Der Wikimedia Accelerator UNLOCK geht in die dritte
Runde! In diesem Jahr hat sich Wikimedia Deutschland mit Wikimedia Serbien und Impact Hub Belgrad
zusammengetan, um das Programm gemeinsam zu gestalten und
umzusetzen. Gemeinsam rufen wir Entwickler*innen,
Sozialunternehmer*innen und Kreative aus der DACH-Region sowie den
Westbalkan-Communitys (inkl. den Ländern Albanien,
Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und
Serbien) auf sich zu bewerben!
Was die Teilnehmenden erwartet?
1 Wir helfen euch, Dinge in Bewegung zu
setzen
Ihr habt eine tolle Idee im Kopf und wollt sie endlich in die
Tat umsetzen? UNLOCK ist ein ergebnisorientiertes Programm, das auf
die spezifischen Bedürfnisse eures Projekts eingeht. In einem
viermonatigen, strukturierten Online-Programm erhaltet ihr
professionelles Coaching, Zugang zu und Beratung durch Expert*innen
und bei Bedarf finanzielle Unterstützung in Form eines
Stipendiums. Zum Ende des Programms werdet ihr einen voll
funktionsfähigen, getesteten und validierten Prototyp oder ein
Minimum Viable Product (MVP) entwickelt haben –
garantiert!
2 Dies ist eure Chance, Teil einer Community zu
sein
Wir bei UNLOCK glauben, dass wir gemeinsam stärker sind.
Deshalb fördern wir den Austausch unter den Teilnehmenden und
die aktive Zusammenarbeit über die Projektarbeit hinweg. Die
Anzahl der Teams, die am UNLOCK Accelerator teilnehmen, halten wir
bewusst klein. In diesem familiären Rahmen ist der Aufbau von
Vertrauen und Beziehungen untereinander leichter zu
bewerkstelligen. In regelmäßigen
projektübergreifenden Momenten der Reflexion und des
Austauschs habt ihr die Möglichkeit, von Ihren Peers zu
lernen, Kenntnisse auszutauschen, euch gegenseitig zu motivieren
und Synergien zu schaffen, an die ihr bisher vielleicht noch gar
nicht gedacht habt!
3 Gemeinsam gestalten wir unsere Gesellschaft nachhaltig
mit
Ihr seid nicht auf schnellen Profit aus, sondern wollt die Dinge
zum Besseren verändern? Ihr glaubt, dass der Zugang zu Freiem
Wissen für eine zukunftsfähige Gesellschaft
unerlässlich ist? Bei UNLOCK sind wir auf der Suche nach eurer
Projektidee, die soziale und technische Hürden abbaut, damit
mehr Menschen am Wissen teilhaben, es nutzen und mehren können
– Projekte, die Wissensgerechtigkeit schaffen. Lasst uns
Vorurteile, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten bekämpfen und
eine diversere und gerechtere Wissensgesellschaft für alle
schaffen!
Bewerbungsschluss ist der 29. Mai. Wir freuen uns, von eurer
großartigen Idee zu hören!
Die Programmsprache ist Englisch. Weitere Details über das
Programm und die Teilnahmebedingungen findet ihr auf unserer
UNLOCK-Website: https://www.wikimedia.de/unlock/
Der gemeinnützige Verein Wikimedia Deutschland hat ein
neues Präsidium. Als Vorsitzende des 8. Präsidiums haben
die Mitglieder auf der 27. Mitgliederversammlung Alice Wiegand
gewählt. Als Schatzmeister wurde Daniel Reisener
wiedergewählt. Beisitzer*innen sind Nora Circosta, Christina
Dinar, Valerie Mocker, Jens Ohlig und Kamran Salimi.
„Aus Diversität und Expertise das Beste holen,
Menschen und Positionen zueinander bringen, den Vorstand kritisch
begleiten. Das möchte ich als Vorsitzende im Präsidium
umsetzen. Unsere Communitys im Fokus behalten und unser
internationales Engagement ausbauen. Dafür möchte ich
mich stark machen”, sagt Alice Wiegand, Vorsitzende des
Präsidiums von Wikimedia Deutschland.
„Ich gratuliere Alice Wiegand zum Vorsitz und freue mich
auf die gemeinsame weitere Zusammenarbeit. Aufgrund ihrer
langjährigen Erfahrung als Teil des Präsidiums und der
Wikimedia Bewegung weiß Alice, welche Herausforderungen auf
sie warten und wie diese zu meistern sind”, sagt Dr.
Christian Humborg, Geschäftsführender Vorstand von
Wikimedia Deutschland.
Das Präsidium wird für eine Amtszeit von zwei Jahren
gewählt. Die 27. Mitgliederversammlung fand hybrid in Berlin
sowie digital per Live-Stream statt. Weitere Infos zum
Präsidium im Anhang.
Werterahmen für Wikimedia Deutschland
Beteiligung, Diversität, freier und offener Zugang,
Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, respektvolle Zusammenarbeit –
machen Wikimedia Deutschland im Kern aus. Diese Werte bilden den
Werterahmen, der von
den Mitgliedern auf der 27. Mitgliederversammlung beschlossen
wurde. Der Werterahmen soll dem Präsidium, Vorstand und
Mitarbeitenden als Grundlage für strategische Entscheidungen,
in der programmatischen Ausrichtung und bei der Abwägung
schwieriger Fragen dienen.
Als Verein orientieren wir uns an diesen Werten in der
Zusammenarbeit mit der Wikimedia-Bewegung, Communitys,
Partner*innen und Interessierten. Indem der Verein diese Werte in
der täglichen Arbeit lebt, setzt sich Wikimedia Deutschland
für Menschenrechte in einer digitalen Welt ein. Alle, die
diese Werte teilen, sind willkommen in unserem Verein.
Der Werterahmen wurde zwischen September 2021 und März 2022
gemeinsam mit Vereinsmitgliedern, Präsidium, Vorstand,
Mitarbeitenden und einigen Mitgliedern der Communitys entwickelt.
Grundlage sind Werte, die seit Jahren im Verein gelebt werden sowie
die jüngsten Entwicklungen der Movement
Strategy des globalen Wikimedia-Movements.
Das 8. Präsidium von Wikimedia e. V.
Alice Wiegand – Vorsitzende
Alice Wiegand ist Fachreferentin für Digitalisierung,
Statistik und Wahlen bei der Landeshauptstadt Düsseldorf. Seit
2004 ist sie Wikimedia-Aktive und war zuvor 2. stellvertretende
Vorsitzende des Präsidiums von 2020 bis 2022 und bereits in
den Jahren 2008 bis 2011 Teil des Präsidiums. Darüber
hinaus war sie sechs Jahre lang Mitglied des Präsidiums der
Wikimedia Foundation und wirkte in dieser Zeit an der gemeinsamen
Strategie der Wikimedia-Bewegung mit.
„Aus Diversität und Expertise das Beste holen,
Menschen und Positionen zueinander bringen, den Vorstand kritisch
begleiten. Das möchte ich als Vorsitzende im Präsidium
umsetzen. Unsere Communitys im Fokus behalten und unser
internationales Engagement ausbauen. Dafür möchte ich
mich stark machen.“
Daniel Reisener, Schatzmeister
Daniel Reisener ist Diplom-Finanzwirt und berät als
Steuerberater schwerpunktmäßig gemeinnützige
Gesellschaften. Er ist bereits seit 2018 Schatzmeister im
Präsidium von Wikimedia Deutschland.
„Als auf Non-Profit-Gesellschaften spezialisierter Partner
in einer großen Steuerberatungs- und
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und als aktueller
Schatzmeister möchte ich in der nächsten Amtszeit
weiterhin mit dem Präsidium und dem Vorstand an
größeren Projekten arbeiten sowie den Verein weiter als
politischen Player und starken Partner für die Communitys
etablieren.“
Nora Circosta, Beisitzerin
Nora Circosta ist im Co-Vorstand von Change.org e.V. und war
zuvor mehrere Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit
tätig.
„Ich möchte mich dafür einsetzen, dass der
Zugang zu Freiem Wissen für alle Menschen möglich ist und
alle zum Wissen der Welt beitragen können.“
Christina Dinar, Beisitzerin
Christina Dinar ist stellvertretende Leiterin des Centre for
Internet and Human Rights und forscht zum Thema Meinungsfreiheit im
Netz. Dinar ist bereits seit 2020 Teil des Präsidiums und war
von 2013 bis 2015 hauptamtlich bei Wikimedia Deutschland im
Community-Bereich tätig.
„Ich möchte in meiner zweiten Amtszeit dafür
eintreten, dass digital-streetwork-Ansätze einen Platz in der
Community-Arbeit finden, Ansätze wissenschaftlicher Forschung
rund um die Wikipedia mehr beachtet werden und Wikimedia in einer
Internetwelt, in der freie Zugänge zunehmend verschwinden,
seiner demokratischen und menschenrechtlichen digitalen
Verantwortung gerecht wird.”
Valerie Mocker, Beisitzerin
Valerie Mocker finanziert und unterstützt
gemeinwohlorientierte Digitalisierung, zuletzt als Direktorin bei
der britischen Innovationsstiftung Nesta. Mocker ist seit 2020 Teil
des Präsidiums.
„Als Digital-Unternehmerin und Tech-for-Good-Investorin
mit Fokus auf gemeinwohlorientierte Digitalisierung möchte ich
mithelfen, den Zugang zu freiem Wissen und dem Wikiversum zu
schützen und zu stärken.”
Jens Ohlig, Beisitzer
Jens Ohlig ist Journalist und Software-Entwickler und war von
2012 bis 2020 als Mitarbeiter von Wikimedia Deutschland beim Start
von Wikidata dabei und war am Aufbau des Projektes beteiligt.
„Freies Wissen ist mir eine Herzensangelegenheit. Ein
offenes und freies Internet und der unbeschränkte Zugang zu
allem, was uns dabei hilft zu verstehen, wie die Welt
zusammenhängt, treiben mich seit mehreren Jahrzehnten
an.“
Kamran Salimi, Beisitzer
Kamran Salimi arbeitet im Gesundheitswesen und beschäftigt
sich seit mehreren Jahren mit demokratischen und partizipativen
Initiativen.
„Steinmeier sagte bei seiner Wiederwahl zum
Bundespräsidenten im Februar 2022: ‚Jeder und jede, die
sich engagiert ‐ im Beruf oder im Ehrenamt, im Gemeinderat
oder im Verein ‐ der kämpft den Kampf um die Zukunft der
Demokratie!‘ Dem ist nichts hinzufügen.“
In diesem Ausschuss werden internationale Regeln zum
Urheberrecht diskutiert und Vorschläge erarbeitet, über
die dann in der Generalversammlung der WIPO abgestimmt wird.
NGOs können als sogenannte Beobachterorganisationen an den
Sitzungen des Ausschusses teilnehmen und Erklärungen abgeben,
sind aber nicht stimmberechtigt.
Die Entscheidung kam nicht völlig überraschend. China
hatte bereits 2020 und 2021 ein Veto gegen
die Akkreditierung der Wikimedia Foundation bei der
WIPO-Generalversammlung eingelegt. Jetzt sprach sich die
Volksrepublik auch gegen eine Anerkennung der unabhängigen
Wikimedia-Chapter aus Deutschland, Frankreich, Italien, Mexiko,
Schweden und der Schweiz aus. Da die WIPO ihre Entscheidungen in
aller Regel im Konsensverfahren trifft, genügte Chinas
Gegenstimme für eine Blockade.
Keine Grundlage für Zurückweisung
Nachvollziehbare Gründe für die Zurückweisung
gibt es nicht. Das Sekretariat hat die Vollständigkeit der
Bewerbungsunterlagen bestätigt. Alle Wikimedia-Chapter bringen
sich nachweisbar produktiv in ihren jeweiligen Ländern in
Debatten über urheberrechtliche Themen ein.
Darüber hinaus hat das Urheberrecht erheblichen Einfluss
darauf, wie Inhalte in der Wikipedia, auf Wikimedia Commons und
Wikidata genutzt werden können. Ohne Beobachterstatus wird den
Communitys dieser Projekte eine Stimme in diesem wichtigen
internationalen Forum verwehrt.
Chinas Alleingang
Wie schon im Fall der Wikimedia Foundation war China auch
diesmal der einzige Staat, der explizit Einwand gegen eine
Anerkennung der Wikimedia-Chapter erhob. Allerdings pochten eine
Reihe weiterer Staaten auf die Einhaltung des Konsensprinzips und
sprachen sich so indirekt gegen eine Anerkennung der
Wikimedia-Vereine aus, darunter Bolivien, Iran, Nicaragua, Russland
und Venezuela.
China beschuldigte die Wikimedia-Chapter wie auch die Wikimedia
Foundation, über die Wikimedia-Projekte Desinformationen zu
verbreiten, die im Widerspruch zur Ein-China-Politik stehen.
Diese Begründung ist sachlich falsch: Weder die Wikimedia
Foundation noch Chapter nehmen Einfluss auf die Inhalte der
Wikipedia oder anderer Wikimedia-Projekte.
Es ist offensichtlich, dass die freie Enzyklopädie der
chinesischen Regierung ein Dorn im Auge ist. Alle Sprachversionen
der Wikipedia sind seit 2019 in China
gesperrt.
Die Bundesregierung muss mehr tun
Besonders ärgerlich: Wie schon bei den Bewerbungen der
Wikimedia Foundation in den letzten beiden Jahren scheitert die
Akkreditierung der Wikimedia-Chapter an der Blockadehaltung eines
einzelnen Mitgliedstaats. Dabei sieht die Geschäftsordnung der
WIPO nicht einmal vor, dass bei solchen Entscheidungen
Einstimmigkeit herrschen muss. Auch eine Abstimmung wäre
möglich. Dann würde eine einfache Mehrheit für eine
Akkreditierung genügen.
Hier ist auch die Bundesregierung gefragt. Zwar unterstütze
die deutsche Delegation die Bewerbung von Wikimedia Deutschland
eindringlich, doch kommt es jetzt auf eine mutige Reaktion an.
Bleibt Chinas Einwand unangefochten, bedeutet das für die
Zukunft nichts Gutes: Auch andere Mitgliedstaaten werden nun
unliebsame zivilgesellschaftliche Organisationen einfach blockieren
können.
Ein Ende ist nicht in Sicht
Wikimedia Deutschland und eine Reihe weiterer Wikimedia-Chapter
haben sich auch bei der WIPO-Generalversammlung um eine
Akkreditierung beworben. Über diese Anträge wird in der
nächsten Sitzung im Juli entschieden. Erhalten Wikimedia
Deutschland und Co. dann nicht mehr Unterstützung, bleibt
dieser Teil der Zivilgesellschaft weiterhin außen vor.
Dieser
Beitrag erschien zuerst am 10. Mai 2022 bei netzpolitik.org,
unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA
4.0. Im Rahmen der Reihe „Blackbox Genf“ berichtet
Justus Dreyling, Referent für internationale Regelsetzung bei
Wikimedia Deutschland, über die Verhandlungen zum
internationalen Urheberrecht bei der Weltorganisation für
geistiges Eigentum (WIPO).
Du bist seit 2014 im Präsidium, dieses Mal
kandidierst Du nicht mehr. Wie fühlt sich das für Dich
an?
Ich bin auch gespannt, wie sich das anfühlen wird.
Wikimedia ist mir über die acht Jahre schon sehr ans Herz
gewachsen. Ich bin vier Mal gewählt worden und habe das immer
als eine große Ehre empfunden, dass mir diese Verantwortung
anvertraut wird. Aber jetzt ist auch ein guter Zeitpunkt, um Platz
für Neues zu machen.
Warum Wikimedia? Wie bist Du zum Verein
gekommen?
Meine Arbeit befasst sich seit langem mit der Frage, wie wir
eine gute und resiliente digitale Gesellschaft aufbauen
können. Wikipedia war da für mich tatsächlich immer
schon ein wunderbares Role Model für alles Gute, was Menschen
mit dem Internet hervorbringen können. Gleichzeitig ist es
auch ein Beispiel für die Herausforderungen und
Gefährdungen, denen ein offenes, partizipatives System
ausgesetzt ist – wie sichert man sich gegen Beeinflussung,
wie kann man offen sein aber trotzdem Struktur und Richtung
haben.
Ich hatte schon über Wikipedia als offenes System
geschrieben. Ich war auf einer wissenschaftlichen Tagung zu einem
Vortrag über Wikipedia eingeladen. Als dann die
Präsidiumswahl 2014 anstand, fragten mich verschiedene Leute
aus dem Umfeld von Wikimedia, ob ich für das Amt kandidieren
möchte. Das fand ich interessant, weil ich von sehr
unterschiedlichen Gruppierungen angesprochen worden bin.
Wie hast Du Deine Rolle im Präsidium wahrgenommen
und gefunden?
Die Vereinsmitglieder geben uns als Präsidium das Mandat,
aufzupassen, dass gute Entscheidungen getroffen werden. Ich habe
meine Aufgabe im Präsidium immer so verstanden, dass wir uns
mit den Fragen befassen müssen, auf die es eben noch keine
fertigen Antworten gibt. Wir müssen uns ja fragen: Wo geht es
hin? Was brauchen wir, damit es auch in 10 oder 20 Jahren eine
lebendige Wikipedia gibt, damit dieser ganze Gedanke von freiem
Wissen für alle eine Zukunft hat? Als Wikimedia Deutschland
haben wir das Privileg, dass wir genug Ressourcen haben, um uns
auch mit diesen dicken Brettern zu befassen. Dann können wir,
was wir gelernt haben, weltweit an andere weitergeben.
Ich habe mich auch immer als Brückenbauerin verstanden,
zwischen dem Verein, der Community, der Gesellschaft, dem Movement.
Das System Wikimedia-Wikipedia-Global Movement ist ja sehr komplex.
Ich schaue mir dann sehr genau alle Seiten an und höre zu. So
konnten wir im Präsidium Verbindungen zwischen den Communitys
und dem Verein, zur Gesellschaft und zu den internationalen
Communitys herstellen: Wer immer nur auf seiner Seite bleibt, kann
keine Brücke bauen.
Welche Besonderheiten siehst Du in der
Wikipedia?
Wikipedia ist die Wissensreferenzquelle Nummer 1. Alle, die
etwas wissen wollen, landen bei Wikipedia. Alle haben eine
große Verantwortung, darauf gut aufzupassen. Offene Systeme
sind durchlässig, aber auch verletzlich. Die Wikipedia braucht
kluge, sich immer wieder anpassende Strukturen, damit sie nicht
manipuliert und beeinflusst werden kann. Gerade jetzt in diesen
Zeiten ist valides, vertrauenswürdiges Wissen unglaublich
wichtig.
Gab es schwierige Situationen in deinen
Amtszeiten?
2014 war der Verein noch ganz anders aufgestellt, Controlling-
und Reporting-Mechanismen haben wir erst eingeführt. Wir haben
die Governance-Struktur unserem Wachstum angepasst und es gab vier
Vorstandspersonen, fünf jetzt mit Franziska. Wir hatten also
genug zu tun und natürlich auch Kontroversen. Aber wir haben
immer wertschätzende Auseinandersetzungen geführt. Das
finde ich wichtig. Oft bin ich mit einer anderen Meinung aus
Diskussionen herausgekommen, als ich reingegangen bin. Das finde
ich ein gutes Zeichen.
Am schwierigsten waren für mich als Präsidiumsmitglied
die letzten zwei Jahre Pandemie. Ich höre wahnsinnig gern zu,
in lokalen Räumen, auf Stammtischen und auf den
Wiki-Konferenzen in Deutschland und der Welt. Das alles war unter
pandemischen Bedingungen nicht mehr möglich. Auch fast alle
unsere Sitzungen und Klausuren haben digital stattgefunden. Da
fehlt etwas. Das persönliche Gespräch und die Bindungen
haben unter der Pandemie gelitten.
Was hast Du durchsetzen wollen?
Das Projekt Wikipedia zukunftssicher zu machen! Open source
generierte Systeme wie Wikipedia, Wikidata, Wikibase haben eine
große Bedeutung für die Entwicklung einer digitalen
Zivilgesellschaft. Es muss für die Gesellschaft sichtbar
werden, dass es eine dem Gemeinwohl verpflichtete digitale Kultur
gibt, die wir fördern müssen.
Als Präsidiumsmitglied war mir auch immer sehr wichtig, wie
der Verein klug und nachhaltig wächst. Wachstum an sich ist ja
kein Selbstzweck, wir wollen ja damit etwas erreichen.
Wichtig ist mir auch ein gutes Selbstverständnis. Nach
welchen Werten handeln wir warum? Was sind unsere Aufgaben und
Rollen? Wie können der Verein und die Community gut
zusammenwirken? Wie können wir uns gut ergänzen und
unterstützen? Es ist schön, dass es uns in den letzten
acht Jahren immer mehr gelungen ist, Verbindungen zu schaffen.
Hast Du Wünsche für die zukünftige Arbeit
des Präsidium? Was gibst Du den neuen Mitgliedern mit auf den
Weg?
Ich wünsche mir, dass das neue Präsidium die
große Verantwortung fühlt und wünsche ihm dafür
alles Gute. Es ist eine schöne und wichtige Aufgabe, auch wenn
es häufig keine schnellen Antworten gibt auf die Fragen des
Vereins, des Movements und der digitalen Gesellschaft. Letztlich
geht es um die Frage, prototypisch an einer resilienten
Gesellschaft zu arbeiten. Und genau da entsteht Zukunft: wo es noch
keine fertigen Antworten gibt.
Bei mir zuhause hat Wikipedia das mehrbändige Lexikon nach
und nach abgelöst. Mit drei heranwachsenden Kindern wuchs auch
die Zahl der Löcher, die sie mir in den Bauch fragten. Die
Antworten fand ich zunehmend auf Wikipedia. Die Schulzeit meiner
inzwischen erwachsenen Kinder hatte das noch weiter verstärkt.
Auch bei meinem Interesse an jüngerer Geschichte und
Hintergrundwissen zu historischen Romanen kommt mir das Konzept von
Wikipedia sehr entgegen.
Uta Menner ist das 100.000ste Mitglied von Wikimedia
Deutschland | Bild: Hans-Christian Pauly,
hc-pauly:[communications], CC BY-SA 4.0
Uta Menner ist das 100.000ste Mitglied von Wikimedia
Deutschland | Bild: Hans-Christian Pauly,
hc-pauly:[communications], CC BY-SA 4.0
Was gefällt Ihnen besonders an der
Online-Enzyklopädie?
Im klassischen Lexikon finde ich mein Stichwort und alphabetisch
naheliegende Begriffe. Eine Suche über Verweise durch mehrere
Bände kann schnell mühselig werden. Aber bei Wikipedia
komme ich von „Truman“ mit einem Klick nicht nur auf
die „Truman-Doktrin“, sondern auch sofort auf den
„Kalten Krieg“. Ich werde förmlich in das Wissen
hinein gesaugt und das mag ich sehr.
Gibt es etwas, das aus Ihrer Sicht verbessert werden
könnte?
Ich empfinde Wikipedia als klar strukturiert und
übersichtlich. Mir fehlt nichts. Ich finde sie zeitlos und bin
ganz froh, dass nicht andauernd Dinge sehr stark umgestaltet
werden, wie das bei manchen Portalen oder Apps manchmal der Fall
ist.
Sie haben Wikimedia Deutschland schon mehrfach mit
Spenden unterstützt. Was hat Sie dazu bewogen, nun
Fördermitglied zu werden?
Ich habe immer wieder erlebt: Wenn wir alle zusammenhalten und
gemeinsam etwas machen, können wir viel mehr erreichen –
etwa als Eltern einer Schule, im eigenen Ort oder im sozialen
Bereich. Bei Wikipedia ist es ja auch so, irgendwer muss das alles
machen, die Freiwilligen unterstützen, die Technik in Gang
halten und weiter entwickeln oder die Rahmenbedingungen für
Freies Wissen verbessern. Dazu möchte ich mit meiner
Fördermitgliedschaft beitragen und hoffe, viele andere machen
noch mit.
Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft von
Wikipedia oder anderen Projekten für Freies
Wissen?
Dass es immer genug Menschen gibt, die daran mitarbeiten und
immer genug Geld, dass Wikipedia wie bisher ohne Werbung und
unabhängig bleiben kann.
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin
viel Freude an Wikipedia. Es ist schön, Sie als 100.000stes
Mitglied bei uns zu wissen!
Werden auch Sie Mitglied
Sie möchten gesellschaftliche Verantwortung
übernehmen, indem Sie einen wertvollen Beitrag zur
Chancengleichheit beim Zugang zu Wissen und Bildung leisten? Als
Mitglied bei Wikimedia Deutschland unterstützen Sie die
Wikipedia und ihre Schwesterprojekte dauerhaft und nachhaltig,
stärken die Stimme unserer Gemeinschaft und fördern unser
Engagement für freie Wissensprojekte.
Ein Beitrag von Friederike von Franqué und Lilli Iliev
„Souverän. Sicher. Bürgerzentriert.“
– Der Fokus auf die Bedürfnisse von Bürger*innen
steht nicht nur im Titel des neuen Digitalprogramms. Auch bei der
Vorstellung der digitalpolitischen Ziele und Maßnahmen
ihres Ministeriums bis 2025 hob Bundesinnenministerin Nancy Faeser
hervor, dass die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen
Nutzer*innen in den Mittelpunkt stellen soll. In fünf
Themenfeldern definiert das BMI die „wesentlichen
Herausforderungen“ der Digitalisierung und nennt dazu
Kernvorhaben. Weil es sich um dem BMI unterstellte Bereiche
handelt, ist vor allem von der Weiterführung des
Onlinezugangsgesetz (OZG), Registermodernisierung, Digitalen
Identitäten und verbesserter Cybersicherheit zu lesen. Die
Umsetzung des Digitalprogramms koordiniert Bundes-CIO Dr. Markus
Richter, der die Vorhaben im Austausch mit den Ländern und
Kommunen umsetzen möchte. Details sind in dem
zwölfseitigen Papier kaum zu erfahren, dennoch zeigen die
genannten Schwerpunkte immerhin eine Richtung auf, in die es in den
nächsten Jahren gehen könnte.
Wir haben die fünf Schwerpunkte im Digitalprogramm unter
die Lupe genommen:
1. „Staatliche Leistungen für Menschen und
Unternehmen digitalisieren“
Unter dieser Überschrift soll vor allem das OZG
„nutzerorientiert“ weitergeführt werden. Das
aktuelle Gesetz läuft Ende des Jahres aus; die
flächendeckende Umsetzung gilt bereits jetzt als
gescheitert.
Wenn das BMI nun verspricht, „qualitative
Erfolgsindikatoren“ einsetzen zu wollen und die Umsetzung der
Leistungen nach Bedarf der Nutzer*innen zu priorisieren, scheint
hier eine Ausweitung der bisher gemessenen Erfolgskriterien
vorzuliegen. In der neuen Strategie wird Nutzer*innenorientierung
übersetzt mit „einfach, jederzeit, transparent und an
jedem Ort nutzbar“. Aus Sicht von WMDE gehört auch eine
konsequente Ausrichtung an der Zufriedenheit der Nutzer*innen
digitalisierter Dienstleistungen zur Erfolgsmessung. Dieses
Kriterium wird allerdings nicht genannt.
Fazit: Was genau umgesetzt werden soll,
bleibt vage, Zeiträume oder präzise Maßnahmen
fehlen. An der konkreten Ausgestaltung und Vergabe wird man sehen,
wie stark die Nutzer*innen-Zentrierung tatsächlich
ausfällt.
2. „Staat modernisieren“
Die digitale Modernisierung des Staates soll durch „neue
Formen der Zusammenarbeit und Arbeitsteilung“ erfolgen. Diese
Zusammenarbeit bezieht sich aber auf föderale und kommunale
Zusammenarbeit, nicht auf Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.
Das ist schade, denn hier werden Ressourcen liegen gelassen und auf
mehr Transparenz verzichtet.
Es bleibt zu hoffen, dass zivilgesellschaftliche Expertise u.a.
beim Digitalcheck für Gesetze sowie zur Stärkung der
Informationssicherheit abgefragt wird. Auch die geplanten
ressortübergreifenden Projektteams und Innovationseinheiten
– „GovLab.DE“ genannt – können von
Erfahrungen aus der Zivilgesellschaft profitieren. Umgekehrt
könnten die Angebote der Digitalakademie zur Weiterbildung der
Bundesverwaltung auch für viel mehr Menschen interessant sein.
Diese öffentlich finanzierten Bildungsformate müssen der
Allgemeinheit frei verfügbar gemacht werden.
Fazit: Wir wünschen uns eine breitere
Einbindung der Zivilgesellschaft bei der digitalen Modernisierung
des Staates und eine systematische Weiterbildungsoffensive für
alle Ebenen der Verwaltung – mit besonderem Fokus auf die
Vorteile von Open Source und Nachhaltigkeit.
3. „Cybersicherheitsarchitektur modernisieren und
harmonisieren“
Angesichts der zahlreicher werdenden Angriffe auf staatliche und
kommunale Infrastruktur liegt es nahe, dass sich das BMI der
Cybersicherheitsarchitektur annimmt. Die erprobte Expertise des
Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu
einer Zentralstelle auszubauen, kann nur begrüßt werden.
Umso besorgniserregender ist, dass mit der expliziten Nennung der
Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich
(ZITIS) als Teil der „Weiterentwicklung von
Cyberfähigkeiten“ nur gemeint sein kann, dass auf
Hackbacks
nicht verzichtet werden soll.
Fazit: Hier hätten wir uns nach dem
Führungswechsel im BMI deutlich mutigere Signale erwartet, vor
allem weil im
Koalitionsvertrag die Ablehnung von Hackbacks klar
festgelegt ist. Immerhin steht auch die „Weiterentwicklung
des Informationssicherheitsrechts“ auf dem Plan, allerdings
ohne Klarstellung, in welche Richtung dieses entwickelt werden
soll.
4. „Daten rechtssicher erschließen und
nutzen“
In diesem Vorhaben konzentriert sich das BMI auf bessere
Datenqualität, die Einrichtung eines Dateninstituts, ein
Datengesetz sowie das Vorantreiben der Datenstrategie der
Bundesregierung (s. dazu auch den Blogbeitrag „Datenstrategie-
Von Wikipedia & Co lernen?“). Wünschenswert
wäre hier eine Vereinheitlichung in Form offener Standards, um
Daten wirklich in der Fläche verfügbar zu machen. Nicht
nur WMDE fordert schon lange, dass öffentliche Einrichtungen
ihre Daten
für alle zugänglich, maschinenlesbar und frei nutzbar zur
Verfügung stellen müssen. Hier hätte sich das
BMI schon festlegen können.
Fazit: Unklar bleibt, was
„rechtssicheres“ und „verantwortungsvolles Nutzen
und Teilen“ von Daten genau bedeuten sollen. Mit Blick auf
den Koalitionsvertrag kann das nur heißen, dass auf Grundlage
eines Rechtsanspruchs auf Open Data (siehe dazu Beitrag
„Rechtsanspruch
auf Open Data: Jetzt muss es endlich losgehen“) eine
flankierende Gesetzgebung erfolgen soll, die Standards sichert und
De-Anonymisierung von Daten unter Strafe stellt. Diese
Rechtssicherheit bietet eine gute Grundlage für das im
Koalitionsvertrag festgelegte Vorhaben, die Potentiale von Daten
„gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und
Zivilgesellschaft“ heben zu wollen.
5. „Digitale Souveränität festigen und
interoperable Infrastruktur schaffen“
In diesem für WMDE zentralen Handlungsschwerpunkt sollen
Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen und
Institutionen gestärkt werden, damit sie ihre Rolle(n) in der
digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher
ausüben können. Digitale Souveränität wird hier
ähnlich verstanden wie im Koalitionsvertrag, der diese unter
anderem durch ein Recht auf Interoperabilität
und Portabilität sowie den Einsatz offener Standards, offener
Schnittstellen, Open Source und
europäischer Ökosysteme sicherstellen
möchte.
Nutzer*innen könnten hier entscheidend profitieren. Wenn
etwa Gatekeeping-Plattformen wichtige Aspekte ihrer Dienste
interoperabel machen, kann Nutzer*innen verschiedener Dienste die
Möglichkeit gegeben werden, sich miteinander zu verbinden oder
ihre Identität zwischen den Diensten zu übertragen.
Gleichzeitig können öffentliche APIs oder freier Zugang
zu aggregierten Daten nicht nur Abhängigkeiten von einzelnen
Anbieter*innen minimieren, sondern auch Wettbewerb fördern.
Wenn Behörden freie Lizenzen verwenden und einen besseren
Zugang zu Informationen ermöglichen, können sie die
Verfestigung von Gatekeeping-Positionen verhindern.
Ein interessanter Baustein ist hier die Bekräftigung des
BMI zum Aufbau einer gemeinsamen Open-Source-Plattform für die
öffentliche Verwaltung (Open CoDE). Auf dem Code Repository
können Interessierte aus Bund, Ländern und Kommunen
offene Quellcodes ihrer verwaltungsrelevanten Software-Projekte
ablegen und mit anderen Entwickler*innen zusammenarbeiten. Das
Projekt wurde vom BMI sowie von Baden-Württemberg und
Nordrhein-Westfalen initiiert. Das BMI betont hier Vorteile wie
Unabhängigkeit von einzelnen Technologieanbieter*innen.
Fazit: Der Weg zur Digitalen
Souveränität bleibt derselbe: Er führt über das
Recht auf Open Data, über Open Source, offene Schnittstellen
und offene Standards, und zwar gemeinsam mit Ländern und
Kommunen.
Wikimedia Deutschland steht zur Begleitung bereit
Wikimedia Deutschland steht bereit, um die Umsetzung der
geplanten Maßnahmen gut zu begleiten. Auf fragdenstaat.de/koalitionstracker
können Interessierte transparent mitverfolgen, wie weit die
Arbeit der Bundesregierung etwa zum Rechtsanspruch auf Open Data
und weiteren Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag fortgeschritten
ist.
Ein Luftbild der Jägersfreude Halde in Saarbrücken,
schneebedeckte Pappel-Schüpplinge oder eine Nahaufnahme der
veränderlichen Krabbenspinne samt Beute im Odenwald –
all diese Motive wurden 2021 bei Wiki Loves Earth Deutschland
preisgekürt, nun ruft die Wikipedia Community erneut zum
Fotowettbewerb für Naturerbe auf.
Ziel von Wiki Loves Earth ist
es, sowohl möglichst viele Naturdenkmäler und
Schutzgebiete unter einer freien Lizenz abzubilden als auch durch
die Sensibilisierung der Öffentlichkeit einen Beitrag zum
Naturschutz zu leisten.
9. Platz weltweit bei Wiki Loves
Earth 2021: Junger Grasfrosch (Rana temporaria) in Buchenlaub im
Naturpark Pfälzerwald | Foto: Stephan Sprinz, CC BY
4.0
Fotos von Nationalparks, Geotopen oder
Naturdenkmälern gesucht
Die Naturaufnahmen müssen in einem Schutzgebiet erstellt
worden sein oder ein geschütztes Einzelobjekt zeigen. Auch
Detailfotos von Pflanzen, Tieren oder der unbelebten Natur
können eingereicht werden. Sie sollen charakteristische
Aspekte eines Schutzgebiets zeigen und geeignet sein, Artikel in
der Wikipedia zu illustrieren.
Auf nationaler Ebene organisiert, sind engagierte Fotograf*innen
aufgerufen, mit Fotos von Motiven rund um Nationalparks,
Naturschutzgebiete, Geotope oder Naturdenkmälern am Wettbewerb
teilzunehmen. Die Motive teilen sich auf in die Bereiche
„Landschaft“ und „Detail“. In zwei
Schritten werden die Beiträge dann von einer Jury bewertet.
Auch bei der Vorjury können alle mitmachen und sich bewerben,
die sich für Wiki Loves Earth interessieren.
Die schönsten Fotos aus Deutschland nehmen am
internationalen Wettbewerb teil
Zur Orientierung und Inspiration für die teilnehmenden
Fotograf*innen gibt es Listen, die
Naturschutzgebiete und Reservate der Bundesländer beschreiben.
Neben der Kürung nationaler Gewinner*innen, werden die 15
bestbewerteten Motive aus dem deutschsprachigen Raum für den
internationalen Wettbewerb eingereicht. Unter den Teilnehmenden
werden verschieden Preise ausgelobt. Alle Fotos sind
öffentlich in Wikimedia Commons
einsehbar und sollen zur Illustration von Inhalten der Wikipedia,
und damit der Aufklärung über Natur und Umwelt
dienen.
Es kann eine unbegrenzte Anzahl von Fotos eingereicht werden.
Jedoch bittet die Wikipedia Community darum, Rücksicht auf
Pflanzen, Tiere und die unbelebte Natur zu nehmen und ihnen Vorrang
vor dem Streben nach spektakulären Bildern zu geben. Die
Uploadphase für Wiki Loves Earth Deutschland 2022 läuft
vom 1. bis 31. Mai 2022.
1. Platz
bei Wiki Loves Earth 2021
in Deutschland in der Sektion
„Detailaufnahmen“: Schneebedeckte
Pappel-Schüpplinge | Foto: Reinhold Möller, CC
BY-SA 4.0
Die Idee von Wiki Loves Earth wurde im April 2012 gemeinsam von
Vertreter*innen von Wikimedia
Ukraine und Wikimedia Russland in Anlehnung an den Wettbewerb
Wiki Loves Monuments entwickelt. 2013 realisierte Wikimedia Ukraine
die erste
Wiki Loves Earth-Ausgabe – 1.104 Naturdenkmäler der
Ukraine (von insgesamt 7.384 gelisteten) wurden fotografiert und
365 Personen nahmen am Wettbewerb teil. Die Zahl der neu
illustrierten Artikel über die Naturdenkmäler betrug 172.
Angesichts der aktuellen Zerstörung und Bedrohung der Ukraine
bilden die Naturaufnahmen aus dieser Zeit auch ein Mahnmal gegen
den Krieg. Viele der fotografierten Kultur- und Naturdenkmäler
sind bereits zerstört oder akut bedroht.
Im Rahmen von Wiki Loves Earth haben wir gemeinsam mit dem
Gewinner des deutschen Wettbewerbs 2020 viele nützliche Tipps
für großartige Natur-Fotos zusammengestellt.
Der Weg zu einer offenen digitalen Gesellschaft kann nur
über offene digitale Software-Lösungen und offene
digitale Infrastrukturen erfolgen. Daher hat das Präsidium von
Wikimedia Deutschland e.V. Franziska Heine mit Wirkung zum 1.
August 2022 in den geschäftsführenden Vorstand berufen.
Damit wird Wikimedia erstmalig durch eine Doppelspitze geführt
und erstmalig durch eine Frau als geschäftsführendes
Vorstandsmitglied. Heine ist aktuell Stellvertreterin des
geschäftsführenden Vorstands und leitet den Bereich
Software Entwicklung bei Wikimedia Deutschland. Mit der neuen
Doppelspitze wird die bereits enge Verbindung zwischen offenen
digitalen Technologien und communitybasierter Expertise für
eine digitale Zivilgesellschaft weiter gestärkt.
„Keine andere zivilgesellschaftliche Organisation, keine
andere soziale Bewegung, vereint eine so große digitale
Community mit technologischen Innovationen wie Wikimedia. Mit der
ehrenamtlichen Community und der stark wachsenden Tech-Expertise
sind wir einzigartig und haben auch eine einmalige Chance, die wir
als Auftrag der digitalen Zivilgesellschaft verstehen”, sagt
Franziska Heine, designiertes geschäftsführendes
Vorstandsmitglied.
„Wir müssen Technologie und soziale Praxis als
Einheit verstehen, die immer zusammen gedacht und gelebt werden
muss. Nur dann können wir langfristig und wirksam
gesellschaftliche und politische Prozesse begleiten, damit diese zu
einer offeneren digitalen Zivilgesellschaft führen”,
sagt Christian Humborg, geschäftsführendes
Vorstandsmitglied.
„Die Entscheidung für die Einführung einer
Doppelspitze ist aus meiner Sicht ganz im Sinne der Communitys in
den Wikimedia-Projekten. Eine barrierearme und ansprechende
Software ist und bleibt unabdingbar für alle aktuellen und
zukünftigen Wikimedia-Projekte. Mit der Doppelspitze wird den
Bedarfen aus der Community und den daraus resultierenden
Software-Lösungen gleichermaßen Nachdruck verliehen. Ich
danke Christian Humborg für die Ausarbeitung und seine
Überzeugungsarbeit für die Umsetzung unseres neuen
Governance-Modells”, sagt Lukas Mezger, Vorsitzender des
Präsidiums.
Neue Bereichsleitungen in der
Software-Entwicklung
Mit dem Schritt zur Doppelspitze wird es auch zwei neue
Bereichsleitungen in der Software-Entwicklung von Wikimedia
Deutschland geben. Zum 1. Mai 2022 wird Raja Gumienny die neue
Bereichsleitung Product Development übernehmen und Jonathan
Fraine zum 1. August 2022 die neue Bereichsleitung Engineering. Mit
den neuen Bereichsleitungen werden die stark wachsenden Projekte
Wikibase und Wikidata gestärkt.
Lukas Mezger ist seit 2013 im Präsidium des Vereins
aktiv, seit zwei Amtszeiten als Vorsitzender. Im Mai gibt er sein
Amt ab und stellt sich nicht erneut zur Wahl. Das neue
Präsidium wird am 14. Mai 2022 auf der Mitgliederversammlung
in Berlin gewählt.
Interview: Maiken Hagemeister
Seit mehr als 8 Jahren gestaltest Du ehrenamtlich die
Vereinsarbeit. Wie bist Du denn überhaupt zum Verein
gekommen?
Ich wurde gefragt, ob ich nicht kandidieren möchte –
offenbar suchte der Verein nach jemandem aus der
Wikipedia-Community mit einem Interesse an Organisationsentwicklung
und Governance, was ich mit meinem juristischen Hintergrund
mitbrachte. Ich habe mich dann in meiner ersten Amtszeit auch
hauptsächlich mit Governance-Fragen auseinandergesetzt.
Gleichzeitig habe ich mich aber immer vor allem als Vertreter der
Wikipedia-Community verstanden. Mein Blick auf den Verein war
geprägt von einem Verständnis des Vereins als
“Wikipedia-Fanclub” auf der einen und als
“Greenpeace für Freies Wissen” auf der anderen
Seite.
Welche verrückten Geschichten hast du in deiner
Zeit erlebt?
Überrascht hat mich tatsächlich die internationale
Wikimedia-Diplomatie! Dass unser Verein quasi ein Planet in einem
größeren Sonnensystem ist, das war mir vorher gar nicht
klar gewesen. Dass wir hier überhaupt von
“Diplomatie” sprechen, ist schon irre. Verrückt
war auch mein Treffen mit Günther Oettinger in Brüssel.
Er war seinerzeit EU-Kommissar und ich sollte mit ihm über
unsere Position zur Reform des Urheberrechts sprechen. Das war
für mich als junger Jurist – ich schrieb damals noch an
meiner Doktorarbeit – eine unerwartete Situation. Schöne
Erinnerungen habe ich natürlich auch an unsere
Präsidiums-Klausuren. Einmal landeten wir in einer
Bowling-Bahn mit Disco-Beleuchtung und hatten einen
Heidenspaß.
Was nimmst du mit?
Ich habe auf jeden Fall viel gelernt, wie Gremienarbeit
funktioniert, wie man seine Ziele und Haltungen in einem solchen
Raum durchsetzen kann. Ich stelle mir aber vor, dass das in einem
so konstruktiv arbeitenden Gremium wie dem Präsidium von
Wikimedia Deutschland deutlich harmonischer ist als beispielsweise
im politischen Raum. Und ich bin auch ein wenig stolz darauf, wie
sich der Verein in “meiner” Zeit entwickelt hat: dass
wir immer weiter an unserer Struktur gefeilt haben und vor allem,
dass der Verein heute auf so vielfältige Weise mit der
Community zusammenarbeitet.
Es gab doch sicherlich auch ein paar Hürden zu
überwinden, oder?
Für mich persönlich war es eine große
Herausforderung, die Arbeit innerhalb unseres Gremiums zu
organisieren. Durch unsere Bemühungen, im Präsidium
möglichst verschiedene Blickwinkel einzubeziehen, setzen wir
uns aus Mitgliedern der Wikipedia-Community, aus Expert*innen
für politische Lobbyarbeit, institutionelle Kooperationen oder
Softwareentwicklung zusammen. In einer solchen Gruppe gemeinsame
Ziele für Wikimedia Deutschland mit seinen vielfältigen
Aufgaben zu entwickeln, ist spannend, aber auch herausfordernd. Ich
halte mich nicht für den geborenen Moderator, daher musste ich
in die Aufgabe erst hineinwachsen.
Was gibst Du dem*der neuen Vorsitzenden mit auf den Weg
in die neue Amtszeit?
Zunächst ist und bleibt die aus meiner Sicht wichtigste und
gleichzeitig schwierigste Aufgabe des Vereins die bestmögliche
Unterstützung der ehrenamtlichen
Wikipedia-Community.
Deshalb freue ich mich sehr, dass auf der Mitgliederversammlung
im Mai meine aktuelle Stellvertreterin Alice Wiegand als
Vorsitzende kandidieren wird. Sie ist schon seit vielen Jahren
für Wikimedia aktiv und in der Community äußerst gut
vernetzt. Spannend wird auch das weitere Zusammenwachsen der
europäischen Wikimedia-Organisationen. Und dann sind da
natürlich Wikidata und Wikibase, für die Wikimedia
Deutschland ja als Treuhänder für die gesamte
Wikimedia-Bewegung an unseren zukunftsträchtigsten Projekten
arbeitet.
Was wünscht Du Dir von einem Wikimedia der
Zukunft?
Wikimedia Deutschland darf gern noch mutiger und innovativer
werden, schwierige Aufgaben angehen und dabei auch Misserfolge in
Kauf nehmen! Dafür brauchen wir eine Kultur, in der alle
beteiligten Gruppen einander mit Vertrauen begegnen, um groß
zu denken.
Über Wikimedia hinaus wünsche ich mir, dass wir alle
mehr Widerspruch wagen. Dass wir nicht um des lieben Friedens
willen still bleiben, sondern dass wir laut dagegenhalten, wenn
unser Grundkonsens in Gefahr ist. Dafür muss man zum Streit
bereit sein: Wikimedia steht für einen faktenbasierten
Diskurs, in dem nach wissenschaftlichen Methoden erarbeitetes und
nach journalistischen Grundsätzen recherchiertes Wissen die
Grundlage für Entscheidungen ist. Wir müssen denen
widersprechen, die es mit diesem Grundkonsens nicht so genau nehmen
– zum Beispiel diesem einen Onkel, der auf dem Familienfest
Verschwörungstheorien auftischt. In den Wikimedia-Projekten
haben wir uns auf dieses eigentlich selbstverständliche
Koordinatensystem geeinigt, innerhalb dessen verschiedene Meinungen
nebeneinanderstehen können. Wo Menschen diesen für unsere
Gesellschaft so enorm wichtigen Rahmen verlassen, braucht es
unseren konsequenten und lauten Widerspruch.
Bleibst Du Wikimedia treu?
Das Thema Freies Wissen wird mich sicherlich mein Leben lang
begleiten und ich möchte definitiv weiter Teil der
Wikipedia-Community bleiben. Ich freue mich schon jetzt darauf, auf
der nächsten WikiCon im Herbst wieder mit dem
WikiEulenOrchester Musik zu machen. Außerdem möchte ich
die Wikipedia weiterhin bei Fragen zum Urheber- und
Persönlichkeitsrecht unterstützen. Ich hoffe, dass ich
auch wieder mehr Zeit finden werde, neue Artikel anzulegen und
meine speziellen Interessen wie den Kampf gegen die Klimakrise
stärker zu verfolgen.
Hinweis: Dieser Beitrag besteht in
Teilen aus einer Übersetzung des englischsprachigen
Beitrags der Wikimedia Foundation, daher sind die
weiterführenden Links und Informationen meist auf
Englisch.
Die #WikiForHumanRights-Kampagne 2022 ruft dazu auf,
Wikipedia-Inhalte zu den Themen Menschenrechte, Umwelt und
Gesundheit zu verfassen und zu verbessern sowie die verschiedenen
Gemeinschaften, die weltweit von Umweltproblemen betroffen sind, zu
unterstützen.
Im vergangenen Jahr haben die Vereinten Nationen zum ersten Mal
offiziell anerkannt,
dass eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt ein Menschenrecht
ist. Diese wichtige Entscheidung unterstreicht, wie essenziell ein
freier Zugang zu Informationen ist, die Menschen helfen, ihre
Rechte besser zu verstehen und sie zu schützen. Das beinhaltet
auch das Wissen, das auf Wikipedia zu finden ist.
Zugang zu neutralen Infos zum Klimawandel spielt
entscheidende Rolle
Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der unser Planet
mit dem konfrontiert ist, was die UN als „dreifache planetarische
Krise“ bezeichnet: Klimawandel, Verlust der biologischen
Vielfalt und Umweltverschmutzung. Der Zugang zu neutralen,
faktenbasierten und aktuellen Informationen über Themen des
Klimawandels spielt eine entscheidende Rolle. Nur durch diese
Informationen können wir diese miteinander verknüpften
Krisen nicht nur verstehen, sondern ihre Ursachen mildern und die
Gesellschaft anpassen, um eine gesunde Zukunft für alle zu
gewährleisten. Die Rolle von Wikipedia war noch nie so wichtig
wie heute.
Wikipedia macht in über 300 Sprachen Wissen frei
zugänglich. Besseres Wissen über Menschenrechte und
Umwelt hilft vor allem denjenigen, die am meisten von
Umweltschäden wie Verschmutzung, Klimawandel und Verlust der
biologischen Vielfalt betroffen sind. Diese Gemeinschaften
können sich damit für ihre Umwelt einsetzen und
Entscheidungen auf allen Ebenen treffen, die letztendlich zu einer
effektiveren und umweltfreundlicheren Krisenreaktion
führen.
#WikiForHumanRights: Die Global Writing
Challenge
Indem sich Menschen weltweit der #WikiForHumanRights-Kampagne
anschließen, helfen sie dabei, auf die globale Krise zu
reagieren. Vom 15. April bis zum 15. Mai 2022 sind freiwillige
Wikipedia-Autor*innen weltweit aufgerufen, an der Global Writing
Challenge teilzunehmen. Ziel ist es, Artikel auf Wikipedia zu
schreiben oder zu verbessern und so inhaltliche Lücken zu den
folgenden Themen zu schließen: Menschenrechte,
ökologische Gesundheit und den Menschen, die von den
konvergierenden Umweltkrisen Klimawandel, Umweltverschmutzung und
Verlust der biologischen Vielfalt betroffen sind.
Veranstaltungen weltweit
Im Rahmen der Kampagne finden weltweit zahlreiche
Veranstaltungen statt. Zum Auftakt veranstaltet die Wikimedia
Foundation in Zusammenarbeit mit dem Umweltprogramm der Vereinten
Nationen (UNEP) und dem Büro der Vereinten Nationen für
Menschenrechte (UNOHCHR) ein Eröffnungs-Webinar am 14. April
ab 16 Uhr. Dabei geht es um die Rolle der Wikipedia beim
Verständnis der menschenrechtlichen Auswirkungen der
„dreifachen planetarischen Krise“. Zur Anmeldung.
Zum Earth Day am 22. April organisiert die Wikimedia Foundation
um 17:00 Uhr einen Online-Editier-Workshop, der sich mit den
Themenbereichen Umwelt und Menschenrechte befasst und die
Teilnehmer*innen darin schult, wie sie zu diesen Themen auf
Wikipedia beitragen können. Mehr
Infos.
Mehr Informationen zu diesen Veranstaltungen und weitere Events
gibt es im englischsprachigen
Blogbeitrag der Wikimedia Foundation.
MATTHIAS C. KETTEMANN: Der DSA ist Teil eines neuen
Gesetzespakets der EU für das Internet, das eine grundlegende
Neuorientierung der Plattformen sicherstellen wird. Nicht mehr
ökonomische Interessen, sondern öffentliche Werte sollen
im Mittelpunkt stehen. Dazu müssen Plattformen verpflichtet
werden, sich an Grundrechte zu halten, ihre Empfehlungsalgorithmen
offenzulegen, regelmäßige Checks der Wirkung ihrer Regeln
auf die Gesellschaft durchzuführen, ihren User*innen mehr
Rechtsschutz zu gewähren. Mit dem DSA bricht eine neue Zeit
an.
Welche Probleme kann der DSA nicht lösen?
KETTEMANN: Der DSA ist ein wichtiger erster Schritt, aber
alleine kann er faire Online-Kommunikationswelten nicht sichern. Zu
digitalen Märkten, Daten und Algorithmen kommen noch je eigene
Rechtsakte. Nicht angegangen wird auch der große Bereich der
Inhaltsvielfalt und des Kampfes gegen Desinformation, besonders
wenn sie von staatlichen Akteuren kommt. Die Frage, was illegal
ist, wird weiterhin staatlichem Recht überlassen.
Diesen und weitere Beiträge zum Digital Services Act jetzt
nachlesen im Wikimedia-Politikbrief.
Wo sehen Sie den größten Nachbesserungsbedarf bis zur
Verabschiedung des DSA?
KETTEMANN: Die Vorschläge des Parlaments sind
zielführend, müssen aber in manchen Bereichen noch
nachgeschärft werden. So ist die Informierung aller User*innen
bei Änderungen des Inhalte-Rankings wichtig, aber da
Änderungen oft mehrfach täglich erfolgen, muss hier noch
Klarheit geschaffen werden. Nicht ausreichend ausbuchstabiert ist
auch die Rolle der Durchsetzung und der Kooperation zwischen
nationalen Aufsichtsbehörden. Die deutsche Regierung sollte
sich auch bald Gedanken darüber machen, welche Teile des
NetzDG noch beibehalten werden, wenn der DSA kommt.
Über Matthias C. Kettemann
Matthias C. Kettemann ist Professor für Innovation, Theorie
und Philosophie des Rechts und leitet das Institut für Theorie
und Zukunft des Rechts der Universität Innsbruck. Er ist
Forschungsprogrammleiter am Leibniz-Institut für
Medienforschung | Hans-Bredow-Institut und leitet Forschungsgruppen
am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft und dem
Sustainable Computing Lab der WU Wien. Er beschäftigt sich mit
den Regeln, die online gelten, und wie private Normen und
staatliches Recht interagieren. Matthias C. Kettemann publiziert
und berät im Bereich Cyberrecht, Menschenrechte,
Plattformregulierung und Internet Governance.
Öffentliches Geld
– Öffentliches Gut! Mit dieser Formel setzt sich
Wikimedia Deutschland dafür ein, dass Wissensinhalte, die mit
Steuermitteln oder dem Rundfunkbeitrag finanziert werden, für
alle zur Verfügung stehen. Manche sehen durch diese Forderung
ihr Geschäftsmodell bedroht. „Das ruiniert die
Filmschaffenden“, heißt es in dem am 18.01.2022 in der FAZ
erschienen Meinungsbeitrag „Wikimedia pervertiert das
Gemeinwohl“* des Dokumentarfilmers und Ko-Vorsitzenden
der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK), David Bernet.
Eine Sichtweise, die sich der Möglichkeit neuer
Finanzierungsmodelle gerade für Film- und Medienschaffende
verschließt – und vor allem der unbedingten
Notwendigkeit, das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem in
Deutschland endlich an die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts
anzupassen. Denn dass sich etwas tun muss, haben Politik und die
Rundfunkkommission der Länder selbst längst erkannt.
Inhalte nur über die althergebrachten Kanäle Funk und
Fernsehen zu verbreiten, wird dem Auftrag der
Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr gerecht. Wer gute,
verlässliche Inhalte für alle schaffen möchte, muss
diese auch so anbieten, wie sie heute genutzt werden: Jederzeit
abrufbar, teilbar, anpassbar.
Dass in dieser Gemengelage die Kreativen in der
Auseinandersetzung zwischen Inhalteverwertern wie
Filmgesellschaften oder Verlagen, Plattformen, den
Öffentlich-Rechtlichen und der Politik zerrieben werden, ist
bedenklich. Dass David Bernet mit dem Finger ausgerechnet auf
Wikipedia und Wikimedia zeigt, ist aber unverständlich.
Die mit Steuermitteln und Rundfunkbeitrag finanzierten
Wissensinhalte sind mannigfaltig, aber Zugriff und Nutzung alles
andere als selbstverständlich: Warum liegen öffentlich
finanzierte Forschungsdaten hinter Paywalls privater Fachverlage?
Warum wird der Axel-Springer-Verlag für die Ausstrahlung der
zeithistorisch bedeutsamen Elefantenrunde am Wahlabend dazu
verdonnert, Rechte zu erwerben? Warum stellen die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten diese Rechte nicht
von vornherein zur Verfügung, gerade wenn es sich um reine
Eigenproduktionen handelt? Wikimedia geht es dabei nicht um
Unterhaltung oder wöchentliche Sportereignisse. Aber
öffentlich finanzierte Wissensinhalte sollten frei sein. Sie
sollten dauerhaft auffindbar, verwendbar und ortsunabhängig
verfügbar sein.
Frei lizenziert – und angemessen
finanziert
Immer noch verdienen Kreative – von einigen Superstars
abgesehen – viel zu wenig Geld mit ihrer wertvollen Arbeit.
An ihrer fairen Entlohnung müssen Interessenvertretungen und
die arbeitgebenden Organisationen, allen voran der
öffentlich-rechtliche Rundfunk, dringend arbeiten.
Gleichzeitig geht es auch um eine stärkere öffentliche
Wertschätzung ihrer Leistung. Ich kenne kaum Kreative, denen
es nur um das Geld und nicht auch um Beachtung geht. Freie Lizenzen
können, eine faire Vergütung vorausgesetzt, an beiden
Punkten ansetzen.
Wenn Kreative für ihre Inhalte fünf Euro erhalten und
für zwei Nachnutzungen jeweils noch einen Euro, was wäre
dann so schlecht daran, wenn sie stattdessen gleich sieben Euro
erhalten würden und das Werk dafür frei ist? Auch im
Sinne einer planbaren Finanzplanung wäre mir letzteres lieber.
Tatsächlich werden Kreative regelmäßig mit
sogenannten Total-Buyout-Klauseln als einzigem Vertragsmodell
konfrontiert, aber ohne freie Lizenzierung und ohne
Nachnutzungsmöglichkeiten.
Unabhängig von der Finanzierung scheitert die freie
Lizenzierung von Inhalten oft schon am Fehlen geeigneter
Vertragsvorlagen. Wer sich bei jedem Projekt erneut – und
teilweise gegen Widerstände – um die notwendigen
Formalitäten kümmern muss, gibt erfahrungsgemäß
schnell auf. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
müssen deshalb dringend Vertragsvorlagen entwickeln, die es
Redaktionen und den beauftragten Kreativen ermöglicht,
unkompliziert und rechtssicher Inhalte unter freien Lizenzen zu
produzieren.
Eines ist klar: Ob Kreative von den öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten angemessen für ihre Leistungen
entschädigt werden, darf nicht von der Lizenzierung
abhängen. Mit freien Lizenzen gehen für Sender und
Gesellschaft große Vorteile einher, wie einfachere und
dauerhafte Nutzbarkeit, simplere Rechteklärung und potenziell
größere Sichtbarkeit. Diese Vorzüge sollten auch
entsprechend vergütet werden. Jedenfalls aber müssen
Kreative und Redaktionen in die Lage versetzt werden, ohne Furcht
vor Einkommenseinbußen freie Lizenzen zu verwenden.
Ein Grund für die schwierige Verhandlungsposition von
Kreativen ist auch das Fehlen einer starken Interessenvertretung.
Denn den vielen Kreativen wären Verhandlungen auf
Augenhöhe nur dann möglich, wenn nicht Einzelne
ausscheren. Wie schwierig kollektive Handlungsfähigkeit
gegenüber Monopolisten ist, hat sich beispielsweise erst
letzte Woche wieder im Zeitungsmarkt gezeigt, als bekannt wurde,
dass Madsack mit Google einen Vertrag zu Showcase geschlossen hat.
Die Absicht, die Verhandlungsmacht auf Seiten der Inhalteverwerter
in Corint Media zu bündeln, ging an der Stelle nicht auf. Die
Rolle der Verwertungsgesellschaften ist außerordentlich
wichtig und es ist zu begrüßen, dass sie in manchen
Sektoren nicht mehr nur ihre Mitglieder vertreten dürfen.
Es geht auch um Reichweite
Wikimedia hat immer die Rechteeinhaltung angemahnt und
gleichzeitig die Modernisierung des Urheberrechts dort
eingefordert, wo es in einem digitalen Zeitalter nicht mehr
vernünftig funktioniert. Es waren hingegen die großen
Werbeplattformen wie Youtube, deren Aufstieg und Wachstum ohne
Missachtung rechtlicher Standards kaum denkbar gewesen wäre.
Gerade weil Wikimedia das Urheberrecht respektiert, wird auf freie
Lizenzen gesetzt, die eine Nutzung und Bearbeitung von Inhalten
für alle Menschen dauerhaft und rechtssicher
ermöglichen.
Darüber hinaus begrüßt Wikimedia alle
Überlegungen zu einer nichtkommerziellen, europäischen
Medienplattform als Grundlage für den Austausch
öffentlich finanzierter Inhalte. Stattdessen beschränken
sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den
EU-Mitgliedsstaaten meist auf kurzfristige Kooperationen, limitiert
auch durch nationale Verwertungslizenzen, während gleichzeitig
Inhalte auf den global verfügbaren kommerziellen Plattformen
wie Youtube hochgeladen werden.
Das Beispiel Terra X vom ZDF zeigt, dass es
Verbreitungsalternativen gibt, etwa die Wikimedia-Plattform
Commons. Allein die dort eingestellten Terra-X-Clips erreichen
aktuell über zwei Mio. Aufrufe pro Monat. Das sind, um es in
Relation zu setzen, zwei Mio. Aufrufe mehr, als wenn sie für
ein Jahr nur in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen
Sender erscheinen würden.
Die Bereitstellung von Terra-X-Clips nutzt der Qualität von
Wikipedia, keine Frage. Es nutzt aber in erster Linie den
Zuschauern – und es ist gut für die nachhaltige
Reichweite von Terra X. Viele Menschen zu erreichen ist Auftrag der
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Ganz abgesehen davon
sind einem neutralen Standpunkt verpflichtete Wikipedia-Artikel mit
Sicherheit ein passenderes Umfeld für
öffentlich-rechtliche Informationsinhalte als YouTube und
andere kommerzielle Plattformen.
Die Zusammenarbeit von ZDF und Wikipedia bei der Terra-X-Sendung
geht von einer ehrenamtlich arbeitenden Gruppe aus. Diese Gruppe
„Wiki Loves Broadcast“ weist in ihrer Reaktion auf
David Bernets Beitrag darauf hin, dass es einzig und allein der
ehrenamtlichen Community vorbehalten ist, Inhalte wie die Clips des
ZDF in die Wikipedia einzuarbeiten. Weder Wikimedia Deutschland
noch die Wikimedia Foundation können darauf Einfluss
nehmen.
Wissen, das allen gehört
Wikimedia ist finanziell unabhängig. Wikimedia finanziert
sich durch die Spenden und Mitgliedsbeiträge der Millionen von
Menschen, die Wikipedia und andere Wiki-Projekte nutzen. Konkret
stehen hinter Wikimedia Deutschland knapp 100.000
Vereinsmitglieder. Insgesamt haben im vergangenen Jahr über
500.000 Menschen Wikimedia Deutschland finanziell unterstützt.
2021 gab es tatsächlich Geld von Plattformen. Während der
Wert 2020 bei 0% lag, hat er im Jahr 2021 ca. 0,2% der Einnahmen
ausgemacht. Ich sehe in dieser Größenordnung keine
Gefährdung der Unabhängigkeit.
Auch international sichern Millionen von Kleinspenden eben diese
Unabhängigkeit. Wir erwarten für das kommende Jahr
– wie in den Vorjahren – , dass Zahlungen von Firmen
und Spenden über 1.000 US-Dollar insgesamt weniger als 20% der
Einnahmen der Wikimedia Foundation ausmachen.
Zwei Dinge sind sicher: Inhalte kann Wikimedia gar nicht
verkaufen, denn Wikimedia gehören keine Inhalte, anders als
jedem Kreativen. Von Wikimedia fließt kein Profit an Einzelne,
sondern alle Einnahmen dienen einzig und allein den
gemeinnützigen Projekten. Ich persönlich bin froh, dass
es unter den großen Internet-Plattformen der Welt wenigstens
eine gibt, der es nicht um den Profit geht.
* Der Artikel ist derzeit öffentlich abrufbar, ggf. muss
hierzu ein kostenfreies Konto bei faz.net eingerichtet werden. (Stand:
22.03.2022)
Christian
Humborg Geschäftsführender Vorstand
Wikimedia Deutschland e. V.
Das Netz erleichtert den Zugang zu Wissen und Informationen und
schafft neue Räume für den öffentlichen Austausch.
Dadurch verbreiten sich aber auch potenziell schädliche und
illegale Inhalte einfacher und schneller: Gewaltaufrufe, Hassrede
oder auch unsichere Produkte können über
Online-Plattformen in kurzer Zeit ein großes Publikum
erreichen. Der deutsche Gesetzgeber und die EU arbeiten daher seit
Jahren an neuen Regeln für Online-Netzwerke. Der Fokus lag
dabei meist auf den großen kommerziellen
Social-Media-Plattformen wie Facebook oder YouTube. So auch beim
Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
Im Dezember 2020 hat die EU-Kommission den Entwurf für eine
grundsätzliche Neuordnung des Rechtsrahmens für
Plattformen und die Moderation von Online-Inhalten vorgelegt: das
Gesetz über digitale Dienste, besser bekannt als Digital
Services Act (DSA). Auch das Europäische Parlament und der Rat
haben sich zum Gesetzesvorhaben positioniert.
Viele der Neuerungen im DSA sind begrüßenswert. Regeln
zum Umgang mit Hinweisen auf illegale Inhalte schaffen Klarheit
für Nutzer*innen und Plattformbetreiber. Der Kommission ist
der Spagat zwischen einem besseren Schutz vor illegalen Inhalten
und dem Schutz der Meinungsfreiheit im Netz gelungen. Allerdings
hatte die Kommission in ihrem Vorschlag Community-Projekte nicht
berücksichtigt – Plattformen, auf denen Ehrenamtliche
Inhalte erstellen und selbst moderieren, wie die Wikipedia. Gut,
dass das Europäische Parlament jetzt nachgebessert hat.
Diesen und weitere Beiträge zum Digital Services Act jetzt
nachlesen im Wikimedia-Politikbrief.
Community-Moderation: Worum geht’s?
In den kommerziellen sozialen Netzwerken entscheiden bezahlte
Moderator*innen über das Löschen oder Sperren von
Inhalten und Benutzerkonten. Oft unter Zeitdruck. An vielen
Moderationsentscheidungen sind überhaupt keine Menschen
beteiligt. Sie werden von automatisierten Filtern getroffen. Der
Kontext einer Äußerung wird so kaum oder gar nicht
berücksichtigt. Das führt dazu, dass auch von der
Meinungsfreiheit geschützte Äußerungen gelöscht
werden.
Auf gemeinschaftlich betriebenen Plattformen wie der Wikipedia
hingegen werden alle inhaltlichen Entscheidungen von Ehrenamtlichen
getroffen, oft erst nach gründlicher Diskussion. Es
gehört zu den Grundprinzipien der Wikipedia, dass sich alle
beteiligen dürfen und jeder Schritt für alle transparent
dokumentiert wird.
Auch die meisten Moderationsentscheidungen werden von
Ehrenamtlichen getroffen. Die Wikimedia Foundation, die Betreiberin
der Wikipedia, bekam in der ersten Hälfte 2021 lediglich 296
Lösch- und Änderungsanfragen.1 Die großen
kommerziellen Anbieter erhalten Abertausende Benachrichtigungen im
Monat. Wir glauben, dass auch deshalb so wenige Beschwerden
eingereicht werden, weil die Community problematische
Äußerungen in Artikeln und auf Diskussionsseiten in aller
Regel erkennt und schnell entfernt.2 Kurz: Das
Moderationsmodell der Wikipedia, bei dem Nutzer*innen selbst
Verantwortung für einen öffentlichen Raum
übernehmen, funktioniert.
Endlich ein klarer gesetzlicher Rahmen für „Notice
and Action“
Ein Grundpfeiler bei der Moderation von Online-Inhalten ist das
Prinzip, dass Nutzende dem Plattformbetreiber Benachrichtigungen
über rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen
schicken können. Der Betreiber ist verpflichtet, diese
Benachrichtigungen zu prüfen und die Inhalte gegebenenfalls zu
sperren oder zu löschen. Wird der Betreiber trotz Kenntnis
eines rechtswidrigen Inhalts nicht tätig, drohen Konsequenzen.
Das sieht bereits die EU-Richtlinie über den elektronischen
Geschäftsverkehr aus dem Jahr 2000 vor. Wie genau diese
Prüfung vonstatten gehen muss und welche Rechte betroffene
Nutzer*innen dabei haben, war aber nicht geregelt.
Durch den DSA soll die EU nun einen klareren gesetzlichen Rahmen
für sogenannte „Notice and Action“-Verfahren
bekommen. Das ist gut. Der Teufel steckt allerdings im Detail. Das
Haftungsprivileg ist wichtig, um die Meinungsfreiheit im Netz zu
garantieren. Droht dem Betreiber ab Hinweis der Verlust seines
Haftungsprivilegs, schafft das Anreize, mehr Inhalte zu sperren als
notwendig – auch grundrechtlich geschützte Inhalte. Es
droht also ein sog. Overblocking. Ein Hinweis allein ist kein Beleg
für einen rechtswidrigen Inhalt. Der Rahmen muss so gestaltet
sein, dass Diensteanbieter Hinweise sorgfältig prüfen
können – und in Community-Projekten wie der Wikipedia
den Ehrenamtlichen genug Zeit gegeben wird, selbst zu
moderieren.
Verpflichtung zur einheitlichen Anwendung von
Verhaltensregeln
Der DSA sieht auch eine Verpflichtung für Anbieter vor,
Nutzungsbedingungen und andere Verhaltensregeln einheitlich
anzuwenden. Leisten sich also zwei Nutzer*innen einen
ähnlichen Verstoß, muss auch das Moderationsverfahren zu
einem ähnlichen Ergebnis kommen. Das ist eine
begrüßenswerte Neuerung. Wichtig ist aber, dass dadurch
die Möglichkeiten der eigenverantwortlichen Moderation durch
Communitys nicht eingeschränkt werden.
Zum einen benötigen Ehrenamtliche, die Inhalte moderieren,
Rechtssicherheit. Für engagierte Community-Mitglieder sollte
davon ausgegangen werden, dass diese in guter Absicht handeln. Nur
wenn sie das nachweislich nicht tun, sollten sie bei Fehlverhalten
rechtliche Konsequenzen tragen. Zum anderen sollte der Betreiber
nicht über die Umsetzung communityseitig beschlossener Regeln
wachen müssen. Bürgerschaftliches Engagement funktioniert
dann am besten, wenn Hauptamtliche sich möglichst wenig
einmischen müssen.
Das Europäische Parlament hat in seiner
Verhandlungsposition für den Trilog klargestellt, dass der
Betreiber nur für die eigenen Nutzungsbedingungen
verantwortlich ist, nicht für communityseitige
Verhaltensregeln. Das ist eine notwendige Unterscheidung. Noch
besser wäre es, Ehrenamtliche zu stärken und von guten
Absichten auszugehen. Der Community-Ansatz ist eine positive
Alternative zum Geschäftsmodell der großen kommerziellen
Anbieter. Ein ziviler Umgangston und das Einhalten
gesellschaftlicher Normen sind dort zu erwarten, wo Menschen
Verantwortung übernehmen.
2 Eine Studie des Berkman Klein Center for Internet &
Society der Harvard University bestätigt diesen Eindruck:
“The researchers conclude that Wikipedia is largely
successful at identifying and quickly removing a vast majority of
harmful content despite the large scale of the project”
(https://cyber.harvard.edu/publication/2019/content-and-conduct).
Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal,
die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema
wabert ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch
dieses Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg
ist noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die
Komposition eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum,
Cembalo und Spottdrossel.
Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das
Nächstbeste: ein Gedicht.
Wikipredia
Die Regeln existieren und doch
nicht nach Mondstand
Die Ethik absolut seit
Anbeginn nein denn ja
Die Praxis gesperrt verworfen
gelöscht freigeschaltet
Wikipredia Darwinismus der
Agenturen Überleben des
Dreistesten
Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch
Hall)
Wikipedia-KNORKEerwähnte ich ja an
dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und
Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen
unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es
etwas besonderes: Auf ins Museum!
In Berlin gastiert gerade die Darmstädter
Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim
dem Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und
Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde
des 16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre
faszinieren. Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung
der Autorin des exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.
Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner
Gruppe vor dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden
über eine Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna
und zur Sonderausstellung "Holbein
in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die
Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber
engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in
dessen Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige
Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von
Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen,
sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der
besseren Kunstausstellungen.
Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten
Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des
Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage
des Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der
Reformation war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und
seine Falte. Wir staunten über die Eigentümlichkeit, dass
sich niemand auf dem Gemälde eigentlich anschaut und wurden
über dden Unterschied zwischen Schutzmantelmadonnen und
Stifterbildern aufgeklärt. Vermutungen tauchten auf, wo das
Bild wohl im Original hing - vermutlich in der Martinskirche
als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus
Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis
hin zum Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin
zum spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth.
Die Meinungen über die Sammlung Würth in der Gruppe waren
durchaus geteilt, ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist
es nun eher die Darmstädter Madonna oder eher die
Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?
Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner
Madonna und einem der prägenden Momente deutscher
Kunstgeschichte: dem Dresdner
Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen
bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur
eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter
lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten
der Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich
für das Darmstädter Gemälde. Eine Sensation,
da die Kunstkennerschaft vorher felsenhaft von der
Originalität des Dresdner Gemäldes ausging. Hier zeigte
sich erstmals das Bemühen, um eine rein sachlich, objektive
Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der Dresdner
Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die Kunstwissenschaft
als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich später
herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem ihren
Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen
naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die
originale der beiden bestätigten.
Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes
(beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus
unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in
das Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".
Hans Holbein der
Jüngere: Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze
in London, 1532. Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm.
Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen Museen zu Berlin –
Preussischer Kulturbesitz
Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die
beiden Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren
der Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in
der Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp
einer Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist
Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise
fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch
noch mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich
begleitete wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und
London. Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt.
Nachdem wir dann noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie
immer im Bodemuseum nicht ganz einfach und jedes mal findet man
zwischendurch neue Säle) folgte noch ein erschöpfter
Abschlusskaffee.
Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu
entdecken.
Über den Dächern, Türmen und Gasometern
Westberlins senkte sich die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen
des Ullstein Castles und sinnierte. Direkt unter mir
Straßentreiben, Sirenen, betrunkene Jugendliche, ein
Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde Ausflügler
überquerten die Stubenrauchbrücke.
In der Ferne betrachtete ich die Türme des
Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der
Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen
Wasserturm im Naturpark Schöneberger Südgelände.
Heute Nacht auf dem Heinweg: Welchen Weg sollte ich wählen?
Unten, im Süden, über den Prellerweg vorbei am Sommerbad
am Insulaner? Die Nordvariante über den Tempelhofer Damm und
durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder die Mittelweg, mit
Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später über
den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.
Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die
Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die
Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich,
unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein
einzelnes Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge
stellt, richtig ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.
Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte
ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der
Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit
der Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team
Tödenhöfer über Volt bis zur Tierschutzpartei. Und
so sehr es mich schmerzte das zu sagen: Das Plakatgame gewannen
bisher die CDU und ihr Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl
optisch – als auch damit, überhaupt inhaltliche Aussagen
fern von Plattitüden zu machen.
Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl.
Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf
Deutsch das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung.
Die Wikipedia steht meinem Herzen näher als der Bundestag und
selbst als der Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern
merh Gedanken. Diese Gedanken bedurften des Kontextes.
Was ist die Wikimedia Foundation?
Die Wikimedia
Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie
zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und
Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik,
ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den
Wikipedien passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450
Angestellte, ein Endowment von 90
Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen
US-Dollar.
Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia
Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich
kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten.
Sie ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere
schreiben keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit
Artikel oder legen Inhalte in den Projekten an.
Die Foundation ist eine Organisation eigener
selbstgenügsamer Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und
ist – rechtlich – niemand rechenschaftspflichtig. Das
Board besetzt sich prinzipiell aus sich selbst heraus. Es hat
entschieden die Hälfte der Sitze Wahlen der weltweiten
Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu lassen.
Das Board of Trustees ist das
ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16
Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben
Sitze besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine
weltweite Communitywahl bestimmt.
Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und
„weltweit / 450 Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar
Einnahmen“ klar, dass das Board eine abstrakte
Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick über
so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe. Dieser
Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine bestimmte
Richtung zu lenken, eine Herausforderung.
Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich
hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß.
Seiner Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die
Vollzeitkräfte machen und besetzt die
Geschäftsführung.
Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die
Geschäftsführerin der Foundation Catherine Maher
verschwand im April 2021 überraschend. Der Posten ist seitdem
unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief Operations Officer im Jahr
2021 verabschiedete, die Abteilungen Communication und Technology
auch niemand im Vorstand haben. Auf dem Schiff besetzt nur eine
Notbesatzung an Offizier*innen die Brücke. Dem Board obliegt
es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell und kompetent zu
beenden.
Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei
Kriterien erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele
teilen. Und sie sollte in der Lage sein, sich in einem
ehrenamtlichen Job gegen eine komplette Organisation aus
Vollzeitangestellten zu behaupten. Oft genug stehen bei solch
ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur Wahl, bei denen ich denke
„Will Schlechtes, aber wird das erreichen“ und
„Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die
Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt
Chaos.“
Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts
der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit,
möchte ich Kandidat*innen, die sich durchsetzen können.
Kandidat*innen, die nach Möglichkeit die US-Zentrik der
Foundation aufbrechen können. Ich möchte Kandidat*innen,
die verstehen, dass Wikip/media keine allgemeine
Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr spezifische
Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt
nicht kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine
Weltbeglückungsziele zu stürzen, die weder die Foundation
noch die Communities umsetzen können.
Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier
Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie
Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele
Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die
fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.
Die Urgesteine
Dariusz
Jemielniak – Professor of Management,
daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der
intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.
Rosie
Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup,
Women in red, you name it. Bei überraschend vielen der
Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie
Stephenson-Goodknight beteiligt.
Gerard Meijssen –
gefühlt war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab.
Vielleicht der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein
Chaot.
Mike Peel –
langjähriges Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC)
Hat bei mir in der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck
hinterlassen.
Ravishankar Ayyakkannu
– Mr. Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005
in der Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero,
Google) zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte,
weil er nicht nur aus dem Global South stammt, sondern auch
Ausbildung und Berufstätigkeit dort durchführte.
Lorenzo Losa –
Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.
Farah Jack Mustaklem – Software
Engineer, einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software.
Aktiv bei den Wikimedians of the Levant und der Arabic language
User Group. Mir persönlich zu sehr USA-sozialisiert für
eine Board-Mitgliedschaft, andererseits sicher in jeder Hinsicht
kompetent.
Douglas Ian Scott –
Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der
Wikimania 2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen
Wartepause am Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens
persönlich besser kennenlernte – und begeistert
war.
Iván Martínez
– langjährig engagiert bei Wikimedia Mexiko,
LGBTQ+-Aktivist und soweit ich hörte, das Wikiversum
Lateinamerika ist begeistert von ihm.
Pavan Santhosh Surampudi
– Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich
professionell etwas von Communities.
Adam Wight –
Programmierer, Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard
der Vertreter des Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und
Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen
Movements.
Vinicius Siqueira – in
Wiki Movimento Brasil
Newbies
Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene
Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte
oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit
größeren Organisationen im Wikiversum fehlt
vollkommen.
Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur
Wen werde ich wählen?
Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die
Grenzen des Wikiversums sinnvoll einschätzen können.
Perspektiven auf das Leben, anders aussehen als „in US-NGOs
sozialisiert“ werden bevorzugt.
Die Top 4
Douglas Ian Scott
Iván Martínez
Adam Wight
Dariusz Jemielniak
Top 8
Rosie Stephenson-Goodknight
Lorenzo Losa
Farah Jack Mustaklem
Gerard Meijssen
Wählbar
Reda Kerbouche
Pavan Santhosh Surampudi
Ravishankar Ayyakkannu
Wer wird wählen
Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem
Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig
angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen
zu haben, kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt
gesperrt zu sein. Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind
somit einfacher zu erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in
der deutschen Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021
erfüllt sein. Es hilft nicht, jetzt noch schnell zu
editieren.
Das Wahlsystem
Es gilt das Präferenzwahlsystem.
Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als
besonders fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen
weniger als viele andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings
nur selten eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl
in letzter Zeit war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New
York.
Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen
nach Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der
Kandidat danach eine zwei und so weiter. Hält man keine
Kandidatin mehr für geeignet, hört man auf zu
nummerieren.
Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen
mit „1“ gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten
davon. Dieser scheidet aus. Von allen
„1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die
„2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf
die entsprechenden weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis
nur noch so viele Kandidatinnen übrig sind, wie es
Plätze zu besetzen gilt.
Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das
Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die
Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts
geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den
Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die
Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im
Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am
Bahnsteig.
Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels
seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren. Eine Frau
entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die
falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken
„Also 22 statt der angezeigten 32.“
Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die
ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den
gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch
zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im
Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den
relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch
deutscher?
Illustration aus
dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de
Neuville & Léon Benett
Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils
Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon
auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was
Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche
Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte
Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar
erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:
„Meine Mutter nannte dann immer
eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les
ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze
frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les
ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch
festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte
ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren
zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei
ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der
Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die
sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken,
Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven
Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre
spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude
an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt.
Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer
fanden sich kulturell kaum zurecht.“
Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in
Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und
Musicaldarsteller?
Forschung Maschinenbau Braunschweig
Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht
normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt
schlägt mir „Deutscher Ingenieur“ rechts und links
um die Ohren. Braunschweig hebt das Thema "autogerechte Stadt" in
Höhen, die selbst mir als gebürtigem Hannoveraner
unerreichbar schienen.
Braunschweig.
Bahnhofsvorplatz.
VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich
wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem
Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle
und wurde prompt begrüßt mit „Tag des
Maschinenbaus. Herzlich Willkommen.“
Vor allem aber fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie
unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte
keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle,
über die irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel
verwunderlicher war, dass selbst die in Braunschweig reichlich
vorhandenen 1970er-Großbauten gepflegt und sorgsam
hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber, offensichtlicher
spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser gepflegt als
Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen darum
herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie frisch
aus der Packung genommen.
Wegbier. In
Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber
stilgerecht,
Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben
gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen
gesperrt. Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement
eine Rolle, sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.
Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und
hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch
schon ins Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7
Geräte) nachlesend, wie das nun ist mit Braunschweig.
Bekanntes taucht beim Nachlesen auf: Die physikalische-technische
Bundesanstalt mit der Atomuhr; geahntes lese ich (Volkswagen
– hey, das ist Niedersachsen und die Technische
Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:
„Im gesamten Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) verfügt die Region Braunschweig
über die höchste Wissenschaftlerdichte,[103] im
bundesweiten Vergleich über eine hohe Ingenieurquote[104]
sowie über die höchste Intensität auf dem Gebiet der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region
Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus
über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie
20.000 Beschäftigte in 250 Unternehmen der
Hochtechnologie[106]“
Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten
Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren
EU-Rangliste ist Braunschweig die innovationsfreudigste
Region der EU vor Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der
deutsche Ingenieur. Hier lebt die deutsche Technik. Was für
ein passender Ort für Jules Verne.
Jules Verne
Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts
und vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem
vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller
wie Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von
der Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der
Erde bekannt. Wikipedia und die Deutsche
Jules-Verne-Gesellschaft hatten ein gemeinsames Wochenende
organisiert mit einer Tagung zu Jules Verne und Gesprächen zu
Wikipedia.
Volker Dehs
bestreitet das halbe Programm
Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den
1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen
blau eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so
anders war als die großen mir bekannten Abenteuerromane von
Jules Verne. Warum ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich
hätte nur schwerlich begründen können, was genau
mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in die Veranstalter,
Science Fiction und Neugier auf diese andere niedersächsische
Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.
Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt
er als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans,
Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene
Bibliographen waren Thema und Anwesend, ebenso wie die
phantastische Bibliothek in Wetzlar – die Mischung der
Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich gar nicht so sehr von der
Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die Perspektiven, aus denen Verne
hier unter die Lupe genommen wurden, waren vielgestaltiger als sie
es in der Literatur sonst sind. Faszinierend hier war die Neigung
unterschiedlicher und leicht besessener Menschen sich zu einem
Thema auseinanderzusetzen.
Haus der
Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.
Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor
Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder
eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen
Büchern durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein,
während auf Verne eher zurückgeht, dass alles menschliche
Streben gegenüber der göttlichen Macht sinnlos bleibt?
Wen inspirierte er? Ist es eine sinnvolle Frage, dem nachzugehen,
welche seiner Voraussagen, sich bewahrheiten? Dazu kamen dann noch
Exkursionen zu Friedrich Gerstäcker, Fenimore Cooper, die
Ingenieure, die ihre U-Boote dann nach Jules Verne
„Nautilus“ nannten – und stark von diesem
beeinflusst waren
Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie
die Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent
werden wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken
beeinflusste. Romancier war er eher gezwungenermaßen –
und verdiente mit seinen zwei erfolgreichen Theaterstücken in
seinem Leben ein Viertel so viel Geld wie mit etwa 80 bis 100
Romanen.
Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman
"der Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was
niemand der Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine
Dreiviertelstunde später kam die Bemerkung in einem
anderen Zusammenhang, dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes
einziges Buch mit einer weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen
Zusammenhang,Update: Es kam wie es kommen musst.
Da denke ich mal, ich habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas
falsch verstanden. Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht
das einzige Werk mit einer Protagonistin. Das prägnanteste
Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur
die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in
anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser
Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews
darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr.
(*Affiliate Links)
Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von
Vernes Werk gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört,
sondern es (fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo
Verne Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet,
dienen diese vor allem dem Zweck zu reisen.
Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen
Strahl.
Die Phantastische Bibliothek
Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur
mittelbar mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen
Bibliothek Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le
Blanc auf Wolfgang Thadewald. Den großen Phantastik- und
Jules-Verne-Sammler. Thadewald verstarb 2014. Er
lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch
persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner
Sammlertätigkeit, seiner Liebe zu Büchern und zu
Menschen, aber auch die Besessenheit mit der Thadewald an ein Thema
heranging und auch von Krankheit schon schwer gekennzeichnet das
Arbeiten an Bibliographien nicht lassen konnte – es ließ
sich nicht anders beschreiben als bewegend. Sicher war dieser
Vortrag mein emotionaler Vortrag des Programms.
Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia
Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei
hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen:
Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der
Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers
zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die
Berichte werden manchmal von öffentlichen Stellen,
öfter von Großunternehmen bestellt, die damit selber
zukunftsfähig werden wollen und in die Zukunft denken.
Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten
Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist
gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die
Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.
Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes
Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die
größte Bibliothek ihrer Art im Hintergrund und seit
mittlerweile einigen Jahren eine große Datenbank aufgebaut,
was Autoren zu verschiedenen Themen schreiben.
Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich
durch gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen
Büchern im Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen
muss, dass ein Roman nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass
es nichts gibt, was so sehr Denkprozesse auslösen und
Kreativität triggern kann, wie Romane. Der befreit das Hirn
gerade vom strikt logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die
Perspektive etwas nach links oder oben, und schon öffnen sich
vollkommen neue Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es
überraschend ist, dass sie wirklich angenommen wird.
Anscheinend wird sie das.
Mensch Maschine Normal
Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste
Handy-Ticket meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder.
Ist diese Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so
unfassbar „normal“ vorkommt, vielleicht die große
Ausnahme? Sind die Musicaldarsteller, die mit „dem
Alex“ [Alexander Klaws] telefonieren, normal? Die Menschen im
Ministerium? Die größten Jules-Verne-Experten des Landes,
die alle noch einen anderen Brotjob haben? Oder eher die
Normalität vieler Menschen, die darin besteht, am Ende des
Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10 Tage mit dem
leeren Konto noch überbrückt werden können?
Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In
seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in
Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer
Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.
Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem
Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:
„Nichts gegen das große Geld
und die wenigen, die es genießen können, aber die
Stärke mitteleuropäischer Gesellschaften liegt gerade in
der Mischung. Für Reiche ist es in Singapur, Russland und
Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping Malls gibt
es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter Wasser und auf
dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder
Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und
Dunkle, Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und
drängeln, gibt es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich,
dass es in Algerien beispielsweise keine öffentlichen
Schwimmbäder gibt oder dass man in den USA oder in Brasilien
Mitglied in einem Club werden muss. Das ist eine teure und in
vieler Hinsicht sozial sehr voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur
um mit den Kindern mal schwimmen zu gehen, es sei denn
natürlich, jeder hat seinen eigenen Pool im Garten, was,
für mich zumindest, wie eine Definition von struktureller
Langeweile klingt.“ (s. 104)
*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es
handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision,
wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten
bestellt.
I still remember the time when real life meetings for
Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one
really want to meet these strange other people from the Internet?
How would they be? Could they even talk in real life or would they
just sit behind a laptop screen staring on it for hours?
My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in
Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!)
sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen.
These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and
personal in nature and no talk about projects, collaborations,
“the movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians
having a nice evening.
So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the
old school way. Half improvised, organized by our dearest local
troll user:Schlesinger
on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come
and what would happen except some people having a good time.
And so It was. In the “Matzbach” in the heart of
Berlin-Kreuzberg seven people promised to come, in the end we were
almost twenty. Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians,
a Wikipedian active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies
and two and a half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from
Wikimedia Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake,
and we just talked and laughed, talked about history and
future. Actually, mostly we talked about future.
About the Wikipedian above 30, who has just started a new a
university degree in archaeology, the question whether the Berlin
community should have its own independent space, industrial beer,
craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the
temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the
vending machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in
the future, who should come to the open editing events, how to work
better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t
there, looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or
rather not when planning something for Wikipedians, explaining
Wikipedia to the newbie, the difficulties of cake-cutting and
whatsoever.
No frustration, almost no talk about meta and politics, just
Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be
active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old
school. So good.
Crossposting eines Posts von mir aus demWikipedia
Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja
doch andere Menschen.
Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal
weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten
Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen
spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren
und Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen
sind und gearbeitet haben.
Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias
kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren.
Wie armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka
Wikifanten - fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die
entschwanden. Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es
um lauter einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben,
Arbeitsstilen und Interessen geht, die in Wikipedia tätig
waren und sind. Es gibt vor allem diejenigen, die kommen, einen
Beitrag leisten und dann wieder verschwinden. Der größte
Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von Menschen und
Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im Artikelnamensraum
aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie unermütlich über
viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an einen oder zwei
Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass sich fast nichts
über sie sagen lässt. Vielleicht sind die Beitragenden
per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr
fleißige Autorin? Wer weiß?
Viele Wikipedianerinnen und
Wikipedianer sind derzeit inaktiv.
Anlässlich des Projektes
WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele
Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele
Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher
fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer
sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir
bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat,
musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir
unbekannter Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten
Wikipedistas waren dort vor allem mir unbekannte Accounts.
Accounts, die oft aufgehört haben zu editieren. Meist sind sie
still und leise gegangen. Ihre Edits und Kommentare geben keinen
Hinweis warum. Aber anscheinend war es anderswo schöner. Oder
sie hatten den Einruck, alles in Wikipedia geschrieben zu haben,
was sie beitragen wollten. Um diesen Autorinnen und Autoren
zumindest nachträglich etwas Aufmerksamkeit zu geben, um ihre
Namen kurz aus den Tiefen der Versionsgeschichten zu retten, sollen
hier einfach einige Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt
werden, die sich um den Wedding in Wikpedia bemühten bevor sie
verschwanden.
Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße.
Ein Mammutwerk von Gtelloke,
dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast
ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.
Bild: Die Chausseestraße 114-118 in
Richtung Invalidenstraße von Gtelloke
Da ist der Artikel zum Wedding selber.
Angelegt 2002 von Otto, dessen
letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann
maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich
auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu
Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und
Schlafgängern waren Teil seines kurzen Werks, das im
Wesentlichen nur zwei Wochen im November 2004 dauerte, aber die
Grundlagen wichtiger Artikel zur Berliner Sozialgeschichte legte.
Ein Blick auf seine Benutzerseite zeigt auch den Geist der
Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König ist tod, lang
lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes! Licht und
Liebe''
Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64,
auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und
acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier,
mal die Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort,
Hinzufügen und Löschen von berühmten
Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute noch
aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin
freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen
Artikel etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.
Der Leopoldplatz;
angelegt von Frerix, der in
den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie
auch nur eine Benutzerseite für nötig hielt und
anscheinend auch in keine Diskussion verwickelt wurde. Zu
seinen wenigen Beiträgen gehören neben der Anlage des
Leopoldplatzes auch noch die Anlage der englischen Stadt Sandhurst,
die Anlage des Kreuzviertels in Münster und des Three Horses
Biers. Dann war er/sie wieder weg. Mutter des Artikels ist hier
aber 44Pinguine,
die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute
noch aktiv ist.
Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so
entscheidend wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte
in seiner Frühzeit von WHell,
engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher
Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ.
Der letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo
WHell, ich möchte Dich als den Hauptautor darüber
informieren, dass ich den Artikel John Bull (Lokomotive) in die
Wiederwahl zum Exzellenten Artikel gestellt habe,“
Größere Beiträge zur WEG folgten in den
späteren Jahren durch Peterobst
– aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit
Beiträgen zur Berliner Industriegeschichte, nach seiner
Benutzerseite AEG-Kenner und in Arbeit an einem Buch über den
Konzern. Es folgten
80.226.238.197, von Georg
Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht
unregelmäßig), Flibbertigibbet
2006 ,
79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen
44Pinguine. Weiter ausgebaut von Onkel
Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und
vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit
der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben
!“ und hielt sich im Wesentlichen daran.
Da ist der Volkspark
Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005,
aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich
ausgebaut, umfassend überarbeitet 2007 von
84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka.
Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009
und 2014, die Edits waren wenige, aber die Qualität war
hoch.
Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin
Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in
Berlin, Wedding (Mitte). Von:
Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch
heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und
Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv,
Magadan,
Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.
Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur
einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen.
Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts
und IPs an den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren
deutlich weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in
den von mir angesehenen Artikeln verteilen sich auf
44Pinguine, Fridolin freudenfett und Definitiv. Wikipedia
wird kleiner und noch lebt sie. Aber wir können all‘ den
Verschwundenen danken, die vor uns kamen.
Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder
über Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad
auch der serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt
übernommen haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer
Meinung sind, rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.
Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah
sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon
zumindest ein Admin gebannt.
Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht;
oder genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit
gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp
behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil
Polen einen Genozid an Deutschen verübt hätten.
Der ganze Bericht kann
hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl
traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es
geht aufklären und nicht Propaganda verbreiten!
Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen,
sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es
nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir
Glück 🙂.
Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die
Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry
und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche:
Viel Erfolg!
Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die
Seite zur
Auskunft. Dort können Menschen mögliche und
unmögliche Fragen stellen, die dann mal launisch, mal
larmoyant, mal ernsthaft oder auch gar nicht beantwortet werden.
Wie im wahren Leben und eine ewige Fundgrube obskuren Wissens,
seltsamer Fragestellungen und logischen Extremsports.
Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad
(1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo:
102.
Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:
"Warum
gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit
Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach
Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und
ist mir auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden
Verwandtschaft bestätigt worden. Warum?"
Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige
Diskussion, die immerhin folgendes ergab:
* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten
sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli,
darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der
DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere
Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR
ähnelte in vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als
dies für die westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als
Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war
Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die
mangelnde Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter,
Italienreisen, Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes
sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce
Carbonara!
Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild:
Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von:
Brian
Ammon, Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an
exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti,
Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika
des geteilten Deutschlands.
Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber?
Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?
Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die
dortige Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das
heimische "Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des
Badischen Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in
Karlsruhe, kennt sowohl Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt
für heute: die Makkaroni werden in "halbfingerlange
Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30 Minuten gekocht.
Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal
Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden
erklärt als "Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte.
Beim Einkauf achte man darauf, daß sie nicht hohl
sind"
Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur
bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine
Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar
schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.
Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine
Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch
Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das
frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren
"Macronen" waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18.
Jahrhunderts entstanden in Prag und Wien echte
Makkaroni-Fabriken.
Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus
Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours
für junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und
klassische europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf
der Tour aber anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen
kennenlernten, sondern auch Pasta.
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild:
Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade,
1773.
In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni
für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow
who dressed and even spoke in an outlandishly affected and epicene
manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch:
"Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl
auch die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.
Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen
Männern ist nun wiederum im Englischen der Macaroni
penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.
Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil,
nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South
Georgia von Liam Quinn,
Lizenz: CC-BY-SA
2.0
Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit
wann? Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia
of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen
Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge
unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert.
Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich
relativ problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende
’ngegno da maccarun anschließen lies, die es den
Neapolitanern ersparte stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu
kneten: im Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer,
je nach Form des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und
damit unter anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen
Fäden zum trocknen in die süditalienische Sonne
gehängt.
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild:
Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di
maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo:
6204.
Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR
zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern
plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum
die Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die
Tomatensauce in der Schweiz ließen? Warum gibt es in
Deutschland kein Äquivalent zu "Macaroni and cheese" (mehr)?
Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der DDR, bei dem es Pasta,
Sauce und Käse schon in einer Packung gab? Warum sind
Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in vielen
anderen Ländern aber dicker und
hörnchenförmig-gebogen? Es ist hochspannend. Und ein
Grund, noch viel mehr zu recherchieren.
Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die
besten Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken.
Eines davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.
Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer
Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich
ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so
fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger
vereisen ließ.
Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener,
Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter
verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen
gezeichnet. Der Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht
blies, trieb die Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles
war geschlossen und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht
mehr sehen. Über der Szene kreiste ein hungriger
Taubenschwarm.
„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ
Hüpfburg. „So viel Platz! Fast das ganze
Hafengelände gehört uns. Und wir können uns
problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“
– Sie antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt.
Ich bibbere. Das letzte Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im
Rozbrat mit meiner ehemaligen Band aufgetreten:
„Pierdzące Zakonnice“.
Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein
sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette
wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das
Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir
Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu
erfrieren.
Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am
Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der
Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im
Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße
Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es
nur scheißkalt. Ich gehe.“
Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an
ein Video erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte:
„Wikimedia
Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ
Hüpfburg für die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern,
postete ich ihr den Link.
Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen.
Fast nur Technik und kreative Sachen.
Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll
gehen?
Southgeist: Schau doch mal.
Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang
Berliner Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine
Lautsprecher wären kaputt.
Hüpfburg: I like the music.
Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.
Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia
schauen? In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen
Priester vom Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage
mir lieber, was für Tools vorkommen.
Die coolest Tools
Ich erzählte.
Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser
(Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“),
SDZeroBot
generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder
Benutzer noch ihre Seiten“), Proofread
Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch
spießiger?“), Listen to Wikipedia
(„Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei
Wikipedianer kommen und einander heiraten wollen, werde ich das
Tool in den Event integrieren“), AbuseFilter
(„Zu sehr Polizei“), LinguaLibre
(„I like“), und Pywikibot – ein Tool zum
Erstellen weiterer Tools. („Das klingt spannend –
erzähle mir mehr.“)
Pywikibot
Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders
gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit
überschaubarem Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an
einem der bereits auf dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen.
Die Bots können prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von
MediaWiki-Wikis auch können – nur schneller.
Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich
bedeutet: jemensch muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das
dauert länger als ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel,
wo es eine hohe Zahl gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben
ist das wenig – zum Anpassen von Formalien ist es super. Und
dazwischen liegt ein Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht
alles ist erlaubt – und um die Kontrolle zu wahren, hat der
Pywikibot einen automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot
absichtlich ausbremst.
Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus
dem Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die
aktuelle Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die
Community, die sich um das Framework kümmert, hat eine
dreistellige Zahl von Mitgliedern und ist so international, wie es
die frühe Wikipedia war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus
würde ich auch sagen, was Charaktertypen und Soziodemographie
angeht, ist die Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der
Ur-Wikipedia als die heutigen Wikipedistas.
DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese
Tool-Awards sind solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework
gibt es seit fast 20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast
15 Jahren. Ist der Award so langsam oder gibt es so wenig
Neues?“
Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert
erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten
Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden.
Wie bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit
gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft
aber nur selten fundamental Neues.
Change Musiker to Musiker*innen
„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video
nach zu urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine
wichtige Aufgabe erfüllt.
DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot
alle ‚Musiker‘ in Wikipedia durch
‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene
Hindernisse. Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“
DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so
strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch,
würde sie einen beigen Pullunder über weißem Hemd
tragen und Leserbriefe an die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber
ich kann mein eigenes Wiki aufsetzen und da noch Herzenslust alles
bot-mäßig umbauen?“
Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel
zu tun und die sind superfreundlich dort.“
DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in
Wikidata! Das wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der
Kutsche, die dann doch nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends
spielten wir Mozart. Da haben die Squatter angefangen mit
Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter dem Gong geduckt und ich ein
Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich noch an den einen Tänzer,
der allein Stand und Luft-Küchenmaschine gespielt hat. Ein Arm
angwickelt am Körper als würde er die Maschine an sich
drücken, mit dem anderen weit ausholende Bewegungen, um dann
auf dem Einschaltknopf zu laden.“
„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock
versetzt und die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir
alle Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris,
Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer
Studentinnen“ sagte mal eine Professorin. Kasia wäre
fast dieses Jahr in der Philharmonie aufgetreten. Aber Deine
komische Wikipedia hat immer noch keinen Artikel von
ihr.“
Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“
Ruhe. Hüpfburg dachte.
„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle
Personen auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in
Wikipedia anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das
müsste doch gehen. Vielleicht ist es einen Versuch
wert.“
SPARQL ist wie SQL, nur mit mehr Kontext. SPARQL ist eine
Datenbanksprache, die es erlaubt, das Semantic Web zu befragen.
Eine Sprache, die nicht nur Daten liefert. Sie ergründet auch
das logische Verhältnis zwischen diesen Daten. Zumindest in
der Theorie. In der Praxis ist es schwieriger. Ein Selbstversuch
mit SPARQL, Wikidata und Schwimmbädern.
Es nieselregnet. Auf dem „Street Food Market“ am
Tempelhofer Hafen versucht Schlagermusik die Trostlosigkeit zu
vertreiben. Hinter DJ Hüpfburg und mir steht der „Irish
Pub“-Wagen, ein Fleischer-Wagen und Curry Paule.
Streetfood is coming home.
Street Food kam zurück von den Hipstern, die nach dem
Thailandurlaub ihre Liebe zu Street Food entdeckt haben, zu den
Leuten, die schon seit Jahrzehnten Essen an Deutschlands
Straßen zubereiten. Die einzigen Gäste bei Curry Paule
sind die Mitarbeiter vom Irish Pub. Am Irish Pub Wagen steht
niemand. Ein eisiger Herbstwind verleidet den Aufenthalt
draußen. Curry Paule bietet als große Attraktion vegane
Wurst. Das hätte es 1985 nicht gegeben.
DJ Hüpfburg heuchelt Interesse gegenüber meinen Rede.
Wir sitzen auf den Stufen am Hafen, betrachten die wöchentlich
kleiner werdende Gruppe der Freizeitboote dort. Ich erzähle
die letzten Züge einer Anekdote. Es geht um Mund-Nasen-Masken
und Kommunikation:
„Ich stehe also mit Madame im IKEA. Wir hoffen auf die
letzten Karlhugo-Stühle. Die sind quasi immer
ausverkauft. Schaust du auf die Website bei unserem Laden, siehst
Du einen oder zwei. Dann wieder null. Dann einen halben Tag lang
acht Stühle, dann wieder null. Wir fürchten, bald gibt es
sie gar nicht mehr. Wir fürchten, IKEA nimmt sie aus dem
Programm. Also online geschaut, ob sie im IKEA Schöneberg
vorhanden sind. Schnell die Gelegenheit ergriffen. Wir fuhren zum
Bestellschalter, natürlich brav mit Maske, wie die Dame hinter
der Plexiglasscheibe auch. Die Sprache wird durch die Masken
vernuschelt.
Madame: Wir würden gerne einen Karlhugo
abholen.
Verkäuferin schaut skeptisch: Karlhugo? Nie
gehört. Sicher, dass es Karlhugo ist?
Madame: Doch, sicher: Karlhugo.
Verkäuferin tippt zweifelnd in ihren Rechner:
„Ne, nichts.“
Madame: „Sicher, im Internet stand hier sind noch
wir.“
Verkäuferin tippt weiter, kopfschüttelnd:
„Kein. Karlhugo. Gar nicht.“
Madame hat mittlerweile die Website aufgerufen, zeigt sie
der Dame in Blau-Gelb: „Hier. Acht Exemplare Karlhugo im IKEA
Schöneberg.“
Verkäuferin: „Ach, Karlhugo! Gar nicht
Karlhugo!“ Sie tippt energisch.
„Hätten sie doch gleich Karlhugo
gesagt!“
Sie druckt den Zettel für die Kasse aus. Madame fragt
mich: Hast du verstanden, was sie gesagt hat? Ich:
„Karlhugo“.
DJ Hüpfburg ist beeindruckt. Ich bilde mir ein, einen
Mundwinkel zucken zu sehen. „Du solltest Stand-Up-Comedy
machen. Am besten mit Maske. Dann verstehen die Leute Dich
schlechter.“
Ihre Gedanken werden düsterer: Weißt Du, wo man
schnell einen Corona-Test herbekommt? Eine Freundin, Schneiderin,
hatte einen Kunden, der jetzt positiv getestet ist. Das war ein
schöner Auftrag: Dark Academia meets Southern Gothic, dunkle
Mäntel, Cardigans, Wollpullover und künstliche
Spinnenweben. Sie hatten vier Treffen in der letzten Woche zur
Absprache. Mich hat sie gefragt, ob ich eine Quelle für
schicke Brillen dazu habe. Hat Spaß gemacht. Also schön,
bis der Kunde anrief mit dem Testergebnis. Nun ist alles
Grütze.
Sie will gar nicht den Laden zumachen und schnell einen
negativen Test. Aber dafür muss sie überhaupt an einen
Test kommen. Und jeder geschlossene Tag schmerzt. Ich
überlege: „Ich glaube, ich kenne eine Ärztin mit
Corona-Sprechstunde. Müsste ich zu Hause suchen.“
Wir schweigen. Nieselregen und Herbststurm werden durch Gedanken
an überfüllte Intensivstationen ergänzt. Eine
Lachmöwe mit einem Pommes im Schnabel fliegt vorbei. Dj
Hüpfburg steht wortlos auf, vegane Currywurst kaufen.
Sie kommt mit einer Wurst und einem Prospekt zurück.
Große gelbe Buchstaben fordern mich auf: „Curryspargel!
Freu Dich auf den Sommer!“
„Dirk, du hast mir Unsinn erzählt. Sparkel spricht
sich gar nicht Spargel aus.“ Ich: „???“ Diese
Datenbanksprache: SPARQL. Die wird „Sparkel“
ausgesprochen, wie im Englischen to sparcle
leuchtend/blinkend. Sterne sparclen. Nicht wie im
deutschen „Spargel.“
„Okay. Aber wie kommst du darauf?“
Ich spielte im Internet herum. Mir war langweilig. Hochzeiten im
Oktober bei Corona ist kein Business. Also dachte ich, ich nutze
die Zeit und beschreite innovative Recherchewege nach
Eventlocations. Schlösser, Burgen, Industrieruinen. Als du mir
wieder mit Wikipedia auf die Nerven gegangen bist, hast du von
Wikidata erzählt. Ich dachte, Zahlen kann ich. Ich schaue wie
das geht. Jetzt schaue ich Videos und ich teste.
Wikidata
Wikidata ist eine offene Datenbank. Das heißt: eine
große Datenbank, in der Daten über alles stehen. Von der
vagen Grundidee her so wie Wikipedia, aber mit weniger Gelaber.
Wobei die Inhalte nicht einfach in der Datenbank stehen. Sie sind
logisch verknüpft.
Es stehen nicht nur A, B und C in der Datenbank, sondern ihre
Beziehung. Wenn dort steht „A ist Kind von B“. Und dort
steht: „B ist Kind von C“. Dann kann man Abfragen, dass
A das Enkelkind von C ist, ohne dass dies so explizit vorher
eingegeben werden muss. Steht dort auch noch „D ist Kind von
B“, kann man Abfragen, dass A und D Geschwister sind, ohne
dass dies explizit in der Datenbank steht.
Bei Wikidata kann jede auf die Daten zugreifen, und etwas mit
ihnen machen. So als einfache Idee: in Wikidata stehen immer die
aktuellen Einwohnerzahlen jeder Stadt. Dann muss Wikipedia diese
nicht mehr in jeder Sprachversion nachtragen, sondern kann diese
aus Wikidata ziehen. Aber auch externe Anbieter.
Es ist möglich, Wikidata, direkt als Mensch aus quasi
ocioell per Auge zu lesen. Hier zum Beispiel der Eintrag für das
Stadtbad Mitte in Berlin: Aber das ist ehrlich gesagt,
hässlich, unübersichtlich und keinerlei Gewinn
gegenüber Wikipedia. Da gefällt mir die Quartettkarte
besser:
Besser für Wikidata ist eine Abfrage, die die gesuchten
Daten hübsch arrangiert. Man befrage die Datenbank. Da man mit
einem Computer Computersprech reden muss, gibt es SPARQL.
SPARQL
SPARQL ist eine Sprache zum Abfragen solcher semantischer
Datenbanken. Sie existiert als offizielle Empfehlung des
W3C-Konsortiums seit 2008. Inspiriert wurde sie durch SQL, hat aber
Features, die ihr das logische Denken ermöglichen.
SELECT?item ?itemLabel WHERE { ?itemwdt:P31 wd:Q357380.
SERVICE wikibase:label { bd:serviceParam
wikibase:language „[AUTO_LANGUAGE],de“.
} }
Ich: Aha?
Hüpfburg: Also von Anfang an. SELECT
– sagt, zeige mir Folgendes an: ?item und ?itemlabel
?item – ist jeder
Gegenstand mit seiner Nummer in der Datenbank. SELECT?item sagt „Zeige mir
Gegenstände an, wie sie in der Datenbank stehen.“ Also
zum Beispiel Q1292740.
SELECT?itemlabel sagt „Zeige mir
Gegenstände an, mit dem Namen, mit dem Menschen sie
benennen.“ Also zum Beispiel „Stadtbad
Mitte“.
Okay. Aber noch zeigt SELECT?item
?itemLabel ja ALLE Gegenstände an. Nicht nur die
Schwimmbäder.
Genau. Deshalb kommt ein Filter. Der wird gesetzt mit
WHERE{ }. Also zeige mir alle Gegenstände
und ihre Bezeichnung, die folgende Bedingung erfüllen:
?itemwdt:P31 wd:Q357380.
Total klar.
Okay: ?item –
heißt für jeden Gegenstand muss eine Bedingung
gelten. wdt:P31 – jeder der
Gegenstand muss zu einer bestimmten Klasse gehören, die im
nächsten Wert steht. wd:Q357380 – Das ist die
Klasse, zu der der Gegenstand gehören muss. Hier:
Hallenbad.
In Worten steht dort: Zeige mir alle Gegenstände, wenn
diese Gegenstände zur Klasse Hallenbad gehören.
Die letzte Zeile – SERVICE wikibase:label… –
sagt nur, dass wir nur die deutsche Bezeichnung haben wollen, nicht
auch die englische, finnische und japanische
Hier we go!
Ich „109 Bäder. Weltweit. Ich bin nicht beeindruckt.
Das sind weniger Bäder als Berlin und Brandenburg
haben.“
Alle Schwimmbäder mit Bild
Hüpfburg: Aber es geht noch mehr. Die kannst dir jedes Bad
mit einem Bild anzeigen lassen.
#defaultView:Map SELECT * WHERE { ?itemwdt:P31/wdt:P279* wd:Q357380; wdt:P625?geo . }
SELECT: Wie vorher auch,
nur dass du dieses Mal nichts angeben musst oder kannst, was
gezeigt wird. Das macht #defaultView:Map
Der Filter, also WHERE hat
nun noch wdt:P625?geo – es zeigt die nur
Gegenstände an, die auch einen Platz auf der Karte haben.
Karte als Ergebnis der Abfrage „Schwimmbäder mit
Karte“
Okay. Und wenn ich darauf gehe, sehe ich, dass es in den USA
wd:Q15263936 gibt. Erstaunlich! Ich weise Hüpfburg darauf hin:
Aber du kennst schon den Bäderatlas? Da gibt es alle
deutschen Bäder – mehrere tausend, nicht einige Dutzend.
Auf einer Karte. Mit allen wichtigen Infos. Und ich muss vorher
nicht rumspargeln, um an die Infos zu kommen. Da reicht es, auf die
Seite zu gehen.
So viele Möglichkeiten
Und wo sind die logischen Verknüpfungen in diesen
Wikidata-Abfragen? – Die müssen erst in der Datenbank
stehen. Wenn bei den Bädern der Architekt stünde,
könntest du eine Abfrage bauen: „Zeige mir alle
Gebäude von Schwimmbadarchitekten, die vor 1900 geboren
wurden.“
Oder zeige mir alle verschollenen Filme, die als Handlungsort
ein Schwimmbad haben. Oder zeige mir Schwimmbäder in
Deutschland, die nach 1970 eröffneten und schon wieder
außer Funktion genommen wurden. Nur fehlen dafür die
Daten in der Datenbank. Daten, die nicht vorhanden sind, kannst Du
nicht abfragen.
Ich stelle fest: „Als Schwimmbadsuchmaschine bin ich
enttäuscht.“
„Ja“, wendet DJ Hüpfburg ein. „Aber ich
suche keine Bäder. Ich suche Schlösser, Burgen und
Industrieruinen. Für die gibt es keinen Atlas. Und Dirk, wie
immer. Du denkst zu kurzfristig. Irgendwann stehen in Wikidata die
Bahnlängen und die Gastro und die Beckentiefe und der
Architekt und alles in der Nähe. Dann kannst du alle
Bäder in der Nähe eines Bahnhofs suchen. Oder
Hallenbäder mit 50-Meter-Bahnen. Oder alle historischen
Bäder Italiens.“
„Okay, und wann? Bei dem Tempo dauert das bis 2050 oder
so.“
Kann es sein, dass eine Datenbank da wirklich anders
funktioniert als ein Lexikon? Wikidate andere Bedingungen
erfüllen muss, um zu funktionieren als Wikipedia? Wenn das
Lexikon große Lücken hat, freut man sich halt, über
die Teile, die da sind. Da hat jeder Eintrag für den Leser
einen Wert an sich. Wenn eine Datenbank große Lücken hat,
ist sie nicht nutzbar, weil die Ergebnisse zufällig wirken.
Dort bekommen die Einträge ihren Wert erst durch ihre
Menge.
Sie gibt sie nicht geschlagen: „Denke an die
Möglichkeiten. Du kannst es in deine Website integrieren.
Stell dir vor du hast exklusive Schwimmbadvideos. Oder machst eine
Seite über den Architekten Ludwig Hoffmann. Oder über
Bahnhöfe in der Nähe von Sportstätten. Dann musst du
dafür keine eigene Datenbank pflegen, sondern kannst ganz
einfach die Daten aus Wikidata importieren.“
„Ganz einfach“, klar, lästere
ich.„Einfacher als selber pflegen. Wenn ihr drei Leute
findet, die das für ihre eigene Website machen, ist das
Ergebnis besser, als wenn jeder seine eigene Datenbank
hat.“
Da sage ich „das kenne ich“. Am Ende greifen Google
und Facebook die ganzen Daten ab, bauen die in ihre Oberfläche
ein – und das war es dann mit meinem Schwimmbadblog. Aber ich
bin versucht. Mag die Hoffnung nicht fahren lassen.
„Okay. Ich trage jetzt ein, dass das Stadtbad Mitte eine
50-Meter-Bahn hat!“ Aber wie mache ich das?
„Bahnlänge“ finde ich nicht als Kategorie. Muss
ich die jetzt erfinden. Sinnvollerweise ja beim Oberbegriff
„Hallenbad“? Aber wie lege ich das da an? Und was
passiert mit Bädern, die mehrere Becken mit verschiedenen
Bahnlängen haben? Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun.
Oder ich stelle Wohnzimmerstühle ein. Vielleicht sind die
weniger komplex. Aber gibt es Kriterien für Relevanz in
Wikidata? Fragen über Fragen.
Die Brockhaus Enzyklopädie ist ein mehrbändiges
Nachschlagewerk in deutscher Sprache, das zuletzt von dem zum
Bertelsmann-Konzern gehörenden Wissen Media Verlag
herausgegeben wurde. Ist es ein Nachschlagewerk? War es ein
Nachschlagewerk? Seit einigen Jahren befindet sich der Brockhaus in
einer Art Limbo des Untotseins. Irgendwie existiert er noch. So
richtig aber auch nicht mehr. Ohne jetzt die Irrungen und Wirrungen
des ehemaligen Goldstandards der deutschen Nachschlagewerke
nachzuerzählen, reicht es mir zu erwähnen, dass noch vor
10 Jahren der Brockhaus quasi das unerreichbare Ziel, die
große Messlatte und die ferne Vision dessen war, was Wikipedia
werden sollte. Genau wie Wikipedia den Brockhaus anscheinend
maßlos überschätzte, so war und ist der Brockhaus
selbst ratlos wie er mit der Wikipedia umgehen sollte. Man
weiß nicht, ob man von vertanen Chancen reden soll. Denn hatte
der Brockhaus je Chancen?
Chiara Ohoven ist ein deutsches It-Girl. Viel mehr wissen
wir nicht, da Wikipedia den zu Chiara gehörigen Artikel
permanent löscht. Vor einigen Jahren erlangte sie kurzzeitig
deutschlandweite Berühmtheit durch eine Do-it-Yourself
Schönheits-OPs mit Schlauchbootlippen als Ergebnis, fand aber
vor den Do-it-Yourself-Enzyklopädisten damit keine Gnade.
Ansonsten folgt Chiara ihrer Mutter und ihrem Vater auf das Parkett
der High Society und des Glamours. Und da kein Wikipedianer je zur
High Society gehörte oder gehören wird, gilt sie in
Wikipedia weiterhin als nicht-relevant.
Donauturm
Der Donauturm ist ein Aussichtsturm[4] inmitten des
Donauparks im 22. Wiener Gemeindebezirk Donaustadt.
Darüberhinaus sieht der Donauturm aus wie ein Fernsehturm, was
zu einem der erbittertsten Editwars in der Wikipedia-Geschichte
führte. Dort der Fachmensch für Fernsehtürme, der
sich sehr sicher war, dass Fernsehturm die Bezeichnung eines
bestimmten architektonischen Typs ist, dort eine Gruppe Wiener und
Österreicher, die darauf verwiesen, dass von diesem Turm kein
Fernsehsignal übertragen wird, noch nie ein Fernsehsignal
übertragen wurde und niemand je plante von diesem Turm aus ein
Fernsehsignal zu übertragen. Beide Seiten standen fester zu
ihrem Standpunkt als der Donauturm im Wiener Boden.
Schlußendlich führte der Editwar zu einem mehrseitigem
Artikel im Spiegel, gebrochenen Herzen, frustrierten Wikipedianern
und der Tatsache, dass jeder Wikipedianer weiß wie der
Donauturm aussieht.
Elian
Elian ist ein in den 1980er Jahren aus dem
Französischen entlehnter männlicher Vorname. Er geht auf
den Beinamen Aelianus, eine Ableitung des römischen
Geschlechternamens Aelius, zurück. elian (klein
geschrieben und gesprochen eher wie Alien) kann auch als weiblicher
Internetnickname genutzt werden. Ohne elian keine Wikipedia so wie
wir sie kennen.
Danzig (polnisch Gdańsk Zum Anhören bitte
klicken! [ɡdaɲsk],[3] kaschubisch Gduńsk), die
Hauptstadt der Woiwodschaft Pommern im Norden von Polen, liegt an
der Ostsee rund 350 km nordwestlich von Warschau und steht mit
über 460.000 Einwohnern auf der Liste der
bevölkerungsreichsten Städte Polens auf Platz sechs.
Außerdem ist Gdansk Anlass des ersten Edit Wars, den ich
persönlich mitbekommen habe. Es war 2003. Es war in der
englischen Wikipedia. Deutsche und polnische Nationalisten
ähnlicher Angestrengtheit konnten sich nicht einigen, ob die
Stadt nun Danzig oder Gdansk heißt. Hilflos naive und
offensichtlich überforderte Amerikaner versuchten zu
vermitteln. Der interessante Moment kam, als der Edit-War zur Frage
überging, ob die Band Danzig nun "benannt ist nach der Stadt
Gdansk, ehemals Danzig" oder "benannt ist nach der Stadt Danzig,
heute Gdansk".
Hubertus
Hubertus ist ein männlicher Vorname. Er wird NICHT Atze
abgekürzt.
Das Kreuz ist ein weltweit verbreitetes Symbol, das
insbesondere religiöse und kulturelle Bedeutung hat. In
diesen Bedeutungen hat sich Wikipedia unentrinnbar verheddert.
Einerseits ist das Kreuz-Symbol ein wunderbares Beispiel
dafür, welche Probleme das Internetprojekt mit Ambivalenzen
und Mehrdeutigkeiten jeder Art hat. Andererseits ist der Streit
darum ein tragischer Fall epischen Ausmaßes, der die
Wikipedia-Community über Jahre in Aufregung hielt, die Nerven
dutzender Wikipedianer verschliss und für Verzweiflung und
Frustration allüberall sorgte. Um eine lange Geschichte kurz
zu machen: das Kreuz ist natürlich DAS Symbol des Christentums
und symbolisiert Jesu Tod. Daraus folgend wurde † zum Symbol
für den Tod. Das † kommt in der Wikipedia in Lebensdaten
vor. (Beispiel: * 1600 †1666). Nun waren und sind sich die
Wikipedianer nicht einig, ob †ein Symbol ohne jede Bedeutung
ist, die einfach Standard ist, oder ob es immer noch christlich
konnotiert ist. Bei Artikeln zu Menschen nicht-christlichen
Glaubens kam und kommt es zum Streit. Ist das Kreuz nun eine
christliche Usurpation von Nicht-Christen oder ist der Versuch
deren Tod anders darzustellen - beispielsweise durch "gestorben
1666" ein Verbrechen an enzyklopädischer Neutralität und
verstößt gegen die Einheitlichkeit der Form, die
anzustreben ist?
Lutz Heilmann
Siehe → Streisand-Effekt
Narrenschiff
Das Narrenschiff (alternativ: Daß Narrenschyff ad
Narragoniam) des Sebastian Brant (1457–1521), 1494 gedruckt
von Johann Bergmann von Olpe in Basel, wurde das erfolgreichste
deutschsprachige Buch vor der Reformation. Es handelt sich um eine
spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von
über 100 Narren bei einer Schifffahrt mit Kurs auf das fiktive
Land Narragonien entwirft und so der Welt durch eine unterhaltsame
Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch und satirisch den
Spiegel vorhält. Im Wikipedianischen Zusammenhang war das
Narrenschiff eine Art Mitteilungsblatt des Hans Bug, in dem er die
Wikipedianer und ihre Laster und Untaten kritisierte. Bugs
Narrenschiff war inhaltlich und qualitativ von Sebastian Brants
Narrenschiff entfernt, wie es heutige Nachwuchswikipediakritiker
von Bugs Narrenschiff sind. Wenn etwas in den letzten Jahren extrem
gelitten hat, dann das Niveau der internen Wikipedia-Kritik.
München?/i [ˈmʏnçn̩] (
bairisch Minga?/i) ist die Landeshauptstadt des Freistaates
Bayern. Sie ist mit ca. 1,45 Millionen Einwohnern die
einwohnerstärkste und flächengrößte Stadt
Bayerns und, nach Berlin und Hamburg, die nach Einwohnern
drittgrößte Kommune Deutschlands und die
zwölftgrößte der Europäischen Union.
Wikipedia-historisch ist München wichtig, da hier am 28.
Oktober 2003, organisiert von → elian, das allerallererste
Wikipedia-Treffen überhaupt stattfand. Und nachdem sich die
Münchner einmal getroffen hatten und feststellen, dass es gar
nicht so schlimm ist, folgten Treffen in Hamburg, Berlin,
Köln, Frankfurt, Boston, Taipeh, Alexandria bis es dann 2014
zum bisher größten Treffen in London mit knapp 2.000
Teilnehmern kam. Siehe auch → Wikimania, Stammtisch.
Nordsee
Die Nordsee ist ein Mehr, ein teil der Atlant, zwischen
Grossbritannien, Skandinavien, und Friesland. Siehe auch Kattegatt,
die Niederlanden, Deutschland.
Polymerase-Kettenreaktion
Der Artikel zur Polymerase-Kettenreaktion war im Mai 2001 der erste
Artikel der deutschsprachigen Wikipedia. Vielleicht war es aber
auch der Artikel zu Vergil. Oder der zur -> Nordsee. Die
frühen Anfänge der Wikipedia liegen im Nebel. Mehr dazu:
Wikipedia Manske Polymerase-Kettenreaktion.
Relevanz
Relevanz (lat./ital.: re-levare „[den Waagebalken,
eine Sache] wieder bzw. erneut in die Höhe heben“) ist
eine Bezeichnung für die Bedeutsamkeit und damit sekundär
auch eine situationsbezogene Wichtigkeit, die jemand etwas in einem
bestimmten Zusammenhang beimisst. Das Wort ist der Bildungssprache
zugeordnet[1] und bezieht sich auf Einschätzungen und
Vergleiche innerhalb eines Sach- oder Fachgebietes. Das Antonym
Irrelevanz (Adjektiv: irrelevant) ist entsprechend eine Bezeichnung
für Bedeutungslosigkeit im gegebenen Zusammenhang,
umgangssprachlich vereinfacht auch für allgemeine
Sinnlosigkeit oder Unwichtigkeit. Das Fremdwort für eine
allgemeine, qualitativ messbare Wichtigkeit ist Importanz.
Siehe auch → Löschkandidaten, Relevanzkriterien,
Inklusionismus, Exklusionismus, Tschunk.
Eisenbahnstrecke wird die Verbindung von Orten mit einem
Schienenweg genannt. Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff
(Eisen-)Bahnlinie den auf diesen Strecken regelmäßig
stattfindenden Verkehr. So können auf einer Strecke mehrere
Bahnlinien oder eine Bahnlinie auf mehreren Strecken verkehren.
Nach herrschender Meinung in der Wikipedia sind Strecken relevant
und Linien irrelevant. Oder umgekehrt. Ich kann es mir nicht
wirklich merken. Wobei die Regel zwar grundsätzlich gilt, bei
Wiener Straßenbahnlinien gelten allerdings Sonderregeln und es
ist andersrum. Und da wundert man sich, warum sich niemand mehr an
Artikel zu Eisenbahnen herantraut.
Volker Grassmuck
Volker Grassmuck (* 1961 in Hannover) ist ein deutscher
Publizist und Soziologe. Er ist assoziierter Professor für
Mediensoziologie an der Leuphana Universität
Lüneburg. Wikipediahistorisch ist Grassmuck gleich zweimal
wichtig. Zum einen war er auf der Gründungsversammlung von
→ Wikimedia Deutschland anwesend, was uns
ein wunderbares Video bescherte.
Zum anderen veröffentlichte er 2002 ein Buch über Freie
Software. Dieses Buch enthielt eine Fußnote, in der Wikipedia
erwähnt wurde. Diese Fußnote brachte nicht nur den
Verfasser dieser Zeilen zur Wikipedia, sondern auch → elian
zur Wikipedia brachte.
Ich sitze am Teltowkanal. An mir ziehen die
Mittagspausenspaziergänger aus Finanzamt, Arbeitsamt,
Ufa-Fabrik und Ullstein Castle vorbei. Ich schaue sie nur aus den
Augenwinkeln heraus an. Ich lerne italienisch. Dazu wähle ich
Kacheln in der Sprachlern-App „Duolingo“ aus. Duolingo
gibt Sätze vor, ich klicke auf dem Handy die entsprechenden
Wörter aus einer kleinen Auswahl an.
„Ich trinke den Tee“ – Ich wähle
die Kacheln „Io“ und
„bevo“, „il“ und
„té“. „Io bevo il
té.“
„Das schwarze Pferd kauft rosa Hosen“ – Il
cavallo nero compra i pantaloni rosa.
„Die Vögel spielen Flöte“ – Gli
uccelli sounano il flauto.
„Mario und Luigi sind Klempner“ – Mario e
Luigi sono idraulici.
Ich erreiche den fortgeschrittenen Teil oder Übung. Ich
darf keine Kästchen mehr anklicken. Die Wörter sind nicht
vorgegeben. Ich muss selber den Text schreiben, die entsprechende
grammatikalische Form kennen. In die nächste Runde komme ich
erst, wenn ich den ganzen Satz fehlerfrei auf der Handytastatur
tippe. Duolingo gibt vor:
„Du hast mir gesagt, dass er jeden Montag im Sommer zu
ihr kommen würde, damit sie nachmittags die Kaninchen auf dem
Hügel in der Stadt mit dem rohen Gemüse füttern
können.“ – WHAT?
Zum Glück erlösen mich Schritte. Ich höre DJ
Hüpfburg den Kiesweg am Kanal entlang laufen. Hüpfburg
war kurz beim Asia-Streetfood-Wagen und hat sich die Nummer 9
gekauft (Reis mit Huhn). Sie läuft den Weg hinunter, grinsend.
„Ich hoffe wir werden die PiS endlich los.“ Sie freut
sich über die
polnischen Präsidentschaftswahlen.
„Ist Dir aufgefallen, dass ich tiefer deutsch rede als
polnisch. Hat meine Freundin letztens bemerkt. Mit der Freundin
rede ich in beiden Sprachen. Habe ich nie gemerkt. Aber sie hat
recht. Wenn ich deutsch rede, rutsche ich nach unten. Oder nach
oben wenn ich polnisch rede.“
Ich: „Nein“.
Sie: „Du hast doch letztens von den Wildbienen und dem
Befruchten erzählt. Ich hab‘ jetzt von Z gehört,
dass in Japan Befruchtung per Seifenblasen getestet wird. Nicht
so effektiv wie Bienen aber besser als Befruchtung von Hand. Die
Seifenblasen werden mit Pollen bestäubt und dann über die
Pflanzen geblasen. Stand wohl in der New York Times. Fiel mir
wieder ein, als ich letztens vor dem Rathaus Schöneberg eine
Hochzeit mit vielen Seifenblasen gesehen hab. Vielleicht steht ja
in Deiner Wikipedia was dazu.“
„Es ist nicht meine Wikipedia!“
„Seifenblasenpflanzenbefruchtung finde ich ich nicht. Aber
sag: Warum ist Deine Wikipedia so hässlich. Und sie sieht so
aus als wäre sie 2004 stehen geblieben.“ Ich ringe um
Worte.
„Es ist nicht meine Wikipedia. Und sie ist nicht..“
Oder doch? Ob Wikipedia schön ist? Ich wohne seit 2004
gedanklich in der Wikipedia und im Wikipedia-Layout. Jegliche
Fähigkeit, die „Schönheit“ des Layouts von
Außen zu erkennen, ist mir vor Jahren abhandengekommen.
Aber die Wikipedia sieht altbacken aus. Dem stimme ich zu. Sie
erscheint, wie das Internet 2005 aussah, nicht wie das Internet von
2020 wirkt. Gerade will ich zu längeren Erklärungen und
Entschuldigungen ansetzen.
Wieder rettet mich ein Geräusch. Hufgetrappel. Auf einem
Schimmel reitet Lukas von Gnom den Kiesweg hinab. Das Hemd
geöffnet, das wallende blonde Haar wehend im Wind. Er spielt
die Klarinette der Erkenntnis.
Reading/Web/Desktop Improvements
Die Töne dringen in mein Hirn hinein. Aus dem Nebel heraus
formt sich in meinem Kopf die Erkenntnis:
Reading/Web/Desktop Improvements (Lesen / Web / Computer) Es
gibt ein Projekt Wikipedia schöner zu gestalten. Und es hat
Chancen auf Umsetzung!
Ich versuche, den Vorwurf der Wikipedia-Altbackenheit zu
kontern. „Aber es gibt das Projekt Reading/Web/Desktop
Improvements zum Zusammenklappen der Seitenleiste in der
Wikipedia.“
Hüpfburg wirkt nicht beeindruckt.
Ich versuche das Projekt zu erklären. Leider hat es keinen
Namen, was das Sprechen und Schreiben über das Projekt
verkompliziert. Deshalb werde ich es Projekt Desktop
Improvements oder kurz Projekt DImp nennen.
DImp möchte Wikipedia leserfreundlicher machen. Dies soll
geschehen, indem die linke Seitenleiste versteckt wird. Diese wird
ausklappbar. Im Normalfall sieht man dort nur einen kleinen Pfeil.
Erst man auf den Pfeil klickt, kommen alle Menüs zum
Vorschein.
Dem fragenden Blick von Hüpfburg sehe ich an, dass sie
denkt „Welche Seitenleiste?“ Sie bestätigt damit,
dass man gedanklich verdrängt, was man nicht braucht.
Welche Seitenleiste?
In der Seitenleiste stehen links auf verschiedene
Wikipedia-Funktionen. Sie sind inhaltlich wild gemischt. Warum sie
dort in dieser Anordnung auftauchen: „Das ist in 15 Jahren
historisch gewachsen und logisch kaum erklärbar.“
Seitenleiste in einem
Wikipedia-Artikel
Links finden sich dort für die Leser. Die Links in der
Leiste lenken zu Hinweisen für Neulinge oder
Gelegenheitsautoren. Langjährige Hardcore-Autoren können
in der Leiste Spezial-Werkzeuge finden. Alle sind bunt gemischt.
Die Links haben sich über die Jahre angesammelt. Sie wurden
umgetauft und inhaltlich umgewandelt. In seltenen
Ausnahmefällen ist sogar ein Link verschwunden.
Die ganze Leiste zu erklären wäre müßig. Zu
verschieden sind die Zielgruppen, so dass es niemand gibt, der alle
Funktionen benötigt.
Für Leser am spannendsten sind die Links unten: die
Sprachversionen. Dort können sich die Leser Wikipedia-Artikel
zum selben Thema in anderen Sprachen finden. Es handelt sich bei
den Artikeln in anderen Sprachen um eigenständige Artikel. Es
sind keine Übersetzungen. Sie unterscheiden sich oft
inhaltlich. Auf jeden Fall bieten sie eine andere Sichtweise auf
dasselbe Thema.
Ein Teil der Sprachlinks zur
„Benutzerschnittstelle“
Ein Hinweis auf die Sprachlinks soll in den Kopfbereich der
Seite wandern, sichtbarer werden. Alles andere soll unsichtbarer
werden. So will es das DImp-Team.
Das, dessen Namen nicht genannt werden kann
Der Prozess ist schwierig zu finden. Denn er hat keinen Namen.
Selbst der Behelfsbezeichnung Reading/Web/Desktop Improvements ist
kaum zu entnehmen: Ist es die Bezeichnung für den Prozess? Ist
es die Bezeichnung für das Team in der Wikimedia
Foundation?
Kann man über etwas reden, dass keinen Namen hat? Ist
jemand das Problem aufgefallen? Ist es Absicht? In den Tiefen der
Wikimedia-Diskussion lassen sich Vorschläge finden, dem Kind
einen Namen zu geben. Da bleibt es bei der ausufernden
Umständlichkeit. Oder halt bei Projekt DImp.
Das Team
Das Team hinter DImp ist das „Readers Web
Team“ aus Angestellten der Wikimedia Foundation. Das
wiederum gehört zur „Abteilung“(?)
Readers oder Reading. Die Wikimedia Foundation
ist sich nicht sicher, wie die Abteilung heißt. Diese
Reading-Abteilung wiederum gehört zur Gruppe
„Product“. Product ist eine der zwei technischen
Gruppen in der Wikimedia Foundation. Die wiederum..
DJ Hüpfburg ignoriert mich und schaut dem Mann mit der
Bierflasche in der rechten Hand zu, der vollkommen in sich gekehrt
mit links sein T-Shirt bis zur Schulter hochzieht. Ich bin so in
Wikipedia-Inside-Detailtum verfallen, dass ich mir selbst nicht
mehr zuhöre.
..Auf jeden Fall: Es geht nicht um die App oder die
Mobilansicht, sondern die Ansicht am PC. Das Desktop-Ansichts-Team
will am PC die linke Seitenleiste einklappbar machen.
Ausgangslage
Es begann im Mai 2019 ausgehend von der Prämisse: Wikipedia
ist unübersichtlich.
Das DImp-Team brach die Prämisse herunter in drei
Leitsätze: Kein Leser versteht, wie das Wiki funktioniert. Die
Bedienung ist unnötig umständlich. Es sieht nicht
einladend aus.
Daraus folgten die Ziele des Teams: 1) Die Oberfläche der
Wikipedia soll übersichtlicher werden. 2) Die Oberfläche
soll die Blicke auf den Inhalt der Artikel lenken. 3) Die wichtigen
Bedienelemente sollen schneller zu finden sein.
Um die Verwerfungen mit der Community klein zu halten, gab es
von Beginn an Bedingungen. Die Verbesserung sollte nicht in Chaos
und Streit enden. Deshalb gab es Einschränkungen an der
Reichweite von Projekt DImp: 1) Keine drastischen Änderungen
am Layout. 2) Der eigentliche Inhalt aller Bedienelemente bleibt
bestehen.
Anders gesagt: Alles sollte besser werden, aber nichts sollte
sich ändern.
Der Prozess
Es begann mit Mai 2019 mit ersten Gedanken. Es dauerte bis
September des Jahres mit Vorüberlegungen. Bereits im Juli 2019
entstanden programmierte Gedankenspiele. Auf der Wikimania im
August 2019 gab es längere Diskussionen und Tests mit
anwesenden Teilnehmern.
Nach weiteren Tests wurde es im Mai 2020 ernst: Die ersten
beiden Prototypen für echte Features entstanden: zum Beispiel
die zusammenklappbare Seitenleiste. Die wurden zuerst in internen,
semiöffentlichen Wikis eingesetzt.
Es gibt das Feature im Officewiki, das die Wikimedia intern
nutzt. Und es gibt das Feature im Testwiki. Ursprünglich
sollte das Feature bis jetzt schon in „echten“
Wikipedias wie der hebräischen oder französischen
getestet werden. Aber Corona.
Normalnutzer können dennoch etwas sehen: Das Feature
lässt sich in jeder Wikipedia anzeigen. Einfach
?useskinversion=2 an den URL hängen. Also wenn der
Link zum Artikel UI (User Interface) in Wikipedia lautet:
Zugriffstatistik auf alle Wikimedia-Projekte nach
Zugriffsmethode.
Hüpfburg staunt: „Ich dachte, Wikipedia ändert
sich nie. Aber es ist ja noch schlimmer! 30 Angestellte, ein Jahr
mit Gerede und Fragen und wieder Gerede und wieder machen und am
Ende kommt ein elender Balken zum Zusammenklappen raus?“ Da
war ja der Kommunismus effizienter.
Jein, wende ich ein. Es mag ein kleiner Schritt für den
Sidebar sein. Aber es geht um Millionen Menschen. Bei 12 Milliarden
Schritten im Monat führen auch kleine Schritte sehr weit. Bei
den Autoren, die jeden Tag mit dem Anblick umgehen müssen,
für die die Wikipedia-Oberfläche oft ein wichtiger Teil
ihres Lebens ist, geht es um zehntausende Menschen. Angesichts der
Auswirkungen, die selbst eine kleine Änderung der
Wikipedia-Oberfläche in der Welt hat, ist der Aufwand
klein.
„Wenn du meinst? Ich bleib lieber bei meinen
Hochzeitswebsites. Dort muss ich nur den Geschmack der Braut
treffen. Das geht einfacher.“
Wikipedia ist nicht nur eine Enzyklopädie mit dem Anspruch
auf Ewigkeit, sondern auch ein Nachschlagewerk für Ephemeres
und zeitgemäß Aktuelles. In der Wikipedia stehen nicht
nur Artikel über Themen von Bach und Barock bis zu Bismarck
oder zur Binomialverteilung. Im Bastelbrockhaus stehen auch
Einträge über lebende Künstler, Sänger,
Sportler, Unternehmen, Vereine und Stiftungen.
Nun können diese Künstler, Sänger und andere diese
Einträge auch lesen und sind – mal zu Recht mal zu
Unrecht – nicht glücklich mit diesen Artikeln. Mal sind
die Artikel eigenwillig gewichtet, mal lassen sie das Wesentliche
aus, mal sind Daten veraltet und ab und an enthalten die Artikel
auch echte inhaltliche Fehler.
Artikel über sich selbst oder seine Organisation zu
ändern, ist nicht einfach. Manchmal ist es aber für
Wikipedia und die Betroffenen hilfreich. Deshalb hier einige Regeln
zum Umgang mit dem eigenen Wikipedia-Artikel.
Die Grundregeln für den Umgang mit der eigenen Person oder
Organisation in Wikipedia ist einfach: existiert noch kein Artikel,
so ist das gut. Wikipedianer schätzen es gar nicht, wenn
Betroffene über sich selbst Artikel anlegen. Die geschriebenen
Regeln verbieten die Artikelanlage in eigener Sache nicht explizit.
Die - wichtigeren - ungeschriebenen Regeln sprechen sich stark
dagegen aus. Umso kritischer werden Wikipedianer die neuen Artikel
begutachten, nach Schwächen und Fehlern suchen. Umso schlimmer
wird das Spießrutenlaufen für denjenigen, der diesen
Artikel anlegt.
Selbst wenn der Artikel durchrutscht, zumindest am Anfang keine
Kritik erfährt: Viele der Ersteller und Objekte von Artikeln
rechnen nicht damit, was für eine eindrückliche Erfahrung
es sein kann, die Kontrolle aus der Hand zu geben, einer anonymen
Gruppe von Menschen eine große Bühne zu geben, das eigene
Leben oder die eigene Organisation darzustellen. Eine eigene
Website oder ein Facebookauftritt kann dasselbe wie ein
Wikipedia-Artikel. Aber man behält die Kontrolle.
Wenn eine Person oder Organisation keinen Wikipedia-Artikel hat,
dann sollte sie eine Flasche Sekt öffnen, dankbar sein und
sich auf andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit verlegen. In
vielen Fällen allerdings existiert der Artikel schon, oftmals
nicht zur Zufriedenheit der betroffenen Person. Manchmal muss die
Person oder Organisation halt damit leben, dass die eigene Existenz
nicht nur Feiernswertes enthält. Manchmal hat sie aber auch
legitime Gründe zur Kritik: Veraltetes, Unvollständiges,
Fehlerhaftes oder eigentümlich Gewichtetes findet sich in
vielen Wikipedia-Artikel. Es gibt die Möglichkeit, etwas daran
zu ändern.
(1) Transparenz
Wikipedia ist überaus kritisch gegenüber Bearbeitungen in
eigener Sache. Jeder, der Artikel über sich selbst bearbeitet,
muss Grundmisstrauen überwinden und Vertrauen gewinnen.
Vertrauen gewinnt man durch Offenheit.
(2) Verifizierung
Speziell für Bearbeiter in eigener Sache und ganz speziell
für Menschen, die professionell unterwegs sind, existiert in
der deutschen Wikipedia das Mittel der Verifizierung. Bearbeiter
melden sich unter dem Namen ihrer Organisation/ ihrer Person an und
stellen damit eine Grundtransparenz her. Danach schicken Sie eine
Mail an info-de-v@wikimedia.org und werden dann von
Freiwilligen verifiziert. Weitere Details finden sich unter:
Wikipedia:Benutzerverifizierung
(3) Diskussionsseiten
Zu jedem Eintrag in der Wikipedia gehört eine
Diskussionsseite, auf der dieser Eintrag diskutiert wird. Um
Konflikte und Konfrontationen zu vermeiden, empfiehlt es sich, jede
größere Änderung erst auf der Diskussionsseite mit
einigen Tagen Vorlaufzeit anzusprechen. Erst wenn dort kein
Widerspruch, oder gar Zustimmung, gekommen ist, sollte der Artikel
selbst geändert werden. Taucht auf der Diskussionsseite
Widerstand auf, so ist die Diskussionsseite zur Diskussion zu
nutzen.
(4) Belegen
Wikipedia ist eine Enzyklopädie, die verlässlich sein
will, die aber jeder anonym bearbeiten kann. Zum Ausgleich legt die
Community starken Wert darauf, dass jeder inhaltliche Beitrag
belegt wird. Als Belege gelten nur Fakten, die anderswo
veröffentlicht sind. Sei es in Büchern, Zeitschriften
oder Websites. Diese Pflicht geht so weit, dass selbst Aussagen der
Person selbst oder amtliche Dokumente nicht akzeptiert werden
– sofern diese nicht an einer externen Stelle
veröffentlicht wurden.
Belege im
Artikel zur Wikipedia (kleiner Ausschnitt)
Dies klingt auf den ersten Blick aufwendiger als es ist. Zumindest
in heutiger Zeit. So gut wie jede Wikipedia-relevante Person oder
Organisation wird Zugriff auf eine Website haben, auf der sie etwas
veröffentlichen kann. Im Zweifel besitzt zwar eine externe
Veröffentlichung eine höhere Reputation.
Aber gültig sind auch Inhalte auf eigenen Websites. Wenn also
Wikipedia ihren zweiten Vornamen falsch schreibt: beginnen Sie
keine Diskussion mit der Community, sondern schreiben Sie ihn
richtig auf der eigenen Website. Wenn die Community nicht glaubt,
dass die Rolling Stones ihr größter literarischer
Einfluss sind - schreiben Sie es auf der eigenen Website.
(5) Klare, harte Fakten. Keine Adjektive
Artikel über sich selbst zu ändern, ist selbst unter den
besten Umständen ein Drahtseilakt. Die Gefahr besteht, auf
andere Autoren zu treffen, die dies aus Prinzip ablehnen und
versuchen gegen die Edits zu arbeiten. Aber auch diese Autoren sind
an Regeln gebunden. Je besser eine Bearbeitung nachgeprüft
werden kann und je eindeutiger diese ist, desto höher sind die
Chancen, dass sie bestehen bleibt.
Am besten hierfür eigenen sich unstreitige Zahlen und Fakten.
Während Fakten einfach und erwünscht sind, ist dies mit
Interpretationen schwierig. Diese sind generell in der Wikipedia
verpönt. Je niedriger das Vertrauen ist, das ein Autor
genießt, desto schwieriger wird es, Text einzubauen, der auch
nur entfernt nach Interpretation aussieht. Adjektive sehen immer
nach Interpretation und Wertung aus. Sie haben in einem Artikel
über einen selbst nichts verloren.
(6) Verständlich bleiben
Nun gibt es nicht nur die Community, für die ein Text
geschrieben wird, sondern auch die Leser. Leser lieben Wikipedia,
weil er hier klare, verständliche Informationen gibt, die sich
beim ersten Lesen erschließen. Buzzwords,
unverständliches, aber auch Fachsprache und Insiderlingo sind
verpönt. Die Community achtet darauf dies durchzusetzen.
„Geschwurbel“ ist einer der liebsten Begründungen
innerhalb der Community um Text zu streichen.
Gerade professionelle PR-Personen stellt dies oft vor besondere
Herausforderungen. So ist nicht ratsam zu schreiben, dass ein
Unternehmen "Verbindungen herstellt zwischen den Grundbestandteilen
der Industrieproduktion", sondern es stellt Schrauben her. Jemand
"entführt nicht in Welten der zwei Sonnen", sondern schreibt
Fantasy-Romane. Am besten haben Leserin oder Leser bereits beim
ersten Lesen eine klare Vorstellung davon, um was es
geht.
(7) Mit der Community zusammen
Wikipedia ist ein grundsätzlich offenes System, das von
zahlreichen Vandalen, Trollen und Manipulatoren heimgesucht wird.
Dementsprechend ausgebildet und etabliert sind mittlerweile die
Mechanismen, unerwünschte Bearbeitungen fernzuhalten. Die
etablierte Community hat die informellen, formalen und technischen
Mittel Text zu verhindern, kann aber auch unglaublich
Großartiges vollbringen. Jede Mitarbeit in Wikipedia, die von
Erfolg gekrönt sein soll, funktioniert nur im gegenseitigen
Vertrauen mit der Community.
Leider hat die Community die Eigenschaft die unkooperativsten und
unfreundlichsten Mitarbeiter vorzuschicken, wenn es um das Sichten
neuer Artikel geht. Oder anders gesagt: Die unfreundlichsten
Mitarbeiter sind besonders motiviert darin, sich auf Neulinge zu
werfen. Warum das so ist, darüber kann ich spekulieren,
möchte es aber nicht. Aber nicht aufgeben: es gibt nette und
freundliche Wikipedianerinnen und Wikipedianer. Mit etwas Ausdauer
lassen sie sich finden.
(8) Zu vermeiden: Freunde holen
Manche Autoren fühlen sich von der Wikipedia-Community
übermannt oder ungerecht behandelt und versuchen, Freunde zu
motivieren, ihnen beizustehen. Kaum etwas ist schlimmer. Die reine
Anzahl von Teilnehmenden in der Diskussion hat kaum ein Gewicht.
Wesentlich bedeutender ist das Vertrauen, dass den einzelnen
Beteiligten in der Community beigebracht wird.
Die Community hat ein eingebautes internes Vertrauenssystem, das
maßgeblich auf bisherigen Beiträgen beruht. Wenn aus
heiterem Himmel plötzlich eine größere Anzahl neuer
Nutzer bei einem Thema auftaucht, lässt das bei vielen
erfahrenen Wikipedianern Alarmglocken schrillen. Sie reagieren
skeptischer und aggressiver. Dabei gilt: gegen eine skeptisch und
aggressive Community zu agieren, hat nie Erfolg. Der Versuch,
Freunde zu mobilisieren ist bisher immer nach hinten
losgegangen.
(9) Das Sichtungsproblem
Speziell die deutsche Wikipedia hat das Instrument der Sichtungen
eingeführt. Das bedeutet: Änderungen an Artikeln werden
sofort gespeichert. Wenn diese Änderungen von einem neuen
Autor stammen, sind sie aber nicht sofort für die
Öffentlichkeit sichtbar. Dafür muss erst ein erfahrener
Wikipedianer sein OK geben. Je einfacher die Edits sind und je
einfacher sich ihr Inhalt extern überprüfen lässt,
desto schneller wird die Freigabe erfolgen.
Übersicht
über die Seiten, die am längsten nicht gesichtet
wurden.
(10) Fotos unter freier Lizenz
Ein einfacher Weg, das Vertrauen der Community zu gewinnen, Inhalte
beizutragen und es Wikipedia zu ermöglichen eigene Inhalte zu
nutzen, ist das Bereitstellen von Fotos unter freier Lizenz. Das
bedeutet, dass diese Fotos im Nachhinein genutzt, verändert
und eingebaut werden können. Allerdings muss dabei der Autor
genannt werden ebenso wie der Titel des Fotos. So in Wikipedia und
von dort aus dann viral durch das halbe Netz.
Der Wikipedia mangelt es nicht an Seiten mit Regeln, Vorschriften
und Anleitungen. Auch zu diesem Themenkomplex gibt es eher zuviel
als zu wenig zu lesen. Als Einstieg empfiehlt sich: Wikipedia:Interessenkonflikt
und die dortigen Links.
Bei Rückfragen zu bestimmten Einzelfällen, gerne auch
eine Mail an mich, dirkingofranke@gmail.com
Der Tunnel Beyschlagsiedlung auf der Berliner Stadtautobahn
dröhnt. Der Widerhall der Hupe im Tunnel scheucht kleine Tiere
auf. Der Harleyfahrer mit der Kutte „Odins Olle Outlaws
MC“ verreißt fast die Maschine. Sein böses Starren
kann ich durch das verspiegelte Tuning-Visier am Wehrmachtshelm
spüren. Madame schaut überrascht von der Wettervorhersage
am Handy auf. Müsste ich nicht lenken, würde ich
entschuldigend mit den Schultern zucken. Die Begeisterung
übermannte mich, führte meine Hand auf die Hupe.
Der Drosten hat im Radio minutenlang Wahrscheinlichkeiten
über mehrere Generationen durchgerechnet. „Wenn jeweils
einer zehn ansteckt und die anderen neun nur einen und einer von
zehn bleibt die Woche zufälig zu Hause, dann sind wir in der
dritten Generation..“ Überschlagsrechnungen! Mathe! Im
Radio! Glückswolken ziehen auf. Madame freut sich an meiner
Begeisterungsfähigkeit. Sie weist darauf hin: „Im
Podcast“. Drostens praktische Wahrscheinlichkeitsrechnung
läuft nicht im Radio.
Der
Drosten-Podcast fühlt sich an wie frühe Wikipedia.
Geschichten aus dem Leben. Wissenschaft. In der Hoffnung, dass die
Hörer mitdenken. Anschaulich erklärt, unterhaltsam,
relevant. Vielleicht fühle ich mich auch so sehr an die
frühe Wikipedia erinnert, weil Drosten in hoher
Intensität „PCR“ sagt.
PCR, die Polymerase Chain Reaction, deutsche Polymerase
Kettenreaktion, ist ein Verfahren der Biochemie, um bestimmtes
Erbgut (DNA oder indirekt RNA) nachzuweisen. Vor allem ist das
Verfahren derzeit von weltweiter Relevanz, da der Test via PCR der
Goldstandard zum Nachweis des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2
(SARS2) ist.
Jeder frühe Wikipedista kennt das Wort
Polymerase-Kettenreaktion. Denn der
Wikipedia-Artikel zum Thema gilt als erster Wikipedia-Artikel
überhaupt. Wie nerdig Wikipedia war, beweist, dass das Thema
PCR das Thema des ersten deutschen Wikipedia-Artikels aller Zeiten
war. Es beweist, wie Wikipedia damals auf die Zukunft gerichtet
war.
PCR
Allerdings. Nur weil Wikipedistas das Wort kennen, wissen sie
noch lange nicht, was es bedeutet. Es ist „was
biologisches“, wäre meine Auskunft bis vor SARS2
gewesen. Aber ich kann nachschlagen.
CR
Was ist PCR? Der Teil, den ich als Banause zuerst verstehe: die
Kettenreaktion oder Chain reaction. Es geht um einen chemischen
Prozess, bei dem etwas hergestellt wird. Aus den Ausgangsprodukten
wird wieder etwas hergestellt. Aus diesen wird im nächsten
Schritt wieder etwas hergestellt. In jedem Schritt verdoppelt sich
die Zahl. Das Verfahren läuft exponentiell ab. Wie bei jedem
exponentiellen Wachstum können innerhalb kurzer Zeit enorme
Mengen erzeugt werden.
Bei der der PCR wird DNA vervielfältigt. Die DNA wird in
jedem Schritt verdoppelt. Bereits bei Schritt 5 hat man die
32-fache Menge des Ausgangsmaterials bei Schritt 10 de 1024-fache
Menge und bei Schritt 15 entsteht etwa die 32.000-fache Menge des
Ausgangsmaterials. Bei Schritt 16 die 64.000-fache Menge, bei
Schritt 17 die 128.000-fache Menge.
Dies ist nötig bei Viren, die so klein sind, dass sie erst
mit dem Elektronenmikroskop überhaupt gesehen sichtbar gemacht
werden können.
Die Größe von Viren wird in Nanometer angegeben. Das
ist dieselbe Einheit, die zur Messung der Wellenlänge von
Licht benutzt wird. Dabei erreichen nur große Viren das Format
einer kurzen Lichtwelle. SARS2 beispielsweise hat einen Durchmesser
von 60 bis 140 Nanometer. Gerade noch sichtbares kurzwelliges
ultraviolettes Licht hat eine Wellenlänge von etwa 400
Nanometer. Wir begeben uns in Gegenden der Physik in denen
„Sichtbarkeit“ aus physikalischen Grünen schwierig
wird.
Um die Existenz eines Virus nachzuweisen braucht es erhebliche
Mengen des Virus. Er muss vielfach repliziert werden. Auf der Suche
nach dem Coronavirus durchläuft der Virus etwa 35
Durchgänge der PCR-Verdoppelung. Was bedeutet: Aus einer
Virus-RNA werden 35 Milliarden Kopien. Diese lassen sich mit
diagnostischen Verfahren nachweisen. Ergänzend lässt sich
Zählen wie viele Zyklen es bis zum Nachweis des Virus
benötigt. Und daraus läßt sich
rückschließen, wie viele Viren anfangs in der Probe
waren.
P
Wie kommt die Polymerase zur Kettenreaktion?
DNA kommt in Doppelhelixstrukturen vor. Zwei identische
DNA-Bänder kleben aneinander. Vor einer Zellteilung teilt sich
dieses DNA, um jeder neuen Zelle einen identischen Satz DNA
mitzugeben. Das zweite DNA-wird mit Hilfe der DNA-Polymerase aus
den Informationen der ersten hergestellt, um wieder die
Doppelstruktur zu haben.
Bei der PCR wird die im Original doppelsträngige DNA durch
Erhitzen in zwei einzelne Stränge geteilt. Die künstliche
hinzugefügte DNA-Polymerase erzeugt aus dem ersten DNA-Strang
einen zweiten identischen Strang. Der neue Doppelstrang wird wieder
durch Hitze geteilt. Und so weiter. Bis ausreichende Mengen an DNA
zur Verfügung stehen.
In der Realität ist der Prozess komplizierter. Was bereits
damit beginnt, dass SARS2-Viren aus RNA bestehen, die PCR aber nur
DNA kann. Die Viren müssen vor der PCR erst in Pseudo-DNA
verwandelt werden. Aber das führt zu weit. Ehrlich gesagt
verstehe ich es auch nicht mehr ansatzweise.
Der erste Artikel
Der Legende nach, die überall nachzulesen ist, war der
Artikel zur PCR der allererste Artikel der deutschsprachigen
Wikipedia. Wie immer, wenn es um etwas „erstes“ geht,
wird der Anspruch bei genauerer Betrachtung schwierig.
Die Wikipedia stieg nicht wie Venus aus dem Wasser, sondern sie
hatte Vorläufer. Die deutsche Wikipedia entstand aus der
englischen Wikipedia. Die englische Wikipedia war als Skizzen- und
Notizbuch für ein anderes Enzyklopädieprojekt, die
Nupedia gedacht. Gerade in der Anfangszeit wechselten die Medien
und die Software. Es begann mehrfach.
Die älteste Version
Wikipedia speichert alle Versionen aller Artikel. Der Kundige
kann nachvollziehen, was im Jahr 2001 im Artikel zur PCR stand, was
im Jahr 2010 und was im Jahr 2020. Alle diese Versionen sind
datiert.
Einige Jahre nach ihrer Gründung fragten sich die
Wikipedianer: Was war der allererste Artikel? Die Antwort schien
einfach: der Artikel mit der ältesten auffindbaren Version. Es
war der Artikel zur Polymerasekettenreaktion, geschrieben von
Magnus Manske.
Anzeige der ersten auffindbaren Versionen des
Wikipedia-PCR-Artikels. Man beachte, dass die ersten
„Autoren“ (Angabe in der Spalte rechts vom Datum) alles
technische Benutzer waren. Diese bearbeiteten offensichtlich einen
bereits vorhandenen von einem Mensch geschriebenen
Text.
Nun allerdings gab es ein Problem. Am Anfang war die Welt Chaos
und so auch die Wikipedia. Aufgrund verschiedener Gründe waren
die allerallerersten Versionen gelöscht worden. Die erste
auffindbare Version in der Wikipedia 2010 – die erste Version
zur Polymerase-Kettenreaktion – war nicht die erste
geschriebene Version der Wikipedia 2001.
Die deutsche Wikipedia kam nicht aus dem Nichts. Ihre ersten
Artikel waren Übersetzungen englischer Wikipedia-Artikel, die
als Entwürfe für englische Nupedia-Artikel entstanden
waren. Wie Vergil so die PCR. Ist die Übersetzung eines
Entwurfs für ein anderes Projekt ein „erster“
Artikel.
Sollte dieser Ruhm nicht dem Artikel zukommen, der auf Deutsch
exklusiv für die deutsche Wikipedia entstand? Dann wäre
es Dänemark, gefolgt von Kattegat und Nordsee – alle in
kurzer Abfolge geschrieben vom Dänen Schweden Lars
Aronsson.
Manske ist derjenige, ohne den es Wikipedia in der heutigen Form
nicht gäbe. Auch wenn seine Autorschaft des „ersten
Artikels“ Zufall ist – der Zufall hat gut
gewürfelt. Neben PCR stammten die ersten Artikel zu Charles
Darwin von Manske oder zum Plasmid – ein Teil der
Bakterien-DNA, der im Labor genutzt wird, um Gene zu
vervielfältigen. 2008 meinte Manske im Interview, dass PCR
vielleicht nicht einmal sein eigener erster Artikel in der
Wikipedia war, sondern der Artikel „Zelle.“ Vielleicht
aber auch die Mitochondrien.
Den Magnus-Manske-Day verdankt die Welt nicht dem Biochemiker
Magnus Manske, sondern dem Programmierer Magnus Manske. Manske
schrieb die erste Version der MediaWiki-Software, diejenige
Software auf der Wikipedia bis heute läuft.
Manske führte neue Funktionen ein, die bis heute Standard
der MediaWiki-Software sind. Manske führte Beobachtungslisten,
Beitragslisten und die Existenz verschiedene Namensräume ein.
Seine kontroverseste Erfindung war vielleicht die Erfindung der
„Administratoren“ als Gruppe mit besonderen
Rechten.
In den folgenden Jahrzehnten stammten aus Manskes Händen
weitere Tools um Wikipedia, die Wikipedia-Galerie und die
Wikipedia-Datenbank zu bearbeiten. Manskes Motivation, Mediawiki zu
programmieren, wird vielen Wikipedistas bekannt vorkommen: Er
wollte etwas lernen. In diesem Fall die Programmiersprache PHP, die
er vorher noch nie genutzt hatte, und in der Mediawiki programmiert
ist.
Manske stammt aus Köln, ist 45 Jahre alt und arbeitet seit
13 Jahren am Wellcome-Trust-Sanger-Institut in Cambridge. 2012 war
ein Co-Autor eines Nature-Aufsatzes zur Sequenzierung der DNA von
Malaria-Parasiten. 2013 war er „Head of Informatics in the
Malaria Programme at the Sanger Institute“ Unter anderem war
er beteiligt, die Lookseq-Software zu Programmieren, die es
Forschern erlaubt DNA-Sequenzen zu visualisieren. Was inhaltlich
meinem bescheidenen Verständnis nach nahe an der PCR ist.
Pantha rhei
Dieses Unfertige. Diese Mischung aus großen, komplexen
Gedanken wie dem zur PCR und dem Unordentlichen des Neuanfangs wie
die Löschung der Versionen, diese reizte mich und viele andere
an der Wikipedia. Es begeisterte und begeistert mich. Und auch wenn
Christian Drosten kein Student ist, diese Lernbegeisterung
verströmt er mit jedem Satz. Diese Begeisterung, wie er kurz
Wahrscheinlichkeiten durchrechnet – und in seinem Inneren
davon auszugehen scheint, dass ihm alle begeistert Folgen
können. Das ist der Geist der Wikipedia in ihren besten
Momenten.
Auch aus dem Jahr 2011 Kurt Jansson „Der
kurze Sommer der Anarchie“ – ein Rückblick,
der aus heutiger Perspektive selber schon sehr historisch und
nostalgisch wirkt.
Auch bei der Recherche gefunden. Ein
300-Seiten-Epos in Form einer linguistischen Doktorarbeit zum
Schreiben in der Wikipedia. Beim ersten Überfliegen aus
Sicht eines Wikipedianers: Die Autorin hat Ahnung. Und niemand las
ich bisher, der so toll und anspruchsvoll ausformulieren
könnte, wie wir in der Wikipedia so herumlavieren. Nach der
Lektüre des Textes hat man beim piefigsten Editwar die
Überzeugung an bedeutsamen Prozessen teilzunehmen.
Schafe grasen auf dem Dach. Schafe. Mitten in Berlin.
Metropolenschafe. Berghain-Schafe. Berlin-Schafe. Dort, wo die
Stadt zwar auszufransen beginnt, ist noch Stadt. Der Blick aus den
Hinterzimmern des Museums Europäischer Kulturen bietet
Einblicke und Ausblicke.
Zum Beispiel auf das Dach der nahe gelegenen
Veterinärmedizin der FU Berlin. Dort grasen Schafe auf dem
Dach. Schafe, deren Daseinsgrund bereits gerichtlich
überprüft wurde. Sie grasen dort auf dem Dach seit
1960.
Wiki goes MEK
Wir sehen sie aus dem Museum Europäischer Kulturen –
dem letzten Museum des einstigen Museumsviertels in Dahlem.
Während die Außereuropäischen Kulturen unter
Getöse in das Berliner Stadtschloss ziehen wollen, bleiben wir
im Grünen.
Dank des Wikipedianers Julius1990, den Mitarbeiterinnen des
Museums wie Jana Winterzellner und dank Wikimedia Deutschland
ziehen wir bereits zur Dritten Veranstaltung „Wikipedia
goes MEK“ ein. 2017 fand diese zum Thema
„Spielzeug“ statt, 2018 zum Thema
„Hochzeit“, 2019 zur „Alltagskultur in der
DDR.“ Aber das ist nur Anlass. Gibt es doch mehr. Wir
genießen Aus- und Einblicke.
Wir sind dort, wo das Museum spannend wird. Wir haben das museale
Ziffernblatt verlassen und sind im Uhrwerk angekommen.
Ich wäre der letzte, der den Wert einer
Kuratorinnenführung durch die Ausstellung
comiXconnection zur Comic-Kultur auf dem Balkan schmälern
würde. Selbst dort war einer der Höhepunkte der Comic,
den Comiczeichner*innen des Balkans über die Ausstellung
gezeichnet hatten. Alle nutzten ein gemeinsames Storyboard. Die
einzelnen Episoden zeichneten je einzelne Zeichner*innen. Leserin
und Leser sehen der Kunst beim Entstehen zu. Dort wird es spannend.
Aber die Ausstellung, trotz aller Einblicke ist noch die gepflegte
Schauseite.
Wenn es Nacht wird im Museum
Mein Herz glüht für die Arbeitsseite. Die
Hintereingänge. Deshalb bin ich gern im Museum für
Alltagskultur.
Dort, wo das Museum lebt. Es ist nicht nur Nachts spannend,
sondern tagsüber, sobald es in die Hinterzimmer geht. Vorbei
an Lagern, Werkstätten, den Büros, die Mitarbeiter*innen
persönlich schmückten. Für mich als gelegentlichen
Museumsbesucher immer wieder aufregend. Auch wenn ich inzwischen
das Glück besitze, mich bei der dritten
Wikipedia-Veranstaltung im Museum Europäischer Kulturen
beinahe zu Hause zu fühlen.
Langsam kenne ich den Gang durch den zweiten Stock im Oberbau.
Ich weiß, was mich beim Hineinlinsen in die Werkstätten
erwartet. Der Geruch wirkt bekannt. Die Mischung als
jahrhundertealten Textilien, die dort gelagert werden und einem
jahrzehntealten öffentlichen Gebäude, erzeugt bei mir
sofort Gedanken an Unis und Bibliotheken.
In mir wächst der Wunsch, mich häuslich einzurichten.
Ich freue mich, dieselben Mitarbeiterinnen zu sehen und die
Direktorin Elisabeth Tietmeyer. Auch wenn ich im Gang stehen
könnte. Mich an der Luft freuen. Am Ende des Ganges wird es
noch besser. Denn am Ende des Ganges wartet nicht nur die
Rückseite eines Museums, sondern ein kleines Paradies für
Wikipedistas: Zeit und Bücher und Internet.
Der Dudelsack in der DDR
Habt Ihr Euch Gedanken zum Dudelsack-Selbstbau in der DDR
gemacht? Ich nicht. Bis mir der Handapparat zur Veranstaltung in
die Hände fiel. In diesem stand das Buch „Volkes Lied
und Vater Staat. Die DDR-Folkszene 1976-1990.“ Nun hatte ich
die eine
oder andere Berührung mit der Musik der späten DDR und
der Wendezeit. Die Folkszene bildete bisher eine
Bildungslücke. Nicht mehr.
Mit Ralf Gehler schrieb ein Bastler und Freak in „Volkes
Lied und Vater Staat“ über das Dudelsackspiel. Unter den
Bedingungen der DDR schloss Dudelsackspielen zwingend den Selbstbau
von Dudelsäcken ein. Der Dudelsack passte nicht in das
verordnete Kulturprogramm. Dudelsäcke aus Schottland oder
Frankreich, waren selten. Sie zu erhalten erforderte Aufwand.
Anscheinend war jeder einzelne Dudelsack aus Schottland in der DDR
der gesamten Folkszene des Landes persönlich bekannt.
Die Haupteinflüsse auf die Szene bildeten Bulgarien, das
lange die Hauptquelle für Instrumente bildete und die CSSR.
Das Festival von Strakonice (bei Budweis) bildete das zentrale
Festival, auf dem sich die ostdeutschen Dudelsackspieler trafen und
die beste Chance, die Szene aus dem östlichen und westlichen
Ausland zu treffen.
Dabei erfährt der Leser nebenbei, wie groß die Welt
der Dudelsäcke ist, in wie vielen verschiedenen Varianten sie
gebaut, gestimmt und gespielt werden können. Der allseits
bekannte schottische Sack bildet einen Spezialfall ab. Dabei
nutzten die DDR-Spieler in den Anfangsjahren vor allem bulgarische
und tschechische Dudelsäcke. Seit den späten 1970ern
kamen immer mehr selbst gebaute Instrumente, hinzu. In Repertoire
und Spielweise orientierten sie sich an Westeuropa, Frankreich,
Belgien und Schottland.
Wie eigen das Leben in der abgeschotteten DDR war, lässt
das Buch an zwei Stellen aufscheinen: Eine wichtige Quelle für
die gesamte Dudelsackszene der DDR war ein einzelner Kellner im
Restraurant des bulgarischen Kulturinstituts und:
„Bernd Eichler berichtet, dass eine Dudelsackformation
alljährlich auf DDR-Territorium musizierte, an den
Gräbern im Ersten Weltkrieg gefallener britischer Soldaten auf
dem Waldfriedhof Stahnsdorf. Einige Dudelsack-Interessierte nutzten
alljährlich den Termin, um das Spiel zu erleben.
Aber auch: wenn man von der Welt abgeschnitten ist und jeder
Kontakt Aufwand bedeutet, entwickelt sich eigene Kreativität.
Vielleicht war die DDR-Folkszene eine der ersten Entwicklungen der
DDR, die nach der Wende Gesamtdeutschland prägten. Historische
und Folkloremärkte entwickelten sich seit den 1970ern in der
DDR. Hier fanden die Dudelsackspieler
Auftrittsmöglichkeiten.
DDR-Dudelsackszene als gesamtdeutsche Avantgarde
Roman Streisand entwickelte ein von Punk und Theater
geprägtes Bühnenformat. Das Format bestimmte nach der
Wende Mittelaltermärkte- und Musik in Deutschland.
Kostüme mit Fellen, Hörnern und rustikal wirkenden
Utensilien gehörten zum Auftritt. Ebenso waren wilde
Bewegungen und dramatischen Gesichtsausdrücke
stilprägend. In der betulich wirkenden Folk-Welt der DDR
bedeutete dies einen Stilbruch.
Die „Marktsackpfeife“, heute vorherrschender
Dudelsack auf den Bühnen der Mittelalterfestivals, war eine
DDR-Entwicklung. Gebraucht wurde ein lauter Dudelsack zur
Begleitung von Tanzmusik. Im Ausland wird die Marktsackpfeife
inzwischen als „deutscher Dudelsack“ bezeichnet.
Die erste bekannte Mittelalterband, „ Corvus Corax
“, ging aus der 1982 gegründeten Potsdamer Gruppe
„Tippelklimper“ hervor.
Wikipedia goes MEK 3
Wikipedia goes MEK fand im Herbst 2019 zum Dritten Mal statt.
Dank der Initiative von Julius 1990 aus der Wikipedia, den
MEK-Mtarbeiterinnen und Holger Plickert von Wikimedia. Das Format
ist etabliert. Es gehört zur größeren
Wikipedia-Bewegung namens GLAM.
GLAM
GLAM steht für „Galleries Museums Archives und
Libraries“, auf Deutsch „Galerien, Museen, Archive und
Bibliotheken.“ Eine Programm / eine Idee / eine Bewegung,
Wikipedia und Kulturinstitutionen zusammen zu bringen. Der Gedanke
ist, dass Institutionen die Inhalte haben, Wikipedia die digitale
Präsenz und beide haben Kompetenzen darin, das Ganze an die
Menschen zu bringen. Wikipedia und viele der GLAMs verfolgen den
Traum, die Welt durch Bildung und Kultur besser zu machen.
Die GLAM-Idee kommt aus dem englischen Sprachraum. Dort sind
„GLAMs“ ein fester Begriff auch ohne Wikipedia. Diese
Institutionen sind oft finanziell und organisatorisch schlechter
gestellt als im hochkulturbegeisterten Deutschland. Sie brauchen
die allgemeine Öffentlichkeit.
GLAMs begannen früh sich zusammenzuschließen,
gemeinsam an die Öffentlichkeit zu treten und
Community-Outreach zu betreiben, zum Beispiel via Wikipedia.
Wikipedia-GLAM im englischen Sprachraum kommt mir aus der Ferne oft
vor, wie eine heterogene, bewegte, überraschende Masse. Vieles
ist offen. Viele können sich andocken.
In Deutschland läuft es strukturierter. Hier ist das
Programm fest mit Wikimedia Deutschland verbunden. Die Zugänge
zu den Institutionen sind oftmals schwieriger. Umso besser ist es,
so eine Dauerpartnerschaft wie mit dem MEK zu haben. Leider neigt
auch das GLAM-Programm in Deutschland zu organisatorischen
Verengung.
Theater und Ballett zum Beispiel sind Hochkulturinstitutionen,
sprengen aber den engen Rahmen der GLAMs. Max-Planck-Institute oder
Unis besitzen viel, das für Wikipedia spannend wäre. Ganz
zu schweigen von Orchestern, Offkultur oder anderen
Bildungseinrichtungen. Spannend wird es bei solchen Playern wie der
Seemannsmission. Gerade das MEK zeigt wunderbar, wie Museum und
Welt da draußen zusammenwirken können. Das MEK kann
inspirieren, GLAM weiter und offener zu denken.
GLAM*
Deshalb brauchen wir GLAM*. Das * als Zeichen dafür, dass GLAM
noch viel mehr umfasst als nur diese drei Bereiche der Hochkultur.
GLAM ist der Beginn aber nicht die Grenze. Bildung und Kultur sind
weiter. Das hat gerade der englische Sprachraum begriffen. Gerade
Wikipedia lebt von dieser Erweiterung. Museen sind ein Anfang. Und
das MEK als Museum für Alltagskultur ist natürlich der
beste aller Anfänge
Wikipedia goes MEK 4
Deshalb wünsche ich mir, dass Wikipedia goes MEK 2020 weiter
geht. Es möge sich weiter als Basiscamp etablieren. Um von
dort Museum und Welt, Alltagskultur und kulturellen Anspruch, das
hier und jetzt und die Ewigkeit der Sammlung zu vereinen.
Vielleicht wäre dies die Chance für ein Meta-GLAM?
Vielleicht eines zu Museumstechniken? Zur Konservierung? Zur Frage
was ist Alltag? Oder wäre das zuviel?