Raimond Spekking verstärkt das Präsidium

Thursday, 25 July 2024 09:27 UTC

Schon bald nach unserer Wahl am 22. Juni haben wir im Präsidium von Wikimedia Deutschland festgestellt: In seiner aktuellen Zusammensetzung fehlt dem Präsidium eine starke Stimme aus der ehrenamtlichen Wikipedia-Community. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, von der Möglichkeit der Kooptation Gebrauch zu machen. Unter der Kooptation versteht man die Ernennung von bis zu zwei weiteren Präsidiumsmitgliedern, um benötigte Kompetenzen und Erfahrungen zu verstärken und die Diversität des Gremiums zu fördern.

Eine der wesentlichen Aufgaben unseres Vereins ist die Förderung der vielen Ehrenamtlichen, die jeden Tag aufs Neue Inhalte in den verschiedenen Wikimedia-Projekten überarbeiten oder neu erstellen. Dass ihre Perspektive auch im Präsidium von Wikimedia Deutschland vertreten ist, finden wir deshalb besonders wichtig. Natürlich bringen die gewählten Präsidiumsmitglieder bereits großartige Expertise mit, etwa durch langjährige Mitarbeit in Wikipedia, Wikimedia Commons und Wikidata. Eine Person, die selbst bestens in der deutschsprachigen Community vernetzt ist, Rollen und Funktionen übernimmt – das fehlt uns bislang jedoch.

Bestens vernetzt in der ehrenamtlichen Community

Die Wahl einer geeigneten Person, die dieses Anforderungsprofil erfüllt, ist uns nicht schwer gefallen: Raimond Spekking ist seit über 20 Jahren ein aktives und sehr geschätztes Mitglied der Community. Neben seiner inhaltlichen Mitarbeit in der Wikipedia ist er unter anderem auch im ehrenamtlichen Support-Team der Wikipedia tätig und entwickelt die MediaWiki-Software als Developer weiter.

Sein Interesse für Fotografie schlägt sich in den unzähligen Bildern nieder, die er in der Wikipedia und bei Wikimedia Commons beigesteuert hat, zuletzt etwa im Zuge einer Kooperation mit dem Deutschen Technikmuseum. Bei Wikimedia Commons engagiert sich Raimond auch als Administrator. Darüber hinaus trägt Raimond ehrenamtlich zu Wikidata bei und unterstützt u. a. Kulturinstitutionen dabei, Bestände zu digitalisieren und unter freie Lizenzen zu stellen.

Erfahrung in der Präsidiumsarbeit

Raimond war bereits im letzten Präsidium tätig und hat in dieser Rolle immer wieder die so wichtige Perspektive aktiver Beitragender eingebracht. Bei der Mitgliederversammlung am 22. Juni kandidierte er als Beisitzer und erhielt 310 Stimmen von den Mitgliedern, nur vier weniger als der fünfte gewählte Beisitzer. 73 Prozent der Wählenden stimmten für ihn – für uns ein starkes Signal, dass er den Rückhalt aus der Mitgliedschaft hat.

Lieber Raimond, im Namen des ganzen Präsidiums heiße ich dich herzlich willkommen im 9. Präsidium und freue mich sehr auf die erneute Zusammenarbeit mit dir!

Alice Wiegand
Vorsitzende des Präsidiums
Wikimedia Deutschland e. V.

Aktuell hat ein Fotograf den gemeinnützigen Softwareentwickler LAION e. V. verklagt. Er wirft dem Verein die unrechtmäßige Nutzung eines seiner Bilder für KI-Training vor. Wikimedia Deutschland verfolgt den Fall mit großem Interesse, weil damit erstmals eine gerichtliche Einschätzung zur Rechtslage der Datennutzung für KI-Training erfolgt und das Urteil wegweisend für die Arbeit der Open-Source-Communitys im KI-Bereich sein wird.

Für Wikimedia Deutschland verfolgt unsere Justiziarin und Rechtsanwältin Dr. Saskia Ostendorff den Rechtsstreit am Landgericht Hamburg.

“Was hier am Ende des Rechtsstreits entschieden wird, wird auch Auswirkungen auf die Arbeit von Wikimedia haben, gerade was unsere Arbeit in der Softwareabteilung mit Open-Source-Communitys betrifft.”

Das ist die Ausgangssituation

Der verklagte Verein LAION ist eine gemeinnützige Organisation, die Datensätze, Werkzeuge und Modelle zur Verfügung stellt, um die Forschung im Bereich des maschinellen Lernens zu fördern. Der Verein hat den frei verfügbaren Datensatz LAION 5B erstellt, in welchem auch das Bild des klagenden Fotografen enthalten war. Das Bild stammt ursprünglich von der Website Bigstock.com, wo ein Nutzungsvorbehalt aufgeführt wurde. Mit dieser Klausel sollte ausgeschlossen werden, dass Bilder der Plattform u. a. für KI-Trainings verwendet werden. Jedoch steht jetzt vor Gericht zur Debatte, ob die Form des Nutzungsvorbehalts den aktuellen Anforderungen genügt.
Im Kern dreht sich der Rechtsstreit nun also darum, ob LAION eine Urheberrechtsverletzung begangen hat und ob der Nutzungsvorbehalt von Bigstock in seiner Form gültig war.
Der klagende Fotograf argumentiert, dass seine Verwertungsrechte verletzt wurden, da LAION das Bild für den Trainingsdatensatz trotz des Nutzungsvorbehalts von Bigstock verwendet hat.
LAION beruft sich hingegen auf die Text- und Data-Mining-Schranke des § 44b UrhG. Danach sind Vervielfältigungen von rechtmäßig zugänglichen Werken, wie das Bild des Fotografen, für Text und Data-Mining zulässig. Das ist nur dann nicht der Fall, wenn der Fotograf sich die Nutzung zum Text- und Data-Mining in maschinenlesbarer gültiger Form vorbehalten hat.

Das ist Text oder Data Mining

Text- und Data-Mining (TDM) sind Forschungsmethoden, mit denen große Mengen Daten oder Text zusammengefasst und analysiert werden können. Beim Data-Mining liegt der Fokus auf Daten, beim Text-Mining auf Volltexten aus wissenschaftlichen Zeitschriften, Romanen oder ähnlichem. Bevor die Datenmenge oder Texte analysiert werden können, werden sie systematisch und maschinenlesbar aufbereitet. Anschließend können sie mit computergestützten Analysen automatisiert auf Muster oder Zusammenhänge hin untersucht werden. Ein bekanntes Beispiel für Text-Mining ist das Project Robots Reading Vogue der Yale University, bei dem der Korpus der Vogue Ausgaben nach verschiedenen Fragen auf Muster hin analysiert wird.

Rechtliche Auseinandersetzung zum Text- und Data-Mining

Das Gericht fokussierte sich auf die Anwendung des § 44b UrhG, den es grundsätzlich für das Auslesen und Überprüfen der Daten als anwendbar ansieht. Die Frage, ob § 44b UrhG auch für das Training von KI-Modellen gilt, ließ das Gericht offen und verwies darauf, dass dies möglicherweise eine Vorlagefrage für den Europäischen Gerichtshof sei.

Das Gericht betonte, dass die gesamte Kreativbranche vor der Herausforderung steht, dass KI die Erstellung von Werken übernehmen könne und der Fall auch vor diesem Hintergrund bewertet werden müsse.

Weiterhin ging es vor allem darum, wie ein Nutzungsvorbehalt aussehen und in welcher Form er maschinenlesbar sein muss. Der Nutzungsvorbehalt wurde von der Plattform Bigstock vorgebracht, nicht vom Fotografen, der geklagt hatte. Das Gericht stellte klar, dass es nicht entscheidend ist, von wem der Nutzungsvorbehalt kommt – die Erklärung der Plattform macht sie auch für den Fotografen wirksam. Diese Einschätzung wurde zunächst nicht weiter begründet.

Es wurde lange diskutiert, wie ein maschinenlesbarer Nutzungsvorbehalt gestaltet sein sollte. Reicht schon ein schriftlicher, für Menschen lesbarer Nutzungsvorbehalt oder ist ein spezielles technisches Format nötig, das von Maschinen gelesen werden kann?

Entscheidung Ende September erwartet

Die Entscheidung des Falls, ob LAION das Bild des Fotografen für den Trainingsdatensatz nutzen durfte, trifft sich nun also an dem Merkmal der Maschinenlesbarkeit des Nutzungsvorbehalts zum Ausschluss des Text- und Data-Mining.

Beim Begriff “Maschinenlesbarkeit” in § 44b UrhG erklärte das Gericht, dass es zwei Auffassungen des Begriffs gibt: eine weite und eine enge. Nach der weiten Auffassung, ist ein Nutzungsvorbehalt maschinenlesbar, wenn er irgendwie digital erfassbar ist, während die enge Auffassung ein strukturiertes Dateiformat fordert, das maschinell auslesbar ist. Die KI-Verordnung erfordert einen modernen Standard, ohne diesen näher zu konkretisieren. LAION argumentiert, dass z. B. das Dateiformat robot.txt ein solcher Standard sei, während der Kläger dies als wenig praktikabel für Rechteinhaber kritisierte.

Das Gericht hat am Ende der Verhandlung noch keine endgültige Entscheidung getroffen, diese wird für den 27. September 2024 erwartet.

Die Bedeutung des Falls für die Open-Source-Community und für freies Wissen

Der erste Rechtsstreit zur Nutzung von KI-Modellen in Hamburg könnte bedeutende Auswirkungen auf die Open-Source-Community haben. Dieser Fall könnte nicht nur rechtliche Klarheit im Hinblick auf die Anwendung der Text- und Data-Mining-Schranke in § 44b UrhG bringen. Er könnte auch die Art und Weise beeinflussen, wie frei zugängliche Werke in Open-Source-Datasets genutzt werden dürfen. Eine Entscheidung zugunsten des Klägers könnte die Nutzung solcher Werke einschränken. Andererseits wird der Fall die gegenwärtig unklaren Rahmenbedingungen für einen maschinenlesbaren Nutzungsvorbehalt klarstellen.

Es wurde ebenfalls bereits deutlich, dass es nicht bei der Entscheidung des Landgerichts bleiben wird. Das Gericht signalisierte, dass es die Auslegung des Gesetzes als eine Vorlagefrage für den Europäischen Gerichtshof sieht. Demnach ist damit zu rechnen, dass sich der Rechtsstreit über mehrere Jahre ziehen wird und die rechtlichen Unklarheiten bis zum Abschluss des Verfahrens bestehen bleiben.
Dennoch wird die Entscheidung im September erste offene Fragen in Bezug auf die rechtliche Bewertung für die Trainingsdatensätze von KI-Modellen klären.

Wiki Loves Folklore: Das sind die Gewinnerbilder

Wednesday, 17 July 2024 10:48 UTC

International gibt es den Fotowettbewerb Wiki Loves Folklore (WLF) bereits seit fünf Jahren. Er hat sich neben Wiki Loves Monuments (WLM) und Wiki Loves Earth (WLE) als weiterer Wettbewerb für Fotos unter freier Lizenz etabliert, zu dem die Freiwilligen der Wikimedia-Projekte weltweit beitragen. Knapp 80.000 Mediendateien aus 168 Ländern sind im Zuge von WLF schon zusammengekommen. Sie stehen auf Wikimedia Commons unter freier Lizenz zur Verfügung und werden vor allem in der Wikipedia genutzt.

In diesem Jahr hat sich erstmals auch die deutsche Wiki-Community an WLF beteiligt. Über 2600 Bilder und Videos wurden zwischen Anfang Februar und Ende März eingereicht. Jetzt hat eine Jury aus der Community in Magdeburg ihre Auswahl getroffen und die 50 besten Fotos prämiert.

Geistervertreibung und Kirmesvergnügen

Den 1. Platz hat Wikipedianer Mölchlein mit seinem Foto Erstellung einer Maske für den Kirchseeoner Perchtenlauf in Kirchseeon, Bayern belegt. Die Deutsche UNESCO-Kommission hat mittlerweile beschlossen, den Kirchseeoner Perchtenlauf in das deutsche Register des Immateriellen Kulturerbes aufzunehmen. Die Jury war besonders beeindruckt, „wie detailliert die traditionelle Handwerkstechnik und die Leidenschaft des Handwerkers im Bild eingefangen wurden.“

1. Platz: Der Schnitzer Herbert Schafbauer erstellt eine Maske mit Leitidee vom Nonnenfalter, der im Wappen Kirchseeon geführt wird. Ein Befall des Schmetterlings in den angrenzenden Wäldern hatte im 19. Jahrhundert einen bedeutenden Einfluss auf die Geschichte der Gemeinde Kirchseeon. Der Kirchseeoner Perchtenlauf ist ein winterlicher Umzugsbrauch, bei dem eine Gruppe aus unterschiedlich maskierten Gestalten durch die Gemeinde Kirchseeon zieht und Tänze, Gesänge und Sprüche aufführt. Die Kirchseeoner Perchten stellen Glücksbringer dar, die das neue Jahr und die neue Vegetationsperiode einläuten.

Der 2. Platz geht an Superbass für das Bild Winteraustreibung „Schewe Sunnesch“ in Gees (Gerolstein), Rheinland-Pfalz. Bei diesem Brauch in der Eifel wird ein mit Stroh gefülltes Rad brennend den Berg hinab gerollt. Der Glaube besagt: Je ruhiger das Rad läuft, desto besser wird das Jahr.

2. Platz: Winteraustreibung "Schewe Sunnesch" in Gees (Gerolstein). Ein mit Stroh gefülltes Rad wird brennend den Berg hinabgerollt. Vor dem brennenden Rad wird eine Bahn aus Stroh ebenfalls in Brand gesetzt.

Platz 3 belegt Würmchen mit Klaubauf Nasenzuzler mit Fackel beim Kirchseeoner Perchtenlauf in Moos im Landkreis Ebersberg, Bayern. Das Foto zeigt den winterlichen Umzugsbrauch, für den die Maske auf dem Bild von Mölchlein gefertigt wurde. Die Kirchseeoner Perchten wollen mit ihren Tänzen und Sprüchen, die sie vor den Häusern aufführen, die guten Erdgeister erwecken und die bösen abschrecken.

3. Platz: Der Kirchseeoner Perchtenlauf ist ein winterlicher Umzugsbrauch. Zwischen Anfang Dezember und dem 6. Januar, also rund um den kürzesten Tag und die längste Nacht, rund um die Rauhnächte, veranstalten sie ihre Läufe. Dabei erinnern die Kirchseeoner Perchten, dass die Menschen von den Launen der Natur schon immer abhängig waren und sind. Mit ihren Tänzen und Sprüchen, die sie vor den Häusern aufführen, möchten sie vor allem die guten Erdgeister erwecken und die bösen abschrecken und dadurch die Zuversicht der Menschen stärken. In Bezug auf die ehemals landwirtschaftlich geprägte Gegend, sind ihre Auftritte ein Teil des Jahreskreislauf, verbunden mit der Bitte um eine gute Ernte.

Über den 4. Platz darf sich Rainer Halama mit Send in Münster, Nordrhein-Westfalen, 2019 freuen. Aus der Bewertung der Jury: „Durch den lebendigen Bildaufbau mit den umgebenden glitzernden Buden der Schausteller und der Geisterbahn fühlt man sich wie ein Kind, das zum ersten Mal auf einer Kirmes ist und ständig etwas neues entdeckt.” Rainer Halama wurde außerdem mit einem Sonderpreis für sein Video Narrentag 2024 des Viererbund in Oberndorf am Neckar im Landkreis Rottweil, Baden-Württemberg ausgezeichnet.

4. Platz: Der Send ist das dreimal jährlich im westfälischen Münster stattfindende Volksfest, das pro Jahr mehr als eine Million Besucher zählt.

Auf Platz 5 hat die Jury Blende-sd mit Brucker Perchte in Fürstenfeldbruck, Bayern, 2021 gewählt. „Wie frisch vom Plattencover einer Metalband” komme die Perchte daher, besonders gefiel den Juror*innen „die geheimnisvolle, mystische Stimmung seines Bildes.”

5. Platz: Das alljährlich in den Voralpen stattfindende Brauchtum, das die bösen Geister vertreiben und Glück für das neue Jahr bringen soll.

Lust, bei den Fotowettbewerben mitzumachen?

Wer nun Lust bekommen hat, selbst die Kamera in die Hand zu nehmen, kann sich schon mal in Vorfreude üben: Im September rufen die Ehrenamtlichen der Wikipedia und des freien Medienarchivs Wikimedia Commons zur neuen Runde von Wiki Loves Monuments auf. Alle Details dazu werden wir auch wir hier im Blog und auf unseren Social Media-Kanälen veröffentlichen.

Was sich im Gemeinnützigkeitsrecht ändern muss

Monday, 15 July 2024 12:55 UTC

In Deutschland engagieren sich tausende Menschen ehrenamtlich für Demokratie und politische Bildung, betreiben gemeinnützigen Journalismus oder entwickeln und pflegen Freie bzw. Open Source Software. Und doch sind diese Zwecke bislang nicht oder nicht explizit Teil des Katalogs gemeinnütziger und damit steuerbegünstigter Zwecke. Oder die Organisationen müssen, wie im Fall des Engagements für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus, darauf hoffen, dass Finanzämter unklare Formulierungen in der Abgabenordnung zu ihren Gunsten auslegen. Das schafft keine Rechtssicherheit.

Die Abgabenordnung, oder genauer gesagt der Paragraph 52, regelt, welche Tätigkeiten von den Finanzämtern als gemeinnützig eingestuft werden und damit steuerbegünstigt sind. Dazu gehören etwa die Förderung des Tierschutzes, des Sports, der Kunst und Kultur oder Wissenschaft und Forschung. Auch die Förderung des demokratischen Staatswesens ist unter bestimmten Bedingungen gemeinnützig. Insgesamt 26 Zwecke sind gelistet. Aber die Abgabenordnung ist lückenhaft und veraltet. Das zeigen immer wieder Fälle, in denen Vereinen, die dem Gemeinwohl dienen, die Gemeinnützigkeit entzogen wird.

In einem eigenen Positionspapier und in einem offenen Brief mit der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung  machen wir konkrete Vorschläge für notwendige Ergänzungen und Änderungen in der Abgabenordnung.

Wer fällt durch die Lücken in der Abgabenordnung und was muss sich ändern?

Engagement für ein besseres Internet unterstützen

Mastodon ist ein dezentrales, nicht-kommerzielles und von Communitys selbst verwaltetes Kommunikationsnetzwerk. Darüber, welche Inhalte Nutzende sehen entscheidet kein Algorithmus. Besonders polarisierende oder schockierende Inhalte werden nicht bevorzugt, um Nutzende im Netzwerk zu halten. Mastodon ist einer der wenigen Gegenspieler zu den toxischen Social Media Plattformen der Tech-Giganten. Mastodon wurde als Freie Software entwickelt und die Pflege sowie der Betrieb der Server werden fast ausschließlich spendenfinanziert. Das Mastodon auf Freier Software basiert, bedeutet zudem: Sie kann nicht von Unternehmen privatisiert werden. Jede und jeder kann Freie Software für eine eigene Anwendung nutzt und diese auch weiterentwickelt – muss die Resultate oder Verbesserungen dann auch frei zur Verfügung stellen. Daher sollten Freie Software-Projekte in der Abgabenordnung explizit als gemeinnützig gelistet werden. Die Bundesregierung behauptet, die Anerkennung als gemeinnützig werde durch die Zwecke der Förderung der Wissenschaft oder der Bildung bereits abgedeckt. Eine explizite Aufnahme in die Abgabenordnung sei daher nicht notwendig. Dass das nicht stimmt, zeigt die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Mastodon 2024.

Wir fordern daher in unserem Positionspapier, dass auch die Entwicklung gemeinwohlorientierter und freier Software, Plattformen oder Apps als gemeinnützig gilt. Ergänzend könnte auch der Unterhalt und Betrieb dieser Netzwerke in die Auflistung der Zweckbetriebe in § 68 AO aufgenommen werden. Der Begriff Zweckbetrieb meint die wirtschaftlichen Unternehmungen eines gemeinnützigen Vereins, mit denen er seinen nicht-wirtschaftlichen Vereinszwecke fördert. Dazu gehören beispielsweise Altenpflege, Kinder- und Jugendarbeit oder Inklusionsarbeit.

Erst eine explizite Aufnahme von Open Source Entwicklung und Pflege als gemeinnütziger Zweck in die Abgabenordnung schafft die notwendige Rechtssicherheit. Politikschaffende können nicht einerseits – und völlig zurecht – die Tech-Giganten kritisieren und dann keine Anstrengungen unternehmen, um die Menschen zu fördern, die sich für ein besseres Internet engagieren.

Wer sich auf der ursprünglichen, Mastodon-eigenen Instanz ein Profil zulegt, wird ersteinmal freundlich begrüßt. Auch auf Mastodon herrscht nicht immer eitel Sonenschein, aber der Tonfall und Umgang sind nicht zu vergleichen mit dem oft hasserfüllten und diskriminierenden Verhalten von Nutzenden auf Plattformen wie X/Twitter. Grafik: Mastodon gGmbH, Mastodon Welcome, CC BY-SA 4.0

Journalismus geht auch gemeinnützig – wenn er denn anerkannt wird

2014 als Blog gegründet, betreibt Volksverpetzer seit nunmehr zehn Jahren spendenfinanzierten Journalismus. Das Portal hat sich darauf spezialisiert, Desinformation und Falschmeldungen aufzudecken. Es ist einer der Vorreiter der mittlerweile zahlreichen journalistischen Faktencheck-Angebote im Netz. Die Inhalte des Blogs sind kostenfrei verfügbar, zahlreiche „Mitarbeitende“ recherchieren, schreiben und redigieren ehrenamtlich für den Blog. 2019 hatte das Finanzamt anerkannt, dass der Blog sich mit seinem Engagement gegen Desinformationen und allerlei Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit für die „internationale Gesinnung“ einsetzt. Unter Nummer 13 ist dies als gemeinnütziger Zweck in der Abgabenordnung gelistet. 2021 wurde die Gemeinnützigkeit bestätigt. In diesem Jahr wurde dem Volksverpetzer dann die Gemeinnützigkeit entzogen. An den Inhalten des Blogs hatte sich nichts geändert. Auch die Finanzierung über Spenden sowie der kostenfreie Zugang zu den Inhalten sind weiterhin gegeben.

Die Ampel-Koalition hat die Aufnahme gemeinwohlorientierten Journalismus in die Liste der steuerbegünstigten Zwecke im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir halten es für relevant, dieses Ziel gesetzlich zu regeln und schlagen den freien und nicht mit Bezahlhürden verbundenen Zugang zu den Inhalten als ein Kriterium vor.

Politische Bildung muss rechtssicher möglich sein

Das Demokratische Zentrum Ludwigsburg veranstaltet seit 1980 Lesungen, Kabarettabende und Konzerte, bietet Workshops zur politischen Bildung an und engagiert sich gegen Rassismus, Homophobie und andere menschenfeindliche Einstellungen. Es fördert also gleichzeitig die Kultur und das demokratische Staatswesen – zwei Zwecke aus der Abgabenordnung. 2019 wurde dem Zentrum die Gemeinnützigkeit entzogen. Es hatte sich geweigert, Rechtsextreme zu seinen politischen Bildungsveranstaltungen zuzulassen. Das Finanzamt sah darin eine Verletzung des Prinzips der „geistigen Offenheit“. Mehr über den dreijährigen Rechtsstreit, an dessen Ende das Zentrum die Gemeinnützigkeit zurück erhielt, erfahren Sie hier. Das Problem: Eine restriktive Auslegung des Prinzips der „geistigen Offenheit“ führt dazu, dass in der Erinnerungsarbeit und der politischen Bildung die Aufklärung über und Positionierung gegen rassistische, antisemitische oder anderweitig demokratiefeindliche Einstellungen zu einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen kann.

In einem offenen Brief der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung, den Wikimedia Deutschland unterstützt, haben wir Vorschläge gemacht, wie die Abgabenordnung zu verändern ist, damit gemeinnützige Vereine, die:

  • sich für ihre Vereinszwecke auch durch Äußerungen zu tagespolitischen Themen einsetzen,
  • an der politischen Willensbildung mitwirken oder
  • politische Bildung betreiben

dies auch tun können, ohne um den Status der Gemeinnützigkeit fürchten zu müssen.

In Paragraph 52 Absatz 2 Satz 2 unter Nummer 24 sollte der Zweck künftig lauten:

24. die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens einschließlich der demokratischen Teilhabe, insbesondere der politischen Bildung (im Geltungsbereich dieses Gesetzes;) hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder (die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind) die umfassende Unterstützung von einzelnen Parteien oder Wählergemeinschaften verfolgen; — Anmerkung: Gefettete Passagen sind neu in dem Satz, Passagen in Klammern sind alt und sollten gestrichen werden.

Zudem sollte der § 58 der Abgabenordnung um den Passus ergänzt werden: „Gemeinnützige Zwecke werden auch dann nach Absatz 1 Satz 1 verfolgt, wenn eine Körperschaft sie durch die Mitwirkung an der politischen Willensbildung und der Bildung der öffentlichen Meinung fördert.“

Was sagt der aktuelle Entwurf?

Im Referentenentwurf zum Jahressteuergesetz II wird lediglich § 58 der Abgabenordnung erweitert. Wenn der Entwurf Gesetz würde, hieße das, dass gelegentliche Stellungnahmen eines gemeinnützigen Vereines zu tagespolitischen Themen diesen Verein nicht mehr von der Gemeinnützigkeit ausschließen. Diese Ergänzung begrüßen wir, weil sie Rechtssicherheit schafft.  Sie fällt jedoch hinter die genannten Lösungsvorschläge und Forderungen aus der Zivilgesellschaft weit zurück. Finanzämter erhalten damit weiterhin keine ausreichend deutlichen Definitionsrahmen für gemeinnützige Zwecke. Auch weitere Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, wie die Anerkennung von gemeinnützigem Journalismus, sind im derzeitigen Referentenentwurf nicht realisiert worden.

Noch handelt es sich um einen Referentenentwurf. In einer Stellungnahme, die wir dem Bundesministerium der Finanzen haben zukommen lassen, appellieren wir an die Bundesregierung, diesen Entwurf im Verlauf der Verbändebeteiligung im Sinne der organisierten Zivilgesellschaft zu überarbeiten. Gemeinnützigkeit, wem Gemeinnützigkeit gebührt!

Freies Wissen neu denken

Monday, 15 July 2024 09:29 UTC

Das Thema Wissensgerechtigkeit liegt Lee Modupeh Anansi Freeman in mehrfacher Hinsicht am Herzen. Persönlich und politisch. „Zum einen bin ich eine Person afrikanischer Herkunft und kenne Generationen meiner eigenen Familie nicht – weil unser Wissen systematisch gelöscht und zerstört wurde.“ Zum anderen, stellt Freeman fest, „leben wir in einer Ära der Desinformation. Je mehr Raum die verdrängten Stimmen bekommen, desto besser können wir dagegen ankämpfen.“

Lee Modupeh Anansi Freeman zählt zu den Teilnehmenden der ersten Ausgabe des Förderprogramms re•shape, mit dem Wikimedia Deutschland sich für die Sichtbarkeit von marginalisiertem Wissen stark macht. In Kooperation mit den neuen deutschen organisationen – das postmigrantische Netzwerk e.V., einem Verbund von fast 200 Vereinen, Initiativen und Selbstorganisationen, ist im Dezember 2023 ein Call mit beachtlicher Resonanz gestartet worden: Fast 90 Projekte bewarben sich auf die erste re•shape-Runde, zehn davon wurden gefördert. Ein unabhängiges Kuratorium aus Hajdi Barz, Juliana Kolberg und Victoria Kure-Wu hat das vierköpfige Programmteam von Wikimedia Deutschland bei der Konzeption des Programms unterstützt und gemeinsam mit einer Vertretung von Wikimedia und den neuen deutschen Organisationen e.V. die Projekte ausgewählt.

Ein Programm, das neues Denken braucht

Zu den geförderten Vorhaben zählt auch das TRAP$ Academy-Projekt von Lee Modupeh Anansi Freeman und Farah Abdullahi Abdi, das sich der Weitergabe von Wissen innerhalb der Black Trans/GNC (Gender Non-Conforming) Community widmet. „Wir sind eine Minderheit innerhalb der Schwarzen Bewegung und eine Minderheit innerhalb der LGBTQ*-Community“, beschreibt Freeman. Und lobt an re•shape, „dass es ein sehr niedrigschwelliges Programm ist. Das hilft, wenn du ohnehin mit vielen Hürden in deinem Leben zu kämpfen hast.“ Im Zuge des TRAP$ Academy-Projekts ist Wissen über Schwarze Geschichte aus trans- und genderdiverser Perspektive in Workshops gesammelt worden, unter anderem entstand daraus ein Arbeitsbuch, das andere empowern soll, die von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind.

Allen Teilnehmenden standen dabei Mentor*innen zur Seite, hauptsächlich aus den Communitys der Wikimedia-Projekte. In verschiedenen Workshop-Formaten gab es Vorträge zum Thema Freies Wissen und Freie Lizenzen. Auf der unmittelbaren Verwertbarkeit der Projektergebnisse für Wikipedia oder Wikimedia Commons lag in der ersten Runde noch nicht der Fokus, künftig wird sich das ändern: „Welches marginalisierte Wissen Eingang in die Wikimedia-Projekte finden kann, ist ein gemeinsamer Lernprozess für alle Beteiligten, in dem wir zusammen das Ziel verfolgen, die Darstellung des Wissens ausgewogener und gerechter zu gestalten“, beschreibt Dominik Scholl, Leiter Kultur & Marginalisiertes Wissen bei Wikimedia Deutschland: „Wir müssen und wollen bei diesem Programm vieles neu denken.“

Abwägung der Risiken

„Wir haben versucht, den Menschen, mit denen wir arbeiten, Freiräume und eigene Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf Freies Wissen zu eröffnen“, beschreibt Riham Abed-Ali aus dem re•shape-Projektteam. Was sie auch betont: Für marginalisierte Communitys kann das Teilen ihres Wissens mit Risiken verbunden sein. Ein Beispiel wäre, dass unter Umständen Daten und Informationen zugänglich werden, „die genutzt werden könnten, um Menschen zu kriminalisieren – gerade dann, wenn wir von illegalisierten Perspektiven sprechen.“

Das betrifft beispielsweise ein Projekt wie Mujeres migrantes invisibles [unsichtbare migrantische Frauen]. Die Verantwortlichen Antonia Ramos Posto, Yolanda Justina, Nina Becerra und Llanquiray Painemal Morales bemühen sich um die Sichtbarmachung von Migrantinnen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Berlin. Im Rahmen des Projekts haben sie Podcasts erarbeitet, die die Situation dieser undokumentierten Migrantinnen thematisieren. Und natürlich genau abgewogen, welche Informationen sie preisgeben.

Zu den möglichen Risiken, so Riham Abed-Ali, zähle auch der Umgang mit Bildern, die unter freier Lizenz veröffentlicht werden – und die für propagandistische oder andere missbräuchliche Zwecke verwendet werden könnten.

Antikolonialer Raum und migrantisches Wissen

Trotz dieser Abwägungen ist im Kontext der ersten re•shape-Ausgabe viel Konkretes entstanden. Wie etwa der Antikoloniale Raum Köln, ein Projekt von Muriel Gonzales Athenas und Amdrita Jakupi. In diesem physischen Raum geht es um Vermittlung des Wissens marginalisierter Communitys – „durch Literatur, Workshops, Vorträge von Aktivist*innen oder Wissenschaftler*innen vornehmlich aus der BIPoC-Community“, wie Jakupi es im Gespräch während der re•shape-Abschlussveranstaltung beschreibt. Die Zusammenkunft hat alle Teilnehmer*innen noch einmal in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland zusammengeführt, wo die Projekte bei einem Gallery Walk präsentiert wurden und es Räume zur Reflexion von Herausforderungen und Learnings gab. Der Antikoloniale Raum Köln, so Jakupi, „soll ein Begegnungsort und ein Schutzraum für Menschen sein, die sonst keine Räume haben.“ Für indigene, kurdische oder afrodiasporische Communitys etwa, für Rom*nja und Sinti*zze. „Die Förderung durch re•shape hat uns geholfen, diesen Ort überhaupt zu erschließen und benutzbar zu machen.“

Um eine konkrete Auseinandersetzung mit der Wikipedia wiederum ging es in dem Projekt „Social Media und Freie Lizenzen“, das die Journalistin Esra Karakaya mit ihrem Medienunternehmen KARAKAYA TALKS unternommen hat. Es produziert News und Talkshows für deutschsprachige Millennials und Gen Zs of Color. „Unsere Frage war: Wie können wir Inhalte, die in Videoform auf TikTok oder Instagram laufen, journalistisch so aufbereiten, dass sie als Referenzen und Quellenangaben für Wikipedia-Artikel nutzbar werden?“, beschreibt Karakaya. Im Rahmen von re•shape hat sie eine Webseite getestet, auf der Videos nun in Form von Texten veröffentlicht werden sollen. „re•shape war eine wichtige Unterstützung bei unserem Versuch, migrantisch situiertes Wissen, das oft nicht dokumentiert ist, eben doch festzuhalten – so dass es vielleicht in ein Wissensarchiv wie Wikipedia gelangt“, so Karakaya.

Austausch in der Ideenwerkstatt

Wie können Menschen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, mit ihrem Wissen und ihren Anliegen innerhalb der Wikipedia-Community mehr Gehör finden? Dieser Frage widmete sich eine von Wikimedia organisierte Ideenwerkstatt, bei der einzelne re•shape-Teilnehmende, aber auch viele weitere Interessierte zusammen kamen. „Es ging bei der Veranstaltung darum, dass die Beteiligten selbst Barrieren, aber auch Handlungsmöglichkeiten für mehr Wissensgerechtigkeit identifizieren“, beschreibt Christopher Schwarzkopf aus dem re•shape-Projektteam. Über den Austausch im Rahmen der Ideenwerkstatt ist auch eine filmische Dokumentation entstanden.

„Ich denke, dass die Wikipedia noch vielfältiger werden könnte, indem man Autor*innen aus marginalisierten Communitys gezielt anwirbt, durch Veranstaltungen oder Workshops wie diesen“, so eine Teilnehmende. Wikipedianerin Kritzolina, ebenfalls bei der Ideenwerkstatt mit an Bord, sieht zwar auch Wissenslücken in der Online-Enzyklopädie – gerade dort, wo es um Themen außerhalb Europas geht – betont aber: „Die Wikipedia wird offener, auch für Wissen, das nicht zum klassischen Herrschaftswissen gehört.“ Eine Teilnehmende mit uigurischen Wurzeln berichtet davon, dass sie Vorurteile gegenüber der Wikipedia hatte, vor allem, weil sie dort viel Wissen über die uigurische Geschichte vermisste. „Ich habe aber gemerkt, dass man selber sehr viel Wissen einbringen kann.“

Insgesamt war die Ideenwerkstatt ein lebendiges Plädoyer für Dialog und offenen Austausch. „Menschen sind bereit, Sachen zu verändern, auch neue Sachen zu lernen“, bringt eine Teilnehmende es auf den Punkt.

Ein Instrument der Vernetzung

Wie soll die Wikipedia im Jahr 2030 aussehen? Auch diese Frage stand auf der Agenda der Ideenwerkstatt. „Ich kann mir vorstellen, dass sie sehr, sehr bunt aussehen könnte“, lautete eine der Antworten, „dass sehr viele Jugendliche sich beteiligen, auch aus marginalisierten Gruppen.“ „Wir müssen uns mit Wissensproduktion auseinandersetzen, kritisch hinterfragen: Wer produziert dieses Wissen? Über wen wird geschrieben, welche Quellen werden genutzt?“, so wiederum eine andere Teilnehmerin zu der Frage, wie die Wikipedia auch 2030 noch aktuell und relevant bleiben könne.

„Die Wikipedia ist wie ein Kühlschrank oder ein Wäscheständer – sie wird im Alltag selbstverständlich genutzt, aber wir denken kaum darüber nach“, findet Esra Karakaya. Die Teilnahme an re•shape habe sie zu genau dieser Auseinandersetzung motiviert. Als „sehr offen im Dialog, sehr unterstützend“ hat Lea Sherin Kübler – beteiligt am Projekt „Von Träumen und Traumata zu Selbstorganisation und Widerstand“, bei dem unter anderem ein Zine entstanden ist – die re•shape-Zeit erlebt. So erzählt sie es am Rande der re•shape -Abschlussveranstaltung, die wie das gesamte Projekt auch der Vernetzung und dem Austausch der Geförderten untereinander dienen sollte – und ihrer Verbundenheit mit den Wikimedia-Projekten. So konnten einige auch als Teilnehmer*innen für den ersten Wikipedia-Zukunftskongress gewonnen werden.

Ein Lernprozess für alle Beteiligten

Natürlich war die erste Ausgabe von re•shape für alle Beteiligten auch ein Lernprozess. Bei der anstehenden zweiten Runde des Programms wird es einige Anpassungen geben. Während im ersten Programmjahr noch das Prinzip “Open by default” galt, bei dem sich die Geförderten gegen eine freie Lizenz entscheiden konnten, wenn es gute Gründe dafür gab, wird die Veröffentlichung der Projektergebnisse unter einer freien Lizenz nun zur Fördervoraussetzung. Projektgruppen müssen fortan nicht mehr ausschließlich aus BIPoC-Personen bestehen, es reicht, wenn die Mehrheit der Mitglieder BIPoC sind oder Organisationen mehrheitlich von BIPoC geleitet werden – so wird die Vielfalt der Teilnehmenden erhöht. Außerdem wird das Mentor*innen-System überdacht, um noch passgenauer auf die Bedarfe der Geförderten eingehen zu können.

„Wir wollen auch daran arbeiten, das Programm außerhalb Berlins noch besser zu bewerben und unsere bestehenden Netzwerke entsprechend zu erweitern“, beschreibt Riham Abed-Ali. Unter anderem könnten die Verbindungen des entstehenden Antikolonialen Raums Köln dabei helfen. Und last but not least soll der Fokus noch mehr auf das große Thema Wissensgerechtigkeit gerichtet werden. Die Frage, wie konkret die Wikimedia-Projekte zu mehr Wissensgerechtigkeit beitragen können, wird künftig noch mehr Raum erhalten.

Eines jedenfalls hat die erste Ausgabe des neuen Förderprogramms bereits deutlich gezeigt, findet Dominik Scholl: „An einem Programm wie re•shape besteht großer Bedarf.“

Der Abschlussbericht von re•shape ist hier zu finden:

Infos zur zweiten re·shape-Runde

Im November 2024 startet re•shape – Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von Wissensgerechtigkeit in das zweite Programmjahr. Neben einer finanziellen Förderung von bis zu 5.000 € umfasst das Programm eine ideelle Förderung in Form von Begleitung und Beratung in der Auseinandersetzung mit Freiem Wissen und in der Umsetzung der Projekte.

Gefördert werden Projekte, die darauf zielen, marginalisiertes Wissen von Communitys, die Rassismus erfahren, mehr Raum und Sichtbarkeit zu verschaffen, indem Projektergebnisse unter einer Freien Lizenz veröffentlicht werden. Bewerbungen sind vom 15. August bis 15. September 2024 möglich und können auf Deutsch oder Englisch eingereicht werden

Du hast Fragen zum Bewerbungsprozess, der Antragstellung oder bist dir unsicher, ob deine Projektidee zum Programm passt? Dann melde dich gern bei uns, zum Beispiel indem du in unsere telefonische Sprechstunde kommst: Du kannst uns während der Bewerbungsphase jeweils dienstags und donnerstags von 14.00 bis 15.00 Uhr unter der Nummer (030) 577 116 22-0 erreichen. Gern vereinbaren wir auch individuelle Termine zur Antragsberatung – auch vor der Bewerbungsphase. Schreib dafür einfach eine Mail an reshape@wikimedia.de.

Außerdem bieten wir innerhalb des Bewerbungszeitraums am Dienstag, den 20. August, um 18.30 Uhr via Zoom eine Online-Infoveranstaltung zum Programm an. Du kannst dich via E-Mail an reshape@wikimedia.de bereits jetzt dafür anmelden.

Der „Rosinenbomber“ auf dem Dach des Deutschen Technikmuseums in Berlin zählt zu den Wahrzeichen der Stadt. Er erinnert an die Zeit des Kalten Krieges, an die Blockade der Westsektoren durch die Sowjets 1948/49, als die Berliner*innen von den Westalliierten mit Flugzeugen wie diesem aus der Luft versorgt werden mussten. Natürlich hat die Douglas C-47 Skytrain (so der offizielle Flugzeugtyp) auch ihren Auftritt in der Wikipedia – von unten fotografiert in der Abendsonne. Ein majestätisches Bild.

„Hurra, wir leben noch”, stand auf vielen Plakaten der Menschen, die sich am 12. Mai 1949 vor dem Rathaus Schöneberg versammelt hatten, um das Ende der Berlin-Blockade zu feiern. Dieses Jubiläum wird nun auch in der Wikipedia durch die neuen Aufnahmen noch greifbarer werden: Wenn der „Rosinenbomber“ aus einem noch viel spektakuläreren Blickwinkel als bisher zu sehen ist. Von oben, aus der Vogelperspektive fotografiert.

Ein Blick aus 100 Metern Höhe

Zu verdanken ist das einer außergewöhnlichen Drohnenflugaktion über das Museum und die Umgebung. Und nicht nur Bilder des Flugzeugs werden unter freier Lizenz in Wikimedia Commons und der Wikipedia zur Verfügung stehen – mit Unterstützung von Wikimedia Deutschland konnte auch ein Indoor-Flug mit einer Drohne im Deutschen Technikmuseum unternommen werden. Das Museum hat dafür seine Lokschuppen geöffnet, wo die Dauerausstellung Eisenbahn zu sehen ist – mit vielen historischen Lokomotiven und anderen Großobjekten.

Der Wikipedianer Benutzer:Raymond ist Spezialist für Drohnenfotografie. Er hat aus der Luft unter anderem schon die Liegenschaften der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten für die Wikimedia-Projekte abgelichtet, auch in Weimar bei der Klassik Stiftung und im Archäologischen Park in Xanten war er schon aktiv. Im vergangenen Jahr ließ er die Drohne über dem Museum Barberini in Potsdam aufsteigen, wobei auch ein sehenswerter Film entstanden ist. Jetzt steht er an einem sonnigen Morgen auf dem Platz vor dem Deutschen Technikmuseum und schaut konzentriert auf das Display seines Controllers. Die Drohne ist nur noch als winziger Punkt am Himmel zu sehen. „Ich fliege in 100 Metern Höhe erst über die Ladestraße und das Hauptgebäude des Deutschen Technikmuseums, dann über den Rosinenbomber und die U-Bahnstrecke am Gleisdreieck in Richtung Tempodrom und zurück“, beschreibt Benutzer:Raymond die Luftroute.

Eine Auswahl der entstandenen Bilder finden Sie hier:

Sondergenehmigung dank Wikimedia

Damit er diesen Flug überhaupt unternehmen kann, haben Holger Plickert und Christoph Jackel viel Zeit und Arbeit investiert. Die beiden Projektmanager von Wikimedia Deutschland kümmern sich um GLAM-Projekte, also Kooperationen verschiedenster Art mit Kultur- und Gedächtnisinstitutionen wie Museen, Archiven oder Bibliotheken. „Ein GLAM-Projekt unterstützt Kultur- und Gedächtnisinstitutionen dabei, ihrem Auftrag nachzukommen, Objekte für kommende Generationen in digitaler Form zu bewahren. Durch gemeinsame Projekte mit erfahrenen Wikimedianer*innen können sie mit der gesamten Welt geteilt und unabhängig erkundet und erforscht werden”, so Jackel.

Nicht nur haben die Hauptamtlichen von Wikimedia Deutschland jetzt das Deutsche Technikmuseum für den Drohnenflug gewonnen, sie mussten auch alle dafür erforderlichen Genehmigungen einholen. „Das Museum grenzt an eine Bundesstraße, der benachbarte Landwehrkanal ist eine Bundeswasserstraße, dazu verläuft dort die Hochbahn der U1/U3 – bei all dem  ist Überflug eigentlich verboten“, erklärt Benutzer:Raymond.

Beantragt werden mussten eine Reihe von Sondergenehmigungen bei der Luftfahrtbehörde. Entsprechend hat der Wikipedianer neben einem Ersatzakku für die Drohne und allerlei anderem technischen Equipment auch eine dicke Mappe mit Dokumenten dabei – nur für den Fall, dass die Polizei vorbeikommt und nach den Genehmigungen fragt.

Strategie der Öffnung

Auch für die Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin ist die Aktion reizvoll: „Auf diese Weise bekommen wir eine Perspektive auf unser Haus, die wir sonst nicht hätten“, so Matthias Stier, Leiter Digitale Strategie im Museum. Der „Rosinenbomber“ – der in regelmäßigen Abständen von Industriekletterern gereinigt wird, sei selbst vom Dach des Museums aus nicht in so spektakulärer Draufsicht zu erleben.

Das Deutsche Technikmuseum will die Bilder von Benutzer:Raymond auch über die eigenen Kanäle zugänglich machen – und freut sich über die Verbreitung in der Wikipedia und auf Wikimedia Commons. „Die Wikimedia-Projekte sind ein wichtiger Anlaufort“, so Stier.

Generell verfolgt die landeseigene Institution eine Strategie der Offenheit: „Wir wollen so viele unserer Sammlungsdaten frei zugänglich machen wie möglich“, beschreibt Stier, „das Thema CC-Lizenzierung wird bei uns am Haus groß geschrieben.“

Geglückter Flug durch den Lokschuppen

Mit der Achtsamkeit eines Wünschelrutengängers bewegt sich Benutzer:Raymond mit seiner Drohne durch den Lokschuppen 1 des Deutschen Technikmuseums. Er lässt sie durch das historische Fürstenportal des Anhalter Bahnhofs an deren Eingang fliegen, navigiert sie sicher über eine Preußische Tenderlok T3 von 1901 und eine Güterzug-Dampflok der Graz-Köflacher Bahn aus dem Jahr 1860. Begleitet von einem steten Piepsen: „Ich schalte selbstverständlich die Annäherungssensoren der Drohne nicht aus“, erklärt der Pilot. Schließlich will er mit dem Fluggerät nirgendwo anstoßen. Diese Indoor-Aktion ist auch für Benutzer:Raymond eine Premiere – die ohne Probleme glückt.

Am Ende dieses Vormittags sind rund 100 Bilder entstanden, aus denen der Wikipedianer eine Auswahl trifft, die nach und nach bei Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt wird – darunter auch die Drohnenfotos der Loks. Er ist zuversichtlich, dass die fotografierten Objekte „sehr bald ihren Auftritt in der Wikipedia bekommen.“

Lust bekommen, bei Wikimedia-Projekten mitzumachen?

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Datenexpertise dringend gesucht

Die Bundesregierung gibt in ihrer Datenstrategie vom letzten Jahr die Marschrichtung vor: Mehr Fortschritt durch mehr und bessere Daten. Die Ausgangslage ist dabei schwierig. Überall fehlt es an strukturierten Daten in hoher Qualität, um politische Entscheidungen zu flankieren oder auch umzusetzen. Das Klimageld konnte nicht ausgezahlt werden, es gibt keinen Überblick über alle Sozialleistungen und oftmals fehlt es auch am Verständnis darüber, was eigentlich Daten sind und wer diese pflegt. Die Datenlabore, die in allen Bundesministerien ab 2021 eingerichtet wurden, sollten den Ressorts ganz praktisch im Datenmanagement an die Hand gehen. Leider steht die Finanzierung schon wieder auf der Kippe, kaum dass sie ihre Arbeit aufgenommen haben. Dabei zeigen erste Erkenntnisse, dass die Arbeit durchaus sinnvoll ist. Es braucht also dringend mehr Datenexpertise und mehr Akteure, die mit guten Ideen in diesem Feld vorangehen. Kann das geplante Dateninstitut diese Hoffnung erfüllen? In der Entwicklungsphase des Dateninstituts wurde von politischer Seite  immer wieder betont und in Aussicht gestellt, dass  zivilgesellschaftliche Organisationen das Dateninstitut mit ihrer Expertise und Perspektive mit aufbauen sollen, zumindest als Teil eines Konsortiums. Wie gut ist das im Prozess bislang integriert?

Datenpolitik ist Gesellschaftspolitik. Die Gemeinwohlorientierung muss stark verankert sein

In den bisher ausformulierten Grobanforderungen für das Dateninstitut findet eine Gemeinwohlorientierung keine Erwähnung mehr. Auch wenn es verschiedenen beteiligten Politikschaffenden weiterhin ein Anliegen sein wird, eine Gemeinwohlorientierung einzubringen, ist es schwierig, diesen Auftrag aus der Ausschreibung konkret herzuleiten. Das bedeutet, dass wir viele Ressourcen einbringen müssten, um uns innerhalb eines großen Konsortiums mit ressourcenmäßig überlegenen Beteiligten, die wenig Fokus auf das Gemeinwohl haben, durchzusetzen. Eine stärkere Gemeinwohlorientierung geht nämlich oft zulasten der Profitabilität, die für viele sich beteiligende Unternehmen relevant ist.

Zudem sind wichtige Spielräume schon vorher eingeschränkt, zum Beispiel ist eine Vorgabe, dass das Dateninstitut spätestens in fünf Jahren eigene Einnahmen von mindestens 10 Prozent generieren muss. Entsprechende Geschäftsmodelle sind üblicherweise nicht mit freiem Wissen vereinbar, denn wo sollen solche Einnahmen herkommen wenn nicht aus Lizenzierung oder anderen Datenservices?

Rechtssicherheit des Betreibermodells sticht Ausprobieren von Ideen

Die Ausschreibung macht deutlich, was den beteiligten Ministerien am wichtigsten ist: Expertise in Gründungsfragen, bei juristischen Organisationsformen, beim Datenschutz sowie bei der Entwicklung von Geschäftsfeldern ist hauptsächlich gefragt. Eine der Überraschungen bei den Ausschreibungsunterlagen ist zudem, dass die Ministerien nicht nur – wie ursprünglich geplant – eine Konzeption für ein gutes Dateninstitut suchen, sondern einen Partner für das praktische Betreiben des Instituts, inklusive Gründung, Aufbau, Personalrekrutierung. Diese Aussicht ist der „Hauptgewinn“ für die teilnehmenden Konsortien. Für uns als zivilgesellschaftliche Organisationen ist das wenig attraktiv: Aufbau einer Institution als Dienstleistungsauftrag für den Staat?

Wenig freie Ressourcen, wenig Planbarkeit

Konzeptionierung, Gründung und Betrieb des Dateninstituts sind umfangreiche Aufgaben, die viele Personen aus unterschiedlichen Organisationen binden werden. Für zivilgesellschaftliche Organisationen wie unsere ist das eine große Herausforderung, da wir (anders als z.B. Beratungsunternehmen) keine freien Kapazitäten vorhalten (können).  Dies betrifft die zeitintensive Teilnahme an der Ausschreibung, aber auch den auf fünf Jahre ausgelegten Betrieb. Die gleichzeitige Ausschreibung von Konzeption, Gründung und Betrieb ist unseres Erachtens daher nicht zielführend. Auch der immer wieder verschobene Zeitplan hat nicht dazu beigetragen, zivilgesellschaftliche Akteur:innen einzubinden. Beispielsweise wurde nach dem Marktdialog Anfang Juli 2023 eine Ausschreibung „nach der Sommerpause“ angekündigt, die nun im Mai 2024 kam. Die Anzahl der Menschen mit passender Expertise in unseren Organisationen ist begrenzt, und wir haben viele laufende Projekte und Themen, um die wir uns jeweils oft als einzige zivilgesellschaftliche Organisation kümmern.

Wettbewerbsverfahren kaum kompatibel mit zivilgesellschaftlicher Kooperation

Die beteiligten Ministerien wünschen sich möglichst intersektional aufgestellte Konsortien, um vielfältige Perspektiven der Datenbereitstellung und Datennutzung abzubilden. Das ist sehr begrüßenswert. Allerdings sind wir eher skeptisch, ob dies durch die Zusammensetzung der Konsortien zu schaffen ist, oder ob nicht eher später im laufenden Betrieb des Dateninstituts Partnerschaften mit unterschiedlichen Akteursgruppen geschlossen werden sollten. Unsere Erfahrung während der Anbahnung der Ausschreibung war es, dass insbesondere wirtschaftliche Akteure (z.B. Beratungsunternehmen) sehr klare Partikularinteressen vertreten (z.B. Monetarisierung von Services) und für die Antragstellung nur noch irgendeine zivilgesellschaftliche Organisation suchten. Dass die Ausschreibung zudem das Vorliegen von ähnlichen Erfahrungen verlangt, begünstigt zudem größere Unternehmen. Für eine Beteiligung am Verfahren müssten wir uns entscheiden, in welchem Konsortium wir uns einbringen, und über Non-Disclosure Agreements oder Ähnliches zusichern, unser Wissen nur für dieses Konsortium einzusetzen. Das widerspricht unseren Prinzipien als Zivilgesellschaft für ein transparentes Verfahren und offene Diskussion über diese wichtige Phase der Gründung des Dateninstituts. Deshalb werden wir unsere Expertise öffentlich allen zur Verfügung stellen, um eine gemeinwohlorientierte Ausgestaltung des Dateninstituts zu unterstützen. Auch an einem Austausch mit den Politikschaffenden sind wir weiterhin interessiert.

Unser Anliegen: Ein Dateninstitut für die Gesellschaft

Es ist uns ein Anliegen, dass das Dateninstitut die Bereitstellung und Nutzung von Daten für das Gemeinwohl fördert. Wir stehen für ein starkes, kompetentes und unabhängiges Dateninstitut, das Datenpolitik als Gesellschaftspolitik für Alle verständlich macht; es stellt Strukturen, Prozesse und Infrastrukturen in den Mittelpunkt, anstatt auf Einzelprodukte und kurzfristige Lösungen zu setzen; es ergänzt die bestehenden Organisationen und Strukturen sinnvoll und schärft damit das Daten-Ökosystem. Wir wünschen uns, dass der weitere Prozess möglichst transparent ist, damit auch zivilgesellschaftliche Akteure, die nicht in Konsortien beteiligt sind, eine gemeinwohlorientierte Ausgestaltung des Dateninstituts begleiten und unterstützen können.

Der Südwestrundfunk (SWR) und Spiegel berichteten zunächst über die Neuigkeiten aus Stuttgart. Demzufolge plant man dort nun, zunächst Abituraufgaben aus Vorjahren und dann auch die alten Prüfungsaufgaben anderer Schulformen digital und frei zugänglich zu machen. Alle Schüler*innen können damit unkompliziert auf die Aufgaben zugreifen. Sie sind nicht darauf angewiesen, dass Schulen oder Lehrkräfte sie ihnen zur Verfügung stellen und können somit selbsständig lernen. Zuvor hatte der SWR bereits über unsere Kampagne und die dazugehörige Petition zur Veröffentlichung von Prüfungsaufgaben berichtet.

Hat über 54.000 Unterstützer und Unterstüterinnen – die Petition von FragDenStaat und Wikimedia Deutschland zur Freigabe von alten Prüfungsaufgaben. Foto: Screenshot Franziska Kelch (WMDE) CC BY-SA 4.0

Die Entscheidung, die Aufgaben nun zu veröffentlichen, habe nichts mit unserer Kampagne zu tun, sagt das Ministerium. Oder mit der Petition zur Veröffentlichung von Aufgaben, die weit über 50.000 Unterschriften erhalten hat. Oder mit der Medienberichterstattung zur Kampagne und zur Petition in diesem und im letzten Jahr. Die auch thematisiert hat, dass FragdenStaat und Wikimedia Deutschland aufgedeckt haben, dass auch das Kultusministerium in Baden-Württemberg Prüfungsaufgaben an Verlage verkauft, statt sie Schüler*innen einfach digital zur Verfügung zu stellen. Verlage nutzen diese Aufgaben dann in Übungsheften – die sich nicht alle Prüflinge leisten können oder wollen.

Aber wir schweifen ab. Zurück zu den guten Nachrichten für künftige Prüflingsgenerationen in Baden-Württemberg!

Wir begrüßen, dass im Kultusministerium offenbar ein Umdenken stattgefunden hat und Aufgaben digital und öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit in Baden-Württemberg. Auch den Umstand, das nicht nur junge Menschen, die das Abitur machen, sondern Schüler*innen aller Schulformen Zugang zu Prüfungsaufgaben bekommen sollen, sehen wir als Fortschritt. Aber es gibt zwei offene Fragen und damit potenzielle Kritikpunkte.

Was sagt das Ministerium zum Verkauf der Aufgaben?

Kurz gesagt: Nichts. Zumindest ist der Berichterstattung nichts dazu zu entnehmen. Das führt uns zu der Frage: Betrifft das Umdenken im Kultusministerium in Baden-Württemberg auch den Verkauf der Aufgaben und wird dieser eingestellt?

Aktuell erteilt das Kultusministerium in Baden-Württemberg mindestens einem Verlag gegen eine Gebühr die Erlaubnis, die Abschlussaufgaben aller Schulformen zu veröffentlichen. Das ist leider nicht ungewöhnlich, mindestens neun weitere Bundesländer verfahren so. Das Kultusministerium in Baden-Württemberg aber erhält zusätzlich 10% vom Netto-Buchpreis von Lehr- und Übungsbüchern, die der Verlag verkauft. Nach unserem Wissen ist Baden-Württemberg damit das einzige Bundesland, das in diesem Umfang am Verkauf der Hefte beteiligt ist. Wir kritisieren diese Praxis, denn wir sind der Ansicht, dass mit öffentlichen Mitteln erstellte Aufgaben nicht monetarisiert, sondern der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollten.

Mit Prüfungsaufgaben alleine ist es nicht getan

Darüber hinaus stellen wir uns die Frage, in welchem Umfang Prüfungsaufgaben veröffentlicht werden. Denn der Mehrwert von Prüfungen aus Vorjahren entsteht für Schüler*innen vor allem dann, wenn sie auch die Lösungen erhalten – oder zumindest die sogenannten Erwartungshorizonte zu den einzelnen Prüfungen. Denn nur so wissen sie auch, was von ihnen erwartet wird. Wenn etwa Schüler*innen aus Niedersachsen sich Abituraufgaben aus den Vorjahren herunterladen, dann erhalten sie nicht nur die Aufgaben, sondern auch die Erwartungshorizonte.

Ein weiterer Faktor dafür, wie nützlich die Aufgaben für Prüflinge sind, ist die Verfügbarkeit von Texten, Statistiken, Fotos oder Karten, die in der Aufgabe verwendet wurden. Baden-Württemberg kündigt an, dass solche Drittmaterialien teilweise aus urheberrechtlichen Gründen geschwärzt und durch Quellenangaben ersetzt werden. Schleswig-Holstein macht das ähnlich und schwärzt leider auch Gedichte von Goethe, die schon seit über hundert Jahren gemeinfrei sind.

In Niedersachsen ist man stärker darum bemüht, die Aufgaben, die entsprechenden Erwartungshorizonte und Drittmaterialien zu veröffentlichen. Dafür werden teilweise Texte, Statistiken oder Bilder genutzt, die gemeinfrei oder frei lizenziert sind. Oder bei der Entwicklung der Aufgaben werden digital verfügbare Drittmaterialien genutzt, deren URL dann bei der Veröffentlichung angegeben wird. So können Schüler*innen häufig Aufgaben für die Vorbereitung nutzen, die einen großen Mehrwert haben, weil sie zusätzlich Erwartungshorizonte und Drittmaterialien enthalten.

Wir sind gespannt, ob sich Baden-Württemberg daran ein Beispiel nehmen wird. Die Veröffentlichung der Aufgaben ist laut Berichterstattung für den Oktober geplant.

Gemeinwohl oder auch das öffentliche Interesse sind wohlklingende Konzepte – und doch abstrakt und interpretationsoffen. Was es konkret braucht, um Daten für mehr Gemeinwohl zu nutzen, klärte Aline Blankertz, Referentin für Politik und öffentlicher Sektor, zu Beginn ihrer Stellungnahme gegenüber den Digitalpolitiker*innen in Berlin.

Das Bild stellt eine grafische Übersicht von 8 Faktoren für gemeinwohlorientierte Digitalpolitik dar. Sie lauten: 1. Transparenz – z.B. über das Ziel von Datennutzung // 2. Wirksame Beteiligung von verschiedenen Betroffenen und weiteren Perspektiven // 3. Schädliche Auswirkungen – z.B. durch mehr Emissionen oder Daten Bias – vermeiden // 4. Grundrechte schützen – z.B. über Datenschutz // 5. Durch Datennutzung Ungleichheiten verringen // 6. Ergebnisse oder Produkte von Datenprojekten offenlegen // 7. Zugang zu Daten, digitalen Infrastrukturen oder Diensten erleichtern // 8. Ergebnisse gemeinsam und dynamisch verwalten und erneuern. Grafik: Franziska Kelch (WMDE), CC BY-SA 4.0
Grafik: Franziska Kelch (WMDE), CC BY-SA 4.0

Weniger Innovationshype und mehr gesellschaftlicher Nutzen

„Innovative Datenpolitik: Potenziale und Herausforderungen“, so lautete das Thema der Anhörung im Digitalausschuss des Bundestages. Und auch zahlreiche Fragen aus dem Katalog, der an die Sachverständigen geschickt wurde, machten deutlich: Auf politischer Ebene herrscht die Vorstellung, dass Daten ein oder sogar der Motor für Innovationen sein sollen und können. Es gibt aktuell geradezu einen Innovationshype, also einen übersteigerten Glauben an Innovation. Dabei braucht es an vielen Stellen gar keine technologischen Neuerungen, um gesellschaftliche Probleme zu adressieren. Wir brauchen vielmehr eine konsequente Nutzung von bekannten und bewährten Konzepten und Prozesse. Das zeigt sich am Beispiel der öffentlichen Verwaltung. Der mangelt es aktuell an einer soliden Datenarchitektur und -infrastruktur. Die brauchen Behörden, um effizienter zu werden – und nicht etwa “Künstliche Intelligenz”. Beim Reden über Innovationen wird gerne vergessen, dass wir den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen sollten. Und der erste Schritt, nämlich die technischen und personellen Grundlagen der Verwaltungsdigitalisierung zu schaffen, ist noch nicht einmal vollzogen.

Wenn wir Innovation schaffen, sollte wir uns daran orientieren, was gesellschaftlich nützlich ist. Das ist oft nicht das, was wirtschaftlich besonders profitabel ist. Das ist eine Herausforderung. Denn digitale Infrastrukturen liegen überwiegend in der Hand weniger, mächtiger Digitalkonzerne. Diese verfolgen nicht das Gemeinwohl als Ziel. Oft schaden sie der Gesellschaft sogar, zum Beispiel indem sie Desinformationen verbreiten, sich die Wertschöpfung von Kreativen und Journalist*innen aneignen, oder durch schlechte Arbeitsbedingungen und Überwachung. Wir müssen die Gemeinwohlorientierung von Plattformen, digitalen Dienstleistungen oder KI-Anwendungen stärken, indem die Politik gesellschaftlichen Interessen mehr Gewicht gibt. Das kann durch Zerschlagung oder Regulierung geschehen. Aber auch, indem die öffentliche Hand selbst in digitale Strukturen investiert und diese aufbaut und dauerhaft pflegt.

Für mehr Datenzugang und weniger Geschäftsgeheimnisse

Wenn wir mehr Daten besser für Innovationen nutzen wollen, die in erster Linie einen gesellschaftlichen Nutzen haben, dann ist der Zugang zu Daten entscheidend. Und ein wesentlicher Teil von Daten zu A wie Automobilität bis Z wie Zahlungsverkehr liegt in den Händen von Unternehmen. Eine der größten Hürden für einen breiten Zugang und eine Nutzung dieser Daten im öffentlichen Interesse ist der Geschäftsgeheimnisschutz.

Wenn es darum geht, den Geschäftsgeheimnisschutz zu verteidigen, hört man oft ein vermeintliches Argument: Wenn Unternehmen Daten nicht exklusiv nutzen können, dann ginge der Anreiz verloren, diese überhaupt zu erheben. Was dabei ignoriert wird: Das Geschäftsgeheimnis verlangsamt die Verbreitung von Wissen – oder unterbindet sie komplett. Denn es gilt zeitlich unbegrenzt. In einer Wissensgesellschaft können Geschäftsgeheimnisse damit zum Hemmschuh von Innovation und Wettbewerb werden. Dementsprechend sollte der Gesetzgeber beim Ausmaß des Geschäftsgeheimnisschutzes abwägen zwischen Anreizen auf der einen und Wissensverbreitung auf der anderen Seite.

Außerdem sollten Gemeinwohlaspekte in die Abwägung einbezogen werden. Besonders deutlich wird dies bei einem Gemeingut, das in unser aller Interesse liegt: Die Umwelt. Mehr Datenzugang kann dabei helfen, Produkte ökologisch verträglicher herzustellen, zu nutzen und wiederzuverwerten. Ein Beispiel dafür, wie das in der Praxis funktionieren kann, ist die Ecodesign for Sustainable Product Regulation (ESPR) auf EU-Ebene. Sie führt digitale Produktpässe ein, um die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Der neue Produktpass wird Informationen über die ökologische Nachhaltigkeit durch Einscannen eines Datenträgers leicht zugänglich machen. Die enthaltenen Daten sollen Auskunft geben über die Haltbarkeit und Reparierbarkeit, den Recyclinganteil oder die Verfügbarkeit von Ersatzteilen eines Produkts. So sollen Verbraucher und Unternehmen besser fundierte Kaufentscheidungen treffen können. Produktpässe sollen zudem Behörden helfen, Kontrollen und Prüfungen besser durchzuführen. Hersteller müssen also möglichst viele Daten für diese Zwecke bereitstellen, auch wenn manche Datenpunkte für Hersteller betriebswirtschaftlich wertvoll sind. Die Pässe können perspektivisch auch nützlich sein, wenn es darum geht, höhere Umweltstandards festzuschreiben und zu überprüfen. Denn über die Pässe würden Daten darüber vorliegen, inwiefern Produkte gerade umweltverträglich sind – oder nicht. Das kann politischen Akteur*innen als Grundlage dafür dienen zu entscheiden, welche Vorgaben oder Standards sinnvoll und effektiv sind.

Bei der Ausgestaltung von Datengesetzen und in neuen Gesetzgebungsverfahren müssen wir klarstellen, dass Geschäftsgeheimnisse keine Trumpfkarte sein dürfen, sondern abgewogen werden müssen. Das gilt etwa für das Forschungsdatengesetz, die nachgelagerten Verordnungen zur ESPR, das Mobilitätsdatengesetz und so weiter. Zweitens, wir brauchen ausdrücklich Pflichten, um mehr Datenzugang zu ermöglichen. Dass Anreize nicht funktionieren, zeigt die aktuelle Situation.

Bundestransparenzgesetz: Das wichtigste datenpolitische Vorhaben fehlt bisher

Man fühlt sich ein bisschen wie der Wetteransager Phil Connors, der in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ in einer Zeitschleife gefangen ist und immer und immer wieder den gleichen Tag erlebt. Denn immer und immer wieder betonen Wikimedia Deutschland, zahlreiche andere Organisationen und Akteur*innen: Wir brauchen dringend ein Transparenzgesetz. Das ist breiter Konsens. Das Transparenzgesetz und das Recht auf Open Data sind die wichtigsten Datenvorhaben für diese Legislaturperiode. Doch sie stecken irgendwo im BMI fest.

Befürworten ein Bundestransparenzgesetz: Misbah Khan (Bündnis90/Die Grünen und Mitglied im Digitalausschuss und im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.l.) und Konstantin von Notz (Bündnis90/Die Grünen, Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.r.) bei einer der Übergaben der Petition an Politikschaffende. Foto: Mehr Demokratie e.V. CC BY-SA 2.0
Im Bündnis Transparenzgesetz engagieren wir uns mit neun weiteren Organisationen seit Jahren dafür, dass die Bundesregierung endlich ein Bundestransparenzgesetz verabschiedet. Zuletzt haben wir eine Petition gestartet, um Politikschaffenden zu verdeutlichen, dass viele Menschen diese Forderung unterstützen. Übergeben haben wir die Petition dann an Akteur*innen aus dem verantwortlichen Ministerium und aus Bundestagsausschüssen – hier etwa an Misbah Khan (Bündnis90/Die Grünen und Mitglied im Digitalausschuss und im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.l.) und Konstantin von Notz (Bündnis90/Die Grünen, Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.r.) Beide befürworten ein Bundestransparenzgesetz. Foto: Mehr Demokratie e.V. CC BY-SA 2.0

Dabei ist Transparenz nötig, damit staatliche Stellen rechenschaftspflichtig bleiben. Sie ist eine notwendige Voraussetzung, um Politik und Verwaltung in ihrem Handeln für die breite Gesellschaft transparenter zu machen. Transparenz ist außerdem ein Grundstein für eine effektive Verwaltung und eine solide Dateninfrastruktur.

Bundesbehörden und Ministerien erheben und besitzen Emissionsdaten, Geodaten, Haushaltsdaten, soziodemographische Daten. Mobilitätsdaten und viele weitere mehr. Diese als Open Data zur Nachnutzung verfügbar zu machen, hätte zwar auch einen wirtschaftlichen Mehrwert. Offene Daten aus den Behörden und Ministerien können aber vor allem eine Grundlage für eine effizientere Verwaltung sein. Die bestehenden Transparenzgesetze und Transparenzportale in Hamburg oder Rheinland-Pfalz beispielsweise werden zu einem großen Teil von Behörden selbst genutzt. Denn sie selbst gehören zu den größten Nutznießern der Daten von anderen Verwaltungsteilen. Die Bereitstellung offener Daten durch die Verwaltung nützt also auch den jeweils anderen Behörden innerhalb der Verwaltung. Sie trägt dazu bei, dass Prozesse effizienter werden. Die automatische Bereitstellung von Linked Open Data sollte dabei das Zielbild sein, damit die Daten möglichst verknüpft und barrierearm genutzt werden können. Eine konsequent nach den anerkannten Regeln der Technik digitalisierte Verwaltung schafft nicht nur die Grundlage für Vorhaben wie den Onlinezugang zu Dienstleistungen, sondern sorgt dabei auch für Transparenz und verknüpfbare Register.

Neues Präsidium von Wikimedia Deutschland gewählt

Saturday, 22 June 2024 15:54 UTC

Herzlichen Glückwunsch an Alice Wiegand! Sie wurde auf der heutigen Mitgliederversammlung in Berlin mit 379 Stimmen in ihrem Amt als Präsidiumsvorsitzende bestätigt. Alice Wiegand ist bereits seit 2004 in der Wikipedia aktiv und hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten unterschiedliche Wikimedia-Ämter inne, unter anderem im Vorstand des Vereins sowie als Mitglied im Board of Trustees der Wikimedia Foundation. Vor zwei Jahren wurde sie von den Mitgliedern zur Vorsitzenden des Präsidiums ernannt.

Zur neuen Schatzmeisterin wählten die Mitglieder Friederike von Borries. Die Beisitzer*innen des 9. Präsidiums sind Larissa Borck, Valerie Mocker, Nora Circosta, Kamran Salimi und Jens Ohlig. Außerdem wurden mit Axel Zehrfeld und Andreas Ettwig zwei der vier Kassenprüfer*innen des Vereins neu gewählt.

Mitglieder diskutieren über Zukunft von Wikimedia und Wikipedia

Vor der offiziellen Mitgliederversammlung fand in Berlin ein offenes Austauschformat zur Zukunft von Wikimedia und den Projekten, allen voran Wikipedia, statt. Rund 80 Mitglieder nahmen daran teil. Dabei wurden insbesondere die Grundfragen des ersten Wikipedia-Zukunftskongresses aufgegriffen, der vor zwei Wochen in Nürnberg stattfand: Was soll sich verändern, was soll bleiben und warum wollen wir weitermachen?

Bei dem Austausch kristallisierten sich mehrere Schwerpunkte heraus. Einer davon ist der Wunsch, den Einstieg in die Wikipedia-Arbeit für neue Freiwillige noch attraktiver zu gestalten, beispielsweise durch niedrigschwellige und leichter verständliche Onboarding-Angebote und eine offenere Willkommenskultur.

Wie schon in Nürnberg spielte auch in Berlin die Frage nach dem Umgang mit Künstlicher Intelligenz eine große Rolle. Unter den Mitgliedern gab es bei diesem Thema von “gesunder Skepsis” bis hin zu “Wir müssen viel verändern, um relevant zu bleiben” eine ganze Bandbreite an Meinungen. Alle Ideen und Anregungen, wie beispielsweise für ein eigenes KI-Programm, das ausschließlich mit Daten aus Wikipedia und Wikidata arbeitet, wurden gesammelt und werden jetzt aufbereitet. Auch auf der WikiCon im Oktober steht die Frage nach der Zukunft der Wikipedia noch einmal im Fokus. Mitte Oktober werden dann in einem Online-Format nächste Schritte identifiziert, danach geht es an die konkrete Umsetzung der Ideen.

Alle Ergebnisse des ersten Wikipedia-Zukunftskongresses sowie die Aufzeichnungen der Vorträge und Podiumsdiskussionen gibt es zum Nachsehen und Nachlesen hier.

Großes Fest zum 20. Jubiläum

Am Vorabend der Mitgliederversammlung wurde das 20. Jubiläum von Wikimedia Deutschland gebührend gefeiert. In der Geschäftsstelle des Vereins in Berlin kamen Mitarbeitende, Mitglieder, Spendende und zahlreiche Wegbegleiter*innen zusammen. Einen Rückblick gibt es in Kürze auf unserer Geburtstagsseite unter wikimedia.de/20jahre. Ein Besuch lohnt sich, die Seite bietet viele Highlights, unter anderem eine Zeitreise durch die vergangenen 20 Jahre mit spannenden Meilensteinen, Fotos und Audioaufnahmen von Menschen, die live mit dabei waren. Außerdem sind viele Glückwünschvideos zu sehen, unter anderem von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales.

Liebe Anwesende, wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen von einem Projekt, das die Welt des Wissens revolutioniert hat. Abschied von einer Idee, die Millionen Menschen inspiriert und zusammengebracht hat. Abschied von der Wikipedia.
Elisabeth Mandl, Kommunikationsmanagerin Neue Ehrenamtliche

Mit dieser Trauerrede eröffnet Moderatorin Elisabeth Mandl den Wikipedia-Zukunftskongress. Natürlich eine satirische Zuspitzung – Totgesagte leben bekanntlich länger! Wobei den Teilnehmenden des ersten Wikipedia-Zukunftskongresses bewusst ist, dass sich die Online-Enzyklopädie weiterentwickeln muss, um relevant zu bleiben. Wie genau – das wurde drei Tage lang vor Ort in Nürnberg und online diskutiert.

Post-enzyklopädischer Schwanengesang: Der veränderte Umgang mit Wissen

Das Programm des Zukunftskongresses beschrieb drei zentrale Herausforderungen für die Wikipedia: den veränderten Umgang mit Wissen, den technischen Wandel sowie die Veränderung der Community.

Das Podium „Informationen teilen, Wissen erschließen – welche Rolle spielt die Wikipedia?“ mit (von links nach rechts) Christian Pentzold, Bernd Fiedler, CaroFraTyskland, Chris Tedjasukmana und Sinthujan Varatharajah.

Zur Frage, wie sich unser Umgang mit Wissen verändert, hält Chris Tedjasukmana, Professor für Alltagsmedien der Universität Mainz, einen Vortrag unter dem Titel „Unordentliche Wissenspraktiken“. Seine Kernthese: Wissen erscheint heute fragmentiert und in allen möglichen Kontexten im digitalen Raum. Tedjasukmana spricht von „post-enzyklopädischen Wissens-Kulturen“. Das Konzept der Wikipedia, Wissen an einem festen Ort zu bündeln, könnte dadurch überholt werden. Wikipedia-Inhalte stecken zwar überall – sie sind Grundlage von KI-Anwendungen, Sprachassistenten und TikTok-Videos – aber die Plattform selbst wird immer weniger wahrgenommen.

Eine Prognose, die der Medientheoretiker Christian Pentzold auf dem anschließenden Panel etwas entschärft: „Wenn neue Arten von Medien auf der Bildfläche erscheinen und sich durchsetzen, heißt das nicht zwangsläufig, dass alte Medienformen verschwinden. Ihnen wird nur ein neuer Platz zugewiesen.“ Wikipedianerin CaroFraTyskland gibt zu bedenken, dass mit sinkenden Leser*innen-Zahlen auch die Motivation der Community sinken könnte, sich weiter zu engagieren. Pentzold bleibt optimistisch: „Die Wikipedia lebt und atmet – und bleibt allein dadurch relevant.“

Grüße aus dem Silicon Valley: Der gegenwärtige technologische Wandel

Ein omnipräsentes Thema auf dem Kongress waren die technologischen Entwicklungen rund um Künstliche Intelligenz (KI) – auch im Eröffnungsvortrag des deutschen Informatikers Richard Socher, der als KI-Koryphäe live aus dem Silicon Valley zugeschaltet war. Socher, CEO von you.com, einem neuen Chat-Suchassistenten, sprach über die Möglichkeiten moderner Large Langue Models (LLMs), die Antworten in Form von Texten, aber auch von Graphen oder Diagrammen liefern können. Sein Vorschlag: ein LLM ausschließlich mit Wikipedia-Daten zu programmieren, um möglichst präzise KI-Antworten zu erhalten. Socher dankte abschließend den versammelten Community-Mitgliedern für ihren großartigen Dienst „im Namen der Menschheit“.

Das Podium „Handschrift, Buchdruck, WWW – und was kommt dann?“ mit (von links nach rechts) Franziska Heine, Kurt Jansson, Theresa Züger, Carina Zehetmaier, Hannah Monderkamp und Marcus Richter.

Theresa Züger, Leiterin der Nachwuchsforscher*innengruppe Public Interest AI, gab einen Einblick in die Hintergründe von Künstlicher Intelligenz und beleuchtete die Herausforderungen, die damit einhergehen. Zum Beispiel Datenschutzprobleme, mangelnde Transparenz oder die fehlende Trennschärfe zwischen KIs, die neues Wissen generieren – und solchen, die lediglich vorhandenes Wissen replizieren. Ihre Schlussfolgerung: Die Wikipedia werde eine wichtige, vertrauenswürdige Wissensbasis bleiben, die von KI nicht ersetzt werden kann.

Welche Rolle die Wikipedia selbst bei der Entwicklung von KI spielt, darüber wurde auf dem Panel „Handschrift, Buchdruck, WWW – und was kommt dann?“ diskutiert. Theresa Züger betont den Wert von Wikipedia-Daten, die oft von großen Unternehmen genutzt würden, ohne sich dafür erkenntlich zu zeigen. In welcher Form so eine Gegenleistung erbracht werden könne, darüber werde gegenwärtig viel diskutiert, so Franziska Heine, Vorständin von Wikimedia Deutschland.

Einig waren sich die Panelist*innen darin, dass es interdisziplinäre Teams braucht, die Bias in KI-generierten Daten erkennen. Und dass Tools zur Unterstützung der Wikipedia-Community entwickelt werden müssten, die beispielsweise beim Faktencheck und der Bekämpfung von Vandalismus unterstützen.

Spread more WikiLove: Community quo vadis?

Für Online-Communitys und ihre Dynamiken ist der Kulturwissenschaftler Daniel Sigge ein Experte. Auf dem Zukunftskongress gibt er Einblicke in die Entstehungsgeschichte dieses sozial-digitalen Phänomens und stellt ein Lebenszyklus-Modell von Communitys in verschiedenen Phasen ihres Bestehens vor. Sigges konkrete Empfehlungen für eine neue Strategie der Wikipedia-Community: sich von der Vergangenheit zu lösen, an der Gegenwart zu orientieren und spielerisch auf das zu konzentrieren, was kommt.

Das Podium „Zwischen Tradition und Innovation – wie entwickelt sich die Wikipedia-Community?“ mit (von links nach rechts) Sonja Fischbauer, Martin Gerlach, Daniel Sigge, Jan Krewer und DomenikaBo.

Jan Krewer, Senior Policy Analyst bei Open Future, rät der Wikipedia-Community auf dem anschließenden Panel ebenfalls, sich von den Anfängen als sozial-politische Bewegung zu emanzipieren und über die Online-Enzyklopädie aktuelle Themen zu besetzen, beispielsweise mehr Expert*innenwissen zur Klimakrise einzubinden. Wikipedianerin DomenikaBo regt an, sich auch auf technischem Gebiet neuen Trends zu öffnen. Zum Beispiel könne die Wikipedia-App so weiterentwickelt werden, dass sich Bearbeitungen leichter auf dem Smartphone durchführen lassen.

Zur Frage, wie sich Wachstum und Diversität der Community fördern ließen, gibt Sigge zu bedenken, vielen Lesenden sei noch immer nicht klar, dass Wikipedia ein Mitmach-Projekt ist. Aus dem Publikum wird angemerkt, die deutsche Wikipedia-Community sei tendenziell streng gegenüber Wandel und Neulingen und tendiere dazu „Burgen zu bauen“. Deshalb wären eine offene Willkommenskultur und das Motto „Spread more Wikilove“ ein guter Ansatz für die Zukunft, findet DomenikaBo.

To-do-Liste für die Zukunft der Wikipedia

Alice Wiegand, Vorsitzende des deutschen Wikimedia-Präsidiums, ermuntert die Community nach intensiver dreitägiger Diskussion schließlich, die vielen Impulse auch wirklich zu nutzen. Entsprechend wurden in drei Online- und vier Präsenz-Workshops konkrete Fragen ausgehandelt. Zum Beispiel: Welche Veränderungen sind gewünscht – und was an der Wikipedia soll beim Alten bleiben?

Einigkeit besteht darin, dass die deutschsprachige Wikipedia im Kern genau die hochwertige freie Enzyklopädie mit einer leidenschaftlichen Community bleiben soll, die sie ist.

Teilnehmer*innen des Wikipedia-Zukunftskongress bei einem Workshop.

Demgegenüber stehen viele Ideen für Veränderungen, die in verschiedenen Workshops am letzten Tag des Zukunftskongresses gesammelt wurden – und die viele Impulse aus den Keynotes und Panels wieder aufgriffen: KI-Tools etwa könnten gerade Neu-Autor*innen den Einstieg in die Wikipedia-Arbeit erleichtern, Übersetzungen von Texten in andere Sprachversionen erstellen, Schaubilder erzeugen oder auch helfen, Wikipedia-Versionen in einfacher Sprache zu erstellen, ohne dabei den Menschen überflüssig zu machen, der die Informationen verlässlich aufbereitet.

Viele der Teilnehmenden wünschen sich auch, dass mehr marginalisiertes Wissen und diversere Perspektiven Eingang in die Wikipedia finden. Die Wikipedia stärker mit der Gesellschaft zu verbinden, sich stärker mit Menschen und Organisationen zu vernetzen, die als Expert*innen Wissen zu den verschiedensten Feldern beitragen können, ist ein weiterer Punkt, der unter der Leitfrage „Was wollen wir unbedingt ändern?“ mehrfach genannt wurde. Außerdem sollen Lesende der Wikipedia in alle Überlegungen stärker mit einbezogen werden und das Vertrauen innerhalb der Community, aber auch zwischen der Wikipedia-Community und Wikimedia soll gestärkt werden.

All diese Punkte werden von der Community und Wikimedia Deutschland in den kommenden Monaten weiter diskutiert, unter anderem bei der Wikimedia-Mitgliederversammlung im Juni und auf der WikiCon im Oktober. Mitte Oktober werden dann in einem Online-Format nächste Schritte identifiziert. Danach geht es an die konkrete Umsetzung der Ideen. Inspiriert vom Zukunftskongress hat sich bereits die Arbeitsgruppe WikiProjekt KI und Wikipedia gebildet.

Klar wird bei all dem: Die Wikipedia lebt – und sämtliche ihrer Mitstreiter*innen sind bereit für den Aufbruch in die Zukunft!

Im Vorfeld des Zukunftskongresses haben wir Menschen aus der Netzwelt nach ihrer Vision für die Wikipedia der Zukunft gefragt:

Wer den Zukunftskongress in voller Länge oder einzelne Beiträge und Panels komplett nachverfolgen möchte, findet ab dem 21.6. die Ergebnisse und die Aufzeichnungen hier:

Verantwortlich für die Ausarbeitung des Gesetzes ist das Bundesinnenministerium. Das hat bisher jedoch keinen Referentenentwurf vorgelegt. Doch wenn es vor dem Ende der Legislatur noch etwas werden soll mit dem Gesetz, dann ist jetzt Eile geboten. Und 51.582 Unterschriften, die bis zum Ende der Petition im Juni zusammen kamen, sprechen eine klare Sprache: Neben den Partnerorganisationen im „Bündnis Transparenzgesetz“ fordern viele Menschen, dass die Bundesregierung endlich das im Koalitionsvertrag angekündigte Bundestransprenzgesetz realisiert. Alleine in der ersten Woche nach Veröffentlichung unterzeichneten über 20.000 Menschen unseren Aufruf bei openPetition.

Die Petition haben wir nun an Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP übergeben. Das Ziel: Sie sollen uns dabei unterstützen, den Druck auf das zuständige Ministerium zu erhöhen.

Auch Anna Kassautzki (SPD, Stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Digitales, 3.v.l.) und Carmen Wegge (SPD, Mitglied im Ausschuss für Inneres und im Rechtsausschuss, 3.v.r.) nahmen unsere Petition für ein Bundestransparenzgesetz entgegen. Foto: Mehr Demokratie e.V. CC BY-SA 2.0
Auch Anna Kassautzki (SPD, Stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Digitales, 3.v.l.) und Carmen Wegge (SPD, Mitglied im Ausschuss für Inneres und im Rechtsausschuss, 3.v.r.) nahmen unsere Petition für ein Bundestransparenzgesetz entgegen. Foto: Mehr Demokratie e.V. CC BY-SA 2.0

Was bringt ein Transparenzgesetz?

Für Bürger und Bürgerinnen, die an dem Wissen teilhaben wollen, das Ministerien beauftragen oder selbst erstellen, erleichtert ein solches Gesetz den Zugang. Sofern geregelt ist, dass diese Informationen proaktiv und digital zur Verfügung gestellt werden müssen. Dazu gehört auch, dass möglichst wenige Ausnahmen im Gesetz definiert werden. Dort, wo Informationen nicht frei und digital zugänglich sind, muss zumindest deren Beantragung einfach und kostenfrei möglich sein und die Beantwortung schnell erfolgen.

Im Bündnis setzen wir uns daher dafür ein, dass Verträge über 100.000 EUR, Gutachten und Studien sowie Subventionszahlungen aktiv offengelegt werden. Dabei mögen nicht alle Gutachten für alle Bürger und Bürgerinnen relevant sein. Doch in den über 700 Studien und Gutachten, die nur in den ersten zwei Jahren der aktuellen Legislatur von Bundesbehörden und Ministerien in Auftrag gegeben wurden, schlummert viel Wissen.

Für Journalistinnen und Journalisten bedeutet ein Transparenzgesetz, dass sie leichter Zugang zu Informationen über ministerielle Vorgänge, Abstimmungen in Behörden oder Verträge mit externen Dienstleistenden erhalten. Das erleichtert journalistische Recherchen, die das Handeln von Behörden für die Öffentlichkeit nachvollziehbar machen, aber auch die Kontrolle staatlichen Handelns durch die vierte Gewalt.

Erste Auswertungen von Transparenzgesetzen in einzelnen Bundesländern zeigen auch: Das Vertrauen in staatliche Instanzen steigt dort, wo diese offenlegen, wie sie arbeiten und ihr Wissen teilen. Und auch die Verwaltungen selbst – die oft behaupten, Transparenzgesetze bedeuten für sie einfach nur mehr Arbeit – können profitieren. Die Evaluation des Transparenzgesetzes in Hamburg hat gezeigt, dass ein großer Teil der Anfragen auf dem Transparenzportal von Behörden selbst stammt. Der Informationsfluss zwischen öffentlichen Stellen wird also besser. Die Erhebungen aus Hamburg und auch aus Rheinland-Pfalz weisen darauf hin, dass mehr Transparenz Behörden keinesfalls hemmt, sondern sogar effizienter machen kann.

Und auch freie Wissensprojekte wie die Wikipedia können von einem Bundestransparenzgesetz profitieren. Denn immer wieder geben Bundesbehörden oder Ministerien Studien oder Gutachten in Auftrag. Sie produzieren also Wissen. Sofern dies öffentlich zugänglich ist, kann es auch Eingang in enzyklopädische Artikel finden.

Nun ist es am Bundesinnenministerium, endlich einen Entwurf vorzulegen, damit dieser auch öffentlich diskutiert werden kann. Einen eigenen Entwurf hat das Bündnis Transparenzgesetz bereits 2022 vorgelegt. Wie dringend eine Umsetzung des Vorhabens ist, hat die gemeinsame Petition noch einmal verdeutlicht.

Wir stellen uns das Internet als einen vernetzten öffentlichen Raum vor, in dem Menschen aus aller Welt miteinander kommunizieren, Informationen und Wissen austauschen und gemeinsam Entscheidungen treffen können. Wir sind davon überzeugt, dass die Vision eines offenen, freien, verlässlichen und sicheren Internets mit  innovativen Entwicklungen, die reale gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen, nur gelingen kann, wenn sich der politische Fokus dem Gemeinwohl widmet. Daher muss die EU zwingend demokratische Strukturen, digitale Gemeingüter und die Rechte der Internetnutzenden fördern und bewahren.

Gesetze gut umsetzen

Die Europäische Union hat in den letzten fünf Jahren wichtige Regelsetzungen in der Digitalpolitik verabschiedet. Der Macht von Big Tech und schrankenlosen profitorientierten Interessen wurden mit dem Digital Services Act (DSA), dem AI Act und dem Digital Markets Act wichtige Grenzen gesetzt. Diese Gesetze gilt es nun konsequent umzusetzen. Mit dem DSA wollen die europäischen Gesetzgebenden dafür sorgen, dass sich jeder Mensch im Netz freier und ohne von Hass bedroht zu sein, bewegen kann. Dafür müssen Plattformen den Nutzenden bessere Beschwerdemöglichkeiten geben, wenn die ihre Recht auf einer Plattform verletzt sehen. In jedem Mitgliedsland der EU muss nun ein nationaler Koordinator für solche Beschwerden benannt sein – der sogenannte Digital Services Coordinator. Wir möchten sicherstellen, dass dieser Koordinator nicht nur auf dem Papier existiert, sondern auch ausreichend viele Mittel und personelle Ressourcen erhält, um Beschwerden auch wirksam entgegennehmen und bearbeiten zu können.

Gemeinwohlorientierte Projekte fördern

Digitale Gemeingüter, eine öffentliche digitale Infrastruktur und frei zugängliche und nutzbare Daten sollten als Grundpfeiler eines europäischen gemeinwohlorientierten öffentlichen digitalen Raumes substantiell gestärkt werden.  Denn dezentralisierte, durch Gemeinschaften getragene und nicht-kommerzielle Projekte wie Wikipedia, Open Access, OpenStreetMap, Blender.org, die Programmiersprache Python und unzählige freie Software-Projekte vermehren Wissen oder stellen Anwendungen bereit, die der Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Diese digitalen Gemeingüter tragen dazu bei, dass Internetnutzende nicht vollkommen von kommerziellen Produkten abhängig sind. Da diese Projekte nicht auf Profitorientierung angelegt sind, können sie den realen Nutzen in den Vordergrund stellen – statt beispielsweise die Verweildauer von Nutzenden zu verlängern, indem sie Algorithmen einsetzen, die besonders polarisierende Inhalte bevorzugen. Darüber hinaus basieren diese Gemeinschaftsprojekte auf internen Aushandlungsprozessen, die in der Regel demokratisch ausgestaltet sind. Dadurch tragen sie dazu bei, Menschen zusammenzubringen und eine gesunde Gemeinschaft zu stiften. Wikimedia Deutschland als eine Bewegung, die erfolgreich gemeinschaftsgetragene Projekte unterstützt, bietet an, zukünftige Gesetzesvorhaben mit einem „Wikipedia-Test“ daraufhin zu prüfen, welchen Effekt sie auf solche Projekte haben werden .

Öffentliche digitale Infrastruktur fördern

Viele der genannten Initiativen und andere ehrenamtliche Digitalprojekte die ihren Quellcode offenlegen, also Open Source sind, und die teilweise als Freizeitbeschäftigung begannen, sind inzwischen unersetzlich in digitalen, öffentlichen und privatwirtschaftliche Anwendungen. In einer Statista Umfrage von 2024 gaben 69% der befragten Unternehmen an, dass sie Open Source Software verwenden. Sie sind deswegen Teil einer digitalen Infrastruktur, zu der auch Rechenkapazitäten, Übertragungstechnik und Daten gehören.

Die Europäische Union sollte vermehrt darauf achten, dass zentrale digitale Strukturen und Plattformen nicht von wenigen kommerziellen Monopolen dominiert werden, die mit Suchmaschinen, App Stores oder elektronischen Zahlungssystemen ihre Dienste verkaufen. Investitionen in eine öffentliche digitale Infrastruktur unterstützen den Zugang zu Freiem Wissen. Der Zugang zu Mobilitätsdaten verschiedener Anbieter ermöglicht es Menschen, die ehrenamtlich kostenlose Mobilitäsanwendungen entwickeln, Fahrpläne für alle Verkehrsträger bereitzustellen. Die EU sollte eine derartige öffentliche Infrastruktur unterstützen, indem sie öffentlichen Einrichtungen die Arbeit mit offener Software und offenen Daten vorschreibt – oder zumindest selbst damit arbeitet und so auch selbst zu einem Teil der Community wird, die sich an der Pflege und Weiterentwicklung beteiligt. Weiterhin sollte sie Anreize zur Beteiligung zu setzen und Hindernisse wie langsame Rechenkapazitäten zu vermeiden. Das Design solcher Infrastrukturen in Open Source erlaubt transparente, dezentrale Verwaltung und Aufsicht. Eine solche Transparenz unterstützt das Vertrauen in Netze und Anwendungen und damit die Beteiligung auch an Projekten des Freien Wissens.

Eine wichtige Maßnahme ist zudem, die Hürden für den Zugang zu Daten und Information zu beseitigen. Konkret sollte beispielsweise das öffentliche Interesse in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD Richtlinie) stärker beachtet werden. Millionen Europäer betrachten Inhalte online auf verschiedenen mobilen Geräten. Je nach Herkunftsland können Inhalte gesehen oder nicht gesehen oder abgerufen werden. Denn während die EU in vielerlei Hinsicht einen digitalen Binnenmarkt hat, gibt es im Bereich der audiovisuellen und urheberrechtlich geschützten Inhalte Ausnahmen. Diese machen es oft unmöglich, Inhalte von öffentlich-rechtlichen Sendern in anderen EU-Ländern anzusehen oder zu teilen, auch für Wissensprojekte wie Wikipedia. Dieser Flickenteppich schadet der Informationsfreiheit und dem Austausch von Wissen auf europäischer Ebene. Das Geoblocking öffentlich-rechtlicher Inhalte sollte daher innerhalb der EU so weit wie möglich aufgehoben werden.

Digitales Ehrenamt ist ein gesamt-europäisches Phänomen. Bei diesem Edit-a-thon in Warschau tragen polnische Wikipedianer*innen zu mehr Wissen über das Thema „Art + Feminism“ in der polnischsprachigen Wikipedia bei. Foto: Laura Jerzak, Edyton Art+Feminism 15, CC BY-SA 4.0
Digitales Ehrenamt ist ein gesamt-europäisches Phänomen. Bei diesem Edit-a-thon in Warschau tragen polnische Wikipedianer*innen zu mehr Wissen über das Thema „Art + Feminism“ in der polnischsprachigen Wikipedia bei. Foto: Laura Jerzak, Edyton Art+Feminism 15, CC BY-SA 4.0

Ehrenamtliche Fördern

Digitale Gemeingüter und nichtkommerzielle Gemeinschaften werden überwiegend von Ehrenamtlichen getragen. Diese Menschen widmen ihre Zeit, Energie und Kreativität dem Ziel, Probleme zu lösen und Leerstellen zu füllen, die sie sehen, und so effektiv die Welt besser zu machen. Die Videokonferenzanwendung BigBlueButton etwa entstand während Corona aus dem Wunsch, für Schulkinder eine einfach nutzbare, aber gleichzeitig datensparsame Möglichkeit für Unterricht zu Hause anzubieten.

Allerdings brauchen auch Ehrenamtliche ab einem gewissen Punkt finanzielle Förderung, damit sie sich angemessen um die Pflege der Software oder einen ausreichend großen Server kümmern können. Denn genau so wie kommerzielle, lizenzpflichtige Software regelmäßige Sicherheitsupdates braucht oder eine verbesserte Nutzendenoberfläche, muss auch eine Open Source Software kontinuierlich gepflegt und angepasst werden – auch, um im Wettbewerb gegen gut designte proprietäre Lösungen bestehen zu können.

Darüber hinaus sollten ehrenamtliche gemeinwohlorientierte Communitys durch aktiven Austausch mit EU Ebenen gefördert werden. Eine verbindliche Zivil­gesellschaft-Quote in Beratungs­gremien und bei der Aus­arbeitung von Gesetzes­vorschlägen sollte eingeführt und damit echte Mitgestaltung ermöglicht werden. Dabei braucht es ausreichend lange Fristen für Konsultationen für zivilgesellschaftliche Akteure, da diese in der Regel ihre Expertise neben einer hauptberuflichen Beschäftigung einbringen. Arbeitsaufwände etwa für Anhörungs- und Beratungsverfahren sollten finanziell angemessen kompensiert werden. Kooperationen, aber auch die finanzielle Unterstützung von Netzwerken und Initiativen etwa durch Steuererleichterungen oder die Ermöglichung regulärer Treffen durch finanzielle Unterstützung von Community-Konferenzen gehören dazu.

Letztlich muss sich die EU konsequent für das Recht auf Anonymität und Verschlüsselung einsetzen. Damit das Internet ein Raum bleibt, in dem sich jede Person frei bewegen kann und keine Angst haben muss, für die Mitarbeit an einem Community-Projekt, eine Meinung oder Publikation bestraft zu werden, fordern wir schon lange das Recht auf Anonymität und Verschlüsselung. Gerade angesichts der menschenrechtsfeindlichen Tendenzen überall in Europa erhalten diese Forderungen neues Gewicht.

Eine neue Ära des freien Wissens

Zugang zu Wissen ist eine zentrale Bedingung für einen demokratische Diskurs, denn dieser lebt von informierten Menschen. Öffentliche Büchereien, Museen oder Universitäten – die ihre Bestände und Forschungsergebnisse zunehmend digitalisieren – pflegen und bewahren Wissen. Wir brauchen aber auch freien Zugang zu diesem Wissen – im Digitalen wie im Analogen. Davon profitieren wir als Bürger und Bürgerinnen, aber auch Wissensprojekte wie die Wikipedia. Damit freie Wissensprojekte, aber auch die Bibliotheksnutzenden, Museumsbesuchende oder Forschenden in Europa, Zugang zu mehr Wissen erhalten, fordern wir die EU auf, einen Digital Knowledge Act zu erlassen.

Welche Hürden hindern traditionelle Institutionen des Wissens daran, ihren öffentlichen Auftrag zu erfüllen und noch mehr Menschen digital Zugang zu Bildung und Wissen zu gewähren?

Wissenschaftliche Forschung, die mit EU-Fördergeld aus den Horizon Europe Programmen finanziert wurde, verschwindet hinter Bezahlschranken, anstatt für alle und ohne Hürden zur Verfügung zu stehen. Öffentliche Büchereien würden gerne ihre E-Bücher zu denselben Bedingungen verleihen wie ihre gedruckten Materialien. Aber Verlage stellen oft nur Teile Ihrer Neuerscheinungen als E-Ausgaben zur Verfügung, nicht zur Veröffentlichungszeit oder stellen andere Bedingungen der Restriktion.Wikipedianer*innen, die Artikel auf einen neuen Wissensstand bringen wollen, können dadurch nicht zeitnah auf alle verfügbaren Wissensquellen zugreifen. Offizielle Werke, öffentlich in Auftrag gegebene Studien und anonymisierte Gerichtsurteile müssen endlich öffentlich und digital zugänglich werden: Derzeit sind diese Dokumente kaum oder gar nicht zugänglich, obwohl sie mit öffentlichen Geldern finanziert wurden.

Und auch Hürden, die sich aus Teilen des Urheberrechts oder des Datenbankrechts ergeben, sollten die europäischen Gesetzgebenden einreißen.

1⃣ Stand mit den 4⃣ Partnerorganisationen aus dem Bündnis F5⃣ und 1⃣2⃣  Meetups und Talks sowie 7⃣ Sessions  im Hauptprogramm und ♾ viele Gespräche mit den Menschen, die uns auf der re:publica am Stand besucht oder zu unseren Sessions gekommen sind. Das ist der kurze und knackige Rückblick auf die re:publica vom 27. bis 29. Mai 2024. Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Ob es ausführlicher geht? Aber klar!

Der F5 Stand: Coole Menschen, coole Sticker und viel Austausch

Einen Ort für den Austausch zu aktuellen digitalpolitischen Themen mit einem klaren Fokus auf die Frage: Wie können wir gemeinwohlorientiert ein sicheres, freies und offenes Internet für alle gestalten? Das sollte der gemeinsame Stand mit Reporter ohne Grenzen, der Open Knowledge Foundation Deutschland, AlgorithmWatch und der Gesellschaft für Freiheitsrechte bei der re:publica 2024 bieten. Die vier Organisationen bilden mit uns das zivilgesellschaftliche Digital-Bündnis F5. Dass der Plan aufging, haben die vielen Besuche von und Diskussionen mit digitalen Akteur*innen aus Politik und Zivilgesellschaft deutlich gezeigt.

Unsere Sessions: Von KI in der Bildung bis Care-Work für Software

Zum ersten Mal seit 2019 fand die re:publica in diesem Jahr wieder in der Station Berlin statt. Mit dem ehemaligen Postbahnhof in Berlin-Kreuzberg sind besonders viele re:publica Erinnerungen verbunden. Denn seit 2012 hatte das Festival dort stattgefunden.  Auf neun Bühnen, in vier Workshopräumen sowie zwei Lightning-Boxen und im Atrium fand das Hauptprogramm statt. Wikimedia Deutschland war mit sieben Sessions dabei. Alle unsere Sessions im Überblick finden Sie hier

Re:publica verpasst? Zahlreiche Sessions, so auch die Diskussion über europäische Digitialpolitik mit Franziska Heine, wurden per Video oder Audio aufgezeichnet. Zu finden sind sie hier.

Europawahl: Der Digital-O-Mat feiert Geburtstag

Wednesday, 5 June 2024 08:57 UTC

Erstmals konnten Wählende den Digital-O-Mat zur Landtagswahl 2017 in Nordrhein-Westfalen nutzen. Die Menschen in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland konnten damit Abweichungen und Übereinstimmungen zwischen den eigenen Positionen und denen der Parteien überprüfen. Im Gegensatz zum Wahl-O-Mat liegt der Fokus auf Fragen rund um Digitales und Freies Wissen.

Jeder Digital-O-Mat ist anders

Zu welchen Fragen Wählende im jeweiligen Digital-O-Mat die Positionen der Parteien mit den eigenen abgleichen können, hängt von mehreren Faktoren ab: Welche Aspekte rund um Freiheit und Sicherheit im Digitalen, freien Zugang zu Wissen sowie digitale Bildung oder Infrastruktur werden in der kommenden Legislatur wahrscheinlich geregelt – oder sollten aus Sicht der am Wahl-O-Mat beteiligten Organisationen geregelt werden? Und welche Regelungskompetenzen und -bedarfe bestehen auf der Ebene von Ländern, Bund und EU. Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017 haben wir die Parteipositionen zu acht Themen mit Digitalbezug erhoben. Dazu gehörten unter anderem Bildung und offene Lernmaterialien, Sicherheit und digitale Überwachung, freier Internetzugang oder die offene, digitale Nutzung von Daten aus Kommunal- und Landesverwaltungen. Auch 2018 zu den Landtagswahlen in Hessen und Bayern und zur Bundestagswahl 2021 gab es Digital-O-Maten.

Auch vor 2017 hat Wikimedia Deutschland Parteien vor Wahlen zu ihren netzpolitischen Positionen und Vorhaben befragt. 2011 etwa haben wir alle Parteien, die zur Berliner Abgeordnetenhauswahl angetreten sind, mit 30 Fragen rund um offene Verwaltungsdaten, freie Lizenzen, Internetzugang und Open Source Software konfrontiert. Die Antworten konnten Wählende im Wiki nachlesen und so mit den eigenen Positionen abgleichen.

Vor der anstehenden Europawahl in diesem Jahr sind hingegen ganz andere Themen relevant. Mit dem aktuellen Wahl-O-Mat kann man überprüfen, wie es mit den Positionen der Parteien zu Themen wie KI-basierter biometrischer Erfassung von Menschen im öffentlichen Raum, Chatkontrolle, elektronische Identitäten und die Frage, ob Europol künftig Daten mit Unternehmen und nicht-europäischen Drittstaaten austauschen dürfen soll.

„Auf EU-Ebene werden die wichtigsten gesetzlichen Weichenstellungen vorgenommen, die dann auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Gesetzgebung zu digitalen Themen aus Brüssel betrifft ehrenamtliche Projekte wie die Wikipedia ebenso wie den digitalen Alltag von uns allen. Denn auf EU-Ebene werden Gesetze zur Plattformregulierung, zum Umgang mit Gesundheitsdaten oder zur Nutzung sogenannter Künstlicher Intelligenz gemacht.“ Lilli Iliev, Leiterin des Teams Politik und öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland.

Vorgänger des Wahl-O-Mat: Die Wahlprüfsteine

Das Bild zeigt das Cover von Wahlprüfsteinen, die der Deutsche Gewerkschaftsbund zur Bundestagswahl 1987 angefertigt hat. Der Titel lautet: Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Politik für morgen. Foto: Wolf1949, Wahlprüfsteine des DGB 1987 , CC0 1.0

Auch vor 2017 hat Wikimedia Deutschland Parteien vor Wahlen zu ihren netzpolitischen Positionen und Vorhaben befragt. 2011 etwa haben wir alle Parteien, die zur Berliner Abgeordnetenhauswahl angetreten sind, mit 30 Fragen rund um offene Verwaltungsdaten, freie Lizenzen, Internetzugang und Open Source Software konfrontiert. Die Antworten konnten Wählende im Wiki nachlesen und so mit den eigenen Positionen abgleichen.

Sogenannte Wahlprüfsteine haben in Deutschland eine lange Tradition. Interessenverbände haben sie häufig vor Wahlen erstellt, um ihre Mitglieder darüber zu informieren, wie Parteien sich zu Fragen positionieren, die für sie besonders relevant sind. Der Deutsche Geerkschaftsbund (DGB) hat die Wahlprüfsteine bereits in den 50er Jahren eingeführt. Vom Bundesverband für Motorradfahrer über den Deutschen Familien-Verband, den Bund der Steuerzahler bis hin zum Lesben- und Schwulenverband gibt es zahlreiche Interessengruppe, die dieses Instrument genutzt haben, um Wahlempfehlungen für die Mitglieder oder Anhängerschaft zu erstellen.

So kommen die Positionen der Parteien in den Digital-O-Mat

Nach der Auswahl der Themen ging es an die Recherche zu den Positionen der Parteien. Dafür haben die Organisationen, die den Digital-O-Mat gemeinsam entwickelt haben, zunächst bei den Parteien nachgefragt. Und zwar bei denen, deren Einzug in das jeweilige Parlament sicher oder sehr wahrscheinlich war. Wer zunächst nicht geantwortet hat, wurde freundlich erinnert! Die Aussagen zu verschiedenen Themen sollten die Parteien belegen: mit Parteibeschlüssen, vergangenem Abstimmungsbehalten, Wahlprogrammen oder Ähnlichem.

Blieben Antworten ganz aus und konnten wir auch keine Belege für eindeutige Positionen finden, haben wir bei dem jeweiligen Thema eine neutrale Haltung angenommen. Menschen, die den Digital-O-Mat nutzen, können in der Auswertung dann detaillierte Informationen zu den Parteipositionen finden. Der Digital-O-Mat spuckt also nicht nur Ergebnisse aus, er legt auch offen, welche Inhalte dahinter stehen.

Wer hat’s erfunden – und warum?

Über die Jahre haben sich verschiedene Vereine aus der digitalen Zivilgesellschaft als “Koalition Freies Wissen” daran beteiligt, zu verschiedenen Wahlen Digital-O-Maten zu erstellen. Die Ursprungsversion haben neben Wikimedia Deutschland sechs weitere Vereine erarbeitet:

Sie alle verbindet das Engagement für netzpolitische Themen. Sie eint dabei, dass sie sich für die Durchsetzung von Freiheits- und Bürgerrechten im digitalen Raum und für den freien Zugang zu Wissen, Daten und Software einsetzen – mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Mitteln. Wir alle haben uns in unterschiedlicher Form an dem Projekt Digital-O-Mat beteiligt: Mit Zeit, finanzieller Unterstützung, Programmierexpertise und Code sowie mit Input dazu, zu welchen digitalpolitischen Themen die Parteien jeweils nach Positionen gefragt werden sollten – welche Themen aktuell sind und welche uns als Internetnutzende besonders betreffen.

Bei der Auswahl der Themen für den Digital-O-Mat haben die sehr unterschiedlichen Expertisen der Vereine und Bündnisse geholfen, die an dem Projekt beteiligt waren und sind. Sie haben vor den Landtags-, Bundestags-,und Europawahlen analysiert, in welchen Politikfeldern und bei welchen anstehenden Gesetzesvorhaben ein Digitalbezug da ist.

Die Software hat der Datenjournalist Sebastian Vollnhals entwickelt. Sie steht auf GitHub unter freier Lizenz zur Verfügung. Zur Europawahl 2024 hat sich die Ortsgruppe Braunschweig des Vereins Digitalcourage den Code geschnappt, den Digital-O-Mat wiederbelebt und mit Inhalten gefüttert. Der Digital-O-Mat ist damit eins von vielen Digitalprojekten in Deutschland, in dem viel ehrenamtliches Engagement steckt – und das gleichzeitig vielen Menschen nützt.

Wir engagieren uns seit 20 Jahren für die vielen digitalen Ehrenamtlichen, die in der Wikipedia Wissen frei zur Verfügung stellen. Aber auch im politischen Bereich machen wir uns dafür stark, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für alle Freiwilligen im digitalen Raum verbessern. Eine unserer Forderungen lautet zum Beispiel, dass die gemeinwohlorientierte Entwicklung von Software, Apps oder Plattformen auch als gemeinnützig anerkannt werden muss. Mehr zum digitalen Ehrenamt und unserem Engagement dafür lesen Sie hier.

Mehr aus 20 Jahren Engagement für ein besseres Internet

Mit Kaffeefiltern gegen Upload-Filter

Heute vor fünf Jahren war die deutschsprachige Wikipedia für einen Tag nicht nutzbar. Wer in der Online-Enzyklopädie Wissen suchte, fand statt der vertrauten Startseite einen schwarzen Bildschirm und einen Text, der erklärte, warum das so ist. Was das ganze mit Kaffeefiltern und unserer politischen Arbeit zu tun hat, berichten wir heute. Wir werden in diesem Jahr 20. Daher erzählen wir an besonderen Tagen Geschichten aus 20 Jahren Engagement für Freies Wissen und ein besseres Internet.

Digitales Ehrenamt, Freie Inhalte, Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!, Wiki Loves Broadcast

Engagement für freie CC Lizenzen: Terra X Videos in der Wikipedia

Das Ehrenamtlichen-Projekt Wiki Loves Broadcast ist seit Jahren Dreh- und Angelpunkt des Engagements für freie Lizenzierung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Baustein ist die Kooperation mit der Redaktion von Terra X (ZDF). Die Zusammenarbeit wurde bei einem Workshop in Mainz noch einmal vertieft.

Esra und Djenna von Karakaya Talks beim Kick-Off Event

re*shape Programm: „Wir wollen marginalisierte Perspektiven in Deutschland sichtbar machen“

Mit dem Programm re·shape fördert Wikimedia Deutschland zehn Projekte, die dem Wissen von marginalisierten Communitys Raum und Sichtbarkeit geben. Eines der Projekte ist Social Media und Freie Lizenzen von KARAKAYA TALKS. Das Team von KARAKAYA TALKS untersucht gemeinsam mit ihrer Mentorin aus der Wikipedia-Community, wie ihr Content in der Wikipedia Verwendung finden kann.

Weichenstellung für die Wikipedia

Wednesday, 29 May 2024 13:00 UTC

Die rapide Verbreitung von Künstlicher Intelligenz, eine wachsende Flut an Desinformation, zunehmend veränderte Mediennutzung – unsere digitale Welt steht vor großen Herausforderungen. So auch die Wikipedia. Trends wie diese erfordern neue Strategien, um die Online-Enzyklopädie als verlässliche Quelle für Freies Wissen auch für die kommenden Generationen zu erhalten.

Gemeinsam mit Wikipedia-Autor*innen, Wikipedia-Interessierten, Expert*innen, Partner*innen der Vereine Wikimedia Deutschland, Österreich und der Schweiz findet daher vom 7. bis 9. Juni der erste Wikipedia-Zukunftskongress statt. Er bietet Raum für inspirierende Diskussionen, gemeinsames Brainstorming und erste Ansätze, um die Zukunft der Wikipedia aktiv mitzugestalten.

Eröffnungsvortrag vom KI-Pionier

Den Eröffnungsvortrag am Freitag, 7. Juni, hält der deutsche Informatiker und Silicon Valley-Visionär Richard Socher – ein Pionier in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Neuronale Netze und Deep Learning sowie CEO und Gründer von you.com, dem ersten Chat-Suchassistenten.

Der Zukunftskongress ist mit drei Leitfragen überschrieben: Was braucht die Welt von Wikipedia? Wie gestalten wir den technologischen Wandel? Wie verändert sich die Community? Zu all diesen Schwerpunkten gibt es am Samstag, 8. Juni, Vorträge und Podiumsdiskussionen.

Frisst die Wissensrevolution ihre Kinder?

Chris Tedjasukmana, Professor für Alltagsmedien und Digitale Kulturen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, geht unter dem Titel „Unordentliche Wissenspraktiken – Wie verändert sich der Umgang mit Wissen?“ der Frage nach, wie wir unser bestehendes Wissensverständnis durch neue Wissensformen erweitern können.

Und was bedeutet das für die Wikipedia? Wie bleiben ihre Inhalte relevant? Für wen sind sie überhaupt eine wichtige Informationsquelle und für wen nicht (mehr)? Darüber diskutiert Tedjasukmana im Anschluss mit Christian Pentzold (Universität Leipzig & Center for Digital Participation), der langjährigen Wikipedianerin CaroFraTyskland– und Sinthujan Varatharajah, freie*r Wissenschaftler*in und Essayist*in.

Buchdruck, WWW – und dann?

Mit dem Wandel durch KI beschäftigt sich auch Theresa Züger, Leiterin der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Nachwuchsforscher*innengruppe Public Interest AI.

Nach ihrem Vortrag über Chancen für gemeinwohlorientierte Initiativen, KI für sich zu nutzen, ist Züger auch Teilnehmerin des Podiums „Handschrift, Buchdruck, WWW– und was kommt dann?“. In der Diskussion mit Carina Zehetmaier (Präsidentin der Vereinigung „Women in AI“), Hannah Monderkamp (Mitglied der Chefredaktion von Heise Medien), Kurt Jansson (Wikipedianer und Leiter der Dokumentation des Spiegel-Verlags) sowie Franziska Heine (Vorständin von Wikimedia Deutschland) geht es um die Frage: Wie können wir im Zeitalter von Smartphone, Social Media und KI dafür sorgen, dass die Wikipedia-Idee nicht irgendwann so gestrig wirkt wie das gedruckte Lexikon?

Wohin entwickelt sich die Wikipedia-Community?

Alle wollen Communitys aufbauen: Plattformen, Creator*innen, Marken. Welche Lebenszyklen durchlaufen Online-Communitys dabei? Darüber spricht der Kulturwissenschaftler Daniel Sigge anhand seiner Erfahrungen als Community-Manager bei reddit, TikTok, YouTube und Google in seinem Vortrag.

Und wohin entwickelt sich die Wikipedia-Community in der Zukunft? Seit ihrem Start im Jahr 2001 wurden in der deutschsprachigen Wikipedia mehr als 4 Millionen Benutzer-Accounts erstellt. Manche sind dabei geblieben, viele nicht. Ca. 6.000 Wikipedia-Aktive editieren regelmäßig. Einige Gruppen sind bis heute in der Community unterrepräsentiert.

Darüber diskutieren auf dem Panel Daniel Sigge, Jan Krewer (Senior Policy Analyst bei Open Future) DomenikaBo (langjährige Wikipedianerin) und Martin Gerlach (Senior Research Scientist bei der Wikimedia Foundation).

Teile Deine Vision!

Zur Frage, wie sich die Wikipedia weiterentwickeln soll, können alle Interessierten auf der Programmseite des Zukunftskongresses anonym ihre Meinung und Visionen teilen. Die eingegangen Beiträge werden gesammelt und mit nach Nürnberg genommen.

Unter diesem Link geht es zur Anmeldung für die kostenlose Online-Teilnahme am Wikipedia-Zukunftskongress:

https://www.wikimedia.de/zukunftskongress/anmeldung/

Bezahltes Wikipedia-Schreiben in der Belletristik

Monday, 12 September 2022 20:02 UTC

Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den Wind. Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird. Die weniger peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend sind.

Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen Bezugspunkten zu unserer Welt. Und selbst dort kommt Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es geht um „Moon over Soho“ von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen 2012 bringt es der Roman auf den Punkt:

Auf deutsch etwa:

„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz, können etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren. Lady Tys Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem PR-Schreiber verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen PR-Schreiber beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite ihren Vorstellungen entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer „Leute“ hatte eine PR-Agentur beauftragt, die einen Freelancer beschäftigt hatte, der das in einer halben Stunde runtergeschrieben hatte, damit er sich schneller wieder auf den Roman konzentrieren konnte, den er grade schrieb. Der Artikel gab preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu nicht weniger als einem Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder hatten von denen der Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu fahren aber jung genug um noch zu Hause zu wohnen.“

Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus anderen Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich zu stören. Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur den geringsten Mehrwert zu bieten.

Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012 richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der diskutierenden Community im Jahr 2022.

(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)

Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes scheint es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in dem jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen. Mit dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu „verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch raffinierter: Einfach einen etablierten Nutzer und dessen Vertrauensvorschuss nehmen und in dieser Tarnung PR-Edits durchführen.

Die Lyrik der Wikipedia-Auskunft

Monday, 18 July 2022 17:15 UTC

Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr teilhaben.

Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben, räuspere mich noch einmal und deklamiere:

Honda Motorrad,
6-Zylinder,
6 Vergaser,
Blockmotor quer,
luftgekühlt.

Alle Daten fehlen!
Keine Daten vorhanden.
Warum?

Die Frage stammte von einer nicht angemeldeten Person, die am 17. Juli um 16:19h mit der IP 2003:D4:2713:1F50:F120:9BAE:47CF:6C2A unterwegs war.

Beitragsbild: 2016-08-05 Tokaido Seki Juku Kameyama City Mie,東海道五十三次 関宿 DSCF6949☆ von: 松岡明芳 Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Wir waren dieses Jahr mit WikiAhoi wieder bei der SMWCon dabei. Die Konferenz zu Semantic MediaWiki findet zweimal pro Jahr statt, im Frühling in Nordamerika und im Herbst in Europa. Letztes Jahr waren wir schon in Wien dabei und dieses Jahr gings ins herbstlich-sonnige Barcelona. In freundlicher, persönlicher Atmosphäre wurden technische Neuigkeiten, innovative Projekte und besondere Anwendungsfälle besprochen. Wir möchten Sie an den wichtigsten Neuerungen teilhaben lassen.

Neuigkeiten aus der Semantic MediaWiki-Welt

Semantic Forms (Version 3.4 September 2015) hat sich mittlerweile als eigenständige Erweiterung etabliert und ist nun technisch nicht mehr von der Grunderweiterung Semantic MediaWiki abhängig. Weitere wichtige Änderungen:

  • Statt den Spezialattributen werden nun ParserFunctions eingesetzt.
  • Kartenbasierte Eingabeformate (Google Maps, Open Layers) sind nun möglich – diese werden nur eingesetzt, wenn Semantic Maps nicht vorhanden ist.
  • Weiters wird nun Cargo unterstützt, es lassen sich in Formularen auch Eingabeformate und die Autovervollständigungsfunktion aus Cargo nutzen.
  • Dazu kann man nun auch „mapping“-Werte hinterlegen, das sind andere Werte, als auf der Seite angezeigt werden.
  • Ein neuer Parameter erlaubt es, nur einzigartige Werte speichern zu lassen.
  • Alle roten Links können nun mit einer einzelnen Einstellung auf eine Formularauswahlliste weitergeleitet werden.

Die MediaWiki Stakeholder’s Group nahm die Konferenz zum Anlass, um weitere Schritte zu besprechen: Ziel der Gruppe ist die Koordination und die Kommunikation mit Wiki-Nutzern in Unternehmen, die Unterstützung von Entwicklern und Administratoren und die offizielle Kommunikation mit der Wikimedia Foundation. Wikipedia hat etwas andere Ziele als einzelne Drittnutzer der Software MediaWiki. Es geht also stark darum, die Interessen der Nutzer von Wiki in Unternehmen zu vertreten und in der Weiterentwicklung der Software voranzutreiben.

Interessante neue semantische Erweiterungen gibt es zu Breadcrumbs, Zitaten, Sprachenlinks und Metatags:

Und warum „eine Konferenz mit Folgen“? Diese Konferenz hat Folgen auf mehreren Ebenen: Wir haben persönliche Kontakte für Zusammenarbeit und Austausch geknüpft, es wurden Ideen beflügelt und Inspirationen für neue Projekte ausgetauscht, die Motivation wieder gestärkt, das Projekt MediaWiki als Ganzes voranzubringen und nicht zuletzt viele Features und Software-Änderungen besprochen, die in der Regel meist recht schnell umgesetzt werden. Die Konferenz war somit ein voller Erfolg.

Die Konferenz fand von 28.–30.10.2015 in Barcelona statt, in der schönen Fabra i Coats Kunstfabrik im Stadtteil Sant Andreu. Knappe 40 Teilnehmer nahmen an einem Tutorial- und zwei Konferenztagen teil.

WikiPRedia

Tuesday, 23 November 2021 17:31 UTC

Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal, die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema wabert ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch dieses Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg ist noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die Komposition eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum, Cembalo und Spottdrossel.

Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das Nächstbeste: ein Gedicht.

Wikipredia

Die Regeln
existieren und doch nicht
nach Mondstand

Die Ethik
absolut seit Anbeginn
nein denn ja

Die Praxis
gesperrt verworfen gelöscht
freigeschaltet

Wikipredia
Darwinismus der Agenturen
Überleben des Dreistesten

Allein mit der Madonna zum Hasen

Thursday, 30 September 2021 19:49 UTC

Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch Hall)

Wikipedia-KNORKE erwähnte ich ja an dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es etwas besonderes: Auf ins Museum!

In Berlin gastiert gerade die Darmstädter Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim dem Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde des 16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre faszinieren. Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung der Autorin des exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.

Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner Gruppe vor dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden über eine Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna und zur Sonderausstellung "Holbein in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in dessen Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen, sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der besseren Kunstausstellungen.



Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage des Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der Reformation war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und seine Falte. Wir staunten über die Eigentümlichkeit, dass sich niemand auf dem Gemälde eigentlich anschaut und wurden über dden Unterschied zwischen Schutzmantelmadonnen und Stifterbildern aufgeklärt. Vermutungen tauchten auf, wo das Bild wohl im Original hing - vermutlich in der Martinskirche als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis hin zum Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin zum spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth. Die Meinungen über die Sammlung Würth in der Gruppe waren durchaus geteilt, ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist es nun eher die Darmstädter Madonna oder eher die Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?

Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner Madonna und einem der prägenden Momente deutscher Kunstgeschichte: dem Dresdner Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten der Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich für das Darmstädter Gemälde. Eine Sensation,  da die Kunstkennerschaft vorher felsenhaft von der Originalität des Dresdner Gemäldes ausging. Hier zeigte sich erstmals das Bemühen, um eine rein sachlich, objektive Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der Dresdner Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die Kunstwissenschaft als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich später herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem ihren Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die originale der beiden bestätigten.

Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes (beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in das Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".

Hans Holbein der Jüngere: Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze in London, 1532. Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm. Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz

Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die beiden Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren der Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in der Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp einer Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch noch mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich begleitete wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und London. Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt. Nachdem wir dann noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie immer im Bodemuseum nicht ganz einfach und jedes mal findet man zwischendurch neue Säle) folgte noch ein erschöpfter Abschlusskaffee.

Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu entdecken.

Wen wählen in das Board der Wikimedia Foundation?

Friday, 20 August 2021 21:03 UTC

Vorweg, für die Eiligen

Meine Wahlvorschläge

  • Top 4: Douglas Ian Scott, Iván Martínez, Adam Wight, Dariusz Jemielniak
  • Top 8: Rosie Stephenson-Goodknight, Lorenzo Losa, Farah Jack Mustaklem, Gerard Meijssen
  • Wählbar: Reda Kerbouche, Pavan Santhosh Surampudi, Ravishankar Ayyakkannu

Wichtige Links

Vote now für das Wikimedia-Board

Für die nicht so Eiligen

Über den Dächern, Türmen und Gasometern Westberlins senkte sich die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen des Ullstein Castles und sinnierte. Direkt unter mir Straßentreiben, Sirenen, betrunkene Jugendliche, ein Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde Ausflügler überquerten die Stubenrauchbrücke.

In der Ferne betrachtete ich die Türme des Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen Wasserturm im Naturpark Schöneberger Südgelände. Heute Nacht auf dem Heinweg: Welchen Weg sollte ich wählen? Unten, im Süden, über den Prellerweg vorbei am Sommerbad am Insulaner? Die Nordvariante über den Tempelhofer Damm und durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder die Mittelweg, mit Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später über den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.

Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich, unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein einzelnes Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge stellt, richtig ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.

Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit der Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team Tödenhöfer über Volt bis zur Tierschutzpartei. Und so sehr es mich schmerzte das zu sagen: Das Plakatgame gewannen bisher die CDU und ihr Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl optisch – als auch damit, überhaupt inhaltliche Aussagen fern von Plattitüden zu machen.

Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl. Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf Deutsch das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung. Die Wikipedia steht meinem Herzen näher als der Bundestag und selbst als der Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern merh Gedanken. Diese Gedanken bedurften des Kontextes.

Was ist die Wikimedia Foundation?

Die Wikimedia Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik, ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den Wikipedien passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450 Angestellte, ein Endowment von 90 Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen US-Dollar.

Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten. Sie ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere schreiben keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit Artikel oder legen Inhalte in den Projekten an.

Die Foundation ist eine Organisation eigener selbstgenügsamer Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und ist – rechtlich – niemand rechenschaftspflichtig. Das Board besetzt sich prinzipiell aus sich selbst heraus. Es hat entschieden die Hälfte der Sitze Wahlen der weltweiten Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu lassen.

Was ist das Board of Trustees?

Das Board of Trustees ist das ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16 Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben Sitze besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine weltweite Communitywahl bestimmt.

Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und „weltweit / 450 Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar Einnahmen“ klar, dass das Board eine abstrakte Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick über so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe. Dieser Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine bestimmte Richtung zu lenken, eine Herausforderung.

Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß. Seiner Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die Vollzeitkräfte machen und besetzt die Geschäftsführung.

Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die Geschäftsführerin der Foundation Catherine Maher verschwand im April 2021 überraschend. Der Posten ist seitdem unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief Operations Officer im Jahr 2021 verabschiedete, die Abteilungen Communication und Technology auch niemand im Vorstand haben. Auf dem Schiff besetzt nur eine Notbesatzung an Offizier*innen die Brücke. Dem Board obliegt es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell und kompetent zu beenden.

Welche Kriterien habe ich?

Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei Kriterien erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele teilen. Und sie sollte in der Lage sein, sich in einem ehrenamtlichen Job gegen eine komplette Organisation aus Vollzeitangestellten zu behaupten. Oft genug stehen bei solch ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur Wahl, bei denen ich denke „Will Schlechtes, aber wird das erreichen“ und „Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt Chaos.“

Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit, möchte ich Kandidat*innen, die sich durchsetzen können. Kandidat*innen, die nach Möglichkeit die US-Zentrik der Foundation aufbrechen können. Ich möchte Kandidat*innen, die verstehen, dass Wikip/media keine allgemeine Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr spezifische Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt nicht kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine Weltbeglückungsziele zu stürzen, die weder die Foundation noch die Communities umsetzen können.

Wählenswert: Adam Wight. Bild: Recent selfie. Von: Adamw Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Welche Kandidaten?

Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.

Die Urgesteine

Dariusz Jemielniak – Professor of Management, daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.

Rosie Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup, Women in red, you name it. Bei überraschend vielen der Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie Stephenson-Goodknight beteiligt.

Gerard Meijssen – gefühlt war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab. Vielleicht der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein Chaot.

Mike Peel – langjähriges Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC) Hat bei mir in der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck hinterlassen.

Ravishankar Ayyakkannu – Mr. Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005 in der Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero, Google) zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte, weil er nicht nur aus dem Global South stammt, sondern auch Ausbildung und Berufstätigkeit dort durchführte.

Wählenswert: Dariusz Jemielniak Bild: Dr. Dariusz Jemielniak – Wikimedia Foundation Board von: VGrigas (WMF) Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Im Wikiversum aktiv


Reda Kerbouche – Aktiv bei Wikimedia Algeria, Founding member der Wikimedia of Tamazight User Group. Lebt in Europa.


Lorenzo Losa – Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.


Farah Jack Mustaklem
– Software Engineer, einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software. Aktiv bei den Wikimedians of the Levant und der Arabic language User Group. Mir persönlich zu sehr USA-sozialisiert für eine Board-Mitgliedschaft, andererseits sicher in jeder Hinsicht kompetent.

Douglas Ian Scott – Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der Wikimania 2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen Wartepause am Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens persönlich besser kennenlernte – und begeistert war.

Iván Martínez – langjährig engagiert bei Wikimedia Mexiko, LGBTQ+-Aktivist und soweit ich hörte, das Wikiversum Lateinamerika ist begeistert von ihm.

Pavan Santhosh Surampudi – Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich professionell etwas von Communities.

Adam Wight – Programmierer, Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard der Vertreter des Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen Movements.

Vinicius Siqueira – in Wiki Movimento Brasil

Newbies

Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit größeren Organisationen im Wikiversum fehlt vollkommen.

Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur

Wen werde ich wählen?

Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die Grenzen des Wikiversums sinnvoll einschätzen können. Perspektiven auf das Leben, anders aussehen als „in US-NGOs sozialisiert“ werden bevorzugt.

Die Top 4

  • Douglas Ian Scott
  • Iván Martínez
  • Adam Wight
  • Dariusz Jemielniak

Top 8

  • Rosie Stephenson-Goodknight
  • Lorenzo Losa
  • Farah Jack Mustaklem
  • Gerard Meijssen

Wählbar

  • Reda Kerbouche
  • Pavan Santhosh Surampudi
  • Ravishankar Ayyakkannu

Wer wird wählen

Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen zu haben, kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt gesperrt zu sein. Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind somit einfacher zu erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in der deutschen Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021 erfüllt sein. Es hilft nicht, jetzt noch schnell zu editieren.

Das Wahlsystem

Es gilt das Präferenzwahlsystem. Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als besonders fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen weniger als viele andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings nur selten eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl in letzter Zeit war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New York.

Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen nach Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der Kandidat danach eine zwei und so weiter. Hält man keine Kandidatin mehr für geeignet, hört man auf zu nummerieren.

Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen mit „1“ gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten davon. Dieser scheidet aus. Von allen „1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die „2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf die entsprechenden weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis nur noch so viele Kandidatinnen übrig sind, wie es Plätze zu besetzen gilt.

Zur Wahl

Geht es hier.

Beitragsbild: Die Apostel wählen einen zwölften Zeugen als Ersatz für Judas. Aus dem Rabbula-Evangeliar.

Wiki Loves Jules Verne. Mit Wikipedia in Braunschweig.

Tuesday, 17 August 2021 08:28 UTC


Mensch-Maschine Braunschweig


Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am Bahnsteig. 

Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren.  Eine Frau entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken „Also 22 statt der angezeigten 32.“

Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch deutscher?

Illustration aus dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de Neuville & Léon Benett


Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:


„Meine Mutter nannte dann immer eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken, Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt. Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer fanden sich kulturell kaum zurecht.“

Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und Musicaldarsteller?




Forschung Maschinenbau Braunschweig


Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt schlägt mir „Deutscher Ingenieur“ rechts und links um die Ohren. Braunschweig hebt das Thema "autogerechte Stadt" in Höhen, die selbst mir als gebürtigem Hannoveraner unerreichbar schienen.

Braunschweig. Bahnhofsvorplatz.


VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle und wurde prompt begrüßt mit „Tag des Maschinenbaus. Herzlich Willkommen.“



Vor allem aber  fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte  keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle, über die irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel verwunderlicher war, dass selbst die in Braunschweig reichlich vorhandenen 1970er-Großbauten gepflegt und sorgsam hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber, offensichtlicher spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser gepflegt als Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen darum herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie frisch aus der Packung genommen.

Wegbier. In Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber stilgerecht,


Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen gesperrt. Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement eine Rolle, sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.

Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch schon ins Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7 Geräte) nachlesend, wie das nun ist mit Braunschweig. Bekanntes taucht beim Nachlesen auf: Die physikalische-technische Bundesanstalt mit der Atomuhr; geahntes lese ich (Volkswagen – hey, das ist Niedersachsen und die Technische Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:

„Im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verfügt die Region Braunschweig über die höchste Wissenschaftlerdichte,[103] im bundesweiten Vergleich über eine hohe Ingenieurquote[104] sowie über die höchste Intensität auf dem Gebiet der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie 20.000 Beschäftigte in 250 Unternehmen der Hochtechnologie[106]“

Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren EU-Rangliste ist Braunschweig  die innovationsfreudigste Region der EU vor Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der deutsche Ingenieur. Hier lebt die deutsche Technik. Was für ein passender Ort für Jules Verne.


Jules Verne


Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts und vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller wie Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von der Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der Erde bekannt. Wikipedia und die Deutsche Jules-Verne-Gesellschaft hatten ein gemeinsames Wochenende organisiert mit einer Tagung zu Jules Verne und Gesprächen zu Wikipedia.

Volker Dehs bestreitet das halbe Programm


Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den 1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen blau eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so anders war als die großen mir bekannten Abenteuerromane von Jules Verne. Warum ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich hätte nur schwerlich begründen können, was genau mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in die Veranstalter, Science Fiction und Neugier auf diese andere niedersächsische Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.

Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt er als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans, Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene Bibliographen waren Thema und Anwesend, ebenso wie die phantastische Bibliothek in Wetzlar – die Mischung der Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich gar nicht so sehr von der Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die Perspektiven, aus denen Verne hier unter die Lupe genommen wurden, waren vielgestaltiger als sie es in der Literatur sonst sind. Faszinierend hier war die Neigung unterschiedlicher und leicht besessener Menschen sich zu einem Thema auseinanderzusetzen.

Haus der Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.



Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen Büchern durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein, während auf Verne eher zurückgeht, dass alles menschliche Streben gegenüber der göttlichen Macht sinnlos bleibt? Wen inspirierte er? Ist es eine sinnvolle Frage, dem nachzugehen, welche seiner Voraussagen, sich bewahrheiten? Dazu kamen dann noch Exkursionen zu Friedrich Gerstäcker, Fenimore Cooper, die Ingenieure, die ihre U-Boote dann nach Jules Verne „Nautilus“ nannten – und stark von diesem beeinflusst waren

Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie die Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent werden wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken beeinflusste. Romancier war er eher gezwungenermaßen – und verdiente mit seinen zwei erfolgreichen Theaterstücken in seinem Leben ein Viertel so viel Geld wie mit etwa 80 bis 100 Romanen.

Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman "der Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was niemand der Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine Dreiviertelstunde später kam die Bemerkung in einem anderen Zusammenhang, dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes einziges Buch mit einer weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen Zusammenhang, Update: Es kam wie es kommen musst. Da denke ich mal, ich habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas falsch verstanden. Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht das einzige Werk mit einer Protagonistin. Das prägnanteste Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr. (*Affiliate Links)

Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von Vernes Werk gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört, sondern es (fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo Verne Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet, dienen diese vor allem dem Zweck zu reisen.

Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen Strahl.

Die Phantastische Bibliothek


Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur mittelbar mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen Bibliothek Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le Blanc auf Wolfgang Thadewald. Den großen Phantastik- und Jules-Verne-Sammler. Thadewald verstarb 2014. Er lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner Sammlertätigkeit, seiner Liebe zu Büchern und zu Menschen, aber auch die Besessenheit mit der Thadewald an ein Thema heranging und auch von Krankheit schon schwer gekennzeichnet das Arbeiten an Bibliographien nicht lassen konnte – es ließ sich nicht anders beschreiben als bewegend. Sicher war dieser Vortrag mein emotionaler Vortrag des Programms.

Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen: Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die Berichte  werden manchmal von öffentlichen Stellen, öfter von Großunternehmen bestellt, die damit selber zukunftsfähig werden wollen und in die Zukunft denken.

So als Beispiel: Nanotechnische Ideen in der Science Fiction



Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.

Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die größte Bibliothek ihrer Art im Hintergrund und seit mittlerweile einigen Jahren eine große Datenbank aufgebaut, was Autoren zu verschiedenen Themen schreiben.

Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich durch gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen Büchern im Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen muss, dass ein Roman nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass es nichts gibt, was so sehr Denkprozesse auslösen und Kreativität triggern kann, wie Romane. Der befreit das Hirn gerade vom strikt logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die Perspektive etwas nach links oder oben, und schon öffnen sich vollkommen neue Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es überraschend ist, dass sie wirklich angenommen wird. Anscheinend wird sie das.


Mensch Maschine Normal


Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste Handy-Ticket meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder. Ist diese Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so unfassbar „normal“ vorkommt, vielleicht die große Ausnahme? Sind die Musicaldarsteller, die mit „dem Alex“ [Alexander Klaws] telefonieren, normal? Die Menschen im Ministerium? Die größten Jules-Verne-Experten des Landes, die alle noch einen anderen Brotjob haben? Oder eher die Normalität vieler Menschen, die darin besteht, am Ende des Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10 Tage mit dem leeren Konto noch überbrückt werden können?





Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.

Weiterlesen


Mit Wikipedianern kann man nicht nur Verne lesen, sondern auch Cocktails mischen: Ramos Gin Fizz für die Enzyklopädie.

Oder man läuft mit Wikipedianern durch den Wedding:Tanz auf dem Guglhupf, Automatenmaden und die „brutalism appreciation society“ im #wedding

Mehr zu Future Life bei der phantastischen Bibliothek: Future Life. 

Zum Jules-Verne-Club

Die Wikipedia-Seiten zur Veranstaltung: Wikipedia:Wiki Loves Jules Verne

Beiträge zur Veranstaltung im Wikipedia-Kurier und im Blog von Wikimedia Deutschland.

Der grüne Strahl im Gesamttext bei zeno.org: Der grüne Strahl

Alle Iberty-Posts zur Kultur stehen unter: Kultur in Iberty!

Anmerkungen


Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:

„Nichts gegen das große Geld und die wenigen, die es genießen können, aber die Stärke mitteleuropäischer Gesellschaften liegt gerade in der Mischung. Für Reiche ist es in Singapur, Russland und Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping Malls gibt es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter Wasser und auf dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und Dunkle, Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und drängeln, gibt es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich, dass es in Algerien beispielsweise keine öffentlichen Schwimmbäder gibt oder dass man in den USA oder in Brasilien Mitglied in einem Club werden muss. Das ist eine teure und in vieler Hinsicht sozial sehr voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur um mit den Kindern mal schwimmen zu gehen, es sei denn natürlich, jeder hat seinen eigenen Pool im Garten, was, für mich zumindest, wie eine Definition von struktureller Langeweile klingt.“ (s. 104)


 

*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision, wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten bestellt.


Berlin celebrates old school #wikipedia15

Tuesday, 17 August 2021 08:13 UTC

I still remember the time when real life meetings for Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one really want to meet these strange other people from the Internet? How would they be? Could they even talk in real life or would they just sit behind a laptop screen staring on it for hours?

My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!) sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen. These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and personal in nature and no talk about projects, collaborations, “the movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians having a nice evening.

WP15 Germany Berlin 01
Bild: By Sargoth, CC BY-SA 3.0

So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the old school way. Half improvised, organized by our dearest local troll user:Schlesinger on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come and what would happen except some people having a good time.

And so It was. In the “Matzbach” in the heart of Berlin-Kreuzberg seven people promised to come, in the end we were almost twenty. Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians, a Wikipedian active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies and two and a half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from Wikimedia Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake, and we just talked and laughed, talked about history and future.  Actually, mostly we talked about future.

WP15 Germany Berlin 03
Bild: By Sargoth, CC BY-SA 3.0

About the Wikipedian above 30, who has just started a new a university degree in archaeology, the question whether the Berlin community should have its own independent space, industrial beer, craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the vending machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in the future, who should come to the open editing events, how to work better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t there, looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or rather not when planning something for Wikipedians, explaining Wikipedia to the newbie, the difficulties of cake-cutting and whatsoever.

No frustration, almost no talk about meta and politics, just Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old school. So good.

WP15 Berlin Torte angeschnitten

Die Verschwundenen

Tuesday, 17 August 2021 08:13 UTC

Crossposting eines Posts von mir aus dem Wikipedia Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja doch andere Menschen.

Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren und Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen sind und gearbeitet haben.

Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren. Wie armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka Wikifanten - fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die entschwanden. Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es um lauter einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben, Arbeitsstilen und Interessen geht, die in Wikipedia tätig waren und sind. Es gibt vor allem diejenigen, die kommen, einen Beitrag leisten und dann wieder verschwinden. Der größte Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von Menschen und Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im Artikelnamensraum aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie unermütlich über viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an einen oder zwei Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass sich fast nichts über sie sagen lässt. Vielleicht sind die Beitragenden per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr fleißige Autorin? Wer weiß?


 Viele Wikipedianerinnen und Wikipedianer sind derzeit inaktiv.

Anlässlich des Projektes WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat, musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir unbekannter Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten Wikipedistas waren dort vor allem mir unbekannte Accounts. Accounts, die oft aufgehört haben zu editieren. Meist sind sie still und leise gegangen. Ihre Edits und Kommentare geben keinen Hinweis warum. Aber anscheinend war es anderswo schöner. Oder sie hatten den Einruck, alles in Wikipedia geschrieben zu haben, was sie beitragen wollten. Um diesen Autorinnen und Autoren zumindest nachträglich etwas Aufmerksamkeit zu geben, um ihre Namen kurz aus den Tiefen der Versionsgeschichten zu retten, sollen hier einfach einige Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt werden, die sich um den Wedding in Wikpedia bemühten bevor sie verschwanden.



Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße. Ein Mammutwerk von Gtelloke, dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.


Bild: Die Chausseestraße 114-118 in Richtung Invalidenstraße von Gtelloke
Lizenz: CC-BY-SA 3.0



Da ist der Artikel zum Wedding selber. Angelegt 2002 von Otto, dessen letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und Schlafgängern waren Teil seines kurzen Werks, das im Wesentlichen nur zwei Wochen im November 2004 dauerte, aber die Grundlagen wichtiger Artikel zur Berliner Sozialgeschichte legte. Ein Blick auf seine Benutzerseite zeigt auch den Geist der Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König ist tod, lang lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes! Licht und Liebe''

Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64, auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier, mal die Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort, Hinzufügen und Löschen von berühmten Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute noch aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen Artikel etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.

Der Leopoldplatz; angelegt von Frerix, der in den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie auch nur eine Benutzerseite für nötig hielt und anscheinend auch in keine Diskussion verwickelt wurde.  Zu seinen wenigen Beiträgen gehören neben der Anlage des Leopoldplatzes auch noch die Anlage der englischen Stadt Sandhurst, die Anlage des Kreuzviertels in Münster und des Three Horses Biers. Dann war er/sie wieder weg. Mutter des Artikels ist hier aber 44Pinguine, die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute noch aktiv ist.

Da wäre das Wahrzeichen des Weddings. Die Alte Nazarethkirche. Der Artikel stammt vor allem von 62.246.210.30.


Bild: Leopoldplatz, Ev. Alte Nazarethkirche, 1832–35 von Karl Friedrich Schinkel von Schliwiju

Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so entscheidend wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte in seiner Frühzeit von WHell, engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ. Der letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo WHell, ich möchte Dich als den Hauptautor darüber informieren, dass ich den Artikel John Bull (Lokomotive) in die Wiederwahl zum Exzellenten Artikel gestellt habe,“ Größere Beiträge zur WEG folgten in den späteren Jahren durch Peterobst – aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit Beiträgen zur Berliner Industriegeschichte, nach seiner Benutzerseite AEG-Kenner und in Arbeit an einem Buch über den Konzern. Es folgten 80.226.238.197, von Georg Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht unregelmäßig), Flibbertigibbet 2006 , 79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen 44Pinguine. Weiter ausgebaut von Onkel Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben !“ und hielt sich im Wesentlichen daran.

Da ist der Volkspark Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005, aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich ausgebaut, umfassend überarbeitet 2007 von 84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka. Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009 und 2014, die Edits waren wenige, aber die Qualität war hoch.


Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in Berlin, Wedding (Mitte). Von: Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv, Magadan, Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.

Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen. Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts und IPs an den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren deutlich weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in den von mir angesehenen Artikeln verteilen sich auf 44Pinguine,  Fridolin freudenfett und Definitiv. Wikipedia wird kleiner und noch lebt sie. Aber wir können all‘ den Verschwundenen danken, die vor uns kamen.

Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder über Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad auch der serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt übernommen haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer Meinung sind, rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.

Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon zumindest ein Admin gebannt.

Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht; oder genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil Polen einen Genozid an Deutschen verübt hätten.

Der ganze Bericht kann hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es geht aufklären und nicht Propaganda verbreiten!

IeS: Blog ist zurück

Friday, 16 April 2021 21:38 UTC

Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen, sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir Glück 🙂.

Wahl: Oversighter-Wahlen

Friday, 16 April 2021 21:11 UTC

Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche: Viel Erfolg!

Gab es in der DDR Spaghetti?

Friday, 26 March 2021 09:39 UTC

Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die Seite zur Auskunft. Dort können Menschen mögliche und unmögliche Fragen stellen, die dann mal launisch, mal larmoyant, mal ernsthaft oder auch gar nicht beantwortet werden. Wie im wahren Leben und eine ewige Fundgrube obskuren Wissens, seltsamer Fragestellungen und logischen Extremsports.

Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad (1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo: 102.



Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:

 "Warum gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und ist mir auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden Verwandtschaft bestätigt worden. Warum?"

Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige Diskussion, die immerhin folgendes ergab:

* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli, darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR ähnelte in vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als dies für die westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die mangelnde Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter, Italienreisen, Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce Carbonara!


Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild: Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von: Brian Ammon, Lizenz: CC-BY-SA 3.0
 
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti, Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika des geteilten Deutschlands.

Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber? Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?

Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die dortige Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das heimische "Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des Badischen Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in Karlsruhe, kennt sowohl Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt für heute: die Makkaroni werden in "halbfingerlange Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30 Minuten gekocht.

Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden erklärt als "Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte. Beim Einkauf achte man darauf, daß sie nicht hohl sind"

Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.

Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren "Macronen" waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden in Prag und Wien echte Makkaroni-Fabriken.

Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours für junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und klassische europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf der Tour aber anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen kennenlernten, sondern auch Pasta.

Philip Dawe, The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade (1773) - 02
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild: Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade, 1773.

In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow who dressed and even spoke in an outlandishly affected and epicene manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch: "Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl auch die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.

Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen Männern ist nun wiederum im Englischen der Macaroni penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.


Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil, nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South Georgia von Liam Quinn, Lizenz: CC-BY-SA 2.0

Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit wann? Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert. Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich relativ problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende ’ngegno da maccarun anschließen lies, die es den Neapolitanern ersparte stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu kneten: im Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer, je nach Form des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und damit unter anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen Fäden zum trocknen in die süditalienische Sonne gehängt.


Sommer, Giorgio (1834-1914) - n. 6204 - Napoli - Fabbrica di maccheroni
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild: Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo: 6204. 


Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum die Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die Tomatensauce in der Schweiz ließen? Warum gibt es in Deutschland kein Äquivalent zu "Macaroni and cheese" (mehr)? Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der DDR, bei dem es Pasta, Sauce und Käse schon in einer Packung gab? Warum sind Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in vielen anderen Ländern aber dicker und hörnchenförmig-gebogen? Es ist hochspannend. Und ein Grund, noch viel mehr zu recherchieren.

Weiterlesen

Eine Investigation: Es gibt kein Mirácoli Carbonara mehr.

Coolest Wikipedia Tool 2020: Pywikibot

Thursday, 7 January 2021 17:31 UTC

Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die besten Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken. Eines davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.

Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger vereisen ließ.

Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener, Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen gezeichnet. Der Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht blies, trieb die Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles war geschlossen und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht mehr sehen. Über der Szene kreiste ein hungriger Taubenschwarm.

„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ Hüpfburg. „So viel Platz! Fast das ganze Hafengelände gehört uns. Und wir können uns problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“ – Sie antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt. Ich bibbere. Das letzte Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im Rozbrat mit meiner ehemaligen Band aufgetreten: „Pierdzące Zakonnice“.

Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu erfrieren.

Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es nur scheißkalt. Ich gehe.“

Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an ein Video erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte: „Wikimedia Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ Hüpfburg für die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern, postete ich ihr den Link.

Southgeist: https://www.youtube.com/watch?v=zYM4k_LD_9w – Tools sind doch was für Dich

Hüpfburg: click

Hüpfburg: Das ist Wikipedia. Was soll ich damit?

Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen. Fast nur Technik und kreative Sachen.


Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll gehen?

Southgeist: Schau doch mal.

Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang Berliner Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine Lautsprecher wären kaputt.

Hüpfburg: I like the music.

Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.

Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia schauen? In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen Priester vom Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage mir lieber, was für Tools vorkommen.

Die coolest Tools

Ich erzählte.

Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser (Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“), SDZeroBot generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder Benutzer noch ihre Seiten“), Proofread Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch spießiger?“), Listen to Wikipedia („Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei Wikipedianer kommen und einander heiraten wollen, werde ich das Tool in den Event integrieren“), AbuseFilter („Zu sehr Polizei“), LinguaLibre („I like“), und Pywikibot – ein Tool zum Erstellen weiterer Tools. („Das klingt spannend – erzähle mir mehr.“)

Pywikibot

Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit überschaubarem Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an einem der bereits auf dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen. Die Bots können prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von MediaWiki-Wikis auch können – nur schneller.

Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich bedeutet: jemensch muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das dauert länger als ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel, wo es eine hohe Zahl gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben ist das wenig – zum Anpassen von Formalien ist es super. Und dazwischen liegt ein Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht alles ist erlaubt – und um die Kontrolle zu wahren, hat der Pywikibot einen automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot absichtlich ausbremst.

Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus dem Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die aktuelle Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die Community, die sich um das Framework kümmert, hat eine dreistellige Zahl von Mitgliedern und ist so international, wie es die frühe Wikipedia war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus würde ich auch sagen, was Charaktertypen und Soziodemographie angeht, ist die Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der Ur-Wikipedia als die heutigen Wikipedistas.

DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese Tool-Awards sind solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework gibt es seit fast 20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast 15 Jahren. Ist der Award so langsam oder gibt es so wenig Neues?“

Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden. Wie bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft aber nur selten fundamental Neues.

Change Musiker to Musiker*innen

„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video nach zu urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine wichtige Aufgabe erfüllt.

DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot alle ‚Musiker‘ in Wikipedia durch ‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene Hindernisse. Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“

DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch, würde sie einen beigen Pullunder über weißem Hemd tragen und Leserbriefe an die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber ich kann mein eigenes Wiki aufsetzen und da noch Herzenslust alles bot-mäßig umbauen?“

Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel zu tun und die sind superfreundlich dort.“

DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in Wikidata! Das wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der Kutsche, die dann doch nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends spielten wir Mozart. Da haben die Squatter angefangen mit Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter dem Gong geduckt und ich ein Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich noch an den einen Tänzer, der allein Stand und Luft-Küchenmaschine gespielt hat. Ein Arm angwickelt am Körper als würde er die Maschine an sich drücken, mit dem anderen weit ausholende Bewegungen, um dann auf dem Einschaltknopf zu laden.“

„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock versetzt und die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir alle Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris, Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer Studentinnen“ sagte mal eine Professorin. Kasia wäre fast dieses Jahr in der Philharmonie aufgetreten. Aber Deine komische Wikipedia hat immer noch keinen Artikel von ihr.“

Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“

Ruhe. Hüpfburg dachte.

„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle Personen auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in Wikipedia anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das müsste doch gehen. Vielleicht ist es einen Versuch wert.“

(Beitragsbild: Brødmaskin med striper i mange farger von: Øyvind Holmstad Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International