persönlicher Atmosphäre wurden technische Neuigkeiten, innovative Projekte und besondere Anwendungsfälle besprochen. Wir möchten Sie an den wichtigsten Neuerungen teilhaben lassen.

Neuigkeiten aus der Semantic MediaWiki-Welt

Semantic Forms (Version 3.4 September 2015) hat sich mittlerweile als eigenständige Erweiterung etabliert und ist nun technisch nicht mehr von der Grunderweiterung Semantic MediaWiki abhängig. Weitere wichtige Änderungen:

  • Statt den Spezialattributen werden nun ParserFunctions eingesetzt.
  • Kartenbasierte Eingabeformate (Google Maps, Open Layers) sind nun möglich – diese werden nur eingesetzt, wenn Semantic Maps nicht vorhanden ist.
  • Weiters wird nun Cargo unterstützt, es lassen sich in Formularen auch Eingabeformate und die Autovervollständigungsfunktion aus Cargo nutzen.
  • Dazu kann man nun auch „mapping“-Werte hinterlegen, das sind andere Werte, als auf der Seite angezeigt werden.
  • Ein neuer Parameter erlaubt es, nur einzigartige Werte speichern zu lassen.
  • Alle roten Links können nun mit einer einzelnen Einstellung auf eine Formularauswahlliste weitergeleitet werden.

Die MediaWiki Stakeholder’s Group nahm die Konferenz zum Anlass, um weitere Schritte zu besprechen: Ziel der Gruppe ist die Koordination und die Kommunikation mit Wiki-Nutzern in Unternehmen, die Unterstützung von Entwicklern und Administratoren und die offizielle Kommunikation mit der Wikimedia Foundation. Wikipedia hat etwas andere Ziele als einzelne Drittnutzer der Software MediaWiki. Es geht also stark darum, die Interessen der Nutzer von Wiki in Unternehmen zu vertreten und in der Weiterentwicklung der Software voranzutreiben.

Interessante neue semantische Erweiterungen gibt es zu Breadcrumbs, Zitaten, Sprachenlinks und Metatags:

Und warum „eine Konferenz mit Folgen“? Diese Konferenz hat Folgen auf mehreren Ebenen: Wir haben persönliche Kontakte für Zusammenarbeit und Austausch geknüpft, es wurden Ideen beflügelt und Inspirationen für neue Projekte ausgetauscht, die Motivation wieder gestärkt, das Projekt MediaWiki als Ganzes voranzubringen und nicht zuletzt viele Features und Software-Änderungen besprochen, die in der Regel meist recht schnell umgesetzt werden. Die Konferenz war somit ein voller Erfolg.

Die Konferenz fand von 28.–30.10.2015 in Barcelona statt, in der schönen Fabra i Coats Kunstfabrik im Stadtteil Sant Andreu. Knappe 40 Teilnehmer nahmen an einem Tutorial- und zwei Konferenztagen teil.

WikiPRedia

Tuesday, 23 November 2021 17:31 UTC

Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal, die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema wabert ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch dieses Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg ist noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die Komposition eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum, Cembalo und Spottdrossel.

Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das Nächstbeste: ein Gedicht.

Wikipredia

Die Regeln
existieren und doch nicht
nach Mondstand

Die Ethik
absolut seit Anbeginn
nein denn ja

Die Praxis
gesperrt verworfen gelöscht
freigeschaltet

Wikipredia
Darwinismus der Agenturen
Überleben des Dreistesten

Allein mit der Madonna zum Hasen

Thursday, 30 September 2021 19:49 UTC

Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch Hall)

Wikipedia-KNORKE erwähnte ich ja an dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es etwas besonderes: Auf ins Museum!

In Berlin gastiert gerade die Darmstädter Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim dem Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde des 16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre faszinieren. Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung der Autorin des exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.

Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner Gruppe vor dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden über eine Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna und zur Sonderausstellung "Holbein in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in dessen Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen, sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der besseren Kunstausstellungen.



Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage des Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der Reformation war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und seine Falte. Wir staunten über die Eigentümlichkeit, dass sich niemand auf dem Gemälde eigentlich anschaut und wurden über dden Unterschied zwischen Schutzmantelmadonnen und Stifterbildern aufgeklärt. Vermutungen tauchten auf, wo das Bild wohl im Original hing - vermutlich in der Martinskirche als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis hin zum Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin zum spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth. Die Meinungen über die Sammlung Würth in der Gruppe waren durchaus geteilt, ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist es nun eher die Darmstädter Madonna oder eher die Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?

Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner Madonna und einem der prägenden Momente deutscher Kunstgeschichte: dem Dresdner Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten der Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich für das Darmstädter Gemälde. Eine Sensation,  da die Kunstkennerschaft vorher felsenhaft von der Originalität des Dresdner Gemäldes ausging. Hier zeigte sich erstmals das Bemühen, um eine rein sachlich, objektive Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der Dresdner Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die Kunstwissenschaft als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich später herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem ihren Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die originale der beiden bestätigten.

Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes (beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in das Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".

Hans Holbein der Jüngere: Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze in London, 1532. Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm. Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz

Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die beiden Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren der Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in der Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp einer Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch noch mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich begleitete wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und London. Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt. Nachdem wir dann noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie immer im Bodemuseum nicht ganz einfach und jedes mal findet man zwischendurch neue Säle) folgte noch ein erschöpfter Abschlusskaffee.

Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu entdecken.

Wen wählen in das Board der Wikimedia Foundation?

Friday, 20 August 2021 21:03 UTC

Vorweg, für die Eiligen

Meine Wahlvorschläge

  • Top 4: Douglas Ian Scott, Iván Martínez, Adam Wight, Dariusz Jemielniak
  • Top 8: Rosie Stephenson-Goodknight, Lorenzo Losa, Farah Jack Mustaklem, Gerard Meijssen
  • Wählbar: Reda Kerbouche, Pavan Santhosh Surampudi, Ravishankar Ayyakkannu

Wichtige Links

Vote now für das Wikimedia-Board

Für die nicht so Eiligen

Über den Dächern, Türmen und Gasometern Westberlins senkte sich die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen des Ullstein Castles und sinnierte. Direkt unter mir Straßentreiben, Sirenen, betrunkene Jugendliche, ein Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde Ausflügler überquerten die Stubenrauchbrücke.

In der Ferne betrachtete ich die Türme des Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen Wasserturm im Naturpark Schöneberger Südgelände. Heute Nacht auf dem Heinweg: Welchen Weg sollte ich wählen? Unten, im Süden, über den Prellerweg vorbei am Sommerbad am Insulaner? Die Nordvariante über den Tempelhofer Damm und durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder die Mittelweg, mit Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später über den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.

Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich, unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein einzelnes Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge stellt, richtig ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.

Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit der Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team Tödenhöfer über Volt bis zur Tierschutzpartei. Und so sehr es mich schmerzte das zu sagen: Das Plakatgame gewannen bisher die CDU und ihr Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl optisch – als auch damit, überhaupt inhaltliche Aussagen fern von Plattitüden zu machen.

Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl. Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf Deutsch das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung. Die Wikipedia steht meinem Herzen näher als der Bundestag und selbst als der Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern merh Gedanken. Diese Gedanken bedurften des Kontextes.

Was ist die Wikimedia Foundation?

Die Wikimedia Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik, ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den Wikipedien passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450 Angestellte, ein Endowment von 90 Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen US-Dollar.

Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten. Sie ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere schreiben keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit Artikel oder legen Inhalte in den Projekten an.

Die Foundation ist eine Organisation eigener selbstgenügsamer Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und ist – rechtlich – niemand rechenschaftspflichtig. Das Board besetzt sich prinzipiell aus sich selbst heraus. Es hat entschieden die Hälfte der Sitze Wahlen der weltweiten Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu lassen.

Was ist das Board of Trustees?

Das Board of Trustees ist das ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16 Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben Sitze besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine weltweite Communitywahl bestimmt.

Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und „weltweit / 450 Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar Einnahmen“ klar, dass das Board eine abstrakte Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick über so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe. Dieser Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine bestimmte Richtung zu lenken, eine Herausforderung.

Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß. Seiner Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die Vollzeitkräfte machen und besetzt die Geschäftsführung.

Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die Geschäftsführerin der Foundation Catherine Maher verschwand im April 2021 überraschend. Der Posten ist seitdem unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief Operations Officer im Jahr 2021 verabschiedete, die Abteilungen Communication und Technology auch niemand im Vorstand haben. Auf dem Schiff besetzt nur eine Notbesatzung an Offizier*innen die Brücke. Dem Board obliegt es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell und kompetent zu beenden.

Welche Kriterien habe ich?

Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei Kriterien erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele teilen. Und sie sollte in der Lage sein, sich in einem ehrenamtlichen Job gegen eine komplette Organisation aus Vollzeitangestellten zu behaupten. Oft genug stehen bei solch ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur Wahl, bei denen ich denke „Will Schlechtes, aber wird das erreichen“ und „Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt Chaos.“

Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit, möchte ich Kandidat*innen, die sich durchsetzen können. Kandidat*innen, die nach Möglichkeit die US-Zentrik der Foundation aufbrechen können. Ich möchte Kandidat*innen, die verstehen, dass Wikip/media keine allgemeine Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr spezifische Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt nicht kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine Weltbeglückungsziele zu stürzen, die weder die Foundation noch die Communities umsetzen können.

Wählenswert: Adam Wight. Bild: Recent selfie. Von: Adamw Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Welche Kandidaten?

Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.

Die Urgesteine

Dariusz Jemielniak – Professor of Management, daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.

Rosie Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup, Women in red, you name it. Bei überraschend vielen der Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie Stephenson-Goodknight beteiligt.

Gerard Meijssen – gefühlt war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab. Vielleicht der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein Chaot.

Mike Peel – langjähriges Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC) Hat bei mir in der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck hinterlassen.

Ravishankar Ayyakkannu – Mr. Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005 in der Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero, Google) zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte, weil er nicht nur aus dem Global South stammt, sondern auch Ausbildung und Berufstätigkeit dort durchführte.

Wählenswert: Dariusz Jemielniak Bild: Dr. Dariusz Jemielniak – Wikimedia Foundation Board von: VGrigas (WMF) Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Im Wikiversum aktiv


Reda Kerbouche – Aktiv bei Wikimedia Algeria, Founding member der Wikimedia of Tamazight User Group. Lebt in Europa.


Lorenzo Losa – Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.


Farah Jack Mustaklem
– Software Engineer, einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software. Aktiv bei den Wikimedians of the Levant und der Arabic language User Group. Mir persönlich zu sehr USA-sozialisiert für eine Board-Mitgliedschaft, andererseits sicher in jeder Hinsicht kompetent.

Douglas Ian Scott – Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der Wikimania 2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen Wartepause am Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens persönlich besser kennenlernte – und begeistert war.

Iván Martínez – langjährig engagiert bei Wikimedia Mexiko, LGBTQ+-Aktivist und soweit ich hörte, das Wikiversum Lateinamerika ist begeistert von ihm.

Pavan Santhosh Surampudi – Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich professionell etwas von Communities.

Adam Wight – Programmierer, Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard der Vertreter des Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen Movements.

Vinicius Siqueira – in Wiki Movimento Brasil

Newbies

Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit größeren Organisationen im Wikiversum fehlt vollkommen.

Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur

Wen werde ich wählen?

Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die Grenzen des Wikiversums sinnvoll einschätzen können. Perspektiven auf das Leben, anders aussehen als „in US-NGOs sozialisiert“ werden bevorzugt.

Die Top 4

  • Douglas Ian Scott
  • Iván Martínez
  • Adam Wight
  • Dariusz Jemielniak

Top 8

  • Rosie Stephenson-Goodknight
  • Lorenzo Losa
  • Farah Jack Mustaklem
  • Gerard Meijssen

Wählbar

  • Reda Kerbouche
  • Pavan Santhosh Surampudi
  • Ravishankar Ayyakkannu

Wer wird wählen

Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen zu haben, kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt gesperrt zu sein. Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind somit einfacher zu erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in der deutschen Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021 erfüllt sein. Es hilft nicht, jetzt noch schnell zu editieren.

Das Wahlsystem

Es gilt das Präferenzwahlsystem. Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als besonders fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen weniger als viele andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings nur selten eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl in letzter Zeit war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New York.

Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen nach Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der Kandidat danach eine zwei und so weiter. Hält man keine Kandidatin mehr für geeignet, hört man auf zu nummerieren.

Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen mit „1“ gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten davon. Dieser scheidet aus. Von allen „1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die „2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf die entsprechenden weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis nur noch so viele Kandidatinnen übrig sind, wie es Plätze zu besetzen gilt.

Zur Wahl

Geht es hier.

Beitragsbild: Die Apostel wählen einen zwölften Zeugen als Ersatz für Judas. Aus dem Rabbula-Evangeliar.

Wiki Loves Jules Verne. Mit Wikipedia in Braunschweig.

Tuesday, 17 August 2021 08:28 UTC


Mensch-Maschine Braunschweig


Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am Bahnsteig. 

Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren.  Eine Frau entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken „Also 22 statt der angezeigten 32.“

Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch deutscher?

Illustration aus dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de Neuville & Léon Benett


Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:


„Meine Mutter nannte dann immer eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken, Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt. Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer fanden sich kulturell kaum zurecht.“

Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und Musicaldarsteller?




Forschung Maschinenbau Braunschweig


Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt schlägt mir „Deutscher Ingenieur“ rechts und links um die Ohren. Braunschweig hebt das Thema "autogerechte Stadt" in Höhen, die selbst mir als gebürtigem Hannoveraner unerreichbar schienen.

Braunschweig. Bahnhofsvorplatz.


VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle und wurde prompt begrüßt mit „Tag des Maschinenbaus. Herzlich Willkommen.“



Vor allem aber  fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte  keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle, über die irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel verwunderlicher war, dass selbst die in Braunschweig reichlich vorhandenen 1970er-Großbauten gepflegt und sorgsam hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber, offensichtlicher spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser gepflegt als Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen darum herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie frisch aus der Packung genommen.

Wegbier. In Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber stilgerecht,


Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen gesperrt. Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement eine Rolle, sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.

Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch schon ins Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7 Geräte) nachlesend, wie das nun ist mit Braunschweig. Bekanntes taucht beim Nachlesen auf: Die physikalische-technische Bundesanstalt mit der Atomuhr; geahntes lese ich (Volkswagen – hey, das ist Niedersachsen und die Technische Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:

„Im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verfügt die Region Braunschweig über die höchste Wissenschaftlerdichte,[103] im bundesweiten Vergleich über eine hohe Ingenieurquote[104] sowie über die höchste Intensität auf dem Gebiet der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie 20.000 Beschäftigte in 250 Unternehmen der Hochtechnologie[106]“

Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren EU-Rangliste ist Braunschweig  die innovationsfreudigste Region der EU vor Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der deutsche Ingenieur. Hier lebt die deutsche Technik. Was für ein passender Ort für Jules Verne.


Jules Verne


Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts und vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller wie Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von der Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der Erde bekannt. Wikipedia und die Deutsche Jules-Verne-Gesellschaft hatten ein gemeinsames Wochenende organisiert mit einer Tagung zu Jules Verne und Gesprächen zu Wikipedia.

Volker Dehs bestreitet das halbe Programm


Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den 1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen blau eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so anders war als die großen mir bekannten Abenteuerromane von Jules Verne. Warum ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich hätte nur schwerlich begründen können, was genau mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in die Veranstalter, Science Fiction und Neugier auf diese andere niedersächsische Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.

Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt er als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans, Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene Bibliographen waren Thema und Anwesend, ebenso wie die phantastische Bibliothek in Wetzlar – die Mischung der Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich gar nicht so sehr von der Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die Perspektiven, aus denen Verne hier unter die Lupe genommen wurden, waren vielgestaltiger als sie es in der Literatur sonst sind. Faszinierend hier war die Neigung unterschiedlicher und leicht besessener Menschen sich zu einem Thema auseinanderzusetzen.

Haus der Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.



Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen Büchern durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein, während auf Verne eher zurückgeht, dass alles menschliche Streben gegenüber der göttlichen Macht sinnlos bleibt? Wen inspirierte er? Ist es eine sinnvolle Frage, dem nachzugehen, welche seiner Voraussagen, sich bewahrheiten? Dazu kamen dann noch Exkursionen zu Friedrich Gerstäcker, Fenimore Cooper, die Ingenieure, die ihre U-Boote dann nach Jules Verne „Nautilus“ nannten – und stark von diesem beeinflusst waren

Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie die Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent werden wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken beeinflusste. Romancier war er eher gezwungenermaßen – und verdiente mit seinen zwei erfolgreichen Theaterstücken in seinem Leben ein Viertel so viel Geld wie mit etwa 80 bis 100 Romanen.

Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman "der Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was niemand der Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine Dreiviertelstunde später kam die Bemerkung in einem anderen Zusammenhang, dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes einziges Buch mit einer weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen Zusammenhang, Update: Es kam wie es kommen musst. Da denke ich mal, ich habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas falsch verstanden. Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht das einzige Werk mit einer Protagonistin. Das prägnanteste Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr. (*Affiliate Links)

Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von Vernes Werk gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört, sondern es (fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo Verne Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet, dienen diese vor allem dem Zweck zu reisen.

Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen Strahl.

Die Phantastische Bibliothek


Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur mittelbar mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen Bibliothek Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le Blanc auf Wolfgang Thadewald. Den großen Phantastik- und Jules-Verne-Sammler. Thadewald verstarb 2014. Er lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner Sammlertätigkeit, seiner Liebe zu Büchern und zu Menschen, aber auch die Besessenheit mit der Thadewald an ein Thema heranging und auch von Krankheit schon schwer gekennzeichnet das Arbeiten an Bibliographien nicht lassen konnte – es ließ sich nicht anders beschreiben als bewegend. Sicher war dieser Vortrag mein emotionaler Vortrag des Programms.

Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen: Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die Berichte  werden manchmal von öffentlichen Stellen, öfter von Großunternehmen bestellt, die damit selber zukunftsfähig werden wollen und in die Zukunft denken.

So als Beispiel: Nanotechnische Ideen in der Science Fiction



Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.

Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die größte Bibliothek ihrer Art im Hintergrund und seit mittlerweile einigen Jahren eine große Datenbank aufgebaut, was Autoren zu verschiedenen Themen schreiben.

Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich durch gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen Büchern im Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen muss, dass ein Roman nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass es nichts gibt, was so sehr Denkprozesse auslösen und Kreativität triggern kann, wie Romane. Der befreit das Hirn gerade vom strikt logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die Perspektive etwas nach links oder oben, und schon öffnen sich vollkommen neue Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es überraschend ist, dass sie wirklich angenommen wird. Anscheinend wird sie das.


Mensch Maschine Normal


Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste Handy-Ticket meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder. Ist diese Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so unfassbar „normal“ vorkommt, vielleicht die große Ausnahme? Sind die Musicaldarsteller, die mit „dem Alex“ [Alexander Klaws] telefonieren, normal? Die Menschen im Ministerium? Die größten Jules-Verne-Experten des Landes, die alle noch einen anderen Brotjob haben? Oder eher die Normalität vieler Menschen, die darin besteht, am Ende des Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10 Tage mit dem leeren Konto noch überbrückt werden können?





Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.

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Mit Wikipedianern kann man nicht nur Verne lesen, sondern auch Cocktails mischen: Ramos Gin Fizz für die Enzyklopädie.

Oder man läuft mit Wikipedianern durch den Wedding:Tanz auf dem Guglhupf, Automatenmaden und die „brutalism appreciation society“ im #wedding

Mehr zu Future Life bei der phantastischen Bibliothek: Future Life. 

Zum Jules-Verne-Club

Die Wikipedia-Seiten zur Veranstaltung: Wikipedia:Wiki Loves Jules Verne

Beiträge zur Veranstaltung im Wikipedia-Kurier und im Blog von Wikimedia Deutschland.

Der grüne Strahl im Gesamttext bei zeno.org: Der grüne Strahl

Alle Iberty-Posts zur Kultur stehen unter: Kultur in Iberty!

Anmerkungen


Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:

„Nichts gegen das große Geld und die wenigen, die es genießen können, aber die Stärke mitteleuropäischer Gesellschaften liegt gerade in der Mischung. Für Reiche ist es in Singapur, Russland und Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping Malls gibt es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter Wasser und auf dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und Dunkle, Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und drängeln, gibt es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich, dass es in Algerien beispielsweise keine öffentlichen Schwimmbäder gibt oder dass man in den USA oder in Brasilien Mitglied in einem Club werden muss. Das ist eine teure und in vieler Hinsicht sozial sehr voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur um mit den Kindern mal schwimmen zu gehen, es sei denn natürlich, jeder hat seinen eigenen Pool im Garten, was, für mich zumindest, wie eine Definition von struktureller Langeweile klingt.“ (s. 104)


 

*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision, wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten bestellt.


Berlin celebrates old school #wikipedia15

Tuesday, 17 August 2021 08:13 UTC

I still remember the time when real life meetings for Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one really want to meet these strange other people from the Internet? How would they be? Could they even talk in real life or would they just sit behind a laptop screen staring on it for hours?

My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!) sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen. These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and personal in nature and no talk about projects, collaborations, “the movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians having a nice evening.

WP15 Germany Berlin 01
Bild: By Sargoth, CC BY-SA 3.0

So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the old school way. Half improvised, organized by our dearest local troll user:Schlesinger on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come and what would happen except some people having a good time.

And so It was. In the “Matzbach” in the heart of Berlin-Kreuzberg seven people promised to come, in the end we were almost twenty. Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians, a Wikipedian active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies and two and a half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from Wikimedia Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake, and we just talked and laughed, talked about history and future.  Actually, mostly we talked about future.

WP15 Germany Berlin 03
Bild: By Sargoth, CC BY-SA 3.0

About the Wikipedian above 30, who has just started a new a university degree in archaeology, the question whether the Berlin community should have its own independent space, industrial beer, craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the vending machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in the future, who should come to the open editing events, how to work better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t there, looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or rather not when planning something for Wikipedians, explaining Wikipedia to the newbie, the difficulties of cake-cutting and whatsoever.

No frustration, almost no talk about meta and politics, just Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old school. So good.

WP15 Berlin Torte angeschnitten

Die Verschwundenen

Tuesday, 17 August 2021 08:13 UTC

Crossposting eines Posts von mir aus dem Wikipedia Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja doch andere Menschen.

Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren und Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen sind und gearbeitet haben.

Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren. Wie armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka Wikifanten - fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die entschwanden. Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es um lauter einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben, Arbeitsstilen und Interessen geht, die in Wikipedia tätig waren und sind. Es gibt vor allem diejenigen, die kommen, einen Beitrag leisten und dann wieder verschwinden. Der größte Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von Menschen und Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im Artikelnamensraum aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie unermütlich über viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an einen oder zwei Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass sich fast nichts über sie sagen lässt. Vielleicht sind die Beitragenden per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr fleißige Autorin? Wer weiß?


 Viele Wikipedianerinnen und Wikipedianer sind derzeit inaktiv.

Anlässlich des Projektes WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat, musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir unbekannter Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten Wikipedistas waren dort vor allem mir unbekannte Accounts. Accounts, die oft aufgehört haben zu editieren. Meist sind sie still und leise gegangen. Ihre Edits und Kommentare geben keinen Hinweis warum. Aber anscheinend war es anderswo schöner. Oder sie hatten den Einruck, alles in Wikipedia geschrieben zu haben, was sie beitragen wollten. Um diesen Autorinnen und Autoren zumindest nachträglich etwas Aufmerksamkeit zu geben, um ihre Namen kurz aus den Tiefen der Versionsgeschichten zu retten, sollen hier einfach einige Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt werden, die sich um den Wedding in Wikpedia bemühten bevor sie verschwanden.



Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße. Ein Mammutwerk von Gtelloke, dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.


Bild: Die Chausseestraße 114-118 in Richtung Invalidenstraße von Gtelloke
Lizenz: CC-BY-SA 3.0



Da ist der Artikel zum Wedding selber. Angelegt 2002 von Otto, dessen letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und Schlafgängern waren Teil seines kurzen Werks, das im Wesentlichen nur zwei Wochen im November 2004 dauerte, aber die Grundlagen wichtiger Artikel zur Berliner Sozialgeschichte legte. Ein Blick auf seine Benutzerseite zeigt auch den Geist der Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König ist tod, lang lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes! Licht und Liebe''

Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64, auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier, mal die Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort, Hinzufügen und Löschen von berühmten Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute noch aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen Artikel etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.

Der Leopoldplatz; angelegt von Frerix, der in den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie auch nur eine Benutzerseite für nötig hielt und anscheinend auch in keine Diskussion verwickelt wurde.  Zu seinen wenigen Beiträgen gehören neben der Anlage des Leopoldplatzes auch noch die Anlage der englischen Stadt Sandhurst, die Anlage des Kreuzviertels in Münster und des Three Horses Biers. Dann war er/sie wieder weg. Mutter des Artikels ist hier aber 44Pinguine, die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute noch aktiv ist.

Da wäre das Wahrzeichen des Weddings. Die Alte Nazarethkirche. Der Artikel stammt vor allem von 62.246.210.30.


Bild: Leopoldplatz, Ev. Alte Nazarethkirche, 1832–35 von Karl Friedrich Schinkel von Schliwiju

Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so entscheidend wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte in seiner Frühzeit von WHell, engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ. Der letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo WHell, ich möchte Dich als den Hauptautor darüber informieren, dass ich den Artikel John Bull (Lokomotive) in die Wiederwahl zum Exzellenten Artikel gestellt habe,“ Größere Beiträge zur WEG folgten in den späteren Jahren durch Peterobst – aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit Beiträgen zur Berliner Industriegeschichte, nach seiner Benutzerseite AEG-Kenner und in Arbeit an einem Buch über den Konzern. Es folgten 80.226.238.197, von Georg Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht unregelmäßig), Flibbertigibbet 2006 , 79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen 44Pinguine. Weiter ausgebaut von Onkel Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben !“ und hielt sich im Wesentlichen daran.

Da ist der Volkspark Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005, aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich ausgebaut, umfassend überarbeitet 2007 von 84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka. Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009 und 2014, die Edits waren wenige, aber die Qualität war hoch.


Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in Berlin, Wedding (Mitte). Von: Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv, Magadan, Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.

Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen. Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts und IPs an den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren deutlich weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in den von mir angesehenen Artikeln verteilen sich auf 44Pinguine,  Fridolin freudenfett und Definitiv. Wikipedia wird kleiner und noch lebt sie. Aber wir können all‘ den Verschwundenen danken, die vor uns kamen.

Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder über Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad auch der serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt übernommen haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer Meinung sind, rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.

Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon zumindest ein Admin gebannt.

Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht; oder genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil Polen einen Genozid an Deutschen verübt hätten.

Der ganze Bericht kann hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es geht aufklären und nicht Propaganda verbreiten!

IeS: Blog ist zurück

Friday, 16 April 2021 21:38 UTC

Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen, sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir Glück 🙂.

Wahl: Oversighter-Wahlen

Friday, 16 April 2021 21:11 UTC

Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche: Viel Erfolg!

Gab es in der DDR Spaghetti?

Friday, 26 March 2021 09:39 UTC

Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die Seite zur Auskunft. Dort können Menschen mögliche und unmögliche Fragen stellen, die dann mal launisch, mal larmoyant, mal ernsthaft oder auch gar nicht beantwortet werden. Wie im wahren Leben und eine ewige Fundgrube obskuren Wissens, seltsamer Fragestellungen und logischen Extremsports.

Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad (1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo: 102.



Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:

 "Warum gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und ist mir auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden Verwandtschaft bestätigt worden. Warum?"

Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige Diskussion, die immerhin folgendes ergab:

* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli, darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR ähnelte in vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als dies für die westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die mangelnde Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter, Italienreisen, Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce Carbonara!


Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild: Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von: Brian Ammon, Lizenz: CC-BY-SA 3.0
 
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti, Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika des geteilten Deutschlands.

Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber? Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?

Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die dortige Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das heimische "Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des Badischen Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in Karlsruhe, kennt sowohl Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt für heute: die Makkaroni werden in "halbfingerlange Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30 Minuten gekocht.

Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden erklärt als "Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte. Beim Einkauf achte man darauf, daß sie nicht hohl sind"

Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.

Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren "Macronen" waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden in Prag und Wien echte Makkaroni-Fabriken.

Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours für junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und klassische europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf der Tour aber anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen kennenlernten, sondern auch Pasta.

Philip Dawe, The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade (1773) - 02
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild: Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade, 1773.

In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow who dressed and even spoke in an outlandishly affected and epicene manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch: "Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl auch die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.

Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen Männern ist nun wiederum im Englischen der Macaroni penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.


Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil, nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South Georgia von Liam Quinn, Lizenz: CC-BY-SA 2.0

Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit wann? Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert. Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich relativ problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende ’ngegno da maccarun anschließen lies, die es den Neapolitanern ersparte stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu kneten: im Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer, je nach Form des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und damit unter anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen Fäden zum trocknen in die süditalienische Sonne gehängt.


Sommer, Giorgio (1834-1914) - n. 6204 - Napoli - Fabbrica di maccheroni
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild: Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo: 6204. 


Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum die Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die Tomatensauce in der Schweiz ließen? Warum gibt es in Deutschland kein Äquivalent zu "Macaroni and cheese" (mehr)? Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der DDR, bei dem es Pasta, Sauce und Käse schon in einer Packung gab? Warum sind Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in vielen anderen Ländern aber dicker und hörnchenförmig-gebogen? Es ist hochspannend. Und ein Grund, noch viel mehr zu recherchieren.

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Eine Investigation: Es gibt kein Mirácoli Carbonara mehr.

Coolest Wikipedia Tool 2020: Pywikibot

Thursday, 7 January 2021 17:31 UTC

Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die besten Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken. Eines davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.

Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger vereisen ließ.

Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener, Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen gezeichnet. Der Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht blies, trieb die Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles war geschlossen und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht mehr sehen. Über der Szene kreiste ein hungriger Taubenschwarm.

„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ Hüpfburg. „So viel Platz! Fast das ganze Hafengelände gehört uns. Und wir können uns problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“ – Sie antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt. Ich bibbere. Das letzte Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im Rozbrat mit meiner ehemaligen Band aufgetreten: „Pierdzące Zakonnice“.

Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu erfrieren.

Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es nur scheißkalt. Ich gehe.“

Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an ein Video erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte: „Wikimedia Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ Hüpfburg für die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern, postete ich ihr den Link.

Southgeist: https://www.youtube.com/watch?v=zYM4k_LD_9w – Tools sind doch was für Dich

Hüpfburg: click

Hüpfburg: Das ist Wikipedia. Was soll ich damit?

Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen. Fast nur Technik und kreative Sachen.


Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll gehen?

Southgeist: Schau doch mal.

Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang Berliner Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine Lautsprecher wären kaputt.

Hüpfburg: I like the music.

Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.

Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia schauen? In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen Priester vom Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage mir lieber, was für Tools vorkommen.

Die coolest Tools

Ich erzählte.

Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser (Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“), SDZeroBot generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder Benutzer noch ihre Seiten“), Proofread Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch spießiger?“), Listen to Wikipedia („Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei Wikipedianer kommen und einander heiraten wollen, werde ich das Tool in den Event integrieren“), AbuseFilter („Zu sehr Polizei“), LinguaLibre („I like“), und Pywikibot – ein Tool zum Erstellen weiterer Tools. („Das klingt spannend – erzähle mir mehr.“)

Pywikibot

Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit überschaubarem Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an einem der bereits auf dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen. Die Bots können prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von MediaWiki-Wikis auch können – nur schneller.

Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich bedeutet: jemensch muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das dauert länger als ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel, wo es eine hohe Zahl gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben ist das wenig – zum Anpassen von Formalien ist es super. Und dazwischen liegt ein Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht alles ist erlaubt – und um die Kontrolle zu wahren, hat der Pywikibot einen automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot absichtlich ausbremst.

Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus dem Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die aktuelle Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die Community, die sich um das Framework kümmert, hat eine dreistellige Zahl von Mitgliedern und ist so international, wie es die frühe Wikipedia war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus würde ich auch sagen, was Charaktertypen und Soziodemographie angeht, ist die Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der Ur-Wikipedia als die heutigen Wikipedistas.

DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese Tool-Awards sind solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework gibt es seit fast 20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast 15 Jahren. Ist der Award so langsam oder gibt es so wenig Neues?“

Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden. Wie bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft aber nur selten fundamental Neues.

Change Musiker to Musiker*innen

„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video nach zu urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine wichtige Aufgabe erfüllt.

DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot alle ‚Musiker‘ in Wikipedia durch ‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene Hindernisse. Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“

DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch, würde sie einen beigen Pullunder über weißem Hemd tragen und Leserbriefe an die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber ich kann mein eigenes Wiki aufsetzen und da noch Herzenslust alles bot-mäßig umbauen?“

Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel zu tun und die sind superfreundlich dort.“

DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in Wikidata! Das wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der Kutsche, die dann doch nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends spielten wir Mozart. Da haben die Squatter angefangen mit Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter dem Gong geduckt und ich ein Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich noch an den einen Tänzer, der allein Stand und Luft-Küchenmaschine gespielt hat. Ein Arm angwickelt am Körper als würde er die Maschine an sich drücken, mit dem anderen weit ausholende Bewegungen, um dann auf dem Einschaltknopf zu laden.“

„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock versetzt und die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir alle Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris, Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer Studentinnen“ sagte mal eine Professorin. Kasia wäre fast dieses Jahr in der Philharmonie aufgetreten. Aber Deine komische Wikipedia hat immer noch keinen Artikel von ihr.“

Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“

Ruhe. Hüpfburg dachte.

„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle Personen auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in Wikipedia anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das müsste doch gehen. Vielleicht ist es einen Versuch wert.“

(Beitragsbild: Brødmaskin med striper i mange farger von: Øyvind Holmstad Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International