Darum sollten Hochschulen von X zu Mastodon wechseln

Wednesday, 20 November 2024 10:49 UTC

Anlässlich der aktuellen Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) haben wir mit dem Aktionsbündnis die akademischen Oberhäupter erneut dazu aufgefordert: Kehren Sie endlich X den Rücken! Nutzen Sie stattdessen Mastodon für die öffentliche Kommunikation über Forschung und Wissen. Die HRK sollte eine entsprechende Empfehlung an die Hochschulen aussprechen. Bisher ist nur ein kleiner Teil der deutschen Hochschulen auf Mastodon vertreten. Auch nach der jüngsten Sitzung am 19. November konnte sich die HRK nicht zu einer Empfehlung durchringen.

Warum Mastodon?

Das Mastodon-Netzwerk ist eine dezentrale Struktur. Das heißt, die Moderation von Inhalten dominiert nicht ein Unternehmen. Vielmehr achten viele verschiedene Akteur*innen und Betreibende der einzelnen Instanzen auf eine effektive Moderation. So kann die Verbreitung von Hass und Hetze verhindert werden.

Hinzu kommt: Es gibt kein Tracking und keine Datensammelwut, keine Werbung und auch keine Timeline, in die Algorithmen vor allem solche Inhalte spülen, die Aufregungspotenzial haben und Nutzende lange an die Plattform fesseln. Es gibt außerdem eine große Auswahl an Instanzen, die sich mit bestimmten Themen oder Regionen befassen.

Wikimedia Deutschland hat bereits Ende 2023 X den Rücken gekehrt, weil die Plattform sich nicht mehr mit unseren Werten vereinbaren ließ. Seitdem nutzen wir aktiv Mastodon und können sagen: Das Klima ist dort sachlicher und offener. Die Menschen, die mit uns in den Austausch gehen, tun das, weil sie an Themen und Argumenten interessiert sind. Und wir konnten dort schnell eine große Anzahl Menschen für unsere Themen interessieren.

Auch viele andere Organisationen und Unternehmen haben X aus ähnlichen Gründen bereits verlassen. Dazu gehören das ZDF, die BVG, der Bundesverband Deutscher Stiftungen oder auch die Volkswagenstiftung.

Warum braucht es das Aktionsbündnis?

Eine Wikidata-Abfrage weist 45 Hochschulen aus, die bei Mastodon vertreten sind. Die Friedrich-Schiller-Universität Jena ist seit Januar 2020 dabei, während etwa die Evangelische Hochschule Ludwigsburg im September 2024 beigetreten ist. Auch wenn de facto sicherlich ein paar mehr Hochschulen bei Mastodon aktiv sind – Wikidata zählt nur die Hochschulen, in deren Dateneintrag das auch vermerkt ist – sind es viel zu wenige. Die HRK hat aktuell 271 Mitgliedshochschulen.

Hochschulen mit Mastodon-Account, die dem Bündnis bisher bekannt sind.

Auch nach Gesprächen mit Mitgliedern des Aktionsbündnisses war die HRK nicht bereit, ihren Mitgliedern zu empfehlen, Mastodon statt X zu nutzen.

Um den Umstieg von X auf Mastodon zu erleichtern, haben wir im Aktionsbündnis ein Tutorial erarbeitet. Von Schritt 1 „Server auswählen – oder selber hosten“ bis hin zur Nutzung von Mastodon und zum Ausstieg aus X erklären wir darin Schritt für Schritt, wie Mastodon funktioniert.

Um den Rektor*innen zu verdeutlichen, dass unsere Forderung Unterstützung findet, hat das Aktionsbündnis außerdem eine Petition gestartet. Je mehr Menschen diese unterstützen, umso deutlicher wird den Unis und Hochschulen, dass sie ihre Kommunikation ihren Werten anpassen müssen.

Das Aktionsbündnis besteht zu einem großen Teil selbst aus akademischem Personal. Zu den Erstunterzeichnenden gehören unter anderem die Informatik-Professorin Claudia Müller-Birn, der Professor für Biotechnologie Mario Birkholz, der Leiter des Open Science Labs am Leibniz Informationszentrum für Technik und Naturwissenschaften Lambert Heller oder der Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch. Viele weitere Forschenden und Mitarbeitende von Hochschulen haben die Petition mittlerweile unterzeichnet.

Die Petition läuft noch bis zum 6. Januar 2025. Zeigen wir bis dahin den Hochschulen, dass wir sie im Fediverse erwarten! Hier geht es zur Petition.

In der freien Mediensammlung Wikimedia Commons finden sich seit diesem Jahr Fotos von einigen der imposantesten Werke des Malers Caspar David Friedrich. „Das Eismeer“ zum Beispiel. Oder die „Abtei im Eichwald“. Zu verdanken ist das einem Themenschwerpunkt der GLAM-Veranstaltungen 2024, der dem berühmten Romantiker gewidmet ist. Mit den GLAM-Formaten bringt Wikimedia Deutschland die Ehrenamtlichen der Wikimedia-Projekte regelmäßig in Kontakt mit Kulturinstitutionen – und verschafft ihnen auch Einblicke hinter die Kulissen, die etwa andere Ausstellungsbesucher*innen nicht bekommen.

Im Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich begann die Veranstaltungsreihe mit einer Wikipedianischen KulTour in Berlin, wo in der Alten Nationalgalerie die Ausstellung „Unendliche Landschaften“ besucht wurde. Jetzt ging es für elf Wikipedianer*innen für ein Wochenende nach Greifswald – in die Geburtsstadt des Künstlers also, die ihn zu einer Vielzahl von Gemälden inspirierte, wie zu erleben in der Sonderausstellung „Heimatstadt“ des Pommerschen Landesmuseums.

Während der zweitägigen Tour haben die Ehrenamtlichen umfangreiches Wissen gesammelt und hunderte Fotos gemacht. All das wird jetzt für Wikipedia-Artikel aufbereitet.

Engagement auf allen Seiten – „Was wir schon immer mal wollten“

Eine Besonderheit dieser GLAM on Tour-Station: Nicht nur das Museum, auch die Universität Greifswald und die Domgemeinde St. Nikolai stellten sich dafür mit ihren jeweils eigenen Kunstsammlungen als Kooperationspartner zur Verfügung. „Dieser Dreiklang der Institutionen spiegelt die organisierte Zivilgesellschaft in Greifswald bestens wider, die uns willkommen geheißen hat“, findet Holger Plickert, der zusammen mit Christoph Jackel die Veranstaltung für Wikimedia Deutschland organisierte und begleitete.

„Die Anfrage, Mit-Gastgeber der GLAM on Tour zu sein, rannte offene Türen bei Kustodie und Wissenschaftskommunikation der Universität Greifswald ein“, beschreibt der Leiter der Kustodie, Dr. Thilo Habel: „Das Angebot war eines aus der Rubrik ‚was wir schon immer mal wollten‘.“

Ein Engagement, das auch die Ehrenamtlichen vor Ort wahrnahmen: „Sowohl die Mitarbeiter des Museums, als auch die der Universität und der Superintendent brennen für ihre Sache und haben es geschafft, alle mitzureißen“, so die Wikipedianerin Artessa.

Besondere Momente im Museum für Wikipedia-Aktive

Auch die Wikipedianerin Geolina163 lobt: „Die GLAM-Veranstaltung in Greifswald war für mich wohl eine der inspirierendsten der vergangenen Jahre. Das hochkarätige und vielseitige Programm hätte gut für die doppelte Zeit ausgereicht.“

Am ersten Tag bekamen die Wikipedia-Ehrenamtlichen zwei Exklusivführungen im Pommerschen Landesmuseum, sowohl durch die Dauerausstellung der Institution, als auch durch die Sonderausstellung „Heimatstadt“ mit Werken von Caspar David Friedrich. „Den innigsten Moment des Wochenendes hatte ich am Samstag kurz vor Schließung des Museums, ganz allein in den Räumen mit den wunderbaren und vielschichtigen Bildern des Malers“, schwärmt Geolina. „Erstaunlich, wie viele der Ansichten man heute noch in Greifswald am Hafen und im Ortsteil Eldena entdecken kann.“

Wikipedianer Wuselig erzählt: „Ich fand es auch faszinierend, was das Landesmuseum neben der Sonderausstellung noch alles zu bieten hatte“. Zum Beispiel historische Karten des vormaligen Herzogtums Pommern, die er in Detailausschnitten abfotografiert hat – die Bilder sind teilweise schon auf Commons hochgeladen. „Ich versuche Ausstellungen stets vom ersten bis zum letzten Bild zu dokumentieren, sofern sie gemeinfrei sind“, beschreibt Wuselig seinen Anspruch. „In Greifswald habe ich aufgrund der Fülle nur das Untergeschoss geschafft.“ Sein Wunsch: „So eine GLAM-Veranstaltung sollte keine einmalige Sache sein. Das schreit nach mehr!“.

Offene Türen und spektakuläre Fenster

Überhaupt fanden viele der Entdeckungen, die abseits der Caspar David Friedrich-Pfade zu machen waren, großen Anklang bei den Teilnehmenden. Typisch für eine GLAM on Tour: Vor Ort öffnen sich oft unerwartete Türen, ergeben sich überraschende Fotogelegenheiten, lässt sich Wissen sammeln, mit dem auch bestehende Wikipedia-Artikel erweitert werden können – in diesem Fall etwa zur Greifswalder Universität, dem Dom St. Nikolai oder generell zur Pommerschen Landesgeschichte.

Am zweiten Tag wurde die Gruppe über den historischen Gebäude der Universität geführt und konnte sowohl den noch gut erhaltenen Karzer, als auch die historische Aula des Gebäudes besichtigen. „Sogar die Sammlungsräume des Kustos, mit einer Auswahl von Zeichnungen des Paläontologen Otto Jaekel und wertvollen Fischerteppichen, durften besucht werden“, erzählt Geolina. Ihr absolutes Highlight im Greifswalder Dom wiederum: „Die neuen, spektakulären Ostfenster des Künstlers Ólafur Elíasson, farblich angelehnt an das Gemälde ‚Huttens Grab‘ von Caspar David Friedrich.“ Die Wikipedianerin hofft, dass Elíasson die Genehmigung dafür erteilt, dass auch diese Bilder Eingang in Wikimedia Commons finden können.

Als „geradezu euphorisierend“ erlebte Dr. Thilo Habel „die große Spannbreite an Interessensschwerpunkten der Teilnehmenden, mit Gesprächen über Gipse, Gemälde, digitale Objekterschließung, Provenienzen, Restitutionen, Pflanzensystematik und Kulturpolitik der DDR… – jedenfalls genug, um neue Anknüpfungspunkte in der Zukunft zu finden.“

Inspirierende Einblicke ins Wikiversum

Umgekehrt ließen sich auch die Vertreter*innen der Kulturinstitutionen in Greifswald von den Haupt- und Ehrenamtlichen mit großem Interesse ins Wikiversum einführen. „Ich konnte viel über die Wikimedia-Projekte lernen und freue mich darauf, dieses neue Wissen anzuwenden“, so Pauline Kudell, Wissenschaftliche Volontärin am Pommerschen Landesmuseum.

Auch Florian Krüger, Koordinator des Begleitprogramms und freiberuflicher Guide, empfand die GLAM on Tour als bereichernd. Zum einen, „weil ich ein paar der Menschen kennenlernen konnte, die hinter Wikipedia stecken, die mit einiger Motivation und Interesse in die Themen geblickt haben, für die ich mich auch begeistere, und damit Wissen und Anregungen in den Rest der Welt weitertragen können – was in unserer eher dünn besiedelten Region oft schwierig ist. Zum anderen, weil ich Einsichten erhalten habe, die für meine Betätigung in der Wikipedia oder für Wikipedia Commons grundlegend sind und mir so einen eigenen Start ins Wikiversum ermöglicht haben.“

„Wir freuen uns sehr über diese produktive Zusammenarbeit mit Wikimedia, der Universität Greifswald und dem Dom St. Nikolai“, zieht Pressesprecherin Julia Kruse Bilanz und blickt in die Zukunft: „Beim gemeinsamen Abendessen entstanden schon viele neue Ideen für mögliche weitere Kooperationen!“

Zurück mit 5 Kilo Büchern und 700 Fotos

Zuerst gilt es natürlich, die in Greifswald gewonnenen Eindrücke in Wikipedia und Wikimedia Commons zu überführen. Keine leichte Aufgabe, wie Geolina beschreibt: „Zurück mit fast 5 Kilogramm Büchern stellt sich die Frage, wo mit der Artikelarbeit anfangen? Bei den Biografien der Museumsdirektor*innen, dem Großfindling, der KPM-Prunkvase aus der Dauerausstellung oder mit dem Friedrich-Bild der Höhle aus dem Harz, die ich sehr gut kenne? Am umfangreichsten wird aber sicherlich der Artikel über das Ostfenster im Dom. Oder doch erst die fast 700 Fotos sortieren und bearbeiten? Es ist nur bedauerlich, dass der Tag nur 24 Stunden hat und man nebenbei auch noch die Brötchen verdienen muss.“

Lust, mehr zu erfahren?

Auch das Pommersche Landesmuseum hat einen Bericht zum Besuch der Wikipedianer*innen veröffentlicht. Diesen können Sie hier lesen.

Hier finden Sie eine Übersicht über vergangene und anstehende GLAM on Tour-Veranstaltungen sowie alle Informationen rund um das GLAM-Projekt von Wikimedia Deutschland in Kooperation mit Galerien, Archiven, Bibliotheken und Museen, die sich dem Freien Wissen öffnen. Inklusive Terminkalender!

Wer beim Fotowettbewerb Wiki Loves Monuments mitmacht, leistet einen wichtigen Beitrag zum Denkmalschutz und zur Bewahrung des Kulturerbes. Die eingereichten Fotos werden im Medienarchiv Wikimedia Commons hochgeladen und stehen unter freier Lizenz. Alle können die Bilder nutzen – vor allem helfen sie Wikipedia-Aktiven, Artikel in der Online-Enzyklopädie zu bebildern. Organisiert wird WLM von Ehrenamtlichen der Wikimedia-Communitys auf der ganzen Welt.

Jetzt stehen die Gewinnerfotos der deutschen WLM-Ausgabe 2024 fest. Eine zehnköpfige Jury aus der Community und ein externer Juror haben Anfang November in Fulda ihre Auswahl unter mehr als 900 Fotos getroffen, die von der Vorjury am besten bewertet wurden. Die 10 ersten Plätze nehmen am internationalen Wettbewerb teil.

Platz 1 bis 3

Leonhard Lenz, CC0, via Wikimedia Commons
Leonhard Lenz, CC0, via Wikimedia Commons

Platz 1 geht an GPSLeo mit „Verladeturm Groß Neuendorf des Oder-Hafens in LetschinGroß Neuendorf im Landkreis Märkisch-Oderland“. Zusammen mit der inzwischen touristisch genutzten Anlage dokumentiert GPSLeo auch das Hochwasser an der Oder, das im September 2024 weite Teile Mitteleuropas traf. „Durch den Zugang, sowohl das Denkmal als auch die Naturgewalt technisch einwandfrei und verantwortungsbewusst abzubilden, macht der Fotograf das Bild zu einem wichtigen Zeitdokument“, so die Jury.

Jojoo64, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
Jojoo64, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Den 2. Platz gewinnt Jojoo64 mit „Schloss Appelhof in AllersbergAppelhof im Landkreis Roth“. Das Foto gibt in den Augen der Jury sehr gut „sowohl den Bau-Charakter, die unmittelbare Umgebung als auch den gegenwärtigen Erhaltungszustand“ des Schlosses wieder, das ursprünglich für den Herzog von Bayern erbaut wurde – außerdem strahle es trotz der unmittelbaren Nähe zur A9 und der Schnellfahrstrecke Nürnberg-München eine große Ruhe aus.

Reinhold Möller Ermell, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
Reinhold Möller Ermell, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Auf Platz 3 wurde Ermell mit „Burg Rauheneck in EbernVorbach im Landkreis Haßberge“ gewählt. Das Bild zeigt die vielfach fotografierte Burg Rauheneck aus der Vogelperspektive und ist mit einer Drohne aufgenommen. „Dieser Einsatz einer Drohne zeigt wirkungsvoll, dass mit ihnen erstellte Bilder insbesondere in solchen Fällen, in denen das Denkmal nur noch in Fragmenten vorhanden ist, neue Blickwinkel beitragen können“, so die Jury.

Platz 4 bis 15

Sonderpreis Kinderwelten

Zum ersten Mal wurden 2024 auch drei Sonderpreise für Fotos von Kulturdenkmalen und Bauwerken aus der Sicht von Kindern und für die Zielgruppe Kinder vergeben. Anlass ist der 10. Geburtstags von Klexikon.de, dem größten und beliebtesten freien Kinderlexikon in deutscher Sprache. Das Klexikon hat eine eigene Jury aufgestellt, in der Kinder bei der Auswahl der drei Preisträger-Fotos mitentscheiden konnten.

Die Preisverleihung findet am 6. Dezember in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland in Berlin statt. Dort werden erstmals die Preise der Foto-Wettbewerbe Wiki Loves Monuments, Wiki Loves Earth und Wiki Loves Folklore Deutschland zusammen vergeben.

Mitmachen bei einer Erfolgsgeschichte: So geht’s!

Gestartet ist Wiki Loves Monuments im Jahr 2010 in den Niederlanden. Schon zwei Jahre später machten Fotobegeisterte aus 35 Ländern mit und reichten über 360.000 Fotos ein. Heute noch gilt Wiki Loves Monuments als der größte Fotowettbewerb rund um Bau- und Kulturdenkmäler weltweit.

Wie auch bei allen anderen Wiki-Wettbewerben ist das Schöne an WLM: Alle können mitmachen – vom Hobbyfotografen bis hin zur Foto-Expertin. In drei Schritten geht’s zum Ziel: Denkmal auswählen, fotografieren, Foto auf Wikimedia Commons hochladen. Wer sich an einer der kommenden Ausgaben beteiligen möchte, findet hier weitere Infos zu den Teilnahmebedingungen.

Wikimedia Deutschland hat sich zum nun erschienenen Referentenentwurf mit einer Stellungnahme positioniert – für Freie und Offene Software als Standard in der Verwaltung.

Durch die Reform sollen zentrale Herausforderungen in der öffentlichen Beschaffung adressiert werden, darunter die Komplexität des Vergaberechts, die Stärkung der Digitalisierung sowie die Förderung einer nachhaltigen und sozial-ökologischen Wirtschaft.

Wenn die öffentliche Hand Software entwickelt oder kauft, sollte diese unter freien und offenen Lizenzen stehen. Die geplante Reform des Vergaberechts der Bundesregierung bietet nun eine günstige Gelegenheit, dies gesetzlich zu verankern. Bisher findet sich im Entwurf jedoch kein klares Bekenntnis zu freier Open Source Software. Das Wirtschaftsministerium muss an dieser Stelle dringen nacharbeiten.

Das ist unser Vorschlag

Bei der Beschaffung von IT- und von IT-gestützten Produkten sollte dort, wo es technisch möglich und wirtschaftlich ist, der Einsatz von Freier/Open-Source-Software vorrangig erfolgen. Darüber hinaus sollen auch die Aspekte Bedienbarkeit, Zukunftssicherheit, Interoperabilität und IT-Sicherheit berücksichtigt werden.

Unter Freien/Open-Source-Produkten sind solche Produkte zu verstehen, deren Quellcode öffentlich zugänglich ist und deren Lizenz die Verwendung, Weitergabe und Veränderung nicht einschränkt. Das Prinzip Freier Software bedeutet darüber hinaus, dass Weiterentwicklungen solcher Software ebenfalls unter einer kompatiblen Lizenz veröffentlicht werden müssen

Die Vorteile freier und offener Software in der Verwaltung

Bund, Länder und Kommunen sind häufig auf einzelne proprietäre Softwareanbieter angewiesen. Diese Abhängigkeit führt dazu, dass Verwaltungen Bedingungen wie Preissteigerungen oder Produktänderungen übernehmen müssen, ohne verhandeln zu können. Allein 2021 überstiegen die Kosten für Microsoft-Lizenzen nur in der Bundesverwaltung erstmals 200 Millionen Euro.Im April 2023 stiegen die Preise für Cloud-Angebote erneut.

Proprietäre Softwarelizenzen schränken die Nutzung, Weiterentwicklung und den Austausch des Quellcodes stark ein. Diese Abhängigkeit begrenzt die Kontrolle der Verwaltungen über ihre eigene IT-Infrastruktur und die Möglichkeit, bei Bedarf den Anbieter zu wechseln. Freie und Open-Source-Software (FOSS) bietet hier eine Alternative: FOSS-Lizenzen erlauben es grundsätzlich jedem, den Quellcode zu betrachten, zu verändern und weiterzugeben. Dadurch ist eine größere Transparenz und Flexibilität möglich, was das IT-Sicherheits- und Datenschutzniveau steigern kann.

Hürden für den Einsatz von FOSS in der Verwaltung

Im Koalitionsvertrag bekennt sich die Bundesregierung klar zur Förderung von FOSS in der Verwaltung: „Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“ Diese Verpflichtung entspricht dem Prinzip „Public Money, Public Code“: Software, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, soll der Allgemeinheit zugänglich sein.

Doch in der Praxis ist FOSS in öffentlichen Verwaltungen nach wie vor selten. Oft fehlt den Behörden Wissen darüber, wie sie FOSS rechtssicher beauftragen können. Das geltende Vergaberecht legt fest, wie Produkte und Dienstleistungen eingekauft werden müssen und erschwert durch seine Komplexität oft den Einsatz von FOSS. Die Vorteile, die FOSS bietet – wie die allgemeine Verfügbarkeit und die Möglichkeit zur Anpassung – werden derzeit meist nicht ausreichend berücksichtigt, da die Bewertung nur auf den Preis und den direkten Nutzen für die auftraggebende Stelle abzielt.

Ein Hoffnungsschimmer: Die Vergaberechtsreform

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz plant, das Vergaberecht zu reformieren, um die Verfahren zu vereinfachen, zu digitalisieren und sozial sowie ökologisch nachhaltiger zu gestalten. Über 400 Organisationen und Personen haben dazu Stellung genommen, darunter Wikimedia Deutschland und die Open Source Business Alliance. Diese Reform könnte eine wertvolle Gelegenheit sein, um den rechtssicheren Vorzug von FOSS festzuschreiben.

Ein Gutachten der Open Source Business Alliance schlägt vor, FOSS immer dann den Vorzug zu geben, wenn mehrere Lösungen gleich gut geeignet sind. Prof. Andreas Wiebe empfiehlt, diesen Vorrang für FOSS entweder im E-Government-Gesetz des Bundes oder in der Vergabeverordnung festzuhalten. Thüringen und Schleswig-Holstein sind bereits mit gutem Beispiel vorangegangen.

Kompetenzaufbau in der Verwaltung

Die Bevorzugung von FOSS allein reicht jedoch nicht. Die Mitarbeitenden in den Behörden müssen lernen, geeignete Software auszuwählen und anzuwenden. Der Kompetenzaufbau ist entscheidend, um die Potenziale von FOSS voll auszuschöpfen. In Sachsen umfasst ein Strategiepapier zur Einführung von Open Source in der Verwaltung unter anderem die Förderung der Umgewöhnung und Akzeptanz der Mitarbeitenden. Es ist notwendig, dass Behördenmitarbeitende die Möglichkeiten und Anforderungen neuer Technologien verstehen, um informierte Entscheidungen treffen zu können und FOSS sinnvoll in bestehende Strukturen zu integrieren.

Hierzu gehört auch eine Reform der Einstellungsbedingungen in den Verwaltungen. Attraktive Gehälter und moderne Arbeitsbedingungen können qualifizierte IT-Fachkräfte anziehen, die die digitale Transformation der Verwaltung aktiv mitgestalten. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag und ihrer Digitalstrategie die Bedeutung von FOSS betont – jetzt ist es an der Zeit, diese Ziele auch umzusetzen. Leider bleibt der aktuelle Gesetzentwurf hinter den Plänen des Koalitionsvertrags zurück.

Die Schrankenbestimmung der sogenannten Panoramafreiheit im deutschen Urheberrecht erlaubt es uns allen, von öffentlichem Grund aus Fotos von urheberrechtlich geschützten Werken zu machen und sie zu verbreiten. Die Voraussetzung: Die Werke müssen bleibend im öffentlichen Raum zu sehen sein. Ein Werk muss nicht dauerhaft am selben Ort sein. Aber es muss dauerhaft in der Öffentlichkeit bleiben.

Panoramafreiheit für einen reisenden Kussmund

Dass Panoramafreiheit auch für Werke gilt, die sich im öffentlichen Raum bewegen, zeigt die sogenannte AIDA-Kussmund-Entscheidung. Geklagt hatte die Firma AIDA Cruises. Sie hatte von einem Künstler ein Kussmund-Bild anfertigen lassen und auf seinen Kreuzfahrtschiffen angebracht. Die Rechte an diesem Kunstwerk liegen beim Kreuzfahrtunternehmen.

Ein Kussmund-Schiff war auf einem Foto zu sehen, das ein Veranstalter von Landausflügen in Ägypten in seiner Werbung nutzte. Fotografiert war es vom Hafen aus. AIDA Cruises klagte gegen die Verwendung des Bildes. Die Begründung: Der Ausflugsveranstalter verstoße gegen das Urheberrecht. Das sah das Landgericht Köln nicht so. Das Foto wurde von einem öffentlich zugänglichen Ort aufgenommen – einem Hafen. Das fotografierte Kunstwerk befindet sich zudem dauerhaft im öffentlichen Raum – wenn auch in wechselnden Häfen. Somit war laut Gericht das Foto und dessen Verwendung von der Panoramafreiheit gedeckt

AIDA wollte sich mit diesem Urteil nicht zufrieden geben, zog vor den Bundesgerichtshof und der urteilte: Die Entscheidung vom Landgericht Köln hat Bestand, das Foto darf verwendet werden. Und ja, auch bewegliche Werke fallen unter die Panoramafreiheit, so lange sie sich dauerhaft in der Öffentlichkeit befinden. Der Bundesgerichtshof urteilte aber auch, dass es Grenzen für die Panoramafreiheit gebe. Wer für eine Fotoaufnahme im öffentlichen Raum auf eine Leiter steige, der könne sich nicht auf die Panoramafreiheit berufen.

Was hat Panoramafreiheit mit Wikimedia-Projekten zu tun?

Nun sind Leitern nicht das einzige Hilfsmittel, um eine andere Perspektive auf eine Skulptur, ein Gebäude oder ein anderes öffentliches Kunstwerk zu erhalten. Eine Gruppe von Wikipedianer*innen aus Köln etwa nutzt eine Fotodrohne dazu, Bilder für das freie und offene Medienarchiv Wikimedia Commons zu machen. Gerade bei mehrdimensionalen Werken wie Gebäuden können Fotograf*innen durch Aufnahmen aus der Luft die vielen Facetten eines solchen historischen und kulturellen Denkmals abbilden. In den letzten Jahren haben die Wikipedianer*innen Gebäude der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg von oben fotografiert, waren beim Museum Barberini, beim Technikmuseum in Berlin und an anderen Orten zu Gast. Entstanden sind dabei zahlreiche Aufnahmen von Denkmälern und Gebäuden. Sie sind in Wikimedia Commons zu finden und können frei nachgenutzt und vervielfältigt werden.

 

Vor diesen Foto-Exkursionen in Kooperationen mit Kulturinstitutionen wurden natürlich Rechte geklärt. Wenn notwendig, haben Wikimedia Deutschland oder die Freiwilligen die Erlaubnis zum Ablichten von urheberrechtlich geschützten Gebäuden eingeholt. Geriet bei einer luftigen Fototour doch einmal ein Gebäude in den Fokus, für dessen Aufnahme die Foto-Flieger keine Erlaubnis hatten, wurde die Aufnahme in der Regel wieder gelöscht. Denn die vergangenen Entscheidungen des BGH legten auch schon vor dem aktuellen Urteil nahe, dass Drohnenfotos in Deutschland nicht von der Panoramafreiheit gedeckt sind. Lediglich Fotos von Bauwerken, deren Erbauer schon mindestens 70 Jahre tot sind, können die Ehrenamtlichen bedenkenlos unter freier Lizenz veröffentlichen. Sie sind dann nicht mehr urheberrechtlich geschützt.

Was bedeutet das Urteil für Wikimedia-Projekte?

Der urheberrechtliche Schutz eines Gebäudes endet in Deutschland erst 70 Jahre nach dem Tod des oder der Architekt*in. Bis dahin sind Aufnahmen von öffentlichen Straßen möglich. Das Urteil des BGH bestätigt nun: Das gilt nicht für Aufnahmen aus der Luft. Das ist bedauerlich, denn häufig erschließt sich ein Bauwerk aus der Vogelperspektive auf eine ganz andere Weise – etwa im Kontext der umgebenden Bebauung oder Natur.

Weil die Schutzdauer sich auf das Sterbedatum des oder der Architekt*in bezieht, kann also auch ein vor rund 100 Jahren fertiggestelltes Gebäude heute noch dem Urheberrecht unterliegen. Bauten aus jüngerer Zeit werden noch für viele Jahrzehnte nur aus dem Blickwinkel fotografiert werden dürfen, den wir jeden Tag selber von der Straße aus sehen – oder aus Perspektiven, zu denen die allgemeine Öffentlichkeit Zugang hat. Schade!

Für Wikimedia-Projekte bedeutet das aktuelle Urteil, dass vor Aufnahmen von urheberrechtlich geschützten Werken, die mit einem Flugmittel getätigt werden sollen, eine Einwilligung von den Rechteinhabenden eingeholt werden muss. Es ist also im Einzelfall zu klären, welche Objekte aus der Luft fotografiert werden und ob diese urheberrechtlich geschützt sind.

Wie wir gemeinsam die Macht der Plattformen bändigen

Friday, 1 November 2024 10:41 UTC

Dass die großen Digitalkonzerne zu mächtig sind, ist inzwischen ein Gemeinplatz: Ihr Börsenwert ist höher als das Bruttoinlandsprodukt vieler Länder, sie haben Milliarden an Nutzenden, machen jährlich Milliardengewinne und nutzen diese auch, um politischen Einfluss zu nehmen.

Gesellschaftlich besteht breiter Konsens, dass ihre Macht und schädlichen Auswirkungen begrenzt werden müssen. Die EU hat dazu viele Regulierungen und Kontrollmechanismen eingeführt, vom Digital Services Act und Digital Markets Act über strengere Fusionskontrolle bis zu Klagen gegen Wettbewerbsverstöße und Steuervermeidung.

Doch die bisherigen Anstrengungen sind zu kleinteilig und zu sehr von Lobbymacht verwässert. In den Bilanzen und Angeboten der großen Konzerne ändert sich kaum etwas. Wie können wir also diese mächtigen Infrastrukturen unseres täglichen Lebens bändigen und die Plattformen gemeinwohlverträglicher machen?

Wir brauchen Plattformräte

Ein wissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung empfiehlt den breiteren Einsatz von Plattformräten und argumentiert: „Trotz verbleibender Defizite [könne] die (auch minimale) iterative Verbesserung durch stärkere gesellschaftliche Rückbindung privater Unternehmensentscheidungen nur sinnvoll sein.“ Es braucht demnach ein Mitspracherecht für Vertretungen, in denen etwa Nutzende selbst, zivilgesellschaftliche oder wissenschaftliche Organisationen vertreten sind.

Die Ampel-Regierung hatte sich den „Aufbau von Plattformräten“ sogar in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Bisher ist dazu jedoch nichts passiert.

Gemeinschaftlich Verwalten ist ein wesentliches Merkmal gemeinwohlorientierter Digitalpolitik. Das geht auch bei globalen Projekten, die ähnlich hohe Nutzungszahlen wie Big-Tech-Angebote haben.

Das zeigen die Projekte freien Wissens, allen voran die Wikipedia. Die Communitys, die sie ausmachen, gestalten die Online-Enzyklopädie fortlaufend weiter und diskutieren dabei auch Fragestellungen wie Wissensgerechtigkeit und den Umgang mit künstlicher Intelligenz. Um das auszuhandeln, haben die Communitys Regeln – wie eben auch in einer Demokratie. Ähnliche Prinzipien können wir auch für Digitalkonzerne etablieren.

Was gibt es für Vorbilder?

Über einen Plattformrat sind im digitalen Raum verschiedene Formen von Mitbestimmung bis zur Selbstverwaltung möglich. Die Idee ist nicht neu. Sie setzt auf etablierte Prinzipien einer Demokratie, die in Form von Gewerkschaften und Betriebsräten außerhalb des Digitalen lange erprobt sind.

Es gibt unterschiedliche Vorbilder dafür, digitale Plattformen wie Instagram, Amazon, Google Maps und Co. durch Räte demokratischer, offener und sicherer zu machen. Rundfunkräte etwa kontrollieren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die inhaltliche Ausgestaltung der Programme – auch wenn sie repräsentativer und staatsferner gestaltet sein könnten.

Das Oversight Board von Meta soll besonders schwierige Fragen zu den Regeln für Inhaltemoderation bei Facebook und Instagram klären. Allerdings beziehen sich die Entscheidungen des Boards auf Einzelfälle. Allgemeinere Empfehlungen kann Meta ignorieren und hat dies in der Vergangenheit getan, zum Beispiel bei Empfehlungen, die das Board im Kontext von Konflikten in Äthiopien formulierte.

In der noch jungen Debatte über Plattformräte stand bisher die Inhaltemoderation in sozialen Medien im Mittelpunkt. Doch weil Plattformen für das gesellschaftliche Miteinander so eine zentrale Rolle einnehmen, spricht einiges dafür, auch umfassende Steuerungsentscheidungen von Plattformen gemeinschaftlich zu treffen. Die größte Herausforderung für eine solche Selbstverwaltung von Plattformen besteht vermutlich darin, die relevanten und betroffenen Gruppen zu involvieren – und Interessenkonflikte demokratisch und nicht ausschließlich unternehmerisch auszuhandeln.

Für jede Plattform den passenden Rat

Da Plattformen unterschiedliche Funktionen erfüllen, wird es kein einheitliches, für alle Plattformen passendes Ratsmodell geben. In welchen Bereichen ein Plattformrat mitgestalten sollte, ist je nach Plattform unterschiedlich. Was aber grundsätzlich für die Zusammensetzung von Plattformräten gelten sollte: Die Interessen von Nutzenden und Verbraucher*innen müssen vertreten sein. Auch die Belange von Menschen und Gruppen, auf die sich Plattformen auswirken, sollten repräsentiert sein. Das kann über zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände geschehen. Zudem sollten relevante wissenschaftliche Expert*innen Impulse geben, um Entscheidungen empirisch zu untermauern.

Wie umfassend ein Plattformrat (mit)gestalten sollte, ist eine politische Entscheidung darüber, wie viel Gewicht gesellschaftliche Interessen neben oder statt der Gewinnerzielung bekommen sollen. Ein Rat könnte eng begrenzten Einfluss bei Entscheidungen zu Datenzugängen oder bei der Gestaltung von algorithmischen Empfehlungen ausüben. Er könnte aber auch die unternehmerischen Entscheidungen mitentwickeln.

Wie das aussehen kann, zeigt ein Blick auf zwei viel genutzte Plattformen: Google Maps und die Verkaufsplattform von Amazon.

Wer eine Alternative zur kommerziellen Navigation sucht, kann OpenStreet Map nutzen. Ebenso wie Wikipedia handelt es sich dabei um ein freies und communitybetriebenes Projekt. Foto: Infinite Bed, OpenStreetMap-on-Iphone15Plus, CC BY-SA 4.0

Durch die Stadt mit Plattformrat

Google Maps beeinflusst individuelle Mobilität und die Mobilitätsplanung von Kommunen, Städten oder Sharing-Anbietern, die Nutzung von Dienstleistungen und den Tourismus. Zunehmend spielen Werbetreibende eine Rolle, die in der App hervorgehoben werden, wie Gastronomie oder Einzelhandel. Indirekt wirkt die Plattform auch auf Autohersteller und Tankstellen.

Bei Google Maps gibt es aktuell keine Transparenz darüber – geschweige denn Einfluss darauf – warum die App den Nutzenden bestimmte Wege, Mobilitätsmodi und Suchergebnisse anzeigt. Wir können nur vermuten, dass die Interessen der Nutzenden gegen die Werbeeinnahmen und Kommission abgewogen werden, die Google von Mobilitätsanbietern einstreichen kann. Denn Google besitzt etwa Anteile des Sharing-Anbieters Lime, dessen Angebote lange als bevorzugter Mobilitätsmodus angezeigt wurden.

Eher eng umgrenzte Befugnisse hätte ein Plattformrat, der für die Daten-Governance zuständig wäre. Er könnte darüber entscheiden, wie und in welchem Umfang die Plattform Nutzungsdaten erhebt und inwiefern Alphabet diese weitergeben darf. Ein solcher Rat könnte auch entscheiden, dass andere Anbieter von Kartendiensten oder Stadtplanungsreferate Zugang zu Echtzeitdaten erhalten, um ihre Dienste wie etwa das Angebot von Busrouten zu verbessern. Ein Plattformrat könnte bei solchen Entscheidungen auch abwägen, wie detailliert solche Daten sein dürfen, um zu verhindern, dass Bewegungsmuster von Einzelnen oder Gruppen nachvollziehbar werden.

Weiter hineinreichen in das „Kerngeschäft“ von Google Maps würde ein Plattformrat, der festlegt, nach welchen Parametern die Suchergebnisse gestaltet und ausgewählt werden. Aktuell zeigt ein grünes Blatt die besonders „umweltverträgliche“ Routenoption an. Doch diese basiert rein auf dem guten Willen von Google und ist zudem nicht extern nachvollziehbar.

Noch weiter reichende Befugnisse könnten die gesamte Betriebsweise von Google Maps einschließen. Ein solcher Plattformrat würde über Daten, Algorithmen und Verbindungen zu anderen Produkten und Plattformen entscheiden. Das wäre gut vereinbar mit einer Entflechtung von Google Maps aus dem Konzern Alphabet. In diesem Fall könnte ein Plattformrat auch anstoßen, dass Maps mit dem nicht-kommerziellen Projekt Open Street Maps zusammengelegt wird.

Prime, jetzt aber mit Plattformrat

Amazon bietet auf seiner Verkaufsplattform unzählige Produkte an, vom Koalakostüm bis zum 3D-Drucker, teils aus eigener Produktion, teils von Drittanbietern. Amazon verbindet diese auch mit eigenen Warenhäusern und Logistik, dazu zunehmend geschalteter Werbung. Die Plattformentscheidungen betreffen zudem Mitarbeitende (von hochbezahlten technischen Expert*innen bis zu prekär beschäftigten Logistik-Angestellten) sowie die Kund*innen (teils mit, teils ohne Prime-Abonnement).

Amazon steht seit Jahren in der Kritik, unter anderem wegen der schlechten Arbeitsbedingungen im Logistikbereich des Unternehmens. Foto: Joe Piette, Philly Supports Alabama Amazon Workers – Picket Line, March 5, 2021-004, CC BY-SA 2.0

Aktuell kann Amazon die Plattform frei gestalten. In den letzten Jahren sind über das Kartellrecht und über den Digital Markets Act auf EU-Ebene einige Schranken hinzugekommen. Aber Amazon kann umfassend Preise setzen (für eigene Produkte) oder Kommissionen verlangen (für Drittprodukte und Logistik sowie weitere Dienste). Und der Konzern kann Suchergebnisse und Vorschläge gestalten – einschließlich der Werbeanzeigen. Dabei ist vollkommen intransparent, wie Amazon die Interessen der Beteiligten abwägt. Angesichts der großen Anziehungskraft, die die breite Produktpalette auf Konsumierende hat, ist es naheliegend, dass Amazon diese nutzt, um Drittanbieter und Werbende zur Kasse zu bitten.

Ein Plattformrat könnte sich bei einem engen Zuschnitt auf die Gestaltung von Empfehlungsalgorithmen konzentrieren. Er könnte Parameter für einen solchen Algorithmus festlegen, wie Werbeanteil, Gewichtung von Preis, Bewertung, Kommission. Oder er könnte entscheiden, Algorithmen von externen Anbietern wie zum Beispiel von Greenpeace oder Verbraucherzentralen zuzulassen.

Weiter reichende Befugnisse könnten darin bestehen, über die Datennutzung zu entscheiden. Etwa darüber, ob weniger Daten für Werbung genutzt und dafür mehr Daten extern zur Verfügung stehen sollen – zum Beispiel für Marktanalysen. Ein Plattformrat könnte ähnlich zu Gewerkschaften mitbestimmen, wie Beschäftigungsverhältnisse ausgestaltet sind – von Themen wie Überwachung am Arbeitsplatz über Lieferzeiten bis hin zu Löhnen.

Wirklich fundamentale Fragen würde ein Rat mitbestimmen, der darüber entscheidet, ob ein weiteres Wachstum im Vordergrund stehen soll oder ob andere Kennzahlen mehr Gewicht erhalten – wie verringerter Ressourcenverbrauch oder die Vermeidung von Müll.

Gemeinsam Big Tech zähmen und Alternativen aufbauen!

Gemeinschaftliche Plattform-Verwaltung steht nicht allein. Die Macht der großen Konzerne sollte weiterhin im politischen und wirtschaftlichen Sinn begrenzt werden. Auch ist es wichtig, gemeinwohlorientierte Alternativen aufzubauen.

Im besten Falle stehen zukünftig von Plattformräten verwaltete Plattformen neben gemeinwohlorientierten Alternativen, damit Menschen eine Bandbreite an guten Optionen haben. Bereits jetzt wissen wir, dass gemeinschaftlich gesteuerte Plattformen nach fundamental anderen Prinzipien funktionieren. Wir sehen das im dezentral organisierten Fediverse mit dem sozialen Medium Mastodon. Auch das Kartenprojekt OpenStreetMap und natürlich die Wikipedia sind Beispiele für kollaborative Projekte.

Diese und weitere, aktuell kleine Plattformen könnten leichter wachsen, wenn sie nicht im Wettbewerb mit großen, gewinnorientierten Plattformen stünden. Dabei kommt hinzu, dass diese immer wieder mögliche Alternativen aufkaufen oder durch Exklusivitätsvereinbarungen oder andere Maßnahmen klein halten.

Es gibt viele Wege, über die wir Plattformen gemeinschaftlich verwalten können. Es wird dabei viel zu lernen geben. Doch wir kennen die Prinzipien der Aushandlung von unterschiedlichen Interessen und sollten sie endlich auch für die so wichtigen digitalen Infrastrukturen anwenden. Wir können mit weniger gewichtigen Befugnissen beginnen und diese zunehmend ausweiten. Mehr gesellschaftliche Kontrolle kann die Plattformen nur besser machen. Es ist höchste Zeit, dass wir sie fordern – und dass Politiker*innen die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen.

Das Internet ermöglicht es uns, unendlich viele Informationen über uns und die Welt, in der wir leben, auszutauschen. Dafür brauchen wir Sprache. Allerdings sind die Sprachen der Welt im Netz nicht gleich stark vertreten. Ein Beispiel: Tools für Übersetzungen oder Rechtschreibprüfung sind in der Regel auf gängige Sprachen wie Englisch, Französisch, Spanisch oder Chinesisch zugeschnitten. Bei virtuellen Assistenten wie Siri oder Alexa ist es ähnlich. Für viele andere Sprachen fehlt die grundlegende Basis, auf die neue Sprachtechnologien aufbauen können. Dies führt dazu, dass viele Menschen gezwungen sind, online auf eine andere Sprache auszuweichen. Das bedeutet vor allem für viele Minderheitensprachen oder vom Aussterben bedrohte Sprachen einen kritischen Verlust an Sprachgebrauch.

Vor diesem Hintergrund arbeitet Wikimedia Deutschland seit 2022 an dem Projekt Software Collaboration for Wikidata, ermöglicht durch den Arcadia Philanthropic Trust. Gemeinsam mit internationalen Partnern aus dem Wikimedia Movement werden inzwischen in vier Projekten Sprach-Communitys unterstützt, die online kaum vertreten sind. Das Ziel: Diese Communitys sollen künftig selbst die Entwicklung von Software übernehmen können, die dem Erhalt und der Förderung ihrer Sprachen am besten dient.

Software Collaboration for Wikidata – unsere Methode

Da Sprache und ihre Verwendung ein stark lokalisiertes Konzept ist, spielt die Einbeziehung der Communitys vor Ort eine zentrale Rolle bei der Entwicklung neuer Softwareprodukte. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Software am Ende dem Erhalt unterrepräsentierter Sprachen dient. Doch zunächst muss dafür gesorgt werden, dass auch die Kapazitäten für eine nachhaltige Softwareentwicklung vorhanden sind. Deshalb werden in den Projekten gezielt Repräsentant*innen aus den Communitys mit Kompetenzen und Führungsqualitäten ausgestattet, sodass sie auch nach Projektende in ihrer Region als Anlaufstelle für Wikidata-Nutzer*innen bereitstehen können.

Wenn lokale Communitys in jeder Phase der Projektentwicklung einbezogen werden, können unterschiedliche Perspektiven eingebracht werden. Diese Dezentralisierung der Softwareentwicklung ermöglicht Ideen und Lösungen, die den Bedürfnissen der Weltbevölkerung entsprechen.
Raisha Abdillah, Projektleiterin Software Team Indonesia

Mehr über Raisha und das Projekt erfahren Sie auch im Wikimove- Podcast: Folge #21 – Building Capacity for Tech Development.

Wikidatas Schlüsselfunktion als Quelle für Sprachanwendungen

Für die Inklusion aller Sprachen im Internet ist die Sammlung diverser Sprachdaten von entscheidender Bedeutung. Sprachtechnologien erfordern große Mengen an strukturierten Daten von guter Qualität, die viele Sprachen oft noch nicht zur Verfügung stellen können. Hier kommt Wikidata ins Spiel: Als umfangreiche und freie Sammlung von strukturierten Daten bietet Wikidata den Zugang zu weiterem Wissen für unterrepräsentierte Sprachen. Die freie Wissensdatenbank umfasst nicht nur allgemeine Daten und Fakten über die Welt, sondern auch verknüpfte Informationen, die Sprachen näher beschreiben können – sogenannte lexikografische Daten. Die Sammlung dieser lexikografischen Daten ist einer der Schwerpunkte unseres Partnerteams in Indonesien.

Unsere Partner und ihre Projekte

Wikimedia Deutschland hat in den letzten zwei Jahren eine enge Zusammenarbeit mit Partnern aus Nigeria, Indonesien, Brasilien und Ghana aufgebaut. Diese Teams arbeiten an verschiedenen Projekten zum Aufbau technologischer Kapazitäten. Dabei fließt regelmäßig auch das Feedback der Communitys ein, mit denen die Partner im Austausch sind.

1. Wikidata Software Collaboration Team Indonesia

Treffen in Berlin mit WMDE und SWT ID 12 August 2024

Das Wikidata Software Collaboration Team Indonesia arbeitet in einem der linguistisch vielfältigsten Länder der Welt mit über 700 Sprachen. Da Sprachtechnologien große Mengen an strukturierten Daten von hoher Qualität erfordern, die viele Sprachen oft nicht zur Verfügung stellen können, haben sie im Rahmen von Software Collaboration for Wikidata das Tool „Lexica“ entwickelt, das mehr Beiträge zu lexikografischen Daten und neue Wikidata-Nutzer*innen fördern soll.

„Lexica“ ist eine einfache und benutzerfreundliche Möglichkeit, lexikografische Daten hinzuzufügen, indem Lexeme mit bereits vorhandenen Wikidata-Einträgen verknüpft werden. Mögliche zukünftige Funktionalitäten sind z. B. die Erweiterung um weitere Sprachen sowie das Hinzufügen von Audio und Bildern. Dieses Tool geht auch auf die Bedürfnisse von Handynutzer*innen ein, die keinen Zugang zu einem Desktop haben.

Hier ein Beispiel: Mit welchem Item kann das englische Lexem „Blossom” verknüpft werden?

2. Igbo Wikimedians User Group

Unser zweiter Partner mit Bezug zur Igbo Sprache und Kultur hat seinen Sitz in Nigeria, ist aber in der ganzen West- und Zentralafrikanischen Region tätig. Sie haben das Programm „Wiki Mentor Africa” zum Aufbau technischer Kapazitäten in der afrikanischen Wikimedia Community ins Leben gerufen. Es setzt sich dafür ein, mehr Afrikaner*innen in den technischen Bereich von Wikimedia zu bringen und die Nachhaltigkeit der Wikimedia Tools zu verbessern.

Ein interdisziplinäres Team von Mentor*innen organisiert regelmäßig Veranstaltungen. Hier werden neue Mitglieder durch modulare Lerninhalte in die Softwareentwicklung und das Technical Writing rund um Wikidata herangeführt.

Zudem arbeiten sie an der Unterstützung und Verbesserung verschiedener Tools in Sprachen aus der gesamten Region, einschließlich Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo und Kamerun, und bringen Sprachen wie Igbo, Twi, Dagbani oder Igala  ein.

Die Igbo User Group beim 10-jährigen Geburtstag von Wikidata
Die Igbo User Group beim 10-jährigen Geburtstag von Wikidata

3. Weitere Projekte

2024 sind zwei weitere Projekte als Teil von Software Collaboration for Wikidata gestartet. Im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung für innovative Softwareanwendungen erhielt Wikimedia Deutschland zahlreiche Projektideen aus der internationalen Wikidata-Community für die Förderung unterrepräsentierter Sprachen.

Folgende Projekte wurden zur Förderung ausgewählt:

  • Das Projekt „QuickStatements 3.0” von Wiki Movimento Brasil baut auf dem weit verbreiteten und beliebten Tool „QuickStatements” auf und erweitert durch aktives Feedback der Community die Funktionalität in mehreren Bereichen.
  • Das Wikidata „One Click Info” Team arbeitet mit Unterstützung der Dagbani Wikimedians User Group an einer Browser-Erweiterung: der sogenannten „One Click Info”. Diese bietet eine schnelle Zusammenfassung des markierten Wikidata Eintrags.

Software Collaboration for Wikidata möchte mit solchen Projekten langfristig zu mehr Wissensgerechtigkeit beitragen, einem der Hauptpfeiler, um bessere Lebensverhältnisse und ein größeres Gleichgewicht in der Welt zu schaffen.

Happy Birthday Wikidata!

Am 29. Oktober feierte Wikidata den 12. Geburtstag. Im Rahmen der Feierlichkeiten organisiert die internationale Community noch bis in den November hinein verschiedene Events. Auch Lexica, QuickStatements 3.0 und One Click Info werden in diesem Rahmen der Community vorgestellt und veröffentlicht! Für alle, die mitfeiern möchten: Hier finden Sie  alle Geburtstags-Events sowie die Aufzeichnung des Geburtstagsstreams mit einer Demonstration der Tools und weiterer Geburtstagsgeschenke für Wikidata!

Mit dem Ziel, Wissen für alle zugänglich zu machen, setzt sich Wikimedia Deutschland seit 20 Jahren dafür ein, dass Wikipedia und weitere Projekte für Freies Wissen werbefrei, unabhängig und für alle zugänglich sind. Dazu braucht es die Unterstützung der Gesellschaft, denn nur mit Spenden können diese Projekte für Freies Wissen auch langfristig gesichert werden.

Allein im letzten Jahr haben sich mehr als 350.000 Menschen an der Spendenkampagne beteiligt und dadurch die Weiterentwicklung und den Betrieb von Wikipedia und Co. gesichert. Zusätzlich tragen auch die über 110.000 Vereinsmitglieder und 130.000 Dauerspender*innen von Wikimedia Deutschland zum Erfolg der Kampagne bei.

Warum ist Ihre Spende wichtig?

Wikipedia ist für Millionen Menschen die erste Anlaufstelle im Internet, wenn es um Wissen und Information geht. Allein die deutschsprachige Wikipedia wird täglich 30 Millionen Mal aufgerufen. Tausende Autor*innen halten die bald drei Millionen Artikel aktuell und verfassen neue – und das alles ehrenamtlich.

Ein großer Teil der Spendengelder kommt direkt der Wikipedia-Community zugute: So gibt es über den Verein umfangreiche Förderangebote für die Freiwilligen, wir finanzieren lokale Wikipedia-Räume in mehreren Städten, entwickeln und verbessern laufend die Software hinter den Wiki-Projekten und organisieren Community-Veranstaltungen, wie beispielsweise die jährliche WikiCon.

Was wir dank Ihrer Spende noch erreichen

Die Mission von Wikimedia ist klar: Wissen soll für alle frei zugänglich und nutzbar sein. Neben Wikipedia gibt es zahlreiche weitere Projekte, die dieses Ziel verfolgen – viele davon werden von Wikimedia Deutschland betrieben oder initiiert. Dazu zählen die weltweit größte freie Wissensdatenbank Wikidata, Projekte zur Förderung offener Bildungsmaterialien oder auch das GLAM-Programm, das den freien Zugang zu Kulturinhalten und dem kulturellen Erbe unterstützt. Eine detaillierte Übersicht über unsere Aktivitäten bietet der aktuelle Jahresbericht.

Da Wikipedia ein globales Projekt ist, fließt ein Teil der Spenden an die Wikimedia Foundation, die damit internationale Aktivitäten für die Weiterentwicklung von Wikipedia und des Ausbaus der globalen Server-Infrastruktur fördert.

Die Mittelverwendung auf einen Blick

Das Ziel der jährlichen Spendenkampagne resultiert aus den jeweiligen Jahresplänen von Wikimedia Deutschland und der Wikimedia Foundation, in denen festgelegt ist, welche Projekte und Ziele umgesetzt werden sollen.

Einen detaillierten Überblick bietet die Mittelverwendung.

Wie lange dauert die Spendenkampagne und kann das Banner deaktiviert werden?

Die Spendenkampagne endet, sobald das Spendenziel erreicht ist. In den vergangenen Jahren war dies kurz vor Jahresende der Fall. Das Spendenbanner wird Besucher*innen der Wikipedia maximal acht Mal angezeigt und kann jederzeit durch einen Klick auf das Kreuz in der oberen rechten Ecke geschlossen werden. Danach ist es für eine Woche deaktiviert. Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich ein kostenloses Benutzerkonto in der Wikipedia anzulegen oder sich mit einem bestehenden Konto einzuloggen – dann wird das Banner nicht angezeigt. Nach einer Spende über das Spendenformular wird außerdem ein Cookie gesetzt, um sicherzustellen, dass das Spendenbanner nicht erneut erscheint.

Jeder Beitrag zählt

Ob 5 Euro oder 50 Euro – jede Spende hilft, die Vision einer freien und offenen Wissenswelt zu verwirklichen. Wer sich nicht finanziell beteiligen kann, kann auch durch aktive Mitarbeit in der Community helfen, Inhalte zu verbessern und zu erweitern.

Jetzt spenden und Teil der Bewegung für Freies Wissen werden!

Wikidata wird von der Wikimedia Foundation betrieben, federführend von Wikimedia Deutschland entwickelt und von der weltweiten, ehrenamtlichen Wikimedia-Community gepflegt und stetig erweitert. Im Gegensatz zu Wikipedia sind die Informationen in Wikidata auch maschinenlesbar und einzelne Wissenszusammenhänge gezielt abfragbar. Am 29. Oktober wird Wikidata 12 Jahre alt.

Dutzende Softwareanwendung nutzen die Datenbank bereits als Grundlage. Ein besonders interessanter Weg, um das in Wikidata gespeicherte Wissen abzufragen, sind sogenannte Queries (Abfragen) in der Abfragesprache SPARQL. Damit eröffnen sich neue Horizonte und Informationen können in ganz neue Zusammenhänge gestellt werden. Wir wünschen viel Spaß mit unseren 12 Abfrage-Favoriten!

#01 Wie viele berühmte Katzen gibt es?

Katzen und Kater beglücken das Internet täglich. Aber welche schnurrenden Berühmtheiten gab und gibt es eigentlich auf der Welt? Ein Klick und Wikidata verrät es uns. Insgesamt spuckt uns Wikidata 216 prominente Katzenpersönlichkeiten aus. Zur ganzen Abfrage.

Ergebnisse direkt in Wikidata abrufen – so geht’s

Bei allen Beispielen haben wir die dazugehörige Wikidata-SPARQL-Abfrage verlinkt. Wer auf den Link klickt, sieht zunächst die Wikidata-Abfrageumgebung für SPARQL, den sogenannten Wikidata Query-Service. Um die Ergebnisse zu sehen, ist nur noch ein kleiner Schritt erforderlich: Einfach runter bis ans Ende der Codebox scrollen. Auf der linken Seite befindet sich ein Play-Button. Einfach draufklicken und die Abfrage wird ausgeführt.

#02 Welche Orte enden auf „-ow“ oder „-itz“?

Wer hat sich das nicht schon einmal gefragt? Wo liegen eigentlich alle Orte in Deutschland, die auf „-ow“ oder „-itz“ enden? Geographisch und kulturwissenschaftlich versierte Menschen wissen es vielleicht, doch Wikidata zeigt es uns allen: Vor allem in Ostdeutschland mit kleinen Ausläufern nach Norden (Olpenitz) und Süden (Flanitz). Für den schnellen Überblick, gibt es die ganze Abfrage hier als Kartenansicht.

#03 Welches sind die häufigsten Nachnamen der Welt?

Natürlich sind „Smith“, „Miller“ und ähnliche (ehemalige) Berufsbezeichnungen auch dabei, doch sollte man vor allem Zhang, Li und Wang auf dem Schirm haben! Die Wikidata-Anfrage bezieht sich übrigens sowohl auf reale als auch auf fiktive Personen.

Zur ganzen Abfrage

#04 Welche Buchtitel bestehen aus Alliterationen?

Wikidata kann mit einer Abfrage die Titel von literarischen Werke ausgeben, die eine Alliteration enthalten. Von Abendroth, Amandus Augustus bis Ysbryd yr Ynys ist für jeden etwas dabei. Unser Favorit: Hard, Heavy & Happy.

Zur ganzen Abfrage

#05 Welche Tonart ist die häufigste?

Eine kurze Abfrage bei Wikidata bringt es endlich ans Licht: Die beliebteste Tonart ist C-Dur, gefolgt von D-Dur, dann F-Dur und G-Dur macht den vierten Platz. Die erste Molltonart kommt erst an siebter Stelle (D-Moll), dabei ist Moll doch so schön.

Zur ganzen Abfrage

#06 Wie hoch ist der Frauenanteil in fiktiven Welten?

Frauen sind in vielen Teilen der Welt immer noch benachteiligt und nicht überall lässt sich das so schnell ändern. Doch wie sieht es in fiktiven Welten aus, gehen die nicht bereits mit gutem Beispiel voran? Leider nein, aber es gibt eine positive Tendenz. Besonders schwach vertreten sind Frauen in dem chinesischen Roman “Romance of the Three Kingdoms” von 1522, mit 6,27% Frauenanteil. Im Universum von Granblue Fantasy, einem Computerspiel von 2014, kommen die weiblichen Charaktere auf einen stolzen Anteil von 61,21%.

Zur ganzen Abfrage

#07 Wie viele Zwillinge sind bisher beim Eurovision Song Contest aufgetreten?

Viele schauen den Eurovision Song Contest, doch wem ist schon einmal aufgefallen, dass seit 2005 regelmäßig Zwillinge als Künstler*innen auftreten? Den Anfang machten die Kessler-Zwillinge übrigens schon im Jahr 1955. Nach einer langen Pause scheint es nun wieder im Trend zu liegen: Beim ESC 2024 holten zuletzt die Zwillinge Marcus & Martinus für Schweden Platz neun. Und wer sind Ihre Lieblings-Zwillinge?

Zur ganzen Abfrage

#08 Wo werden Raumfahrer*innen geboren?

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Wohnort und einer Veranlagung zur Raumfahrt? Ganz genau wissen wir es natürlich nicht, aber mehr Einblicke gibt die Wikidata-Abfrage. Aus der geht auf jeden Fall schon Mal hervor, dass die westlichen Staaten für diesen Beruf besonders privilegiert sind. Finden Sie noch andere Auffälligkeiten?

Zur Kartenansicht.

Darstellung in Wikidata-Abfragen ändern – so geht’s

Oberhalb der Karte befindet sich ganz links ein Dropdown-Menü, bei dem man auch eine andere Darstellung wählen kann, zum Beispiel als Tabelle (Table).

#09 Wie lang ist die durchschnittliche Trächtigkeitsdauer bei Säugetieren?

Wikidata kann nicht nur Abfragen, sondern auch Daten visualisieren. Sehr eindrücklich stellt das diese SPARQL-Abfrage aus dem Bereich der Biologie mit einer Bubble-Grafik dar. Fährt man mit dem Mauszeiger über die Kreise, erscheinen Informationen zur Dauer in Tagen und zum vollständigen Namen der Spezies.

Zur ganzen Abfrage

#10 Welche Päpste hatten wie viele Kinder?

Auch katholische Kirchenoberhäupter haben Nachwuchs gezeugt. Wer genau und wie viele Kinder es gab, weiß Wikidata. Insgesamt haben demnach zwölf heilige Väter Kinder bekommen. Spitzenreiter ist der 1431 geborene Alexander VI. mit insgesamt elf Kindern.

Zur ganzen Abfrage

#11 Welche Gemälde zeigen einen Regenbogen?

Diese Wikidata-Abfrage hat uns zu einer erschreckenden Erkenntnis gebracht: Zu wenige Gemälde zeigen Regenbögen! Laut Wikidata sind es aktuell nur 75! Wer also Regenbögen so mag wie wir und mehr Gemälde kennt, die welche zeigen: Bitte fügen sie Sie schnell als Items hinzu!

Zur ganzen Abfrage

#12 Wikidata kann auch Drinks – mit Rezepten unserer Lieblingscocktails

Mal wieder vergessen, was es alles für den abendlichen Mojito braucht? Wikidata kann es locker aus der Hüfte schießen – mit genauen Zutaten! Und selbst ein Bild des gewünschten Cocktails kann die Datenbank inzwischen anzeigen.

Zur ganzen Abfrage

Unser Fazit zur Wikitada-Abfragefunktion

Es gibt viel zu entdecken mit Wikidata! Wer die Abfrage mit SPARQL selbst mal ausprobieren möchte, ist bei dieser ausführlichen Einführung genau richtig. Wer nicht selbst Hand anlegen möchte, kann sich auch per Request a query an die Community wenden oder den Query Builder ausprobieren. Hat man erst einmal den Dreh raus, sind den Abfragemöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt!

Und zu guter Letzt: Wem das Abfragen nicht liegt, der kann auch einfach helfen, Wikidata mit neuen Informationen weiter auszubauen. Wie das funktioniert, können Sie hier nachlesen.

Machen Sie mit! Die große “Abfrage-Party” auf Mastodon

Wir feiern den Geburtstag von Wikidata am 29. Oktober mit einer Abfrage-Party auf Mastodon! Alle sind dazu eingeladen, unter dem entsprechenden Tröt weitere Abfragen zu stellen, die wir dann mithilfe von Wikidata beantworten. Um 10 Uhr geht’s los! Unter allen Teilnehmenden verlosen wir Wikidata-Socken!

Hier geht es zu unserem Mastodon-Kanal.

Die Initiative des ZDF setzt auf mehr Wissensvermittlung, ein neues Netzwerk mit Partnerschulen und leichtere Zugänge zu Bildungsinhalten. Bei letzterem spielt die Nutzung freier Creative-Commons-Lizenzen in Kooperation mit Wikimedia Deutschland eine wichtige Rolle.

Bildung für alle zugänglich machen

Um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und das Wissen darüber, wie Journalismus funktioniert stärker in der Schule zu verankern, setzt das ZDF ein Netzwerk von Partnerschulen auf. Dort geben Programmmacher*innen aus verschiedenen Bereichen des Senders Schulklassen Einblicke in ihre Arbeit und erläutern beispielsweise, wie man seriösen Journalismus von Fake News unterscheidet oder welche Chancen und Herausforderungen die Künstliche Intelligenz mit sich bringt. 100 Partnerschulen sollen im Rahmen dieses Projekts bereits im ersten Jahr abgedeckt werden.

Auf der Plattform schule.zdf.de hat das ZDF überdies sein Angebot neu strukturiert. Der Fokus liegt dort auf digitalen Medieninhalten, die unterrichtsrelevante Themen von politischer Bildung über Medienkompetenz bis hin zu Geschichtswissen abdecken. Lehrkräfte sowie Schüler*innen können dort sorgfältig ausgewählte Inhalte aus dem gesamten ZDF-Angebot finden, ergänzt durch herunterladbares Unterrichtsmaterial.

 

So sieht sie aus, die Startseite der Mediathek für Lernende und Lehrende. Hier finden sie Wissensinhalte, die speziell nach Themen sortiert sind, die im Unterricht behandelt werden. Auch mit freier CC-Lizenz versehene Videos sind hier zu finden. Foto: Screenshot

Die Rolle freier Lizenzen

Auf schule.zdf.de finden sich auch Wissensclips zu freier Nutzung, also Inhalte, die unter einer freien Creative-Commons-Lizenz (CC BY 4.0 oder CC BY-SA 4.0) bereitgestellt werden. Die Verwendung dieser Lizenz stellt sicher, dass diese Videos nicht nur leicht zugänglich, sondern auch flexibel nutzbar sind. In Kooperation mit Wikimedia Deutschland und der Wikipedia-Community stellt das ZDF so bereits seit 2019 Wissens- und Bildungsinhalte aus dem Terra-X-Kosmos zur Verfügung.

Freie Creative-Commons-Lizenzen ermöglichen es Lehrkräften, die bereitgestellten Materialien ohne rechtliche Hürden in ihren Unterricht zu integrieren. Sie können die Inhalte anpassen, kombinieren und weiterverbreiten, solange sie die Bedingungen der jeweiligen Lizenz einhalten. Dies fördert nicht nur die Kreativität im Klassenzimmer, sondern erleichtert auch den Austausch bewährter Praktiken unter Pädagog*innen.

Diese Lizenzen erlauben auch die Nutzung in freien Lern- und Wissensumgebungen wie den Wikimedia-Projekten. Dank des Wikipedia-Community-Projekts Wiki Loves Broadcast werden die Terra-X-Clips des ZDF seit Jahren in relevante Wikipedia-Artikel eingebunden und erfreuen sich dort äußerst großer Beliebtheit. Dies unterstreicht die große Nachfrage in der Gesellschaft nach frei verfügbaren Bildungsinhalten. Da die Wikipedia zu den Top 5 beliebtesten Webseiten in Deutschland gehört und vor allem in der jungen Zielgruppe besonders stark verankert ist, ergibt sich so auch die Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk eher nicht angesprochen werden.

Die Ehrenamtlichen von Wiki Loves Broadcast und Jan-David Franke, Projektmanager im Team Politik und öffentlicher Sektor von Wikimedia Deutschland, bei einem Workshop beim ZDF 2023 in Mainz. Foto: Wikiolo, 2nd WLB Meeting 2023, CC BY 4.0

Gemeinsam in die Zukunft

Für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wie das ZDF ist der Bildungsauftrag ein zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses. Durch Initiativen wie „ZDF goes Schule” und den Einsatz freier Lizenzen wird dieser Auftrag auf innovative Weise erfüllt. Die Bereitstellung frei zugänglicher Bildungsressourcen trägt dazu bei, Bildungsgerechtigkeit zu fördern und allen Schüler*innen unabhängig von ihrem sozialen oder ökonomischen Hintergrund qualitativ hochwertige Lernmaterialien zur Verfügung zu stellen.

Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Wikipedia verbinden dabei neben dem gemeinsamen Bildungsziel auch die Gemeinwohlorientierung ohne Profitinteressen und der Kampf gegen Desinformation im Internet. So wurde die Kooperation mit Wikimedia Deutschland beim Startschuss zu „ZDF goes Schule” im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin dann auch ausdrücklich von Nadine Bilke, Programmdirektorin ZDF, und Bettina Schausten, Chefredakteurin ZDF, auf der Bühne gelobt. Eine Fortführung und Intensivierung dieser Zusammenarbeit wünsche man sich beim ZDF; eine Einschätzung, die Wikimedia Deutschland uneingeschränkt teilt. Sei es im Schulunterricht oder in anderen Lebensbereichen, der Weg in eine moderne digitale Wissensgesellschaft, in der alle Menschen frei Informationen produzieren, teilen und neu zusammenstellen können, kann nur gemeinsam gelingen.

Die Verleihung der Nobelpreise in Stockholm und Oslo (wo der Friedensnobelpreis vergeben wird) ist jedes Jahr ein weltweites Ereignis – und eine besonders aufregende Zeit für Wikipedianer*innen. Schließlich wollen Millionen Menschen plötzlich wissen: Wer ist eigentlich die südkoreanische Literaturnobelpreisträgerin Han Kang? Oder: Was war noch gleich das Forschungsgebiet des Physikers Geoffrey Hinton?

Wer bei Google sucht, wird meist auf Wikipedia verwiesen. Entsprechend müssen die Ehrenamtlichen die Infos in den Artikeln der jeweiligen Preisträger*innen aktuell halten, und auch die Liste der Nobelpreisträger auf den neuesten Stand bringen. Das gilt natürlich für alle Sprachversionen der Wikipedia – von denen es über 300 gibt. Dabei stellt sich jedes Jahr erstmal die Frage: Welche Sprachversion hat zum Zeitpunkt der Verkündung schon etwas parat?

Nobelpreis, Oscars, Super Bowl: Arbeit an Wiki-Artikeln in Echtzeit

„Hektisch werden Namen in Suchmasken eingetragen, um in Erfahrung zu bringen, was um alles in der Welt die oder der Geehrte angestellt hat, um so eine Ehrung zu erhalten. Eben noch nur Fans eines mehr oder weniger nerdigen Nischenthemas bekannt – jetzt dicht umlagert von neugieriger Öffentlichkeit. Eine Information, von der man eben noch nicht wusste, dass sie dringend gebraucht wird, wird nun in großer Zahl abgefragt.” So beschreibt der Wikipedianer Olaf2 die Herausforderung, vor der die Freiwilligen der Wikipedia Jahr für Jahr stehen, wenn die Nobelpreise vergeben werden: „Geradezu ein enzyklopädischer Elchtest“.

Klar: Der Anspruch der Wikipedia-Ehrenamtlichen ist es, die Online-Enzyklopädie stets aktuell zu halten – gerade, wenn es um Ereignisse geht, die weltweit für Aufmerksamkeit sorgen. Das bedeutet Arbeit in Echtzeit. Wie zum Beispiel auch bei der Oscar-Verleihung, wo stets ein Artikel mit allen Nominierten und Gewinner*innen sowie die Liste aller Oscar-Filme Updates verlangen. Oder bei Sportevents wie dem Super Bowl.

Satellitenschüssel bei dem Super Bowl 2001.
Bei Events wie dem Super Bowl arbeitet die Community in Echtzeit.

Wenn es schnell gehen muss

Was während der Nobelpreiswoche hinter den Kulissen der Wikipedia los ist, beschreibt Olaf2 so: „Im optimalen Fall schaue ich mir den Stream der Verkündung an. Dann prüfe ich, ob die Preisträger einen Wikipedia-Artikel bzw. Wikidata-Eintrag haben. Bei Wikidata kann man – gegebenenfalls unter Nutzung der letzten Version vor Verkündung – schauen, welche Sprachversion dazu einen Artikel hatte oder hat. Außerdem der Blick in unsere Versionsgeschichte: Wer hat den Artikel wann angelegt? Schließlich folgt noch ein kurzer Text als Kommentierung. Das sollte tatsächlich schnell gehen.“ Nur wenn sich mehrere Personen den Preis teilen, die auch noch in vielen Sprachversionen vertreten sind, kann es mit der Aktualisierung ein bisschen länger dauern.

Relevanz frühzeitig erkennen

Und was, wenn eine Preisträgerin oder ein Preisträger noch gar keinen Wikipedia-Eintrag hat? „Das kommt erfreulicherweise praktisch nicht vor. Zumindest nur sehr selten“, so Olaf2. Die Physikerin Donna Strickland, die 2018 als dritte Frau in ihrer Disziplin den Nobelpreis erhielt, war eine dieser Ausnahmen – in der englischsprachigen Wikipedia war ihr Eintrag abgelehnt worden, weil Strickland vermeintlich die Relevanzkriterien der Enzyklopädie nicht erfüllte (über die es innerhalb der Community immer wieder Diskussionen gibt). 2023 hatte der Physiker-Kollege Pierre Agostini noch keinen Artikel. In solchen Fällen „sucht man erstmal länger, ob man nicht in irgendeiner Sprachversion etwas übersehen hat“, beschreibt der Wikipedianer. „Um das Anlegen des Artikels braucht man sich aber nicht groß zu kümmern. Ein Nobelpreisträger als Rotlink? Das bleibt nur wenige Minuten so – auch in der deutschen Version.”

In der Regel wird die Relevanz der Ausgezeichneten frühzeitig erkannt – auch dank des Nobelpreisträger-Projekts des Wikipedia-Ehrenamtlichen Ephraim33. Das Projekt lädt Wikipedianer*innen dazu ein, Biografien von Menschen vorzuschlagen, die ernsthafte Kandidat*innen in Stockholm und Oslo sein könnten. Ein Beispiel für besonderen Spürsinn war in diesem Jahr der Friedensnobelpreis für die japanische Organisation Nihon Hidankyō. Schon seit 2005 war die deutschsprachige Wikipedia auf diese Preisträgerin vorbereitet. Benutzer Achim Raschka legte damals mit der Bemerkung „potentieller Preisträger für den Friedensnobelpreis“ den Artikel an und war damit seiner Zeit 19 Jahre voraus.

Terumi Tanaka, einer der Vorsitzenden von Nihon Hidankyō und Überlebender des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, erzählt Jugendlichen von seinen Erlebnissen.
Terumi Tanaka, einer der Vorsitzenden von Nihon Hidankyō und Überlebender des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, erzählt Jugendlichen von seinen Erlebnissen.

Spitzenplatz beim „wikipedistischen Nobelpreis“

Kein Wunder, dass die deutschsprachige Community regelmäßig Spitzenplätze beim „wikipedistischen Nobelpreis“ belegt – dem enzyklopädischen Wettkampf, in welcher Sprachversion bereits die meisten Artikel zu den Preisträger*innen existieren. 2024 hatten alle neun Ausgezeichneten zum Zeitpunkt der Verkündung bereits einen Eintrag in der deutschsprachigen Wikipedia. Damit liegt sie gemeinsam mit der englischsprachigen und der chinesischsprachigen Wikipedia auf dem ersten Platz des „wikipedistischen Nobelpreises“. Dahinter folgen die arabischsprachige und die japanischsprachige Wikipedia, in der sieben der neun Preisträger*innen einen Eintrag hatten.

„Die Aufbereitung der Nobelpreise als ‚sportlicher‘ Wettkampfbericht, die Sprachversionen in einem freundschaftlichen Battle – das macht einfach Freude“, erklärt Wikipedianer Olaf2. Die Faszination liegt für ihn aber auch in der Internationalität des Projekts: „Menschen mit völlig unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Sichtweisen beschäftigen sich – zwar eher nebeneinander als miteinander, aber immerhin – mit dem Zusammentragen von Informationen zu einem Thema. Da stehen in der Liste Arabisch, Persisch und Hebräisch nebeneinander, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Auch Ukrainisch und Russisch. Das kann man ruhig mal feiern.“

Eulen nach Wiesbaden tragen – das war die WikiCon 2024

Thursday, 10 October 2024 11:27 UTC

Der Heimathafen in der Wiesbadener Innenstadt ist ein noch junges Zentrum für Gründer, Kreative und Co-Worker – angesiedelt in einem denkmalgeschützten Gebäude, das früher Gericht und Gefängnis beherbergte. Der Schwurgerichtssaal im ersten Stock sieht mit seiner originalen Richterbank und Tribünen noch immer so aus, als würden hier Urteile ergehen. In diesem geschichtsträchtigen Haus – und im Bürgersaal der benachbarten Hochschule Fresenius – fanden vom 4. bis 6. Oktober die Sessions der WikiCon 2024 statt. Ein inspirierendes Ambiente, um von morgens bis abends alle erdenklichen Fragen rund um die Gegenwart und Zukunft des Freien Wissens zu verhandeln.

Die jährliche Zusammenkunft der Wikipedianer*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – die von der Community mit Unterstützung von Wikimedia Deutschland organisiert wird – hat nicht nur einen besonderen Ort gefunden (wie schon so oft in den stets wechselnden Gast-Städten). Sie bot auch einmal mehr ein umfangreiches Programm mit etlichen parallelen Sessions, die sich nicht zuletzt den praktischen Seiten der Arbeit für die Wikimedia-Projekte widmeten.

Wie schreibe ich einen verständlichen Artikel?

Im Konferenzraum der Geschworenen hält gleich nach der Eröffnungsveranstaltung der Wikipedianer Salino01 einen Vortrag über die „Verständlichkeit von Wikipedia-Artikeln“. Ein Thema, das am WikiCon-Wochenende an mehreren Stellen aufkommt. In ganz verschiedenen Sessions wird festgestellt, dass die Wikipedia meist die erste Anlaufstelle für Recherchen von Schüler*innen oder Student*innen ist – aber die dort gefundenen Informationen eben auch leicht zugänglich sein sollten. Als Beispiel für einen schwer zugänglichen Text wählt Salino01 den Wikipedia-Eintrag zu Diabetes mellitus, in dessen Einleitung sich die Fachbegriffe häufen. Generell – dazu gibt es auch eine Studie – sind die krankheitsbezogenen Artikel in der deutschen Wikipedia besonders komplex.

Was tun? Diskutiert wird über KI Tools wie DeepL Write oder TextLab, die helfen können, einen Eintrag zu vereinfachen. Der Idealfall wäre natürlich – so der Konsens im Konferenzraum der Geschworenen – dass Artikel gar nicht erst komplex verfasst werden. Eine Empfehlung von Salino01 in diesem Zusammenhang: die Orientierung am Hamburger Verständlichkeitsmodell. „Wir brauchen ein Bewusstsein für die Zielgruppe“, findet ein Wikipedianer: „Ein 11-jähriger Schüler will zum Beispiel aus dem Text über das Opossum einfach nur schnell die Information herausziehen: Wie alt wird das Tier?“.

Künstliche Intelligenz im Wissenszeitalter

Aber gibt solche Antworten in Zukunft nicht ohnehin die KI? Um Fragen dieser Art ging es auf dem Panel „Künstliche Intelligenz im Wissenszeitalter: Revolution der Informationsbeschaffung und -rezeption“ im Bürgersaal der Hochschule Fresenius. Die Journalistik-Professorin Cornelia Mothes, die Professorin für Medienethik Claudia Paganini, Andreas Grün aus der Hauptredaktion Digital Medien im ZDF sowie Lukas Mezger (Rechtsanwalt und Wikipedianer) diskutierten 90 Minuten lang darüber, was die technologischen Entwicklungen perspektivisch für das Freie Wissen bedeuten könnten.

Die Google-Suche, über die ein Großteil der Nutzenden auf die Wikipedia-Artikel stößt, wird unpopulärer, wie Cornelia Mothes beschreibt. Programme wie ChatGPT oder ComplexityAI positionieren sich immer stärker als Konkurrenz – lassen aber ohne weitere Nachforschungen nicht erkennen, aus welchen Quellen ihr Wissen stammt. Das könnte perspektivisch auch zu einem Relevanzverlust des Qualitätsjournalismus führen, der als Urheber von verlässlichem Wissen unsichtbar wird, so Mothes.

Die gute Nachricht: Einen Abgesang auf die Wikipedia möchte niemand anstimmen, im Gegenteil. „Die Wikipedia hat einen immer besseren Ruf im universitären Kontext, je mehr die Angst vor KI zunimmt“, stellt Claudia Paganini fest. Nur könnte sich ihre Rolle verändern. Die freie Enzyklopädie werde vielleicht zunehmend wichtig, um zu überprüfen: stimmt es, was die KI sagt?

Wissen in der kriselnden Welt

Das omnipräsente Thema KI ist freilich nicht die einzige Herausforderung für das Freie Wissen. Auf dem Panel „Wissen ist Macht – Resilienz von freiem Wissen in einer kriselnden Welt“ ging es um die Bedrohungen, denen die Demokratien heute vielerorts ausgesetzt sind.

Thomas Laufersweiler (der sich bei der ARD für Creative Commons-Lizenzen einsetzt), Kirsten Bode, die für das ZDF-Format Terra X arbeitet, Friederike von Franqué aus dem Politikteam von WMDE und wiederum Lukas Mezger verhandelten hier die Herausforderungen durch die Zunahme von Fake News und die rechtspopulistischen Attacken auf den Gemeinsinn.

Kirsten Bode konstatiert zwar: „Noch hat der Einzelne alle Möglichkeiten, sich zu informieren“ – nicht zuletzt dank eines Projekts wie der Wikipedia mit Wissen aus verlässlichen Quellen. Sie beobachtet allerdings auch, dass viele nicht mehr zwischen Fakten und Meinung unterscheiden können und plädiert für mehr Vermittlung von Medienkompetenz schon in den Schulen. Thomas Laufersweiler würde es begrüßen, „wenn das Schreiben von Wikipedia-Artikeln in der Schule verpflichtend wäre”. Das sei schließlich eine gute Übung in journalistischem und wissenschaftlichem Arbeiten zugleich.

Die Aufzeichnungen der Panels sind in Kürze auf Wikimedia  Commons verfügbar und werden dann hier verlinkt.

And the winner is…

Insgesamt 262 Wikipedianer*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kamen in diesem Jahr in Wiesbaden zusammen – weitere 99 verfolgen die Veranstaltungen online. „Bei der Wikipedia-Arbeit bin ich meist allein am Schreibtisch – hier bekomme ich das Gefühl, wirklich Teil einer großen Gemeinschaft zu sein“, fasst ein glücklicher Wikipedianer bei der Eulen-Gala den WikiCon-Spirit in Worte.

Die traditionelle Verleihung der WikiEulen an besonders verdiente Wikipedianer*innen fand am Samstagabend statt – in der Wiesbadener Casino-Gesellschaft, einem Prachtsaal aus dem 19. Jahrhundert (wobei der Name nichts mit Glücksspiel zu tun hat, sondern auf die „Casini“ zurückgeht, Landhäuser des italienischen Adels). So oder so: ein würdiger Rahmen für die Preisverleihung in 16 Kategorien, die von der streng anonymen WikiEulenAcademy ausgerichtet wird.

Die AutorenEule 2024 geht an den Wikipedianer PaFra – Autor einer Reihe von exzellenten Artikeln wie der Biografie Sayyid Shaykh al-Hadi oder dem Text zur religiösen Gruppe der Sunniten – und als Islamwissenschaftler der Initiator eines wissenschaftlichen Fachlexikons innerhalb der Wikipedia. Mit der NewcomerEule wird der Wikipedianer Anagkai geehrt – der ist erst seit anderthalb Jahren aktiv, hat aber schon über 200 Artikel zu seinem Spezialgebiet verfasst: Biomoleküle.

Über die FotoEule darf sich die Benutzerin Haeferl freuen, die seit 2010 dabei ist schon seitdem über 10.000 Fotos hochgeladen hat. Mit der EhrenOrgaEule wird Rebecka Heinz bedacht – keine Wikipedianerin, aber als freie Mitarbeiterin von Wikimedia Deutschland maßgeblich am Gelingen der vergangenen drei WikiCon-Ausgaben beteiligt – und zudem, so die Jury, eine wichtige Botschafterin ihres Herzensprojektes eine-von-acht rund um das Thema Brustkrebs. Eine vollständige Übersicht über alle Nominierten und Preisträger*innen ist hier zu finden.

Blick in die Zukunft

Und wie geht’s weiter? Auf dem ersten Wikipedia-Zukunftskongress im Juni, organisiert von Wikimedia Deutschland, wurden viele Ideen entwickelt, um Wikipedia zukunftssicher zu machen. Damit diese Ideen nicht ungenutzt bleiben, wurden sie auch auf der WikiCon vorgestellt und gemeinsam mit den Teilnehmenden erste Ansätze zur Umsetzung diskutiert. In der Zukunftskongress-Session wurden an acht Tischen verschiedene Themen vertieft, darunter: Freiwillige gewinnen & binden, Diversität der Community & marginalisierte Gruppen unterstützen sowie Einbindung von Leser*innen in die Community. Am 16. Oktober werden in einem Online-Austausch die praktische Umsetzung und nächste Schritte besprochen.

Die WikiCon in der Presse:

Vorberichterstattung zum Thema „Wissen ist Macht“ vom 4.10. in Bayern 2 (ab Min 8:32:30):

https://www.br.de/radio/live/bayern2/prog

Wiesbadener Kurier (hinter Bezahlschranke):

https://www.wiesbadener-kurier.de/lokales/wiesbaden/stadt-wiesbaden/der-unschaetzbare-wert-des-schwarmwissens-3966456

“Wissen in einer kriselnden Welt”, Gespräch mit Friederike von Franqué (Wikimedia), Kai Schmieding (Autor), SR kultur, Der Morgen, 04.10.2024, 7.20 Uhr

Mit freundlicher Genehmigung vom Saarländischen Rundfunk

Über das Grundgesetz, das in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiert, ist vermeintlich alles bekannt. Wie die Tatsache, dass die Verfassung eben nicht nur Väter, sondern auch Mütter hat. Frieda Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und  Helene Wessel hießen die vier Frauen, die als Mitglieder des 65-köpfigen parlamentarischen Rates maßgeblich an seiner Ausarbeitung beteiligt waren. Selbstverständlich gibt es über sie auch eigene Wikipedia-Artikel.

Wie kam die Gleichberechtigung ins Grundgesetz?

Ein Monument von Elisabeth Selbert in Kassel.

Bei näherer Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes zeigt sich allerdings, dass sich bis heute ein paar falsche Annahmen halten. Zum Beispiel bezüglich der Frage: Wie kam eigentlich die Gleichberechtigung ins Grundgesetz? Haben die vier erwähnten „Mütter“ unserer Verfassung wirklich in vereinter Schwesternschaft und über Parteigrenzen hinweg für den Artikel 3 gekämpft, wie es ein kleiner Lehrfilm der Bundesregierung nahe legt?

„Problematisch, entpolitisierend und vereinfachend“ nennt die Historikerin Dr. Kerstin Wolff vom Kasseler Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) diese Darstellung. Und fordert: „Es ist Zeit, zu differenzieren.“ Was sie in einem erhellenden Vortrag für knapp 30 online zugeschaltete Wikipedianer*innen beeindruckend unternimmt. Ein Fokus liegt dabei auf der Rolle, die Elisabeth Selbert als SPD-Mitglied gespielt hat. Selbert war Juristin und kämpfte zusammen mit ihrer Partei für den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, der in seiner vermeintlichen Schlichtheit weitreichende Gesetzesreformen nach sich zog. Der Satz war übrigens – auch das wissen viele nicht – einem SED-Verfassungsentwurf entlehnt.

Zwei Ja- und zwei Nein-Stimmen

„Wiki Loves Demokratie – Mütter des Grundgesetzes“ lautet der Titel dieser Wikipedianischen KultTour, die Wikimedia Deutschland zusammen mit dem AddF organisiert hat. Wikipedianischen KulTouren sind halb- bis eintägige Veranstaltungen, bei denen sich Wikipedianer*innen online oder in Präsenz treffen und gemeinsam eine ausgewählte Ausstellung oder eine Kultureinrichtung unter fachkundiger Führung besuchen. Diesmal geht es also digital nach Kassel (wo gemeinsam mit dem AddF zuletzt eine GLAM digital-Veranstaltung zur Rolle der Frauen bei der Revolution von 1848/49 stattfand).

Kerstin Wolff und Laura Schibbe, die am AddF die Öffentlichkeitsarbeit leitet, stellen zunächst das Archiv mit seinen über 38.000 Magazin-Titeln und entsprechend umfangreichen Recherchemöglichkeiten vor. Anschließend widmet sich Wolff in ihrem Vortrag der Frage: „Wie kam die Gleichberechtigung ins Grundgesetz?“.

Wolff führte weiter aus, dass ein erster, an der Weimarer Verfassung orientierter Entwurf für den Artikel 3 lautete: „Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“. Das aber, erläutert Wolff, hätte sich vor allem auf das Wahlrecht bezogen – und nicht auf das patriarchal geprägte Familienrecht, das Elisabeth Selbert aus ihrer Praxis als Familienanwältin nur allzu gut kannte. Unter anderem waren Ehefrauen damals wirtschaftlich vollkommen abhängig von ihren Männern. Die von Selbert eingebrachte Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ fiel bei Abstimmungen im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rats allerdings erst einmal durch – auch Helene Weber von der CDU und Helene Wessel von der Zentrumspartei stimmten dagegen.

Der israelische Künstler Dani Karavan hat in drei Meter hohe Glasscheiben, die einen Außenhof des Jakob-Kaiser-Hauses im Uferbereich zur Spree begrenzen, die 19 Grundrechtsartikel des Grundgesetzes mit Laser eingraviert. Hier ist der dritte Artikel zu sehen.

Revolutionen brauchen Netzwerke

Elisabeth Selbert gab nicht auf und fand Verbündete. „Revolutionen“, so Wolff in ihrem Vortrag, „brauchen Netzwerke.“ Zusammen mit der Parteigenossin Frieda Nadig und Herta Gotthelf, der Frauensekretärin der SPD, versuchte sie einen Proteststurm von Frauenverbänden und Einzelpersonen zu entfachen. Auch wenn die später kolportierten „Waschkörbe voller Protestschreiben“, die angeblich den Parlamentarischen Rat erreichten, nach Ansicht von Historiker*innen wohl eine Übertreibung sind – die Aktion hatte Erfolg. Der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ wurde im Artikel 3 festgehalten.

Über Selbert, die Wolff als „Mutter der Gleichberechtigung im Grundgesetz“ bezeichnet, existiert beim AddF auch ein ausführliches, an Quellen reiches Online-Dossier – wie über etliche weitere Pionierinnen der Frauenrechte in Deutschland. Eine Fundgrube also für Wikipedianer*innen, die Aspekte in bestehenden Artikeln ergänzen oder neue Texte anlegen wollen. Zumal das Themenfeld Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Wikipedia noch viele Lücken aufweist, wie die Wikipedianerin Leserättin in einem spannenden Vortrag für die Teilnehmenden der Veranstaltung ausführt.

Problemfall Theoriefindung

Es ist allerdings oft auch nicht leicht, mehr Wissen aus diesem Fachgebiet einzubringen, wie Leserättin am Beispiel ihres Artikels über die sogenannte Damengalerie in der Frankfurter Paulskirche beschreibt. Denn laut den Relevanzkriterien der Wikipedia ist keine „Theoriefindung“ erlaubt – darunter fällt auch „die Einführung nicht gebräuchlicher Fachausdrücke oder Termini“. Ist die „Damengalerie“ ein gebräuchlicher Begriff? „Gerade wenn es um Themen geht, die nicht zum Schulbuchwissen oder der Allgemeinbildung zählen, bleibt es eine Herausforderung, sie in der Wikipedia abzubilden“, beschreibt Leserättin. Die Wikipedianerin entschied sich schließlich für den Volltitel „Damengalerie oder Damenloge der Frankfurter Nationalversammlung.“

Genügend Wissen, das nach Ansicht der Teilnehmer*innen seinen Platz in der freien Online-Enzyklopädie verdient hätte, wurde jedenfalls im Rahmen dieser Wikipedianischen KulTour vermittelt. Ob Elisabeth Selbert bald als „Mutter der Gleichberechtigung im Grundgesetz“ in der Wikipedia beschrieben wird, bleibt abzuwarten. Alle Teilnehmenden waren jedenfalls froh – das zeigten die Kommentare im Chat – bei dieser Wikipedianischen KulTour an so spannende Diskussionspunkte gelangt zu sein.

 

Lust, mehr zu erfahren?

Eine Übersicht über vergangene und anstehende Wikipedianische KulTouren gibt es hier.

Unter diesem Link finden sich alle Informationen rund um die GLAM-Veranstaltungen von Wikimedia Deutschland­ – Kooperationen mit Kulturinstitutionen wie Galerien, Archiven, Bibliotheken und Museen, die sich dem Freien Wissen öffnen. Inklusive Terminkalender!

Wikipedia und Wikimedia zu Gast beim Bundespräsidenten

Wednesday, 25 September 2024 07:29 UTC

Das Motto des diesjährigen Bürgerfestes lautete „Pamoja – gemeinsam stärker“. Das trifft definitiv auch auf die Wikipedia, das freie Medienarchiv Wikimedia Commons und die offene Wissensdatenbank Wikidata zu. Denn tausende Freiwillige pflegen und erweitern die Artikel, Medien und die Daten, auf die wir alle täglich frei zugreifen können.

Publikumsmagnet Glücksrad

Nachdem die grauen Wolken vom Freitag sich verzogen hatten, stand am Samstag bei schönstem Sonnenschein ständig eine Schlange vor dem Stand der Mercator-Stiftung, an dem wir gemeinsam mit anderen vor Ort waren. Vor allem das bunte Glücksrad stieß auf großes Interesse. Kinder wie Senior*innen wollten ihr Glück versuchen und Wikipedia-Bleistifte, die begehrten Wikipedia-Jutebeutel und viele andere Preise gewinnen. Neben einigen Rätselfragen (Wie viele gedruckte Bücher würde die Wikipedia ergeben?) wollten wir auch wissen, was die Besucher*innen über die Wikipedia wissen, wie für sie offene Bildung aussehen müsste oder zu welchem Thema sie einen Wikipedia-Artikel schreiben würden.

Zum Glück waren wir gleich mit mehreren Kolleg*innen aus den Teams Community-Förderung sowie Bildungspolitik und digitales Kulturgut vor Ort und konnten die vielen Fragen rund um Wikimedia-Projekte beantworten, die sich dabei ergaben.

Frag die Wiki-Expert*innen

Doch wir haben nicht nur den Besuchenden Fragen zur Wikipedia gestellt. Wer das Glücksrad auf die Kategorie “Und sonst so… Deine Frage an uns” drehte, konnte den Spieß umdrehen. Besonders häufig kam dabei die Frage auf, wie sichergestellt wird, dass die Informationen in der Wikipedia sachlich richtig und aktuell sind. Die Antwort war ein Grund für die lange Schlange vor dem Stand. Denn es gibt viele Faktoren, die zur Verlässlichkeit der Wikipedia beitragen. Das fängt an bei den Relevanzkriterien und geht über klare Regeln dafür, wie Wissen belegt werden muss, bis zu einer Definition, was eben nicht in die Wikipedia gehört: Gerüchte, Propaganda, unbelegte Theorien und einiges mehr. Auch die große Anzahl derer, die aktiv dazu beitragen, dass die Wikipedia funktioniert, war kaum jemandem bekannt.

Viel Fragende waren überrascht zu erfahren, dass wirklich alle Wikipedia-Aktiven ehrenamtlich zur Online-Enzyklopädie beitragen. Und immer wieder ging es darum, welche Rolle Transparenz spielt. Viele wussten nicht, dass über die Versionsgeschichte eines Artikels jederzeit für alle nachvollziehbar ist, was wann geändert wurde und dass sie auch die Regeln zum Arbeiten in der Wikipedia jederzeit einsehen können.

Bei den Fragen danach, ob die deutschsprachige Wikipedia ausdrucken wirklich 3.406 gedruckte Buchbände umfassen würde wahr oder falsch sind, haben häufig Eltern und Kinder gemeinsam gerätselt. Sie waren beeindruckt davon, wie viel Arbeit und wie viel Wissen in den Wikimedia-Projekten steckt.

Auflösung: Die Wikipedia in all ihren Sprachversionen wächst ständig. Daher kann man die genaue Anzahl der Bücher nicht berechnen. Es hängt natürlich auch davon ab, wie viele Seiten so ein Buch hätte. Es gab zu unterschiedlichen Zeiten Studien und Schätzungen, nach denen es 1.717  bzw. 3.406 für die deutschsprachige Wikipedia waren.

Viele Wikimedia-Themen im Gepäck

Neben vielen Fragen zu Wikipedia, Wikimedia Commons und Wikidata wollten die Gäste auch wissen: Was heißt das eigentlich, Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens? So kamen wir ins Gespräch darüber wie Wikimedia Deutschland den freien Zugang zu Wissen noch fördert. Etwa mit unserem Programm Öffentliches Geld – Öffentliches Gut, mit dem wir uns gegenüber Politikschaffenden, öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Ministerien dafür einsetzen, dass alles, was mit öffentlichem Geld finanziert wird, für uns alle zugänglich ist. Immer mehr Redaktionen im ZDF und ARD haben wir bereits davon überzeugt, dass Wissens- und Informationsinhalte mit freien CC-Lizenzen für uns alle nachnutzbar sein sollten.

Es ging um unsere Arbeit mit Kulturinstitutionen und mit Freiwilligen in den Wikimedia Projekten, mit denen wir dazu beitragen, dass mehr Bestände unseres kulturellen Erbens digital und frei zugänglich werden. Oder um das „Forum Offene KI in der Bildung“, bei dem wir zehn Handlungsempfehlungen für den Einsatz von offenen statt intransparenten KI-Anwendungen in Schulen entwickelt haben – und in die Bildungspolitik tragen. Die Empfehlungen haben wir mit Expert*innen aus dem Bildungsbereich erarbeitet. Mit Wissenschaftler*innen und Bildungspraktiker*innen, die ebenso wie Wikimedia Deutschland davon überzeugt sind, dass wir uns nicht von den intransparenten KI-Anwendungen der Tech-Riesen abhängig machen sollten, klare Regeln für den Einsatz von KI in der Bildung brauchen, aber auch Wissen darüber, wie diese Technologien funktionieren.

Am Ende kam dann fast die Polizei

Am Ende des Tages haben wir alle Wikipedia-Geschenke und viel Wiki-Wissen unter die Leute gebracht. Beim Verstauen unserer Habseligkeiten vor dem Schloss Bellevue wurde es dann fast brenzlig. Der große Wikipedia-Ball, der zuvor unseren Stand markiert hatte, musste ins Taxi verfrachtet werden. Das war einem der jungen Besucher offenbar nicht ganz geheuer. „Guck mal, da klaut jemand den Wikipedia-Ball”, erklang es plötzlich. Die Situation konnte zum Glück geklärt und ein Polizeieinsatz vermieden werden. Der Ball ist sicher im Büro von Wikimedia Deutschland angekommen und wartet auf den nächsten Einsatz.

Immer mehr Menschen nutzen KI-Anwendungen – auch für die Informationsbeschaffung. Umso wichtiger ist es, dass sie mit verlässlichen Daten trainiert werden. Gleichzeitig dominieren große Unternehmen die Entwicklung von ChatGPT & Co. Um die Entwicklung gemeinnütziger KI-Projekte zu unterstützen und zu einem verlässlichen Informationsökosystem beizutragen, hat Wikimedia Deutschland ein neues Projekt gestartet, das die Nutzung der offenen Daten aus Wikidata erleichtert.

Wikidata stellt als offene Wissensdatenbank mit über 112 Millionen maschinen- und menschenlesbaren Einträgen eine zentrale Quelle für qualitativ hochwertige und offene Daten dar. Alle Wikimedia-Projekte, insbesondere Wikipedia, greifen auf diese Daten zu, um Informationen wie z. B. Einwohnerzahlen oder Geburtsdaten automatisch zu aktualisieren. Unterstützt von über 12.000 ehrenamtlichen Beitragenden bietet Wikidata eine umfassende und geprüfte Datenbasis. Für Entwickler*innen von Open-Source-Projekten sind die Daten zwar zugänglich – um sie auch für KI-Trainings nutzen zu können, fehlen ihnen aber oft die Ressourcen. Diese stehen meist nur großen Technologieunternehmen zur Verfügung.

Vektorisierte Daten für maschinelles Lernen

Ziel des neuen Projektes ist es, künftig vor allem auch kleineren Open-Source-Projekten die Möglichkeit zu geben, die Daten aus Wikidata zu nutzen. Daher hat sich Wikimedia Deutschland mit DataStax und Jina AI zusammengetan, um die Wikidata-Daten so aufzubereiten, dass auch kleinere Projekte ohne die finanziellen und personellen Ressourcen großer Unternehmen sie nutzen können.

Im Mittelpunkt des neuen Projekts steht die Transformation der Wikidata-Daten in semantische Vektoren – ein aufwendiger aber notwendiger Schritt, den Open-Source Entwickler*innen in der Regel nicht alleine stemmen können. DataStax stellt hierfür eine leistungsfähige Vektordatenbank bereit, während Jina AI ein Open-Source-Modell zur Vektorisierung der Textdaten beisteuert.

Diese Umwandlung der Daten in Vektoren erlaubt es Entwickler*innen, semantische Suchanfragen effizienter durchzuführen und die Daten von Wikidata in ihre KI-Modelle zu integrieren. Das ermöglicht nicht nur eine schnellere und präzisere Suche, sondern vereinfacht auch den Prozess der Einbindung von Wikidata in sogenannte RAG-Anwendungen (Retrieval-Augmented Generation). Diese Anwendungen minimieren KI-Fehler, indem sie aktuelle und verifizierte Fakten in ihre Ergebnisse einfließen lassen.

Ein weiteres Ziel des Projekts ist es, Vandalismus auf Wikidata besser zu erkennen. Da generative KI in der Lage ist, Inhalte massenhaft zu erstellen, kann dies auch zur Verbreitung von falschen Informationen beitragen. Die Vektorisierung der Daten ermöglicht es, potenziell schädliche Änderungen an den Wikidata-Einträgen schneller zu identifizieren und zu korrigieren.

KI und die Werte von Wikimedia Deutschland

Wikimedia setzt dabei auf die Werte der Transparenz und des freien Zugangs zu Informationen in Form von offenen Daten. Besonders im Hinblick auf generative KI, die oft fehlerhafte Inhalte generiert, ist die Bereitstellung validierter Daten eine wichtige Maßnahme, um die Qualität von KI-generierten Inhalten zu verbessern.

Dr. Jonathan Fraine, Leiter der Softwareentwicklung bei Wikimedia Deutschland, erklärt: „Viele Entwickler*innen teilen unsere Werte, aber der Zugang zu Wikidata ist für sie eine Herausforderung. Wir müssen den Prozess vereinfachen, um die enormen Datenvolumen für die neuesten generativen KI-Entwicklungen nutzbar zu machen.“ Lydia Pintscher, Portfolio Lead Wikidata, ergänzt: „Durch die Bereitstellung hochwertiger, offener Daten unterstützen wir die Communitys dabei, innovative Ideen zu entwickeln, die der Menschheit zugutekommen, statt kommerziellen Zwecken zu dienen.“

Wikidata als Basis für eine gerechtere digitale Zukunft

Die Bedeutung dieses Projekts liegt darin, die Daten von Wikidata als verlässliche Quelle für KI-Entwicklungen zu etablieren. In einer Zeit, in der KI-generierte Inhalte zunehmend das Internet dominieren, besteht die Gefahr, dass ungeprüfte und oft falsche Informationen verbreitet werden. Wikidata bietet hier eine stabile Alternative: Die Wissensdatenbank verfügt über ein enormes Datenvolumen und die Informationen sind öffentlich zugänglich, frei lizenziert und sie werden durch eine aktive Community ständig überprüft und erweitert.

Durch die Zusammenarbeit mit DataStax und Jina AI schafft Wikimedia Deutschland die technische Infrastruktur, um die offene Wissensquelle Wikidata auch für kleinere Entwicklerteams nutzbar zu machen. Langfristig kann dies dazu beitragen, dass sich Open-Source-KI-Projekte gegenüber den dominierenden Tech-Giganten besser behaupten können. Gleichzeitig wird der Zugang zu verlässlichen Daten für alle vereinfacht, was den demokratischen Zugang zu Wissen in einer digitalisierten Welt unterstützt.

Die Zukunft der KI bei Wikimedia Deutschland

Wikimedia Deutschland hat im Dezember 2023 mit der Umsetzung dieses semantischen Suchkonzepts begonnen. Die ersten Beta-Tests eines Prototyps sind für 2025 geplant. Dieses Projekt ist eine große Chance, KI-Anwendungen und das Informationsökosystem zu verbessern und gleichzeitig die Grundwerte der Offenheit und Transparenz zu wahren.

Dieses Vorhaben ist ein wichtiger Schritt in der Mission von Wikimedia Deutschland, Freies Wissen für alle zugänglich zu machen. Mithilfe von maschinellem Lernen und semantischer Suche wird der Zugang zu den wertvollen Daten von Wikidata weiter vereinfacht, was nicht nur die Entwickler-Community, sondern die Gesellschaft als Ganzes voranbringen kann.

Podcast: Könnte die Verbesserung der Lesbarkeit von Wikidata durch Menschen zu einer besseren KI führen?

Im Global Tech Podcast spricht Lydia Pintscher von Wikimedia Deutschland über das neue Wikidata-Projekt. Der Podcast ist in englischer Sprache.

Vorstellung des Projektes in Paris

Jonathan Fraine (Leiter der Softwareentwicklung bei Wikimedia Deutschland) und Lydia Pintscher (Portfolio Lead Wikidata) präsentierten das neue Projekt auf dem „AI_dev: Open Source GenAI & ML Summit Europe 2024“ in Paris. Die Präsentation ist auf YouTube verfügbar.

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Entstanden ist die Idee der offenen Bildung im Fahrwasser der Openness-Bewegungen, die seit den 90er Jahren freie und offene Software entwickelt oder offene Wissensprojekte wie die Wikipedia gestartet haben. Während die beiden Ideen bald aus den USA nach Deutschland rüber schwappten, blieb offene Bildung hierzulande lange ein Nischenthema. Eine sehr aktive aber kleine Community erstellte Bildungsmaterialien, machte diese digital und frei zugänglich und arbeitete gemeinsam daran, Kompetenzen im Erstellen freier Lernmaterialien aufzubauen. In der Bildungspolitik, in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung spielte offene Bildung aber kaum eine Rolle, wurde lange weder gefördert noch erforscht.

Warum sind offene Bildung und Open Educational Resources so fabelhaft?

Bildungsgerechtigkeit: Zugang zu Bildung hängt in Deutschland stark vom ökonomischen Status ab. Da OER für alle kostenlos zugänglich sind, können sie Bildungsgerechtigkeit stärken.  

Individualisierbar: Die freie Lizenzierung von OER führt auch dazu, dass jede*r die Materialien nach Bedarf anpassen kann.

Partizipativ: Lehrkräfte und Lernende erleben Lernen und Bildung durch die Offenheit der Materialien als ein Gut, das sie aktiv mit entwickeln können.

Ressourcensparend: Materialien, die frei zugänglich sind und digital geteilt werden können, müssen nicht hundertfach reproduziert – und gekauft – werden.

Um offene Bildungspraktiken und -materialien in der bildungspolitischen Agenda zu verankern, sie in der Bildungspraxis bekannter zu machen und in die Lehrerausbildung zu tragen, haben die Open Knowledge Foundation, Creative Commons und Wikimedia Deutschland 2014 das Bündnis Freie Bildung gegründet.

Zum zehnten Geburtstag des Bündnisses blicken wir auf Projekte, die Lehrkräften und allen anderen an OER interessierten Menschen nützen, die OER zugänglicher machen, Kompetenzen für offene Bildung stärken und mit denen das Bündnis in den bildungspolitischen Raum gewirkt hat.

In zehn Jahren Bündnis Freie Bildung sind nicht nur zahlreiche Mitstreiter*innen hinzugekommen. Das Bündnis hat sich, seine Ziele und Strategien auch ständig weiterentwickelt. Denn dank der Bündnisarbeit ist offene Bildung in der Lehre und in der Politik nach und nach besser verankert worden und die Bündnismitglieder waren immer wieder gefragt, sich mit Expertise und Positionen einzubringen. Das Foto zeigt die Mitglieder bei einem Strategieworkshop im Dezember 2023. Foto: Christopher Schwarzkopf (WMDE), Bündnis Freie Bildung Strategieworkshop 12. Dezember 2023 - 004, Cropped, CC BY-SA 4.0

Wir Lernen Online geht an den Start

Die Suchmaschine für OER gibt es seit 2020. Sie bietet in Fachportalen von B wie Biologie bis Z wie Zukunfts- und Berufsorientierung offene Lehrmaterialien an, die von Fachredaktionen geprüft wurden. Das Angebot ist also kuratiert. Über die Suchfunktion können Interessierte dann alle der mittlerweile über 230.000 OER nach Fachgebiet, Bildungsstufe oder auch nach Inhaltetyp filtern. Wer nach einem Video für den Mathematikunterricht der Sekundarstufe I zum Thema Logarithmen sucht, erhält so zum Beispiel 100 Treffer.

Wer bis 2020 auf der Suche nach offenen Lehrmaterialien war, fand sich schnell auf dem Weg von Pontius zu Pilatus – die OER-Landschaft war stark fragmentiert. Für Neulinge war zudem nicht gleich ersichtlich: Welche Materialien passen zu meinem Bedarf? Redaktionell kuratierte Angebote gab es kaum. Warum sich das ab 2020 geändert hat?

Als Wikimedia Deutschland und edu-sharing.net vom Bundesministerium für Bildungs und Forschung gefragt wurden, ob sie freie Bildungsmaterialien mit der Open-Education-Community erschließen und kuratieren können, war klar: Hier gibt es die Chance, das Thema offene Bildung in ein großes Bildungsprojekt einfließen zu lassen. Mit Wir Lernen Online ist damit nicht nur eine Suchmaschine entstanden, die erstmalig eine so große Menge an offenen Bildungsmaterialien auffindbar macht. Da Wir Lernen Online in unterschiedliche Redaktionssysteme der Länder, u.a. in die Bildungscloud eingebunden ist, können Lehrende die OER über die Cloud und damit direkt in ihrer Arbeitsumgebung finden und nutzen.

Bildungspolitik ko-kreativ gestalten: Das Forum Open Education

Beim Forum hat das Bündnis Freie Bildung Bildungspraktiker*innen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen mit Bildungspolitiker*innen zusammengebracht. Bei zahlreichen Workshops ist es gelungen, nicht nur Wissen auszutauschen, sondern auch gemeinsam an Strategien und Handlungsempfehlungen zu arbeiten, die offene Bildung fördern. Bildungspolitiker*innen konnten so auch direkt von Expert*innen erfahren, was Lehrkräfte und Schulen brauchen, um digitale und offene Bildung zu realisieren.

Auf dem Foto ist eine Gruppe von Menschen zu sehen, die um einen Tisch sitzt beziehungsweise an und vor Flipcharts und Pinnwänden steht. Anhand der vielen beschriebenen Zettel kann man erkennen, dass sie bereits miteinander an einem Thema gearbeitet haben. Entstanden isrt das Bild bei einem Arbeitsgruppentreffen beim Forum Open Education im Jahr 2019.
Gemeinsam aufzeigen, wie es gehen kann. Darum ging es beim Forum Open Education. In den Arbeitsgruppen zu Themen wie Lernen mit und über KI oder Lernen in regionalen Netzwerken und anderen haben die Teilnehmenden ihre verschiedenen Expertisen zusammen geführt und ergebnisorientiert an konkreten Handlungsempfehlungen für zeitgemäße Bildung gearbeitet. Foto: Leonard Wolf, Forum Open Education 2019 03, CC BY 4.0

In der Gruppe „Open Educational Resources in Hochschule und Lehrkräftebildung“ etwa haben Bildungspolitiker*innen wie Dr. Jens Brandenburger und Katja Suding mit den Pädagoginnen Nele Hirsch, Aliki Kaiser und andere Expert*innen zusammengearbeitet. Gemeinsam mit Dominik Theis von Wikimedia Deutschland haben sie konkrete Vorschläge dafür entwickelt, an welchen Punkten in der Lehrkräfteausbildung das Thema  „digital literacies“ verankert werden sollte, welche Ressourcen es dafür braucht bzw. welche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden müssen.

Offene Bildung vernetzen, lokale Communitys sichtbar machen

Die OER World Map macht es möglich, die relevanten Personen, Projekte und Organisationen, Werkzeuge, oder OER-Policies in verschiedenen Regionen oder Staaten zu finden. Sie macht damit auch das weltweite Ökysystem der offenen Bildung sichtbar. Neben der Suchfunktion, über die man je nach individuellem Interesse und nach Weltregionen filtern kann, bietet die Karte auch die Möglichkeit, Daten zu exportieren und weiter zu verwenden. Und natürlich ist mitmachen gefragt! Die FAQs für Editorinnen und Editoren erklären, welche Informationen man wie beitragen kann.

Ein Screenshot, der die OER World Map zeigt, über die man Projekte, Materialien, Menschen, Institutionen oder Policys zum Thema offene Bildung bzw. Open Education finden kann. ZU sehen ist auf blauem Hintergrund der Umriss aller Kontinente und mit schwarzen Punkten sind mögliche Suchergebnisse markiert.

Wie so viele Projekte von Menschen aus dem Bündnis Freie Bildung ist die OER World Map ein Gemeinschaftsprojekt. Bereits seit 2014 tragen verschiedene Akteur*innen dazu bei, neue Inhalte zu ergänzen. Entwickelt hat die Karte Jan Neumann vom Hochschulbibliothekszentrum Nordrhein-Westfalen mit der Open University und gefördert von der William and Flora Hewlett Stiftung. Seit 2023 hat die  OERinfo |Informationsstelle Open Educational Resources am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation das Projekt übernommen und treibt seinen Ausbau voran.

In zehn Jahren wurde viel erreicht

Die Bilanz vom Bündnis Freie Bildung zeigt vor allem eins: Unermüdliches Engagement, die Bündelung unterschiedlicher Expertisen und das Teilen von Wissen mit bildungspolitischen Akteur*innen zahlen sich aus. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat mittlerweile immerhin eine nationale Strategie zur Förderung von Open Educational Resources entwickelt, an deren Entwicklung sich das Bündnis mit eigenen Strategie-Inputs beteiligt hat. Doch nun geht es unter anderem um die Implementierung der Strategie in der Lehkräfterausbildung und fortbildung. Um die Bildung und vor allem die Lehrpraxis zu öffnen, braucht es neben den zeitlichen und finanziellen Ressourcen auch entsprechende Kompetenzen.

Um aufzuzeigen, wie man diese Kompetenzen entwickeln kann, hat das Bündnis mit die Offenheitskompetenzen entwickelt. Darin beschreiben die Bildungspraktiker*innen und Forschende, welche Fähigkeiten Lehrkräften wie entwickeln können, damit sie eine offene Bildungspraxis umsetzen können und digitale Kompetenzen erweitern können. Zusätzlich dazu gibt es Lernressourcen, mit denen Lehrkräfte den Einstieg in eine offene Bildungspraxis auch ein Stück weit selbst in die Hand nehmen können.

Bezahltes Wikipedia-Schreiben in der Belletristik

Monday, 12 September 2022 20:02 UTC

Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den Wind. Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird. Die weniger peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend sind.

Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen Bezugspunkten zu unserer Welt. Und selbst dort kommt Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es geht um „Moon over Soho“ von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen 2012 bringt es der Roman auf den Punkt:

Auf deutsch etwa:

„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz, können etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren. Lady Tys Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem PR-Schreiber verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen PR-Schreiber beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite ihren Vorstellungen entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer „Leute“ hatte eine PR-Agentur beauftragt, die einen Freelancer beschäftigt hatte, der das in einer halben Stunde runtergeschrieben hatte, damit er sich schneller wieder auf den Roman konzentrieren konnte, den er grade schrieb. Der Artikel gab preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu nicht weniger als einem Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder hatten von denen der Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu fahren aber jung genug um noch zu Hause zu wohnen.“

Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus anderen Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich zu stören. Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur den geringsten Mehrwert zu bieten.

Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012 richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der diskutierenden Community im Jahr 2022.

(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)

Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes scheint es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in dem jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen. Mit dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu „verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch raffinierter: Einfach einen etablierten Nutzer und dessen Vertrauensvorschuss nehmen und in dieser Tarnung PR-Edits durchführen.

Die Lyrik der Wikipedia-Auskunft

Monday, 18 July 2022 17:15 UTC

Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr teilhaben.

Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben, räuspere mich noch einmal und deklamiere:

Honda Motorrad,
6-Zylinder,
6 Vergaser,
Blockmotor quer,
luftgekühlt.

Alle Daten fehlen!
Keine Daten vorhanden.
Warum?

Die Frage stammte von einer nicht angemeldeten Person, die am 17. Juli um 16:19h mit der IP 2003:D4:2713:1F50:F120:9BAE:47CF:6C2A unterwegs war.

Beitragsbild: 2016-08-05 Tokaido Seki Juku Kameyama City Mie,東海道五十三次 関宿 DSCF6949☆ von: 松岡明芳 Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Wir waren dieses Jahr mit WikiAhoi wieder bei der SMWCon dabei. Die Konferenz zu Semantic MediaWiki findet zweimal pro Jahr statt, im Frühling in Nordamerika und im Herbst in Europa. Letztes Jahr waren wir schon in Wien dabei und dieses Jahr gings ins herbstlich-sonnige Barcelona. In freundlicher, persönlicher Atmosphäre wurden technische Neuigkeiten, innovative Projekte und besondere Anwendungsfälle besprochen. Wir möchten Sie an den wichtigsten Neuerungen teilhaben lassen.

Neuigkeiten aus der Semantic MediaWiki-Welt

Semantic Forms (Version 3.4 September 2015) hat sich mittlerweile als eigenständige Erweiterung etabliert und ist nun technisch nicht mehr von der Grunderweiterung Semantic MediaWiki abhängig. Weitere wichtige Änderungen:

  • Statt den Spezialattributen werden nun ParserFunctions eingesetzt.
  • Kartenbasierte Eingabeformate (Google Maps, Open Layers) sind nun möglich – diese werden nur eingesetzt, wenn Semantic Maps nicht vorhanden ist.
  • Weiters wird nun Cargo unterstützt, es lassen sich in Formularen auch Eingabeformate und die Autovervollständigungsfunktion aus Cargo nutzen.
  • Dazu kann man nun auch „mapping“-Werte hinterlegen, das sind andere Werte, als auf der Seite angezeigt werden.
  • Ein neuer Parameter erlaubt es, nur einzigartige Werte speichern zu lassen.
  • Alle roten Links können nun mit einer einzelnen Einstellung auf eine Formularauswahlliste weitergeleitet werden.

Die MediaWiki Stakeholder’s Group nahm die Konferenz zum Anlass, um weitere Schritte zu besprechen: Ziel der Gruppe ist die Koordination und die Kommunikation mit Wiki-Nutzern in Unternehmen, die Unterstützung von Entwicklern und Administratoren und die offizielle Kommunikation mit der Wikimedia Foundation. Wikipedia hat etwas andere Ziele als einzelne Drittnutzer der Software MediaWiki. Es geht also stark darum, die Interessen der Nutzer von Wiki in Unternehmen zu vertreten und in der Weiterentwicklung der Software voranzutreiben.

Interessante neue semantische Erweiterungen gibt es zu Breadcrumbs, Zitaten, Sprachenlinks und Metatags:

Und warum „eine Konferenz mit Folgen“? Diese Konferenz hat Folgen auf mehreren Ebenen: Wir haben persönliche Kontakte für Zusammenarbeit und Austausch geknüpft, es wurden Ideen beflügelt und Inspirationen für neue Projekte ausgetauscht, die Motivation wieder gestärkt, das Projekt MediaWiki als Ganzes voranzubringen und nicht zuletzt viele Features und Software-Änderungen besprochen, die in der Regel meist recht schnell umgesetzt werden. Die Konferenz war somit ein voller Erfolg.

Die Konferenz fand von 28.–30.10.2015 in Barcelona statt, in der schönen Fabra i Coats Kunstfabrik im Stadtteil Sant Andreu. Knappe 40 Teilnehmer nahmen an einem Tutorial- und zwei Konferenztagen teil.

WikiPRedia

Tuesday, 23 November 2021 17:31 UTC

Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal, die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema wabert ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch dieses Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg ist noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die Komposition eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum, Cembalo und Spottdrossel.

Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das Nächstbeste: ein Gedicht.

Wikipredia

Die Regeln
existieren und doch nicht
nach Mondstand

Die Ethik
absolut seit Anbeginn
nein denn ja

Die Praxis
gesperrt verworfen gelöscht
freigeschaltet

Wikipredia
Darwinismus der Agenturen
Überleben des Dreistesten

Allein mit der Madonna zum Hasen

Thursday, 30 September 2021 19:49 UTC

Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch Hall)

Wikipedia-KNORKE erwähnte ich ja an dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es etwas besonderes: Auf ins Museum!

In Berlin gastiert gerade die Darmstädter Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim dem Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde des 16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre faszinieren. Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung der Autorin des exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.

Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner Gruppe vor dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden über eine Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna und zur Sonderausstellung "Holbein in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in dessen Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen, sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der besseren Kunstausstellungen.



Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage des Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der Reformation war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und seine Falte. Wir staunten über die Eigentümlichkeit, dass sich niemand auf dem Gemälde eigentlich anschaut und wurden über dden Unterschied zwischen Schutzmantelmadonnen und Stifterbildern aufgeklärt. Vermutungen tauchten auf, wo das Bild wohl im Original hing - vermutlich in der Martinskirche als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis hin zum Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin zum spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth. Die Meinungen über die Sammlung Würth in der Gruppe waren durchaus geteilt, ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist es nun eher die Darmstädter Madonna oder eher die Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?

Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner Madonna und einem der prägenden Momente deutscher Kunstgeschichte: dem Dresdner Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten der Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich für das Darmstädter Gemälde. Eine Sensation,  da die Kunstkennerschaft vorher felsenhaft von der Originalität des Dresdner Gemäldes ausging. Hier zeigte sich erstmals das Bemühen, um eine rein sachlich, objektive Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der Dresdner Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die Kunstwissenschaft als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich später herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem ihren Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die originale der beiden bestätigten.

Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes (beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in das Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".

Hans Holbein der Jüngere: Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze in London, 1532. Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm. Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz

Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die beiden Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren der Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in der Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp einer Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch noch mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich begleitete wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und London. Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt. Nachdem wir dann noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie immer im Bodemuseum nicht ganz einfach und jedes mal findet man zwischendurch neue Säle) folgte noch ein erschöpfter Abschlusskaffee.

Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu entdecken.

Wen wählen in das Board der Wikimedia Foundation?

Friday, 20 August 2021 21:03 UTC

Vorweg, für die Eiligen

Meine Wahlvorschläge

  • Top 4: Douglas Ian Scott, Iván Martínez, Adam Wight, Dariusz Jemielniak
  • Top 8: Rosie Stephenson-Goodknight, Lorenzo Losa, Farah Jack Mustaklem, Gerard Meijssen
  • Wählbar: Reda Kerbouche, Pavan Santhosh Surampudi, Ravishankar Ayyakkannu

Wichtige Links

Vote now für das Wikimedia-Board

Für die nicht so Eiligen

Über den Dächern, Türmen und Gasometern Westberlins senkte sich die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen des Ullstein Castles und sinnierte. Direkt unter mir Straßentreiben, Sirenen, betrunkene Jugendliche, ein Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde Ausflügler überquerten die Stubenrauchbrücke.

In der Ferne betrachtete ich die Türme des Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen Wasserturm im Naturpark Schöneberger Südgelände. Heute Nacht auf dem Heinweg: Welchen Weg sollte ich wählen? Unten, im Süden, über den Prellerweg vorbei am Sommerbad am Insulaner? Die Nordvariante über den Tempelhofer Damm und durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder die Mittelweg, mit Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später über den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.

Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich, unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein einzelnes Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge stellt, richtig ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.

Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit der Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team Tödenhöfer über Volt bis zur Tierschutzpartei. Und so sehr es mich schmerzte das zu sagen: Das Plakatgame gewannen bisher die CDU und ihr Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl optisch – als auch damit, überhaupt inhaltliche Aussagen fern von Plattitüden zu machen.

Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl. Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf Deutsch das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung. Die Wikipedia steht meinem Herzen näher als der Bundestag und selbst als der Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern merh Gedanken. Diese Gedanken bedurften des Kontextes.

Was ist die Wikimedia Foundation?

Die Wikimedia Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik, ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den Wikipedien passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450 Angestellte, ein Endowment von 90 Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen US-Dollar.

Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten. Sie ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere schreiben keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit Artikel oder legen Inhalte in den Projekten an.

Die Foundation ist eine Organisation eigener selbstgenügsamer Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und ist – rechtlich – niemand rechenschaftspflichtig. Das Board besetzt sich prinzipiell aus sich selbst heraus. Es hat entschieden die Hälfte der Sitze Wahlen der weltweiten Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu lassen.

Was ist das Board of Trustees?

Das Board of Trustees ist das ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16 Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben Sitze besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine weltweite Communitywahl bestimmt.

Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und „weltweit / 450 Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar Einnahmen“ klar, dass das Board eine abstrakte Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick über so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe. Dieser Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine bestimmte Richtung zu lenken, eine Herausforderung.

Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß. Seiner Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die Vollzeitkräfte machen und besetzt die Geschäftsführung.

Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die Geschäftsführerin der Foundation Catherine Maher verschwand im April 2021 überraschend. Der Posten ist seitdem unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief Operations Officer im Jahr 2021 verabschiedete, die Abteilungen Communication und Technology auch niemand im Vorstand haben. Auf dem Schiff besetzt nur eine Notbesatzung an Offizier*innen die Brücke. Dem Board obliegt es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell und kompetent zu beenden.

Welche Kriterien habe ich?

Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei Kriterien erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele teilen. Und sie sollte in der Lage sein, sich in einem ehrenamtlichen Job gegen eine komplette Organisation aus Vollzeitangestellten zu behaupten. Oft genug stehen bei solch ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur Wahl, bei denen ich denke „Will Schlechtes, aber wird das erreichen“ und „Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt Chaos.“

Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit, möchte ich Kandidat*innen, die sich durchsetzen können. Kandidat*innen, die nach Möglichkeit die US-Zentrik der Foundation aufbrechen können. Ich möchte Kandidat*innen, die verstehen, dass Wikip/media keine allgemeine Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr spezifische Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt nicht kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine Weltbeglückungsziele zu stürzen, die weder die Foundation noch die Communities umsetzen können.

Wählenswert: Adam Wight. Bild: Recent selfie. Von: Adamw Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Welche Kandidaten?

Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.

Die Urgesteine

Dariusz Jemielniak – Professor of Management, daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.

Rosie Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup, Women in red, you name it. Bei überraschend vielen der Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie Stephenson-Goodknight beteiligt.

Gerard Meijssen – gefühlt war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab. Vielleicht der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein Chaot.

Mike Peel – langjähriges Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC) Hat bei mir in der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck hinterlassen.

Ravishankar Ayyakkannu – Mr. Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005 in der Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero, Google) zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte, weil er nicht nur aus dem Global South stammt, sondern auch Ausbildung und Berufstätigkeit dort durchführte.

Wählenswert: Dariusz Jemielniak Bild: Dr. Dariusz Jemielniak – Wikimedia Foundation Board von: VGrigas (WMF) Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Im Wikiversum aktiv


Reda Kerbouche – Aktiv bei Wikimedia Algeria, Founding member der Wikimedia of Tamazight User Group. Lebt in Europa.


Lorenzo Losa – Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.


Farah Jack Mustaklem
– Software Engineer, einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software. Aktiv bei den Wikimedians of the Levant und der Arabic language User Group. Mir persönlich zu sehr USA-sozialisiert für eine Board-Mitgliedschaft, andererseits sicher in jeder Hinsicht kompetent.

Douglas Ian Scott – Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der Wikimania 2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen Wartepause am Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens persönlich besser kennenlernte – und begeistert war.

Iván Martínez – langjährig engagiert bei Wikimedia Mexiko, LGBTQ+-Aktivist und soweit ich hörte, das Wikiversum Lateinamerika ist begeistert von ihm.

Pavan Santhosh Surampudi – Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich professionell etwas von Communities.

Adam Wight – Programmierer, Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard der Vertreter des Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen Movements.

Vinicius Siqueira – in Wiki Movimento Brasil

Newbies

Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit größeren Organisationen im Wikiversum fehlt vollkommen.

Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur

Wen werde ich wählen?

Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die Grenzen des Wikiversums sinnvoll einschätzen können. Perspektiven auf das Leben, anders aussehen als „in US-NGOs sozialisiert“ werden bevorzugt.

Die Top 4

  • Douglas Ian Scott
  • Iván Martínez
  • Adam Wight
  • Dariusz Jemielniak

Top 8

  • Rosie Stephenson-Goodknight
  • Lorenzo Losa
  • Farah Jack Mustaklem
  • Gerard Meijssen

Wählbar

  • Reda Kerbouche
  • Pavan Santhosh Surampudi
  • Ravishankar Ayyakkannu

Wer wird wählen

Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen zu haben, kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt gesperrt zu sein. Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind somit einfacher zu erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in der deutschen Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021 erfüllt sein. Es hilft nicht, jetzt noch schnell zu editieren.

Das Wahlsystem

Es gilt das Präferenzwahlsystem. Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als besonders fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen weniger als viele andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings nur selten eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl in letzter Zeit war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New York.

Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen nach Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der Kandidat danach eine zwei und so weiter. Hält man keine Kandidatin mehr für geeignet, hört man auf zu nummerieren.

Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen mit „1“ gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten davon. Dieser scheidet aus. Von allen „1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die „2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf die entsprechenden weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis nur noch so viele Kandidatinnen übrig sind, wie es Plätze zu besetzen gilt.

Zur Wahl

Geht es hier.

Beitragsbild: Die Apostel wählen einen zwölften Zeugen als Ersatz für Judas. Aus dem Rabbula-Evangeliar.

Wiki Loves Jules Verne. Mit Wikipedia in Braunschweig.

Tuesday, 17 August 2021 08:28 UTC


Mensch-Maschine Braunschweig


Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am Bahnsteig. 

Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren.  Eine Frau entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken „Also 22 statt der angezeigten 32.“

Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch deutscher?

Illustration aus dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de Neuville & Léon Benett


Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:


„Meine Mutter nannte dann immer eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken, Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt. Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer fanden sich kulturell kaum zurecht.“

Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und Musicaldarsteller?




Forschung Maschinenbau Braunschweig


Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt schlägt mir „Deutscher Ingenieur“ rechts und links um die Ohren. Braunschweig hebt das Thema "autogerechte Stadt" in Höhen, die selbst mir als gebürtigem Hannoveraner unerreichbar schienen.

Braunschweig. Bahnhofsvorplatz.


VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle und wurde prompt begrüßt mit „Tag des Maschinenbaus. Herzlich Willkommen.“



Vor allem aber  fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte  keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle, über die irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel verwunderlicher war, dass selbst die in Braunschweig reichlich vorhandenen 1970er-Großbauten gepflegt und sorgsam hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber, offensichtlicher spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser gepflegt als Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen darum herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie frisch aus der Packung genommen.

Wegbier. In Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber stilgerecht,


Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen gesperrt. Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement eine Rolle, sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.

Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch schon ins Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7 Geräte) nachlesend, wie das nun ist mit Braunschweig. Bekanntes taucht beim Nachlesen auf: Die physikalische-technische Bundesanstalt mit der Atomuhr; geahntes lese ich (Volkswagen – hey, das ist Niedersachsen und die Technische Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:

„Im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verfügt die Region Braunschweig über die höchste Wissenschaftlerdichte,[103] im bundesweiten Vergleich über eine hohe Ingenieurquote[104] sowie über die höchste Intensität auf dem Gebiet der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie 20.000 Beschäftigte in 250 Unternehmen der Hochtechnologie[106]“

Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren EU-Rangliste ist Braunschweig  die innovationsfreudigste Region der EU vor Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der deutsche Ingenieur. Hier lebt die deutsche Technik. Was für ein passender Ort für Jules Verne.


Jules Verne


Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts und vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller wie Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von der Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der Erde bekannt. Wikipedia und die Deutsche Jules-Verne-Gesellschaft hatten ein gemeinsames Wochenende organisiert mit einer Tagung zu Jules Verne und Gesprächen zu Wikipedia.

Volker Dehs bestreitet das halbe Programm


Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den 1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen blau eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so anders war als die großen mir bekannten Abenteuerromane von Jules Verne. Warum ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich hätte nur schwerlich begründen können, was genau mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in die Veranstalter, Science Fiction und Neugier auf diese andere niedersächsische Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.

Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt er als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans, Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene Bibliographen waren Thema und Anwesend, ebenso wie die phantastische Bibliothek in Wetzlar – die Mischung der Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich gar nicht so sehr von der Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die Perspektiven, aus denen Verne hier unter die Lupe genommen wurden, waren vielgestaltiger als sie es in der Literatur sonst sind. Faszinierend hier war die Neigung unterschiedlicher und leicht besessener Menschen sich zu einem Thema auseinanderzusetzen.

Haus der Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.



Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen Büchern durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein, während auf Verne eher zurückgeht, dass alles menschliche Streben gegenüber der göttlichen Macht sinnlos bleibt? Wen inspirierte er? Ist es eine sinnvolle Frage, dem nachzugehen, welche seiner Voraussagen, sich bewahrheiten? Dazu kamen dann noch Exkursionen zu Friedrich Gerstäcker, Fenimore Cooper, die Ingenieure, die ihre U-Boote dann nach Jules Verne „Nautilus“ nannten – und stark von diesem beeinflusst waren

Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie die Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent werden wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken beeinflusste. Romancier war er eher gezwungenermaßen – und verdiente mit seinen zwei erfolgreichen Theaterstücken in seinem Leben ein Viertel so viel Geld wie mit etwa 80 bis 100 Romanen.

Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman "der Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was niemand der Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine Dreiviertelstunde später kam die Bemerkung in einem anderen Zusammenhang, dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes einziges Buch mit einer weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen Zusammenhang, Update: Es kam wie es kommen musst. Da denke ich mal, ich habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas falsch verstanden. Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht das einzige Werk mit einer Protagonistin. Das prägnanteste Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr. (*Affiliate Links)

Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von Vernes Werk gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört, sondern es (fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo Verne Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet, dienen diese vor allem dem Zweck zu reisen.

Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen Strahl.

Die Phantastische Bibliothek


Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur mittelbar mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen Bibliothek Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le Blanc auf Wolfgang Thadewald. Den großen Phantastik- und Jules-Verne-Sammler. Thadewald verstarb 2014. Er lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner Sammlertätigkeit, seiner Liebe zu Büchern und zu Menschen, aber auch die Besessenheit mit der Thadewald an ein Thema heranging und auch von Krankheit schon schwer gekennzeichnet das Arbeiten an Bibliographien nicht lassen konnte – es ließ sich nicht anders beschreiben als bewegend. Sicher war dieser Vortrag mein emotionaler Vortrag des Programms.

Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen: Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die Berichte  werden manchmal von öffentlichen Stellen, öfter von Großunternehmen bestellt, die damit selber zukunftsfähig werden wollen und in die Zukunft denken.

So als Beispiel: Nanotechnische Ideen in der Science Fiction



Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.

Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die größte Bibliothek ihrer Art im Hintergrund und seit mittlerweile einigen Jahren eine große Datenbank aufgebaut, was Autoren zu verschiedenen Themen schreiben.

Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich durch gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen Büchern im Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen muss, dass ein Roman nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass es nichts gibt, was so sehr Denkprozesse auslösen und Kreativität triggern kann, wie Romane. Der befreit das Hirn gerade vom strikt logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die Perspektive etwas nach links oder oben, und schon öffnen sich vollkommen neue Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es überraschend ist, dass sie wirklich angenommen wird. Anscheinend wird sie das.


Mensch Maschine Normal


Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste Handy-Ticket meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder. Ist diese Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so unfassbar „normal“ vorkommt, vielleicht die große Ausnahme? Sind die Musicaldarsteller, die mit „dem Alex“ [Alexander Klaws] telefonieren, normal? Die Menschen im Ministerium? Die größten Jules-Verne-Experten des Landes, die alle noch einen anderen Brotjob haben? Oder eher die Normalität vieler Menschen, die darin besteht, am Ende des Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10 Tage mit dem leeren Konto noch überbrückt werden können?





Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.

Weiterlesen


Mit Wikipedianern kann man nicht nur Verne lesen, sondern auch Cocktails mischen: Ramos Gin Fizz für die Enzyklopädie.

Oder man läuft mit Wikipedianern durch den Wedding:Tanz auf dem Guglhupf, Automatenmaden und die „brutalism appreciation society“ im #wedding

Mehr zu Future Life bei der phantastischen Bibliothek: Future Life. 

Zum Jules-Verne-Club

Die Wikipedia-Seiten zur Veranstaltung: Wikipedia:Wiki Loves Jules Verne

Beiträge zur Veranstaltung im Wikipedia-Kurier und im Blog von Wikimedia Deutschland.

Der grüne Strahl im Gesamttext bei zeno.org: Der grüne Strahl

Alle Iberty-Posts zur Kultur stehen unter: Kultur in Iberty!

Anmerkungen


Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:

„Nichts gegen das große Geld und die wenigen, die es genießen können, aber die Stärke mitteleuropäischer Gesellschaften liegt gerade in der Mischung. Für Reiche ist es in Singapur, Russland und Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping Malls gibt es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter Wasser und auf dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und Dunkle, Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und drängeln, gibt es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich, dass es in Algerien beispielsweise keine öffentlichen Schwimmbäder gibt oder dass man in den USA oder in Brasilien Mitglied in einem Club werden muss. Das ist eine teure und in vieler Hinsicht sozial sehr voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur um mit den Kindern mal schwimmen zu gehen, es sei denn natürlich, jeder hat seinen eigenen Pool im Garten, was, für mich zumindest, wie eine Definition von struktureller Langeweile klingt.“ (s. 104)


 

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Berlin celebrates old school #wikipedia15

Tuesday, 17 August 2021 08:13 UTC

I still remember the time when real life meetings for Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one really want to meet these strange other people from the Internet? How would they be? Could they even talk in real life or would they just sit behind a laptop screen staring on it for hours?

My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!) sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen. These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and personal in nature and no talk about projects, collaborations, “the movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians having a nice evening.

WP15 Germany Berlin 01
Bild: By Sargoth, CC BY-SA 3.0

So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the old school way. Half improvised, organized by our dearest local troll user:Schlesinger on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come and what would happen except some people having a good time.

And so It was. In the “Matzbach” in the heart of Berlin-Kreuzberg seven people promised to come, in the end we were almost twenty. Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians, a Wikipedian active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies and two and a half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from Wikimedia Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake, and we just talked and laughed, talked about history and future.  Actually, mostly we talked about future.

WP15 Germany Berlin 03
Bild: By Sargoth, CC BY-SA 3.0

About the Wikipedian above 30, who has just started a new a university degree in archaeology, the question whether the Berlin community should have its own independent space, industrial beer, craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the vending machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in the future, who should come to the open editing events, how to work better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t there, looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or rather not when planning something for Wikipedians, explaining Wikipedia to the newbie, the difficulties of cake-cutting and whatsoever.

No frustration, almost no talk about meta and politics, just Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old school. So good.

WP15 Berlin Torte angeschnitten

Die Verschwundenen

Tuesday, 17 August 2021 08:13 UTC

Crossposting eines Posts von mir aus dem Wikipedia Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja doch andere Menschen.

Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren und Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen sind und gearbeitet haben.

Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren. Wie armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka Wikifanten - fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die entschwanden. Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es um lauter einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben, Arbeitsstilen und Interessen geht, die in Wikipedia tätig waren und sind. Es gibt vor allem diejenigen, die kommen, einen Beitrag leisten und dann wieder verschwinden. Der größte Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von Menschen und Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im Artikelnamensraum aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie unermütlich über viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an einen oder zwei Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass sich fast nichts über sie sagen lässt. Vielleicht sind die Beitragenden per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr fleißige Autorin? Wer weiß?


 Viele Wikipedianerinnen und Wikipedianer sind derzeit inaktiv.

Anlässlich des Projektes WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat, musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir unbekannter Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten Wikipedistas waren dort vor allem mir unbekannte Accounts. Accounts, die oft aufgehört haben zu editieren. Meist sind sie still und leise gegangen. Ihre Edits und Kommentare geben keinen Hinweis warum. Aber anscheinend war es anderswo schöner. Oder sie hatten den Einruck, alles in Wikipedia geschrieben zu haben, was sie beitragen wollten. Um diesen Autorinnen und Autoren zumindest nachträglich etwas Aufmerksamkeit zu geben, um ihre Namen kurz aus den Tiefen der Versionsgeschichten zu retten, sollen hier einfach einige Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt werden, die sich um den Wedding in Wikpedia bemühten bevor sie verschwanden.



Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße. Ein Mammutwerk von Gtelloke, dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.


Bild: Die Chausseestraße 114-118 in Richtung Invalidenstraße von Gtelloke
Lizenz: CC-BY-SA 3.0



Da ist der Artikel zum Wedding selber. Angelegt 2002 von Otto, dessen letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und Schlafgängern waren Teil seines kurzen Werks, das im Wesentlichen nur zwei Wochen im November 2004 dauerte, aber die Grundlagen wichtiger Artikel zur Berliner Sozialgeschichte legte. Ein Blick auf seine Benutzerseite zeigt auch den Geist der Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König ist tod, lang lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes! Licht und Liebe''

Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64, auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier, mal die Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort, Hinzufügen und Löschen von berühmten Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute noch aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen Artikel etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.

Der Leopoldplatz; angelegt von Frerix, der in den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie auch nur eine Benutzerseite für nötig hielt und anscheinend auch in keine Diskussion verwickelt wurde.  Zu seinen wenigen Beiträgen gehören neben der Anlage des Leopoldplatzes auch noch die Anlage der englischen Stadt Sandhurst, die Anlage des Kreuzviertels in Münster und des Three Horses Biers. Dann war er/sie wieder weg. Mutter des Artikels ist hier aber 44Pinguine, die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute noch aktiv ist.

Da wäre das Wahrzeichen des Weddings. Die Alte Nazarethkirche. Der Artikel stammt vor allem von 62.246.210.30.


Bild: Leopoldplatz, Ev. Alte Nazarethkirche, 1832–35 von Karl Friedrich Schinkel von Schliwiju

Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so entscheidend wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte in seiner Frühzeit von WHell, engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ. Der letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo WHell, ich möchte Dich als den Hauptautor darüber informieren, dass ich den Artikel John Bull (Lokomotive) in die Wiederwahl zum Exzellenten Artikel gestellt habe,“ Größere Beiträge zur WEG folgten in den späteren Jahren durch Peterobst – aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit Beiträgen zur Berliner Industriegeschichte, nach seiner Benutzerseite AEG-Kenner und in Arbeit an einem Buch über den Konzern. Es folgten 80.226.238.197, von Georg Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht unregelmäßig), Flibbertigibbet 2006 , 79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen 44Pinguine. Weiter ausgebaut von Onkel Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben !“ und hielt sich im Wesentlichen daran.

Da ist der Volkspark Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005, aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich ausgebaut, umfassend überarbeitet 2007 von 84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka. Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009 und 2014, die Edits waren wenige, aber die Qualität war hoch.


Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in Berlin, Wedding (Mitte). Von: Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv, Magadan, Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.

Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen. Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts und IPs an den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren deutlich weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in den von mir angesehenen Artikeln verteilen sich auf 44Pinguine,  Fridolin freudenfett und Definitiv. Wikipedia wird kleiner und noch lebt sie. Aber wir können all‘ den Verschwundenen danken, die vor uns kamen.

Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder über Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad auch der serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt übernommen haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer Meinung sind, rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.

Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon zumindest ein Admin gebannt.

Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht; oder genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil Polen einen Genozid an Deutschen verübt hätten.

Der ganze Bericht kann hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es geht aufklären und nicht Propaganda verbreiten!

IeS: Blog ist zurück

Friday, 16 April 2021 21:38 UTC

Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen, sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir Glück 🙂.

Wahl: Oversighter-Wahlen

Friday, 16 April 2021 21:11 UTC

Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche: Viel Erfolg!

Gab es in der DDR Spaghetti?

Friday, 26 March 2021 09:39 UTC

Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die Seite zur Auskunft. Dort können Menschen mögliche und unmögliche Fragen stellen, die dann mal launisch, mal larmoyant, mal ernsthaft oder auch gar nicht beantwortet werden. Wie im wahren Leben und eine ewige Fundgrube obskuren Wissens, seltsamer Fragestellungen und logischen Extremsports.

Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad (1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo: 102.



Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:

 "Warum gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und ist mir auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden Verwandtschaft bestätigt worden. Warum?"

Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige Diskussion, die immerhin folgendes ergab:

* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli, darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR ähnelte in vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als dies für die westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die mangelnde Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter, Italienreisen, Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce Carbonara!


Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild: Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von: Brian Ammon, Lizenz: CC-BY-SA 3.0
 
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti, Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika des geteilten Deutschlands.

Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber? Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?

Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die dortige Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das heimische "Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des Badischen Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in Karlsruhe, kennt sowohl Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt für heute: die Makkaroni werden in "halbfingerlange Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30 Minuten gekocht.

Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden erklärt als "Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte. Beim Einkauf achte man darauf, daß sie nicht hohl sind"

Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.

Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren "Macronen" waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden in Prag und Wien echte Makkaroni-Fabriken.

Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours für junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und klassische europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf der Tour aber anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen kennenlernten, sondern auch Pasta.

Philip Dawe, The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade (1773) - 02
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild: Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade, 1773.

In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow who dressed and even spoke in an outlandishly affected and epicene manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch: "Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl auch die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.

Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen Männern ist nun wiederum im Englischen der Macaroni penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.


Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil, nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South Georgia von Liam Quinn, Lizenz: CC-BY-SA 2.0

Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit wann? Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert. Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich relativ problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende ’ngegno da maccarun anschließen lies, die es den Neapolitanern ersparte stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu kneten: im Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer, je nach Form des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und damit unter anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen Fäden zum trocknen in die süditalienische Sonne gehängt.


Sommer, Giorgio (1834-1914) - n. 6204 - Napoli - Fabbrica di maccheroni
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild: Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo: 6204. 


Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum die Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die Tomatensauce in der Schweiz ließen? Warum gibt es in Deutschland kein Äquivalent zu "Macaroni and cheese" (mehr)? Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der DDR, bei dem es Pasta, Sauce und Käse schon in einer Packung gab? Warum sind Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in vielen anderen Ländern aber dicker und hörnchenförmig-gebogen? Es ist hochspannend. Und ein Grund, noch viel mehr zu recherchieren.

Weiterlesen

Eine Investigation: Es gibt kein Mirácoli Carbonara mehr.

Coolest Wikipedia Tool 2020: Pywikibot

Thursday, 7 January 2021 17:31 UTC

Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die besten Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken. Eines davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.

Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger vereisen ließ.

Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener, Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen gezeichnet. Der Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht blies, trieb die Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles war geschlossen und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht mehr sehen. Über der Szene kreiste ein hungriger Taubenschwarm.

„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ Hüpfburg. „So viel Platz! Fast das ganze Hafengelände gehört uns. Und wir können uns problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“ – Sie antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt. Ich bibbere. Das letzte Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im Rozbrat mit meiner ehemaligen Band aufgetreten: „Pierdzące Zakonnice“.

Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu erfrieren.

Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es nur scheißkalt. Ich gehe.“

Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an ein Video erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte: „Wikimedia Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ Hüpfburg für die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern, postete ich ihr den Link.

Southgeist: https://www.youtube.com/watch?v=zYM4k_LD_9w – Tools sind doch was für Dich

Hüpfburg: click

Hüpfburg: Das ist Wikipedia. Was soll ich damit?

Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen. Fast nur Technik und kreative Sachen.


Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll gehen?

Southgeist: Schau doch mal.

Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang Berliner Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine Lautsprecher wären kaputt.

Hüpfburg: I like the music.

Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.

Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia schauen? In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen Priester vom Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage mir lieber, was für Tools vorkommen.

Die coolest Tools

Ich erzählte.

Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser (Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“), SDZeroBot generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder Benutzer noch ihre Seiten“), Proofread Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch spießiger?“), Listen to Wikipedia („Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei Wikipedianer kommen und einander heiraten wollen, werde ich das Tool in den Event integrieren“), AbuseFilter („Zu sehr Polizei“), LinguaLibre („I like“), und Pywikibot – ein Tool zum Erstellen weiterer Tools. („Das klingt spannend – erzähle mir mehr.“)

Pywikibot

Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit überschaubarem Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an einem der bereits auf dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen. Die Bots können prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von MediaWiki-Wikis auch können – nur schneller.

Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich bedeutet: jemensch muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das dauert länger als ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel, wo es eine hohe Zahl gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben ist das wenig – zum Anpassen von Formalien ist es super. Und dazwischen liegt ein Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht alles ist erlaubt – und um die Kontrolle zu wahren, hat der Pywikibot einen automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot absichtlich ausbremst.

Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus dem Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die aktuelle Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die Community, die sich um das Framework kümmert, hat eine dreistellige Zahl von Mitgliedern und ist so international, wie es die frühe Wikipedia war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus würde ich auch sagen, was Charaktertypen und Soziodemographie angeht, ist die Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der Ur-Wikipedia als die heutigen Wikipedistas.

DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese Tool-Awards sind solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework gibt es seit fast 20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast 15 Jahren. Ist der Award so langsam oder gibt es so wenig Neues?“

Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden. Wie bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft aber nur selten fundamental Neues.

Change Musiker to Musiker*innen

„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video nach zu urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine wichtige Aufgabe erfüllt.

DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot alle ‚Musiker‘ in Wikipedia durch ‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene Hindernisse. Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“

DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch, würde sie einen beigen Pullunder über weißem Hemd tragen und Leserbriefe an die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber ich kann mein eigenes Wiki aufsetzen und da noch Herzenslust alles bot-mäßig umbauen?“

Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel zu tun und die sind superfreundlich dort.“

DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in Wikidata! Das wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der Kutsche, die dann doch nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends spielten wir Mozart. Da haben die Squatter angefangen mit Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter dem Gong geduckt und ich ein Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich noch an den einen Tänzer, der allein Stand und Luft-Küchenmaschine gespielt hat. Ein Arm angwickelt am Körper als würde er die Maschine an sich drücken, mit dem anderen weit ausholende Bewegungen, um dann auf dem Einschaltknopf zu laden.“

„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock versetzt und die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir alle Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris, Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer Studentinnen“ sagte mal eine Professorin. Kasia wäre fast dieses Jahr in der Philharmonie aufgetreten. Aber Deine komische Wikipedia hat immer noch keinen Artikel von ihr.“

Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“

Ruhe. Hüpfburg dachte.

„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle Personen auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in Wikipedia anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das müsste doch gehen. Vielleicht ist es einen Versuch wert.“

(Beitragsbild: Brødmaskin med striper i mange farger von: Øyvind Holmstad Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International