Das erste Mal seit 2019 trafen sich in Belgrad rund 100 Wikimedianer*innen aus aller Welt, die neben der Leidenschaft für die Wikimedia-Projekte vor allem das Engagement eint, das vielfältige Wikiversum im Kontext von Bildung, Lernen und Outreach zu nutzen und damit Bildungs- und Lernprozesse zu gestalten.

Die EduWiki ist eine internationale Konferenz für und von ehrenamtlichen Wikimedianer*innen, die im Bildungsbereich unterwegs sind und die Wikimedia-Projekte – Wikipedia, Wikidata, Wikimedia-Commons etc. – für ihre Bildungsarbeit nutzen. Organisiert wird diese Konferenz von der Usergruppe EduWiki sowie einem Wikimedia-Affiliate und Chapter. In diesem Jahr hat Wikimedia Serbien die Gastgeberrolle übernommen und vom 25.-28.5.23 nach Belgrad eingeladen.

So vielfältig wie die Teilnehmenden der Konferenz – von einer Medizindozentin aus Indien über einen Wikipedianer aus Peru bis hin zu einer Community-Organizerin aus Ruanda –, so vielfältig sind auch die Ansätze, wie Bildung und Vermittlung mit Wikipedia und Co. weltweit gestaltet werden. In Regionen, in denen eine Internetverbindung nicht selbstverständlich ist, werden Wege gefunden, Lernprojekte mit und zu Wikipedia offline zu gestalten. An anderer Stelle wird von Hochschulkursen berichtet, in denen Studierende darüber diskutieren, welchen Einfluss generative KI-Anwendungen auf die Content-Erstellung in Wikipedia haben. Ähnlich wie Wikimedia Deutschland macht Wikimedia UK Bildungspolitik, wenn sie zeigen, welchen Einfluss Wikimedia-Projekte auf Demokratieförderung haben können. Die Bandbreite der Diskussionen rund um Bildung und Lernen ist enorm groß und divers.

Auch international ein großes Thema: Künstliche Intelligenz in der Bildung

Gerade die Entwicklungen generativer künstlicher Intelligenz am Beispiel von ChatGPT hat auch die Diskussion bei der EduWiki geprägt. Wie gehen wir damit um, wenn sich Such-, Lese- und Arbeitsgewohnheiten der Menschen verändern und ChatGPT als Lernpartner*in genutzt wird? Eine Antwort aus dem Wikimedia-Movement könnte lauten: Lasst uns die Stärken unserer Projekte nutzen – kritischer Umgang mit Quellen und Herkunft, kollaboratives Arbeiten, Transparenz und Offenheit –, um Lernende und Lehrenden den kritischen Umgang mit KI-Anwendungen zu lehren. Und lasst uns KI dort nutzen, wo sie die Wikimedia-Projekte stärken kann, z. B. beim Auffinden von Wissenslücken in den Projekten.

Die bildungsbegeisterten Wikimedianer*innen eint die Gewissheit, dass Wikimedia-Projekte für Zugang zu freiem Wissen, verlässliche Informationen und offene Bildung stehen und Menschen weltweit Lernen und Lehren ermöglichen. Mit Bildungs- und Vermittlungsarbeit können und wollen wir Menschen erreichen, damit sie von Lesenden zu Lernenden und Beitragenden werden. Weltweit – und gerade an Orten, an denen Freies Wissen sonst rar ist – können Menschen mit und durch Wikimedia-Projekte die Welt verstehen und mitgestalten. Diesen Schatz gilt es zu wahren, zu erweitern und gerade mit Blick auf die rasanten Entwicklungen rund um KI-Anwendungen zu transformieren. Dafür braucht es Bildung und Vermittlung als Kernaktivitäten im Wikimedia-Movement.

Welche Impulse und Perspektiven bringe ich aus dem Wikiversum zurück für die Bildungs- und Vermittlungsarbeit von Wikimedia Deutschland?

Wir müssen die Wikimedia-Projekte nach außen noch sichtbarer machen als wichtige Plattformen für innovative Bildungsarbeit:

  • Die Wikimedia-Prinzipien können mit ihren Grundprinzipien Transparenz, Offenheit und Community-Fokus wichtige Kompetenzen für einen informierten-kritischen Umgang mit KI-Anwendungen stärken.
  • Das gesamte Wikiversum und immer stärker auch Wikidata werden von unterschiedlichen Wikimedianer*innen als Tool für Bildungsarbeit und zur Sichtbarmachung von Bildungsprojekten wahrgenommen.
  • Nur wenige Chapter können aus Kapazitätsgründen Advocacy-Arbeit für offene Bildung machen. Wikimedia Deutschland ist hier Vorreiter*in und sollte diese Position stärker ins Movement tragen.
  • Wir können dabei die Stärke des Movements für unsere politische Arbeit nutzen. Und zeigen, dass die Wikimedia-Projekte als die weltweit größten OER-Projekte gelten und als Instrumente für information/data literacy zur Stärkung demokratischer Gesellschaften beitragen.

Wikimedia Deutschland auf der re:publica 2023

Thursday, 25 May 2023 09:03 UTC

Zum ersten Mal teilen wir uns in diesem Jahr einen Stand mit unseren Partnerorganisationen aus dem Bündnis F5. Gemeinsam mit AlgorithmWatch, Reporter ohne Grenzen, der Open Knowledge Foundation und der Gesellschaft für Freiheitsrechte setzten wir uns für einen Perspektivwechsel hin zu mehr Gemeinwohl in der Digitalpolitik ein. Neben dem Austausch mit Wikimedia-Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen aus den Wiki-Projekten bietet der F5-Stand also auch die Möglichkeit, mehr über die Arbeit unserer Partnerorganisationen und unsere gemeinsamen Ziele erfahren.

Unsere Sessions auf der re:publica 2023

05.06.2023, 16:15– 17:15 Uhr, Workshop Glashaus

Howto Kulturhackathon: Wie du mit offenen Daten digital kreativ werden kannst

In diesem Workshop lernt ihr das Format des Kulturhackathons kennen. Anhand konkreter Praxisbeispiele wollen Lambert Heller vom Open Science Lab beim Leibniz Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Heike Gleibs, Leiterin Bildung, Wissenschaft und Kultur bei Wikimedia Deutschland, mit euch gemeinsam herausfinden, wie ihr mit offenen Daten kreativ werden könnt und was es braucht, um die Kultur der Hackathons dauerhaft bei Akteur*innen aus Kultur, Bildung und Wissenschaft zu verankern.

05.06.2023, 20:00-21:00 Uhr, Stage 6 – auf Englisch

Strange, obscure, and interesting facts from Wikipedia – A Quiz with Depths of Wikipedia-creator Annie Rauwerda

Wie viele internationale Flughäfen sind nach Frauen benannt? Welche internationalen Großstädte sind am höchsten gelegen? Wie viele Päpste hatten wie viele Kinder? In diesem Quiz rund um Funfacts aus Wikipedia und Wikidata ist das Publikum eingeladen, mitzuraten. Moderiert wird das Quiz von Depths of Wikipedia-Erfinderin Annie Rauwerda, Jens Ohlig, Redakteur beim Tagesspiegel Hintergrund Digitalisierung & KI, und Stefan Kaufmann, Referent Politik und öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland.

06.06.2023, 17:30-18:15, ARD Perspective Lab

Von allen bezahlt, für alle nutzbar // ARD und Wikipedia für freies Wissen

Von allen bezahlt, für alle nutzbar: Die tagesschau (ARD) stellt ausgewählte Inhalte unter freie Lizenz. Somit können diese Inhalte bei Wikipedia eingebunden werden. Jeder kann sie nutzen und bearbeiten. Was versprechen sich die Beteiligten davon? Welche Erfolgsgeschichten lassen sich bereits erzählen? Und welche Probleme sind noch nicht gelöst? Diese Fragen diskutieren unser geschäftsführender Vorstand Christian Humborg und Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales bei ARD-aktuell. Das Gespräch wird von Konrad Spremberg, Moderator und Reporter der ARD, moderiert.

07.06.2023 11:15– 12:15 Uhr, Stage 3

Public interest on my mind. Gemeinwohl für die digitale Gesellschaft

Gemeinwohl kann technologische Innovation motivieren und als digitalpolitisches Leitmotiv dienen. Doch der Weg vom Ideal zur technischen und politischen Umsetzung lässt viele Fragen offen: Wem sollen gemeinwohlorientierte Vorhaben dienen? Und wie kann Gemeinwohlorientierung in politische Maßnahmen für unsere digitale Zukunft übersetzt werden? Darüber diskutiert Aline Blankertz, Referentin Politik und öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland, mit Theresa Züger, Leiterin AI & Society Lab / Forschungsgruppe Public Interest AI, und Chris Piallat, Herausgeber von „Der Wert der Digitalisierung – Gemeinwohl in der digitalen Welt“ und Referent für Strategische Planung im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Am F5-Stand gibt es kurz nach dem Panel die Möglichkeit zum Austausch mit den Panelist*innen.

07.06.2023, 12.30-13.30, Oberhafenkantine – auf Englisch

A citizens struggle: Combating disinformation by self organized online communities. Perspectives from Ukraine

Falsche und irreführende Inhalte zu bekämpfen ist für viele Online-Plattformen eine große Herausforderung. Mykola Kozlenko, Vice-Chair of Board bei Wikimedia Ukraine, Anton Protsiuk, Programs Coordinator bei Wikimedia Ukraine, Friederike von Franqué, Referentin EU- und internationale Regelsetzung bei Wikimedia Deutschland, und Mauritius Dorn, Senior Digital Policy and Education Manager beim Institute for Strategic Dialogue Deutschland, werden damit verbundene Fragen diskutieren: Wie funktioniert Community Governance, um diese Risiken zu managen? Welche anderen Möglichkeiten gibt es? Spannend wird auch der Erfahrungsbericht von Wikimedia Ukraine zum Umgang der ukrainischen Wikipedia-Community mit Desinformationsversuchen. Die Diskussion findet in englischer Sprache statt.

Wikimedia-Programm am F5-Stand

Auch am F5-Stand (M4) in der Arena Berlin wird es an allen drei re:publica-Tagen ein vielfältiges Programm mit Möglichkeiten zum Austausch zu den folgenden Themen geben:

  • 05.06., 13:00 Uhr: Meet-up für die Wikipedia-Community
  • 06.06., 12:00 Uhr: Meet-up zu Linked Open Data
  • 06.06, 15:00 Uhr und am 07.06., 10:00 Uhr: Was hat Wissen mit Gerechtigkeit zu tun? Fragen und Antworten zu re•shape – Ein Programm zur Förderung von Wissensgerechtigkeit
  • 07.06., 12:00 Uhr: Relevanzcheck für dein Wikipedia-Thema
  • 07.06., 13:00 Uhr: Meet-up zum Thema Gemeinwohl in der Digitalpolitik

Wer sich zu diesen oder weiteren Themen mit uns und unseren Partnerorganisationen aus dem Bündnis F5 austauschen möchte, ist herzlich an unserem Stand willkommen. Wir freuen uns sehr auf die re:publica 2023 und wünschen auch Euch ein tolles Festival!

FemNetz: Ein empowerndes Rhizom!

Friday, 19 May 2023 09:01 UTC

„Ein Rhizom ist in der Botanik ein meist unterirdisch oder dicht über dem Boden wachsendes Sprossachsen­system, das Blätter und Wurzeln miteinander verbindet” – so heißt es auf Wikipedia.

Diese Analogie wird gerne von den Aktiven des 2019 gegründeten FemNetz genutzt. Das FemNetz ist ein Zusammenschluss aus sich weiblich oder non-binär identifizierenden Aktiven und -Initiativen aus der deutschsprachigen Wikipedia, die sich für mehr Diversität in Wikipedia und ihren Schwesterprojekten einsetzen. Nach zwei digitalen Konferenzen in 2021 und 2022 fand nun die dritte FemNetz-Konferenz statt – zu Gast in der Stadtbibliothek und im Literaturhaus Stuttgart.

Für die rund 40 Wikipedianer*innen war es ein vollgepacktes Wochenende: Denn in den vergangenen Jahren sind zahlreiche Initiativen in unterschiedlichsten Formaten, Zielgruppen und Regionen entstanden, die es vorzustellen und für die es Mitstreiter*innen zu finden galt: Von feministischen Schreibgruppen wie WomenEdit in Berlin und Erlangen, TypIn*frauen*schreiben*wiki in Graz, über Unigruppen an der HU Berlin und Mannheim bis hin zur Online-Workshopreihe 60 Minuten Gender and Diversity in der Wikipedia.

Darüber hinaus teilten die Ehrenamtlichen Tipps, wie bei unterschiedlichen Aspekten der Arbeit auf Wikipedia eine feministische Ausrichtung gelingen kann: Worauf sollte ich bei Bildauswahl und -untertitelung achten? Wie gendergerecht ist Geschichtsschreibung und was bedeutet das für meine Arbeit in Wikipedia zu historischen Themen? Und wie kann ich Wikidata für feministische Anliegen nutzen?

Ein Rhizom kann sich weit ausbreiten, es ist widerstandsfähig und kraftvoll.

Wie der Name suggeriert, geht es beim FemNetz und den FemNetz-Konferenzen um Vernetzung und gegenseitige Unterstützung, um das Teilen von Erfahrungen und Herausforderungen. Besonders schön ist dabei, dass die Aktiven ganz unterschiedliche Hintergründe, Expertisen und Perspektiven mitbringen, was das Kennenlernen und das voneinander Lernen umso interessanter macht.

Die Teilnehmenden ließen während der drei Tage auch die Geschichte des Netzwerks Revue passieren, diskutierten über ihre weitere Entwicklung und darüber, wie das FemNetz und all die großartigen Projekte bestmöglich ihre Wirkung entfalten können.

FemNetz hat sich in den letzten Jahren zu einer Art festem Basis-Camp entwickelt, von dem aus wir zu verschiedenen Gipfeln aufbrechen. Das wollen wir beibehalten und uns gemeinsam wie ein Rhizom weiterentwickeln.

Kaethe17 ist Teil des Orga-Teams.

Beim Treffen in Stuttgart hat sich das Rhizom noch ein Stückchen weiter verwurzelt und ausgebreitet. Es bleibt spannend, welche Abzweigungen noch erwachsen und welche Gipfel noch erklommen werden.

Mehr über das FemNetz

Zur Projektseite

Folgende Initiativen und Projekte machen sich für mehr Diversität in der deutschsprachigen Wikipedia stark:

WomenEdit

Frauen in Rot

wiki:wo:men

60 Minuten

Who writes his_story

Internationale Gruppen und Initiativen:

Art+Feminism

Les sans pagEs

Veranstaltungshinweise der Wikipedia-Community auf einen Blick

Endlich hat das Warten ein Ende: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat am 9. Mai 2023 gemeinsam mit dem Projektträger Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die lang ersehnte erste Förderrichtlinie im Nachgang zur bundesweiten OER-Strategie vorgestellt. Bereits mit Veröffentlichung der OER-Strategie im Juli 2022 war die Ankündigung einhergegangen, dass es Förderrichtlinien zu den verschiedenen Handlungsfeldern geben würde. Die Spannung und Vorfreude der OER-Community war dementsprechend hoch, bei gleichzeitiger Ernüchterung aufgrund des langen Wartens und der Intransparenz im vorangegangenen Entstehungsprozess der Ausschreibung.

Wofür steht OER?

Als OER werden offene Bildungsmaterialien (Open Educational Resources) bezeichnet. Diese stehen unter einer freien Lizenz, sodass sie rechtssicher veröffentlicht, weiterverwendet und verändert werden können. Mit OEP sind in Anlehnung daran offene Bildungspraktiken gemeint (Open Educational Practices), die diejenigen Haltungen, Methoden und Kompetenzen inkludieren, die offenes Lernen und Arbeiten ermöglichen. 

Fokus auf die Stärkung der Community

Die OER-Förderrichtlinie steht im klaren Zusammenhang mit dem Handlungsfeld 6 der OER-Strategie, in dem die Zusammenführung der OER-Akteur*innen im Zentrum steht. Der Ausschreibungstext fällt jedoch deutlich umfangreicher aus: Es geht zwar zentral darum, bestehende Communities zu stärken, zu vernetzen und neue aufzubauen. Allerdings sollen auch neue Formen der Kollaboration und des Austauschs, „Rahmenbedingungen, Handlungspraktiken und Vorgehensweisen im Kontext der Verwendung von OEP und OER“ sowie „Inklusions- und Chancengerechtigkeitskonzepte“ entwickelt, erprobt und etabliert werden. Damit öffnet die Förderlinie den Raum für eine Vielfalt an Projekten und Vorhaben.

Was es noch braucht: OER strukturell verankern

Wikimedia ist ein Verein, der stark auf die Arbeit mit Communities setzt: Neben Community-Projekten wie der Wikipedia oder Wikidata geht es auch im Bündnis Freie Bildung um Aufbau, Pflege und Ausbau von Open Education Communities. Daher sind wir von Natur aus vom Community-Ansatz überzeugt. Wir wissen, wie zentral eine gut vernetzte, aktive, dynamische und beständige Community für den langfristigen Erfolg eines Projektvorhabens ist. Aus Sicht von Wikimedia Deutschland besteht allerdings eine der größten Herausforderungen für OER und OEP in deren Verstetigung und Verbreitung im Bildungssystem. Dafür müssen gesetzliche Rahmenbedingungen angepasst, OER-Policies für Einrichtungen erlassen und Inhalte in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pädagog*innen angepasst werden. Neben dem bottom-up Ansatz über Community-Arbeit und -Projekte hinaus sind also auch top-down Maßnahmen von Seiten der Bildungspolitik und -verwaltung erforderlich.

Offen bleibt wie es weitergeht

Derzeit ist allerdings offen, ob, wann und welche weiteren Handlungsfelder in Förderlinien umgewandelt werden. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund früherer Ankündigungen des BMBF enttäuschend, denen zufolge mit sechs Förderlinien entsprechend der sechs Handlungsfelder gerechnet wurde. Wir rufen das BMBF und den Projektträger daher auf, hier offen zu kommunizieren, um allen Beteiligten Planungssicherheit zu geben.

Wir hoffen sehr, dass diese Förderrichtlinie nur der Anfang ist und wir mit politischer Unterstützung und einer dann gestärkten Community die Strukturbedingungen für offene Bildung als Standardfall schaffen.

Links und Quellen

  • Bekanntmachung der Förderrichtlinie: Link
  • OER-Strategie: Link

Die globale Wikimedia-Bewegung hat sich mit der „Wikimedia 2030“-Strategie ambitionierte Ziele für die Zukunft gesetzt. Dazu gehört auch die Entscheidung, sich noch stärker mit Gerechtigkeitsfragen auseinanderzusetzen. Es geht darum, technische und soziale Hürden abzubauen, damit wirklich alle Menschen das Wissen in den Wikimedia-Projekten mitgestalten können. Wir nennen das Wissensgerechtigkeit.

Historisch gesehen hat sich Wissen in den Händen einiger weniger konzentriert. Die Geschichten und Perspektiven marginalisierter Gruppen wurden durch Machtstrukturen lange Zeit aus offiziellen Erzählungen ausgeschlossen. Marginalisierung beschreibt, dass Individuen und Gruppen an den Rand der Gesellschaft gedrängt und ihre Perspektiven und Interessen als weniger relevant erklärt werden.

Möglichkeit der Beteiligung auch in Wikipedia nicht für alle gleich

Wikipedia hat als die weltweit größte, freie, gemeinschaftlich erstellte Enzyklopädie den Zugang zu Wissen revolutioniert: Alle haben den gleichen Zugang zu Wissen – theoretisch. Doch wir wissen, dass die Möglichkeiten sich zu beteiligen nicht für alle Menschen gleich sind. Und wir wissen auch, dass die Wikimedia-Projekte und das darin versammelte Wissen in gesellschaftliche Strukturen eingebettet sind, die mit einer kolonial geprägten Weltsicht verwoben sind.

„Das Problem ist, dass diejenigen herrschenden Perspektiven als objektiv-neutral gelten, die die Erzählung von Geschichte in Büchern oder in schulischen Kontexten bestimmen. Aufbrechen können wir das nur, indem wir grundsätzlich unsere Vorstellung von Wissen infrage stellen, offen diskutieren, was wir bisher als Wissen konstruiert haben und welche Auswirkungen das hatte – damit wir Alternativen entwickeln und aus anderen Quellen schöpfen können.“ (Emilia Roig: Die Macht des Wissens im Wandel)

Das bedeutet, solange wir ein weiß westliches Verständnis von Wissen nicht hinterfragen und das Konzept von Wissen neu denken, werden gesellschaftliche Ausschlüsse reproduziert. Wie gehen wir als Gesellschaft im Allgemeinen und als Organisation, die sich für Freies Wissen einsetzt, im Speziellen damit um, dass wir ein westlich geprägtes Verständnis von Wissen haben und von einer mehrheitlich weißen Position auf die Welt schauen? Weiß bezeichnet hier nicht die Hautschattierung von Menschen, sondern eine Positionierung und soziale Zuschreibung in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft. Die Bezeichnung dient dazu, die in der Regel unmarkierte Norm sowie die damit einhergehende Machtposition und Privilegien sichtbar zu machen.

Wie bewusst sind wir uns darüber, wie Rassismus als Wahrnehmungsfilter wirkt, wie unser Wissen und Handeln auf einer historisch gewachsenen, hierarchischen Unterscheidung von Menschen und Gruppen auf Grundlage biologischer Merkmale oder kultureller Differenzen beruht?

re•shape – Ausgestaltung und Vision

Viele große Fragen, die uns bei der Entwicklung von re•shape – Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von Wissensgerechtigkeit beschäftigt haben. Mit diesem Programm möchten wir gezielt Menschen fördern, die von Rassismus negativ betroffen sind. Wir unterstützen Einzelperson, Gruppen oder gemeinnützige Organisation dabei, marginalisiertem Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit zu verschaffen und das selbstbestimmt zu tun. Bewerbungen sind ab sofort bis zum 18. Juni möglich.

Das Programm bietet einen Rahmen, in dem die Veröffentlichung von marginalisiertem Wissen unter einer freien Lizenz abgewogen und praktisch erprobt werden kann. Neben einer Beschäftigung mit Wikipedia, Wikimedia Commons oder Wikidata bietet das Programm auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Frage, was es heißt, insbesondere marginalisiertes Wissen unter einer Freien Lizenz zu veröffentlichen: Welche Chancen bietet das Freie Wissen, welche Risiken bestehen aber auch und welche Handlungsmöglichkeiten, wenn etwa Inhalte politisch instrumentalisiert werden? Das Rahmenprogramm läuft von September 2023 bis April 2024 und eröffnet für die Geförderten Raum für Vernetzung und Austausch.

Jetzt mitmachen und Projektideen bis 18. Juni einreichen

Als Projektteam sind wir neugierig auf die Projekte, die realisiert werden und auch auf die Reise, die wir selbst mit diesem Programm unternehmen. Wir wollen unsere Wahrnehmung für strukturelle Diskriminierungen schärfen und gegen Diskriminierungen arbeiten. Darum haben wir uns dazu entschieden, uns als Team in einen begleiteten Lern- und Reflexionsprozess zu den Themen Diskriminierungen, Marginalisierung und Rassismus zu begeben. In diesem Prozess reflektieren wir etablierte Ansätze und erarbeiten neue, die für einen diskriminierungskritischen Umgang mit marginalisiertem Wissen zielführend sind.

Mit re•shape möchten Wikimedia Deutschland und die neuen deutschen organisationen marginalisiertem Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit verschaffen. Das Programm wendet sich explizit an Menschen und Communitys, die Rassismus erfahren. Neben einer finanziellen Förderung von bis zu 5.000 € bietet das Programm Begleitung durch Mentor*innen sowie ein Rahmenprogramm mit Raum für Vernetzung und Austausch.

re•shape – Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von Wissensgerechtigkeit

Mit re•shape möchten Wikimedia Deutschland und die neuen deutschen organisationen marginalisiertem Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit verschaffen. Das Programm wendet sich explizit an Menschen und Communitys, die Rassismus erfahren. Neben einer finanziellen Förderung von bis zu 5.000 € bietet das Programm Begleitung durch Mentor*innen sowie ein Rahmenprogramm mit Raum für Vernetzung und Austausch.

Bewerbungen können vom 11. Mai bis zum 18. Juni 2023 auf Deutsch oder Englisch eingereicht werden.

Das Digitale-Dienste-Gesetz (englisch: Digital Services Act – DSA), das am 17. Februar 2024 in Kraft tritt, bringt neue Regeln für Online-Plattformen. Dabei geht es um unterschiedliche Themen, wie zum Beispiel den Umgang mit illegalen Inhalten, die Transparenz von Onlinewerbung und den Zugang zu Plattformdaten für Forschende. Für besonders große Plattformen gelten im DSA nochmal strengere Regeln. Mit selbst geschätzten 151 Millionen Nutzenden pro Monat wurde Wikipedia nun von der Europäischen Kommission im Rahmen des DSA als VLOP (“very large online platform”) eingestuft. Wikipedia ist in dieser Gruppe von 19 VLOPs die einzige nicht gewinnorientierte Plattform.

Neue Verpflichtungen für die Foundation

Die Verpflichtungen des DSA richten sich an die jeweiligen Diensteanbieter (Service Provider) und bedeuten damit vor allem Änderungen für die Wikimedia Foundation. Dazu gehören europaweite „Notice & Action“-Regeln, die vorschreiben, wie die WMF auf an sie gerichtete Lösch- und Änderungsanfragen zu reagieren hat. Auch wird die WMF zukünftig regelmäßige Risikobewertungen für systemische Risiken (u. a. für die öffentliche Gesundheit, den Schutz von Kindern und das Recht auf freie Meinungsäußerung) vorlegen müssen, Maßnahmen zur Risikominderung auf dieser Grundlage transparent machen und einen externen Audit durchführen lassen. Viele Regeln des DSA gelten jedoch gar nicht für Wikipedia, da die Wikimedia-Projekte keine Werbung beinhalten und keine Boosting-Algorithmen anwenden, um zu modellieren, was die Nutzenden sehen.

Auch wenn die WMF die meisten Berichtspflichten und Transparenzgebote des DSA bereits erfüllt, erhöht sich ihr bürokratischer Aufwand: Die WMF muss etwa ihre internen Prozesse so anpassen, dass sie mit dem neuen „Notice & Action“-Rahmen übereinstimmen – also ein transparentes, konsistentes Beschwerdeverfahren sicherstellen. Sie muss ein Verfahren zur jährlichen Risikobewertungen und Risikominderung einrichten sowie Berichterstattung dazu leisten. Und sie muss darstellen, was sie gegen Desinformation unternimmt und wie sie den Schutz von Minderjährigen sicherstellt. Wie dieser Schutz unter Beibehaltung der bewährten Anonymitätsregeln, also auch ohne die Angabe des Alters von Nutzenden, erreicht werden kann, ist bislang noch ungelöst. Jedes Quartal müssen die Nutzenden-Schätzungen für die EU veröffentlicht werden und die Wikimedia Foundation muss die Prüfung all dieser Aspekte durch eine geeignete Organisation sicherstellen.

Von den VLOPs wird erwartet, dass sie zur Datenbank der Europäischen Kommission für Moderationsentscheidungen beitragen. Ob und wie eine solche Datenbank mit den EU-Datenschutzgesetzen vereinbar ist, bleibt allerdings abzuwarten.

Geteilte Zuständigkeiten

Die regulatorische Aufsicht über den DSA übernehmen die sogenannten Digital Services Koordinatoren (DSC), nationale Behörden, die sich um kleinere nationale Plattformen kümmern. Die Europäische Kommission koordiniert und beaufsichtigt die Extra-Pflichten der sehr großen Plattformen. Die Einstufung als VLOP bedeutet für Wikimedia, dass die WMF eine*n gesetzliche*n Vertreter*in in der EU ernennen und sich damit auch für einen Gerichtsstand (ein Land) entscheiden muss. Wenn beispielsweise eine Anwaltskanzlei mit Sitz in Irland gewählt wird, wäre der irische „Koordinator für Digitale Dienste“ (Digital Services Coordinator, kurz DSC) auch für Projekte wie Wikimedia Commons oder Wikidata zuständig, im Fall der Wikipedia außerdem die Europäische Kommission für die nur für VLOPs geltenden Pflichten.

Für die Foundation bedeutet auch der nach DSA regelkonforme Betrieb der kleineren Wikimedia-Projekte – wie Wikimedia Commons – eine nicht unerhebliche Aufgabe. Wenn die Aufsichtsbehörden nicht davon überzeugt werden können, dass Wikipedia „systemische Risiken“ wie Wahlmanipulationen, Hass und Schutz von Minderjährigen richtig angeht, dann werden die WMF und die Communitys gefordert sein, zusätzliche Antworten darauf zu finden.

Ob auf die Communitys selbst Aufgaben zukommen werden, muss sich noch zeigen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind noch keine bekannt. Die Wikimedia Organisationen setzen sich dafür ein, dass in der weiteren Ausgestaltung von Leitlinien und Durchführungsbestimmungen durch Regulierungsbehörden die Besonderheiten der Wikimedia-Projekte berücksichtigt werden.

Chancen für Community-basierte Plattformen

Während des Entstehungsprozesses des DSA und in den begleitenden Verhandlungen konnte Wikimedia wiederholt zeigen, dass Projekte wie Wikipedia Inhalte anders moderieren als kommerziell orientierte Plattformen. Freiwillige Redaktionsgemeinschaften einigen sich auf Regeln und setzen sie durch. Das machen sie gut. Damit sind sie eine solide Alternative zur Regelsetzung von den Dienstleistern selbst, die darüber hinaus nach Gutdünken geändert werden können. Freie Redaktionsgemeinschaften machen ihre eigenen Regeln.

Die Verpflichtungen des DSA sind daher auch eine Chance für Wikimedia zu zeigen, dass die Einhaltung von Regeln auf eine Art und Weise erfolgen kann, die die Rechte der Nutzenden respektiert.

Weiterführende Links:

Offene Daten für eine offene Wissenschaft

Wednesday, 3 May 2023 13:32 UTC

Die Bundesregierung will den „Zugang zu Forschungsdaten für öffentliche und private Forschung […] umfassend verbessern sowie vereinfachen“. Darauf haben sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Koalitionsvertrag von 2021 geeinigt. Jetzt hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgewählte Organisationen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft eingeladen, Stellung zu diesem Vorhaben zu beziehen. Auch Wikimedia Deutschland hat sich mit einer eigenen Stellungnahme beteiligt.

Daten aus der Forschung für alle

Unsere Kernforderung ist, dass alle Daten aus der Forschung allen zur Verfügung stehen sollten, insbesondere wenn die Forschung mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Dies umfasst alle Daten, die zu Forschungszwecken erhoben werden – seien es Messdaten in Experimenten, Umfragedaten oder andere Methoden, die Daten für ein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse generieren – sowie die mit diesen Daten erzielten Analyseergebnisse.

Warum ist eine breite Verfügbarkeit von Forschungsdaten so wichtig? Die Antwort liegt auf der Hand: Es besteht ein gesellschaftliches Interesse an der Nachnutzung, z. B. um die Ergebnisse zu replizieren, Metastudien zu erstellen oder weitere Analysen mit den Daten durchzuführen. Gründe, die eine exklusive Datennutzung rechtfertigen könnten, gibt es hingegen keine – denn durch die öffentliche Finanzierung ist üblicherweise keine weitere Finanzierung notwendig.

Darüber hinaus stärkt es das Vertrauen in Information und Wissenschaft, wenn auch die interessierte Öffentlichkeit wissenschaftlichen Diskursen folgen und sie nachvollziehen kann. Dazu gehören auch aktuell aufgrund ihrer fehlenden statistischen Signifikanz nicht veröffentlichte Ergebnisse.

Ein gesundes Ökosystem für offene Wissenschaft

Um das gesellschaftliche Interesse an Forschung zu berücksichtigen, müssen Daten, Methoden und Erkenntnisse möglichst frei verfügbar sein. Das heißt, offene Forschungsdaten sollten in einen Kontext von Open Access und von Open Science eingebettet sein. Die Vorteile:

  • Forschungsprojekte können besser aufeinander aufbauen, wenn auch Daten bislang nicht veröffentlichter Forschung zugänglich werden.
  • Transdisziplinäre Forschung wird deutlich vereinfacht, wenn Daten und Erkenntnisse übergreifend verfügbar sind.
  • Hürden in Richtung Gesellschaft und Politik werden abgebaut, insbesondere dort, wo Projekte sich bislang keine teuren Zugänge zu Datenbanken etc. leisten konnten.

Ein wichtiger Hebel sind die Bedingungen, die an die Vergabe öffentlicher Gelder geknüpft sind: Diese sollten dem Ansatz „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!“ folgen, sodass die im Kontext öffentlich geförderter Forschung erhobenen Daten frei verfügbar sind.

Mehr Daten für die Forschung

Forschung hat auch ein großes Interesse an Daten, die aktuell nur schwer zugänglich sind. Dazu gehören insbesondere Daten, die von der öffentlichen Hand erhoben und aktuell nur unzureichend öffentlich verfügbar gemacht werden – etwa in Form von Karten. Auch Mobilitätsdaten oder Informationen über meteorologische Verhältnisse sollten prinzipiell frei verfügbar sein, sowohl für die Forschung als auch für die Zivilgesellschaft und prinzipiell alle Arten von Zwecken, einschließlich wirtschaftlicher Aktivitäten.

Darüber hinaus kann Forschung auch aus aktuell privat gehaltenen Daten lernen: Das Argument, Unternehmen sollten Daten geheim halten dürfen, um z. B. Geschäftsgeheimnisse zu schützen, kommt bei vielen Formen der Forschung nicht zum Tragen, da diese in keinem wettbewerblichen Verhältnis zu Unternehmen stehen. Es zeigt sich z. B. im Digital Services Act, dass ein großes gesellschaftliches Interesse daran besteht, die Rolle und Wirkung von wirkmächtigen Infrastrukturen von Onlinediensten zu untersuchen. Dieser Datenzugang könnte, zumindest für Forschung und Zivilgesellschaft, auf andere Onlinedienste oder Dienstleister im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge (Mobilitätsanbieter, Energieanbieter etc.) ausgeweitet werden.

Die Veröffentlichung von Daten aus der öffentlichen Verwaltung ist besonders naheliegend, da bei ihnen offensichtlich ein gesellschaftliches Interesse an einer hohen Verfügbarkeit und kein Geheimhaltungsinteresse geltend gemacht werden kann. Ähnlich sieht es bei Daten in Wirtschaftsbereichen aus, die von hohem öffentlichen Interesse sind. Darunter fallen z. B. Infrastrukturen wie Energie oder Mobilität – unabhängig davon, ob diese Aktivitäten von staatlicher oder privater Seite erfolgen.

Unsere ganze Stellungnahme zum gesamten Forschungsdatengesetz gibt es hier zum Nachlesen.

Rom*nja und Sinti*zze sind die größte ethnische Minderheit Europas. Das Wissen über ihre Geschichte, vielfältige Kulturproduktion und aktuellen Lebensrealitäten ist in Deutschland aber kaum verbreitet. Meistens wird über sie gesprochen, statt mit ihnen. Das muss sich ändern. Welche Rolle digitale Räume dabei spielen können und welche Hindernisse es gibt, hat Moderator Axel Rahmlow in der aktuellen Folge von „Wissen. Macht. Gerechtigkeit.“ mit Gilda-Nancy Horvath, Journalistin und Vorstandsmitglied bei eriac, mit Isidora Randjelović, Leiterin des Rom*nja-Archivs RomaniPhen, und mit Simonida Selimović, Schauspielerin, Regisseurin und Aktivistin, diskutiert.

Sechs Jahrhunderte Stereotype und Ausgrenzung

Umfragen zeigen seit Jahren, dass ein großer Anteil der deutschen Bevölkerung Rom*nja und Sinti*zze nicht als Teil der Gesellschaft akzeptieren will – obwohl sie es waren und sind. „Die Menschen wissen sehr wenig über uns, Stereotype werden durch die Medien weiter reproduziert und prägen die Mehrheitsgesellschaft“, stellt die Journalistin Horvath fest. Je weniger man über jemanden weiß, umso mehr hat man Phantasien, die aber nicht stimmen“, ergänzt die Aktivistin Selimović.

Auf die Frage, woran es liegt, dass Stereotype und Ablehnung dominieren, wie Sinti*zze und Rom*nja wahrgenommen werden, muss Isidora Randjelović weit ausholen: „Seit dem 15. Jahrhundert beschreiben in Deutschland Chronisten Rom*nja oder Sinti*zze, die selber gar nicht Rom*nja oder Sinti*zze sind.“ In den Darstellungen wurden und werden sie oft zu orientalischen Gestalten, als Fremde oder Gefahr beschrieben und ausgegrenzt. Rom*nja und Sinti*zze müssen außerdem seit Jahrhunderten „als Ausrede für bestimmte politische Bedingungen herhalten“, so Randjelović. Diese Ausgrenzung gipfelte immer wieder in Verfolgung – bis zum Versuch der Auslöschung im Dritten Reich. Der sei insofern doppelt dramatisch, da mit der körperlichen Vernichtung eine „Zerstörung der Familien, der Sprache Romanes, des Denkens und der Deutung“ von Rom*nja und Sinti*zze einherging. Bis heute würden im Netz immer wieder Fake News über beide Gruppen verbreitet. Ihnen wirksam zu begegnen, ist gerade für marginalisierte Gruppen, die über keine starke Lobby oder Medienmacht verfügen, kompliziert, wirft die Journalistin Horvath ein.

Repräsentation selbst in die Hand nehmen

Gleichzeitig ermöglicht der digitale Raum Rom*nja und Sinti*zze auch Selbstermächtigung. Denn auch für sie gilt: Plattformen oder soziale Netzwerke sind erstmal für alle zugänglich. Im Netz können sie immerhin selbst mitbestimmen, wie sie gesehen werden und was die Mehrheitsgesellschaft über sie weiß. „Wenn ich selber ein Theaterstück schreibe, inszeniere und aufnehme, dann gebe ich selbst frei, was die Gesellschaft sieht“, erklärt die Regisseurin Selimović.

Gilda Horvath nutzt ihren Blog Glaso – Stimme, um ein vielfältiges und realistisches Bild von Rom*nja und Sinti*zze zu zeichnen. Sie porträtiert „Menschen, die die Welt verändern, aber ständig nur zu Ihrer Herkunft befragt werden“. Horvath berichtet von einem homosexuellen Wirtschaftsberater, einem deutschen Sinto in der EU-Politik, einer ungarischen Sozialwissenschaftlerin oder einer Journalistin in Kanada.

Isidora Randjelović betont die Möglichkeiten, die digitale Anwendungen eröffnen, um das Wissen über Sinti*zze und Rom*nja zu erweitern. Zusätzlich zur neuen Freiluftausstellung am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin hat das RomaniPhen Archiv eine App entwickelt, „die aus den Perspektiven der Opfer und Überlebenden die Vergangenheit erzählt, mit Biografien, Zeitzeug*innenerzählungen, Liedern aus den Lagern, Theater und Bildern, die alle den Genozid thematisieren und Geschichten der Menschen erzählen.“ Sie kann am Denkmal über einen QR-Code geladen werden.

Dass Rom*nja und Sinti*zze im Netz immer wieder stereotypen Darstellungen über sich begegnen, dass sie Rassismus erleben oder in sozialen Netzwerken Hate Speech ausgesetzt sind, sei aber auch eine Hürde für mehr digitale Repräsentation. Junge Sinti*zze oder Rom*nja würden so abgeschreckt, sich selbst einzubringen, erläutert Simonida Selimović: „Da ist viel Rassismus, der weh tut. Wenn das Z-Wort genannt wird oder wenn nicht die richtige Bezeichnung für Rom*nja oder Romanes“ verwendet wird, seien das „harte Sachen, die vor allem junge Menschen treffen. Die haben dann keinen Bock mehr auf Facebook oder Wikipedia.“ Deswegen sei es wichtig, dass sie nicht nur in den großen sozialen Netzwerken agieren, sondern eigene Webseiten, Plattformen oder Blogs gestalten, wo sie es sind, die den Zugang regeln.

Etablierte Plattformen müssen sich öffnen

Gerade deswegen, so betont die Archiv-Gründerin Randjelović, müssten die großen digitalen Akteure und Wissensplattformen „sich Mühe geben, eine vielfältige Repräsentationspolitik zu ermöglichen. Das hieße auch, dass man „sich Wikipedia-Einträge anschaut und diese diversifiziert“. Ihre eigene Erfahrung sei dabei eher ernüchternd gewesen. Das RomaniPhen Archiv habe mehrfach versucht, einen Artikel über sich zu schreiben.1 „Aber er ist immer wieder abgelehnt worden. Wenn man sich nicht auskennt mit dem System, ist es schwierig“, bedauert Randjelović. „Wir haben auch Artikel verändert, weil falsche Informationen drin standen oder die Wortwahl unangemessen war. Aber das können wir als kleiner Verein nicht leisten“, ergänzt sie.

Ist die freie Enzyklopädie Wikipedia denn überhaupt dafür geeignet, das Wissen über Sintizze und Romnja zu verbreiten? „Ich sage provokant: Nein“, meint Selimović. Bei biografischen Artikeln über einzelne Sintizze oder Romnja möge das nicht ganz zutreffen. Aber die Regisseurin findet es schwierig, wenn in der Wikipedia von Menschen über eine Community geschrieben werde, aus der sie nicht kommen. Weil Stereotype über diese Community so stark verwurzelt und weit verbreitet seien, dass sie das Schreiben beeinflussen. „Hard Facts” könnten auch Menschen abbilden, die nicht aus den Communitys kommen. Aber man sollte es den Rom*nja oder Sinti*zze selbst überlassen, Wissen über ihre Kultur und Geschichte weiterzugeben, so die Ansicht der Künstlerin. Denn ihre Wahrnehmung ist: Vieles, was über beide Gruppen im Netz und auch auf Wikipedia steht, sei nicht zutreffend.

Gilda Horvath macht einen Vorschlag, wie sich das ändern könnte. Man müsse auf die Menschen aus den Communitys zugehen, sie „holen, damit sie aktiv und im Idealfall auch bezahlt beitragen“, um die „Qualität der Informationen zu erhöhen, denn das steigert auch das Vertrauen“.1 Denn die Zeit und Ressourcen, um „Wissen zu kreieren“ hätten viele Rom*nja und Sinti*zze schlicht nicht, erläutert Horvath. Das seien Privilegien von Wenigen, so die Journalistin.

Mit Blick auf die Relevanz von Wikipedia-Artikeln, die oft der erste Eintrag sind, wenn man einen Begriff oder eine Person googelt, sei es besonders wichtig, dass die Informationen verlässlich und frei von Stereotypen oder nicht zutreffenden Fremdzuschreibungen seien. Darin sind sich die drei Diskutierenden einig. Aktuell seien Rom*nja und Sinti*zze aber noch „absolut abhängig davon, wie andere über uns sprechen und wie unsere nächste Generation uns im Internet wahrnimmt“, stellt Horvath fest.

Mit der Erfahrungen aus der Bildungsarbeit im Gepäck, die das RomaniPhen Archiv betreibt, stellt Isidora Randjelović aber auch fest: „Wissensgerechtigkeit ist nichts, was an einer Stelle zu lösen ist. Eine Strategie von Wikimedia kann nicht die Lösung sein. Es muss gesellschaftlich mehr über Wissensgerechtigkeit nachgedacht werden, über gute schulische Bildungsarbeit. Da geht es auch darum, welchen Zugang haben Lehrkräfte zu Wissen. Das ist eine Querschnittsaufgabe.“

Mit der Erfahrungen aus der Bildungsarbeit im Gepäck, die das RomaniPhen Archiv betreibt, stellt Isidora Randjelović aber auch fest: „Wissensgerechtigkeit ist nichts, was an einer Stelle zu lösen ist. Eine Strategie von Wikimedia kann nicht die Lösung sein. Es muss gesellschaftlich mehr über Wissensgerechtigkeit nachgedacht werden, über gute schulische Bildungsarbeit. Da geht es auch darum, welchen Zugang haben Lehrkräfte zu Wissen. Das ist eine Querschnittsaufgabe.“

Anmerkungen:

1. Das RomaniPhen Archiv hat keinen eigenen Artikel in der Wikipedia, wird aber im Artikel „Roma“ als Organisation beschrieben und findet zudem in den biografischen Artikeln über die Sängerin Tayo Jessica Onutor, die Bürgerrechtsaktivistin Ilona Lagrene und die Schriftstellerin und Dramatikerin Elena Lacková Erwähnung.

2. Vorschläge, bezahlte Redaktionen einzuführen, wurden schon häufiger an die Wikipedia herangetragen. Fakt ist: Wikipedia ist ein Projekt von Ehrenamtlichen, bezahlte Mitarbeit ist nicht vorgesehen und nur unter strengen Auflagen geduldet.

Die Bundesregierung hat die Kleine Anfrage „Pädagogische und bildungstechnologische Herausforderungen sowie Möglichkeiten des Aufbaus von Governancestruktur der Nationalen Bildungsplattform“ der Bundestagsfraktion DIE LINKE vom 7. März 2023 beantwortet. 

In der Kleinen Anfrage, die sich zu einem Großteil auf die Erkenntnisse und Ergebnisse der Konzeptstudie von Wikimedia Deutschland zur Nationalen Bildungsplattform (NBP) bezieht, stehen insbesondere die geplanten Governancestrukturen und das der Plattform zugrundeliegende Bildungsverständnis im Fokus. Wie soll vermieden werden, dass sich durch die Bildungsplattform soziale Ungleichheiten verfestigen? Und wie lässt sich sicherstellen, dass beim Einbezug von Bildungsanbietern wichtige Qualitäts- und Sicherheitsstandards eingehalten werden? Fragen wie diese stellt DIE LINKE in ihrer Kleinen Anfrage.

Einige positive Antworten – aber an vielen Stellen zu vage

In dem 12-seitigen Antwortschreiben der Bundesregierung finden sich viele bereits bekannte Beschreibungen des Bildungsministeriums rund um Funktionalitäten und Anwendungsszenarien der NBP wieder. Positiv hervorheben möchten wir die technologische Umsetzung der NBP auf Basis von Open-Source-Software und offenen Standards, die mit entsprechenden Lizenzen in „öffentlich zugänglichen Repositorien“ veröffentlicht werden sollen. Wir begrüßen ebenso die beiden geplanten Evaluationsvorhaben: eine externe Erfolgs- und Wirkungsanalyse sowie eine qualitative Begleitforschung zu Nutzungspraktiken verschiedener Nutzendengruppen. 

Insgesamt bleiben viele der Antworten sehr vage. Bezogen auf die Governancestrukturen und den in der Konzeptstudie geäußerten Vorschlag, einen Nutzendenrat als beratendes Gremium für die NBP zu etablieren, heißt es in der Antwort nur, dies werde noch „geprüft“. Nach welchen Kriterien diese Prüfung erfolgen wird und wie sich der Nutzendenrat zusammensetzen sollte, wird nicht weiter expliziert. Weiter heißt es, „Überlegungen zur Governance-Struktur haben derzeit lediglich vorläufigen Charakter“. Dass bis heute nicht klar ist, welche Aufgaben und Verantwortungsbereiche bei wem liegen, ist sehr irritierend. Die Governance der Plattform darf nicht dem Zufall überlassen werden. Stattdessen muss das Bundesministerium schnellstens Verantwortungsbereiche klären und entsprechende Strukturen einrichten.

Bundesregierung will Verantwortung abgeben

Seit den Debatten über den Umgang von sozialen Netzwerken mit unzulässigen, diskriminierenden Inhalten ist bekannt, dass Plattformen sehr wohl verantwortlich sind für die Inhalte, die sie teilen – auch wenn sie diese nicht selbst erstellt haben. Die Bundesregierung aber scheint diese Verantwortung abgeben zu wollen. Unter anderem sieht sie die „Entwicklung von Algorithmen, welche den Datenraum für Such- oder Vorschlagsfunktionalitäten nutzen […] auf Seiten der Partner“. Zudem weist das Ministerium darauf hin, dass „Empfehlungsmechanismen im engeren Sinne […] nicht im funktionalen Scope des Datenraumes“ lägen. Hierbei widersprechen sich die Antworten der Bundesregierung allerdings, denn etwas weiter vorne im Text heißt es: „Im Rahmen der Nationalen Bildungsplattform werden verschiedene Vorhaben gefördert, die den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) testen. Diese Projekte zielen unter anderem darauf ab, die Auffindbarkeit von Bildungsinhalten zu verbessern und Empfehlungen passend zu den Suchkriterien der Nutzenden zu machen”. Wir fragen uns daher: Wird es nun datenbasierte und durch Algorithmen gesteuerte Empfehlungsmechanismen geben oder nicht? Und wird es allgemeine und verbindliche Vorgaben zur Datennutzung und -sicherung geben?

Zentrale Aussagen nicht angekommen

Leider scheinen auch Überlegungen dazu, wie die NBP als digitaler Ort möglichst sicher und frei von Diskriminierungen und der Reproduktion sozialer Disparitäten gestaltet sein muss, nicht weit fortgeschritten zu sein. Hier werden lediglich Allgemeinplätze wiederholt, dass die NBP ein Angebot sei, „das durch den verbesserten Zugang zu und die Vernetzung von Bildungsangeboten Hürden abbauen und so zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen“ solle. Diese Aussage ist in Anbetracht verschiedenster empirischer Erkenntnisse zum sogenannten Digital Divide mehr als lückenhaft. Immerhin sollen im Rahmen der Evaluation der NBP auch „nicht intendierte Wirkungen beachtet [werden], wie etwa bestimmte soziale Gruppen diskriminierende Effekte“.

Auch eine der zentralsten Aussagen unserer Konzeptstudie scheint bei den Verantwortlichen aus der Bundesregierung nicht angekommen zu sein: Die technologische Ausgestaltung einer Plattform wie der NBP bildet implizit immer auch bestimmte pädagogische Modelle ab und beeinflusst die pädagogisch-didaktischen Anwendungsmöglichkeiten. Die Aussage der Bundesregierung, „es werden keine spezifischen pädagogischen Modelle präferiert”, zeugt allerdings von einem fehlenden Verständnis über diesen Zusammenhang.

Ausblick

Wie geht es nun weiter? Wir erwarten gespannt die Veröffentlichung der Beta-Version der NBP im Herbst. Ebenso hoffen wir auf einen baldigen Start des vom BMBF angekündigten Strategiekreises, zu dem Wikimedia eingeladen wurde, um den Entwicklungsprozess der NBP beratend mit zu begleiten. Wir haben Interesse an der Mitwirkung signalisiert und hoffen auf einen produktiven Austausch. 

Darüber hinaus planen wir eine Themenreihe, in der die verschiedenen zentralen Herausforderungen der NBP (u.a. Beteiligungsprozesse, Governance, Nachhaltigkeit) als Beispiel für deutsche Digital- und Bildungspolitik mit Expert*innen analysiert und diskutiert werden sollen. Daraus sollen wiederum Learnings und Empfehlungen für die NBP aber auch insgesamt zukünftige Großprojekte abgeleitet werden. Für weiterführende Gespräche mit den Verantwortlichen des BMBF stehen unsere Türen derweil jederzeit offen.

Die Antwort

Hier finden Sie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage als PDF zum Download.

Die Studie

Hier finden Sie die Studie zur Nationalen Bildungsplattform als PDF zum Download.

So klingt das neue Soundlogo

Tuesday, 28 March 2023 13:25 UTC

Was ist der Klang allen menschlichen Wissens? Mit dieser Frage startete die Wikimedia Foundation im September 2022 einen weltweiten Wettbewerb. Das Ziel: Ein Soundlogo zu finden, das Inhalte aus allen Wiki-Projekten kennzeichnen kann, wenn visuelle Logos keine Option sind. Ein Klang, der das ausdrücken kann, wofür die Projekte stehen: vertrauenswürdiges, verlässliches, offenes und zugängliches Wissen für alle.

Im Rahmen des Wettbewerbs gingen mehr als 3.000 Einsendungen aus 135 Ländern ein. Aus den Beiträgen wurde eine Top 10 ausgewählt, an der finalen Abstimmung haben mehr als 2.000 Menschen teilgenommen!

Anmerkung der Redaktion: Da es unter diesem Beitrag viele Kommentare von Menschen gibt, die annehmen, dass das Soundlogo beim Öffnen der Wikipedia oder beim Lesen eines Artikels erklingt, hier nochmal die Info: Das Soundlogo wird nicht in der Wikipedia verwendet, sondern immer dann, wenn andere Programme, wie beispielsweise Sprachassistenten wie Alexa oder Siri eine Frage beantworten und dafür Wissen aus der Wikipedia und andere Wiki-Projekten nutzen.

Jetzt anhören: Das ist das neue Wikimedia-Soundlogo

Den Gewinnerbeitrag hat Thaddeus Osborne, ein Kerntechniker und Musikproduzenten aus Virginia (USA), kreiert. Er kombiniert das Geräusch des Umblätterns von Buchseiten mit Tastaturanschlägen und einem Synthesizerklang, womit der riesige Wissensschatz abgebildet wird, auf den Menschen digital über Wikipedia und andere Wikimedia-Projekte zugreifen können. Das Audio wird jetzt noch durch eine professionelle Neuaufnahme finalisiert. Das Soundfile steht unter der freien Lizenz CC by SA 4.0 und ist auf Wikimedia Commons abrufbar.

Wann kommt das Soundlogo zum Einsatz?

Von Podcasts bis hin zu virtuellen Sprachassistenten – für viele von uns hat sich die Suche nach Informationen im Netz in ein Hörerlebnis verwandelt. Wenn aber beispielsweise ein Sprachassistent für die Antwort auf eine Frage Informationen aus der Wikipedia oder anderen Wikimedia-Projekten nutzt, war das bislang oft nicht zu erkennen. Das Soundlogo ist daher eine neue Möglichkeit, Wikimedia-Inhalte in einer Reihe von auditiven Anwendungen und Geräten zu identifizieren.

Mehr Wissenswertes über den globalen Soundlogo-Wettbewerb und über den Mann, der den Gewinner-Sound kreiert hat, finden Sie in diesem Blogbeitrag der Wikimedia Foundation.

Die öffentliche Vergabe ist ein wichtiger Hebel für die Entwicklung von Inhalten wie Software, Gutachten, Daten, Studien, Beratungsergebnisse und mehr. Allein im ersten Halbjahr 2021 vergaben Bund, Länder und Kommunen knapp 28 Mrd. Euro in Form von Dienstleistungsaufträgen; gleichzeitig ist bekannt, dass knapp drei Viertel des Vergabevolumens für IT-Dienstleistungen und IT-Technik ausgegeben werden. Wikimedia Deutschland setzt sich dafür ein, dass diese zahlreichen in öffentlichem Auftrag erstellten Inhalte möglichst frei verfügbar und nachnutzbar werden. Dies ist insbesondere auch sozial nachhaltig, wie wir in unserer Stellungnahme zum Vergabetransformationspaket des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erläutern. Der Volltext findet sich am Ende dieses Artikels.

Vergabe ökologisch und sozial nachhaltig transformieren mit freien Inhalten

Das Vergabetransformationspaket setzt eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um mit dem „Ziel, die öffentlichen Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu digitalisieren und zu beschleunigen. Die öffentliche Beschaffung und Vergabe soll wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausgerichtet und die Verbindlichkeit gestärkt werden […]“ Ein Fokus liegt dabei auf ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Freie Inhalte tragen wesentlich zu ökologischer und vor allem auch sozialer Nachhaltigkeit bei, weswegen sie prinzipiell in der Vergabe klar begünstigt werden sollten.

Unsere langjährige Forderung ist, dass öffentliches Geld stets öffentliches Gut hervorbringen sollte, um so das Gemeinwohl zu fördern. Die zentralen Argumente für Verbotsrechte (wie z.B. das Urheberrecht oder die Leistungsschutzrechte), die die Nachnutzung verbieten oder einschränken, greifen für im staatlichen Auftrag erstellte Inhalte nicht: Diese Rechte sollen sicherstellen, dass diejenigen, die Inhalte erstellen, zunächst eine Exklusivität über deren Nutzung erhalten und sich z. B. über den Verkauf von Lizenzen finanzieren können. Eine solche Refinanzierung brauchen Behörden nicht, da sie Steuermittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten. Diese Tatsache sollte bei der Erstellung von Inhalten im Auftrag der öffentlichen Hand berücksichtigt werden. Ausschließlichkeitsrechte und andere Einschränkungen sollten sich daher auf eng definierte Sachverhalte beschränken.

Daten für Linked-Open-Data-Ökosystem weiterverwendbar machen

In der Praxis ist es auch im Jahr 2023 üblicherweise nicht der Fall, dass Behörden die Produkte ihrer Vergabe verfügbar machen. Über die Gründe können wir oft nur mutmaßen: Gibt es unliebsame Ergebnisse, die lieber nicht ans Licht kommen sollen? Will der Dienstleister den gleichen Inhalt an anderer Stelle noch einmal verkaufen? Oder weiß man es nicht so recht und daher ist es bequemer, Inhalte nicht verfügbar zu machen? Jedenfalls zeigen verschiedene Beispiele, dass öffentliche Stellen oft technische oder rechtlich-formale Argumente ins Feld führen, um Inhalte der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Diese Argumente müssen dann in langwierigen Rechtsstreitigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Dabei geht es anders: Die Europäische Kommission hat 2019 beschlossen, dass sie ihre eigenen Materialien unter offenen Lizenzen veröffentlicht. Und mit ihrem Projekt kohesio macht sie alle Daten zur EU-Regionalförderung sogar so umfassend nachnutzbar, dass sie Teil des gesamten Linked-Open-Data-Ökosystems werden und dadurch jegliche Dritt-Anwendung, die mit Linked Open Data arbeitet, ohne weiteres auch alle Informationen zu EU-geförderten Projekten integrieren kann.

Der Zugang zu öffentlich beschafften Inhalten sollte nur dort eingeschränkt sein, wo die Vorteile von exklusiven Immaterialgüterrechten die Vorteile des freien Zugangs überwiegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Geheimnisschutz erforderlich ist oder auch, wenn im Rahmen von Wirtschaftsförderung die exklusive Vermarktbarkeit von Inhalten erwünscht ist. Allerdings ist auch hier im Einzelfall erforderlich, zu untersuchen, ob die Beschaffung von proprietären Inhalten tatsächlich die effektivere Wirtschaftsförderung ist als die von freien Inhalten, auf deren Grundlage weitere Produkte, Dienstleistungen und Inhalte entstehen können. Führen solche Abwägungen zu einer eingeschränkten Verfügbarkeit, sollte die Begründung möglichst transparent und detailliert veröffentlicht werden.

Freie Inhalte für mehr Nachhaltigkeit

Offene und freie Inhalte sind gut geeignet, um die im Vergabetransformationspaket genannten Ziele zu erreichen: Sie ermöglichen einen sparsamen Umgang mit den Ressourcen, die für die Erstellung dieser Inhalte notwendig sind (Personentage, Produktionskapazitäten, Energie), da sie nur einmal aufgewandt werden müssen. Wenn etwa eine Landkarte nach ihrer öffentlich veranlassten Erstellung frei zugänglich und nachnutzbar ist, muss dieselbe Art von Darstellung für andere Nutzungskontexte nicht noch einmal neu erstellt oder einzeln nachlizenziert werden. Ähnliches gilt für freie und offene Software, die nicht erneut entwickelt werden muss, weil sie beliebig oft eingebunden und nachgenutzt werden kann, oder auch für Bildungsmaterialien, die ohne weiteren Aufwand an Rechteklärung und Nachlizenzierung bzw. – im schlimmsten Falle – Neu-Erstellung vervielfältigt, weitergereicht und iterativ an neue Bedürfnisse angepasst werden dürfen.

Dabei ist es auch sozial nachhaltig, gesellschaftliche Potenziale zu schonen und Inhalte dauerhaft verfügbar zu machen, denn eine solche freie Nachnutzbarkeit gewährt allen gleichermaßen Zugang. Die Zivilgesellschaft und auch finanzschwache Unternehmen können so das in freien Inhalten vermittelte Wissen weiter nutzen, auch wenn sie selbst nicht die Ressourcen haben, um diese Inhalte zu erstellen bzw. für deren Erstellung aufzukommen. Aus ökonomischer Perspektive schafft dies mehr Wettbewerb aufgrund einer für viele zugänglichen Grundlage, was wiederum einer Konzentration von Wissen, von finanziellen Ressourcen und allgemein den Konzentrationstendenzen gerade digitaler Märkte entgegenwirkt. Wenn öffentlich finanzierte Geodaten frei zur Verfügung stehen, können nicht nur große Technologieunternehmen sie für Kartendienste verwenden, sondern auch viele weitere Organisationen, die keine teuren Lizenzen bezahlen können. Diese können alternative Kartendienste oder auch andere Produkte entwickeln, die diese Kartendienste komplementieren.

Vergaberecht nur ein Teil des Puzzles

Eine Anpassung des Vergaberechts ist ein wichtiger Hebel, um öffentlich finanzierte Inhalte frei verfügbar zu machen, doch nicht der einzige. Gleichzeitig setzen wir uns für eine Anpassung von § 5 des Urheberrechtsgesetzes ein, um die von Behörden direkt erstellten Inhalte prinzipiell frei nachnutzbar zu machen. Es gibt somit verschiedene Gesetze, die dazu beitragen können, dass das im öffentlichen Auftrag erstellte Wissen möglichst breit geteilt wird.

Stellungnahme Wikimedia Deutschland zum Transformationsgesetz

Bezahltes Wikipedia-Schreiben in der Belletristik

Monday, 12 September 2022 20:02 UTC

Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den Wind. Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird. Die weniger peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend sind.

Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen Bezugspunkten zu unserer Welt. Und selbst dort kommt Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es geht um „Moon over Soho“ von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen 2012 bringt es der Roman auf den Punkt:

Auf deutsch etwa:

„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz, können etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren. Lady Tys Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem PR-Schreiber verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen PR-Schreiber beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite ihren Vorstellungen entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer „Leute“ hatte eine PR-Agentur beauftragt, die einen Freelancer beschäftigt hatte, der das in einer halben Stunde runtergeschrieben hatte, damit er sich schneller wieder auf den Roman konzentrieren konnte, den er grade schrieb. Der Artikel gab preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu nicht weniger als einem Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder hatten von denen der Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu fahren aber jung genug um noch zu Hause zu wohnen.“

Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus anderen Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich zu stören. Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur den geringsten Mehrwert zu bieten.

Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012 richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der diskutierenden Community im Jahr 2022.

(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)

Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes scheint es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in dem jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen. Mit dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu „verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch raffinierter: Einfach einen etablierten Nutzer und dessen Vertrauensvorschuss nehmen und in dieser Tarnung PR-Edits durchführen.

Die Lyrik der Wikipedia-Auskunft

Monday, 18 July 2022 17:15 UTC

Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr teilhaben.

Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben, räuspere mich noch einmal und deklamiere:

Honda Motorrad,
6-Zylinder,
6 Vergaser,
Blockmotor quer,
luftgekühlt.

Alle Daten fehlen!
Keine Daten vorhanden.
Warum?

Die Frage stammte von einer nicht angemeldeten Person, die am 17. Juli um 16:19h mit der IP 2003:D4:2713:1F50:F120:9BAE:47CF:6C2A unterwegs war.

Beitragsbild: 2016-08-05 Tokaido Seki Juku Kameyama City Mie,東海道五十三次 関宿 DSCF6949☆ von: 松岡明芳 Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

WikiPRedia

Tuesday, 23 November 2021 17:31 UTC

Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal, die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema wabert ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch dieses Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg ist noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die Komposition eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum, Cembalo und Spottdrossel.

Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das Nächstbeste: ein Gedicht.

Wikipredia

Die Regeln
existieren und doch nicht
nach Mondstand

Die Ethik
absolut seit Anbeginn
nein denn ja

Die Praxis
gesperrt verworfen gelöscht
freigeschaltet

Wikipredia
Darwinismus der Agenturen
Überleben des Dreistesten

Allein mit der Madonna zum Hasen

Thursday, 30 September 2021 19:49 UTC

Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch Hall)

Wikipedia-KNORKE erwähnte ich ja an dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es etwas besonderes: Auf ins Museum!

In Berlin gastiert gerade die Darmstädter Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim dem Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde des 16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre faszinieren. Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung der Autorin des exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.

Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner Gruppe vor dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden über eine Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna und zur Sonderausstellung "Holbein in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in dessen Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen, sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der besseren Kunstausstellungen.



Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage des Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der Reformation war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und seine Falte. Wir staunten über die Eigentümlichkeit, dass sich niemand auf dem Gemälde eigentlich anschaut und wurden über dden Unterschied zwischen Schutzmantelmadonnen und Stifterbildern aufgeklärt. Vermutungen tauchten auf, wo das Bild wohl im Original hing - vermutlich in der Martinskirche als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis hin zum Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin zum spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth. Die Meinungen über die Sammlung Würth in der Gruppe waren durchaus geteilt, ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist es nun eher die Darmstädter Madonna oder eher die Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?

Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner Madonna und einem der prägenden Momente deutscher Kunstgeschichte: dem Dresdner Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten der Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich für das Darmstädter Gemälde. Eine Sensation,  da die Kunstkennerschaft vorher felsenhaft von der Originalität des Dresdner Gemäldes ausging. Hier zeigte sich erstmals das Bemühen, um eine rein sachlich, objektive Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der Dresdner Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die Kunstwissenschaft als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich später herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem ihren Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die originale der beiden bestätigten.

Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes (beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in das Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".

Hans Holbein der Jüngere: Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze in London, 1532. Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm. Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz

Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die beiden Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren der Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in der Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp einer Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch noch mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich begleitete wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und London. Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt. Nachdem wir dann noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie immer im Bodemuseum nicht ganz einfach und jedes mal findet man zwischendurch neue Säle) folgte noch ein erschöpfter Abschlusskaffee.

Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu entdecken.

Wen wählen in das Board der Wikimedia Foundation?

Friday, 20 August 2021 21:03 UTC

Vorweg, für die Eiligen

Meine Wahlvorschläge

  • Top 4: Douglas Ian Scott, Iván Martínez, Adam Wight, Dariusz Jemielniak
  • Top 8: Rosie Stephenson-Goodknight, Lorenzo Losa, Farah Jack Mustaklem, Gerard Meijssen
  • Wählbar: Reda Kerbouche, Pavan Santhosh Surampudi, Ravishankar Ayyakkannu

Wichtige Links

Vote now für das Wikimedia-Board

Für die nicht so Eiligen

Über den Dächern, Türmen und Gasometern Westberlins senkte sich die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen des Ullstein Castles und sinnierte. Direkt unter mir Straßentreiben, Sirenen, betrunkene Jugendliche, ein Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde Ausflügler überquerten die Stubenrauchbrücke.

In der Ferne betrachtete ich die Türme des Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen Wasserturm im Naturpark Schöneberger Südgelände. Heute Nacht auf dem Heinweg: Welchen Weg sollte ich wählen? Unten, im Süden, über den Prellerweg vorbei am Sommerbad am Insulaner? Die Nordvariante über den Tempelhofer Damm und durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder die Mittelweg, mit Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später über den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.

Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich, unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein einzelnes Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge stellt, richtig ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.

Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit der Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team Tödenhöfer über Volt bis zur Tierschutzpartei. Und so sehr es mich schmerzte das zu sagen: Das Plakatgame gewannen bisher die CDU und ihr Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl optisch – als auch damit, überhaupt inhaltliche Aussagen fern von Plattitüden zu machen.

Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl. Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf Deutsch das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung. Die Wikipedia steht meinem Herzen näher als der Bundestag und selbst als der Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern merh Gedanken. Diese Gedanken bedurften des Kontextes.

Was ist die Wikimedia Foundation?

Die Wikimedia Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik, ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den Wikipedien passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450 Angestellte, ein Endowment von 90 Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen US-Dollar.

Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten. Sie ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere schreiben keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit Artikel oder legen Inhalte in den Projekten an.

Die Foundation ist eine Organisation eigener selbstgenügsamer Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und ist – rechtlich – niemand rechenschaftspflichtig. Das Board besetzt sich prinzipiell aus sich selbst heraus. Es hat entschieden die Hälfte der Sitze Wahlen der weltweiten Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu lassen.

Was ist das Board of Trustees?

Das Board of Trustees ist das ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16 Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben Sitze besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine weltweite Communitywahl bestimmt.

Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und „weltweit / 450 Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar Einnahmen“ klar, dass das Board eine abstrakte Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick über so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe. Dieser Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine bestimmte Richtung zu lenken, eine Herausforderung.

Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß. Seiner Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die Vollzeitkräfte machen und besetzt die Geschäftsführung.

Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die Geschäftsführerin der Foundation Catherine Maher verschwand im April 2021 überraschend. Der Posten ist seitdem unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief Operations Officer im Jahr 2021 verabschiedete, die Abteilungen Communication und Technology auch niemand im Vorstand haben. Auf dem Schiff besetzt nur eine Notbesatzung an Offizier*innen die Brücke. Dem Board obliegt es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell und kompetent zu beenden.

Welche Kriterien habe ich?

Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei Kriterien erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele teilen. Und sie sollte in der Lage sein, sich in einem ehrenamtlichen Job gegen eine komplette Organisation aus Vollzeitangestellten zu behaupten. Oft genug stehen bei solch ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur Wahl, bei denen ich denke „Will Schlechtes, aber wird das erreichen“ und „Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt Chaos.“

Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit, möchte ich Kandidat*innen, die sich durchsetzen können. Kandidat*innen, die nach Möglichkeit die US-Zentrik der Foundation aufbrechen können. Ich möchte Kandidat*innen, die verstehen, dass Wikip/media keine allgemeine Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr spezifische Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt nicht kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine Weltbeglückungsziele zu stürzen, die weder die Foundation noch die Communities umsetzen können.

Wählenswert: Adam Wight. Bild: Recent selfie. Von: Adamw Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Welche Kandidaten?

Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.

Die Urgesteine

Dariusz Jemielniak – Professor of Management, daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.

Rosie Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup, Women in red, you name it. Bei überraschend vielen der Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie Stephenson-Goodknight beteiligt.

Gerard Meijssen – gefühlt war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab. Vielleicht der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein Chaot.

Mike Peel – langjähriges Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC) Hat bei mir in der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck hinterlassen.

Ravishankar Ayyakkannu – Mr. Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005 in der Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero, Google) zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte, weil er nicht nur aus dem Global South stammt, sondern auch Ausbildung und Berufstätigkeit dort durchführte.

Wählenswert: Dariusz Jemielniak Bild: Dr. Dariusz Jemielniak – Wikimedia Foundation Board von: VGrigas (WMF) Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Im Wikiversum aktiv


Reda Kerbouche – Aktiv bei Wikimedia Algeria, Founding member der Wikimedia of Tamazight User Group. Lebt in Europa.


Lorenzo Losa – Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.


Farah Jack Mustaklem
– Software Engineer, einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software. Aktiv bei den Wikimedians of the Levant und der Arabic language User Group. Mir persönlich zu sehr USA-sozialisiert für eine Board-Mitgliedschaft, andererseits sicher in jeder Hinsicht kompetent.

Douglas Ian Scott – Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der Wikimania 2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen Wartepause am Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens persönlich besser kennenlernte – und begeistert war.

Iván Martínez – langjährig engagiert bei Wikimedia Mexiko, LGBTQ+-Aktivist und soweit ich hörte, das Wikiversum Lateinamerika ist begeistert von ihm.

Pavan Santhosh Surampudi – Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich professionell etwas von Communities.

Adam Wight – Programmierer, Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard der Vertreter des Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen Movements.

Vinicius Siqueira – in Wiki Movimento Brasil

Newbies

Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit größeren Organisationen im Wikiversum fehlt vollkommen.

Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur

Wen werde ich wählen?

Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die Grenzen des Wikiversums sinnvoll einschätzen können. Perspektiven auf das Leben, anders aussehen als „in US-NGOs sozialisiert“ werden bevorzugt.

Die Top 4

  • Douglas Ian Scott
  • Iván Martínez
  • Adam Wight
  • Dariusz Jemielniak

Top 8

  • Rosie Stephenson-Goodknight
  • Lorenzo Losa
  • Farah Jack Mustaklem
  • Gerard Meijssen

Wählbar

  • Reda Kerbouche
  • Pavan Santhosh Surampudi
  • Ravishankar Ayyakkannu

Wer wird wählen

Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen zu haben, kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt gesperrt zu sein. Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind somit einfacher zu erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in der deutschen Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021 erfüllt sein. Es hilft nicht, jetzt noch schnell zu editieren.

Das Wahlsystem

Es gilt das Präferenzwahlsystem. Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als besonders fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen weniger als viele andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings nur selten eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl in letzter Zeit war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New York.

Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen nach Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der Kandidat danach eine zwei und so weiter. Hält man keine Kandidatin mehr für geeignet, hört man auf zu nummerieren.

Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen mit „1“ gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten davon. Dieser scheidet aus. Von allen „1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die „2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf die entsprechenden weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis nur noch so viele Kandidatinnen übrig sind, wie es Plätze zu besetzen gilt.

Zur Wahl

Geht es hier.

Beitragsbild: Die Apostel wählen einen zwölften Zeugen als Ersatz für Judas. Aus dem Rabbula-Evangeliar.

Wiki Loves Jules Verne. Mit Wikipedia in Braunschweig.

Tuesday, 17 August 2021 08:28 UTC


Mensch-Maschine Braunschweig


Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am Bahnsteig. 

Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren.  Eine Frau entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken „Also 22 statt der angezeigten 32.“

Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch deutscher?

Illustration aus dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de Neuville & Léon Benett


Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:


„Meine Mutter nannte dann immer eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken, Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt. Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer fanden sich kulturell kaum zurecht.“

Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und Musicaldarsteller?




Forschung Maschinenbau Braunschweig


Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt schlägt mir „Deutscher Ingenieur“ rechts und links um die Ohren. Braunschweig hebt das Thema "autogerechte Stadt" in Höhen, die selbst mir als gebürtigem Hannoveraner unerreichbar schienen.

Braunschweig. Bahnhofsvorplatz.


VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle und wurde prompt begrüßt mit „Tag des Maschinenbaus. Herzlich Willkommen.“



Vor allem aber  fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte  keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle, über die irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel verwunderlicher war, dass selbst die in Braunschweig reichlich vorhandenen 1970er-Großbauten gepflegt und sorgsam hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber, offensichtlicher spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser gepflegt als Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen darum herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie frisch aus der Packung genommen.

Wegbier. In Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber stilgerecht,


Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen gesperrt. Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement eine Rolle, sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.

Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch schon ins Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7 Geräte) nachlesend, wie das nun ist mit Braunschweig. Bekanntes taucht beim Nachlesen auf: Die physikalische-technische Bundesanstalt mit der Atomuhr; geahntes lese ich (Volkswagen – hey, das ist Niedersachsen und die Technische Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:

„Im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verfügt die Region Braunschweig über die höchste Wissenschaftlerdichte,[103] im bundesweiten Vergleich über eine hohe Ingenieurquote[104] sowie über die höchste Intensität auf dem Gebiet der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie 20.000 Beschäftigte in 250 Unternehmen der Hochtechnologie[106]“

Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren EU-Rangliste ist Braunschweig  die innovationsfreudigste Region der EU vor Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der deutsche Ingenieur. Hier lebt die deutsche Technik. Was für ein passender Ort für Jules Verne.


Jules Verne


Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts und vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller wie Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von der Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der Erde bekannt. Wikipedia und die Deutsche Jules-Verne-Gesellschaft hatten ein gemeinsames Wochenende organisiert mit einer Tagung zu Jules Verne und Gesprächen zu Wikipedia.

Volker Dehs bestreitet das halbe Programm


Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den 1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen blau eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so anders war als die großen mir bekannten Abenteuerromane von Jules Verne. Warum ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich hätte nur schwerlich begründen können, was genau mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in die Veranstalter, Science Fiction und Neugier auf diese andere niedersächsische Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.

Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt er als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans, Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene Bibliographen waren Thema und Anwesend, ebenso wie die phantastische Bibliothek in Wetzlar – die Mischung der Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich gar nicht so sehr von der Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die Perspektiven, aus denen Verne hier unter die Lupe genommen wurden, waren vielgestaltiger als sie es in der Literatur sonst sind. Faszinierend hier war die Neigung unterschiedlicher und leicht besessener Menschen sich zu einem Thema auseinanderzusetzen.

Haus der Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.



Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen Büchern durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein, während auf Verne eher zurückgeht, dass alles menschliche Streben gegenüber der göttlichen Macht sinnlos bleibt? Wen inspirierte er? Ist es eine sinnvolle Frage, dem nachzugehen, welche seiner Voraussagen, sich bewahrheiten? Dazu kamen dann noch Exkursionen zu Friedrich Gerstäcker, Fenimore Cooper, die Ingenieure, die ihre U-Boote dann nach Jules Verne „Nautilus“ nannten – und stark von diesem beeinflusst waren

Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie die Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent werden wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken beeinflusste. Romancier war er eher gezwungenermaßen – und verdiente mit seinen zwei erfolgreichen Theaterstücken in seinem Leben ein Viertel so viel Geld wie mit etwa 80 bis 100 Romanen.

Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman "der Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was niemand der Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine Dreiviertelstunde später kam die Bemerkung in einem anderen Zusammenhang, dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes einziges Buch mit einer weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen Zusammenhang, Update: Es kam wie es kommen musst. Da denke ich mal, ich habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas falsch verstanden. Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht das einzige Werk mit einer Protagonistin. Das prägnanteste Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr. (*Affiliate Links)

Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von Vernes Werk gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört, sondern es (fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo Verne Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet, dienen diese vor allem dem Zweck zu reisen.

Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen Strahl.

Die Phantastische Bibliothek


Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur mittelbar mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen Bibliothek Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le Blanc auf Wolfgang Thadewald. Den großen Phantastik- und Jules-Verne-Sammler. Thadewald verstarb 2014. Er lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner Sammlertätigkeit, seiner Liebe zu Büchern und zu Menschen, aber auch die Besessenheit mit der Thadewald an ein Thema heranging und auch von Krankheit schon schwer gekennzeichnet das Arbeiten an Bibliographien nicht lassen konnte – es ließ sich nicht anders beschreiben als bewegend. Sicher war dieser Vortrag mein emotionaler Vortrag des Programms.

Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen: Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die Berichte  werden manchmal von öffentlichen Stellen, öfter von Großunternehmen bestellt, die damit selber zukunftsfähig werden wollen und in die Zukunft denken.

So als Beispiel: Nanotechnische Ideen in der Science Fiction



Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.

Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die größte Bibliothek ihrer Art im Hintergrund und seit mittlerweile einigen Jahren eine große Datenbank aufgebaut, was Autoren zu verschiedenen Themen schreiben.

Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich durch gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen Büchern im Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen muss, dass ein Roman nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass es nichts gibt, was so sehr Denkprozesse auslösen und Kreativität triggern kann, wie Romane. Der befreit das Hirn gerade vom strikt logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die Perspektive etwas nach links oder oben, und schon öffnen sich vollkommen neue Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es überraschend ist, dass sie wirklich angenommen wird. Anscheinend wird sie das.


Mensch Maschine Normal


Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste Handy-Ticket meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder. Ist diese Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so unfassbar „normal“ vorkommt, vielleicht die große Ausnahme? Sind die Musicaldarsteller, die mit „dem Alex“ [Alexander Klaws] telefonieren, normal? Die Menschen im Ministerium? Die größten Jules-Verne-Experten des Landes, die alle noch einen anderen Brotjob haben? Oder eher die Normalität vieler Menschen, die darin besteht, am Ende des Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10 Tage mit dem leeren Konto noch überbrückt werden können?





Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.

Weiterlesen


Mit Wikipedianern kann man nicht nur Verne lesen, sondern auch Cocktails mischen: Ramos Gin Fizz für die Enzyklopädie.

Oder man läuft mit Wikipedianern durch den Wedding:Tanz auf dem Guglhupf, Automatenmaden und die „brutalism appreciation society“ im #wedding

Mehr zu Future Life bei der phantastischen Bibliothek: Future Life. 

Zum Jules-Verne-Club

Die Wikipedia-Seiten zur Veranstaltung: Wikipedia:Wiki Loves Jules Verne

Beiträge zur Veranstaltung im Wikipedia-Kurier und im Blog von Wikimedia Deutschland.

Der grüne Strahl im Gesamttext bei zeno.org: Der grüne Strahl

Alle Iberty-Posts zur Kultur stehen unter: Kultur in Iberty!

Anmerkungen


Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:

„Nichts gegen das große Geld und die wenigen, die es genießen können, aber die Stärke mitteleuropäischer Gesellschaften liegt gerade in der Mischung. Für Reiche ist es in Singapur, Russland und Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping Malls gibt es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter Wasser und auf dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und Dunkle, Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und drängeln, gibt es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich, dass es in Algerien beispielsweise keine öffentlichen Schwimmbäder gibt oder dass man in den USA oder in Brasilien Mitglied in einem Club werden muss. Das ist eine teure und in vieler Hinsicht sozial sehr voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur um mit den Kindern mal schwimmen zu gehen, es sei denn natürlich, jeder hat seinen eigenen Pool im Garten, was, für mich zumindest, wie eine Definition von struktureller Langeweile klingt.“ (s. 104)


 

*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision, wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten bestellt.


Berlin celebrates old school #wikipedia15

Tuesday, 17 August 2021 08:13 UTC

I still remember the time when real life meetings for Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one really want to meet these strange other people from the Internet? How would they be? Could they even talk in real life or would they just sit behind a laptop screen staring on it for hours?

My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!) sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen. These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and personal in nature and no talk about projects, collaborations, “the movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians having a nice evening.

WP15 Germany Berlin 01
Bild: By Sargoth, CC BY-SA 3.0

So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the old school way. Half improvised, organized by our dearest local troll user:Schlesinger on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come and what would happen except some people having a good time.

And so It was. In the “Matzbach” in the heart of Berlin-Kreuzberg seven people promised to come, in the end we were almost twenty. Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians, a Wikipedian active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies and two and a half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from Wikimedia Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake, and we just talked and laughed, talked about history and future.  Actually, mostly we talked about future.

WP15 Germany Berlin 03
Bild: By Sargoth, CC BY-SA 3.0

About the Wikipedian above 30, who has just started a new a university degree in archaeology, the question whether the Berlin community should have its own independent space, industrial beer, craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the vending machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in the future, who should come to the open editing events, how to work better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t there, looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or rather not when planning something for Wikipedians, explaining Wikipedia to the newbie, the difficulties of cake-cutting and whatsoever.

No frustration, almost no talk about meta and politics, just Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old school. So good.

WP15 Berlin Torte angeschnitten

Die Verschwundenen

Tuesday, 17 August 2021 08:13 UTC

Crossposting eines Posts von mir aus dem Wikipedia Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja doch andere Menschen.

Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren und Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen sind und gearbeitet haben.

Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren. Wie armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka Wikifanten - fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die entschwanden. Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es um lauter einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben, Arbeitsstilen und Interessen geht, die in Wikipedia tätig waren und sind. Es gibt vor allem diejenigen, die kommen, einen Beitrag leisten und dann wieder verschwinden. Der größte Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von Menschen und Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im Artikelnamensraum aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie unermütlich über viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an einen oder zwei Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass sich fast nichts über sie sagen lässt. Vielleicht sind die Beitragenden per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr fleißige Autorin? Wer weiß?


 Viele Wikipedianerinnen und Wikipedianer sind derzeit inaktiv.

Anlässlich des Projektes WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat, musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir unbekannter Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten Wikipedistas waren dort vor allem mir unbekannte Accounts. Accounts, die oft aufgehört haben zu editieren. Meist sind sie still und leise gegangen. Ihre Edits und Kommentare geben keinen Hinweis warum. Aber anscheinend war es anderswo schöner. Oder sie hatten den Einruck, alles in Wikipedia geschrieben zu haben, was sie beitragen wollten. Um diesen Autorinnen und Autoren zumindest nachträglich etwas Aufmerksamkeit zu geben, um ihre Namen kurz aus den Tiefen der Versionsgeschichten zu retten, sollen hier einfach einige Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt werden, die sich um den Wedding in Wikpedia bemühten bevor sie verschwanden.



Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße. Ein Mammutwerk von Gtelloke, dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.


Bild: Die Chausseestraße 114-118 in Richtung Invalidenstraße von Gtelloke
Lizenz: CC-BY-SA 3.0



Da ist der Artikel zum Wedding selber. Angelegt 2002 von Otto, dessen letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und Schlafgängern waren Teil seines kurzen Werks, das im Wesentlichen nur zwei Wochen im November 2004 dauerte, aber die Grundlagen wichtiger Artikel zur Berliner Sozialgeschichte legte. Ein Blick auf seine Benutzerseite zeigt auch den Geist der Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König ist tod, lang lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes! Licht und Liebe''

Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64, auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier, mal die Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort, Hinzufügen und Löschen von berühmten Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute noch aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen Artikel etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.

Der Leopoldplatz; angelegt von Frerix, der in den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie auch nur eine Benutzerseite für nötig hielt und anscheinend auch in keine Diskussion verwickelt wurde.  Zu seinen wenigen Beiträgen gehören neben der Anlage des Leopoldplatzes auch noch die Anlage der englischen Stadt Sandhurst, die Anlage des Kreuzviertels in Münster und des Three Horses Biers. Dann war er/sie wieder weg. Mutter des Artikels ist hier aber 44Pinguine, die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute noch aktiv ist.

Da wäre das Wahrzeichen des Weddings. Die Alte Nazarethkirche. Der Artikel stammt vor allem von 62.246.210.30.


Bild: Leopoldplatz, Ev. Alte Nazarethkirche, 1832–35 von Karl Friedrich Schinkel von Schliwiju

Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so entscheidend wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte in seiner Frühzeit von WHell, engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ. Der letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo WHell, ich möchte Dich als den Hauptautor darüber informieren, dass ich den Artikel John Bull (Lokomotive) in die Wiederwahl zum Exzellenten Artikel gestellt habe,“ Größere Beiträge zur WEG folgten in den späteren Jahren durch Peterobst – aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit Beiträgen zur Berliner Industriegeschichte, nach seiner Benutzerseite AEG-Kenner und in Arbeit an einem Buch über den Konzern. Es folgten 80.226.238.197, von Georg Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht unregelmäßig), Flibbertigibbet 2006 , 79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen 44Pinguine. Weiter ausgebaut von Onkel Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben !“ und hielt sich im Wesentlichen daran.

Da ist der Volkspark Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005, aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich ausgebaut, umfassend überarbeitet 2007 von 84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka. Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009 und 2014, die Edits waren wenige, aber die Qualität war hoch.


Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in Berlin, Wedding (Mitte). Von: Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv, Magadan, Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.

Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen. Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts und IPs an den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren deutlich weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in den von mir angesehenen Artikeln verteilen sich auf 44Pinguine,  Fridolin freudenfett und Definitiv. Wikipedia wird kleiner und noch lebt sie. Aber wir können all‘ den Verschwundenen danken, die vor uns kamen.

Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder über Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad auch der serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt übernommen haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer Meinung sind, rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.

Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon zumindest ein Admin gebannt.

Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht; oder genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil Polen einen Genozid an Deutschen verübt hätten.

Der ganze Bericht kann hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es geht aufklären und nicht Propaganda verbreiten!

IeS: Blog ist zurück

Friday, 16 April 2021 21:38 UTC

Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen, sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir Glück 🙂.

Wahl: Oversighter-Wahlen

Friday, 16 April 2021 21:11 UTC

Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche: Viel Erfolg!

Gab es in der DDR Spaghetti?

Friday, 26 March 2021 09:39 UTC

Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die Seite zur Auskunft. Dort können Menschen mögliche und unmögliche Fragen stellen, die dann mal launisch, mal larmoyant, mal ernsthaft oder auch gar nicht beantwortet werden. Wie im wahren Leben und eine ewige Fundgrube obskuren Wissens, seltsamer Fragestellungen und logischen Extremsports.

Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad (1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo: 102.



Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:

 "Warum gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und ist mir auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden Verwandtschaft bestätigt worden. Warum?"

Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige Diskussion, die immerhin folgendes ergab:

* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli, darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR ähnelte in vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als dies für die westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die mangelnde Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter, Italienreisen, Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce Carbonara!


Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild: Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von: Brian Ammon, Lizenz: CC-BY-SA 3.0
 
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti, Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika des geteilten Deutschlands.

Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber? Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?

Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die dortige Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das heimische "Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des Badischen Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in Karlsruhe, kennt sowohl Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt für heute: die Makkaroni werden in "halbfingerlange Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30 Minuten gekocht.

Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden erklärt als "Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte. Beim Einkauf achte man darauf, daß sie nicht hohl sind"

Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.

Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren "Macronen" waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden in Prag und Wien echte Makkaroni-Fabriken.

Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours für junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und klassische europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf der Tour aber anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen kennenlernten, sondern auch Pasta.

Philip Dawe, The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade (1773) - 02
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild: Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade, 1773.

In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow who dressed and even spoke in an outlandishly affected and epicene manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch: "Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl auch die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.

Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen Männern ist nun wiederum im Englischen der Macaroni penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.


Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil, nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South Georgia von Liam Quinn, Lizenz: CC-BY-SA 2.0

Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit wann? Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert. Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich relativ problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende ’ngegno da maccarun anschließen lies, die es den Neapolitanern ersparte stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu kneten: im Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer, je nach Form des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und damit unter anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen Fäden zum trocknen in die süditalienische Sonne gehängt.


Sommer, Giorgio (1834-1914) - n. 6204 - Napoli - Fabbrica di maccheroni
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild: Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo: 6204. 


Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum die Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die Tomatensauce in der Schweiz ließen? Warum gibt es in Deutschland kein Äquivalent zu "Macaroni and cheese" (mehr)? Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der DDR, bei dem es Pasta, Sauce und Käse schon in einer Packung gab? Warum sind Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in vielen anderen Ländern aber dicker und hörnchenförmig-gebogen? Es ist hochspannend. Und ein Grund, noch viel mehr zu recherchieren.

Weiterlesen

Eine Investigation: Es gibt kein Mirácoli Carbonara mehr.

Coolest Wikipedia Tool 2020: Pywikibot

Thursday, 7 January 2021 17:31 UTC

Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die besten Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken. Eines davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.

Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger vereisen ließ.

Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener, Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen gezeichnet. Der Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht blies, trieb die Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles war geschlossen und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht mehr sehen. Über der Szene kreiste ein hungriger Taubenschwarm.

„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ Hüpfburg. „So viel Platz! Fast das ganze Hafengelände gehört uns. Und wir können uns problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“ – Sie antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt. Ich bibbere. Das letzte Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im Rozbrat mit meiner ehemaligen Band aufgetreten: „Pierdzące Zakonnice“.

Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu erfrieren.

Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es nur scheißkalt. Ich gehe.“

Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an ein Video erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte: „Wikimedia Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ Hüpfburg für die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern, postete ich ihr den Link.

Southgeist: https://www.youtube.com/watch?v=zYM4k_LD_9w – Tools sind doch was für Dich

Hüpfburg: click

Hüpfburg: Das ist Wikipedia. Was soll ich damit?

Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen. Fast nur Technik und kreative Sachen.


Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll gehen?

Southgeist: Schau doch mal.

Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang Berliner Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine Lautsprecher wären kaputt.

Hüpfburg: I like the music.

Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.

Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia schauen? In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen Priester vom Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage mir lieber, was für Tools vorkommen.

Die coolest Tools

Ich erzählte.

Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser (Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“), SDZeroBot generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder Benutzer noch ihre Seiten“), Proofread Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch spießiger?“), Listen to Wikipedia („Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei Wikipedianer kommen und einander heiraten wollen, werde ich das Tool in den Event integrieren“), AbuseFilter („Zu sehr Polizei“), LinguaLibre („I like“), und Pywikibot – ein Tool zum Erstellen weiterer Tools. („Das klingt spannend – erzähle mir mehr.“)

Pywikibot

Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit überschaubarem Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an einem der bereits auf dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen. Die Bots können prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von MediaWiki-Wikis auch können – nur schneller.

Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich bedeutet: jemensch muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das dauert länger als ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel, wo es eine hohe Zahl gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben ist das wenig – zum Anpassen von Formalien ist es super. Und dazwischen liegt ein Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht alles ist erlaubt – und um die Kontrolle zu wahren, hat der Pywikibot einen automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot absichtlich ausbremst.

Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus dem Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die aktuelle Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die Community, die sich um das Framework kümmert, hat eine dreistellige Zahl von Mitgliedern und ist so international, wie es die frühe Wikipedia war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus würde ich auch sagen, was Charaktertypen und Soziodemographie angeht, ist die Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der Ur-Wikipedia als die heutigen Wikipedistas.

DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese Tool-Awards sind solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework gibt es seit fast 20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast 15 Jahren. Ist der Award so langsam oder gibt es so wenig Neues?“

Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden. Wie bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft aber nur selten fundamental Neues.

Change Musiker to Musiker*innen

„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video nach zu urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine wichtige Aufgabe erfüllt.

DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot alle ‚Musiker‘ in Wikipedia durch ‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene Hindernisse. Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“

DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch, würde sie einen beigen Pullunder über weißem Hemd tragen und Leserbriefe an die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber ich kann mein eigenes Wiki aufsetzen und da noch Herzenslust alles bot-mäßig umbauen?“

Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel zu tun und die sind superfreundlich dort.“

DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in Wikidata! Das wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der Kutsche, die dann doch nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends spielten wir Mozart. Da haben die Squatter angefangen mit Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter dem Gong geduckt und ich ein Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich noch an den einen Tänzer, der allein Stand und Luft-Küchenmaschine gespielt hat. Ein Arm angwickelt am Körper als würde er die Maschine an sich drücken, mit dem anderen weit ausholende Bewegungen, um dann auf dem Einschaltknopf zu laden.“

„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock versetzt und die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir alle Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris, Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer Studentinnen“ sagte mal eine Professorin. Kasia wäre fast dieses Jahr in der Philharmonie aufgetreten. Aber Deine komische Wikipedia hat immer noch keinen Artikel von ihr.“

Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“

Ruhe. Hüpfburg dachte.

„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle Personen auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in Wikipedia anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das müsste doch gehen. Vielleicht ist es einen Versuch wert.“

(Beitragsbild: Brødmaskin med striper i mange farger von: Øyvind Holmstad Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

SPARQL für Anfänger. Ein Versuch.

Wednesday, 18 November 2020 13:49 UTC

SPARQL ist wie SQL, nur mit mehr Kontext. SPARQL ist eine Datenbanksprache, die es erlaubt, das Semantic Web zu befragen. Eine Sprache, die nicht nur Daten liefert. Sie ergründet auch das logische Verhältnis zwischen diesen Daten. Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist es schwieriger. Ein Selbstversuch mit SPARQL, Wikidata und Schwimmbädern.

Es nieselregnet. Auf dem „Street Food Market“ am Tempelhofer Hafen versucht Schlagermusik die Trostlosigkeit zu vertreiben. Hinter DJ Hüpfburg und mir steht der „Irish Pub“-Wagen, ein Fleischer-Wagen und Curry Paule. Streetfood is coming home.

Street Food kam zurück von den Hipstern, die nach dem Thailandurlaub ihre Liebe zu Street Food entdeckt haben, zu den Leuten, die schon seit Jahrzehnten Essen an Deutschlands Straßen zubereiten. Die einzigen Gäste bei Curry Paule sind die Mitarbeiter vom Irish Pub. Am Irish Pub Wagen steht niemand. Ein eisiger Herbstwind verleidet den Aufenthalt draußen. Curry Paule bietet als große Attraktion vegane Wurst. Das hätte es 1985 nicht gegeben.

DJ Hüpfburg heuchelt Interesse gegenüber meinen Rede. Wir sitzen auf den Stufen am Hafen, betrachten die wöchentlich kleiner werdende Gruppe der Freizeitboote dort. Ich erzähle die letzten Züge einer Anekdote. Es geht um Mund-Nasen-Masken und Kommunikation:

„Ich stehe also mit Madame im IKEA. Wir hoffen auf die letzten Karlhugo-Stühle. Die sind quasi immer ausverkauft. Schaust du auf die Website bei unserem Laden, siehst Du einen oder zwei. Dann wieder null. Dann einen halben Tag lang acht Stühle, dann wieder null. Wir fürchten, bald gibt es sie gar nicht mehr. Wir fürchten, IKEA nimmt sie aus dem Programm. Also online geschaut, ob sie im IKEA Schöneberg vorhanden sind. Schnell die Gelegenheit ergriffen. Wir fuhren zum Bestellschalter, natürlich brav mit Maske, wie die Dame hinter der Plexiglasscheibe auch. Die Sprache wird durch die Masken vernuschelt.

Madame: Wir würden gerne einen Karlhugo abholen.

Verkäuferin schaut skeptisch: Karlhugo? Nie gehört. Sicher, dass es Karlhugo ist?

Madame: Doch, sicher: Karlhugo.

Verkäuferin tippt zweifelnd in ihren Rechner: „Ne, nichts.“

Madame: „Sicher, im Internet stand hier sind noch wir.“

Verkäuferin tippt weiter, kopfschüttelnd: „Kein. Karlhugo. Gar nicht.“

Madame hat mittlerweile die Website aufgerufen, zeigt sie der Dame in Blau-Gelb: „Hier. Acht Exemplare Karlhugo im IKEA Schöneberg.“

Verkäuferin: „Ach, Karlhugo! Gar nicht Karlhugo!“ Sie tippt energisch.

„Hätten sie doch gleich Karlhugo gesagt!“

Sie druckt den Zettel für die Kasse aus. Madame fragt mich: Hast du verstanden, was sie gesagt hat? Ich: „Karlhugo“.

DJ Hüpfburg ist beeindruckt. Ich bilde mir ein, einen Mundwinkel zucken zu sehen. „Du solltest Stand-Up-Comedy machen. Am besten mit Maske. Dann verstehen die Leute Dich schlechter.“

Ihre Gedanken werden düsterer: Weißt Du, wo man schnell einen Corona-Test herbekommt? Eine Freundin, Schneiderin, hatte einen Kunden, der jetzt positiv getestet ist. Das war ein schöner Auftrag: Dark Academia meets Southern Gothic, dunkle Mäntel, Cardigans, Wollpullover und künstliche Spinnenweben. Sie hatten vier Treffen in der letzten Woche zur Absprache. Mich hat sie gefragt, ob ich eine Quelle für schicke Brillen dazu habe. Hat Spaß gemacht. Also schön, bis der Kunde anrief mit dem Testergebnis. Nun ist alles Grütze.

Sie will gar nicht den Laden zumachen und schnell einen negativen Test. Aber dafür muss sie überhaupt an einen Test kommen. Und jeder geschlossene Tag schmerzt. Ich überlege: „Ich glaube, ich kenne eine Ärztin mit Corona-Sprechstunde. Müsste ich zu Hause suchen.“

Wir schweigen. Nieselregen und Herbststurm werden durch Gedanken an überfüllte Intensivstationen ergänzt. Eine Lachmöwe mit einem Pommes im Schnabel fliegt vorbei. Dj Hüpfburg steht wortlos auf, vegane Currywurst kaufen.

Sie kommt mit einer Wurst und einem Prospekt zurück. Große gelbe Buchstaben fordern mich auf: „Curryspargel! Freu Dich auf den Sommer!“

„Dirk, du hast mir Unsinn erzählt. Sparkel spricht sich gar nicht Spargel aus.“ Ich: „???“ Diese Datenbanksprache: SPARQL. Die wird „Sparkel“ ausgesprochen, wie im Englischen to sparcle leuchtend/blinkend. Sterne sparclen. Nicht wie im deutschen „Spargel.“

„Okay. Aber wie kommst du darauf?“

Ich spielte im Internet herum. Mir war langweilig. Hochzeiten im Oktober bei Corona ist kein Business. Also dachte ich, ich nutze die Zeit und beschreite innovative Recherchewege nach Eventlocations. Schlösser, Burgen, Industrieruinen. Als du mir wieder mit Wikipedia auf die Nerven gegangen bist, hast du von Wikidata erzählt. Ich dachte, Zahlen kann ich. Ich schaue wie das geht. Jetzt schaue ich Videos und ich teste.

Wikidata

Wikidata ist eine offene Datenbank. Das heißt: eine große Datenbank, in der Daten über alles stehen. Von der vagen Grundidee her so wie Wikipedia, aber mit weniger Gelaber. Wobei die Inhalte nicht einfach in der Datenbank stehen. Sie sind logisch verknüpft.

Es stehen nicht nur A, B und C in der Datenbank, sondern ihre Beziehung. Wenn dort steht „A ist Kind von B“. Und dort steht: „B ist Kind von C“. Dann kann man Abfragen, dass A das Enkelkind von C ist, ohne dass dies so explizit vorher eingegeben werden muss. Steht dort auch noch „D ist Kind von B“, kann man Abfragen, dass A und D Geschwister sind, ohne dass dies explizit in der Datenbank steht.

Bei Wikidata kann jede auf die Daten zugreifen, und etwas mit ihnen machen. So als einfache Idee: in Wikidata stehen immer die aktuellen Einwohnerzahlen jeder Stadt. Dann muss Wikipedia diese nicht mehr in jeder Sprachversion nachtragen, sondern kann diese aus Wikidata ziehen. Aber auch externe Anbieter.

Es ist möglich, Wikidata, direkt als Mensch aus quasi ocioell per Auge zu lesen. Hier zum Beispiel der Eintrag für das Stadtbad Mitte in Berlin:  Aber das ist ehrlich gesagt, hässlich, unübersichtlich und keinerlei Gewinn gegenüber Wikipedia. Da gefällt mir die Quartettkarte besser:

Quartettkarte "Stadtbad Mitte" im Quartett Schwimmbäder in Berlin / Zitronenpresse
Quartettkarte Stadtbad Mitte / Schwimmbäder in Berlin / Zitronenpresse

Besser für Wikidata ist eine Abfrage, die die gesuchten Daten hübsch arrangiert. Man befrage die Datenbank. Da man mit einem Computer Computersprech reden muss, gibt es SPARQL.

SPARQL

SPARQL ist eine Sprache zum Abfragen solcher semantischer Datenbanken. Sie existiert als offizielle Empfehlung des W3C-Konsortiums seit 2008. Inspiriert wurde sie durch SQL, hat aber Features, die ihr das logische Denken ermöglichen.

Wikidata hat eine Schnittstelle, in der man SPARQL-Abfragen einstellen kann: https://query.wikidata.org/

Alle Schwimmbäder

Schau mal, Du kannst Dir alle Schwimmbäder anzeigen lassen.

Das ist die Abfrage:

SELECT ?item ?itemLabel
WHERE
{
?item wdt:P31 wd:Q357380.

SERVICE wikibase:label { bd:serviceParam wikibase:language „[AUTO_LANGUAGE],de“. }
}

Ich: Aha?

Hüpfburg: Also von Anfang an.
SELECT – sagt, zeige mir Folgendes an: ?item und ?itemlabel

?item – ist jeder Gegenstand mit seiner Nummer in der Datenbank. SELECT ?item sagt „Zeige mir Gegenstände an, wie sie in der Datenbank stehen.“ Also zum Beispiel Q1292740.

SELECT ?itemlabel sagt „Zeige mir Gegenstände an, mit dem Namen, mit dem Menschen sie benennen.“ Also zum Beispiel „Stadtbad Mitte“.

Okay. Aber noch zeigt SELECT ?item ?itemLabel ja ALLE Gegenstände an. Nicht nur die Schwimmbäder.

Genau. Deshalb kommt ein Filter. Der wird gesetzt mit WHERE { }. Also zeige mir alle Gegenstände und ihre Bezeichnung, die folgende Bedingung erfüllen:

?item wdt:P31 wd:Q357380.

Total klar.

Okay: ?item – heißt für jeden Gegenstand muss eine Bedingung gelten.
wdt:P31 – jeder der Gegenstand muss zu einer bestimmten Klasse gehören, die im nächsten Wert steht.
wd:Q357380 – Das ist die Klasse, zu der der Gegenstand gehören muss. Hier: Hallenbad.

In Worten steht dort: Zeige mir alle Gegenstände, wenn diese Gegenstände zur Klasse Hallenbad gehören.

Die letzte Zeile – SERVICE wikibase:label… – sagt nur, dass wir nur die deutsche Bezeichnung haben wollen, nicht auch die englische, finnische und japanische

Hier we go!

Ich „109 Bäder. Weltweit. Ich bin nicht beeindruckt. Das sind weniger Bäder als Berlin und Brandenburg haben.“

Alle Schwimmbäder mit Bild

Hüpfburg: Aber es geht noch mehr. Die kannst dir jedes Bad mit einem Bild anzeigen lassen.

Hier die Abfrage:

SELECT ?item ?itemLabel ?pic
WHERE
{
?item wdt:P31 wd:Q357380.
?item wdt:P18 ?pic

SERVICE wikibase:label { bd:serviceParam wikibase:language „[AUTO_LANGUAGE],de“. }
}

SELECT kennst du ja schon. Diesmal soll ein Bild angezeigt werden. Also „?pic“ – zeige neben dem Gegenstand und dessen Namen auch das Bild.

Im Filter, also WHERE steht auch, dass ein Bild vorhanden sein muss.

Ich: „Okay, nur 79 Bäder. Und immer noch keine Bilder zu sehen. Nur ein Link“

Dann setzt Du #defaultview:imagegrid davor, dann hast du eine schöne Ansicht.

Okay, nun 79 mehr oder weniger schöne Bilder von 79, Bädern, die random sind. Die Idee überzeugt mich mehr als das Ergebnis.

Alle Schwimmbäder auf Karte

Die Abfrage mit Karte.

#defaultView:Map
SELECT *
WHERE {
?item wdt:P31/wdt:P279* wd:Q357380;
wdt:P625 ?geo .
}

SELECT: Wie vorher auch, nur dass du dieses Mal nichts angeben musst oder kannst, was gezeigt wird. Das macht #defaultView:Map

Der Filter, also WHERE hat nun noch wdt:P625 ?geo – es zeigt die nur Gegenstände an, die auch einen Platz auf der Karte haben.

Screenshot Schwimmbäder in Wikidata
Karte als Ergebnis der Abfrage „Schwimmbäder mit Karte“

Okay. Und wenn ich darauf gehe, sehe ich, dass es in den USA wd:Q15263936 gibt. Erstaunlich! Ich weise Hüpfburg darauf hin: Aber du kennst schon den Bäderatlas? Da gibt es alle deutschen Bäder – mehrere tausend, nicht einige Dutzend. Auf einer Karte. Mit allen wichtigen Infos. Und ich muss vorher nicht rumspargeln, um an die Infos zu kommen. Da reicht es, auf die Seite zu gehen.

So viele Möglichkeiten

Und wo sind die logischen Verknüpfungen in diesen Wikidata-Abfragen? – Die müssen erst in der Datenbank stehen. Wenn bei den Bädern der Architekt stünde, könntest du eine Abfrage bauen: „Zeige mir alle Gebäude von Schwimmbadarchitekten, die vor 1900 geboren wurden.“

Oder zeige mir alle verschollenen Filme, die als Handlungsort ein Schwimmbad haben. Oder zeige mir Schwimmbäder in Deutschland, die nach 1970 eröffneten und schon wieder außer Funktion genommen wurden. Nur fehlen dafür die Daten in der Datenbank. Daten, die nicht vorhanden sind, kannst Du nicht abfragen.

Ich stelle fest: „Als Schwimmbadsuchmaschine bin ich enttäuscht.“

„Ja“, wendet DJ Hüpfburg ein. „Aber ich suche keine Bäder. Ich suche Schlösser, Burgen und Industrieruinen. Für die gibt es keinen Atlas. Und Dirk, wie immer. Du denkst zu kurzfristig. Irgendwann stehen in Wikidata die Bahnlängen und die Gastro und die Beckentiefe und der Architekt und alles in der Nähe. Dann kannst du alle Bäder in der Nähe eines Bahnhofs suchen. Oder Hallenbäder mit 50-Meter-Bahnen. Oder alle historischen Bäder Italiens.“

„Okay, und wann? Bei dem Tempo dauert das bis 2050 oder so.“

Kann es sein, dass eine Datenbank da wirklich anders funktioniert als ein Lexikon? Wikidate andere Bedingungen erfüllen muss, um zu funktionieren als Wikipedia? Wenn das Lexikon große Lücken hat, freut man sich halt, über die Teile, die da sind. Da hat jeder Eintrag für den Leser einen Wert an sich. Wenn eine Datenbank große Lücken hat, ist sie nicht nutzbar, weil die Ergebnisse zufällig wirken. Dort bekommen die Einträge ihren Wert erst durch ihre Menge.

Sie gibt sie nicht geschlagen: „Denke an die Möglichkeiten. Du kannst es in deine Website integrieren. Stell dir vor du hast exklusive Schwimmbadvideos. Oder machst eine Seite über den Architekten Ludwig Hoffmann. Oder über Bahnhöfe in der Nähe von Sportstätten. Dann musst du dafür keine eigene Datenbank pflegen, sondern kannst ganz einfach die Daten aus Wikidata importieren.“

„Ganz einfach“, klar, lästere ich.„Einfacher als selber pflegen. Wenn ihr drei Leute findet, die das für ihre eigene Website machen, ist das Ergebnis besser, als wenn jeder seine eigene Datenbank hat.“

Da sage ich „das kenne ich“. Am Ende greifen Google und Facebook die ganzen Daten ab, bauen die in ihre Oberfläche ein – und das war es dann mit meinem Schwimmbadblog. Aber ich bin versucht. Mag die Hoffnung nicht fahren lassen.

„Okay. Ich trage jetzt ein, dass das Stadtbad Mitte eine 50-Meter-Bahn hat!“ Aber wie mache ich das? „Bahnlänge“ finde ich nicht als Kategorie. Muss ich die jetzt erfinden. Sinnvollerweise ja beim Oberbegriff „Hallenbad“? Aber wie lege ich das da an? Und was passiert mit Bädern, die mehrere Becken mit verschiedenen Bahnlängen haben? Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun.

Oder ich stelle Wohnzimmerstühle ein. Vielleicht sind die weniger komplex. Aber gibt es Kriterien für Relevanz in Wikidata? Fragen über Fragen.

Weiterlesen

Wo Wikidata sinnvoll wäre: Biographien von Sportlern

Die schönen Schwimmbadvideos gibt es bereits. Zum Beispiel vom Stadtbad Charlottenburg.

Wikipedia von A bis Z. Ein Versuch

Monday, 20 July 2020 19:16 UTC

Brockhaus


Die Brockhaus Enzyklopädie ist ein mehrbändiges Nachschlagewerk in deutscher Sprache, das zuletzt von dem zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Wissen Media Verlag herausgegeben wurde. Ist es ein Nachschlagewerk? War es ein Nachschlagewerk? Seit einigen Jahren befindet sich der Brockhaus in einer Art Limbo des Untotseins. Irgendwie existiert er noch. So richtig aber auch nicht mehr. Ohne jetzt die Irrungen und Wirrungen des ehemaligen Goldstandards der deutschen Nachschlagewerke nachzuerzählen, reicht es mir zu erwähnen, dass noch vor 10 Jahren der Brockhaus quasi das unerreichbare Ziel, die große Messlatte und die ferne Vision dessen war, was Wikipedia werden sollte. Genau wie Wikipedia den Brockhaus anscheinend maßlos überschätzte, so war und ist der Brockhaus selbst ratlos wie er mit der Wikipedia umgehen sollte. Man weiß nicht, ob man von vertanen Chancen reden soll. Denn hatte der Brockhaus je Chancen?

Chiara Ohoven



Chiara Ohoven ist ein deutsches It-Girl. Viel mehr wissen wir nicht, da Wikipedia den zu Chiara gehörigen Artikel permanent löscht. Vor einigen Jahren erlangte sie kurzzeitig deutschlandweite Berühmtheit durch eine Do-it-Yourself Schönheits-OPs mit Schlauchbootlippen als Ergebnis, fand aber vor den Do-it-Yourself-Enzyklopädisten damit keine Gnade. Ansonsten folgt Chiara ihrer Mutter und ihrem Vater auf das Parkett der High Society und des Glamours. Und da kein Wikipedianer je zur High Society gehörte oder gehören wird, gilt sie in Wikipedia weiterhin als nicht-relevant.

Donauturm




Der Donauturm ist ein Aussichtsturm[4] inmitten des Donauparks im 22. Wiener Gemeindebezirk Donaustadt. Darüberhinaus sieht der Donauturm aus wie ein Fernsehturm, was zu einem der erbittertsten Editwars in der Wikipedia-Geschichte führte. Dort der Fachmensch für Fernsehtürme, der sich sehr sicher war, dass Fernsehturm die Bezeichnung eines bestimmten architektonischen Typs ist, dort eine Gruppe Wiener und Österreicher, die darauf verwiesen, dass von diesem Turm kein Fernsehsignal übertragen wird, noch nie ein Fernsehsignal übertragen wurde und niemand je plante von diesem Turm aus ein Fernsehsignal zu übertragen. Beide Seiten standen fester zu ihrem Standpunkt als der Donauturm im Wiener Boden. Schlußendlich führte der Editwar zu einem mehrseitigem Artikel im Spiegel, gebrochenen Herzen, frustrierten Wikipedianern und der Tatsache, dass jeder Wikipedianer weiß wie der Donauturm aussieht.


Elian


Elian ist ein in den 1980er Jahren aus dem Französischen entlehnter männlicher Vorname. Er geht auf den Beinamen Aelianus, eine Ableitung des römischen Geschlechternamens Aelius, zurück. elian (klein geschrieben und gesprochen eher wie Alien) kann auch als weiblicher Internetnickname genutzt werden. Ohne elian keine Wikipedia so wie wir sie kennen.

Gdansk



Danzig (polnisch Gdańsk Zum Anhören bitte klicken! [ɡdaɲsk],[3] kaschubisch Gduńsk), die Hauptstadt der Woiwodschaft Pommern im Norden von Polen, liegt an der Ostsee rund 350 km nordwestlich von Warschau und steht mit über 460.000 Einwohnern auf der Liste der bevölkerungsreichsten Städte Polens auf Platz sechs. Außerdem ist Gdansk Anlass des ersten Edit Wars, den ich persönlich mitbekommen habe. Es war 2003. Es war in der englischen Wikipedia. Deutsche und polnische Nationalisten ähnlicher Angestrengtheit konnten sich nicht einigen, ob die Stadt nun Danzig oder Gdansk heißt. Hilflos naive und offensichtlich überforderte Amerikaner versuchten zu vermitteln. Der interessante Moment kam, als der Edit-War zur Frage überging, ob die Band Danzig nun "benannt ist nach der Stadt Gdansk, ehemals Danzig" oder "benannt ist nach der Stadt Danzig, heute Gdansk".


Hubertus


Hubertus ist ein männlicher Vorname. Er wird NICHT Atze abgekürzt.

Kreuz


Curious Myths p 81
Bild: Page of symbols referenced in s:Curious Myths of the Middle Ages. 1868 von Sabine Baring-Gould. Public Domain.

Das Kreuz ist ein weltweit verbreitetes Symbol, das insbesondere religiöse und kulturelle Bedeutung hat. In diesen Bedeutungen hat sich Wikipedia unentrinnbar verheddert. Einerseits ist das Kreuz-Symbol ein wunderbares Beispiel dafür, welche Probleme das Internetprojekt mit Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten jeder Art hat. Andererseits ist der Streit darum ein tragischer Fall epischen Ausmaßes, der die Wikipedia-Community über Jahre in Aufregung hielt, die Nerven dutzender Wikipedianer verschliss und für Verzweiflung und Frustration allüberall sorgte. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: das Kreuz ist natürlich DAS Symbol des Christentums und symbolisiert Jesu Tod. Daraus folgend wurde † zum Symbol für den Tod. Das † kommt in der Wikipedia in Lebensdaten vor. (Beispiel: * 1600 †1666). Nun waren und sind sich die Wikipedianer nicht einig, ob †ein Symbol ohne jede Bedeutung ist, die einfach Standard ist, oder ob es immer noch christlich konnotiert ist. Bei Artikeln zu Menschen nicht-christlichen Glaubens kam und kommt es zum Streit. Ist das Kreuz nun eine christliche Usurpation von Nicht-Christen oder ist der Versuch deren Tod anders darzustellen - beispielsweise durch "gestorben 1666" ein Verbrechen an enzyklopädischer Neutralität und verstößt gegen die Einheitlichkeit der Form, die anzustreben ist? 

Lutz Heilmann


Siehe → Streisand-Effekt

Narrenschiff 


Das Narrenschiff (alternativ: Daß Narrenschyff ad Narragoniam) des Sebastian Brant (1457–1521), 1494 gedruckt von Johann Bergmann von Olpe in Basel, wurde das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation. Es handelt sich um eine spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von über 100 Narren bei einer Schifffahrt mit Kurs auf das fiktive Land Narragonien entwirft und so der Welt durch eine unterhaltsame Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch und satirisch den Spiegel vorhält. Im Wikipedianischen Zusammenhang war das Narrenschiff eine Art Mitteilungsblatt des Hans Bug, in dem er die Wikipedianer und ihre Laster und Untaten kritisierte. Bugs Narrenschiff war inhaltlich und qualitativ von Sebastian Brants Narrenschiff entfernt, wie es heutige Nachwuchswikipediakritiker von Bugs Narrenschiff sind. Wenn etwas in den letzten Jahren extrem gelitten hat, dann das Niveau der internen Wikipedia-Kritik.

Manipulation

Zur Manipuation in der Wikipedia und vor allem zu den Maßnahmen dagegen siehe Wikipedias Kontrollmechanismen gegen Manipulation

München


Bild: Wikipediastammtisch München 2005. Von: Hella Breitkopf Linzenz: CC-Attribution-Share Alike 3.0 Unported

München?/i [ˈmʏnçn̩] ( bairisch  Minga?/i) ist die Landeshauptstadt des Freistaates Bayern. Sie ist mit ca. 1,45 Millionen Einwohnern die einwohnerstärkste und flächengrößte Stadt Bayerns und, nach Berlin und Hamburg, die nach Einwohnern drittgrößte Kommune Deutschlands und die zwölftgrößte der Europäischen Union. Wikipedia-historisch ist München wichtig, da hier am 28. Oktober 2003, organisiert von → elian, das allerallererste Wikipedia-Treffen überhaupt stattfand. Und nachdem sich die Münchner einmal getroffen hatten und feststellen, dass es gar nicht so schlimm ist, folgten Treffen in Hamburg, Berlin, Köln, Frankfurt, Boston, Taipeh, Alexandria bis es dann 2014 zum bisher größten Treffen in London mit knapp 2.000 Teilnehmern kam. Siehe auch → Wikimania, Stammtisch.


Nordsee


Die Nordsee ist ein Mehr, ein teil der Atlant, zwischen Grossbritannien, Skandinavien, und Friesland. Siehe auch Kattegatt, die Niederlanden, Deutschland.


Polymerase-Kettenreaktion

Der Artikel zur Polymerase-Kettenreaktion war im Mai 2001 der erste Artikel der deutschsprachigen Wikipedia. Vielleicht war es aber auch der Artikel zu Vergil. Oder der zur -> Nordsee. Die frühen Anfänge der Wikipedia liegen im Nebel. Mehr dazu: Wikipedia Manske Polymerase-Kettenreaktion.

Relevanz 


Relevanz (lat./ital.: re-levare „[den Waagebalken, eine Sache] wieder bzw. erneut in die Höhe heben“) ist eine Bezeichnung für die Bedeutsamkeit und damit sekundär auch eine situationsbezogene Wichtigkeit, die jemand etwas in einem bestimmten Zusammenhang beimisst. Das Wort ist der Bildungssprache zugeordnet[1] und bezieht sich auf Einschätzungen und Vergleiche innerhalb eines Sach- oder Fachgebietes. Das Antonym Irrelevanz (Adjektiv: irrelevant) ist entsprechend eine Bezeichnung für Bedeutungslosigkeit im gegebenen Zusammenhang, umgangssprachlich vereinfacht auch für allgemeine Sinnlosigkeit oder Unwichtigkeit. Das Fremdwort für eine allgemeine, qualitativ messbare Wichtigkeit ist Importanz. Siehe auch → Löschkandidaten, Relevanzkriterien, Inklusionismus, Exklusionismus, Tschunk.

Seitenleiste

Die Seitenleiste lässt sich vielleicht ab 2020 oder 2021 wegklappen. Siehe Seitenleiste Wikipedia nötig?

Strecke


Eisenbahnstrecke wird die Verbindung von Orten mit einem Schienenweg genannt. Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff (Eisen-)Bahnlinie den auf diesen Strecken regelmäßig stattfindenden Verkehr. So können auf einer Strecke mehrere Bahnlinien oder eine Bahnlinie auf mehreren Strecken verkehren. Nach herrschender Meinung in der Wikipedia sind Strecken relevant und Linien irrelevant. Oder umgekehrt. Ich kann es mir nicht wirklich merken. Wobei die Regel zwar grundsätzlich gilt, bei Wiener Straßenbahnlinien gelten allerdings Sonderregeln und es ist andersrum. Und da wundert man sich, warum sich niemand mehr an Artikel zu Eisenbahnen herantraut.

Volker Grassmuck


Volker Grassmuck (* 1961 in Hannover) ist ein deutscher Publizist und Soziologe. Er ist assoziierter Professor für Mediensoziologie an der Leuphana Universität Lüneburg. Wikipediahistorisch ist Grassmuck gleich zweimal wichtig. Zum einen war er auf der Gründungsversammlung von → Wikimedia Deutschland anwesend, was uns ein wunderbares Video bescherte.

Zum anderen veröffentlichte er 2002 ein Buch über Freie Software. Dieses Buch enthielt eine Fußnote, in der Wikipedia erwähnt wurde. Diese Fußnote brachte nicht nur den Verfasser dieser Zeilen zur Wikipedia, sondern auch → elian zur Wikipedia brachte.

Weiterlesen


Längerer Text zu Pokémon in der Wikipedia.

Weitere Texte zu online: Kultur in Iberty!




Seitenleiste Wikipedia nötig?

Thursday, 2 July 2020 16:25 UTC

Wikipedia soll schöner werden.

Ich sitze am Teltowkanal. An mir ziehen die Mittagspausenspaziergänger aus Finanzamt, Arbeitsamt, Ufa-Fabrik und Ullstein Castle vorbei. Ich schaue sie nur aus den Augenwinkeln heraus an. Ich lerne italienisch. Dazu wähle ich Kacheln in der Sprachlern-App „Duolingo“ aus. Duolingo gibt Sätze vor, ich klicke auf dem Handy die entsprechenden Wörter aus einer kleinen Auswahl an.

„Ich trinke den Tee“ – Ich wähle die Kacheln „Io“ und „bevo“, „il“ und „té“. „Io bevo il té.“

„Das schwarze Pferd kauft rosa Hosen“ – Il cavallo nero compra i pantaloni rosa.

„Die Vögel spielen Flöte“ – Gli uccelli sounano il flauto.

„Mario und Luigi sind Klempner“ – Mario e Luigi sono idraulici.

Ich erreiche den fortgeschrittenen Teil oder Übung. Ich darf keine Kästchen mehr anklicken. Die Wörter sind nicht vorgegeben. Ich muss selber den Text schreiben, die entsprechende grammatikalische Form kennen. In die nächste Runde komme ich erst, wenn ich den ganzen Satz fehlerfrei auf der Handytastatur tippe. Duolingo gibt vor:

„Du hast mir gesagt, dass er jeden Montag im Sommer zu ihr kommen würde, damit sie nachmittags die Kaninchen auf dem Hügel in der Stadt mit dem rohen Gemüse füttern können.“ – WHAT?

Zum Glück erlösen mich Schritte. Ich höre DJ Hüpfburg den Kiesweg am Kanal entlang laufen. Hüpfburg war kurz beim Asia-Streetfood-Wagen und hat sich die Nummer 9 gekauft (Reis mit Huhn). Sie läuft den Weg hinunter, grinsend. „Ich hoffe wir werden die PiS endlich los.“ Sie freut sich über die polnischen Präsidentschaftswahlen.

„Ist Dir aufgefallen, dass ich tiefer deutsch rede als polnisch. Hat meine Freundin letztens bemerkt. Mit der Freundin rede ich in beiden Sprachen. Habe ich nie gemerkt. Aber sie hat recht. Wenn ich deutsch rede, rutsche ich nach unten. Oder nach oben wenn ich polnisch rede.“

Ich: „Nein“.

Sie: „Du hast doch letztens von den Wildbienen und dem Befruchten erzählt. Ich hab‘ jetzt von Z gehört, dass in Japan Befruchtung per Seifenblasen getestet wird. Nicht so effektiv wie Bienen aber besser als Befruchtung von Hand. Die Seifenblasen werden mit Pollen bestäubt und dann über die Pflanzen geblasen. Stand wohl in der New York Times. Fiel mir wieder ein, als ich letztens vor dem Rathaus Schöneberg eine Hochzeit mit vielen Seifenblasen gesehen hab. Vielleicht steht ja in Deiner Wikipedia was dazu.“

„Es ist nicht meine Wikipedia!“

„Seifenblasenpflanzenbefruchtung finde ich ich nicht. Aber sag: Warum ist Deine Wikipedia so hässlich. Und sie sieht so aus als wäre sie 2004 stehen geblieben.“ Ich ringe um Worte.

„Es ist nicht meine Wikipedia. Und sie ist nicht..“ Oder doch? Ob Wikipedia schön ist? Ich wohne seit 2004 gedanklich in der Wikipedia und im Wikipedia-Layout. Jegliche Fähigkeit, die „Schönheit“ des Layouts von Außen zu erkennen, ist mir vor Jahren abhandengekommen.

Aber die Wikipedia sieht altbacken aus. Dem stimme ich zu. Sie erscheint, wie das Internet 2005 aussah, nicht wie das Internet von 2020 wirkt. Gerade will ich zu längeren Erklärungen und Entschuldigungen ansetzen.

Wieder rettet mich ein Geräusch. Hufgetrappel. Auf einem Schimmel reitet Lukas von Gnom den Kiesweg hinab. Das Hemd geöffnet, das wallende blonde Haar wehend im Wind. Er spielt die Klarinette der Erkenntnis.

Reading/Web/Desktop Improvements

Die Töne dringen in mein Hirn hinein. Aus dem Nebel heraus formt sich in meinem Kopf die Erkenntnis: Reading/Web/Desktop Improvements (Lesen / Web / Computer) Es gibt ein Projekt Wikipedia schöner zu gestalten. Und es hat Chancen auf Umsetzung!

Ich versuche, den Vorwurf der Wikipedia-Altbackenheit zu kontern. „Aber es gibt das Projekt Reading/Web/Desktop Improvements zum Zusammenklappen der Seitenleiste in der Wikipedia.“

Hüpfburg wirkt nicht beeindruckt.

Ich versuche das Projekt zu erklären. Leider hat es keinen Namen, was das Sprechen und Schreiben über das Projekt verkompliziert. Deshalb werde ich es Projekt Desktop Improvements oder kurz Projekt DImp nennen.

DImp möchte Wikipedia leserfreundlicher machen. Dies soll geschehen, indem die linke Seitenleiste versteckt wird. Diese wird ausklappbar. Im Normalfall sieht man dort nur einen kleinen Pfeil. Erst man auf den Pfeil klickt, kommen alle Menüs zum Vorschein.

Dem fragenden Blick von Hüpfburg sehe ich an, dass sie denkt „Welche Seitenleiste?“ Sie bestätigt damit, dass man gedanklich verdrängt, was man nicht braucht.

Welche Seitenleiste?

In der Seitenleiste stehen links auf verschiedene Wikipedia-Funktionen. Sie sind inhaltlich wild gemischt. Warum sie dort in dieser Anordnung auftauchen: „Das ist in 15 Jahren historisch gewachsen und logisch kaum erklärbar.“

Screenshot des Wikipedia-Artikels Benutzerschnittstelle mit Heraushebung der linken Seitenleiste.
Seitenleiste in einem Wikipedia-Artikel

Links finden sich dort für die Leser. Die Links in der Leiste lenken zu Hinweisen für Neulinge oder Gelegenheitsautoren. Langjährige Hardcore-Autoren können in der Leiste Spezial-Werkzeuge finden. Alle sind bunt gemischt. Die Links haben sich über die Jahre angesammelt. Sie wurden umgetauft und inhaltlich umgewandelt. In seltenen Ausnahmefällen ist sogar ein Link verschwunden.

Die ganze Leiste zu erklären wäre müßig. Zu verschieden sind die Zielgruppen, so dass es niemand gibt, der alle Funktionen benötigt.

Für Leser am spannendsten sind die Links unten: die Sprachversionen. Dort können sich die Leser Wikipedia-Artikel zum selben Thema in anderen Sprachen finden. Es handelt sich bei den Artikeln in anderen Sprachen um eigenständige Artikel. Es sind keine Übersetzungen. Sie unterscheiden sich oft inhaltlich. Auf jeden Fall bieten sie eine andere Sichtweise auf dasselbe Thema.

Screenshot der Wikipedia-Seite "Benutzerschnittstelle" mit Fokus auf die Sprachlinks von Arabisch bis Russisch.
Ein Teil der Sprachlinks zur „Benutzerschnittstelle“

Ein Hinweis auf die Sprachlinks soll in den Kopfbereich der Seite wandern, sichtbarer werden. Alles andere soll unsichtbarer werden. So will es das DImp-Team.

Das, dessen Namen nicht genannt werden kann

Der Prozess ist schwierig zu finden. Denn er hat keinen Namen. Selbst der Behelfsbezeichnung Reading/Web/Desktop Improvements ist kaum zu entnehmen: Ist es die Bezeichnung für den Prozess? Ist es die Bezeichnung für das Team in der Wikimedia Foundation?

Kann man über etwas reden, dass keinen Namen hat? Ist jemand das Problem aufgefallen? Ist es Absicht? In den Tiefen der Wikimedia-Diskussion lassen sich Vorschläge finden, dem Kind einen Namen zu geben. Da bleibt es bei der ausufernden Umständlichkeit. Oder halt bei Projekt DImp.

Das Team

Das Team hinter DImp ist das „Readers Web Team“ aus Angestellten der Wikimedia Foundation. Das wiederum gehört zur „Abteilung“(?) Readers oder Reading. Die Wikimedia Foundation ist sich nicht sicher, wie die Abteilung heißt. Diese Reading-Abteilung wiederum gehört zur Gruppe „Product“. Product ist eine der zwei technischen Gruppen in der Wikimedia Foundation. Die wiederum..

DJ Hüpfburg ignoriert mich und schaut dem Mann mit der Bierflasche in der rechten Hand zu, der vollkommen in sich gekehrt mit links sein T-Shirt bis zur Schulter hochzieht. Ich bin so in Wikipedia-Inside-Detailtum verfallen, dass ich mir selbst nicht mehr zuhöre.

..Auf jeden Fall: Es geht nicht um die App oder die Mobilansicht, sondern die Ansicht am PC. Das Desktop-Ansichts-Team will am PC die linke Seitenleiste einklappbar machen.

Ausgangslage

Es begann im Mai 2019 ausgehend von der Prämisse: Wikipedia ist unübersichtlich.

Das DImp-Team brach die Prämisse herunter in drei Leitsätze: Kein Leser versteht, wie das Wiki funktioniert. Die Bedienung ist unnötig umständlich. Es sieht nicht einladend aus.

Daraus folgten die Ziele des Teams: 1) Die Oberfläche der Wikipedia soll übersichtlicher werden. 2) Die Oberfläche soll die Blicke auf den Inhalt der Artikel lenken. 3) Die wichtigen Bedienelemente sollen schneller zu finden sein.

Um die Verwerfungen mit der Community klein zu halten, gab es von Beginn an Bedingungen. Die Verbesserung sollte nicht in Chaos und Streit enden. Deshalb gab es Einschränkungen an der Reichweite von Projekt DImp: 1) Keine drastischen Änderungen am Layout. 2) Der eigentliche Inhalt aller Bedienelemente bleibt bestehen.

Anders gesagt: Alles sollte besser werden, aber nichts sollte sich ändern.

Der Prozess

Es begann mit Mai 2019 mit ersten Gedanken. Es dauerte bis September des Jahres mit Vorüberlegungen. Bereits im Juli 2019 entstanden programmierte Gedankenspiele. Auf der Wikimania im August 2019 gab es längere Diskussionen und Tests mit anwesenden Teilnehmern.

Nach weiteren Tests wurde es im Mai 2020 ernst: Die ersten beiden Prototypen für echte Features entstanden: zum Beispiel die zusammenklappbare Seitenleiste. Die wurden zuerst in internen, semiöffentlichen Wikis eingesetzt.

Es gibt das Feature im Officewiki, das die Wikimedia intern nutzt. Und es gibt das Feature im Testwiki. Ursprünglich sollte das Feature bis jetzt schon in „echten“ Wikipedias wie der hebräischen oder französischen getestet werden. Aber Corona.

Normalnutzer können dennoch etwas sehen: Das Feature lässt sich in jeder Wikipedia anzeigen. Einfach ?useskinversion=2 an den URL hängen. Also wenn der Link zum Artikel UI (User Interface) in Wikipedia lautet:

https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzerschnittstelle

müsst ihr nur

https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzerschnittstelle?useskinversion=2

in die Adresszeile schreiben und ihr könnt das Feature selber sehen.

Gif, das Auseinander- und Zusammenklappen der Seitenleiste demonstriert.
Die Einklappbare Seitenleiste in der Praxis.

Desktop ist wichtig

Auch wenn man denken sollte, dass die Desktop-Version inzwischen nur noch Autoren angeht, die Leser nutzen den Desktop. Etwa die Hälfte der Zugriffe verteilt sich auf Desktop und Mobilansicht. Die App spielt nur eine unbedeutende Rolle.

Screenshot der Zugriffsstatistik auf die Wikipedia aufgeteilt nach Desktop / App und Mobilansicht. Im Monat erfolgen je etwa 10 Milliarden Zugriffe per Desktop oder Mobile und knapp 300 Millionen via App.
Zugriffstatistik auf alle Wikimedia-Projekte nach Zugriffsmethode.

Hüpfburg staunt: „Ich dachte, Wikipedia ändert sich nie. Aber es ist ja noch schlimmer! 30 Angestellte, ein Jahr mit Gerede und Fragen und wieder Gerede und wieder machen und am Ende kommt ein elender Balken zum Zusammenklappen raus?“ Da war ja der Kommunismus effizienter.

Jein, wende ich ein. Es mag ein kleiner Schritt für den Sidebar sein. Aber es geht um Millionen Menschen. Bei 12 Milliarden Schritten im Monat führen auch kleine Schritte sehr weit. Bei den Autoren, die jeden Tag mit dem Anblick umgehen müssen, für die die Wikipedia-Oberfläche oft ein wichtiger Teil ihres Lebens ist, geht es um zehntausende Menschen. Angesichts der Auswirkungen, die selbst eine kleine Änderung der Wikipedia-Oberfläche in der Welt hat, ist der Aufwand klein.

„Wenn du meinst? Ich bleib lieber bei meinen Hochzeitswebsites. Dort muss ich nur den Geschmack der Braut treffen. Das geht einfacher.“

Weiterlesen

Die Website zum Projekt DImp. Reading/Web/Desktop Improvements.

Wer Insider-Baseball zur Wikipedia-Gestaltung nachlesen möchte: ein Wikipedia-Mobil-Ansichts-Entwickler schreibt warum es eine Desktop-Version gibt.

Wikipedia im Jahr 2001. Noch ohne Seitenleiste.

10 Regeln für den eigenen Wikipedia-Artikel

Thursday, 11 June 2020 17:51 UTC

Wikipedia ist nicht nur eine Enzyklopädie mit dem Anspruch auf Ewigkeit, sondern auch ein Nachschlagewerk für Ephemeres und zeitgemäß Aktuelles. In der Wikipedia stehen nicht nur Artikel über Themen von Bach und Barock bis zu Bismarck oder zur Binomialverteilung. Im Bastelbrockhaus stehen auch Einträge über lebende Künstler, Sänger, Sportler, Unternehmen, Vereine und Stiftungen.

Nun können diese Künstler, Sänger und andere diese Einträge auch lesen und sind – mal zu Recht mal zu Unrecht – nicht glücklich mit diesen Artikeln. Mal sind die Artikel eigenwillig gewichtet, mal lassen sie das Wesentliche aus, mal sind Daten veraltet und ab und an enthalten die Artikel auch echte inhaltliche Fehler.

Artikel über sich selbst oder seine Organisation zu ändern, ist nicht einfach. Manchmal ist es aber für Wikipedia und die Betroffenen hilfreich. Deshalb hier einige Regeln zum Umgang mit dem eigenen Wikipedia-Artikel.

Maze 01
Auf den ersten Blick wirkt Wikipedia unübersichtlich. Bild: Maze01. Von Nevit Dilmen Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

(0) Vorweg: Wikipedia-Artikel sind böse

Die Grundregeln für den Umgang mit der eigenen Person oder Organisation in Wikipedia ist einfach: existiert noch kein Artikel, so ist das gut. Wikipedianer schätzen es gar nicht, wenn Betroffene über sich selbst Artikel anlegen. Die geschriebenen Regeln verbieten die Artikelanlage in eigener Sache nicht explizit. Die - wichtigeren - ungeschriebenen Regeln sprechen sich stark dagegen aus. Umso kritischer werden Wikipedianer die neuen Artikel begutachten, nach Schwächen und Fehlern suchen. Umso schlimmer wird das Spießrutenlaufen für denjenigen, der diesen Artikel anlegt.

Selbst wenn der Artikel durchrutscht, zumindest am Anfang keine Kritik erfährt: Viele der Ersteller und Objekte von Artikeln rechnen nicht damit, was für eine eindrückliche Erfahrung es sein kann, die Kontrolle aus der Hand zu geben, einer anonymen Gruppe von Menschen eine große Bühne zu geben, das eigene Leben oder die eigene Organisation darzustellen. Eine eigene Website oder ein Facebookauftritt kann dasselbe wie ein Wikipedia-Artikel. Aber man behält die Kontrolle.

Wenn eine Person oder Organisation keinen Wikipedia-Artikel hat, dann sollte sie eine Flasche Sekt öffnen, dankbar sein und sich auf andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit verlegen. In vielen Fällen allerdings existiert der Artikel schon, oftmals nicht zur Zufriedenheit der betroffenen Person. Manchmal muss die Person oder Organisation halt damit leben, dass die eigene Existenz nicht nur Feiernswertes enthält. Manchmal hat sie aber auch legitime Gründe zur Kritik: Veraltetes, Unvollständiges, Fehlerhaftes oder eigentümlich Gewichtetes findet sich in vielen Wikipedia-Artikel. Es gibt die Möglichkeit, etwas daran zu ändern.


(1) Transparenz 


Wikipedia ist überaus kritisch gegenüber Bearbeitungen in eigener Sache. Jeder, der Artikel über sich selbst bearbeitet, muss Grundmisstrauen überwinden und Vertrauen gewinnen. Vertrauen gewinnt man durch Offenheit.

(2) Verifizierung 


Speziell für Bearbeiter in eigener Sache und ganz speziell für Menschen, die professionell unterwegs sind, existiert in der deutschen Wikipedia das Mittel der Verifizierung. Bearbeiter melden sich unter dem Namen ihrer Organisation/ ihrer Person an und stellen damit eine Grundtransparenz her. Danach schicken Sie eine Mail an  info-de-v@wikimedia.org und werden dann von Freiwilligen verifiziert. Weitere Details finden sich unter: Wikipedia:Benutzerverifizierung

(3) Diskussionsseiten 

Zu jedem Eintrag in der Wikipedia gehört eine Diskussionsseite, auf der dieser Eintrag diskutiert wird. Um Konflikte und Konfrontationen zu vermeiden, empfiehlt es sich, jede größere Änderung erst auf der Diskussionsseite mit einigen Tagen Vorlaufzeit anzusprechen. Erst wenn dort kein Widerspruch, oder gar Zustimmung, gekommen ist, sollte der Artikel selbst geändert werden. Taucht auf der Diskussionsseite Widerstand auf, so ist die Diskussionsseite zur Diskussion zu nutzen.


(4) Belegen 


Wikipedia ist eine Enzyklopädie, die verlässlich sein will, die aber jeder anonym bearbeiten kann. Zum Ausgleich legt die Community starken Wert darauf, dass jeder inhaltliche Beitrag belegt wird. Als Belege gelten nur Fakten, die anderswo veröffentlicht sind. Sei es in Büchern, Zeitschriften oder Websites. Diese Pflicht geht so weit, dass selbst Aussagen der Person selbst oder amtliche Dokumente nicht akzeptiert werden – sofern diese nicht an einer externen Stelle veröffentlicht wurden.

Belege im Artikel zur Wikipedia (kleiner Ausschnitt)
Dies klingt auf den ersten Blick aufwendiger als es ist. Zumindest in heutiger Zeit. So gut wie jede Wikipedia-relevante Person oder Organisation wird Zugriff auf eine Website haben, auf der sie etwas veröffentlichen kann. Im Zweifel besitzt zwar eine externe Veröffentlichung eine höhere Reputation.

Aber gültig sind auch Inhalte auf eigenen Websites. Wenn also Wikipedia ihren zweiten Vornamen falsch schreibt: beginnen Sie keine Diskussion mit der Community, sondern schreiben Sie ihn richtig auf der eigenen Website. Wenn die Community nicht glaubt, dass die Rolling Stones ihr größter literarischer Einfluss sind - schreiben Sie es auf der eigenen Website.

(5) Klare, harte Fakten. Keine Adjektive 


Artikel über sich selbst zu ändern, ist selbst unter den besten Umständen ein Drahtseilakt. Die Gefahr besteht, auf andere Autoren zu treffen, die dies aus Prinzip ablehnen und versuchen gegen die Edits zu arbeiten. Aber auch diese Autoren sind an Regeln gebunden. Je besser eine Bearbeitung nachgeprüft werden kann und je eindeutiger diese ist, desto höher sind die Chancen, dass sie bestehen bleibt.

Am besten hierfür eigenen sich unstreitige Zahlen und Fakten. Während Fakten einfach und erwünscht sind, ist dies mit Interpretationen schwierig. Diese sind generell in der Wikipedia verpönt. Je niedriger das Vertrauen ist, das ein Autor genießt, desto schwieriger wird es, Text einzubauen, der auch nur entfernt nach Interpretation aussieht. Adjektive sehen immer nach Interpretation und Wertung aus. Sie haben in einem Artikel über einen selbst nichts verloren.

(6) Verständlich bleiben 


Nun gibt es nicht nur die Community, für die ein Text geschrieben wird, sondern auch die Leser. Leser lieben Wikipedia, weil er hier klare, verständliche Informationen gibt, die sich beim ersten Lesen erschließen. Buzzwords, unverständliches, aber auch Fachsprache und Insiderlingo sind verpönt. Die Community achtet darauf dies durchzusetzen. „Geschwurbel“ ist einer der liebsten Begründungen innerhalb der Community um Text zu streichen.

Gerade professionelle PR-Personen stellt dies oft vor besondere Herausforderungen. So ist nicht ratsam zu schreiben, dass ein Unternehmen "Verbindungen herstellt zwischen den Grundbestandteilen der Industrieproduktion", sondern es stellt Schrauben her. Jemand "entführt nicht in Welten der zwei Sonnen", sondern schreibt Fantasy-Romane. Am besten haben Leserin oder Leser bereits beim ersten Lesen eine klare Vorstellung davon, um was es geht. 

(7) Mit der Community zusammen 


Wikipedia ist ein grundsätzlich offenes System, das von zahlreichen Vandalen, Trollen und Manipulatoren heimgesucht wird. Dementsprechend ausgebildet und etabliert sind mittlerweile die Mechanismen, unerwünschte Bearbeitungen fernzuhalten. Die etablierte Community hat die informellen, formalen und technischen Mittel Text zu verhindern, kann aber auch unglaublich Großartiges vollbringen. Jede Mitarbeit in Wikipedia, die von Erfolg gekrönt sein soll, funktioniert nur im gegenseitigen Vertrauen mit der Community.

Leider hat die Community die Eigenschaft die unkooperativsten und unfreundlichsten Mitarbeiter vorzuschicken, wenn es um das Sichten neuer Artikel geht. Oder anders gesagt: Die unfreundlichsten Mitarbeiter sind besonders motiviert darin, sich auf Neulinge zu werfen. Warum das so ist, darüber kann ich spekulieren, möchte es aber nicht. Aber nicht aufgeben: es gibt nette und freundliche Wikipedianerinnen und Wikipedianer. Mit etwas Ausdauer lassen sie sich finden. 

(8) Zu vermeiden: Freunde holen 


Manche Autoren fühlen sich von der Wikipedia-Community übermannt oder ungerecht behandelt und versuchen, Freunde zu motivieren, ihnen beizustehen. Kaum etwas ist schlimmer. Die reine Anzahl von Teilnehmenden in der Diskussion hat kaum ein Gewicht. Wesentlich bedeutender ist das Vertrauen, dass den einzelnen Beteiligten in der Community beigebracht wird.

Die Community hat ein eingebautes internes Vertrauenssystem, das maßgeblich auf bisherigen Beiträgen beruht. Wenn aus heiterem Himmel plötzlich eine größere Anzahl neuer Nutzer bei einem Thema auftaucht, lässt das bei vielen erfahrenen Wikipedianern Alarmglocken schrillen. Sie reagieren skeptischer und aggressiver. Dabei gilt: gegen eine skeptisch und aggressive Community zu agieren, hat nie Erfolg. Der Versuch, Freunde zu mobilisieren ist bisher immer nach hinten losgegangen.

(9) Das Sichtungsproblem 


Speziell die deutsche Wikipedia hat das Instrument der Sichtungen eingeführt. Das bedeutet: Änderungen an Artikeln werden sofort gespeichert. Wenn diese Änderungen von einem neuen Autor stammen, sind sie aber nicht sofort für die Öffentlichkeit sichtbar. Dafür muss erst ein erfahrener Wikipedianer sein OK geben. Je einfacher die Edits sind und je einfacher sich ihr Inhalt extern überprüfen lässt, desto schneller wird die Freigabe erfolgen.

Übersicht über die Seiten, die am längsten nicht gesichtet wurden.

(10) Fotos unter freier Lizenz 


Ein einfacher Weg, das Vertrauen der Community zu gewinnen, Inhalte beizutragen und es Wikipedia zu ermöglichen eigene Inhalte zu nutzen, ist das Bereitstellen von Fotos unter freier Lizenz. Das bedeutet, dass diese Fotos im Nachhinein genutzt, verändert und eingebaut werden können. Allerdings muss dabei der Autor genannt werden ebenso wie der Titel des Fotos. So in Wikipedia und von dort aus dann viral durch das halbe Netz.

Rose Stanwell Perpetual バラ スタンウェル パーペチュアル (7887553466)
Ist ein Foto unter freier Lizenz hochgeladen, kann es unter Autoren-Nennung quer durch das Internet gesehen werden. Bild: Rose Stanwell Perpetual バラ スタンウェル パーペチュアル von: T.Kiya Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic

Weiterlesen


Der Wikipedia mangelt es nicht an Seiten mit Regeln, Vorschriften und Anleitungen. Auch zu diesem Themenkomplex gibt es eher zuviel als zu wenig zu lesen. Als Einstieg empfiehlt sich: Wikipedia:Interessenkonflikt  und die dortigen Links.

Bei Rückfragen zu bestimmten Einzelfällen, gerne auch eine Mail an mich, dirkingofranke@gmail.com

Alle Iberty-Posts zu Netz- und Kulturthemen finden sich unter. Kultur in Iberty! Eine Übersicht.

Wikipedia Manske Polymerase-Kettenreaktion

Wednesday, 3 June 2020 10:31 UTC

Der Tunnel Beyschlagsiedlung auf der Berliner Stadtautobahn dröhnt. Der Widerhall der Hupe im Tunnel scheucht kleine Tiere auf. Der Harleyfahrer mit der Kutte „Odins Olle Outlaws MC“ verreißt fast die Maschine. Sein böses Starren kann ich durch das verspiegelte Tuning-Visier am Wehrmachtshelm spüren. Madame schaut überrascht von der Wettervorhersage am Handy auf. Müsste ich nicht lenken, würde ich entschuldigend mit den Schultern zucken. Die Begeisterung übermannte mich, führte meine Hand auf die Hupe.

Der Drosten hat im Radio minutenlang Wahrscheinlichkeiten über mehrere Generationen durchgerechnet. „Wenn jeweils einer zehn ansteckt und die anderen neun nur einen und einer von zehn bleibt die Woche zufälig zu Hause, dann sind wir in der dritten Generation..“ Überschlagsrechnungen! Mathe! Im Radio! Glückswolken ziehen auf. Madame freut sich an meiner Begeisterungsfähigkeit. Sie weist darauf hin: „Im Podcast“. Drostens praktische Wahrscheinlichkeitsrechnung läuft nicht im Radio.

Der Drosten-Podcast fühlt sich an wie frühe Wikipedia. Geschichten aus dem Leben. Wissenschaft. In der Hoffnung, dass die Hörer mitdenken. Anschaulich erklärt, unterhaltsam, relevant. Vielleicht fühle ich mich auch so sehr an die frühe Wikipedia erinnert, weil Drosten in hoher Intensität „PCR“ sagt.

PCR, die Polymerase Chain Reaction, deutsche Polymerase Kettenreaktion, ist ein Verfahren der Biochemie, um bestimmtes Erbgut (DNA oder indirekt RNA) nachzuweisen. Vor allem ist das Verfahren derzeit von weltweiter Relevanz, da der Test via PCR der Goldstandard zum Nachweis des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (SARS2) ist.

Jeder frühe Wikipedista kennt das Wort Polymerase-Kettenreaktion. Denn der Wikipedia-Artikel zum Thema gilt als erster Wikipedia-Artikel überhaupt. Wie nerdig Wikipedia war, beweist, dass das Thema PCR das Thema des ersten deutschen Wikipedia-Artikels aller Zeiten war. Es beweist, wie Wikipedia damals auf die Zukunft gerichtet war.

PCR

Allerdings. Nur weil Wikipedistas das Wort kennen, wissen sie noch lange nicht, was es bedeutet. Es ist „was biologisches“, wäre meine Auskunft bis vor SARS2 gewesen. Aber ich kann nachschlagen.

CR

Was ist PCR? Der Teil, den ich als Banause zuerst verstehe: die Kettenreaktion oder Chain reaction. Es geht um einen chemischen Prozess, bei dem etwas hergestellt wird. Aus den Ausgangsprodukten wird wieder etwas hergestellt. Aus diesen wird im nächsten Schritt wieder etwas hergestellt. In jedem Schritt verdoppelt sich die Zahl. Das Verfahren läuft exponentiell ab. Wie bei jedem exponentiellen Wachstum können innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen erzeugt werden.

Bei der der PCR wird DNA vervielfältigt. Die DNA wird in jedem Schritt verdoppelt. Bereits bei Schritt 5 hat man die 32-fache Menge des Ausgangsmaterials bei Schritt 10 de 1024-fache Menge und bei Schritt 15 entsteht etwa die 32.000-fache Menge des Ausgangsmaterials. Bei Schritt 16 die 64.000-fache Menge, bei Schritt 17 die 128.000-fache Menge.

Dies ist nötig bei Viren, die so klein sind, dass sie erst mit dem Elektronenmikroskop überhaupt gesehen sichtbar gemacht werden können.

Die Größe von Viren wird in Nanometer angegeben. Das ist dieselbe Einheit, die zur Messung der Wellenlänge von Licht benutzt wird. Dabei erreichen nur große Viren das Format einer kurzen Lichtwelle. SARS2 beispielsweise hat einen Durchmesser von 60 bis 140 Nanometer. Gerade noch sichtbares kurzwelliges ultraviolettes Licht hat eine Wellenlänge von etwa 400 Nanometer. Wir begeben uns in Gegenden der Physik in denen „Sichtbarkeit“ aus physikalischen Grünen schwierig wird.

Um die Existenz eines Virus nachzuweisen braucht es erhebliche Mengen des Virus. Er muss vielfach repliziert werden. Auf der Suche nach dem Coronavirus durchläuft der Virus etwa 35 Durchgänge der PCR-Verdoppelung. Was bedeutet: Aus einer Virus-RNA werden 35 Milliarden Kopien. Diese lassen sich mit diagnostischen Verfahren nachweisen. Ergänzend lässt sich Zählen wie viele Zyklen es bis zum Nachweis des Virus benötigt. Und daraus läßt sich rückschließen, wie viele Viren anfangs in der Probe waren.

P

Wie kommt die Polymerase zur Kettenreaktion?

DNA kommt in Doppelhelixstrukturen vor. Zwei identische DNA-Bänder kleben aneinander. Vor einer Zellteilung teilt sich dieses DNA, um jeder neuen Zelle einen identischen Satz DNA mitzugeben. Das zweite DNA-wird mit Hilfe der DNA-Polymerase aus den Informationen der ersten hergestellt, um wieder die Doppelstruktur zu haben.

Bei der PCR wird die im Original doppelsträngige DNA durch Erhitzen in zwei einzelne Stränge geteilt. Die künstliche hinzugefügte DNA-Polymerase erzeugt aus dem ersten DNA-Strang einen zweiten identischen Strang. Der neue Doppelstrang wird wieder durch Hitze geteilt. Und so weiter. Bis ausreichende Mengen an DNA zur Verfügung stehen.

Grafik zur Erläuterung der PCR. Die DNA wird aufgesplittet, mit Hilfe der Polymerase (und der Primer) verdoppelt und dann wieder aufgesplittet. Das ganze durch mehrere Durchgänge.
Schaubild der PCR aus der Wikipedia. Entstanden 2017. Von:
WiWiki Lizenz: Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“

In der Realität ist der Prozess komplizierter. Was bereits damit beginnt, dass SARS2-Viren aus RNA bestehen, die PCR aber nur DNA kann. Die Viren müssen vor der PCR erst in Pseudo-DNA verwandelt werden. Aber das führt zu weit. Ehrlich gesagt verstehe ich es auch nicht mehr ansatzweise.

Der erste Artikel

Der Legende nach, die überall nachzulesen ist, war der Artikel zur PCR der allererste Artikel der deutschsprachigen Wikipedia. Wie immer, wenn es um etwas „erstes“ geht, wird der Anspruch bei genauerer Betrachtung schwierig.

Die Wikipedia stieg nicht wie Venus aus dem Wasser, sondern sie hatte Vorläufer. Die deutsche Wikipedia entstand aus der englischen Wikipedia. Die englische Wikipedia war als Skizzen- und Notizbuch für ein anderes Enzyklopädieprojekt, die Nupedia gedacht. Gerade in der Anfangszeit wechselten die Medien und die Software. Es begann mehrfach.

Die älteste Version

Wikipedia speichert alle Versionen aller Artikel. Der Kundige kann nachvollziehen, was im Jahr 2001 im Artikel zur PCR stand, was im Jahr 2010 und was im Jahr 2020. Alle diese Versionen sind datiert.

Einige Jahre nach ihrer Gründung fragten sich die Wikipedianer: Was war der allererste Artikel? Die Antwort schien einfach: der Artikel mit der ältesten auffindbaren Version. Es war der Artikel zur Polymerasekettenreaktion, geschrieben von Magnus Manske.

Anzeige der ersten auffindbaren Versionen des Wikipedia-PCR-Artikels. Man beachte, dass die ersten „Autoren“ (Angabe in der Spalte rechts vom Datum) alles technische Benutzer waren. Diese bearbeiteten offensichtlich einen bereits vorhandenen von einem Mensch geschriebenen Text.

Nun allerdings gab es ein Problem. Am Anfang war die Welt Chaos und so auch die Wikipedia. Aufgrund verschiedener Gründe waren die allerallerersten Versionen gelöscht worden. Die erste auffindbare Version in der Wikipedia 2010 – die erste Version zur Polymerase-Kettenreaktion – war nicht die erste geschriebene Version der Wikipedia 2001.

Wikipedia-Archäologie der Urgesteine Kurt Jansson und Jakob Voss brachten 2011 die erste geschriebene Version von 2001 zum Vorschein: Vergil. Geschrieben von James Allan Evans und auf deutsch übersetzt von Rainer Zenz.

Die deutsche Wikipedia kam nicht aus dem Nichts. Ihre ersten Artikel waren Übersetzungen englischer Wikipedia-Artikel, die als Entwürfe für englische Nupedia-Artikel entstanden waren. Wie Vergil so die PCR. Ist die Übersetzung eines Entwurfs für ein anderes Projekt ein „erster“ Artikel.

Sollte dieser Ruhm nicht dem Artikel zukommen, der auf Deutsch exklusiv für die deutsche Wikipedia entstand? Dann wäre es Dänemark, gefolgt von Kattegat und Nordsee – alle in kurzer Abfolge geschrieben vom Dänen Schweden Lars Aronsson.

Magnus Manske

Wer über PCR und Wikipedia redet, muss über Magnus Manske reden. Der einzige Wikipedianer, der seinen eigenen Gedenktag hat. Der 25. Januar ist der in Wikipedia gefeierte Magnus Manske Tag. „Tonight at dinner, every Wikipedian should say a toast to Magnus and his many inventions.

Manske ist derjenige, ohne den es Wikipedia in der heutigen Form nicht gäbe. Auch wenn seine Autorschaft des „ersten Artikels“ Zufall ist – der Zufall hat gut gewürfelt. Neben PCR stammten die ersten Artikel zu Charles Darwin von Manske oder zum Plasmid – ein Teil der Bakterien-DNA, der im Labor genutzt wird, um Gene zu vervielfältigen. 2008 meinte Manske im Interview, dass PCR vielleicht nicht einmal sein eigener erster Artikel in der Wikipedia war, sondern der Artikel „Zelle.“ Vielleicht aber auch die Mitochondrien.

Den Magnus-Manske-Day verdankt die Welt nicht dem Biochemiker Magnus Manske, sondern dem Programmierer Magnus Manske. Manske schrieb die erste Version der MediaWiki-Software, diejenige Software auf der Wikipedia bis heute läuft.

Manske führte neue Funktionen ein, die bis heute Standard der MediaWiki-Software sind. Manske führte Beobachtungslisten, Beitragslisten und die Existenz verschiedene Namensräume ein. Seine kontroverseste Erfindung war vielleicht die Erfindung der „Administratoren“ als Gruppe mit besonderen Rechten.

In den folgenden Jahrzehnten stammten aus Manskes Händen weitere Tools um Wikipedia, die Wikipedia-Galerie und die Wikipedia-Datenbank zu bearbeiten. Manskes Motivation, Mediawiki zu programmieren, wird vielen Wikipedistas bekannt vorkommen: Er wollte etwas lernen. In diesem Fall die Programmiersprache PHP, die er vorher noch nie genutzt hatte, und in der Mediawiki programmiert ist.

Manske stammt aus Köln, ist 45 Jahre alt und arbeitet seit 13 Jahren am Wellcome-Trust-Sanger-Institut in Cambridge. 2012 war ein Co-Autor eines Nature-Aufsatzes zur Sequenzierung der DNA von Malaria-Parasiten. 2013 war er „Head of Informatics in the Malaria Programme at the Sanger Institute“ Unter anderem war er beteiligt, die Lookseq-Software zu Programmieren, die es Forschern erlaubt DNA-Sequenzen zu visualisieren. Was inhaltlich meinem bescheidenen Verständnis nach nahe an der PCR ist.

Pantha rhei

Dieses Unfertige. Diese Mischung aus großen, komplexen Gedanken wie dem zur PCR und dem Unordentlichen des Neuanfangs wie die Löschung der Versionen, diese reizte mich und viele andere an der Wikipedia. Es begeisterte und begeistert mich. Und auch wenn Christian Drosten kein Student ist, diese Lernbegeisterung verströmt er mit jedem Satz. Diese Begeisterung, wie er kurz Wahrscheinlichkeiten durchrechnet – und in seinem Inneren davon auszugehen scheint, dass ihm alle begeistert Folgen können. Das ist der Geist der Wikipedia in ihren besten Momenten.

Titelbild

Gegenüberstellung eines RNA-Strangs und eines DNA-Doppelstrangs mit Darstellung der jeweiligen Nukleobasen (Link) von: Benutzer:Sponk, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Weiterlesen und -hören

Langes Podcast-Gespräch mit Magnus Manske im Wikistammtisch

Manskes Blog

Rückblick von Jakob Voss auf die ersten 10 Jahre Wikipedia von dort aus gefunden die ersten 10.000 Edits der englischen Wikipedia – verloren geglaubt und 2010 wiedergefunden

Auch aus dem Jahr 2011 Kurt Jansson „Der kurze Sommer der Anarchie“ – ein Rückblick, der aus heutiger Perspektive selber schon sehr historisch und nostalgisch wirkt.

Auch bei der Recherche gefunden. Ein 300-Seiten-Epos in Form einer linguistischen Doktorarbeit zum Schreiben in der Wikipedia. Beim ersten Überfliegen aus Sicht eines Wikipedianers: Die Autorin hat Ahnung. Und niemand las ich bisher, der so toll und anspruchsvoll ausformulieren könnte, wie wir in der Wikipedia so herumlavieren. Nach der Lektüre des Textes hat man beim piefigsten Editwar die Überzeugung an bedeutsamen Prozessen teilzunehmen.

Die deutsche Wikipedia, Stand August 2001

Wikimania 2016 - random thoughts

Friday, 6 March 2020 20:05 UTC

Wikimania! The world Wikipedia conference. Every year in a different place on changing continents. Organised by locals but with basically a lot of the same people always attending. A highlight in the Wikipedia year. So much to see and to comprehend. In case you missed it, here is my live twitter feed (and thanks to Sucomo for the support). But what happened there of course lasts longer than just for the moment,

Just to get some thinking going and pin down some notes from Wikimania as long as I still remember. Some random thoughts about Wikimania 2016 in Esino Lario, close to Lake Como, Lomardy, Italy.

1200 Wikipedians in a small village with about 800 inhabitants. Sleeping in every free bed the village had to offer, attending workshops in discussions in a school, the local museum, the local gym and the theater. The Wikimania was down to earth. Literally, as this was outdoors and the environment played a big part in Wikipedia, but also metaphorically. Much less about "we save the world" and "why we are important" and a lot more about "The How". Stuff for daily activities one can work with.


So just for some random thought before I did more thorough thinking and analysis:





Stunning scenery. We were allowed to drive every day the way from Lake Como to Esino Lario and it qualifies as most scenic commute I have ever undertaken.

View on my daily commute.

Great venue. The most wiki-style conference. It looked like the whole village was involved andcontributing to the event. As fas as I could see, the village got something infrastructure, events aimed at the locals and events aimed at Wikimedians and locals alike.




Stones, mountains, the nearby lake, more stones. This Wikimania was down to earth, even literally.


Talks: same procedure as last year and the years before. Basically the same people talking about the same topics as always.. Discussions rounds were a great idea but always a bit bogged down because there were too many people in the room to really discuss. Training sessions were a good diea and the one i attended did make sense.

Can we maybe just skip the presentations next time altogether (or put them in some place "for press and others who don't know anything) and just design the real program out of training sessions and discussions? 

Walkimania. Up and down and up again. Following the mule path. Great. Got some movement in between sessions and one was not confined to a hotel/campus setting but walked (and climbed) around the real world. Big, big, plus.

THE RAIN


THE HAILSTORM


Best conference catering ever. Salad. Vegetables. Good quality meat. Vino rosso. Also really liked that a lot of the catering happened at a restaurant/bar setting, but even the tent-catering was way better than these kunds of catering are in other places.



Texas line dancing on an Italian village square.

My thoughs on Mapping Wikipedia made some progress.

Never seen so few talks by the Wikimedia Foundation or other Wiki-professionals. Did not miss them.

Whoever designed the Wikimania-Shirts and their colour must have spent a lot of time at Pizzeria Oasi looking at their tables and chairs.



Not much about Foundation politics. I am sure all politics happening at the Foundation and the chapters were of really big interest to some people. But people who don't really care about this inside baseball did not have to listen to all the people involved for days and hours.

Even the two surprise moments (Christophe Henner as new chairman of the board and Katherine Maher as now-non-temporary CEO - congratulations to both!) were delived elegantly, swiftly and just fitting into ethe occasion and the moment.

Paid editing really differs throughout the different language versions. Though the talk was more about the rules than about actual editing happening or not happening.

Jimmy seemed to be way more enthuastic and engaged at a Wikimania than I have seen him for a long time. Cool. My most touching moment: Jimmy offering his personal help to the blocked Uzbek Wikipedia.

Heard about some cool projects done throughout the Wiki world.

Italy has a lot of different police troups and all of them were at the Wikimania. At least they all were friendly and mingled and such. Still a bit strange: Wikimania in the most peaceful place one could imagine and at the same time the Wikimania with the most police ever.




I have seen a 6-meter theremin played by a falcon.