Das erste Mal seit 2019 trafen sich in Belgrad rund 100
Wikimedianer*innen aus aller Welt, die neben der Leidenschaft
für die Wikimedia-Projekte vor allem das Engagement eint, das
vielfältige Wikiversum im Kontext von Bildung, Lernen und
Outreach zu nutzen und damit Bildungs- und Lernprozesse zu
gestalten.
Die EduWiki ist eine internationale Konferenz für und von
ehrenamtlichen Wikimedianer*innen, die im Bildungsbereich unterwegs
sind und die Wikimedia-Projekte – Wikipedia, Wikidata,
Wikimedia-Commons etc. – für ihre Bildungsarbeit nutzen.
Organisiert wird diese Konferenz von der Usergruppe EduWiki sowie
einem Wikimedia-Affiliate und Chapter. In diesem Jahr hat Wikimedia
Serbien die Gastgeberrolle übernommen und vom 25.-28.5.23 nach
Belgrad eingeladen.
So vielfältig wie die Teilnehmenden der Konferenz –
von einer Medizindozentin aus Indien über einen Wikipedianer
aus Peru bis hin zu einer Community-Organizerin aus Ruanda –,
so vielfältig sind auch die Ansätze, wie Bildung und
Vermittlung mit Wikipedia und Co. weltweit gestaltet werden. In
Regionen, in denen eine Internetverbindung nicht
selbstverständlich ist, werden Wege gefunden, Lernprojekte mit
und zu Wikipedia offline zu gestalten. An anderer Stelle wird von
Hochschulkursen berichtet, in denen Studierende darüber
diskutieren, welchen Einfluss generative KI-Anwendungen auf die
Content-Erstellung in Wikipedia haben. Ähnlich wie Wikimedia
Deutschland macht Wikimedia UK Bildungspolitik, wenn sie zeigen,
welchen Einfluss Wikimedia-Projekte auf Demokratieförderung
haben können. Die Bandbreite der Diskussionen rund um Bildung
und Lernen ist enorm groß und divers.
Auch international ein
großes Thema: Künstliche Intelligenz in der
Bildung
Gerade die Entwicklungen generativer künstlicher
Intelligenz am Beispiel von ChatGPT hat auch die Diskussion bei der
EduWiki geprägt. Wie gehen wir damit um, wenn sich Such-,
Lese- und Arbeitsgewohnheiten der Menschen verändern und
ChatGPT als Lernpartner*in genutzt wird? Eine Antwort aus dem
Wikimedia-Movement könnte lauten: Lasst uns die Stärken
unserer Projekte nutzen – kritischer Umgang mit Quellen und
Herkunft, kollaboratives Arbeiten, Transparenz und Offenheit
–, um Lernende und Lehrenden den kritischen Umgang mit
KI-Anwendungen zu lehren. Und lasst uns KI dort nutzen, wo sie die
Wikimedia-Projekte stärken kann, z. B. beim Auffinden von
Wissenslücken in den Projekten.
Die bildungsbegeisterten Wikimedianer*innen eint die Gewissheit,
dass Wikimedia-Projekte für Zugang zu freiem Wissen,
verlässliche Informationen und offene Bildung stehen und
Menschen weltweit Lernen und Lehren ermöglichen. Mit Bildungs-
und Vermittlungsarbeit können und wollen wir Menschen
erreichen, damit sie von Lesenden zu Lernenden und Beitragenden
werden. Weltweit – und gerade an Orten, an denen Freies
Wissen sonst rar ist – können Menschen mit und durch
Wikimedia-Projekte die Welt verstehen und mitgestalten. Diesen
Schatz gilt es zu wahren, zu erweitern und gerade mit Blick auf die
rasanten Entwicklungen rund um KI-Anwendungen zu transformieren.
Dafür braucht es Bildung und Vermittlung als
Kernaktivitäten im Wikimedia-Movement.
Welche Impulse und Perspektiven
bringe ich aus dem Wikiversum zurück für die Bildungs-
und Vermittlungsarbeit von Wikimedia Deutschland?
Wir müssen die Wikimedia-Projekte nach außen noch
sichtbarer machen als wichtige Plattformen für innovative
Bildungsarbeit:
Die Wikimedia-Prinzipien können mit ihren Grundprinzipien
Transparenz, Offenheit und Community-Fokus wichtige Kompetenzen
für einen informierten-kritischen Umgang mit KI-Anwendungen
stärken.
Das gesamte Wikiversum und immer stärker auch Wikidata
werden von unterschiedlichen Wikimedianer*innen als Tool für
Bildungsarbeit und zur Sichtbarmachung von Bildungsprojekten
wahrgenommen.
Nur wenige Chapter können aus Kapazitätsgründen
Advocacy-Arbeit für offene Bildung machen. Wikimedia
Deutschland ist hier Vorreiter*in und sollte diese Position
stärker ins Movement tragen.
Wir können dabei die Stärke des Movements für
unsere politische Arbeit nutzen. Und zeigen, dass die
Wikimedia-Projekte als die weltweit größten OER-Projekte
gelten und als Instrumente für information/data literacy zur
Stärkung demokratischer Gesellschaften beitragen.
Zum ersten Mal teilen wir uns in diesem Jahr einen Stand mit
unseren Partnerorganisationen aus dem Bündnis F5. Gemeinsam mit
AlgorithmWatch, Reporter ohne Grenzen, der Open Knowledge
Foundation und der Gesellschaft für Freiheitsrechte setzten
wir uns für einen Perspektivwechsel hin zu mehr Gemeinwohl in
der Digitalpolitik ein. Neben dem Austausch mit
Wikimedia-Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen aus den
Wiki-Projekten bietet der F5-Stand also auch die Möglichkeit,
mehr über die Arbeit unserer Partnerorganisationen und unsere
gemeinsamen Ziele erfahren.
Unsere Sessions auf der
re:publica 2023
05.06.2023, 16:15– 17:15 Uhr, Workshop Glashaus
Howto Kulturhackathon: Wie du
mit offenen Daten digital kreativ werden kannst
In diesem
Workshop lernt ihr das Format des Kulturhackathons kennen.
Anhand konkreter Praxisbeispiele wollen Lambert Heller vom
Open Science Lab beim Leibniz Informationszentrum Technik und
Naturwissenschaften und Heike Gleibs, Leiterin Bildung,
Wissenschaft und Kultur bei Wikimedia Deutschland, mit euch
gemeinsam herausfinden, wie ihr mit offenen Daten kreativ werden
könnt und was es braucht, um die Kultur der Hackathons
dauerhaft bei Akteur*innen aus Kultur, Bildung und Wissenschaft zu
verankern.
05.06.2023, 20:00-21:00 Uhr, Stage 6 – auf Englisch
Strange, obscure, and
interesting facts from Wikipedia – A Quiz with Depths of
Wikipedia-creator Annie Rauwerda
Wie viele internationale Flughäfen sind nach Frauen
benannt? Welche internationalen Großstädte sind am
höchsten gelegen? Wie viele Päpste hatten wie viele
Kinder? In diesem Quiz rund um Funfacts aus
Wikipedia und Wikidata ist das Publikum eingeladen, mitzuraten.
Moderiert wird das Quiz von Depths of
Wikipedia-Erfinderin Annie Rauwerda, Jens Ohlig,
Redakteur beim Tagesspiegel Hintergrund Digitalisierung & KI, und
Stefan Kaufmann, Referent Politik und öffentlicher
Sektor bei Wikimedia Deutschland.
06.06.2023, 17:30-18:15, ARD Perspective Lab
Von allen bezahlt, für alle
nutzbar // ARD und Wikipedia für freies Wissen
Von allen bezahlt, für alle nutzbar: Die tagesschau (ARD)
stellt ausgewählte Inhalte unter freie Lizenz. Somit
können diese Inhalte bei Wikipedia eingebunden werden. Jeder
kann sie nutzen und bearbeiten. Was versprechen sich die
Beteiligten davon? Welche Erfolgsgeschichten lassen sich bereits
erzählen? Und welche Probleme sind noch nicht gelöst?
Diese Fragen diskutieren unser geschäftsführender
Vorstand Christian Humborg und Juliane Leopold,
Chefredakteurin Digitales bei ARD-aktuell. Das
Gespräch wird von Konrad Spremberg, Moderator und
Reporter der ARD, moderiert.
07.06.2023 11:15– 12:15 Uhr, Stage 3
Public interest on my mind.
Gemeinwohl für die digitale Gesellschaft
Gemeinwohl kann technologische Innovation motivieren und als
digitalpolitisches Leitmotiv dienen. Doch der Weg vom Ideal zur
technischen und politischen Umsetzung lässt viele Fragen
offen: Wem sollen gemeinwohlorientierte Vorhaben dienen? Und wie
kann Gemeinwohlorientierung in politische Maßnahmen für
unsere digitale Zukunft übersetzt werden? Darüber
diskutiert Aline Blankertz, Referentin Politik und
öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland, mit Theresa
Züger, Leiterin AI & Society Lab / Forschungsgruppe Public
Interest AI, und Chris Piallat, Herausgeber von „Der
Wert der Digitalisierung – Gemeinwohl in der digitalen
Welt“ und Referent für Strategische Planung im
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Am
F5-Stand gibt es kurz nach dem
Panel die Möglichkeit zum Austausch mit den
Panelist*innen.
07.06.2023, 12.30-13.30, Oberhafenkantine – auf
Englisch
A citizens struggle: Combating
disinformation by self organized online communities. Perspectives
from Ukraine
Falsche und irreführende Inhalte zu bekämpfen ist
für viele Online-Plattformen eine große Herausforderung.
Mykola Kozlenko, Vice-Chair of Board bei Wikimedia Ukraine,
Anton Protsiuk, Programs Coordinator bei Wikimedia Ukraine,
Friederike von Franqué, Referentin EU- und
internationale Regelsetzung bei Wikimedia Deutschland, und
Mauritius Dorn, Senior Digital Policy and Education Manager
beim Institute for Strategic Dialogue Deutschland, werden damit
verbundene Fragen diskutieren: Wie funktioniert Community
Governance, um diese Risiken zu managen? Welche anderen
Möglichkeiten gibt es? Spannend wird auch der
Erfahrungsbericht von Wikimedia Ukraine zum Umgang der ukrainischen
Wikipedia-Community mit Desinformationsversuchen. Die
Diskussion findet in englischer Sprache statt.
Wikimedia-Programm am
F5-Stand
Auch am F5-Stand (M4) in der Arena Berlin wird es an allen drei
re:publica-Tagen ein vielfältiges Programm mit
Möglichkeiten zum Austausch zu den folgenden Themen geben:
05.06., 13:00 Uhr: Meet-up für die
Wikipedia-Community
07.06., 12:00 Uhr: Relevanzcheck für dein
Wikipedia-Thema
07.06., 13:00 Uhr: Meet-up zum Thema Gemeinwohl in der
Digitalpolitik
Wer sich zu diesen oder weiteren Themen mit uns und unseren
Partnerorganisationen aus dem Bündnis F5 austauschen
möchte, ist herzlich an unserem Stand willkommen. Wir freuen
uns sehr auf die re:publica 2023 und wünschen auch Euch ein
tolles Festival!
„Ein Rhizom ist in derBotanikein meist
unterirdisch oder dicht über dem Boden wachsendesSprossachsensystem, das Blätter und Wurzeln
miteinander verbindet” – so heißt es auf
Wikipedia.
Diese Analogie wird gerne von den Aktiven des 2019
gegründeten FemNetz
genutzt. Das FemNetz ist ein Zusammenschluss aus sich weiblich oder
non-binär identifizierenden Aktiven und -Initiativen aus der
deutschsprachigen Wikipedia, die sich für mehr Diversität
in Wikipedia und ihren Schwesterprojekten einsetzen. Nach zwei
digitalen Konferenzen in 2021 und 2022 fand nun die dritte
FemNetz-Konferenz statt – zu Gast in der Stadtbibliothek und
im Literaturhaus Stuttgart.
Für die rund 40 Wikipedianer*innen war es ein vollgepacktes
Wochenende: Denn in den vergangenen Jahren sind zahlreiche
Initiativen in unterschiedlichsten Formaten, Zielgruppen und
Regionen entstanden, die es vorzustellen und für die es
Mitstreiter*innen zu finden galt: Von feministischen Schreibgruppen
wie WomenEdit
in Berlin und Erlangen, TypIn*frauen*schreiben*wiki
in Graz, über Unigruppen an der HU Berlin und Mannheim bis hin
zur Online-Workshopreihe 60 Minuten
Gender and Diversity in der Wikipedia.
Darüber hinaus teilten die Ehrenamtlichen Tipps, wie bei
unterschiedlichen Aspekten der Arbeit auf Wikipedia eine
feministische Ausrichtung gelingen kann: Worauf sollte ich bei
Bildauswahl und -untertitelung achten? Wie gendergerecht ist
Geschichtsschreibung und was bedeutet das für meine Arbeit in
Wikipedia zu historischen Themen? Und wie kann ich Wikidata
für feministische Anliegen nutzen?
Ein Rhizom kann sich weit
ausbreiten, es ist widerstandsfähig und kraftvoll.
Wie der Name suggeriert, geht es beim FemNetz und den
FemNetz-Konferenzen um Vernetzung und gegenseitige
Unterstützung, um das Teilen von Erfahrungen und
Herausforderungen. Besonders schön ist dabei, dass die Aktiven
ganz unterschiedliche Hintergründe, Expertisen und
Perspektiven mitbringen, was das Kennenlernen und das voneinander
Lernen umso interessanter macht.
Die Teilnehmenden ließen während der drei Tage auch
die Geschichte des Netzwerks Revue passieren, diskutierten
über ihre weitere Entwicklung und darüber, wie das
FemNetz und all die großartigen Projekte bestmöglich ihre
Wirkung entfalten können.
FemNetz hat sich in den letzten Jahren zu einer Art festem
Basis-Camp entwickelt, von dem aus wir zu verschiedenen Gipfeln
aufbrechen. Das wollen wir beibehalten und uns gemeinsam wie ein
Rhizom weiterentwickeln.
Kaethe17 ist Teil des
Orga-Teams.
Beim Treffen in Stuttgart hat sich das Rhizom noch ein
Stückchen weiter verwurzelt und ausgebreitet. Es bleibt
spannend, welche Abzweigungen noch erwachsen und welche Gipfel noch
erklommen werden.
Endlich hat das Warten ein Ende: Das Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) hat am 9. Mai 2023 gemeinsam mit dem
Projektträger Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
(DLR) die lang ersehnte erste Förderrichtlinie im Nachgang zur
bundesweiten OER-Strategie vorgestellt.
Bereits mit Veröffentlichung der OER-Strategie im Juli 2022
war die Ankündigung einhergegangen, dass es
Förderrichtlinien zu den verschiedenen Handlungsfeldern geben
würde. Die Spannung und Vorfreude der OER-Community war
dementsprechend hoch, bei gleichzeitiger Ernüchterung aufgrund
des langen Wartens und der Intransparenz im vorangegangenen
Entstehungsprozess der Ausschreibung.
Wofür steht
OER?
Als OER werden offene Bildungsmaterialien (Open Educational
Resources) bezeichnet. Diese stehen unter einer freien Lizenz,
sodass sie rechtssicher veröffentlicht, weiterverwendet und
verändert werden können. Mit OEP sind in Anlehnung daran
offene Bildungspraktiken gemeint (Open Educational Practices), die
diejenigen Haltungen, Methoden und Kompetenzen inkludieren, die
offenes Lernen und Arbeiten ermöglichen.
Fokus auf die Stärkung der
Community
Die OER-Förderrichtlinie steht
im klaren Zusammenhang mit dem Handlungsfeld 6 der OER-Strategie, in dem die
Zusammenführung der OER-Akteur*innen im Zentrum steht. Der
Ausschreibungstext fällt jedoch deutlich umfangreicher aus: Es
geht zwar zentral darum, bestehende Communities zu stärken, zu
vernetzen und neue aufzubauen. Allerdings sollen auch neue Formen
der Kollaboration und des Austauschs, „Rahmenbedingungen,
Handlungspraktiken und Vorgehensweisen im Kontext der Verwendung
von OEP und OER“ sowie „Inklusions- und
Chancengerechtigkeitskonzepte“ entwickelt, erprobt und
etabliert werden. Damit öffnet die Förderlinie den Raum
für eine Vielfalt an Projekten und Vorhaben.
Was es noch braucht: OER
strukturell verankern
Wikimedia ist ein Verein, der stark auf die Arbeit mit
Communities setzt: Neben Community-Projekten wie der Wikipedia oder
Wikidata geht es auch im Bündnis Freie Bildung um Aufbau,
Pflege und Ausbau von Open Education Communities. Daher sind wir
von Natur aus vom Community-Ansatz überzeugt. Wir wissen, wie
zentral eine gut vernetzte, aktive, dynamische und beständige
Community für den langfristigen Erfolg eines Projektvorhabens
ist. Aus Sicht von Wikimedia Deutschland besteht allerdings eine
der größten Herausforderungen für OER und OEP in
deren Verstetigung und Verbreitung im Bildungssystem. Dafür
müssen gesetzliche Rahmenbedingungen angepasst, OER-Policies
für Einrichtungen erlassen und Inhalte in der Aus-, Fort- und
Weiterbildung von Pädagog*innen angepasst werden. Neben dem
bottom-up Ansatz über Community-Arbeit und -Projekte hinaus
sind also auch top-down Maßnahmen von Seiten der
Bildungspolitik und -verwaltung erforderlich.
Offen bleibt wie es
weitergeht
Derzeit ist allerdings offen, ob, wann und welche weiteren
Handlungsfelder in Förderlinien umgewandelt werden. Dies ist
insbesondere vor dem Hintergrund früherer Ankündigungen
des BMBF enttäuschend, denen zufolge mit sechs
Förderlinien entsprechend der sechs Handlungsfelder gerechnet
wurde. Wir rufen das BMBF und den Projektträger daher auf,
hier offen zu kommunizieren, um allen Beteiligten
Planungssicherheit zu geben.
Wir hoffen sehr, dass diese Förderrichtlinie nur der Anfang
ist und wir mit politischer Unterstützung und einer dann
gestärkten Community die Strukturbedingungen für offene
Bildung als Standardfall schaffen.
Die globale Wikimedia-Bewegung hat sich mit der „Wikimedia
2030“-Strategie ambitionierte Ziele für die Zukunft
gesetzt. Dazu gehört auch die Entscheidung, sich noch
stärker mit Gerechtigkeitsfragen auseinanderzusetzen. Es geht
darum, technische und soziale Hürden abzubauen, damit wirklich
alle Menschen das Wissen in den Wikimedia-Projekten mitgestalten
können. Wir nennen das Wissensgerechtigkeit.
Historisch gesehen hat sich Wissen in den Händen einiger
weniger konzentriert. Die Geschichten und Perspektiven
marginalisierter Gruppen wurden durch Machtstrukturen lange Zeit
aus offiziellen Erzählungen ausgeschlossen. Marginalisierung
beschreibt, dass Individuen und Gruppen an den Rand der
Gesellschaft gedrängt und ihre Perspektiven und Interessen als
weniger relevant erklärt werden.
Möglichkeit der Beteiligung
auch in Wikipedia nicht für alle gleich
Wikipedia hat als die weltweit größte, freie,
gemeinschaftlich erstellte Enzyklopädie den Zugang zu Wissen
revolutioniert: Alle haben den gleichen Zugang zu Wissen –
theoretisch. Doch wir wissen, dass die Möglichkeiten sich
zu beteiligen nicht für alle Menschen gleich sind. Und wir
wissen auch, dass die Wikimedia-Projekte und das darin versammelte
Wissen in gesellschaftliche Strukturen eingebettet sind, die mit
einer kolonial geprägten Weltsicht verwoben sind.
„Das Problem ist, dass diejenigen herrschenden
Perspektiven als objektiv-neutral gelten, die die Erzählung
von Geschichte in Büchern oder in schulischen Kontexten
bestimmen. Aufbrechen können wir das nur, indem wir
grundsätzlich unsere Vorstellung von Wissen infrage stellen,
offen diskutieren, was wir bisher als Wissen konstruiert haben und
welche Auswirkungen das hatte – damit wir Alternativen
entwickeln und aus anderen Quellen schöpfen
können.“ (Emilia Roig:
Die Macht des Wissens im Wandel)
Das bedeutet, solange wir ein weiß westliches
Verständnis von Wissen nicht hinterfragen und das Konzept von
Wissen neu denken, werden gesellschaftliche Ausschlüsse
reproduziert. Wie gehen wir als Gesellschaft im Allgemeinen und als
Organisation, die sich für Freies Wissen einsetzt, im
Speziellen damit um, dass wir ein westlich geprägtes
Verständnis von Wissen haben und von einer mehrheitlich
weißen Position auf die Welt schauen? Weiß
bezeichnet hier nicht die Hautschattierung von Menschen, sondern
eine Positionierung und soziale Zuschreibung in einer rassistisch
strukturierten Gesellschaft. Die Bezeichnung dient dazu, die in der
Regel unmarkierte Norm sowie die damit einhergehende Machtposition
und Privilegien sichtbar zu machen.
Wie bewusst sind wir uns darüber, wie Rassismus als
Wahrnehmungsfilter wirkt, wie unser Wissen und Handeln auf einer
historisch gewachsenen, hierarchischen Unterscheidung von Menschen
und Gruppen auf Grundlage biologischer Merkmale oder kultureller
Differenzen beruht?
re•shape –
Ausgestaltung und Vision
Viele große Fragen, die uns bei der Entwicklung von
re•shape
– Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von
Wissensgerechtigkeit beschäftigt haben. Mit diesem
Programm möchten wir gezielt Menschen fördern, die von
Rassismus negativ betroffen sind. Wir unterstützen
Einzelperson, Gruppen oder gemeinnützige Organisation dabei,
marginalisiertem Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit zu verschaffen
und das selbstbestimmt zu tun. Bewerbungen sind
ab sofort bis zum 18. Juni möglich.
Das Programm bietet einen Rahmen, in dem die
Veröffentlichung von marginalisiertem Wissen unter einer
freien Lizenz abgewogen und praktisch erprobt werden kann. Neben
einer Beschäftigung mit Wikipedia, Wikimedia Commons oder
Wikidata bietet das Programm auch eine grundsätzliche
Auseinandersetzung mit der Frage, was es heißt, insbesondere
marginalisiertes Wissen unter einer Freien Lizenz zu
veröffentlichen: Welche Chancen bietet das Freie Wissen,
welche Risiken bestehen aber auch und welche
Handlungsmöglichkeiten, wenn etwa Inhalte politisch
instrumentalisiert werden? Das Rahmenprogramm läuft von
September 2023 bis April 2024 und eröffnet für die
Geförderten Raum für Vernetzung und Austausch.
Jetzt mitmachen und Projektideen
bis 18. Juni einreichen
Als Projektteam sind wir neugierig auf die Projekte, die
realisiert werden und auch auf die Reise, die wir selbst mit diesem
Programm unternehmen. Wir wollen unsere Wahrnehmung für
strukturelle Diskriminierungen schärfen und gegen
Diskriminierungen arbeiten. Darum haben wir uns dazu entschieden,
uns als Team in einen begleiteten Lern- und Reflexionsprozess zu
den Themen Diskriminierungen, Marginalisierung und Rassismus zu
begeben. In diesem Prozess reflektieren wir etablierte Ansätze
und erarbeiten neue, die für einen diskriminierungskritischen
Umgang mit marginalisiertem Wissen zielführend sind.
Mit re•shape möchten
Wikimedia Deutschland und die neuen deutschen organisationen
marginalisiertem Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit verschaffen. Das
Programm wendet sich explizit an Menschen und Communitys, die
Rassismus erfahren. Neben einer finanziellen Förderung von bis
zu 5.000 € bietet das Programm Begleitung durch Mentor*innen
sowie ein Rahmenprogramm mit Raum für Vernetzung und
Austausch.
re•shape – Ein
Wikimedia-Programm zur Förderung von
Wissensgerechtigkeit
Mit re•shape
möchten Wikimedia Deutschland und die neuen deutschen
organisationen marginalisiertem Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit
verschaffen. Das Programm wendet sich explizit an Menschen und
Communitys, die Rassismus erfahren. Neben einer finanziellen
Förderung von bis zu 5.000 € bietet das Programm
Begleitung durch Mentor*innen sowie ein Rahmenprogramm mit Raum
für Vernetzung und Austausch.
Bewerbungen können vom 11. Mai bis zum 18. Juni 2023 auf
Deutsch oder Englisch eingereicht werden.
Das Digitale-Dienste-Gesetz
(englisch: Digital Services Act – DSA), das am 17. Februar
2024 in Kraft tritt, bringt neue Regeln für
Online-Plattformen. Dabei geht es um unterschiedliche Themen, wie
zum Beispiel den Umgang mit illegalen Inhalten, die Transparenz von
Onlinewerbung und den Zugang zu Plattformdaten für Forschende.
Für besonders große Plattformen gelten im DSA nochmal
strengere Regeln. Mit selbst geschätzten 151
Millionen Nutzenden pro Monat wurde Wikipedia nun von der
Europäischen Kommission im Rahmen des DSA als VLOP
(“very large online platform”) eingestuft.
Wikipedia ist in dieser Gruppe von 19 VLOPs die einzige nicht
gewinnorientierte Plattform.
Neue Verpflichtungen für
die Foundation
Die Verpflichtungen des DSA richten sich an die jeweiligen
Diensteanbieter (Service Provider) und bedeuten damit vor allem
Änderungen für die Wikimedia Foundation. Dazu
gehören europaweite „Notice & Action“-Regeln, die
vorschreiben, wie die WMF auf an sie gerichtete Lösch- und
Änderungsanfragen zu reagieren hat. Auch wird die WMF
zukünftig regelmäßige Risikobewertungen für
systemische Risiken (u. a. für die öffentliche
Gesundheit, den Schutz von Kindern und das Recht auf freie
Meinungsäußerung) vorlegen müssen, Maßnahmen
zur Risikominderung auf dieser Grundlage transparent machen und
einen externen Audit durchführen lassen. Viele Regeln des DSA
gelten jedoch gar nicht für Wikipedia, da die
Wikimedia-Projekte keine Werbung beinhalten und keine
Boosting-Algorithmen anwenden, um zu modellieren, was die Nutzenden
sehen.
Auch wenn die WMF die meisten Berichtspflichten und
Transparenzgebote des DSA bereits erfüllt, erhöht sich
ihr bürokratischer Aufwand: Die WMF muss etwa ihre internen
Prozesse so anpassen, dass sie mit dem neuen „Notice &
Action“-Rahmen übereinstimmen – also ein
transparentes, konsistentes Beschwerdeverfahren sicherstellen. Sie
muss ein Verfahren zur jährlichen Risikobewertungen und
Risikominderung einrichten sowie Berichterstattung dazu leisten.
Und sie muss darstellen, was sie gegen Desinformation unternimmt
und wie sie den Schutz von Minderjährigen sicherstellt. Wie
dieser Schutz unter Beibehaltung der bewährten
Anonymitätsregeln, also auch ohne die Angabe des Alters von
Nutzenden, erreicht werden kann, ist bislang noch ungelöst.
Jedes Quartal müssen die Nutzenden-Schätzungen für
die EU veröffentlicht werden und die Wikimedia Foundation muss
die Prüfung all dieser Aspekte durch eine geeignete
Organisation sicherstellen.
Von den VLOPs wird erwartet, dass sie zur Datenbank der
Europäischen Kommission für Moderationsentscheidungen
beitragen. Ob und wie eine solche Datenbank mit den
EU-Datenschutzgesetzen vereinbar ist, bleibt allerdings
abzuwarten.
Geteilte
Zuständigkeiten
Die regulatorische Aufsicht über den DSA übernehmen
die sogenannten Digital Services Koordinatoren (DSC), nationale
Behörden, die sich um kleinere nationale Plattformen
kümmern. Die Europäische Kommission koordiniert und
beaufsichtigt die Extra-Pflichten der sehr großen Plattformen.
Die Einstufung als VLOP bedeutet für Wikimedia, dass die WMF
eine*n gesetzliche*n Vertreter*in in der EU ernennen und sich damit
auch für einen Gerichtsstand (ein Land) entscheiden muss. Wenn
beispielsweise eine Anwaltskanzlei mit Sitz in Irland gewählt
wird, wäre der irische „Koordinator für Digitale
Dienste“ (Digital Services Coordinator, kurz DSC) auch
für Projekte wie Wikimedia Commons oder Wikidata
zuständig, im Fall der Wikipedia außerdem die
Europäische Kommission für die nur für VLOPs
geltenden Pflichten.
Für die Foundation bedeutet auch der nach DSA regelkonforme
Betrieb der kleineren Wikimedia-Projekte – wie Wikimedia
Commons – eine nicht unerhebliche Aufgabe. Wenn die
Aufsichtsbehörden nicht davon überzeugt werden
können, dass Wikipedia „systemische Risiken“ wie
Wahlmanipulationen, Hass und Schutz von Minderjährigen richtig
angeht, dann werden die WMF und die Communitys gefordert sein,
zusätzliche Antworten darauf zu finden.
Ob auf die Communitys selbst Aufgaben zukommen werden, muss sich
noch zeigen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind noch keine bekannt. Die
Wikimedia Organisationen setzen sich dafür ein, dass in der
weiteren Ausgestaltung von Leitlinien und
Durchführungsbestimmungen durch Regulierungsbehörden die
Besonderheiten der Wikimedia-Projekte berücksichtigt
werden.
Chancen für
Community-basierte Plattformen
Während des Entstehungsprozesses des DSA und in den
begleitenden Verhandlungen konnte Wikimedia wiederholt zeigen, dass
Projekte wie Wikipedia Inhalte anders moderieren als kommerziell
orientierte Plattformen. Freiwillige Redaktionsgemeinschaften
einigen sich auf Regeln und setzen sie durch. Das machen sie gut.
Damit sind sie eine solide Alternative zur Regelsetzung von den
Dienstleistern selbst, die darüber hinaus nach Gutdünken
geändert werden können. Freie Redaktionsgemeinschaften
machen ihre eigenen Regeln.
Die Verpflichtungen des DSA sind daher auch eine Chance für
Wikimedia zu zeigen, dass die Einhaltung von Regeln auf eine Art
und Weise erfolgen kann, die die Rechte der Nutzenden
respektiert.
Die Bundesregierung will den „Zugang zu Forschungsdaten
für öffentliche und private Forschung […] umfassend
verbessern sowie vereinfachen“. Darauf haben sich SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Koalitionsvertrag von
2021 geeinigt. Jetzt hat das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) ausgewählte Organisationen aus Wissenschaft,
Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft eingeladen, Stellung
zu diesem Vorhaben zu beziehen. Auch Wikimedia Deutschland hat sich
mit einer eigenen Stellungnahme beteiligt.
Daten aus der Forschung für
alle
Unsere Kernforderung ist, dass alle Daten aus der Forschung
allen zur Verfügung stehen sollten, insbesondere wenn die
Forschung mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Dies
umfasst alle Daten, die zu Forschungszwecken erhoben werden –
seien es Messdaten in Experimenten, Umfragedaten oder andere
Methoden, die Daten für ein wissenschaftliches
Erkenntnisinteresse generieren – sowie die mit diesen Daten
erzielten Analyseergebnisse.
Warum ist eine breite Verfügbarkeit von Forschungsdaten so
wichtig? Die Antwort liegt auf der Hand: Es besteht ein
gesellschaftliches Interesse an der Nachnutzung, z. B. um die
Ergebnisse zu replizieren, Metastudien zu erstellen oder weitere
Analysen mit den Daten durchzuführen. Gründe, die eine
exklusive Datennutzung rechtfertigen könnten, gibt es hingegen
keine – denn durch die öffentliche Finanzierung ist
üblicherweise keine weitere Finanzierung notwendig.
Darüber hinaus stärkt es das Vertrauen in Information
und Wissenschaft, wenn auch die interessierte Öffentlichkeit
wissenschaftlichen Diskursen folgen und sie nachvollziehen kann.
Dazu gehören auch aktuell aufgrund ihrer fehlenden
statistischen Signifikanz nicht veröffentlichte
Ergebnisse.
Ein gesundes Ökosystem
für offene Wissenschaft
Um das gesellschaftliche Interesse an Forschung zu
berücksichtigen, müssen Daten, Methoden und Erkenntnisse
möglichst frei verfügbar sein. Das heißt, offene
Forschungsdaten sollten in einen Kontext von Open Access und von
Open Science eingebettet
sein. Die Vorteile:
Forschungsprojekte können besser aufeinander aufbauen,
wenn auch Daten bislang nicht veröffentlichter Forschung
zugänglich werden.
Transdisziplinäre Forschung wird deutlich vereinfacht,
wenn Daten und Erkenntnisse übergreifend verfügbar
sind.
Hürden in Richtung Gesellschaft und Politik werden
abgebaut, insbesondere dort, wo Projekte sich bislang keine teuren
Zugänge zu Datenbanken etc. leisten konnten.
Ein wichtiger Hebel sind die Bedingungen, die an die Vergabe
öffentlicher Gelder geknüpft sind: Diese sollten dem
Ansatz „Öffentliches Geld –
Öffentliches Gut!“ folgen, sodass die im Kontext
öffentlich geförderter Forschung erhobenen Daten frei
verfügbar sind.
Mehr Daten für die
Forschung
Forschung hat auch ein großes Interesse an Daten, die
aktuell nur schwer zugänglich sind. Dazu gehören
insbesondere Daten, die von der öffentlichen Hand erhoben und
aktuell nur unzureichend öffentlich verfügbar gemacht
werden – etwa in Form von Karten. Auch Mobilitätsdaten
oder Informationen über meteorologische Verhältnisse
sollten prinzipiell frei verfügbar sein, sowohl für die
Forschung als auch für die Zivilgesellschaft und prinzipiell
alle Arten von Zwecken, einschließlich wirtschaftlicher
Aktivitäten.
Darüber hinaus kann Forschung auch aus aktuell privat
gehaltenen Daten lernen: Das Argument, Unternehmen sollten Daten
geheim halten dürfen, um z. B. Geschäftsgeheimnisse zu
schützen, kommt bei vielen Formen der Forschung nicht zum
Tragen, da diese in keinem wettbewerblichen Verhältnis zu
Unternehmen stehen. Es zeigt sich z. B. im Digital Services Act,
dass ein großes gesellschaftliches Interesse daran besteht,
die Rolle und Wirkung von wirkmächtigen Infrastrukturen von
Onlinediensten zu untersuchen. Dieser Datenzugang könnte,
zumindest für Forschung und Zivilgesellschaft, auf andere
Onlinedienste oder Dienstleister im Bereich der öffentlichen
Daseinsvorsorge (Mobilitätsanbieter, Energieanbieter etc.)
ausgeweitet werden.
Die Veröffentlichung von Daten aus der öffentlichen
Verwaltung ist besonders naheliegend, da bei ihnen offensichtlich
ein gesellschaftliches Interesse an einer hohen Verfügbarkeit
und kein Geheimhaltungsinteresse geltend gemacht werden kann.
Ähnlich sieht es bei Daten in Wirtschaftsbereichen aus, die
von hohem öffentlichen Interesse sind. Darunter fallen z. B.
Infrastrukturen wie Energie oder Mobilität –
unabhängig davon, ob diese Aktivitäten von staatlicher
oder privater Seite erfolgen.
Unsere ganze Stellungnahme zum gesamten Forschungsdatengesetz
gibt es hier zum Nachlesen.
Rom*nja und Sinti*zze sind die größte ethnische
Minderheit Europas. Das Wissen über ihre Geschichte,
vielfältige Kulturproduktion und aktuellen
Lebensrealitäten ist in Deutschland aber kaum verbreitet.
Meistens wird über sie gesprochen, statt mit ihnen. Das muss
sich ändern. Welche Rolle digitale Räume dabei spielen
können und welche Hindernisse es gibt, hat Moderator Axel
Rahmlow in der aktuellen Folge von „Wissen. Macht.
Gerechtigkeit.“ mit Gilda-Nancy Horvath,
Journalistin und Vorstandsmitglied bei eriac, mit Isidora Randjelović,
Leiterin des Rom*nja-Archivs RomaniPhen, und mit
Simonida
Selimović, Schauspielerin, Regisseurin und Aktivistin,
diskutiert.
Umfragen zeigen seit
Jahren, dass ein großer Anteil der deutschen Bevölkerung
Rom*nja und Sinti*zze nicht als Teil der Gesellschaft akzeptieren
will – obwohl sie es waren und sind. „Die Menschen
wissen sehr wenig über uns, Stereotype werden durch die Medien
weiter reproduziert und prägen die
Mehrheitsgesellschaft“, stellt die Journalistin Horvath fest.
Je weniger man über jemanden weiß, umso mehr hat man
Phantasien, die aber nicht stimmen“, ergänzt die
Aktivistin Selimović.
Auf die Frage, woran es liegt, dass Stereotype und Ablehnung
dominieren, wie Sinti*zze und Rom*nja wahrgenommen werden, muss
Isidora Randjelović weit ausholen: „Seit dem 15.
Jahrhundert beschreiben in Deutschland Chronisten Rom*nja oder
Sinti*zze, die selber gar nicht Rom*nja oder Sinti*zze sind.“
In den Darstellungen wurden und werden sie oft zu orientalischen
Gestalten, als Fremde oder Gefahr beschrieben und ausgegrenzt.
Rom*nja und Sinti*zze müssen außerdem seit Jahrhunderten
„als Ausrede für bestimmte politische Bedingungen
herhalten“, so Randjelović. Diese Ausgrenzung gipfelte
immer wieder in Verfolgung – bis zum Versuch der
Auslöschung im Dritten Reich. Der sei insofern doppelt
dramatisch, da mit der körperlichen Vernichtung eine
„Zerstörung der Familien, der Sprache Romanes, des Denkens
und der Deutung“ von Rom*nja und Sinti*zze einherging. Bis
heute würden im Netz immer wieder Fake News über beide
Gruppen verbreitet. Ihnen wirksam zu begegnen, ist gerade für
marginalisierte Gruppen, die über keine starke Lobby oder
Medienmacht verfügen, kompliziert, wirft die Journalistin
Horvath ein.
Repräsentation selbst in die Hand
nehmen
Gleichzeitig ermöglicht der digitale Raum Rom*nja und
Sinti*zze auch Selbstermächtigung. Denn auch für sie
gilt: Plattformen oder soziale Netzwerke sind erstmal für alle
zugänglich. Im Netz können sie immerhin selbst
mitbestimmen, wie sie gesehen werden und was die
Mehrheitsgesellschaft über sie weiß. „Wenn ich
selber ein Theaterstück schreibe, inszeniere und aufnehme,
dann gebe ich selbst frei, was die Gesellschaft sieht“,
erklärt die Regisseurin Selimović.
Gilda Horvath nutzt ihren Blog Glaso – Stimme,
um ein vielfältiges und realistisches Bild von Rom*nja und
Sinti*zze zu zeichnen. Sie porträtiert „Menschen, die
die Welt verändern, aber ständig nur zu Ihrer Herkunft
befragt werden“. Horvath berichtet von einem homosexuellen
Wirtschaftsberater, einem deutschen Sinto in der EU-Politik, einer
ungarischen Sozialwissenschaftlerin oder einer Journalistin in
Kanada.
Isidora Randjelović betont die Möglichkeiten, die
digitale Anwendungen eröffnen, um das Wissen über
Sinti*zze und Rom*nja zu erweitern. Zusätzlich zur neuen
Freiluftausstellung am Denkmal für die im
Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin
hat das RomaniPhen Archiv eine App entwickelt,
„die aus den Perspektiven der Opfer und Überlebenden die
Vergangenheit erzählt, mit Biografien,
Zeitzeug*innenerzählungen, Liedern aus den Lagern, Theater und
Bildern, die alle den Genozid thematisieren und Geschichten der
Menschen erzählen.“ Sie kann am Denkmal über einen
QR-Code geladen werden.
Dass Rom*nja und Sinti*zze im Netz immer wieder stereotypen
Darstellungen über sich begegnen, dass sie Rassismus erleben
oder in sozialen Netzwerken Hate Speech ausgesetzt sind, sei aber
auch eine Hürde für mehr digitale Repräsentation.
Junge Sinti*zze oder Rom*nja würden so abgeschreckt, sich
selbst einzubringen, erläutert Simonida Selimović:
„Da ist viel Rassismus, der weh tut. Wenn das Z-Wort genannt
wird oder wenn nicht die richtige Bezeichnung für Rom*nja oder
Romanes“ verwendet wird, seien das „harte Sachen, die
vor allem junge Menschen treffen. Die haben dann keinen Bock mehr
auf Facebook oder Wikipedia.“ Deswegen sei es wichtig, dass
sie nicht nur in den großen sozialen Netzwerken agieren,
sondern eigene Webseiten, Plattformen oder Blogs gestalten, wo sie
es sind, die den Zugang regeln.
Etablierte Plattformen müssen sich
öffnen
Gerade deswegen, so betont die Archiv-Gründerin
Randjelović, müssten die großen digitalen Akteure
und Wissensplattformen „sich Mühe geben, eine
vielfältige Repräsentationspolitik zu ermöglichen.
Das hieße auch, dass man „sich Wikipedia-Einträge
anschaut und diese diversifiziert“. Ihre eigene Erfahrung sei
dabei eher ernüchternd gewesen. Das RomaniPhen Archiv habe mehrfach versucht, einen
Artikel über sich zu schreiben.1 „Aber er ist
immer wieder abgelehnt worden. Wenn man sich nicht auskennt mit dem
System, ist es schwierig“, bedauert Randjelović.
„Wir haben auch Artikel verändert, weil falsche
Informationen drin standen oder die Wortwahl unangemessen war. Aber
das können wir als kleiner Verein nicht leisten“,
ergänzt sie.
Ist die freie Enzyklopädie Wikipedia denn überhaupt
dafür geeignet, das Wissen über Sintizze und Romnja zu
verbreiten? „Ich sage provokant: Nein“, meint
Selimović. Bei biografischen Artikeln über einzelne
Sintizze oder Romnja möge das nicht ganz zutreffen. Aber die
Regisseurin findet es schwierig, wenn in der Wikipedia von Menschen
über eine Community geschrieben werde, aus der sie nicht
kommen. Weil Stereotype über diese Community so stark
verwurzelt und weit verbreitet seien, dass sie das Schreiben
beeinflussen. „Hard Facts” könnten auch Menschen
abbilden, die nicht aus den Communitys kommen. Aber man sollte es
den Rom*nja oder Sinti*zze selbst überlassen, Wissen über
ihre Kultur und Geschichte weiterzugeben, so die Ansicht der
Künstlerin. Denn ihre Wahrnehmung ist: Vieles, was über
beide Gruppen im Netz und auch auf Wikipedia steht, sei nicht
zutreffend.
Gilda Horvath macht einen Vorschlag, wie sich das ändern
könnte. Man müsse auf die Menschen aus den Communitys
zugehen, sie „holen, damit sie aktiv und im Idealfall auch
bezahlt beitragen“, um die „Qualität der
Informationen zu erhöhen, denn das steigert auch das
Vertrauen“.1 Denn die Zeit und Ressourcen, um
„Wissen zu kreieren“ hätten viele Rom*nja und
Sinti*zze schlicht nicht, erläutert Horvath. Das seien
Privilegien von Wenigen, so die Journalistin.
Mit Blick auf die Relevanz von Wikipedia-Artikeln, die oft der
erste Eintrag sind, wenn man einen Begriff oder eine Person
googelt, sei es besonders wichtig, dass die Informationen
verlässlich und frei von Stereotypen oder nicht zutreffenden
Fremdzuschreibungen seien. Darin sind sich die drei Diskutierenden
einig. Aktuell seien Rom*nja und Sinti*zze aber noch „absolut
abhängig davon, wie andere über uns sprechen und wie
unsere nächste Generation uns im Internet wahrnimmt“,
stellt Horvath fest.
Mit der Erfahrungen aus der Bildungsarbeit im Gepäck, die
das RomaniPhen Archiv betreibt, stellt Isidora Randjelović
aber auch fest: „Wissensgerechtigkeit ist nichts, was an
einer Stelle zu lösen ist. Eine Strategie von Wikimedia kann
nicht die Lösung sein. Es muss gesellschaftlich mehr über
Wissensgerechtigkeit nachgedacht werden, über gute schulische
Bildungsarbeit. Da geht es auch darum, welchen Zugang haben
Lehrkräfte zu Wissen. Das ist eine
Querschnittsaufgabe.“
Mit der Erfahrungen aus der Bildungsarbeit im Gepäck, die
das RomaniPhen Archiv betreibt, stellt Isidora Randjelović
aber auch fest: „Wissensgerechtigkeit ist nichts, was an
einer Stelle zu lösen ist. Eine Strategie von Wikimedia kann
nicht die Lösung sein. Es muss gesellschaftlich mehr über
Wissensgerechtigkeit nachgedacht werden, über gute schulische
Bildungsarbeit. Da geht es auch darum, welchen Zugang haben
Lehrkräfte zu Wissen. Das ist eine
Querschnittsaufgabe.“
Anmerkungen:
1. Das RomaniPhen Archiv hat keinen eigenen Artikel in der
Wikipedia, wird aber im Artikel „Roma“ als Organisation beschrieben und
findet zudem in den biografischen Artikeln über die
Sängerin Tayo Jessica Onutor, die Bürgerrechtsaktivistin
Ilona Lagrene und die Schriftstellerin und Dramatikerin Elena
Lacková Erwähnung.
2. Vorschläge, bezahlte Redaktionen einzuführen,
wurden schon häufiger an die Wikipedia herangetragen. Fakt
ist: Wikipedia ist ein Projekt von Ehrenamtlichen, bezahlte
Mitarbeit ist nicht vorgesehen und nur unter strengen Auflagen
geduldet.
Die Bundesregierung hat die Kleine Anfrage
„Pädagogische und bildungstechnologische
Herausforderungen sowie Möglichkeiten des Aufbaus von
Governancestruktur der Nationalen Bildungsplattform“ der
Bundestagsfraktion DIE LINKE vom 7. März 2023
beantwortet.
In der Kleinen Anfrage, die sich zu einem Großteil auf die
Erkenntnisse und Ergebnisse der Konzeptstudie von
Wikimedia Deutschland zur Nationalen Bildungsplattform (NBP)
bezieht, stehen insbesondere die geplanten Governancestrukturen und
das der Plattform zugrundeliegende Bildungsverständnis im
Fokus. Wie soll vermieden werden, dass sich durch die
Bildungsplattform soziale Ungleichheiten verfestigen? Und wie
lässt sich sicherstellen, dass beim Einbezug von
Bildungsanbietern wichtige Qualitäts- und Sicherheitsstandards
eingehalten werden? Fragen wie diese stellt DIE LINKE in ihrer
Kleinen Anfrage.
Einige positive Antworten – aber
an vielen Stellen zu vage
In dem 12-seitigen Antwortschreiben der
Bundesregierung finden sich viele bereits bekannte Beschreibungen
des Bildungsministeriums rund um Funktionalitäten und
Anwendungsszenarien der NBP wieder. Positiv hervorheben
möchten wir die technologische Umsetzung der NBP auf Basis von
Open-Source-Software und offenen Standards, die mit entsprechenden
Lizenzen in „öffentlich zugänglichen
Repositorien“ veröffentlicht werden sollen. Wir
begrüßen ebenso die beiden geplanten Evaluationsvorhaben:
eine externe Erfolgs- und Wirkungsanalyse sowie eine qualitative
Begleitforschung zu Nutzungspraktiken verschiedener
Nutzendengruppen.
Insgesamt bleiben viele der Antworten sehr vage. Bezogen auf die
Governancestrukturen und den in der Konzeptstudie
geäußerten Vorschlag, einen Nutzendenrat als beratendes
Gremium für die NBP zu etablieren, heißt es in der
Antwort nur, dies werde noch „geprüft“. Nach
welchen Kriterien diese Prüfung erfolgen wird und wie sich der
Nutzendenrat zusammensetzen sollte, wird nicht weiter expliziert.
Weiter heißt es, „Überlegungen zur
Governance-Struktur haben derzeit lediglich vorläufigen
Charakter“. Dass bis heute nicht klar ist, welche Aufgaben
und Verantwortungsbereiche bei wem liegen, ist sehr irritierend.
Die Governance der Plattform darf nicht dem Zufall überlassen
werden. Stattdessen muss das Bundesministerium schnellstens
Verantwortungsbereiche klären und entsprechende Strukturen
einrichten.
Bundesregierung will Verantwortung
abgeben
Seit den Debatten über den Umgang von sozialen Netzwerken
mit unzulässigen, diskriminierenden Inhalten ist bekannt, dass
Plattformen sehr wohl verantwortlich sind für die Inhalte, die
sie teilen – auch wenn sie diese nicht selbst erstellt haben.
Die Bundesregierung aber scheint diese Verantwortung abgeben zu
wollen. Unter anderem sieht sie die „Entwicklung von
Algorithmen, welche den Datenraum für Such- oder
Vorschlagsfunktionalitäten nutzen […] auf Seiten der
Partner“. Zudem weist das Ministerium darauf hin, dass
„Empfehlungsmechanismen im engeren Sinne […] nicht im
funktionalen Scope des Datenraumes“ lägen. Hierbei
widersprechen sich die Antworten der Bundesregierung allerdings,
denn etwas weiter vorne im Text heißt es: „Im Rahmen der
Nationalen Bildungsplattform werden verschiedene Vorhaben
gefördert, die den Einsatz von Künstlicher Intelligenz
(KI) testen. Diese Projekte zielen unter anderem darauf ab, die
Auffindbarkeit von Bildungsinhalten zu verbessern und Empfehlungen
passend zu den Suchkriterien der Nutzenden zu machen”. Wir
fragen uns daher: Wird es nun datenbasierte und durch Algorithmen
gesteuerte Empfehlungsmechanismen geben oder nicht? Und wird es
allgemeine und verbindliche Vorgaben zur Datennutzung und
-sicherung geben?
Zentrale Aussagen nicht
angekommen
Leider scheinen auch Überlegungen dazu, wie die NBP als
digitaler Ort möglichst sicher und frei von Diskriminierungen
und der Reproduktion sozialer Disparitäten gestaltet sein
muss, nicht weit fortgeschritten zu sein. Hier werden lediglich
Allgemeinplätze wiederholt, dass die NBP ein Angebot sei,
„das durch den verbesserten Zugang zu und die Vernetzung von
Bildungsangeboten Hürden abbauen und so zu mehr
Bildungsgerechtigkeit beitragen“ solle. Diese Aussage ist in
Anbetracht verschiedenster empirischer Erkenntnisse zum sogenannten
Digital Divide mehr als lückenhaft. Immerhin sollen
im Rahmen der Evaluation der NBP auch „nicht intendierte
Wirkungen beachtet [werden], wie etwa bestimmte soziale Gruppen
diskriminierende Effekte“.
Auch eine der zentralsten Aussagen unserer Konzeptstudie scheint
bei den Verantwortlichen aus der Bundesregierung nicht angekommen
zu sein: Die technologische Ausgestaltung einer Plattform wie der
NBP bildet implizit immer auch bestimmte pädagogische Modelle
ab und beeinflusst die pädagogisch-didaktischen
Anwendungsmöglichkeiten. Die Aussage der Bundesregierung,
„es werden keine spezifischen pädagogischen Modelle
präferiert”, zeugt allerdings von einem fehlenden
Verständnis über diesen Zusammenhang.
Ausblick
Wie geht es nun weiter? Wir erwarten gespannt die
Veröffentlichung der Beta-Version der NBP im Herbst. Ebenso
hoffen wir auf einen baldigen Start des vom BMBF angekündigten
Strategiekreises, zu dem Wikimedia eingeladen wurde, um den
Entwicklungsprozess der NBP beratend mit zu begleiten. Wir haben
Interesse an der Mitwirkung signalisiert und hoffen auf einen
produktiven Austausch.
Darüber hinaus planen wir eine Themenreihe, in der die
verschiedenen zentralen Herausforderungen der NBP (u.a.
Beteiligungsprozesse, Governance, Nachhaltigkeit) als Beispiel
für deutsche Digital- und Bildungspolitik mit Expert*innen
analysiert und diskutiert werden sollen. Daraus sollen wiederum
Learnings und Empfehlungen für die NBP aber auch insgesamt
zukünftige Großprojekte abgeleitet werden. Für
weiterführende Gespräche mit den Verantwortlichen des
BMBF stehen unsere Türen derweil jederzeit offen.
Die Antwort
Hier finden Sie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage als PDF zum Download.
Was ist der Klang allen menschlichen Wissens? Mit dieser Frage
startete die Wikimedia Foundation im September 2022 einen
weltweiten Wettbewerb. Das Ziel: Ein Soundlogo zu finden, das
Inhalte aus allen Wiki-Projekten kennzeichnen kann, wenn
visuelle Logos keine Option sind. Ein Klang, der das
ausdrücken kann, wofür die Projekte stehen:
vertrauenswürdiges, verlässliches, offenes und
zugängliches Wissen für alle.
Im Rahmen des Wettbewerbs gingen mehr als 3.000 Einsendungen aus
135 Ländern ein. Aus den Beiträgen wurde eine Top
10 ausgewählt, an der finalen Abstimmung haben mehr als
2.000 Menschen teilgenommen!
Anmerkung der Redaktion: Da es unter diesem Beitrag viele
Kommentare von Menschen gibt, die annehmen, dass das Soundlogo beim
Öffnen der Wikipedia oder beim Lesen eines Artikels erklingt,
hier nochmal die Info: Das Soundlogo wird nicht in
der Wikipedia verwendet, sondern immer dann, wenn andere Programme,
wie beispielsweise Sprachassistenten wie Alexa oder Siri eine Frage
beantworten und dafür Wissen aus der Wikipedia und andere
Wiki-Projekten nutzen.
Jetzt anhören: Das ist das neue
Wikimedia-Soundlogo
Den Gewinnerbeitrag hat Thaddeus Osborne, ein Kerntechniker und
Musikproduzenten aus Virginia (USA), kreiert. Er kombiniert das
Geräusch des Umblätterns von Buchseiten mit
Tastaturanschlägen und einem Synthesizerklang, womit der
riesige Wissensschatz abgebildet wird, auf den Menschen digital
über Wikipedia und andere Wikimedia-Projekte zugreifen
können. Das Audio wird jetzt noch durch eine professionelle
Neuaufnahme finalisiert. Das Soundfile steht unter der freien
Lizenz CC by SA 4.0 und ist auf Wikimedia
Commons abrufbar.
Wann kommt das Soundlogo zum
Einsatz?
Von Podcasts bis hin zu virtuellen Sprachassistenten –
für viele von uns hat sich die Suche nach Informationen im
Netz in ein Hörerlebnis verwandelt. Wenn aber beispielsweise
ein Sprachassistent für die Antwort auf eine Frage
Informationen aus der Wikipedia oder anderen Wikimedia-Projekten
nutzt, war das bislang oft nicht zu erkennen. Das Soundlogo ist
daher eine neue Möglichkeit, Wikimedia-Inhalte in einer Reihe
von auditiven Anwendungen und Geräten zu identifizieren.
Mehr Wissenswertes über den globalen Soundlogo-Wettbewerb
und über den Mann, der den Gewinner-Sound kreiert hat, finden
Sie in diesem Blogbeitrag der
Wikimedia Foundation.
Die öffentliche Vergabe ist ein wichtiger Hebel für
die Entwicklung von Inhalten wie Software, Gutachten, Daten,
Studien, Beratungsergebnisse und mehr. Allein im ersten Halbjahr
2021 vergaben Bund, Länder und Kommunen knapp 28 Mrd. Euro in
Form von Dienstleistungsaufträgen; gleichzeitig ist bekannt,
dass knapp drei Viertel
des Vergabevolumens für IT-Dienstleistungen und IT-Technik
ausgegeben werden. Wikimedia Deutschland setzt sich dafür ein,
dass diese zahlreichen in öffentlichem Auftrag erstellten
Inhalte möglichst frei verfügbar und nachnutzbar werden.
Dies ist insbesondere auch sozial nachhaltig, wie wir in unserer
Stellungnahme zum Vergabetransformationspaket des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Klimaschutz erläutern. Der Volltext
findet sich am Ende dieses
Artikels.
Vergabe ökologisch und sozial
nachhaltig transformieren mit freien Inhalten
Das Vergabetransformationspaket setzt eine Vereinbarung aus dem
Koalitionsvertrag um mit dem „Ziel, die öffentlichen
Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu
digitalisieren und zu beschleunigen. Die öffentliche
Beschaffung und Vergabe soll wirtschaftlich, sozial,
ökologisch und innovativ ausgerichtet und die Verbindlichkeit
gestärkt werden […]“ Ein Fokus liegt dabei auf
ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Freie Inhalte tragen
wesentlich zu ökologischer und vor allem auch sozialer
Nachhaltigkeit bei, weswegen sie prinzipiell in der Vergabe klar
begünstigt werden sollten.
Unsere langjährige Forderung ist, dass öffentliches
Geld stets öffentliches Gut hervorbringen sollte, um so das
Gemeinwohl zu fördern. Die zentralen Argumente für
Verbotsrechte (wie z.B. das Urheberrecht oder die
Leistungsschutzrechte), die die Nachnutzung verbieten oder
einschränken, greifen für im staatlichen Auftrag
erstellte Inhalte nicht: Diese Rechte sollen sicherstellen, dass
diejenigen, die Inhalte erstellen, zunächst eine
Exklusivität über deren Nutzung erhalten und sich z. B.
über den Verkauf von Lizenzen finanzieren können. Eine
solche Refinanzierung brauchen Behörden nicht, da sie
Steuermittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten. Diese
Tatsache sollte bei der Erstellung von Inhalten im Auftrag der
öffentlichen Hand berücksichtigt werden.
Ausschließlichkeitsrechte und andere Einschränkungen
sollten sich daher auf eng definierte Sachverhalte
beschränken.
Daten für
Linked-Open-Data-Ökosystem weiterverwendbar machen
In der Praxis ist es auch im Jahr 2023 üblicherweise nicht
der Fall, dass Behörden die Produkte ihrer Vergabe
verfügbar machen. Über die Gründe können wir
oft nur mutmaßen: Gibt es unliebsame Ergebnisse, die lieber
nicht ans Licht kommen sollen? Will der Dienstleister den gleichen
Inhalt an anderer Stelle noch einmal verkaufen? Oder weiß man
es nicht so recht und daher ist es bequemer, Inhalte nicht
verfügbar zu machen? Jedenfalls zeigen verschiedene Beispiele,
dass öffentliche Stellen oft technische oder rechtlich-formale
Argumente ins Feld führen, um Inhalte der Öffentlichkeit
vorzuenthalten. Diese Argumente müssen dann in langwierigen
Rechtsstreitigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Dabei geht es
anders: Die Europäische Kommission hat 2019
beschlossen, dass sie ihre eigenen Materialien unter offenen
Lizenzen veröffentlicht. Und mit ihrem Projekt kohesio macht sie
alle Daten zur EU-Regionalförderung sogar so umfassend
nachnutzbar, dass sie Teil des gesamten
Linked-Open-Data-Ökosystems werden und dadurch jegliche
Dritt-Anwendung, die mit Linked Open Data arbeitet, ohne weiteres
auch alle Informationen zu EU-geförderten Projekten
integrieren kann.
Der Zugang zu öffentlich beschafften Inhalten sollte nur
dort eingeschränkt sein, wo die Vorteile von exklusiven
Immaterialgüterrechten die Vorteile des freien Zugangs
überwiegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Geheimnisschutz
erforderlich ist oder auch, wenn im Rahmen von
Wirtschaftsförderung die exklusive Vermarktbarkeit von
Inhalten erwünscht ist. Allerdings ist auch hier im Einzelfall
erforderlich, zu untersuchen, ob die Beschaffung von
proprietären Inhalten tatsächlich die effektivere
Wirtschaftsförderung ist als die von freien Inhalten, auf
deren Grundlage weitere Produkte, Dienstleistungen und Inhalte
entstehen können. Führen solche Abwägungen zu einer
eingeschränkten Verfügbarkeit, sollte die Begründung
möglichst transparent und detailliert veröffentlicht
werden.
Freie Inhalte für mehr
Nachhaltigkeit
Offene und freie Inhalte sind gut geeignet, um die im
Vergabetransformationspaket genannten Ziele zu erreichen: Sie
ermöglichen einen sparsamen Umgang mit den Ressourcen, die
für die Erstellung dieser Inhalte notwendig sind
(Personentage, Produktionskapazitäten, Energie), da sie nur
einmal aufgewandt werden müssen. Wenn etwa eine Landkarte nach
ihrer öffentlich veranlassten Erstellung frei zugänglich
und nachnutzbar ist, muss dieselbe Art von Darstellung für
andere Nutzungskontexte nicht noch einmal neu erstellt oder einzeln
nachlizenziert werden. Ähnliches gilt für freie und
offene Software, die nicht erneut entwickelt werden muss, weil sie
beliebig oft eingebunden und nachgenutzt werden kann, oder auch
für Bildungsmaterialien, die ohne weiteren Aufwand an
Rechteklärung und Nachlizenzierung bzw. – im schlimmsten
Falle – Neu-Erstellung vervielfältigt, weitergereicht
und iterativ an neue Bedürfnisse angepasst werden
dürfen.
Dabei ist es auch sozial nachhaltig, gesellschaftliche
Potenziale zu schonen und Inhalte dauerhaft verfügbar zu
machen, denn eine solche freie Nachnutzbarkeit gewährt allen
gleichermaßen Zugang. Die Zivilgesellschaft und auch
finanzschwache Unternehmen können so das in freien Inhalten
vermittelte Wissen weiter nutzen, auch wenn sie selbst nicht die
Ressourcen haben, um diese Inhalte zu erstellen bzw. für deren
Erstellung aufzukommen. Aus ökonomischer Perspektive schafft
dies mehr Wettbewerb aufgrund einer für viele
zugänglichen Grundlage, was wiederum einer Konzentration von
Wissen, von finanziellen Ressourcen und allgemein den
Konzentrationstendenzen gerade digitaler Märkte entgegenwirkt.
Wenn öffentlich finanzierte Geodaten frei zur Verfügung
stehen, können nicht nur große Technologieunternehmen sie
für Kartendienste verwenden, sondern auch viele weitere
Organisationen, die keine teuren Lizenzen bezahlen können.
Diese können alternative Kartendienste oder auch andere
Produkte entwickeln, die diese Kartendienste komplementieren.
Vergaberecht nur ein Teil des
Puzzles
Eine Anpassung des Vergaberechts ist ein
wichtiger Hebel, um öffentlich finanzierte Inhalte frei
verfügbar zu machen, doch nicht der einzige. Gleichzeitig
setzen wir uns für eine Anpassung
von § 5 des Urheberrechtsgesetzes ein, um die von
Behörden direkt erstellten Inhalte prinzipiell frei
nachnutzbar zu machen. Es gibt somit verschiedene Gesetze, die dazu
beitragen können, dass das im öffentlichen Auftrag
erstellte Wissen möglichst breit geteilt wird.
Stellungnahme Wikimedia Deutschland zum
Transformationsgesetz
Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein
Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren
umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal
intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und
mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach
mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der
deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man
die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den
Wind. Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am
Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem
Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird.
Die weniger peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend
sind.
Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen
Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein
Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen
Bezugspunkten zu unserer Welt. Und selbst dort kommt
Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es geht um „Moon over Soho“
von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen 2012 bringt es der Roman
auf den Punkt:
Auf deutsch etwa:
„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz,
können etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren.
Lady Tys Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem
PR-Schreiber verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen
PR-Schreiber beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite
ihren Vorstellungen entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer
„Leute“ hatte eine PR-Agentur beauftragt, die einen
Freelancer beschäftigt hatte, der das in einer halben Stunde
runtergeschrieben hatte, damit er sich schneller wieder auf den
Roman konzentrieren konnte, den er grade schrieb. Der Artikel gab
preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu nicht weniger als einem
Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder hatten von denen der
Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu fahren aber jung genug
um noch zu Hause zu wohnen.“
Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen
Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber
professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus
anderen Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich
zu stören. Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur
den geringsten Mehrwert zu bieten.
Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der
Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012
richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der
diskutierenden Community im Jahr 2022.
(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie
Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto
versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)
Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich
heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes
scheint es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in
dem jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen.
Mit dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu
„verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch
raffinierter: Einfach einen etablierten Nutzer und dessen
Vertrauensvorschuss nehmen und in dieser Tarnung PR-Edits
durchführen.
Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft
Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal
lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr
teilhaben.
Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben,
räuspere mich noch einmal und deklamiere:
Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal,
die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema
wabert ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch
dieses Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg
ist noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die
Komposition eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum,
Cembalo und Spottdrossel.
Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das
Nächstbeste: ein Gedicht.
Wikipredia
Die Regeln existieren und doch
nicht nach Mondstand
Die Ethik absolut seit
Anbeginn nein denn ja
Die Praxis gesperrt verworfen
gelöscht freigeschaltet
Wikipredia Darwinismus der
Agenturen Überleben des
Dreistesten
Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch
Hall)
Wikipedia-KNORKEerwähnte ich ja an
dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und
Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen
unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es
etwas besonderes: Auf ins Museum!
In Berlin gastiert gerade die Darmstädter
Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim
dem Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und
Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde
des 16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre
faszinieren. Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung
der Autorin des exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.
Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner
Gruppe vor dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden
über eine Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna
und zur Sonderausstellung "Holbein
in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die
Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber
engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in
dessen Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige
Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von
Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen,
sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der
besseren Kunstausstellungen.
Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten
Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des
Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage
des Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der
Reformation war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und
seine Falte. Wir staunten über die Eigentümlichkeit, dass
sich niemand auf dem Gemälde eigentlich anschaut und wurden
über dden Unterschied zwischen Schutzmantelmadonnen und
Stifterbildern aufgeklärt. Vermutungen tauchten auf, wo das
Bild wohl im Original hing - vermutlich in der Martinskirche
als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus
Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis
hin zum Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin
zum spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth.
Die Meinungen über die Sammlung Würth in der Gruppe waren
durchaus geteilt, ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist
es nun eher die Darmstädter Madonna oder eher die
Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?
Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner
Madonna und einem der prägenden Momente deutscher
Kunstgeschichte: dem Dresdner
Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen
bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur
eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter
lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten
der Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich
für das Darmstädter Gemälde. Eine Sensation,
da die Kunstkennerschaft vorher felsenhaft von der
Originalität des Dresdner Gemäldes ausging. Hier zeigte
sich erstmals das Bemühen, um eine rein sachlich, objektive
Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der Dresdner
Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die Kunstwissenschaft
als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich später
herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem ihren
Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen
naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die
originale der beiden bestätigten.
Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes
(beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus
unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in
das Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".
Hans Holbein der
Jüngere: Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze
in London, 1532. Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm.
Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen Museen zu Berlin –
Preussischer Kulturbesitz
Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die
beiden Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren
der Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in
der Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp
einer Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist
Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise
fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch
noch mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich
begleitete wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und
London. Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt.
Nachdem wir dann noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie
immer im Bodemuseum nicht ganz einfach und jedes mal findet man
zwischendurch neue Säle) folgte noch ein erschöpfter
Abschlusskaffee.
Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu
entdecken.
Über den Dächern, Türmen und Gasometern
Westberlins senkte sich die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen
des Ullstein Castles und sinnierte. Direkt unter mir
Straßentreiben, Sirenen, betrunkene Jugendliche, ein
Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde Ausflügler
überquerten die Stubenrauchbrücke.
In der Ferne betrachtete ich die Türme des
Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der
Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen
Wasserturm im Naturpark Schöneberger Südgelände.
Heute Nacht auf dem Heinweg: Welchen Weg sollte ich wählen?
Unten, im Süden, über den Prellerweg vorbei am Sommerbad
am Insulaner? Die Nordvariante über den Tempelhofer Damm und
durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder die Mittelweg, mit
Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später über
den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.
Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die
Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die
Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich,
unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein
einzelnes Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge
stellt, richtig ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.
Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte
ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der
Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit
der Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team
Tödenhöfer über Volt bis zur Tierschutzpartei. Und
so sehr es mich schmerzte das zu sagen: Das Plakatgame gewannen
bisher die CDU und ihr Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl
optisch – als auch damit, überhaupt inhaltliche Aussagen
fern von Plattitüden zu machen.
Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl.
Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf
Deutsch das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung.
Die Wikipedia steht meinem Herzen näher als der Bundestag und
selbst als der Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern
merh Gedanken. Diese Gedanken bedurften des Kontextes.
Was ist die Wikimedia Foundation?
Die Wikimedia
Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie
zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und
Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik,
ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den
Wikipedien passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450
Angestellte, ein Endowment von 90
Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen
US-Dollar.
Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia
Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich
kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten.
Sie ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere
schreiben keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit
Artikel oder legen Inhalte in den Projekten an.
Die Foundation ist eine Organisation eigener
selbstgenügsamer Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und
ist – rechtlich – niemand rechenschaftspflichtig. Das
Board besetzt sich prinzipiell aus sich selbst heraus. Es hat
entschieden die Hälfte der Sitze Wahlen der weltweiten
Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu lassen.
Das Board of Trustees ist das
ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16
Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben
Sitze besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine
weltweite Communitywahl bestimmt.
Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und
„weltweit / 450 Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar
Einnahmen“ klar, dass das Board eine abstrakte
Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick über
so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe. Dieser
Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine bestimmte
Richtung zu lenken, eine Herausforderung.
Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich
hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß.
Seiner Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die
Vollzeitkräfte machen und besetzt die
Geschäftsführung.
Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die
Geschäftsführerin der Foundation Catherine Maher
verschwand im April 2021 überraschend. Der Posten ist seitdem
unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief Operations Officer im Jahr
2021 verabschiedete, die Abteilungen Communication und Technology
auch niemand im Vorstand haben. Auf dem Schiff besetzt nur eine
Notbesatzung an Offizier*innen die Brücke. Dem Board obliegt
es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell und kompetent zu
beenden.
Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei
Kriterien erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele
teilen. Und sie sollte in der Lage sein, sich in einem
ehrenamtlichen Job gegen eine komplette Organisation aus
Vollzeitangestellten zu behaupten. Oft genug stehen bei solch
ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur Wahl, bei denen ich denke
„Will Schlechtes, aber wird das erreichen“ und
„Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die
Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt
Chaos.“
Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts
der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit,
möchte ich Kandidat*innen, die sich durchsetzen können.
Kandidat*innen, die nach Möglichkeit die US-Zentrik der
Foundation aufbrechen können. Ich möchte Kandidat*innen,
die verstehen, dass Wikip/media keine allgemeine
Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr spezifische
Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt
nicht kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine
Weltbeglückungsziele zu stürzen, die weder die Foundation
noch die Communities umsetzen können.
Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier
Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie
Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele
Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die
fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.
Die Urgesteine
Dariusz
Jemielniak – Professor of Management,
daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der
intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.
Rosie
Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup,
Women in red, you name it. Bei überraschend vielen der
Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie
Stephenson-Goodknight beteiligt.
Gerard Meijssen –
gefühlt war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab.
Vielleicht der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein
Chaot.
Mike Peel –
langjähriges Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC)
Hat bei mir in der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck
hinterlassen.
Ravishankar Ayyakkannu
– Mr. Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005
in der Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero,
Google) zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte,
weil er nicht nur aus dem Global South stammt, sondern auch
Ausbildung und Berufstätigkeit dort durchführte.
Lorenzo Losa –
Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.
Farah Jack Mustaklem – Software
Engineer, einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software.
Aktiv bei den Wikimedians of the Levant und der Arabic language
User Group. Mir persönlich zu sehr USA-sozialisiert für
eine Board-Mitgliedschaft, andererseits sicher in jeder Hinsicht
kompetent.
Douglas Ian Scott –
Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der
Wikimania 2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen
Wartepause am Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens
persönlich besser kennenlernte – und begeistert
war.
Iván Martínez
– langjährig engagiert bei Wikimedia Mexiko,
LGBTQ+-Aktivist und soweit ich hörte, das Wikiversum
Lateinamerika ist begeistert von ihm.
Pavan Santhosh Surampudi
– Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich
professionell etwas von Communities.
Adam Wight –
Programmierer, Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard
der Vertreter des Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und
Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen
Movements.
Vinicius Siqueira – in
Wiki Movimento Brasil
Newbies
Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene
Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte
oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit
größeren Organisationen im Wikiversum fehlt
vollkommen.
Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur
Wen werde ich wählen?
Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die
Grenzen des Wikiversums sinnvoll einschätzen können.
Perspektiven auf das Leben, anders aussehen als „in US-NGOs
sozialisiert“ werden bevorzugt.
Die Top 4
Douglas Ian Scott
Iván Martínez
Adam Wight
Dariusz Jemielniak
Top 8
Rosie Stephenson-Goodknight
Lorenzo Losa
Farah Jack Mustaklem
Gerard Meijssen
Wählbar
Reda Kerbouche
Pavan Santhosh Surampudi
Ravishankar Ayyakkannu
Wer wird wählen
Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem
Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig
angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen
zu haben, kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt
gesperrt zu sein. Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind
somit einfacher zu erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in
der deutschen Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021
erfüllt sein. Es hilft nicht, jetzt noch schnell zu
editieren.
Das Wahlsystem
Es gilt das Präferenzwahlsystem.
Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als
besonders fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen
weniger als viele andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings
nur selten eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl
in letzter Zeit war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New
York.
Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen
nach Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der
Kandidat danach eine zwei und so weiter. Hält man keine
Kandidatin mehr für geeignet, hört man auf zu
nummerieren.
Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen
mit „1“ gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten
davon. Dieser scheidet aus. Von allen
„1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die
„2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf
die entsprechenden weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis
nur noch so viele Kandidatinnen übrig sind, wie es
Plätze zu besetzen gilt.
Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das
Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die
Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts
geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den
Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die
Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im
Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am
Bahnsteig.
Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels
seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren. Eine Frau
entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die
falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken
„Also 22 statt der angezeigten 32.“
Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die
ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den
gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch
zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im
Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den
relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch
deutscher?
Illustration aus
dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de
Neuville & Léon Benett
Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils
Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon
auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was
Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche
Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte
Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar
erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:
„Meine Mutter nannte dann immer
eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les
ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze
frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les
ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch
festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte
ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren
zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei
ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der
Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die
sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken,
Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven
Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre
spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude
an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt.
Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer
fanden sich kulturell kaum zurecht.“
Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in
Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und
Musicaldarsteller?
Forschung Maschinenbau Braunschweig
Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht
normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt
schlägt mir „Deutscher Ingenieur“ rechts und links
um die Ohren. Braunschweig hebt das Thema "autogerechte Stadt" in
Höhen, die selbst mir als gebürtigem Hannoveraner
unerreichbar schienen.
Braunschweig.
Bahnhofsvorplatz.
VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich
wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem
Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle
und wurde prompt begrüßt mit „Tag des
Maschinenbaus. Herzlich Willkommen.“
Vor allem aber fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie
unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte
keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle,
über die irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel
verwunderlicher war, dass selbst die in Braunschweig reichlich
vorhandenen 1970er-Großbauten gepflegt und sorgsam
hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber, offensichtlicher
spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser gepflegt als
Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen darum
herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie frisch
aus der Packung genommen.
Wegbier. In
Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber
stilgerecht,
Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben
gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen
gesperrt. Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement
eine Rolle, sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.
Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und
hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch
schon ins Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7
Geräte) nachlesend, wie das nun ist mit Braunschweig.
Bekanntes taucht beim Nachlesen auf: Die physikalische-technische
Bundesanstalt mit der Atomuhr; geahntes lese ich (Volkswagen
– hey, das ist Niedersachsen und die Technische
Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:
„Im gesamten Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) verfügt die Region Braunschweig
über die höchste Wissenschaftlerdichte,[103] im
bundesweiten Vergleich über eine hohe Ingenieurquote[104]
sowie über die höchste Intensität auf dem Gebiet der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region
Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus
über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie
20.000 Beschäftigte in 250 Unternehmen der
Hochtechnologie[106]“
Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten
Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren
EU-Rangliste ist Braunschweig die innovationsfreudigste
Region der EU vor Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der
deutsche Ingenieur. Hier lebt die deutsche Technik. Was für
ein passender Ort für Jules Verne.
Jules Verne
Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts
und vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem
vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller
wie Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von
der Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der
Erde bekannt. Wikipedia und die Deutsche
Jules-Verne-Gesellschaft hatten ein gemeinsames Wochenende
organisiert mit einer Tagung zu Jules Verne und Gesprächen zu
Wikipedia.
Volker Dehs
bestreitet das halbe Programm
Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den
1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen
blau eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so
anders war als die großen mir bekannten Abenteuerromane von
Jules Verne. Warum ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich
hätte nur schwerlich begründen können, was genau
mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in die Veranstalter,
Science Fiction und Neugier auf diese andere niedersächsische
Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.
Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt
er als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans,
Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene
Bibliographen waren Thema und Anwesend, ebenso wie die
phantastische Bibliothek in Wetzlar – die Mischung der
Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich gar nicht so sehr von der
Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die Perspektiven, aus denen Verne
hier unter die Lupe genommen wurden, waren vielgestaltiger als sie
es in der Literatur sonst sind. Faszinierend hier war die Neigung
unterschiedlicher und leicht besessener Menschen sich zu einem
Thema auseinanderzusetzen.
Haus der
Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.
Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor
Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder
eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen
Büchern durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein,
während auf Verne eher zurückgeht, dass alles menschliche
Streben gegenüber der göttlichen Macht sinnlos bleibt?
Wen inspirierte er? Ist es eine sinnvolle Frage, dem nachzugehen,
welche seiner Voraussagen, sich bewahrheiten? Dazu kamen dann noch
Exkursionen zu Friedrich Gerstäcker, Fenimore Cooper, die
Ingenieure, die ihre U-Boote dann nach Jules Verne
„Nautilus“ nannten – und stark von diesem
beeinflusst waren
Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie
die Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent
werden wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken
beeinflusste. Romancier war er eher gezwungenermaßen –
und verdiente mit seinen zwei erfolgreichen Theaterstücken in
seinem Leben ein Viertel so viel Geld wie mit etwa 80 bis 100
Romanen.
Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman
"der Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was
niemand der Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine
Dreiviertelstunde später kam die Bemerkung in einem
anderen Zusammenhang, dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes
einziges Buch mit einer weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen
Zusammenhang,Update: Es kam wie es kommen musst.
Da denke ich mal, ich habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas
falsch verstanden. Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht
das einzige Werk mit einer Protagonistin. Das prägnanteste
Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur
die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in
anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser
Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews
darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr.
(*Affiliate Links)
Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von
Vernes Werk gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört,
sondern es (fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo
Verne Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet,
dienen diese vor allem dem Zweck zu reisen.
Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen
Strahl.
Die Phantastische Bibliothek
Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur
mittelbar mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen
Bibliothek Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le
Blanc auf Wolfgang Thadewald. Den großen Phantastik- und
Jules-Verne-Sammler. Thadewald verstarb 2014. Er
lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch
persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner
Sammlertätigkeit, seiner Liebe zu Büchern und zu
Menschen, aber auch die Besessenheit mit der Thadewald an ein Thema
heranging und auch von Krankheit schon schwer gekennzeichnet das
Arbeiten an Bibliographien nicht lassen konnte – es ließ
sich nicht anders beschreiben als bewegend. Sicher war dieser
Vortrag mein emotionaler Vortrag des Programms.
Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia
Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei
hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen:
Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der
Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers
zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die
Berichte werden manchmal von öffentlichen Stellen,
öfter von Großunternehmen bestellt, die damit selber
zukunftsfähig werden wollen und in die Zukunft denken.
Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten
Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist
gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die
Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.
Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes
Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die
größte Bibliothek ihrer Art im Hintergrund und seit
mittlerweile einigen Jahren eine große Datenbank aufgebaut,
was Autoren zu verschiedenen Themen schreiben.
Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich
durch gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen
Büchern im Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen
muss, dass ein Roman nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass
es nichts gibt, was so sehr Denkprozesse auslösen und
Kreativität triggern kann, wie Romane. Der befreit das Hirn
gerade vom strikt logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die
Perspektive etwas nach links oder oben, und schon öffnen sich
vollkommen neue Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es
überraschend ist, dass sie wirklich angenommen wird.
Anscheinend wird sie das.
Mensch Maschine Normal
Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste
Handy-Ticket meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder.
Ist diese Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so
unfassbar „normal“ vorkommt, vielleicht die große
Ausnahme? Sind die Musicaldarsteller, die mit „dem
Alex“ [Alexander Klaws] telefonieren, normal? Die Menschen im
Ministerium? Die größten Jules-Verne-Experten des Landes,
die alle noch einen anderen Brotjob haben? Oder eher die
Normalität vieler Menschen, die darin besteht, am Ende des
Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10 Tage mit dem
leeren Konto noch überbrückt werden können?
Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In
seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in
Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer
Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.
Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem
Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:
„Nichts gegen das große Geld
und die wenigen, die es genießen können, aber die
Stärke mitteleuropäischer Gesellschaften liegt gerade in
der Mischung. Für Reiche ist es in Singapur, Russland und
Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping Malls gibt
es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter Wasser und auf
dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder
Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und
Dunkle, Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und
drängeln, gibt es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich,
dass es in Algerien beispielsweise keine öffentlichen
Schwimmbäder gibt oder dass man in den USA oder in Brasilien
Mitglied in einem Club werden muss. Das ist eine teure und in
vieler Hinsicht sozial sehr voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur
um mit den Kindern mal schwimmen zu gehen, es sei denn
natürlich, jeder hat seinen eigenen Pool im Garten, was,
für mich zumindest, wie eine Definition von struktureller
Langeweile klingt.“ (s. 104)
*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es
handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision,
wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten
bestellt.
I still remember the time when real life meetings for
Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one
really want to meet these strange other people from the Internet?
How would they be? Could they even talk in real life or would they
just sit behind a laptop screen staring on it for hours?
My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in
Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!)
sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen.
These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and
personal in nature and no talk about projects, collaborations,
“the movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians
having a nice evening.
So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the
old school way. Half improvised, organized by our dearest local
troll user:Schlesinger
on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come
and what would happen except some people having a good time.
And so It was. In the “Matzbach” in the heart of
Berlin-Kreuzberg seven people promised to come, in the end we were
almost twenty. Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians,
a Wikipedian active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies
and two and a half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from
Wikimedia Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake,
and we just talked and laughed, talked about history and
future. Actually, mostly we talked about future.
About the Wikipedian above 30, who has just started a new a
university degree in archaeology, the question whether the Berlin
community should have its own independent space, industrial beer,
craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the
temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the
vending machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in
the future, who should come to the open editing events, how to work
better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t
there, looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or
rather not when planning something for Wikipedians, explaining
Wikipedia to the newbie, the difficulties of cake-cutting and
whatsoever.
No frustration, almost no talk about meta and politics, just
Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be
active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old
school. So good.
Crossposting eines Posts von mir aus demWikipedia
Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja
doch andere Menschen.
Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal
weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten
Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen
spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren
und Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen
sind und gearbeitet haben.
Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias
kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren.
Wie armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka
Wikifanten - fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die
entschwanden. Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es
um lauter einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben,
Arbeitsstilen und Interessen geht, die in Wikipedia tätig
waren und sind. Es gibt vor allem diejenigen, die kommen, einen
Beitrag leisten und dann wieder verschwinden. Der größte
Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von Menschen und
Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im Artikelnamensraum
aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie unermütlich über
viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an einen oder zwei
Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass sich fast nichts
über sie sagen lässt. Vielleicht sind die Beitragenden
per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr
fleißige Autorin? Wer weiß?
Viele Wikipedianerinnen und
Wikipedianer sind derzeit inaktiv.
Anlässlich des Projektes
WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele
Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele
Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher
fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer
sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir
bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat,
musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir
unbekannter Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten
Wikipedistas waren dort vor allem mir unbekannte Accounts.
Accounts, die oft aufgehört haben zu editieren. Meist sind sie
still und leise gegangen. Ihre Edits und Kommentare geben keinen
Hinweis warum. Aber anscheinend war es anderswo schöner. Oder
sie hatten den Einruck, alles in Wikipedia geschrieben zu haben,
was sie beitragen wollten. Um diesen Autorinnen und Autoren
zumindest nachträglich etwas Aufmerksamkeit zu geben, um ihre
Namen kurz aus den Tiefen der Versionsgeschichten zu retten, sollen
hier einfach einige Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt
werden, die sich um den Wedding in Wikpedia bemühten bevor sie
verschwanden.
Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße.
Ein Mammutwerk von Gtelloke,
dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast
ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.
Bild: Die Chausseestraße 114-118 in
Richtung Invalidenstraße von Gtelloke
Da ist der Artikel zum Wedding selber.
Angelegt 2002 von Otto, dessen
letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann
maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich
auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu
Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und
Schlafgängern waren Teil seines kurzen Werks, das im
Wesentlichen nur zwei Wochen im November 2004 dauerte, aber die
Grundlagen wichtiger Artikel zur Berliner Sozialgeschichte legte.
Ein Blick auf seine Benutzerseite zeigt auch den Geist der
Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König ist tod, lang
lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes! Licht und
Liebe''
Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64,
auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und
acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier,
mal die Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort,
Hinzufügen und Löschen von berühmten
Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute noch
aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin
freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen
Artikel etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.
Der Leopoldplatz;
angelegt von Frerix, der in
den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie
auch nur eine Benutzerseite für nötig hielt und
anscheinend auch in keine Diskussion verwickelt wurde. Zu
seinen wenigen Beiträgen gehören neben der Anlage des
Leopoldplatzes auch noch die Anlage der englischen Stadt Sandhurst,
die Anlage des Kreuzviertels in Münster und des Three Horses
Biers. Dann war er/sie wieder weg. Mutter des Artikels ist hier
aber 44Pinguine,
die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute
noch aktiv ist.
Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so
entscheidend wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte
in seiner Frühzeit von WHell,
engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher
Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ.
Der letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo
WHell, ich möchte Dich als den Hauptautor darüber
informieren, dass ich den Artikel John Bull (Lokomotive) in die
Wiederwahl zum Exzellenten Artikel gestellt habe,“
Größere Beiträge zur WEG folgten in den
späteren Jahren durch Peterobst
– aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit
Beiträgen zur Berliner Industriegeschichte, nach seiner
Benutzerseite AEG-Kenner und in Arbeit an einem Buch über den
Konzern. Es folgten
80.226.238.197, von Georg
Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht
unregelmäßig), Flibbertigibbet
2006 ,
79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen
44Pinguine. Weiter ausgebaut von Onkel
Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und
vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit
der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben
!“ und hielt sich im Wesentlichen daran.
Da ist der Volkspark
Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005,
aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich
ausgebaut, umfassend überarbeitet 2007 von
84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka.
Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009
und 2014, die Edits waren wenige, aber die Qualität war
hoch.
Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin
Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in
Berlin, Wedding (Mitte). Von:
Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch
heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und
Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv,
Magadan,
Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.
Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur
einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen.
Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts
und IPs an den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren
deutlich weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in
den von mir angesehenen Artikeln verteilen sich auf
44Pinguine, Fridolin freudenfett und Definitiv. Wikipedia
wird kleiner und noch lebt sie. Aber wir können all‘ den
Verschwundenen danken, die vor uns kamen.
Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder
über Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad
auch der serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt
übernommen haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer
Meinung sind, rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.
Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah
sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon
zumindest ein Admin gebannt.
Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht;
oder genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit
gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp
behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil
Polen einen Genozid an Deutschen verübt hätten.
Der ganze Bericht kann
hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl
traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es
geht aufklären und nicht Propaganda verbreiten!
Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen,
sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es
nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir
Glück 🙂.
Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die
Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry
und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche:
Viel Erfolg!
Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die
Seite zur
Auskunft. Dort können Menschen mögliche und
unmögliche Fragen stellen, die dann mal launisch, mal
larmoyant, mal ernsthaft oder auch gar nicht beantwortet werden.
Wie im wahren Leben und eine ewige Fundgrube obskuren Wissens,
seltsamer Fragestellungen und logischen Extremsports.
Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad
(1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo:
102.
Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:
"Warum
gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit
Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach
Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und
ist mir auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden
Verwandtschaft bestätigt worden. Warum?"
Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige
Diskussion, die immerhin folgendes ergab:
* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten
sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli,
darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der
DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere
Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR
ähnelte in vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als
dies für die westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als
Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war
Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die
mangelnde Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter,
Italienreisen, Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes
sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce
Carbonara!
Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild:
Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von:
Brian
Ammon, Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an
exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti,
Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika
des geteilten Deutschlands.
Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber?
Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?
Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die
dortige Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das
heimische "Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des
Badischen Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in
Karlsruhe, kennt sowohl Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt
für heute: die Makkaroni werden in "halbfingerlange
Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30 Minuten gekocht.
Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal
Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden
erklärt als "Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte.
Beim Einkauf achte man darauf, daß sie nicht hohl
sind"
Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur
bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine
Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar
schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.
Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine
Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch
Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das
frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren
"Macronen" waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18.
Jahrhunderts entstanden in Prag und Wien echte
Makkaroni-Fabriken.
Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus
Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours
für junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und
klassische europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf
der Tour aber anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen
kennenlernten, sondern auch Pasta.
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild:
Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade,
1773.
In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni
für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow
who dressed and even spoke in an outlandishly affected and epicene
manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch:
"Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl
auch die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.
Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen
Männern ist nun wiederum im Englischen der Macaroni
penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.
Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil,
nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South
Georgia von Liam Quinn,
Lizenz: CC-BY-SA
2.0
Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit
wann? Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia
of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen
Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge
unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert.
Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich
relativ problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende
’ngegno da maccarun anschließen lies, die es den
Neapolitanern ersparte stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu
kneten: im Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer,
je nach Form des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und
damit unter anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen
Fäden zum trocknen in die süditalienische Sonne
gehängt.
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild:
Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di
maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo:
6204.
Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR
zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern
plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum
die Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die
Tomatensauce in der Schweiz ließen? Warum gibt es in
Deutschland kein Äquivalent zu "Macaroni and cheese" (mehr)?
Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der DDR, bei dem es Pasta,
Sauce und Käse schon in einer Packung gab? Warum sind
Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in vielen
anderen Ländern aber dicker und
hörnchenförmig-gebogen? Es ist hochspannend. Und ein
Grund, noch viel mehr zu recherchieren.
Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die
besten Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken.
Eines davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.
Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer
Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich
ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so
fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger
vereisen ließ.
Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener,
Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter
verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen
gezeichnet. Der Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht
blies, trieb die Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles
war geschlossen und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht
mehr sehen. Über der Szene kreiste ein hungriger
Taubenschwarm.
„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ
Hüpfburg. „So viel Platz! Fast das ganze
Hafengelände gehört uns. Und wir können uns
problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“
– Sie antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt.
Ich bibbere. Das letzte Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im
Rozbrat mit meiner ehemaligen Band aufgetreten:
„Pierdzące Zakonnice“.
Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein
sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette
wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das
Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir
Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu
erfrieren.
Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am
Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der
Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im
Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße
Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es
nur scheißkalt. Ich gehe.“
Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an
ein Video erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte:
„Wikimedia
Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ
Hüpfburg für die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern,
postete ich ihr den Link.
Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen.
Fast nur Technik und kreative Sachen.
Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll
gehen?
Southgeist: Schau doch mal.
Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang
Berliner Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine
Lautsprecher wären kaputt.
Hüpfburg: I like the music.
Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.
Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia
schauen? In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen
Priester vom Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage
mir lieber, was für Tools vorkommen.
Die coolest Tools
Ich erzählte.
Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser
(Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“),
SDZeroBot
generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder
Benutzer noch ihre Seiten“), Proofread
Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch
spießiger?“), Listen to Wikipedia
(„Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei
Wikipedianer kommen und einander heiraten wollen, werde ich das
Tool in den Event integrieren“), AbuseFilter
(„Zu sehr Polizei“), LinguaLibre
(„I like“), und Pywikibot – ein Tool zum
Erstellen weiterer Tools. („Das klingt spannend –
erzähle mir mehr.“)
Pywikibot
Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders
gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit
überschaubarem Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an
einem der bereits auf dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen.
Die Bots können prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von
MediaWiki-Wikis auch können – nur schneller.
Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich
bedeutet: jemensch muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das
dauert länger als ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel,
wo es eine hohe Zahl gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben
ist das wenig – zum Anpassen von Formalien ist es super. Und
dazwischen liegt ein Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht
alles ist erlaubt – und um die Kontrolle zu wahren, hat der
Pywikibot einen automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot
absichtlich ausbremst.
Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus
dem Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die
aktuelle Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die
Community, die sich um das Framework kümmert, hat eine
dreistellige Zahl von Mitgliedern und ist so international, wie es
die frühe Wikipedia war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus
würde ich auch sagen, was Charaktertypen und Soziodemographie
angeht, ist die Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der
Ur-Wikipedia als die heutigen Wikipedistas.
DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese
Tool-Awards sind solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework
gibt es seit fast 20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast
15 Jahren. Ist der Award so langsam oder gibt es so wenig
Neues?“
Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert
erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten
Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden.
Wie bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit
gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft
aber nur selten fundamental Neues.
Change Musiker to Musiker*innen
„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video
nach zu urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine
wichtige Aufgabe erfüllt.
DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot
alle ‚Musiker‘ in Wikipedia durch
‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene
Hindernisse. Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“
DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so
strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch,
würde sie einen beigen Pullunder über weißem Hemd
tragen und Leserbriefe an die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber
ich kann mein eigenes Wiki aufsetzen und da noch Herzenslust alles
bot-mäßig umbauen?“
Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel
zu tun und die sind superfreundlich dort.“
DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in
Wikidata! Das wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der
Kutsche, die dann doch nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends
spielten wir Mozart. Da haben die Squatter angefangen mit
Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter dem Gong geduckt und ich ein
Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich noch an den einen Tänzer,
der allein Stand und Luft-Küchenmaschine gespielt hat. Ein Arm
angwickelt am Körper als würde er die Maschine an sich
drücken, mit dem anderen weit ausholende Bewegungen, um dann
auf dem Einschaltknopf zu laden.“
„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock
versetzt und die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir
alle Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris,
Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer
Studentinnen“ sagte mal eine Professorin. Kasia wäre
fast dieses Jahr in der Philharmonie aufgetreten. Aber Deine
komische Wikipedia hat immer noch keinen Artikel von
ihr.“
Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“
Ruhe. Hüpfburg dachte.
„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle
Personen auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in
Wikipedia anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das
müsste doch gehen. Vielleicht ist es einen Versuch
wert.“
SPARQL ist wie SQL, nur mit mehr Kontext. SPARQL ist eine
Datenbanksprache, die es erlaubt, das Semantic Web zu befragen.
Eine Sprache, die nicht nur Daten liefert. Sie ergründet auch
das logische Verhältnis zwischen diesen Daten. Zumindest in
der Theorie. In der Praxis ist es schwieriger. Ein Selbstversuch
mit SPARQL, Wikidata und Schwimmbädern.
Es nieselregnet. Auf dem „Street Food Market“ am
Tempelhofer Hafen versucht Schlagermusik die Trostlosigkeit zu
vertreiben. Hinter DJ Hüpfburg und mir steht der „Irish
Pub“-Wagen, ein Fleischer-Wagen und Curry Paule.
Streetfood is coming home.
Street Food kam zurück von den Hipstern, die nach dem
Thailandurlaub ihre Liebe zu Street Food entdeckt haben, zu den
Leuten, die schon seit Jahrzehnten Essen an Deutschlands
Straßen zubereiten. Die einzigen Gäste bei Curry Paule
sind die Mitarbeiter vom Irish Pub. Am Irish Pub Wagen steht
niemand. Ein eisiger Herbstwind verleidet den Aufenthalt
draußen. Curry Paule bietet als große Attraktion vegane
Wurst. Das hätte es 1985 nicht gegeben.
DJ Hüpfburg heuchelt Interesse gegenüber meinen Rede.
Wir sitzen auf den Stufen am Hafen, betrachten die wöchentlich
kleiner werdende Gruppe der Freizeitboote dort. Ich erzähle
die letzten Züge einer Anekdote. Es geht um Mund-Nasen-Masken
und Kommunikation:
„Ich stehe also mit Madame im IKEA. Wir hoffen auf die
letzten Karlhugo-Stühle. Die sind quasi immer
ausverkauft. Schaust du auf die Website bei unserem Laden, siehst
Du einen oder zwei. Dann wieder null. Dann einen halben Tag lang
acht Stühle, dann wieder null. Wir fürchten, bald gibt es
sie gar nicht mehr. Wir fürchten, IKEA nimmt sie aus dem
Programm. Also online geschaut, ob sie im IKEA Schöneberg
vorhanden sind. Schnell die Gelegenheit ergriffen. Wir fuhren zum
Bestellschalter, natürlich brav mit Maske, wie die Dame hinter
der Plexiglasscheibe auch. Die Sprache wird durch die Masken
vernuschelt.
Madame: Wir würden gerne einen Karlhugo
abholen.
Verkäuferin schaut skeptisch: Karlhugo? Nie
gehört. Sicher, dass es Karlhugo ist?
Madame: Doch, sicher: Karlhugo.
Verkäuferin tippt zweifelnd in ihren Rechner:
„Ne, nichts.“
Madame: „Sicher, im Internet stand hier sind noch
wir.“
Verkäuferin tippt weiter, kopfschüttelnd:
„Kein. Karlhugo. Gar nicht.“
Madame hat mittlerweile die Website aufgerufen, zeigt sie
der Dame in Blau-Gelb: „Hier. Acht Exemplare Karlhugo im IKEA
Schöneberg.“
Verkäuferin: „Ach, Karlhugo! Gar nicht
Karlhugo!“ Sie tippt energisch.
„Hätten sie doch gleich Karlhugo
gesagt!“
Sie druckt den Zettel für die Kasse aus. Madame fragt
mich: Hast du verstanden, was sie gesagt hat? Ich:
„Karlhugo“.
DJ Hüpfburg ist beeindruckt. Ich bilde mir ein, einen
Mundwinkel zucken zu sehen. „Du solltest Stand-Up-Comedy
machen. Am besten mit Maske. Dann verstehen die Leute Dich
schlechter.“
Ihre Gedanken werden düsterer: Weißt Du, wo man
schnell einen Corona-Test herbekommt? Eine Freundin, Schneiderin,
hatte einen Kunden, der jetzt positiv getestet ist. Das war ein
schöner Auftrag: Dark Academia meets Southern Gothic, dunkle
Mäntel, Cardigans, Wollpullover und künstliche
Spinnenweben. Sie hatten vier Treffen in der letzten Woche zur
Absprache. Mich hat sie gefragt, ob ich eine Quelle für
schicke Brillen dazu habe. Hat Spaß gemacht. Also schön,
bis der Kunde anrief mit dem Testergebnis. Nun ist alles
Grütze.
Sie will gar nicht den Laden zumachen und schnell einen
negativen Test. Aber dafür muss sie überhaupt an einen
Test kommen. Und jeder geschlossene Tag schmerzt. Ich
überlege: „Ich glaube, ich kenne eine Ärztin mit
Corona-Sprechstunde. Müsste ich zu Hause suchen.“
Wir schweigen. Nieselregen und Herbststurm werden durch Gedanken
an überfüllte Intensivstationen ergänzt. Eine
Lachmöwe mit einem Pommes im Schnabel fliegt vorbei. Dj
Hüpfburg steht wortlos auf, vegane Currywurst kaufen.
Sie kommt mit einer Wurst und einem Prospekt zurück.
Große gelbe Buchstaben fordern mich auf: „Curryspargel!
Freu Dich auf den Sommer!“
„Dirk, du hast mir Unsinn erzählt. Sparkel spricht
sich gar nicht Spargel aus.“ Ich: „???“ Diese
Datenbanksprache: SPARQL. Die wird „Sparkel“
ausgesprochen, wie im Englischen to sparcle
leuchtend/blinkend. Sterne sparclen. Nicht wie im
deutschen „Spargel.“
„Okay. Aber wie kommst du darauf?“
Ich spielte im Internet herum. Mir war langweilig. Hochzeiten im
Oktober bei Corona ist kein Business. Also dachte ich, ich nutze
die Zeit und beschreite innovative Recherchewege nach
Eventlocations. Schlösser, Burgen, Industrieruinen. Als du mir
wieder mit Wikipedia auf die Nerven gegangen bist, hast du von
Wikidata erzählt. Ich dachte, Zahlen kann ich. Ich schaue wie
das geht. Jetzt schaue ich Videos und ich teste.
Wikidata
Wikidata ist eine offene Datenbank. Das heißt: eine
große Datenbank, in der Daten über alles stehen. Von der
vagen Grundidee her so wie Wikipedia, aber mit weniger Gelaber.
Wobei die Inhalte nicht einfach in der Datenbank stehen. Sie sind
logisch verknüpft.
Es stehen nicht nur A, B und C in der Datenbank, sondern ihre
Beziehung. Wenn dort steht „A ist Kind von B“. Und dort
steht: „B ist Kind von C“. Dann kann man Abfragen, dass
A das Enkelkind von C ist, ohne dass dies so explizit vorher
eingegeben werden muss. Steht dort auch noch „D ist Kind von
B“, kann man Abfragen, dass A und D Geschwister sind, ohne
dass dies explizit in der Datenbank steht.
Bei Wikidata kann jede auf die Daten zugreifen, und etwas mit
ihnen machen. So als einfache Idee: in Wikidata stehen immer die
aktuellen Einwohnerzahlen jeder Stadt. Dann muss Wikipedia diese
nicht mehr in jeder Sprachversion nachtragen, sondern kann diese
aus Wikidata ziehen. Aber auch externe Anbieter.
Es ist möglich, Wikidata, direkt als Mensch aus quasi
ocioell per Auge zu lesen. Hier zum Beispiel der Eintrag für das
Stadtbad Mitte in Berlin: Aber das ist ehrlich gesagt,
hässlich, unübersichtlich und keinerlei Gewinn
gegenüber Wikipedia. Da gefällt mir die Quartettkarte
besser:
Besser für Wikidata ist eine Abfrage, die die gesuchten
Daten hübsch arrangiert. Man befrage die Datenbank. Da man mit
einem Computer Computersprech reden muss, gibt es SPARQL.
SPARQL
SPARQL ist eine Sprache zum Abfragen solcher semantischer
Datenbanken. Sie existiert als offizielle Empfehlung des
W3C-Konsortiums seit 2008. Inspiriert wurde sie durch SQL, hat aber
Features, die ihr das logische Denken ermöglichen.
SELECT?item ?itemLabel WHERE { ?itemwdt:P31 wd:Q357380.
SERVICE wikibase:label { bd:serviceParam
wikibase:language „[AUTO_LANGUAGE],de“.
} }
Ich: Aha?
Hüpfburg: Also von Anfang an. SELECT
– sagt, zeige mir Folgendes an: ?item und ?itemlabel
?item – ist jeder
Gegenstand mit seiner Nummer in der Datenbank. SELECT?item sagt „Zeige mir
Gegenstände an, wie sie in der Datenbank stehen.“ Also
zum Beispiel Q1292740.
SELECT?itemlabel sagt „Zeige mir
Gegenstände an, mit dem Namen, mit dem Menschen sie
benennen.“ Also zum Beispiel „Stadtbad
Mitte“.
Okay. Aber noch zeigt SELECT?item
?itemLabel ja ALLE Gegenstände an. Nicht nur die
Schwimmbäder.
Genau. Deshalb kommt ein Filter. Der wird gesetzt mit
WHERE{ }. Also zeige mir alle Gegenstände
und ihre Bezeichnung, die folgende Bedingung erfüllen:
?itemwdt:P31 wd:Q357380.
Total klar.
Okay: ?item –
heißt für jeden Gegenstand muss eine Bedingung
gelten. wdt:P31 – jeder der
Gegenstand muss zu einer bestimmten Klasse gehören, die im
nächsten Wert steht. wd:Q357380 – Das ist die
Klasse, zu der der Gegenstand gehören muss. Hier:
Hallenbad.
In Worten steht dort: Zeige mir alle Gegenstände, wenn
diese Gegenstände zur Klasse Hallenbad gehören.
Die letzte Zeile – SERVICE wikibase:label… –
sagt nur, dass wir nur die deutsche Bezeichnung haben wollen, nicht
auch die englische, finnische und japanische
Hier we go!
Ich „109 Bäder. Weltweit. Ich bin nicht beeindruckt.
Das sind weniger Bäder als Berlin und Brandenburg
haben.“
Alle Schwimmbäder mit Bild
Hüpfburg: Aber es geht noch mehr. Die kannst dir jedes Bad
mit einem Bild anzeigen lassen.
#defaultView:Map SELECT * WHERE { ?itemwdt:P31/wdt:P279* wd:Q357380; wdt:P625?geo . }
SELECT: Wie vorher auch,
nur dass du dieses Mal nichts angeben musst oder kannst, was
gezeigt wird. Das macht #defaultView:Map
Der Filter, also WHERE hat
nun noch wdt:P625?geo – es zeigt die nur
Gegenstände an, die auch einen Platz auf der Karte haben.
Karte als Ergebnis der Abfrage „Schwimmbäder mit
Karte“
Okay. Und wenn ich darauf gehe, sehe ich, dass es in den USA
wd:Q15263936 gibt. Erstaunlich! Ich weise Hüpfburg darauf hin:
Aber du kennst schon den Bäderatlas? Da gibt es alle
deutschen Bäder – mehrere tausend, nicht einige Dutzend.
Auf einer Karte. Mit allen wichtigen Infos. Und ich muss vorher
nicht rumspargeln, um an die Infos zu kommen. Da reicht es, auf die
Seite zu gehen.
So viele Möglichkeiten
Und wo sind die logischen Verknüpfungen in diesen
Wikidata-Abfragen? – Die müssen erst in der Datenbank
stehen. Wenn bei den Bädern der Architekt stünde,
könntest du eine Abfrage bauen: „Zeige mir alle
Gebäude von Schwimmbadarchitekten, die vor 1900 geboren
wurden.“
Oder zeige mir alle verschollenen Filme, die als Handlungsort
ein Schwimmbad haben. Oder zeige mir Schwimmbäder in
Deutschland, die nach 1970 eröffneten und schon wieder
außer Funktion genommen wurden. Nur fehlen dafür die
Daten in der Datenbank. Daten, die nicht vorhanden sind, kannst Du
nicht abfragen.
Ich stelle fest: „Als Schwimmbadsuchmaschine bin ich
enttäuscht.“
„Ja“, wendet DJ Hüpfburg ein. „Aber ich
suche keine Bäder. Ich suche Schlösser, Burgen und
Industrieruinen. Für die gibt es keinen Atlas. Und Dirk, wie
immer. Du denkst zu kurzfristig. Irgendwann stehen in Wikidata die
Bahnlängen und die Gastro und die Beckentiefe und der
Architekt und alles in der Nähe. Dann kannst du alle
Bäder in der Nähe eines Bahnhofs suchen. Oder
Hallenbäder mit 50-Meter-Bahnen. Oder alle historischen
Bäder Italiens.“
„Okay, und wann? Bei dem Tempo dauert das bis 2050 oder
so.“
Kann es sein, dass eine Datenbank da wirklich anders
funktioniert als ein Lexikon? Wikidate andere Bedingungen
erfüllen muss, um zu funktionieren als Wikipedia? Wenn das
Lexikon große Lücken hat, freut man sich halt, über
die Teile, die da sind. Da hat jeder Eintrag für den Leser
einen Wert an sich. Wenn eine Datenbank große Lücken hat,
ist sie nicht nutzbar, weil die Ergebnisse zufällig wirken.
Dort bekommen die Einträge ihren Wert erst durch ihre
Menge.
Sie gibt sie nicht geschlagen: „Denke an die
Möglichkeiten. Du kannst es in deine Website integrieren.
Stell dir vor du hast exklusive Schwimmbadvideos. Oder machst eine
Seite über den Architekten Ludwig Hoffmann. Oder über
Bahnhöfe in der Nähe von Sportstätten. Dann musst du
dafür keine eigene Datenbank pflegen, sondern kannst ganz
einfach die Daten aus Wikidata importieren.“
„Ganz einfach“, klar, lästere
ich.„Einfacher als selber pflegen. Wenn ihr drei Leute
findet, die das für ihre eigene Website machen, ist das
Ergebnis besser, als wenn jeder seine eigene Datenbank
hat.“
Da sage ich „das kenne ich“. Am Ende greifen Google
und Facebook die ganzen Daten ab, bauen die in ihre Oberfläche
ein – und das war es dann mit meinem Schwimmbadblog. Aber ich
bin versucht. Mag die Hoffnung nicht fahren lassen.
„Okay. Ich trage jetzt ein, dass das Stadtbad Mitte eine
50-Meter-Bahn hat!“ Aber wie mache ich das?
„Bahnlänge“ finde ich nicht als Kategorie. Muss
ich die jetzt erfinden. Sinnvollerweise ja beim Oberbegriff
„Hallenbad“? Aber wie lege ich das da an? Und was
passiert mit Bädern, die mehrere Becken mit verschiedenen
Bahnlängen haben? Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun.
Oder ich stelle Wohnzimmerstühle ein. Vielleicht sind die
weniger komplex. Aber gibt es Kriterien für Relevanz in
Wikidata? Fragen über Fragen.
Die Brockhaus Enzyklopädie ist ein mehrbändiges
Nachschlagewerk in deutscher Sprache, das zuletzt von dem zum
Bertelsmann-Konzern gehörenden Wissen Media Verlag
herausgegeben wurde. Ist es ein Nachschlagewerk? War es ein
Nachschlagewerk? Seit einigen Jahren befindet sich der Brockhaus in
einer Art Limbo des Untotseins. Irgendwie existiert er noch. So
richtig aber auch nicht mehr. Ohne jetzt die Irrungen und Wirrungen
des ehemaligen Goldstandards der deutschen Nachschlagewerke
nachzuerzählen, reicht es mir zu erwähnen, dass noch vor
10 Jahren der Brockhaus quasi das unerreichbare Ziel, die
große Messlatte und die ferne Vision dessen war, was Wikipedia
werden sollte. Genau wie Wikipedia den Brockhaus anscheinend
maßlos überschätzte, so war und ist der Brockhaus
selbst ratlos wie er mit der Wikipedia umgehen sollte. Man
weiß nicht, ob man von vertanen Chancen reden soll. Denn hatte
der Brockhaus je Chancen?
Chiara Ohoven ist ein deutsches It-Girl. Viel mehr wissen
wir nicht, da Wikipedia den zu Chiara gehörigen Artikel
permanent löscht. Vor einigen Jahren erlangte sie kurzzeitig
deutschlandweite Berühmtheit durch eine Do-it-Yourself
Schönheits-OPs mit Schlauchbootlippen als Ergebnis, fand aber
vor den Do-it-Yourself-Enzyklopädisten damit keine Gnade.
Ansonsten folgt Chiara ihrer Mutter und ihrem Vater auf das Parkett
der High Society und des Glamours. Und da kein Wikipedianer je zur
High Society gehörte oder gehören wird, gilt sie in
Wikipedia weiterhin als nicht-relevant.
Donauturm
Der Donauturm ist ein Aussichtsturm[4] inmitten des
Donauparks im 22. Wiener Gemeindebezirk Donaustadt.
Darüberhinaus sieht der Donauturm aus wie ein Fernsehturm, was
zu einem der erbittertsten Editwars in der Wikipedia-Geschichte
führte. Dort der Fachmensch für Fernsehtürme, der
sich sehr sicher war, dass Fernsehturm die Bezeichnung eines
bestimmten architektonischen Typs ist, dort eine Gruppe Wiener und
Österreicher, die darauf verwiesen, dass von diesem Turm kein
Fernsehsignal übertragen wird, noch nie ein Fernsehsignal
übertragen wurde und niemand je plante von diesem Turm aus ein
Fernsehsignal zu übertragen. Beide Seiten standen fester zu
ihrem Standpunkt als der Donauturm im Wiener Boden.
Schlußendlich führte der Editwar zu einem mehrseitigem
Artikel im Spiegel, gebrochenen Herzen, frustrierten Wikipedianern
und der Tatsache, dass jeder Wikipedianer weiß wie der
Donauturm aussieht.
Elian
Elian ist ein in den 1980er Jahren aus dem
Französischen entlehnter männlicher Vorname. Er geht auf
den Beinamen Aelianus, eine Ableitung des römischen
Geschlechternamens Aelius, zurück. elian (klein
geschrieben und gesprochen eher wie Alien) kann auch als weiblicher
Internetnickname genutzt werden. Ohne elian keine Wikipedia so wie
wir sie kennen.
Danzig (polnisch Gdańsk Zum Anhören bitte
klicken! [ɡdaɲsk],[3] kaschubisch Gduńsk), die
Hauptstadt der Woiwodschaft Pommern im Norden von Polen, liegt an
der Ostsee rund 350 km nordwestlich von Warschau und steht mit
über 460.000 Einwohnern auf der Liste der
bevölkerungsreichsten Städte Polens auf Platz sechs.
Außerdem ist Gdansk Anlass des ersten Edit Wars, den ich
persönlich mitbekommen habe. Es war 2003. Es war in der
englischen Wikipedia. Deutsche und polnische Nationalisten
ähnlicher Angestrengtheit konnten sich nicht einigen, ob die
Stadt nun Danzig oder Gdansk heißt. Hilflos naive und
offensichtlich überforderte Amerikaner versuchten zu
vermitteln. Der interessante Moment kam, als der Edit-War zur Frage
überging, ob die Band Danzig nun "benannt ist nach der Stadt
Gdansk, ehemals Danzig" oder "benannt ist nach der Stadt Danzig,
heute Gdansk".
Hubertus
Hubertus ist ein männlicher Vorname. Er wird NICHT Atze
abgekürzt.
Das Kreuz ist ein weltweit verbreitetes Symbol, das
insbesondere religiöse und kulturelle Bedeutung hat. In
diesen Bedeutungen hat sich Wikipedia unentrinnbar verheddert.
Einerseits ist das Kreuz-Symbol ein wunderbares Beispiel
dafür, welche Probleme das Internetprojekt mit Ambivalenzen
und Mehrdeutigkeiten jeder Art hat. Andererseits ist der Streit
darum ein tragischer Fall epischen Ausmaßes, der die
Wikipedia-Community über Jahre in Aufregung hielt, die Nerven
dutzender Wikipedianer verschliss und für Verzweiflung und
Frustration allüberall sorgte. Um eine lange Geschichte kurz
zu machen: das Kreuz ist natürlich DAS Symbol des Christentums
und symbolisiert Jesu Tod. Daraus folgend wurde † zum Symbol
für den Tod. Das † kommt in der Wikipedia in Lebensdaten
vor. (Beispiel: * 1600 †1666). Nun waren und sind sich die
Wikipedianer nicht einig, ob †ein Symbol ohne jede Bedeutung
ist, die einfach Standard ist, oder ob es immer noch christlich
konnotiert ist. Bei Artikeln zu Menschen nicht-christlichen
Glaubens kam und kommt es zum Streit. Ist das Kreuz nun eine
christliche Usurpation von Nicht-Christen oder ist der Versuch
deren Tod anders darzustellen - beispielsweise durch "gestorben
1666" ein Verbrechen an enzyklopädischer Neutralität und
verstößt gegen die Einheitlichkeit der Form, die
anzustreben ist?
Lutz Heilmann
Siehe → Streisand-Effekt
Narrenschiff
Das Narrenschiff (alternativ: Daß Narrenschyff ad
Narragoniam) des Sebastian Brant (1457–1521), 1494 gedruckt
von Johann Bergmann von Olpe in Basel, wurde das erfolgreichste
deutschsprachige Buch vor der Reformation. Es handelt sich um eine
spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von
über 100 Narren bei einer Schifffahrt mit Kurs auf das fiktive
Land Narragonien entwirft und so der Welt durch eine unterhaltsame
Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch und satirisch den
Spiegel vorhält. Im Wikipedianischen Zusammenhang war das
Narrenschiff eine Art Mitteilungsblatt des Hans Bug, in dem er die
Wikipedianer und ihre Laster und Untaten kritisierte. Bugs
Narrenschiff war inhaltlich und qualitativ von Sebastian Brants
Narrenschiff entfernt, wie es heutige Nachwuchswikipediakritiker
von Bugs Narrenschiff sind. Wenn etwas in den letzten Jahren extrem
gelitten hat, dann das Niveau der internen Wikipedia-Kritik.
München?/i [ˈmʏnçn̩] (
bairisch Minga?/i) ist die Landeshauptstadt des Freistaates
Bayern. Sie ist mit ca. 1,45 Millionen Einwohnern die
einwohnerstärkste und flächengrößte Stadt
Bayerns und, nach Berlin und Hamburg, die nach Einwohnern
drittgrößte Kommune Deutschlands und die
zwölftgrößte der Europäischen Union.
Wikipedia-historisch ist München wichtig, da hier am 28.
Oktober 2003, organisiert von → elian, das allerallererste
Wikipedia-Treffen überhaupt stattfand. Und nachdem sich die
Münchner einmal getroffen hatten und feststellen, dass es gar
nicht so schlimm ist, folgten Treffen in Hamburg, Berlin,
Köln, Frankfurt, Boston, Taipeh, Alexandria bis es dann 2014
zum bisher größten Treffen in London mit knapp 2.000
Teilnehmern kam. Siehe auch → Wikimania, Stammtisch.
Nordsee
Die Nordsee ist ein Mehr, ein teil der Atlant, zwischen
Grossbritannien, Skandinavien, und Friesland. Siehe auch Kattegatt,
die Niederlanden, Deutschland.
Polymerase-Kettenreaktion
Der Artikel zur Polymerase-Kettenreaktion war im Mai 2001 der erste
Artikel der deutschsprachigen Wikipedia. Vielleicht war es aber
auch der Artikel zu Vergil. Oder der zur -> Nordsee. Die
frühen Anfänge der Wikipedia liegen im Nebel. Mehr dazu:
Wikipedia Manske Polymerase-Kettenreaktion.
Relevanz
Relevanz (lat./ital.: re-levare „[den Waagebalken,
eine Sache] wieder bzw. erneut in die Höhe heben“) ist
eine Bezeichnung für die Bedeutsamkeit und damit sekundär
auch eine situationsbezogene Wichtigkeit, die jemand etwas in einem
bestimmten Zusammenhang beimisst. Das Wort ist der Bildungssprache
zugeordnet[1] und bezieht sich auf Einschätzungen und
Vergleiche innerhalb eines Sach- oder Fachgebietes. Das Antonym
Irrelevanz (Adjektiv: irrelevant) ist entsprechend eine Bezeichnung
für Bedeutungslosigkeit im gegebenen Zusammenhang,
umgangssprachlich vereinfacht auch für allgemeine
Sinnlosigkeit oder Unwichtigkeit. Das Fremdwort für eine
allgemeine, qualitativ messbare Wichtigkeit ist Importanz.
Siehe auch → Löschkandidaten, Relevanzkriterien,
Inklusionismus, Exklusionismus, Tschunk.
Eisenbahnstrecke wird die Verbindung von Orten mit einem
Schienenweg genannt. Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff
(Eisen-)Bahnlinie den auf diesen Strecken regelmäßig
stattfindenden Verkehr. So können auf einer Strecke mehrere
Bahnlinien oder eine Bahnlinie auf mehreren Strecken verkehren.
Nach herrschender Meinung in der Wikipedia sind Strecken relevant
und Linien irrelevant. Oder umgekehrt. Ich kann es mir nicht
wirklich merken. Wobei die Regel zwar grundsätzlich gilt, bei
Wiener Straßenbahnlinien gelten allerdings Sonderregeln und es
ist andersrum. Und da wundert man sich, warum sich niemand mehr an
Artikel zu Eisenbahnen herantraut.
Volker Grassmuck
Volker Grassmuck (* 1961 in Hannover) ist ein deutscher
Publizist und Soziologe. Er ist assoziierter Professor für
Mediensoziologie an der Leuphana Universität
Lüneburg. Wikipediahistorisch ist Grassmuck gleich zweimal
wichtig. Zum einen war er auf der Gründungsversammlung von
→ Wikimedia Deutschland anwesend, was uns
ein wunderbares Video bescherte.
Zum anderen veröffentlichte er 2002 ein Buch über Freie
Software. Dieses Buch enthielt eine Fußnote, in der Wikipedia
erwähnt wurde. Diese Fußnote brachte nicht nur den
Verfasser dieser Zeilen zur Wikipedia, sondern auch → elian
zur Wikipedia brachte.
Ich sitze am Teltowkanal. An mir ziehen die
Mittagspausenspaziergänger aus Finanzamt, Arbeitsamt,
Ufa-Fabrik und Ullstein Castle vorbei. Ich schaue sie nur aus den
Augenwinkeln heraus an. Ich lerne italienisch. Dazu wähle ich
Kacheln in der Sprachlern-App „Duolingo“ aus. Duolingo
gibt Sätze vor, ich klicke auf dem Handy die entsprechenden
Wörter aus einer kleinen Auswahl an.
„Ich trinke den Tee“ – Ich wähle
die Kacheln „Io“ und
„bevo“, „il“ und
„té“. „Io bevo il
té.“
„Das schwarze Pferd kauft rosa Hosen“ – Il
cavallo nero compra i pantaloni rosa.
„Die Vögel spielen Flöte“ – Gli
uccelli sounano il flauto.
„Mario und Luigi sind Klempner“ – Mario e
Luigi sono idraulici.
Ich erreiche den fortgeschrittenen Teil oder Übung. Ich
darf keine Kästchen mehr anklicken. Die Wörter sind nicht
vorgegeben. Ich muss selber den Text schreiben, die entsprechende
grammatikalische Form kennen. In die nächste Runde komme ich
erst, wenn ich den ganzen Satz fehlerfrei auf der Handytastatur
tippe. Duolingo gibt vor:
„Du hast mir gesagt, dass er jeden Montag im Sommer zu
ihr kommen würde, damit sie nachmittags die Kaninchen auf dem
Hügel in der Stadt mit dem rohen Gemüse füttern
können.“ – WHAT?
Zum Glück erlösen mich Schritte. Ich höre DJ
Hüpfburg den Kiesweg am Kanal entlang laufen. Hüpfburg
war kurz beim Asia-Streetfood-Wagen und hat sich die Nummer 9
gekauft (Reis mit Huhn). Sie läuft den Weg hinunter, grinsend.
„Ich hoffe wir werden die PiS endlich los.“ Sie freut
sich über die
polnischen Präsidentschaftswahlen.
„Ist Dir aufgefallen, dass ich tiefer deutsch rede als
polnisch. Hat meine Freundin letztens bemerkt. Mit der Freundin
rede ich in beiden Sprachen. Habe ich nie gemerkt. Aber sie hat
recht. Wenn ich deutsch rede, rutsche ich nach unten. Oder nach
oben wenn ich polnisch rede.“
Ich: „Nein“.
Sie: „Du hast doch letztens von den Wildbienen und dem
Befruchten erzählt. Ich hab‘ jetzt von Z gehört,
dass in Japan Befruchtung per Seifenblasen getestet wird. Nicht
so effektiv wie Bienen aber besser als Befruchtung von Hand. Die
Seifenblasen werden mit Pollen bestäubt und dann über die
Pflanzen geblasen. Stand wohl in der New York Times. Fiel mir
wieder ein, als ich letztens vor dem Rathaus Schöneberg eine
Hochzeit mit vielen Seifenblasen gesehen hab. Vielleicht steht ja
in Deiner Wikipedia was dazu.“
„Es ist nicht meine Wikipedia!“
„Seifenblasenpflanzenbefruchtung finde ich ich nicht. Aber
sag: Warum ist Deine Wikipedia so hässlich. Und sie sieht so
aus als wäre sie 2004 stehen geblieben.“ Ich ringe um
Worte.
„Es ist nicht meine Wikipedia. Und sie ist nicht..“
Oder doch? Ob Wikipedia schön ist? Ich wohne seit 2004
gedanklich in der Wikipedia und im Wikipedia-Layout. Jegliche
Fähigkeit, die „Schönheit“ des Layouts von
Außen zu erkennen, ist mir vor Jahren abhandengekommen.
Aber die Wikipedia sieht altbacken aus. Dem stimme ich zu. Sie
erscheint, wie das Internet 2005 aussah, nicht wie das Internet von
2020 wirkt. Gerade will ich zu längeren Erklärungen und
Entschuldigungen ansetzen.
Wieder rettet mich ein Geräusch. Hufgetrappel. Auf einem
Schimmel reitet Lukas von Gnom den Kiesweg hinab. Das Hemd
geöffnet, das wallende blonde Haar wehend im Wind. Er spielt
die Klarinette der Erkenntnis.
Reading/Web/Desktop Improvements
Die Töne dringen in mein Hirn hinein. Aus dem Nebel heraus
formt sich in meinem Kopf die Erkenntnis:
Reading/Web/Desktop Improvements (Lesen / Web / Computer) Es
gibt ein Projekt Wikipedia schöner zu gestalten. Und es hat
Chancen auf Umsetzung!
Ich versuche, den Vorwurf der Wikipedia-Altbackenheit zu
kontern. „Aber es gibt das Projekt Reading/Web/Desktop
Improvements zum Zusammenklappen der Seitenleiste in der
Wikipedia.“
Hüpfburg wirkt nicht beeindruckt.
Ich versuche das Projekt zu erklären. Leider hat es keinen
Namen, was das Sprechen und Schreiben über das Projekt
verkompliziert. Deshalb werde ich es Projekt Desktop
Improvements oder kurz Projekt DImp nennen.
DImp möchte Wikipedia leserfreundlicher machen. Dies soll
geschehen, indem die linke Seitenleiste versteckt wird. Diese wird
ausklappbar. Im Normalfall sieht man dort nur einen kleinen Pfeil.
Erst man auf den Pfeil klickt, kommen alle Menüs zum
Vorschein.
Dem fragenden Blick von Hüpfburg sehe ich an, dass sie
denkt „Welche Seitenleiste?“ Sie bestätigt damit,
dass man gedanklich verdrängt, was man nicht braucht.
Welche Seitenleiste?
In der Seitenleiste stehen links auf verschiedene
Wikipedia-Funktionen. Sie sind inhaltlich wild gemischt. Warum sie
dort in dieser Anordnung auftauchen: „Das ist in 15 Jahren
historisch gewachsen und logisch kaum erklärbar.“
Seitenleiste in einem
Wikipedia-Artikel
Links finden sich dort für die Leser. Die Links in der
Leiste lenken zu Hinweisen für Neulinge oder
Gelegenheitsautoren. Langjährige Hardcore-Autoren können
in der Leiste Spezial-Werkzeuge finden. Alle sind bunt gemischt.
Die Links haben sich über die Jahre angesammelt. Sie wurden
umgetauft und inhaltlich umgewandelt. In seltenen
Ausnahmefällen ist sogar ein Link verschwunden.
Die ganze Leiste zu erklären wäre müßig. Zu
verschieden sind die Zielgruppen, so dass es niemand gibt, der alle
Funktionen benötigt.
Für Leser am spannendsten sind die Links unten: die
Sprachversionen. Dort können sich die Leser Wikipedia-Artikel
zum selben Thema in anderen Sprachen finden. Es handelt sich bei
den Artikeln in anderen Sprachen um eigenständige Artikel. Es
sind keine Übersetzungen. Sie unterscheiden sich oft
inhaltlich. Auf jeden Fall bieten sie eine andere Sichtweise auf
dasselbe Thema.
Ein Teil der Sprachlinks zur
„Benutzerschnittstelle“
Ein Hinweis auf die Sprachlinks soll in den Kopfbereich der
Seite wandern, sichtbarer werden. Alles andere soll unsichtbarer
werden. So will es das DImp-Team.
Das, dessen Namen nicht genannt werden
kann
Der Prozess ist schwierig zu finden. Denn er hat keinen Namen.
Selbst der Behelfsbezeichnung Reading/Web/Desktop Improvements ist
kaum zu entnehmen: Ist es die Bezeichnung für den Prozess? Ist
es die Bezeichnung für das Team in der Wikimedia
Foundation?
Kann man über etwas reden, dass keinen Namen hat? Ist
jemand das Problem aufgefallen? Ist es Absicht? In den Tiefen der
Wikimedia-Diskussion lassen sich Vorschläge finden, dem Kind
einen Namen zu geben. Da bleibt es bei der ausufernden
Umständlichkeit. Oder halt bei Projekt DImp.
Das Team
Das Team hinter DImp ist das „Readers Web
Team“ aus Angestellten der Wikimedia Foundation. Das
wiederum gehört zur „Abteilung“(?)
Readers oder Reading. Die Wikimedia Foundation
ist sich nicht sicher, wie die Abteilung heißt. Diese
Reading-Abteilung wiederum gehört zur Gruppe
„Product“. Product ist eine der zwei technischen
Gruppen in der Wikimedia Foundation. Die wiederum..
DJ Hüpfburg ignoriert mich und schaut dem Mann mit der
Bierflasche in der rechten Hand zu, der vollkommen in sich gekehrt
mit links sein T-Shirt bis zur Schulter hochzieht. Ich bin so in
Wikipedia-Inside-Detailtum verfallen, dass ich mir selbst nicht
mehr zuhöre.
..Auf jeden Fall: Es geht nicht um die App oder die
Mobilansicht, sondern die Ansicht am PC. Das Desktop-Ansichts-Team
will am PC die linke Seitenleiste einklappbar machen.
Ausgangslage
Es begann im Mai 2019 ausgehend von der Prämisse: Wikipedia
ist unübersichtlich.
Das DImp-Team brach die Prämisse herunter in drei
Leitsätze: Kein Leser versteht, wie das Wiki funktioniert. Die
Bedienung ist unnötig umständlich. Es sieht nicht
einladend aus.
Daraus folgten die Ziele des Teams: 1) Die Oberfläche der
Wikipedia soll übersichtlicher werden. 2) Die Oberfläche
soll die Blicke auf den Inhalt der Artikel lenken. 3) Die wichtigen
Bedienelemente sollen schneller zu finden sein.
Um die Verwerfungen mit der Community klein zu halten, gab es
von Beginn an Bedingungen. Die Verbesserung sollte nicht in Chaos
und Streit enden. Deshalb gab es Einschränkungen an der
Reichweite von Projekt DImp: 1) Keine drastischen Änderungen
am Layout. 2) Der eigentliche Inhalt aller Bedienelemente bleibt
bestehen.
Anders gesagt: Alles sollte besser werden, aber nichts sollte
sich ändern.
Der Prozess
Es begann mit Mai 2019 mit ersten Gedanken. Es dauerte bis
September des Jahres mit Vorüberlegungen. Bereits im Juli 2019
entstanden programmierte Gedankenspiele. Auf der Wikimania im
August 2019 gab es längere Diskussionen und Tests mit
anwesenden Teilnehmern.
Nach weiteren Tests wurde es im Mai 2020 ernst: Die ersten
beiden Prototypen für echte Features entstanden: zum Beispiel
die zusammenklappbare Seitenleiste. Die wurden zuerst in internen,
semiöffentlichen Wikis eingesetzt.
Es gibt das Feature im Officewiki, das die Wikimedia intern
nutzt. Und es gibt das Feature im Testwiki. Ursprünglich
sollte das Feature bis jetzt schon in „echten“
Wikipedias wie der hebräischen oder französischen
getestet werden. Aber Corona.
Normalnutzer können dennoch etwas sehen: Das Feature
lässt sich in jeder Wikipedia anzeigen. Einfach
?useskinversion=2 an den URL hängen. Also wenn der
Link zum Artikel UI (User Interface) in Wikipedia lautet:
Zugriffstatistik auf alle Wikimedia-Projekte nach
Zugriffsmethode.
Hüpfburg staunt: „Ich dachte, Wikipedia ändert
sich nie. Aber es ist ja noch schlimmer! 30 Angestellte, ein Jahr
mit Gerede und Fragen und wieder Gerede und wieder machen und am
Ende kommt ein elender Balken zum Zusammenklappen raus?“ Da
war ja der Kommunismus effizienter.
Jein, wende ich ein. Es mag ein kleiner Schritt für den
Sidebar sein. Aber es geht um Millionen Menschen. Bei 12 Milliarden
Schritten im Monat führen auch kleine Schritte sehr weit. Bei
den Autoren, die jeden Tag mit dem Anblick umgehen müssen,
für die die Wikipedia-Oberfläche oft ein wichtiger Teil
ihres Lebens ist, geht es um zehntausende Menschen. Angesichts der
Auswirkungen, die selbst eine kleine Änderung der
Wikipedia-Oberfläche in der Welt hat, ist der Aufwand
klein.
„Wenn du meinst? Ich bleib lieber bei meinen
Hochzeitswebsites. Dort muss ich nur den Geschmack der Braut
treffen. Das geht einfacher.“
Wikipedia ist nicht nur eine Enzyklopädie mit dem Anspruch
auf Ewigkeit, sondern auch ein Nachschlagewerk für Ephemeres
und zeitgemäß Aktuelles. In der Wikipedia stehen nicht
nur Artikel über Themen von Bach und Barock bis zu Bismarck
oder zur Binomialverteilung. Im Bastelbrockhaus stehen auch
Einträge über lebende Künstler, Sänger,
Sportler, Unternehmen, Vereine und Stiftungen.
Nun können diese Künstler, Sänger und andere diese
Einträge auch lesen und sind – mal zu Recht mal zu
Unrecht – nicht glücklich mit diesen Artikeln. Mal sind
die Artikel eigenwillig gewichtet, mal lassen sie das Wesentliche
aus, mal sind Daten veraltet und ab und an enthalten die Artikel
auch echte inhaltliche Fehler.
Artikel über sich selbst oder seine Organisation zu
ändern, ist nicht einfach. Manchmal ist es aber für
Wikipedia und die Betroffenen hilfreich. Deshalb hier einige Regeln
zum Umgang mit dem eigenen Wikipedia-Artikel.
Die Grundregeln für den Umgang mit der eigenen Person oder
Organisation in Wikipedia ist einfach: existiert noch kein Artikel,
so ist das gut. Wikipedianer schätzen es gar nicht, wenn
Betroffene über sich selbst Artikel anlegen. Die geschriebenen
Regeln verbieten die Artikelanlage in eigener Sache nicht explizit.
Die - wichtigeren - ungeschriebenen Regeln sprechen sich stark
dagegen aus. Umso kritischer werden Wikipedianer die neuen Artikel
begutachten, nach Schwächen und Fehlern suchen. Umso schlimmer
wird das Spießrutenlaufen für denjenigen, der diesen
Artikel anlegt.
Selbst wenn der Artikel durchrutscht, zumindest am Anfang keine
Kritik erfährt: Viele der Ersteller und Objekte von Artikeln
rechnen nicht damit, was für eine eindrückliche Erfahrung
es sein kann, die Kontrolle aus der Hand zu geben, einer anonymen
Gruppe von Menschen eine große Bühne zu geben, das eigene
Leben oder die eigene Organisation darzustellen. Eine eigene
Website oder ein Facebookauftritt kann dasselbe wie ein
Wikipedia-Artikel. Aber man behält die Kontrolle.
Wenn eine Person oder Organisation keinen Wikipedia-Artikel hat,
dann sollte sie eine Flasche Sekt öffnen, dankbar sein und
sich auf andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit verlegen. In
vielen Fällen allerdings existiert der Artikel schon, oftmals
nicht zur Zufriedenheit der betroffenen Person. Manchmal muss die
Person oder Organisation halt damit leben, dass die eigene Existenz
nicht nur Feiernswertes enthält. Manchmal hat sie aber auch
legitime Gründe zur Kritik: Veraltetes, Unvollständiges,
Fehlerhaftes oder eigentümlich Gewichtetes findet sich in
vielen Wikipedia-Artikel. Es gibt die Möglichkeit, etwas daran
zu ändern.
(1) Transparenz
Wikipedia ist überaus kritisch gegenüber Bearbeitungen in
eigener Sache. Jeder, der Artikel über sich selbst bearbeitet,
muss Grundmisstrauen überwinden und Vertrauen gewinnen.
Vertrauen gewinnt man durch Offenheit.
(2) Verifizierung
Speziell für Bearbeiter in eigener Sache und ganz speziell
für Menschen, die professionell unterwegs sind, existiert in
der deutschen Wikipedia das Mittel der Verifizierung. Bearbeiter
melden sich unter dem Namen ihrer Organisation/ ihrer Person an und
stellen damit eine Grundtransparenz her. Danach schicken Sie eine
Mail an info-de-v@wikimedia.org und werden dann von
Freiwilligen verifiziert. Weitere Details finden sich unter:
Wikipedia:Benutzerverifizierung
(3) Diskussionsseiten
Zu jedem Eintrag in der Wikipedia gehört eine
Diskussionsseite, auf der dieser Eintrag diskutiert wird. Um
Konflikte und Konfrontationen zu vermeiden, empfiehlt es sich, jede
größere Änderung erst auf der Diskussionsseite mit
einigen Tagen Vorlaufzeit anzusprechen. Erst wenn dort kein
Widerspruch, oder gar Zustimmung, gekommen ist, sollte der Artikel
selbst geändert werden. Taucht auf der Diskussionsseite
Widerstand auf, so ist die Diskussionsseite zur Diskussion zu
nutzen.
(4) Belegen
Wikipedia ist eine Enzyklopädie, die verlässlich sein
will, die aber jeder anonym bearbeiten kann. Zum Ausgleich legt die
Community starken Wert darauf, dass jeder inhaltliche Beitrag
belegt wird. Als Belege gelten nur Fakten, die anderswo
veröffentlicht sind. Sei es in Büchern, Zeitschriften
oder Websites. Diese Pflicht geht so weit, dass selbst Aussagen der
Person selbst oder amtliche Dokumente nicht akzeptiert werden
– sofern diese nicht an einer externen Stelle
veröffentlicht wurden.
Belege im
Artikel zur Wikipedia (kleiner Ausschnitt)
Dies klingt auf den ersten Blick aufwendiger als es ist. Zumindest
in heutiger Zeit. So gut wie jede Wikipedia-relevante Person oder
Organisation wird Zugriff auf eine Website haben, auf der sie etwas
veröffentlichen kann. Im Zweifel besitzt zwar eine externe
Veröffentlichung eine höhere Reputation.
Aber gültig sind auch Inhalte auf eigenen Websites. Wenn also
Wikipedia ihren zweiten Vornamen falsch schreibt: beginnen Sie
keine Diskussion mit der Community, sondern schreiben Sie ihn
richtig auf der eigenen Website. Wenn die Community nicht glaubt,
dass die Rolling Stones ihr größter literarischer
Einfluss sind - schreiben Sie es auf der eigenen Website.
(5) Klare, harte Fakten. Keine Adjektive
Artikel über sich selbst zu ändern, ist selbst unter den
besten Umständen ein Drahtseilakt. Die Gefahr besteht, auf
andere Autoren zu treffen, die dies aus Prinzip ablehnen und
versuchen gegen die Edits zu arbeiten. Aber auch diese Autoren sind
an Regeln gebunden. Je besser eine Bearbeitung nachgeprüft
werden kann und je eindeutiger diese ist, desto höher sind die
Chancen, dass sie bestehen bleibt.
Am besten hierfür eigenen sich unstreitige Zahlen und Fakten.
Während Fakten einfach und erwünscht sind, ist dies mit
Interpretationen schwierig. Diese sind generell in der Wikipedia
verpönt. Je niedriger das Vertrauen ist, das ein Autor
genießt, desto schwieriger wird es, Text einzubauen, der auch
nur entfernt nach Interpretation aussieht. Adjektive sehen immer
nach Interpretation und Wertung aus. Sie haben in einem Artikel
über einen selbst nichts verloren.
(6) Verständlich bleiben
Nun gibt es nicht nur die Community, für die ein Text
geschrieben wird, sondern auch die Leser. Leser lieben Wikipedia,
weil er hier klare, verständliche Informationen gibt, die sich
beim ersten Lesen erschließen. Buzzwords,
unverständliches, aber auch Fachsprache und Insiderlingo sind
verpönt. Die Community achtet darauf dies durchzusetzen.
„Geschwurbel“ ist einer der liebsten Begründungen
innerhalb der Community um Text zu streichen.
Gerade professionelle PR-Personen stellt dies oft vor besondere
Herausforderungen. So ist nicht ratsam zu schreiben, dass ein
Unternehmen "Verbindungen herstellt zwischen den Grundbestandteilen
der Industrieproduktion", sondern es stellt Schrauben her. Jemand
"entführt nicht in Welten der zwei Sonnen", sondern schreibt
Fantasy-Romane. Am besten haben Leserin oder Leser bereits beim
ersten Lesen eine klare Vorstellung davon, um was es
geht.
(7) Mit der Community zusammen
Wikipedia ist ein grundsätzlich offenes System, das von
zahlreichen Vandalen, Trollen und Manipulatoren heimgesucht wird.
Dementsprechend ausgebildet und etabliert sind mittlerweile die
Mechanismen, unerwünschte Bearbeitungen fernzuhalten. Die
etablierte Community hat die informellen, formalen und technischen
Mittel Text zu verhindern, kann aber auch unglaublich
Großartiges vollbringen. Jede Mitarbeit in Wikipedia, die von
Erfolg gekrönt sein soll, funktioniert nur im gegenseitigen
Vertrauen mit der Community.
Leider hat die Community die Eigenschaft die unkooperativsten und
unfreundlichsten Mitarbeiter vorzuschicken, wenn es um das Sichten
neuer Artikel geht. Oder anders gesagt: Die unfreundlichsten
Mitarbeiter sind besonders motiviert darin, sich auf Neulinge zu
werfen. Warum das so ist, darüber kann ich spekulieren,
möchte es aber nicht. Aber nicht aufgeben: es gibt nette und
freundliche Wikipedianerinnen und Wikipedianer. Mit etwas Ausdauer
lassen sie sich finden.
(8) Zu vermeiden: Freunde holen
Manche Autoren fühlen sich von der Wikipedia-Community
übermannt oder ungerecht behandelt und versuchen, Freunde zu
motivieren, ihnen beizustehen. Kaum etwas ist schlimmer. Die reine
Anzahl von Teilnehmenden in der Diskussion hat kaum ein Gewicht.
Wesentlich bedeutender ist das Vertrauen, dass den einzelnen
Beteiligten in der Community beigebracht wird.
Die Community hat ein eingebautes internes Vertrauenssystem, das
maßgeblich auf bisherigen Beiträgen beruht. Wenn aus
heiterem Himmel plötzlich eine größere Anzahl neuer
Nutzer bei einem Thema auftaucht, lässt das bei vielen
erfahrenen Wikipedianern Alarmglocken schrillen. Sie reagieren
skeptischer und aggressiver. Dabei gilt: gegen eine skeptisch und
aggressive Community zu agieren, hat nie Erfolg. Der Versuch,
Freunde zu mobilisieren ist bisher immer nach hinten
losgegangen.
(9) Das Sichtungsproblem
Speziell die deutsche Wikipedia hat das Instrument der Sichtungen
eingeführt. Das bedeutet: Änderungen an Artikeln werden
sofort gespeichert. Wenn diese Änderungen von einem neuen
Autor stammen, sind sie aber nicht sofort für die
Öffentlichkeit sichtbar. Dafür muss erst ein erfahrener
Wikipedianer sein OK geben. Je einfacher die Edits sind und je
einfacher sich ihr Inhalt extern überprüfen lässt,
desto schneller wird die Freigabe erfolgen.
Übersicht
über die Seiten, die am längsten nicht gesichtet
wurden.
(10) Fotos unter freier Lizenz
Ein einfacher Weg, das Vertrauen der Community zu gewinnen, Inhalte
beizutragen und es Wikipedia zu ermöglichen eigene Inhalte zu
nutzen, ist das Bereitstellen von Fotos unter freier Lizenz. Das
bedeutet, dass diese Fotos im Nachhinein genutzt, verändert
und eingebaut werden können. Allerdings muss dabei der Autor
genannt werden ebenso wie der Titel des Fotos. So in Wikipedia und
von dort aus dann viral durch das halbe Netz.
Der Wikipedia mangelt es nicht an Seiten mit Regeln, Vorschriften
und Anleitungen. Auch zu diesem Themenkomplex gibt es eher zuviel
als zu wenig zu lesen. Als Einstieg empfiehlt sich: Wikipedia:Interessenkonflikt
und die dortigen Links.
Bei Rückfragen zu bestimmten Einzelfällen, gerne auch
eine Mail an mich, dirkingofranke@gmail.com
Der Tunnel Beyschlagsiedlung auf der Berliner Stadtautobahn
dröhnt. Der Widerhall der Hupe im Tunnel scheucht kleine Tiere
auf. Der Harleyfahrer mit der Kutte „Odins Olle Outlaws
MC“ verreißt fast die Maschine. Sein böses Starren
kann ich durch das verspiegelte Tuning-Visier am Wehrmachtshelm
spüren. Madame schaut überrascht von der Wettervorhersage
am Handy auf. Müsste ich nicht lenken, würde ich
entschuldigend mit den Schultern zucken. Die Begeisterung
übermannte mich, führte meine Hand auf die Hupe.
Der Drosten hat im Radio minutenlang Wahrscheinlichkeiten
über mehrere Generationen durchgerechnet. „Wenn jeweils
einer zehn ansteckt und die anderen neun nur einen und einer von
zehn bleibt die Woche zufälig zu Hause, dann sind wir in der
dritten Generation..“ Überschlagsrechnungen! Mathe! Im
Radio! Glückswolken ziehen auf. Madame freut sich an meiner
Begeisterungsfähigkeit. Sie weist darauf hin: „Im
Podcast“. Drostens praktische Wahrscheinlichkeitsrechnung
läuft nicht im Radio.
Der
Drosten-Podcast fühlt sich an wie frühe Wikipedia.
Geschichten aus dem Leben. Wissenschaft. In der Hoffnung, dass die
Hörer mitdenken. Anschaulich erklärt, unterhaltsam,
relevant. Vielleicht fühle ich mich auch so sehr an die
frühe Wikipedia erinnert, weil Drosten in hoher
Intensität „PCR“ sagt.
PCR, die Polymerase Chain Reaction, deutsche Polymerase
Kettenreaktion, ist ein Verfahren der Biochemie, um bestimmtes
Erbgut (DNA oder indirekt RNA) nachzuweisen. Vor allem ist das
Verfahren derzeit von weltweiter Relevanz, da der Test via PCR der
Goldstandard zum Nachweis des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2
(SARS2) ist.
Jeder frühe Wikipedista kennt das Wort
Polymerase-Kettenreaktion. Denn der
Wikipedia-Artikel zum Thema gilt als erster Wikipedia-Artikel
überhaupt. Wie nerdig Wikipedia war, beweist, dass das Thema
PCR das Thema des ersten deutschen Wikipedia-Artikels aller Zeiten
war. Es beweist, wie Wikipedia damals auf die Zukunft gerichtet
war.
PCR
Allerdings. Nur weil Wikipedistas das Wort kennen, wissen sie
noch lange nicht, was es bedeutet. Es ist „was
biologisches“, wäre meine Auskunft bis vor SARS2
gewesen. Aber ich kann nachschlagen.
CR
Was ist PCR? Der Teil, den ich als Banause zuerst verstehe: die
Kettenreaktion oder Chain reaction. Es geht um einen chemischen
Prozess, bei dem etwas hergestellt wird. Aus den Ausgangsprodukten
wird wieder etwas hergestellt. Aus diesen wird im nächsten
Schritt wieder etwas hergestellt. In jedem Schritt verdoppelt sich
die Zahl. Das Verfahren läuft exponentiell ab. Wie bei jedem
exponentiellen Wachstum können innerhalb kurzer Zeit enorme
Mengen erzeugt werden.
Bei der der PCR wird DNA vervielfältigt. Die DNA wird in
jedem Schritt verdoppelt. Bereits bei Schritt 5 hat man die
32-fache Menge des Ausgangsmaterials bei Schritt 10 de 1024-fache
Menge und bei Schritt 15 entsteht etwa die 32.000-fache Menge des
Ausgangsmaterials. Bei Schritt 16 die 64.000-fache Menge, bei
Schritt 17 die 128.000-fache Menge.
Dies ist nötig bei Viren, die so klein sind, dass sie erst
mit dem Elektronenmikroskop überhaupt gesehen sichtbar gemacht
werden können.
Die Größe von Viren wird in Nanometer angegeben. Das
ist dieselbe Einheit, die zur Messung der Wellenlänge von
Licht benutzt wird. Dabei erreichen nur große Viren das Format
einer kurzen Lichtwelle. SARS2 beispielsweise hat einen Durchmesser
von 60 bis 140 Nanometer. Gerade noch sichtbares kurzwelliges
ultraviolettes Licht hat eine Wellenlänge von etwa 400
Nanometer. Wir begeben uns in Gegenden der Physik in denen
„Sichtbarkeit“ aus physikalischen Grünen schwierig
wird.
Um die Existenz eines Virus nachzuweisen braucht es erhebliche
Mengen des Virus. Er muss vielfach repliziert werden. Auf der Suche
nach dem Coronavirus durchläuft der Virus etwa 35
Durchgänge der PCR-Verdoppelung. Was bedeutet: Aus einer
Virus-RNA werden 35 Milliarden Kopien. Diese lassen sich mit
diagnostischen Verfahren nachweisen. Ergänzend lässt sich
Zählen wie viele Zyklen es bis zum Nachweis des Virus
benötigt. Und daraus läßt sich
rückschließen, wie viele Viren anfangs in der Probe
waren.
P
Wie kommt die Polymerase zur Kettenreaktion?
DNA kommt in Doppelhelixstrukturen vor. Zwei identische
DNA-Bänder kleben aneinander. Vor einer Zellteilung teilt sich
dieses DNA, um jeder neuen Zelle einen identischen Satz DNA
mitzugeben. Das zweite DNA-wird mit Hilfe der DNA-Polymerase aus
den Informationen der ersten hergestellt, um wieder die
Doppelstruktur zu haben.
Bei der PCR wird die im Original doppelsträngige DNA durch
Erhitzen in zwei einzelne Stränge geteilt. Die künstliche
hinzugefügte DNA-Polymerase erzeugt aus dem ersten DNA-Strang
einen zweiten identischen Strang. Der neue Doppelstrang wird wieder
durch Hitze geteilt. Und so weiter. Bis ausreichende Mengen an DNA
zur Verfügung stehen.
In der Realität ist der Prozess komplizierter. Was bereits
damit beginnt, dass SARS2-Viren aus RNA bestehen, die PCR aber nur
DNA kann. Die Viren müssen vor der PCR erst in Pseudo-DNA
verwandelt werden. Aber das führt zu weit. Ehrlich gesagt
verstehe ich es auch nicht mehr ansatzweise.
Der erste Artikel
Der Legende nach, die überall nachzulesen ist, war der
Artikel zur PCR der allererste Artikel der deutschsprachigen
Wikipedia. Wie immer, wenn es um etwas „erstes“ geht,
wird der Anspruch bei genauerer Betrachtung schwierig.
Die Wikipedia stieg nicht wie Venus aus dem Wasser, sondern sie
hatte Vorläufer. Die deutsche Wikipedia entstand aus der
englischen Wikipedia. Die englische Wikipedia war als Skizzen- und
Notizbuch für ein anderes Enzyklopädieprojekt, die
Nupedia gedacht. Gerade in der Anfangszeit wechselten die Medien
und die Software. Es begann mehrfach.
Die älteste Version
Wikipedia speichert alle Versionen aller Artikel. Der Kundige
kann nachvollziehen, was im Jahr 2001 im Artikel zur PCR stand, was
im Jahr 2010 und was im Jahr 2020. Alle diese Versionen sind
datiert.
Einige Jahre nach ihrer Gründung fragten sich die
Wikipedianer: Was war der allererste Artikel? Die Antwort schien
einfach: der Artikel mit der ältesten auffindbaren Version. Es
war der Artikel zur Polymerasekettenreaktion, geschrieben von
Magnus Manske.
Anzeige der ersten auffindbaren Versionen des
Wikipedia-PCR-Artikels. Man beachte, dass die ersten
„Autoren“ (Angabe in der Spalte rechts vom Datum) alles
technische Benutzer waren. Diese bearbeiteten offensichtlich einen
bereits vorhandenen von einem Mensch geschriebenen
Text.
Nun allerdings gab es ein Problem. Am Anfang war die Welt Chaos
und so auch die Wikipedia. Aufgrund verschiedener Gründe waren
die allerallerersten Versionen gelöscht worden. Die erste
auffindbare Version in der Wikipedia 2010 – die erste Version
zur Polymerase-Kettenreaktion – war nicht die erste
geschriebene Version der Wikipedia 2001.
Die deutsche Wikipedia kam nicht aus dem Nichts. Ihre ersten
Artikel waren Übersetzungen englischer Wikipedia-Artikel, die
als Entwürfe für englische Nupedia-Artikel entstanden
waren. Wie Vergil so die PCR. Ist die Übersetzung eines
Entwurfs für ein anderes Projekt ein „erster“
Artikel.
Sollte dieser Ruhm nicht dem Artikel zukommen, der auf Deutsch
exklusiv für die deutsche Wikipedia entstand? Dann wäre
es Dänemark, gefolgt von Kattegat und Nordsee – alle in
kurzer Abfolge geschrieben vom Dänen Schweden Lars
Aronsson.
Manske ist derjenige, ohne den es Wikipedia in der heutigen Form
nicht gäbe. Auch wenn seine Autorschaft des „ersten
Artikels“ Zufall ist – der Zufall hat gut
gewürfelt. Neben PCR stammten die ersten Artikel zu Charles
Darwin von Manske oder zum Plasmid – ein Teil der
Bakterien-DNA, der im Labor genutzt wird, um Gene zu
vervielfältigen. 2008 meinte Manske im Interview, dass PCR
vielleicht nicht einmal sein eigener erster Artikel in der
Wikipedia war, sondern der Artikel „Zelle.“ Vielleicht
aber auch die Mitochondrien.
Den Magnus-Manske-Day verdankt die Welt nicht dem Biochemiker
Magnus Manske, sondern dem Programmierer Magnus Manske. Manske
schrieb die erste Version der MediaWiki-Software, diejenige
Software auf der Wikipedia bis heute läuft.
Manske führte neue Funktionen ein, die bis heute Standard
der MediaWiki-Software sind. Manske führte Beobachtungslisten,
Beitragslisten und die Existenz verschiedene Namensräume ein.
Seine kontroverseste Erfindung war vielleicht die Erfindung der
„Administratoren“ als Gruppe mit besonderen
Rechten.
In den folgenden Jahrzehnten stammten aus Manskes Händen
weitere Tools um Wikipedia, die Wikipedia-Galerie und die
Wikipedia-Datenbank zu bearbeiten. Manskes Motivation, Mediawiki zu
programmieren, wird vielen Wikipedistas bekannt vorkommen: Er
wollte etwas lernen. In diesem Fall die Programmiersprache PHP, die
er vorher noch nie genutzt hatte, und in der Mediawiki programmiert
ist.
Manske stammt aus Köln, ist 45 Jahre alt und arbeitet seit
13 Jahren am Wellcome-Trust-Sanger-Institut in Cambridge. 2012 war
ein Co-Autor eines Nature-Aufsatzes zur Sequenzierung der DNA von
Malaria-Parasiten. 2013 war er „Head of Informatics in the
Malaria Programme at the Sanger Institute“ Unter anderem war
er beteiligt, die Lookseq-Software zu Programmieren, die es
Forschern erlaubt DNA-Sequenzen zu visualisieren. Was inhaltlich
meinem bescheidenen Verständnis nach nahe an der PCR ist.
Pantha rhei
Dieses Unfertige. Diese Mischung aus großen, komplexen
Gedanken wie dem zur PCR und dem Unordentlichen des Neuanfangs wie
die Löschung der Versionen, diese reizte mich und viele andere
an der Wikipedia. Es begeisterte und begeistert mich. Und auch wenn
Christian Drosten kein Student ist, diese Lernbegeisterung
verströmt er mit jedem Satz. Diese Begeisterung, wie er kurz
Wahrscheinlichkeiten durchrechnet – und in seinem Inneren
davon auszugehen scheint, dass ihm alle begeistert Folgen
können. Das ist der Geist der Wikipedia in ihren besten
Momenten.
Auch aus dem Jahr 2011 Kurt Jansson „Der
kurze Sommer der Anarchie“ – ein Rückblick,
der aus heutiger Perspektive selber schon sehr historisch und
nostalgisch wirkt.
Auch bei der Recherche gefunden. Ein
300-Seiten-Epos in Form einer linguistischen Doktorarbeit zum
Schreiben in der Wikipedia. Beim ersten Überfliegen aus
Sicht eines Wikipedianers: Die Autorin hat Ahnung. Und niemand las
ich bisher, der so toll und anspruchsvoll ausformulieren
könnte, wie wir in der Wikipedia so herumlavieren. Nach der
Lektüre des Textes hat man beim piefigsten Editwar die
Überzeugung an bedeutsamen Prozessen teilzunehmen.
Wikimania! The world Wikipedia conference. Every year in a
different place on changing continents. Organised by locals but
with basically a lot of the same people always attending. A
highlight in the Wikipedia year. So much to see and to comprehend.
In case you missed it, here
is my live twitter feed (and thanks to Sucomo for the support).
But what happened there of course lasts longer than just for the
moment,
Just to get some thinking going and pin down some notes from
Wikimania as long as I still remember. Some random thoughts about
Wikimania 2016 in Esino Lario, close to Lake Como, Lomardy,
Italy.
1200 Wikipedians in a small village with about 800 inhabitants.
Sleeping in every free bed the village had to offer, attending
workshops in discussions in a school, the local museum, the local
gym and the theater. The Wikimania was down to earth. Literally, as
this was outdoors and the environment played a big part in
Wikipedia, but also metaphorically. Much less about "we save the
world" and "why we are important" and a lot more about "The How".
Stuff for daily activities one can work with.
So just for some random thought before I did more thorough thinking
and analysis:
Stunning scenery. We were allowed to drive every day the way from
Lake Como to Esino Lario and it qualifies as most scenic commute I
have ever undertaken.
View on my daily
commute.
Great venue. The most wiki-style conference. It looked like the
whole village was involved andcontributing to the event. As fas as
I could see, the village got something infrastructure, events aimed
at the locals and events aimed at Wikimedians and locals alike.
Stones, mountains, the nearby lake, more stones. This Wikimania was
down to earth, even literally.
Talks: same procedure as last year and the years before. Basically
the same people talking about the same topics as always..
Discussions rounds were a great idea but always a bit bogged down
because there were too many people in the room to really discuss.
Training sessions were a good diea and the one i attended did make
sense.
Can we maybe just skip the presentations next time altogether (or
put them in some place "for press and others who don't know
anything) and just design the real program out of training sessions
and discussions?
Walkimania. Up and down and up again. Following the mule path.
Great. Got some movement in between sessions and one was not
confined to a hotel/campus setting but walked (and climbed) around
the real world. Big, big, plus.
THE RAIN
THE HAILSTORM
Best conference catering ever. Salad. Vegetables. Good quality
meat. Vino rosso. Also really liked that a lot of the catering
happened at a restaurant/bar setting, but even the tent-catering
was way better than these kunds of catering are in other
places.
Texas line dancing on an Italian village square.
My thoughs on Mapping Wikipedia made some progress.
Never seen so few talks by the Wikimedia Foundation or other
Wiki-professionals. Did not miss them.
Whoever designed the Wikimania-Shirts and their colour must have
spent a lot of time at Pizzeria Oasi looking at their tables and
chairs.
Not much about Foundation politics. I am sure all politics
happening at the Foundation and the chapters were of really big
interest to some people. But people who don't really care about
this inside baseball did not have to listen to all the people
involved for days and hours.
Even the two surprise moments (Christophe Henner as new chairman of
the board and Katherine Maher as now-non-temporary CEO -
congratulations to both!) were delived elegantly, swiftly and just
fitting into ethe occasion and the moment.
Paid editing really differs throughout the different language
versions. Though the talk was more about the rules than about
actual editing happening or not happening.
Jimmy seemed to be way more enthuastic and engaged at a Wikimania
than I have seen him for a long time. Cool. My most touching
moment: Jimmy offering his personal help to the blocked Uzbek
Wikipedia.
Heard about some cool projects done throughout the Wiki world.
Italy has a lot of different police troups and all of them were at
the Wikimania. At least they all were friendly and mingled and
such. Still a bit strange: Wikimania in the most peaceful place one
could imagine and at the same time the Wikimania with the most
police ever.
I have seen a 6-meter theremin played by a falcon.