Mit der Nationalen Bildungsplattform möchte das
Bildungsministerium eine Art digitale Meta Plattform etablieren,
die bestehende Bildungsangebote bündelt und verfügbar
macht. Sowohl Individuen als auch Bildungseinrichtungen sollen
bundesweit Zugang zu digitalen Lehr- und Lernangeboten haben.
Außerdem können Zeugnisse und Zertifikate zentral
gesammelt und nach Bedarf freigegeben werden.
Eine Studie im Auftrag von
Wikimedia Deutschland hat allerdings deutliche Kritikpunkte an dem
Millionenprojekt hervorgebracht. So folgt die Plattform einem
Verständnis von Bildung und Lernen, das Bildung als
Dienstleistung und Ware und rein zum Erwerb arbeitsmarktrelevanter
Qualifikationen versteht. Pädagogische Fragen haben bei der
bisherigen Planung offensichtlich kaum eine Rolle gespielt.
Außerdem fehlen Governance-Strukturen – beispielsweise
ist nicht klar, welche Daten an welchen Orten gespeichert werden
oder nach welchen Kriterien der Algorithmus die Sichtbarkeit von
Lernangeboten vorschlägt.
Kleine Anfrage an die Bundesregierung
eingereicht
Aufgrund der Ergebnisse der Studie hat Wikipedia Deutschland im
November 2022 einen kompletten Neustart oder zumindest eine Reform
des Projektes gefordert. Doch was ist seitdem passiert? Plant die
Bundesregierung aufgrund der Studienergebnisse den
Projektplanungsprozess zu verändern und anzupassen? Werden die
Empfehlungen aus der Studie Eingang in die weitere Arbeit zur
Entwicklung der Nationalen Bildungsplattform finden?
Diese und zahlreiche weitere Fragen liegen der Bundesregierung
aktuell in Form einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE vor.
Hoffentlich werden diese bald beantwortet.
Podiumsdiskussion und Vorstellung der Studie
„Offen und gerecht – Wird die Nationale
Bildungsplattform ihr Versprechen
einlösen?“
Die von Wikimedia Deutschland initiierte Studie
„Werte und Strukturen für die Nationale
Bildungsplattform“ untersucht unter anderem,
welche Standards für Lernen durch technologische
Entscheidungen gesetzt werden. Am 8. November 2022 haben wir die
Studie vorgestellt und sie im Rahmen einer prominent besetzten
Podiumsdiskussion diskutiert.
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Am 29. November 2022 war es soweit: Die vierte Ausgabe der
Schreibwerkstatt #100WomenDays startete mit dem Ziel, bis zum
Internationalen Frauentag am 8. März durch mindestens 100 neue
Frauenbiografien in der Wikipedia die Online-Enzyklopädie
anzureichern. Ausgangspunkt dafür ist das Wissen über den
bestehenden Gender Gap in der Wikipedia. Lediglich 17,3 % der
bestehenden Biografieartikeln in der deutschsprachigen Wikipedia
befassen sich mit dem Leben und Wirken von Frauen.
Die diesjährige Ausgabe des Projekts übertraf nicht nur
das selbst gesteckte Ziel, sondern auch die Ergebnisse der
vergangenen Jahre. Schon am sechsten Aktionstag wurde die Marke von
100 neuen Artikeln geknackt; zum Projektende konnte mit 1416 neuen
Frauenbiografien das Vorjahresergebnis um 226 Artikel
überboten werden.
Stärkster Zuwachs bei Artikeln über
Sportlerinnen und Künstlerinnen
Die Kategorie mit dem stärksten Zuwachs war die der
Sportlerinnen (440 Artikel), gefolgt von Künstlerinnen (280)
und Wissenschaftlerinnen (197). Doch auch die Kategorien der
Berufspilotinnen, Geistlichen und Informatikerinnen haben Dank
#100womendays viele wertvolle Neuzugänge zu verzeichnen.
Der Aktionszeitraum startete mit der Biografie zu Femke Gerritse,
ihres Zeichen Radrennfahrerin aus den Niederlande, und fand mit der
US-amerikanischen Biologin Maria Elena
Zavala seinen Abschluss. Dazwischen fanden beispielsweise
die Französin Fanny Loinger,
deren Einsatz als Widerstandskämpferin 400 jüdische
Kinder vor der Deportation rettete, Spaniens erste
Universitätsstudentin Matilde
Padrós und die marshallische Schriftstellerin und
Klimaaktivistin Kathy
Jetn̄il-Kijiner Einzug in die Online-Enzyklopädie.
Auch wenn Einträge über US-amerikanische Frauen die
diesjährige #100WomenDays dominieren (244 Artikel), sind auch
Frauen aus Deutschland stark vertreten. Sie machen mit 192
Einträgen den zweitgrößten Teil der neuen
Frauenbiografien aus. Darunter sind unter anderem die Astronomin
Wilhelmine
Witte, deren Mondglobus von König Friedrich Wilhelm IV.
auf Anraten von Alexander von Humboldt für die Königliche
Kunstkammer erworben wurde und die Fotografin Rose Hajdu, die 2009
den Stuttgarter Hauptbahnhof vor dem geplanten Teilabriss im Zuge
des Bauprojekts Stuttgart 21 fotografisch dokumentierte.
Wer nun Lust bekommen hat, sich die 1416 neuen Einträge zu
Gemüte zu führen, kann das
hier tun. In den umfangreichen
Statistiken gibt es noch viele weitere Infos, zum Beispiel
über die teilnehmenden Wikipedianer*innen.
2019 initiierte der lokale Wikipedia-Raum Lokal K in Köln
die erste Ausgabe der #100WomenDays. Seitdem hat sich die
Schreibaktion zu einer wahren Erfolgsgeschichte entwickelt: Wurden
zum Start 585 neue Artikel geschrieben, waren es im Jahr darauf
schon doppelt so viele. Im dritten Jahr verfasste die Community
beeindruckende 1.190 Beiträge über
Frauen.
Nicht nur der diesjährige neue Artikel-Rekord kann gefeiert
werden. Auch immer mehr Wikipedianer*innen machen mit. Dieses Jahr
boten zum Beispiel auch die lokalen Community-Räume
WikiBär in Berlin und WikiMUC in München neben der
Online-Arbeit auch Edit-a-thons vor Ort an, an denen gemeinsam
geschrieben wurde. Besonders für neue Interessierte eine tolle
Möglichkeit, niedrigschwellig in die Welt der Wikipedia
einzusteigen.
Feministische Arbeit das ganze Jahr
über
Der Weltfrauentag und das Projekt #100WomenDays sind also immer
ein guter Anlass, in der Wikipedia für mehr Gleichberechtigung
und Sichtbarkeit von Frauen zu sorgen. Die feministische Arbeit der
Community setzt sich aber auch unterjährig fort. Wikimedia
Deutschland schätzt und unterstützt Initiativen, die sich
diesem Thema annehmen. Die Schließung des Gender Gaps in der
Wikipedia sowie feministisches Schreiben über diesen Hinaus
setzen wichtige Schritte hin zu Wissensgerechtigkeit,
der sich die globale Wikimedia-Bewegung als Ziel verschrieben
hat.
Diese Initiativen und Projekte machen sich u. a. für mehr
Sichtbarkeit von Frauen in der Wikipedia stark:
Die öffentliche Vergabe ist ein wichtiger Hebel für
die Entwicklung von Inhalten wie Software, Gutachten, Daten,
Studien, Beratungsergebnisse und mehr. Allein im ersten Halbjahr
2021 vergaben Bund, Länder und Kommunen knapp 28 Mrd. Euro in
Form von Dienstleistungsaufträgen; gleichzeitig ist bekannt,
dass knapp drei Viertel
des Vergabevolumens für IT-Dienstleistungen und IT-Technik
ausgegeben werden. Wikimedia Deutschland setzt sich dafür ein,
dass diese zahlreichen in öffentlichem Auftrag erstellten
Inhalte möglichst frei verfügbar und nachnutzbar werden.
Dies ist insbesondere auch sozial nachhaltig, wie wir in unserer
Stellungnahme zum Vergabetransformationspaket des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Klimaschutz erläutern. Der Volltext
findet sich am Ende dieses
Artikels.
Vergabe ökologisch und sozial nachhaltig
transformieren mit freien Inhalten
Das Vergabetransformationspaket setzt eine Vereinbarung aus dem
Koalitionsvertrag um mit dem „Ziel, die öffentlichen
Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu
digitalisieren und zu beschleunigen. Die öffentliche
Beschaffung und Vergabe soll wirtschaftlich, sozial,
ökologisch und innovativ ausgerichtet und die Verbindlichkeit
gestärkt werden […]“ Ein Fokus liegt dabei auf
ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Freie Inhalte tragen
wesentlich zu ökologischer und vor allem auch sozialer
Nachhaltigkeit bei, weswegen sie prinzipiell in der Vergabe klar
begünstigt werden sollten.
Unsere langjährige Forderung ist, dass öffentliches
Geld stets öffentliches Gut hervorbringen sollte, um so das
Gemeinwohl zu fördern. Die zentralen Argumente für
Verbotsrechte (wie z.B. das Urheberrecht oder die
Leistungsschutzrechte), die die Nachnutzung verbieten oder
einschränken, greifen für im staatlichen Auftrag
erstellte Inhalte nicht: Diese Rechte sollen sicherstellen, dass
diejenigen, die Inhalte erstellen, zunächst eine
Exklusivität über deren Nutzung erhalten und sich z. B.
über den Verkauf von Lizenzen finanzieren können. Eine
solche Refinanzierung brauchen Behörden nicht, da sie
Steuermittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten. Diese
Tatsache sollte bei der Erstellung von Inhalten im Auftrag der
öffentlichen Hand berücksichtigt werden.
Ausschließlichkeitsrechte und andere Einschränkungen
sollten sich daher auf eng definierte Sachverhalte
beschränken.
Daten für Linked-Open-Data-Ökosystem
weiterverwendbar machen
In der Praxis ist es auch im Jahr 2023 üblicherweise nicht
der Fall, dass Behörden die Produkte ihrer Vergabe
verfügbar machen. Über die Gründe können wir
oft nur mutmaßen: Gibt es unliebsame Ergebnisse, die lieber
nicht ans Licht kommen sollen? Will der Dienstleister den gleichen
Inhalt an anderer Stelle noch einmal verkaufen? Oder weiß man
es nicht so recht und daher ist es bequemer, Inhalte nicht
verfügbar zu machen? Jedenfalls zeigen verschiedene Beispiele,
dass öffentliche Stellen oft technische oder rechtlich-formale
Argumente ins Feld führen, um Inhalte der Öffentlichkeit
vorzuenthalten. Diese Argumente müssen dann in langwierigen
Rechtsstreitigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Dabei geht es
anders: Die Europäische Kommission hat 2019
beschlossen, dass sie ihre eigenen Materialien unter offenen
Lizenzen veröffentlicht. Und mit ihrem Projekt kohesio macht sie
alle Daten zur EU-Regionalförderung sogar so umfassend
nachnutzbar, dass sie Teil des gesamten
Linked-Open-Data-Ökosystems werden und dadurch jegliche
Dritt-Anwendung, die mit Linked Open Data arbeitet, ohne weiteres
auch alle Informationen zu EU-geförderten Projekten
integrieren kann.
Der Zugang zu öffentlich beschafften Inhalten sollte nur
dort eingeschränkt sein, wo die Vorteile von exklusiven
Immaterialgüterrechten die Vorteile des freien Zugangs
überwiegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Geheimnisschutz
erforderlich ist oder auch, wenn im Rahmen von
Wirtschaftsförderung die exklusive Vermarktbarkeit von
Inhalten erwünscht ist. Allerdings ist auch hier im Einzelfall
erforderlich, zu untersuchen, ob die Beschaffung von
proprietären Inhalten tatsächlich die effektivere
Wirtschaftsförderung ist als die von freien Inhalten, auf
deren Grundlage weitere Produkte, Dienstleistungen und Inhalte
entstehen können. Führen solche Abwägungen zu einer
eingeschränkten Verfügbarkeit, sollte die Begründung
möglichst transparent und detailliert veröffentlicht
werden.
Freie Inhalte für mehr
Nachhaltigkeit
Offene und freie Inhalte sind gut geeignet, um die im
Vergabetransformationspaket genannten Ziele zu erreichen: Sie
ermöglichen einen sparsamen Umgang mit den Ressourcen, die
für die Erstellung dieser Inhalte notwendig sind
(Personentage, Produktionskapazitäten, Energie), da sie nur
einmal aufgewandt werden müssen. Wenn etwa eine Landkarte nach
ihrer öffentlich veranlassten Erstellung frei zugänglich
und nachnutzbar ist, muss dieselbe Art von Darstellung für
andere Nutzungskontexte nicht noch einmal neu erstellt oder einzeln
nachlizenziert werden. Ähnliches gilt für freie und
offene Software, die nicht erneut entwickelt werden muss, weil sie
beliebig oft eingebunden und nachgenutzt werden kann, oder auch
für Bildungsmaterialien, die ohne weiteren Aufwand an
Rechteklärung und Nachlizenzierung bzw. – im schlimmsten
Falle – Neu-Erstellung vervielfältigt, weitergereicht
und iterativ an neue Bedürfnisse angepasst werden
dürfen.
Dabei ist es auch sozial nachhaltig, gesellschaftliche
Potenziale zu schonen und Inhalte dauerhaft verfügbar zu
machen, denn eine solche freie Nachnutzbarkeit gewährt allen
gleichermaßen Zugang. Die Zivilgesellschaft und auch
finanzschwache Unternehmen können so das in freien Inhalten
vermittelte Wissen weiter nutzen, auch wenn sie selbst nicht die
Ressourcen haben, um diese Inhalte zu erstellen bzw. für deren
Erstellung aufzukommen. Aus ökonomischer Perspektive schafft
dies mehr Wettbewerb aufgrund einer für viele
zugänglichen Grundlage, was wiederum einer Konzentration von
Wissen, von finanziellen Ressourcen und allgemein den
Konzentrationstendenzen gerade digitaler Märkte entgegenwirkt.
Wenn öffentlich finanzierte Geodaten frei zur Verfügung
stehen, können nicht nur große Technologieunternehmen sie
für Kartendienste verwenden, sondern auch viele weitere
Organisationen, die keine teuren Lizenzen bezahlen können.
Diese können alternative Kartendienste oder auch andere
Produkte entwickeln, die diese Kartendienste komplementieren.
Vergaberecht nur ein Teil des Puzzles
Eine Anpassung des Vergaberechts ist ein
wichtiger Hebel, um öffentlich finanzierte Inhalte frei
verfügbar zu machen, doch nicht der einzige. Gleichzeitig
setzen wir uns für eine Anpassung
von § 5 des Urheberrechtsgesetzes ein, um die von
Behörden direkt erstellten Inhalte prinzipiell frei
nachnutzbar zu machen. Es gibt somit verschiedene Gesetze, die dazu
beitragen können, dass das im öffentlichen Auftrag
erstellte Wissen möglichst breit geteilt wird.
Stellungnahme Wikimedia Deutschland zum
Transformationsgesetz
Serhii Petrov hat die ostukrainische Metropole Charkiw selbst
zum ersten Mal im Frühjahr 2021 besucht und als lebendige,
junge Stadt erlebt. Zum Zeitpunkt des Interviews herrschte dort
Luftalarm. Laut Statistik entfallen auf die Region Charkiw 17 % des
gesamten russischen Beschusses der Ukraine.
Serhii, wie sind Sie mit Wikimedia und der
Wikimedia-Community in Kontakt gekommen?
Bis zum 24. Februar 2022 habe ich als Content Manager in einem
kleinen Unternehmen in Charkiw gearbeitet. Außerdem engagiere
ich mich als Aktivist, in den Jahren 2013, 2014 war ich einer der
Koordinatoren des Euromaidan in Charkiw. Zur Wikipedia trage ich
seit Mai 2009 bei – was ursprünglich den korrupten
Charkiwer Politikern Hennadii Kernes und Michail Dopkin zu
verdanken ist (Kernes starb im Dezember 2020 an einer
COVID-Erkrankung – Anm. d. Verf.). Ersterer war
Sekretär des Stadtrats von Charkiw, der zweite unser damaliger
Bürgermeister. Die beiden hatten beschlossen, eine wichtige
Straßenbahnlinie im Zentrum Charkiws abzuschaffen, wogegen
sich öffentliche Proteste regten. Im Zuge dieser
Auseinandersetzung habe ich mich bei Wikipedia angemeldet und
meinen ersten Artikel über die
Straßenbahn in Charkiw geschrieben. Durchaus im
Bemühen, die Situation neutral darzustellen.
In der Folge war ich eher Beobachter der Wikipedia, bis ich mich
2011 wieder stärker engagiert habe. Im gleichen Jahr wurde ich
auch in den Vorstand von Wikimedia Ukraine gewählt, als
Vertreter der Region Charkiw. Damals überschritt die
ukrainische Wikipedia gerade die Marke von 300.000 Artikeln. Ende
2011 habe ich damit begonnen, interessierten Anfängerinnen und
Anfängern beizubringen, wie sie die Wikipedia bearbeiten
können – möglichst fehlerfrei.
Ist die Region Charkiw noch immer Ihr Hauptthema in der
Wikipedia?
Charkiw ist meine Heimatregion, ich bin hier geboren und
aufgewachsen, ich lebe heute noch dort. Meine erste Sprache war
Russisch, erst 2007, als ich mit 18 Jahren eine sehr bewusste
Entscheidung treffen konnte, bin ich ins Ukrainische gewechselt.
Das ist seitdem die Sprache, in der ich denke, die ich
ausschließlich spreche – und in der ich mich auch in den
Wikimedia-Projekten engagiere. Allerdings schreibe ich heute nicht
mehr so viele Artikel. Ich habe mich auf zwei Felder spezialisiert:
zum einen überwache ich als eine Art Wikipedia-Polizist, dass
es keine Verstöße gegen das Urheberrecht und die
Community-Regeln gibt. Zum anderen arbeite ich in Mediensammlung
Wikimedia Commons an der Kategorisierung von Bildern.
Wie ist die Situation gegenwärtig in Charkiw? Wie
haben Sie die vergangenen Monate erlebt?
Nur für den Kontext: während wir sprechen, findet
gerade ein Luftangriff auf Charkiw statt, im Hintergrund heulen die
Sirenen – aber daran sind wir hier mittlerweile gewöhnt.
Der große Angriff Russlands hat mich persönlich auch
nicht überrascht. Den Anstrengungen des vormaligen
ukrainischen Präsidenten Petro Poroschko (der von 2014 bis
2019 regiert hat, Anm. d. Verf.) haben wir es zu verdanken,
dass der Krieg bis dato auf bestimmte Gebiete in den Regionen
Donezk und Luhansk begrenzt blieb. Als Analyst der NGO
„Analytical Center Maidan Monitoring“ habe ich mich
aber schon früh mit verschiedenen Szenarien befasst, wie
Russland versuchen könnte, die Ukraine entweder in einen
Satellitenstaat wie Belarus zu verwandeln, oder in einen
föderalen Bezirk seines eigenes Territoriums. Es war klar,
dass dieser Krieg kommen würde. Die Frage war nur, wann.
Bereits in der Nacht zum 24. Februar bin ich in dem Wissen
eingeschlafen, dass die Start- und Landebahnen der Flughäfen
von Charkiw und Dnipro gesperrt waren und der russische Luftraum
entlang der Grenze zur Ukraine zur Flugverbotszone erklärt
worden war. Mir war klar, dass etwas passieren
würde.
Um 5 Uhr morgens bin ich in meiner Wohnung am Stadtrand in
Saltovka Nord aufgewacht. Von dort sind es bis Russland kaum 30
Kilometer. Bereits gegen 7 Uhr morgens waren in Charkiw Explosionen
zu hören, die ukrainischen Truppen trafen vor Charkiw auf die
Russen, und am Ende des Tages verlief die Kontaktlinie entlang der
Ringstraße, zwei Kilometer von meinem Haus entfernt.
Zunächst habe ich die Situation hauptsächlich beobachtet,
später beschloss ich, in einen anderen Teil von Charkiw zu
ziehen. Die Stadt zu verlassen, kam für mich nicht infrage,
weil ich auf jede erdenkliche Weise helfen wollte. In der Folge
musste ich mehrere Male die Wohnung wechseln, teilweise hatten wir
keinen Strom und keine Heizung, es gab Probleme mit der
Wasserversorgung.
War unter diesen Umständen an Arbeit zu
denken?
Unsere NGO „Analytical Center Maidan Monitoring“
wurde von den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden um
Unterstützung dabei gebeten, per Foto und Video die
Zerstörung der zivilen Infrastruktur zu dokumentieren. Mit
Journalistenausweisen und kugelsicheren Westen ausgestattet, waren
wir fast zwei Monate lang jeden Tag unterwegs.
Vom ersten Tag an war mein Entschluss, über die Angriffe
auf Charkiw zu berichten. Ich wollte gegen die Desinformation
angehen, dass die Stadt kapituliert habe. Tatsächlich hat sie
sich aufopferungsvoll verteidigt. Ich muss gestehen, dass mich
diese beinahe täglichen Fahrten zu den Stätten der
Zerstörung sehr erschöpft haben, in der Folge litt ich
unter einem posttraumatischen Syndrom. Aber es war wichtige Arbeit.
Auf der Grundlage unserer Dokumentation konnten wir einen
umfangreichen Bericht über die Auswirkungen des russischen
Raketenterrors in Charkiw erstellen. Bis zum August 2022 haben wir
eine Ausstellung über das zerstörte Charkiw mit dem Titel
„Fracture” erarbeitet, die Ende des Monats in Prag und
anschließend in der ukrainischen Stadt Berezhany sowie im
Schloss Zbarazh in der gleichnamigen Region präsentiert
wurde.
Können Sie schätzen, wie viele Fotos Sie
gemacht haben?
Schwer zu sagen. Anfang April hatten wir etwa 150 Objekte
dokumentiert, Ende August wohl um die 450 – jeweils mit einer
Vielzahl von Fotos. Dazu gehören Krankenhäuser,
Kraftwerke, Gaspipelines, Verkehrsstationen, Bildungseinrichtungen,
Lagerhäuser und Wohngebäude. In Charkiw wurden
beispielsweise mehr als 50 medizinische Einrichtungen
beschädigt. Dabei war die Stadt für die Russen nie
von großer Bedeutung, es ging ihnen eher darum, die gesamte
Region so unbewohnbar wie möglich zu machen. Momentan setzen
wir unsere Arbeit fort und erfassen jetzt Städte wie Izyum, wo
vor dem Krieg über 50.000 Menschen gelebt haben. Jetzt sind es
15.000. Allerdings kehren viele zurück, obwohl die Gegend
stark vermint ist und die Zerstörung mehr als 70 Prozent
beträgt. Die größte Frage ist nun, was im Winter
passieren wird. Sämtliche Wärmekraftwerke sind
beschädigt, und es ist nicht vorauszusehen, wie die
Versorgungslage sich entwickeln wird.
Wann haben Sie nach der Invasion zum ersten Mal mit der
Wikimedia-Community Kontakt aufgenommen?
Ich stehe seit dem Morgen des 24. Februar in Kontakt mit den
Ehrenamtlichen. Wir haben einen separaten Chat mit Wikipedianern
eingerichtet, die nicht offline gegangen sind und die sich nicht
hinter Pseudonymen verbergen, über den wir kommunizieren. Es
gab online auch regelmäßige Wiki-Treffen. Zwei
Drittel der Charkiwer Community haben die Stadt verlassen, zum Teil
in Richtung Westukraine, und die meisten von ihnen werden nicht
zurückkehren. Vermutlich niemand, ihre Häuser sind
zerstört.
Ich selbst versuche seit Kriegsbeginn, nach bestem Wissen und
Gewissen zu editieren. Seit dem Sommer 2022 noch aktiver, ich komme
auf mehr als 100 Edits pro Monat. Ich bearbeite Artikel und lade
viele meiner Fotos auf Wiki Commons hoch, was ich noch forcieren
möchte. Während Charkiw unter ständigem Beschuss
stand, hielt ich es nicht für ratsam, Bilder zu
veröffentlichen. Das hätte zusätzliche Gefahren und
Risiken mit sich gebracht, weil die Russen darüber eventuell
Ziele hätten identifizieren können, die sie noch nicht
getroffen hatten. Mittlerweile ist diese Bedrohung
geringer.
Ist die Wikimedia-Community in Charkiw im Zusammenhang
mit den Wiki-Treffen und der steigenden Nachfrage nach
Informationen in der Gesellschaft gewachsen?
Auch das weiß ich nicht mit Sicherheit. In den ersten
Monaten nach dem 24. Februar ging es hauptsächlich darum,
dafür zu sorgen, dass alle überleben und die bestehende
Community nach besten Kräften unterstützt wird. Erst im
Sommer haben wir wieder begonnen, über die Weiterentwicklung
von einigen unserer Projekte nachzudenken. Wie beispielsweise den
Wettbewerb “WikiKharkivshchyna”, den wir zwischen 2018
und 2020 veranstaltet haben. Die Zielgruppe waren Mitarbeitende von
Bibliotheken. Aufgrund von verschiedenen bürokratischen
Hindernissen und niedrigen Gehältern sind viele Mitarbeitende
von Archiven, Bibliotheken und Museen nicht motiviert genug, zur
Wikipedia beizutragen. Das wollten wir mit
“WikiKharkivshchyna” ändern, und daran würden
wir gerne anknüpfen. Die Frage ist allerdings, ob wir Strom
haben werden.
Unterhalten Sie derzeit Partnerschaften mit anderen
Organisationen?
Am stabilsten waren und sind unsere Beziehungen zur regionalen
wissenschaftlichen Bibliothek in Charkiw. Ich habe ein gutes
Verhältnis zum Direktor dieser Einrichtung. Allerdings sind
konkrete gemeinsame Projekte derzeit nicht spruchreif. Wir arbeiten
auch mit einer weiteren Bibliothek in Charkiw zusammen, bei der
mittlerweile ein Mitglied der Wikipedia-Community angestellt ist.
Das Befüllen der Wikipedia gehört dort zu seinen
Aufgaben.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft
aus?
Das Gute ist ja, dass wir in Charkiw mittlerweile überhaupt
wieder über die Zukunft sprechen! Natürlich wünschen
wir uns, dass wir bis Ende 2023 den Sieg erringen können
– das bedeutet für mich den Abzug der Russen aus allen
nach dem 24. Februar besetzten Gebieten. Sollte es so kommen,
wäre wiederum unsere Analyse und Dokumentation gefragt. Mal
sehen. Momentan plane ich eine Reihe von Webinaren – als
Vorbereitung für die Teilnahme an Wikimedia-Projekten wie dem
Wikimarathon.
Interview: Oksana Rodikova
Weiterlesen:
Hier finden Sie weitere Beiträge aus der Blogreihe
„Wikimedia & Wikipedia in der Ukraine“:
Die aktuelle Ausgabe der Wikimedia-Reihe „Monsters of
Law“ befasst sich mit der Frage, wie §5 des
Urheberrechtsgesetzes jetzt geändert werden muss. Direkt zum
Video.
Wenn beispielsweise ein Artikel mit einem Foto des Planeten Erde
bebildert wird, wird meist eines von zwei besonderen Bildern
dafür verwendet: Das Blue-Marble-Foto, oder
„Earthrise“,
das Motiv der über dem Mondhorizont aufgehenden Erde. Diese
Fotos sind ikonisch und haben einen eigenen Wikipedia-Artikel. Vor
allem aber stammen die Fotos von NASA-Raumfahrenden – also
US-Regierungsbeschäftigten. Sie können daher frei
verwendet werden – denn die NASA ist eine
US-Bundesbehörde, deren Fotos nicht dem US-Copyright
unterworfen werden. Außerhalb der USA besteht zwar
grundsätzlich urheberrechtlicher Schutz solcher Inhalte,
dieser wird jedoch durch die US-Regierung nicht durchgesetzt. Die
starke Nutzung etwa dieser NASA-Bilder zeigt, welche Vorteile sich
aus der Regelung für das Gemeinwohl ergeben.
In Deutschland gibt es eine Regelung in dieser Form nicht
– ganz im Gegenteil. Vor knapp zehn Jahren hat Mathias Schindler bei der
re:publica auf die unbefriedigende Regelung zu amtlichen
Werken aufmerksam gemacht. Das deutsche Urheberrechtsgesetz
stellt nämlich in Absatz 1 des Paragraphen 5 klar, dass
Gesetze, Verordnungen, amtliche Bekanntmachungen und Leitsätze
nicht dem Urheberrecht unterliegen. Dieser Teil klingt erst einmal
gut und ähnlich der Regelung in den USA. In
den USA jedoch werden nicht nur Gesetze und Bekanntmachungen vom
Urheberrecht ausgenommen, sondern alle Werke, die von
Beamt*innen oder Angestellten der US-Regierung im Rahmen ihrer
dienstlichen Aufgaben erstellt werden. Also auch Datensätze,
Videos, oder eben die von Raumfahrenden angefertigten Fotos.
Gedanken raten, was die Behördenleitung will
In Deutschland dagegen diskutieren wir seit Jahren die Frage, ob
beispielsweise eine CSV-Tabelle mit Informationen aus einem
amtlichen Werk ebenfalls solch ein amtliches Werk darstellt oder
nicht. Man könnte denken, dass die Frage einfach zu
beantworten ist, denn mit Absatz 2 des § 5 UrhG es gibt sogar
eine Regelung zu anderen Arten staatlicher Inhalte, jenseits von
regelnden Texten wie Gesetzen, Verordnungen. Dieser Absatz
erweitert die Freiheiten des Absatzes 1 auf alle „anderen
amtlichen Werke, die im amtlichen Interesse zur
allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden
sind“. Obwohl es auf den ersten Blick so aussieht, als
würden auch nach deutschem Recht letztlich alle Werke
und sonstigen Inhalte aus staatlicher Produktion urheberrechtsfrei
und damit frei nutzbar sein, schränkte paradoxerweise der
Bundesgerichtshof (BGH) dieses Recht ein:
Denn nur was wirklich maximal weit verbreitet werden soll (aus
der jüngeren Vergangenheit könnte man etwa an eine
Warnung vor einem neuen Virus denken), ist laut BGH “zur
allgemeinen Kenntnisnahme” im Sinne des § 5 Abs. 2
UrhG vorgesehen. Und aus “im amtlichen
Interesse” folgert der BGH, dass es hier schlicht auf
den Wunsch der jeweiligen Behördenleitung im Moment der
Veröffentlichung ankommt. Ob für eine
Behördenpublikation Urheberrechtsschutz besteht oder nicht,
richtet sich also danach, welche Vorstellung etwa die Amtsleiterin
im Kopf hat, wenn sie etwas zur Veröffentlichung freigibt. In
keiner Weise kommt es dagegen laut BGH darauf an, ob diese
Vorstellung von außen erkennbar ist, ob es irgendwelche
Anzeichen gibt, was die Behördenleitung will oder nicht.
Dieser Absatz 2 erzeugt viel (Rechts-)Unsicherheit bei allen,
die etwas urheberrechtlich Relevantes mit vom deutschen Staat
produzierten Inhalten machen möchten. Doch selbst wenn
offensichtlich klar ist, dass ein Inhalt nach Vorstellung der
zuständigen Behördenleitung zur allgemeinen Kenntnisnahme
gedacht ist, hält Absatz 2 noch zwei weitere
Einschränkungen bereit: Diese Veröffentlichungen
unterliegen dann nämlich – trotz fehlenden Urheberrechts
– zusätzlich auch noch einem Änderungsverbot und
einer verpflichtenden
Quellenangabe.
Wie könnte ein besserer Paragraph für amtliche Werke
aussehen?
Die Zielsetzung des Änderungsverbotes ist
aus staatlicher Perspektive im Grunde nachvollziehbar. Denn es
stellt sicher, dass die ursprüngliche, offizielle
Veröffentlichung unverändert und im gedachten Kontext
nachvollziehbar ist. Dazu bräuchte es aber kein gesetzliches
Verbot, das z.B. gleich alle Open-Data-Nutzungen vereitelt.
Vielmehr könnte sich der Staat gegen missverständliche
oder missbräuchliche Nutzung heute problemlos durch
eine kryptographische Signatur des Originals
absichern: Die amtliche Veröffentlichung würde vom Bund
signiert werden, und nur das so signierte Dokument wäre
nachvollziehbarerweise das, was von der behördlichen Stelle
herausgegeben wurde. Der Vorteil daran: Durch einen Verzicht auf
das Änderungsverbot würde die Weiterverwendung
staatlicher Informationen als Open Data nicht mehr blockiert.
Auch die Voraussetzungen, dass staatlicherseits erstellte
Inhalte nur dann rechtefrei sind, wenn ihre
„allgemeine Kenntnisnahme […] im amtlichen
Interesse“ ist, sollte aus dem Gesetz
gestrichen werden. Bisher muss aufgrund dieser Anforderung
stets die Absicht der veröffentlichenden Behörde
interpretiert werden.
Allerdings ist das Merkmal, dass es sich um veröffentlichte
Inhalte handeln muss, sinnvoll. An dieser Stelle ist der Rahmen
dessen, was zwingend zu veröffentlichen ist, dann durch
Transparenzgesetze zu definieren. Was Behörden darüber
hinaus eigenverantwortlich durch Veröffentlichung in den
öffentlichen Raum geben, ist dann schlicht auf Basis dieses
leicht steuer- und nachvollziehbaren Vorgangs urheberrechtsfrei und
wiederverwendbar.
Eine Erweiterung des Geltungsbereichs von § 5 auch auf alle
amtlich beauftragten Fachtexte oder idealerweise jegliche amtlich
beauftragten Werke, würde noch deutlich mehr Rechtssicherheit
herstellen und dem Umstand Rechnung tragen, dass die Allgemeinheit
die Erstellung auch dieser Auftragswerke durch ihre Steuern und
Abgaben ermöglicht hat. Die Arbeit der dabei beauftragten
Dritten muss natürlich angemessen vergütet werden, das
steht außer Frage.
Eine weitere positive Konsequenz, die sich ergäbe, wenn
auch amtlich beauftragte Werke von der Ausnahme im Urheberrecht
erfasst wären: Den öffentlichen Kassen würden
langwierige Gerichtsverfahren wegen letztlich meist erfolgloser
„Zensurheberrecht“-Klagen erspart – so wie im
Falle des Glyphosat-Gutachtens,
der Afghanistan-Papiere
oder ganz aktuell der Klage
des Freistaates Bayern gegen Markus Drenger. Der hatte Daten
wiederverwendet, die der Freistaat ohnehin in absehbarer Zeit als
High Value Datasets
unter Creative-Commons-Lizenz veröffentlichen müsste
– und für die wir seit langem fordern, dass sie als
Faktenbeschreibung unserer Realität gar nicht schutzfähig
sein sollten.
(Das mit der Schutzfähigkeit von Fakten, bloß weil sie
in Form von Datenbanken gesammelt vorliegen, ist jedoch eine
weitere Baustelle. Sie geht weit über staatlichen Kontext
hinaus und soll daher an dieser Stelle nur auf folgende Einsicht
reduziert erwähnt werden: Die Einführung eines exklusiven
“Datenbankherstellerrechts” in der EU Mitte der 1990er
hat der europäischen Datenwirtschaft in keiner Weise
genützt, wie die EU selbst inzwischen bei der Evaluation der
entsprechenden EU-Richtlinie festgestellt hat. Davon
ein andermal mehr.)
§ 5 gut, alles gut?
Es ist daher höchste Zeit, § 5 zu modernisieren.
Wikimedia Deutschland
fordert schon seit Jahren zumindest eine gesetzliche Vermutung,
dass bei Fehlen anderslautender Hinweise amtlich erstellte Inhalte
„andere amtliche Werke“ sind. Damit würde
zumindest das Rätselraten um die Vorstellungen der
Behördenleitungen beendet. Bei einem Parlamentarischen
Frühstück des Bündnisses F5 auf Einladung des
Digitalausschusses des Bundestags hat Urheberrechtsexperte Felix
Reda konkrete Vorschläge zur Modernisierung gemacht.
Es bedürfte nur weniger Änderungen, um den Paragraph 5
auf den Stand der Zeit zu bringen:
Die Definition amtlicher Werke muss möglichst weit gefasst
werden – im Zweifel durch ein „amtliche Werke
genießen keinen urheberrechtlichen Schutz“.
Im amtlichen Auftrag erstellte Fachinhalte müssen solchen
Werken gleichgestellt werden, die direkt von einer Behörde
stammen.
Da heute bei jeglicher Art amtlicher Inhalte davon auszugehen
ist, dass in der Gesellschaft potenziell ein Interesse vorhanden
ist, mit diesen Inhalten umzugehen, gehört der Faktor
„amtlichen Interesses an allgemeinen Kenntnisnahme“
gestrichen.
Angesichts des heute über das Internet für alle
möglichen Zugriffs auf staatliche Repositorien, wird eine
verpflichtende Quellenangabe obsolet. Auch die Ziele des bisherigen
Änderungsverbots können durch digitale Signaturen genauso
erreicht werden, ohne zugleich Open-Data-Prinzipien auszuhebeln.
Quellenangabepflicht und Änderungsverbot sollten darum
ebenfalls entfallen.
Damit wäre ein wichtiger Meilenstein erreicht für
einen viel gemeinwohldienlicheren Umgang mit Inhalten, die vom
Staat aus Mitteln der Allgemeinheit für die Allgemeinheit
geschaffen werden.
Wikimedia-Reihe
„Monsters
of Law“: Wo das Urheberrecht Open Data
ausbremst
Was mit öffentlichem
Geld finanziert ist, sollte allen frei zur Verfügung stehen.
Das gilt auch für amtliche Werke. Allerdings sind nicht
sämtliche Behördenpublikationen grundsätzlich
gemeinfrei. Wie kann die aus den 1960ern stammende Regelung zu
amtlichen Werken ins 21. Jahrhundert geführt werden? Diese
Frage beleuchten wir in der aktuellen Ausgabe von „Monsters
of Law“.
Unsere Gäste: Felix
Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Dr. Saskia
Ostendorff, Rechtsanwältin für Medien- und
Urheberrecht.
Neben Henriette Litta, Geschäftsführerin der Open
Knowledge Foundation Deutschland, Katja Langenbucher von der Goethe
Universität Frankfurt am Main und Helga Springeneer vom
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz war
auch Christian Humborg, Geschäftsführender Vorstand von
Wikimedia Deutschland, mit dabei. Auf dem Panel mit dem Titel
„Digitale (Ohn-)macht von Verbraucherinnen und
Verbrauchern” wurde vor allem diskutiert, wie Machtstrukturen
im digitalen Raum entstehen und wie ihnen begegnet werden kann.
Humborg brachte dazu die Perspektive communitybasierter, offener
und gemeinwohlorientierter Plattformen wie Wikipedia ein.
Wie können Monopole aufgebrochen
werden?
Zu Beginn der Diskussion verwies der Wikimedia-Vorstand darauf,
dass ein zentraler Faktor für die Machtungleichheit im
digitalen Raum die Monopolstellung einiger weniger Dienste und
Plattformen sei. Echte Wahlfreiheit für Verbraucher*innen
gäbe es so nicht. Der Staat könne hier aber gegensteuern,
indem er die Nutzung von Alternativen fördere. Ein Instrument
hierfür könnten steuerfinanzierte Gemeinwohl-Fonds sein,
die Bund und Länder einrichten. “Warum werden
Gemeindehäuser, Bibliotheken und Theater staatlich finanziert,
aber Gemeinschaftsorte im Netz nicht?” fragte Humborg. Die
Fonds sollten Vereinen und gemeinnützigen Körperschaften
zur Verfügung gestellt werden. Mit den Mitteln könnten
sie beispielsweise eine eigene Mastodon-Instanz aufsetzen und
betreiben. Das wäre ein Schritt hin zu mehr
Unabhängigkeit von Monopolisten wie Facebook und Twitter, so
Humborg.
Wie können staatliche Akteur*innen
Verbraucher*innen besser schützen?
Ein weiteres Problem sei der Umstand, dass die digitalen
Giganten intransparent agierten. Mehr Verbraucher*innenbildung und
Medienkompetenz könnten da aber nur begrenzt helfen,
erläuterte Humborg. Es sei nicht realistisch zu erwarten, dass
Verbraucher*innen die hochkomplexen Technologien und Algorithmen
verstünden, die in den Plattformen und Diensten stecken, die
sie alltäglich nutzen. Es brauche mehr Aufsicht und
Regulierung im Sinne der Verbraucher*innen, forderte der
Wikimedia-Vorstand.
Die Chance, diese zu realisieren, ergäbe sich laut Humborg
aus dem Digital Services Act (DSA) und der Einrichtung des darin
vorgesehenen Digital Services Coordinator (DSC). Es bildet die
gesetzliche Grundlage, um mit der Regulierung von Facebook,
Twitter, Amazon, TikTok und Co. zu beginnen. Im DSA sind unter
anderem Regeln für die Meldung illegaler Inhalte und
Transparenzpflichten bei Onlinewerbung definiert. Er legt fest,
welche Rechte Nutzer*innen haben, um Moderationsentscheidungen
anzufechten und welche Informationen Plattformen offenbaren
müssen.
Wichtige Weichenstellungen für den Digital
Services Coordinator
Die DSA-Regeln für sehr große Plattformen (mit mehr
als 45 Millionen Nutzenden im Monat) werden von der EU-Kommission
durchgesetzt. Aber mit dem DSC schafft jedes Land ab 2024 auch ein
nationales Instrument zur Durchsetzung für kleinere
Plattformen und Suchmaschinen. Der DSC stimmt seine Arbeit mit den
anderen Koordinator*innen und der Europäischen Kommission ab.
So soll sichergestellt werden, dass der DSA in Europa einheitlich
realisiert wird.
Die Strukturen, Aufgaben und Ressourcen, die jetzt mit dem DSC
geschaffen werden, müssten klug durchdacht und der Bedeutung
der Aufgabe angemessen sein, forderte Christian Humborg. Die
wichtigste Voraussetzung sei die Kompetenz und Unabhängigkeit
des DSC, betonte der Verwaltungswissenschaftler.
“Ich sehe die geplante Angliederung des DSC bei der
Bundesnetzagentur als kurzfristig richtig, aber mittel- und
langfristig als falsch an. Sie sollte nur für die Aufbauphase
Bestand haben und der DSC nach einer vorher festgelegten Zeitspanne
eigenständig werden”, forderte Humborg. Da der DSC die
Kontrolle und Regulierung im Sinne der Verbraucher*innen
unterstützen soll, müsse seine Tätigkeit
außerdem in enger Absprache mit Vertreterinnen der
Zivilgesellschaft und Wissenschaft erfolgen. Neben
Unabhängigkeit seien Transparenz und der Aufbau eigener
Datenkompetenz sowie eine inter-behördliche Arbeitsweise
notwendig. “Das geht natürlich nur, wenn der DSC auch
mit entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen
ausgestattet wird,” empfahl Christian Humborg.
Zurück zu den Wurzeln. So fühlt es sich in diesen
Tagen an, Mastodon zu benutzen
– und bestimmt geht es vielen anderen vor 1980 Geborenen ganz
ähnlich. Mastodon erinnert daran, wie es war, als noch nicht
fast alle Inhalte früher oder später unweigerlich auf den
großen Plattformen landeten. Als das World Wide Web noch ein
Ort der Visionen war und nicht Spielplatz von Inkubatoren und
Investoren. Ein freies, offenes Internet – es zeigt sich
jetzt deutlicher als je zuvor, dass wir mehr von diesem Geist
brauchen.
Elon Musks Umgang mit Twitter markiert einen Höhepunkt des
Techno-Feudalismus,
ein Begriff, den Michael Moorstedt in der Süddeutschen Zeitung
verwendete. Der reichste Mensch der Welt behandelt Angestellte in
tayloristischer Tradition wie Produktivvieh, legt strategische
Achterbahnfahrten hin und lässt uns noch staunend an seinen
Überlegungen teilhaben. Leider auch an seiner politischen
Einschätzung.
Ob Twitter überleben wird oder nicht und ob der
Zusammenbruch demokratietheoretisch gut oder schlecht wäre,
darüber gibt es kluge Debatten. Zweifelsfrei ist der
Twitter-Crashkurs von Elon Musk aber eine großartige Chance
– für das Netz und für die Demokratie. Es liegt an
uns allen, diese Chance zu nutzen. Lasst uns umziehen in diesen
freieren Teil des Internets. Lasst uns gemeinsam etwas gestalten,
statt nur zu nutzen, was die kommerziellen Plattformen uns
anbieten.
Software, die niemandem gehört
Mastodon bietet jetzt die Möglichkeit, das Versprechen
eines gemeinschaftlichen, freien und offenen Internets auf weitere
Bereiche auszudehnen. Eugen Rochko hat als Entwickler des
Microblogging-Dienstes nicht nur erkannt, wie wichtig ein nicht
kommerziell kontrollierter globaler Kommunikationsraum ist, sondern
auch die praktischen Grundlagen dafür geschaffen. Mastodon und
Twitter unterscheiden sich im Kern nicht dadurch, dass das eine mit
Werbung ist und das andere ohne. Sondern durch die Eigentumsfrage.
Mastodon ist eine freie Software, die niemandem gehört, und
deren Dienst dezentral betrieben wird. Ihre vielen verschiedenen
Instanzen werden von den vielfältigsten Personen und
Körperschaften betrieben.
Mastodon ist Teil des Fediverse, also eines ganzen Netzwerkes
unterschiedlicher Dienste, die alle auf freier Software basieren
und im Rahmen einer Föderation verknüpft werden
können. Eine Föderation ist das Gegenstück zu einer
zentralen Organisation und zeichnet sich durch die
Eigenständigkeit ihrer Teile aus. Diese sind weitgehend
autonom und arbeiten gleichberechtigt zusammen. Auch andere
Projekte nutzen dieses Prinzip. Wikimedia Deutschland hat Wikibase
entwickelt, eine freie Software zur Verwaltung strukturierter
Daten, in enger Abstimmung mit den Ehrenamtlichen.
Sowohl bei Mastodon als auch bei Wikibase können Vereine
und Einzelpersonen ihre eigenen Instanzen anbieten. Trotz ihrer
Autonomie können sich alle Nutzenden von Mastodon eine
Timeline zusammenstellen, die Inhalte aus verschiedenen Instanzen
enthält. Genauso können die Nutzenden von Wikidata alle Daten
über sämtliche Wikibase-Instanzen hinweg verarbeiten.
Die Community moderiert selbst
Diese Dezentralität und Freiheit führen auch dazu,
dass auf unterschiedlichen Mastodon-Instanzen unterschiedliche
Regeln gelten können. Der Betrieb einer Instanz erfordert
Serverkapazität und Moderation. In der aktuellen Debatte steht
die Kostenübernahme für Serverkapazitäten im
Vordergrund, während die Moderation größtenteils
ehrenamtlich betrieben wird. Längst gibt es ein
großartiges Beispiel dafür, dass die Moderation von
Inhalten durch eine Community möglich ist – und dass sie
sogar besser und zügiger funktionieren kann als bei den
globalen Techkonzernen: Wikipedia.
Zur Moderation gehören Regeln und ihre Durchsetzung. Wer
sich nicht an die Regeln hält, kann von der Mastodon-Instanz
verbannt werden. Eugen Rochko hat im Interview mit dem Time
Magazine einen sehr wichtigen Aspekt der Meinungsfreiheit
hervorgehoben: “If you allow the most intolerant voices to be
as loud as they want to, you’re going to shut down voices of
different opinions as well. So allowing free speech by just
allowing all speech is not actually leading to free speech, it just
leads to a cesspit of hate”.
Zum besseren Verständnis von dem, was da gerade passiert,
lohnt sich ein Blick auf die rechtspolitische Diskussion, was das
Objekt staatlicher Regulierung bei Hate Speech und Volksverhetzung
im Fediverse ist: die Föderation oder die einzelne Instanz? Je
nach Betrachtungsweise differieren die Nutzendenzahlen und damit
die sehr unterschiedlichen Regulierungsverpflichtungen. Da in der
Föderation die Macht verteilt und nicht zentralisiert ist,
sind wir für eine Regulierung auf Instanzenebene. Denn selbst
wenn eine einzelne Instanz alles außerhalb des klar Verbotenen
zulässt, können andere Instanzen entscheiden, die
Verbindung zu dieser zu kappen.
Schwer nachvollziehbar sind die Klagen über die
unzureichende Usability bei der Registrierung auf Mastodon. Die
wenige Minuten dauernde Wahl einer Instanz geht als Zeitinvestition
gegen Null angesichts der langen Nutzungsdauer. Das Verhältnis
entspricht vermutlich der Zeitdauer des Wählens im
Verhältnis zur Legislaturperiode der Gewählten.
Monopole werden demokratisiert
Am Interessantesten am aktuellen Twitter-Drama ist Musks Idee
einer Finanzierung durch die Nutzenden anstatt einer reinen
Werbefinanzierung. Die Entscheidung darüber, wie Technik und
Moderation künftig finanziert werden, könnte sich zu
einem Schlüsselmoment des digitalen Gerechtigkeitsdiskurses
entwickeln. Die Werbefinanzierung ermöglicht allen mit
digitalen Endgeräten und entsprechender Bandbreite den Zugang,
zum Preis des Abflusses umfassender persönlicher Daten.
Hingegen schafft die Finanzierung durch die Nutzenden selbst einen
Exklusivitätsraum, in dem allerdings auch weniger Hass und
Toxizität geduldet wird.
Das Fediverse kommt ohne Werbung aus und setzt noch viel auf
Ehrenamt. Die vielen Instanzen machen das Internet bunt. Das ist
ein zentraler Entwicklungsschritt in der Demokratisierung des
Internets. Denn dieser Schritt zur bunten Vielfalt löst die
Monarchien ab und kann eine neue Entwicklungsstufe im digitalen
demokratischen Prozess bedeuten. Die Wahl der Mastodon-Instanz und
ihre Nutzung sind ein Freiheitsrecht von Bürgerinnen und
Bürgern im demokratischen Internet, das hoffentlich viele
wahrnehmen.
Übrigens: Wikimedia Deutschland ist jetzt auch auf
Mastodon. Exklusiv für Mitarbeitende des Vereins haben wir
eine eigene Mastodon-Instanz eingerichtet – und auf unserem
Account @wikimediaDE@social.wikimedia.de informieren wir über
Neuigkeiten aus dem Verein und rund um Freies Wissen. Folgt uns
gern und tauscht euch mit uns aus!
Jeden Februar verwandelt sich Berlin für zehn Tage in
Europas Filmhauptstadt. Die Berlinale, dieses Jahr in ihrer 73.
Auflage, macht aus dem Berliner Grau Berliner Glitzer. Etablierte
Film-Größen wie Emma Thompson und Juliette Binoche geben
sich die sprichwörtliche Klinke in die Hand, Newcomer*innen
hoffen gespannt auf ihren Durchbruch.
Auch wenn mit der US-Komödie „She Came to Me”
von Rebecca Millers dieses Jahr eine Frau das Filmfestival
eröffnet und die Jury unter Kristen Stewart als
Präsidentin der internationalen Jury von einer Frau angeleitet
wird – Frauen* stellen immer noch einen Bruchteil der
teilnehmenden Filmschaffenden.
Edit-a-thon will FilmFrauen in Wikipedia sichtbarer
machen
Wikipedia als Online-Enzyklopädie ist immer auch Spiegel
der Gesellschaft. So reflektiert sie den Umstand der vermeintlich
fehlenden Frauen in der Filmbranche: Viele weibliche Filmschaffende
verfügen über keinen entsprechenden Eintrag in der
deutschsprachigen Wikipedia. Wikipedia ist aber oftmals eine der
ersten Anlaufstellen für (Film-)Interessierte oder auch
Journalist*innen. Finden sich im Netz also keine schnell und leicht
verfügbaren Informationen, wie beispielsweise in Wikipedia,
werden die weiblichen Kreative oftmals übersehen.
Um das zu ändern, wird also jetzt selbst Hand an die
Tastatur gelegt. Vom 17. bis zum 19. Februar
organisiert die Initiative WomenEdit
in Zusammenarbeit mit Wikimedia Deutschland im Rahmen der Berlinale
einen
Edit-a-thon. Dabei werden gemeinsam neue Artikel über
Künstler*innen, Schauspieler*innen, Kollektiven und
Filmemacher*innen geschrieben, die bislang noch keinen
Wikipedia-Eintrag haben. Alle, die mithelfen wollen, die
Sichtbarkeit von Frauen* in der Wikipedia zu erhöhen, sind
herzlich eingeladen. Jeder Artikel ist ein Gewinn nicht nur
für die weiblichen Filmschaffenden, sondern für die
gesamte Filmindustrie.
Mitmachen ausdrücklich erwünscht!
Wer dabei sein will braucht nicht viel: Lust am Lernen und ein
Laptop sind die einzigen notwendigen Voraussetzungen.
Wikipedia-Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Wie ein
Wikipedia-Account angelegt und Artikel erstellt werden, zeigen
erfahrene Wikipedianer*innen. Die Veranstaltung ist offen für
Teilnehmende aller Geschlechter, sofern ein respektvoller und
sensibler Umgang mit feministischen und diversen Themen gewahrt
wird.
Update: So erfolgreich war der Berlinale-Edit-a-thon 2023
Mehr als 50 neue Einträge über FilmFrauen und ihre
Werke sind beim diesjährigen Berlinale-Edit-a-thon entstanden.
Auch die Medien haben ausführlich über die Aktion
berichtet. Hier geht’s direkt zum Rückblick.
Anmeldung:
Interessierte können sich per E-Mail an womenedit@wikipedia.de oder
über die Wikipedia-Projektseite
anmelden. Wenn Sie online teilnehmen möchten, erhalten Sie
weitere Informationen ebenfalls auf der Projektseite oder unter
oben genannter E-Mail-Adresse.
Auf dem Digitalgipfel im Dezember stellte die
Gründungskommission des Dateninstituts ihren Empfehlungsbericht
vor. Anhand von drei Use Cases wolle die Kommission Aufgaben und
Arbeitsweise des Dateninstituts entwickeln, hieß es bei der
Präsentation. Ein solcher bedarfsorientierter Ansatz mag in
der Theorie sinnvoll sein. In der Praxis fehlt jedoch die
Einbeziehung der unzähligen Erfahrungen, die Ehrenamtliche
schon seit Jahren im Umgang mit Daten gesammelt haben – etwa
bei Wikidata-Hackathons, einem der vielen „Code
for“-Labs oder Jugend hackt. Das muss sich ändern, wenn
das Dateninstitut den Zugang zu Daten nachhaltig verbessern
will.
Mobilitätsdaten: Bitte kein weiteres Pilotprojekt!
Deutlich wird die fehlende Einbindung ehrenamtlicher Expertise
vor allem bei dem ersten Use Case der Gründungskommission, der
sich mit der freien Open-Source-Software „digitransit“
beschäftigt. Diese wurde ursprünglich auf Basis des
ebenfalls freien Routenplaners OpenTripPlanners in Helsinki
entwickelt und 2017 durch Freiwillige des digitalen Ehrenamts auf
Deutsch übersetzt.
Laut Vorschlag der Gründungskommission soll gemeinsam mit
einer Kommune eine weitere digitransit-Instanz aufgebaut werden, um
Erfahrungen zu sammeln. Digitransit verwendet den
Open-Source-Routenplaner „OpenTripPlanner“, wie er auch
in der OpenStreetMap für die Fuß-, Rad- und
Autoroutenplanung zum Einsatz kommt. Bei digitransit werden zudem
auch öffentlich verfügbare maschinenlesbare Bus- und
Bahnfahrpläne für die Routenplanung genutzt. Auch
Sharing-Scooter und -Räder, regelmäßige
Mitfahrgelegenheiten oder gar Mitfahrbänke
können so in die Mobilitätsauskunft integriert werden. Je
mehr offene Daten verfügbar sind, desto größer das
Potenzial.
Die bisherigen Implementierungen des
Open-Source-Mobilitätsplaners – egal ob durch
Ehrenamtliche oder im Rahmen von Förderprojekten – waren
jedoch in Deutschland auf immer wiederkehrende Grundlagenprobleme
gestoßen. So wurden beispielsweise mangelnde Auffindbarkeit
von Daten oder unnötige Registrierungspflichten als Probleme
genannt. Ein weiteres
Pilotprojekt wird an den strukturellen Hürden wenig
ändern. Stattdessen sollte das Dateninstitut die bereits
gewonnenen Erkenntnisse aufbereiten und aus ihnen
Handlungsempfehlungen entwickeln, wie diese Hürden
systematisch abgebaut werden können.
Linked Open Data: Das Beispiel Wikidata
Wenn es darum geht, das Prinzip von Linked Open Data zu
erklären und für andere Akteur*innen nachnutzbar zu
machen, sollte das zu gründende Dateninstitut auch das
Wikimedia-Projekt Wikidata als Beispiel
heranziehen. Wikidata nimmt bereits seit über 10 Jahren eine
Vorreiterrolle bei der praktischen Anwendung von Linked Open Data
ein. Die Software Wikibase, auf der Wikidata beruht, wird bereits
von vielen Akteuren in der Wissenschaft, im Bibliothekswesen und
für Projekte der
Europäischen Union eingesetzt.
Wikidata ist als Wissensgraph beispielsweise in der Lage, das
Durchschnittsalter aller Mitglieder des 20. Deutschen
Bundestags tagesaktuell auszugeben – und wer dem eigenen
Sprachassistenzsystem diese Frage stellt, bekommt die Antwort in
der Regel ebenfalls aus Wikidata. Das Linked-Data-Prinzip erlaubt
auch eine Abkehr vom architekturell längst überholten
Ansatz, Datensätze erst auf zentralen Plattformen (Hubs,
Datenräumen, etc.) zusammenführen zu müssen, um sie
in gemeinsamen Zusammenhang bringen zu können. Stattdessen
kann und soll mit diesem Prinzip eine Vielzahl dezentraler
Datenendpunkte abgefragt und ihre Daten gemeinsam in Bezug gebracht
werden.
Die öffentliche Hand könnte von einer solchen
Datenbereitstellung enorm profitieren. Die Anwendungsfälle
sind vielfältig – möglich wäre zum Beispiel,
statistische Informationen über Stadtquartiere automatisiert
mit Raum- und Mobilitätsdaten zusammenzuführen, um
Auswirkungen verkehrsplanerischer Vorhaben zu analysieren. Die
hierfür notwendigen Daten sind in der Regel auch längst
vorhanden, müssen bislang aber mit großem Aufwand oder
durch externe Dienstleister händisch zusammengeführt und
ausgewertet werden. Eine Datenorganisation nach
Linked-Data-Prinzipien würde diese Zusammenführung und
Auswertung automatisiert und durch die Verwaltung selbst
ermöglichen.
Es gibt so viele großartige Datenprojekte, die von
Ehrenamtlichen oder der organisierten Zivilgesellschaft entwickelt
wurden. Unser Appell an die Gründungskommission des
Dateninstituts: Statt immer neue Pilotprojekte anschieben zu
wollen, nutzen Sie diese vielfältigen Erfahrungen und
Expertisen!
Unsere Position zum geplanten Dateninstitut haben wir in einer
ausführlichen Stellungnahme zusammengefasst und den
zuständigen Bundesministerien zukommen lassen. Jetzt
nachlesen:
1. Das größte Potenzial für das Dateninstitut
besteht in der Aufbereitung von Informationen und
Handlungsempfehlungen rund um Linked Data. Dazu muss es
Aufklärungsarbeit über die notwendigen IT- und
Datenarchitekturentscheidungen leisten – sowohl für die
öffentliche Hand als auch für viele andere Bereiche,
einschließlich der Wirtschaft.
2. In den vorgestellten Use Cases klingen immer wieder
Bestrebungen zur Vermarktung von
Fakteninformationen an. Das ist grundfalsch, denn
Fakteninformationen gehören niemandem und dürfen auch
nicht vermarktet werden. Eine künstliche Erzeugung von
Exklusivität von Daten durch technische Mittel muss
ausgeschlossen sein.
3. Der Austausch mit Ehrenamtlichen, die sich
häufig seit vielen Jahren auf hohem Niveau mit dem Thema Open
Data beschäftigen, muss verstärkt werden. Digitales
Ehrenamt ist meist nicht formal organisiert und wird deshalb
bislang nicht ausreichend dokumentiert. Wie wir bereits in unserem
Politikbrief dargestellt haben, ist es deshalb so wichtig, die
Erfahrungen der Ehrenamtlichen systematisch zu dokumentieren und
für Digitalisierungsvorhaben nutzbar zu machen.
Millionen Menschen auf der Welt nutzen Wikipedia – um sich
weiterzubilden, etwas nachzuschlagen, Fakten zu recherchieren oder
an weiterführende Informationen zu gelangen. Die freie
Online-Enzyklopädie ist eine der ersten Anlaufstellen für
Leser*innen und Forscher*innen. Entsprechend müssen sie sich
darauf verlassen können, dass die Angaben, die sie dort
finden, aktuell, neutral und korrekt sind. Ereignisse wie die
COVID-19-Pandemie oder der russische Angriffskrieg in der Ukraine
haben zuletzt einmal mehr vor Augen geführt, welche wichtige
Rolle der Wikipedia als Plattform und Quelle für
vertrauenswürdige Informationen zukommt.
Um die Qualität der Inhalte in den mehr als 300
Sprachversionen des Projekts stetig weiter zu verbessern, findet
zweimal jährlich die Kampagne #1Lib1Ref statt (one librarian,
one reference – ein*e Bibliothekar*in, eine Referenz). Frei
nach dem Motto des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales
(„Stell dir eine Welt vor, in der jeder Mensch auf dem
Planeten freien Zugang zur Summe des Wissens hat“) regt die
Initiative an: „Stell dir eine Welt vor, in der jede
Bibliothekarin und jeder Bibliothekar der Wikipedia eine
Literaturangabe mehr hinzufügt“.
Jedes Zitat aus einer zuverlässigen Quelle ist ein Vorteil
für Wikipedia-Leser*innen weltweit. Jeder einzelne Beitrag
zählt dabei.
Einfach Mitmachen!
Bibliothekar*innen, die eine Leidenschaft für Freies Wissen
mitbringen, können sich in wenigen Schritten ohne großen
Aufwand an der Aktion beteiligen. Zunächst gilt es, einen
Artikel zu finden, der eine Quellenangabe benötigt. Dafür
gibt es viele Möglichkeiten:
Dieses spieleähnliche Tool schlägt zufällig
ausgewählte „Beleg fehlt“-Aussagen in
Wikipedia-Artikeln vor. Entspricht der Vorschlag nicht dem Wunsch,
genügt ein Klick auf „Weiter“, um zu einem
nächsten zu gelangen. Zusätzlich existiert ein
Suchmenü, in dem Interessierte Kategorien von Artikeln
auswählen können, in dem sie besonderes Fachwissen
besitzen (z. B. „Romane von Agatha Christie“).
Wikipedia-Artikel werden zudem häufig markiert, weil sie
keine Angaben zum Nachweis der Informationen im Artikel selbst
enthalten. Diese Artikel finden sich in automatisch
erstellten Listen in der deutschsprachigen Wikipedia und in
mehr als 55 anderen Sprachen. Auch hier kann nach spezifischen
Themengebieten geforscht werden – dann einfach den zu
bearbeitenden Artikel anklicken.
Im nächsten Schritt gilt es, eine zuverlässige Quelle
hinzuzufügen, die den Artikel unterstützen kann. Als
solche werden in der Wikipedia alle publizierten Quellen betrachtet
(Zeitungen, Bücher, Suchhilfen, wissenschaftliche
Zeitschriftenartikel, Webseiten mit redaktionell betreutem Inhalt).
Je besser die Reputation oder je ausgeprägter die
Autorität der Autor*innen zu dem Thema, desto besser wird der
Beleg angenommen werden.
Weitere Infos zum Mitmachen und wie Literaturangaben
gemäß den Wikipedia-Richtlinien eingefügt werden,
ist
hier zu erfahren.
Schließlich sollte nicht vergessen werden, den
Projekt-Hashtag #1Lib1Ref in der Zusammenfassung der
Wikipedia-Bearbeitung hinzuzufügen.
Hauptinformationsquelle und Ort für
Vielfalt
Für Interessierte, die bislang noch nicht zur Wikipedia
beigetragen haben, existiert eine leicht verständliche
Anleitung. Hier erfahren Sie mehr darüber, wie Sie ein
Benutzerkonto angelegt wird und welche Online-Kurse den Einstieg
erleichtern. Außerdem erwarten Sie viele aufschlussreiche
Erklärvideos zu grundlegenden Aspekten der Wikipedia, sowie
Tutorials, in denen aktive Autor*innen konkret erläutern, wie
sich etwa Artikel verbessern, Bilder einbinden oder Diskussionen
mit anderen Freiwilligen aus der Community führen lassen.
Die Kampagne #1Lib1Ref hat in der Vergangenheit stets
begeisterte Resonanz gefunden – auch über das
eigentliche Projekt hinaus. Die Wikipedianerin Nikolina
Šepić, die 2021 zur Initiative mit beeindruckenden 5.620
Edits beigetragen hat, beschreibt: „Für mich ist
Wikipedia nicht nur ein enzyklopädisches Projekt mit freien
Inhalten und die Hauptinformationsquelle, sondern auch ein Ort der
Beteiligung, der produktiven Zeitnutzung, des Anstoßes, sich
mit unterschiedlichen Themen auseinanderzusetzen. Ein Ort für
neue Bekanntschaften und Begegnungen mit wunderbaren Menschen (-),
für Achtung der Vielfalt und Gleichberechtigung“.
Webinar mit dem Deutschen
Bibliotheksverband
In Vorbereitung auf die Kampagne #1Lib1Ref haben der Deutsche
Bibliotheksverband und Wikimedia Deutschland eine
Online-Infoveranstaltung angeboten, die in das Editieren des
Online-Lexikons Wikipedia einführt. Hier geht es direkt zum
Webinar.
Für Rückfragen zur Kampagne und zum Mitmachen
können Sie sich jederzeit bei Claudia Bergmann von Wikimedia
Deutschland melden: claudia.bergmann@wikimedia.de
Bislang hat die tagesschau 55 Videos unter einer
freien Lizenz veröffentlicht,
etwa zur Zeitumstellung, dem Wahlsystem in Deutschland oder der
Corona-Pandemie. Acht dieser Videos haben in einem Pilotprojekt
bereits den Weg in die Wikipedia gefunden. Diese wurden in den
letzten zweieinhalb Monaten bereits über 150.000 Mal
aufgerufen.
Die beeindruckenden Abrufzahlen der tagesschau-Clips in der
Wikipedia unterstreichen: Wissensinhalte erreichen ein breites
Publikum, wenn sie frei lizenziert sind. Dass die ARD jetzt mehr
hochwertig produzierte Inhalte für alle zugänglich und
nutzbar macht, ist ein enormer Gewinn für den freien Zugang zu
Wissen.
Möglich machen das auch die Ehrenamtlichen des Projekts
Wiki Loves Broadcast. Sie
sichten die Videoclips und prüfen, ob diese den Anforderungen
der Wikipedia entsprechen. Wenn sie einen passenden Artikel
identifiziert haben, für den ein Erklärvideo einen
inhaltlichen Mehrwert darstellt, kümmern sie sich um die
technische
Einbindung. Bisher sind tagesschau-Videos in den folgenden
deutschsprachigen Wikipedia-Artikeln verfügbar:
Endlich wikipedia-kompatibel durch freie
Creative-Commons-Lizenzen
Freie Lizenzen
ermöglichen die Nutzung, Weiterverbreitung und Änderung
urheberrechtlich geschützter Werke. Wohl am bekanntesten sind
die Creative-Commons-Lizenzen. Wirklich frei und
wikipedia-kompatibel sind solche Lizenzen dann, wenn sie auch eine
Bearbeitung des jeweiligen Werks erlauben – und zwar selbst
für kommerzielle Zwecke.
Bislang waren die
Videoclips der tagesschau nur unter der vergleichsweise
restriktiven Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
verfügbar, die Bearbeitungen und kommerzielle Nutzung explizit
ausschließt. Eine Einbindung in die Wikipedia war dadurch
nicht möglich. Nach eingehender Beratung durch Wikimedia
Deutschland und die Ehrenamtlichen von Wiki Loves Broadcast hat die
ARD sich jetzt dazu entschlossen, die Videos unter der Lizenz
CC BY-SA 4.0 zu
veröffentlichen – ein wichtiger Schritt für den
freien Zugang zu Wissens- und Bildungsinhalten.
Erklärvideo der tagesschau zur Verwendung der Videos mit
CC-Lizenz
Mehr frei lizenzierte Inhalte im Jahr 2023
Nach eigenen Angaben plant die tagesschau, die Bereitstellung
von Inhalten unter freier Lizenz in diesem Jahr auszuweiten. Jetzt
kommt es darauf an, dass die ARD ihre Bemühungen verstetigt
und regelmäßig frei lizenzierte tagesschau-Videos
bereitstellt.
Das Beispiel tagesschau zeigt: Es müssen nicht komplette
Sendungen sein, die frei lizenziert werden – hier könnte
die Rechteklärung aufgrund von eingekauftem Audio- oder
Videomaterial auch durchaus kompliziert werden. Einzelne
Videoclips, die ein Thema kurz und prägnant erklären,
eignen sich bestens für die Bereitstellung unter freien
Lizenzen. Die ZDF-Wissenssendung Terra X macht das bereits seit
Jahren vor. Auch der Bayerische Rundfunk hat bereits angekündigt,
dieses Jahr mit dem digitalen Lernangebot kolleg24 mitzuziehen.
Frei lizenzierte Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender
können nicht nur Wikipedia-Artikel verbessern, sondern auch
rechtssicher im
Schulunterricht genutzt werden. ARD, ZDF und Deutschlandfunk
sollten die Chance nutzen und sich 2023 noch stärker zum
Grundsatz „Öffentliches Geld
– Öffentliches Gut!“ bekennen.
Mehr erfahren?
Weitere Blogbeiträge zu freien Lizenzen
Wie frei lizenzierte Rundfunkinhalte die Wikipedia
bereichern
Zahlreiche Medien berichteten über die Entscheidung der
tagesschau, ausgewählte Erklärvideos unter freien
Creative-Commons-Lizenzen anzubieten. Eine Auswahl:
Das Jahr 2022 war wieder ein Jahr mit vielen Schlagzeilen:
Russlands Einmarsch in die Ukraine, der Tod von Königin
Elisabeth II. oder auch die umstrittene
Fußball-Weltmeisterschaft in Katar – diese Ereignisse
prägten auch die Suchanfragen in der Wikipedia. Außerdem
hat ein Mann die Wikipedia-Leser*innen in den Bann gezogen: Nachdem
Netflix eine Anthologie über den amerikanischen
Serienmörder Jeffrey Dahmer veröffentlicht hat,
schnallten die Aufrufzahlen des Wikipedia-Artikels sowohl im
englischsprachigen Raum als auch bei uns in Deutschland in die
Höhe.
Top 10 in der deutschsprachigen Wikipedia
Diese Seiten und Artikel wurden 2022 am häufigsten in der
deutschen Wikipedia aufgerufen. Die Liste der Todesfälle
(Nekrolog) ist wie jedes Jahr auch 2022 unter den Top 3.
Was haben Annalena Baerbock, Elon Musk und Queen Elizabeth II.
gemeinsam? Ihre Wikipedia-Artikel gehören zu den
meistgelesenen im Jahr 2021. Hier geht es zu den Top
10 der englischen und deutschen Wikipedia.
Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein
Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren
umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal
intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und
mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach
mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der
deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man
die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den
Wind. Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am
Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem
Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird.
Die weniger peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend
sind.
Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen
Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein
Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen
Bezugspunkten zu unserer Welt. Und selbst dort kommt
Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es geht um „Moon over Soho“
von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen 2012 bringt es der Roman
auf den Punkt:
Auf deutsch etwa:
„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz,
können etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren.
Lady Tys Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem
PR-Schreiber verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen
PR-Schreiber beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite
ihren Vorstellungen entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer
„Leute“ hatte eine PR-Agentur beauftragt, die einen
Freelancer beschäftigt hatte, der das in einer halben Stunde
runtergeschrieben hatte, damit er sich schneller wieder auf den
Roman konzentrieren konnte, den er grade schrieb. Der Artikel gab
preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu nicht weniger als einem
Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder hatten von denen der
Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu fahren aber jung genug
um noch zu Hause zu wohnen.“
Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen
Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber
professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus
anderen Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich
zu stören. Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur
den geringsten Mehrwert zu bieten.
Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der
Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012
richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der
diskutierenden Community im Jahr 2022.
(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie
Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto
versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)
Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich
heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes
scheint es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in
dem jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen.
Mit dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu
„verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch
raffinierter: Einfach einen etablierten Nutzer und dessen
Vertrauensvorschuss nehmen und in dieser Tarnung PR-Edits
durchführen.
Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft
Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal
lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr
teilhaben.
Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben,
räuspere mich noch einmal und deklamiere:
Wir waren dieses Jahr mit WikiAhoi wieder bei der SMWCon dabei. Die
Konferenz zu Semantic MediaWiki findet zweimal pro Jahr statt, im
Frühling in Nordamerika und im Herbst in Europa. Letztes Jahr
waren wir schon in Wien dabei und dieses Jahr gings ins
herbstlich-sonnige Barcelona. In freundlicher, persönlicher
Atmosphäre wurden technische Neuigkeiten, innovative Projekte
und besondere Anwendungsfälle besprochen. Wir möchten Sie
an den wichtigsten Neuerungen teilhaben lassen.
Neuigkeiten aus der Semantic MediaWiki-Welt
Semantic
Forms (Version 3.4 September 2015) hat sich
mittlerweile als eigenständige Erweiterung etabliert und ist
nun technisch nicht mehr von der Grunderweiterung Semantic
MediaWiki abhängig. Weitere wichtige Änderungen:
Statt den Spezialattributen werden nun ParserFunctions
eingesetzt.
Kartenbasierte Eingabeformate (Google Maps, Open Layers) sind
nun möglich – diese werden nur eingesetzt, wenn Semantic Maps nicht
vorhanden ist.
Weiters wird nun Cargo unterstützt,
es lassen sich in Formularen auch Eingabeformate und die
Autovervollständigungsfunktion aus Cargo nutzen.
Dazu kann man nun auch „mapping“-Werte hinterlegen,
das sind andere Werte, als auf der Seite angezeigt werden.
Ein neuer Parameter erlaubt es, nur einzigartige Werte
speichern zu lassen.
Alle roten Links können nun mit einer einzelnen
Einstellung auf eine Formularauswahlliste weitergeleitet
werden.
Die MediaWiki
Stakeholder’s Group nahm die Konferenz zum
Anlass, um weitere Schritte zu besprechen: Ziel der Gruppe ist die
Koordination und die Kommunikation mit Wiki-Nutzern in
Unternehmen, die Unterstützung von Entwicklern und
Administratoren und die offizielle Kommunikation mit der Wikimedia Foundation. Wikipedia hat etwas
andere Ziele als einzelne Drittnutzer der Software MediaWiki. Es
geht also stark darum, die Interessen der Nutzer von Wiki in
Unternehmen zu vertreten und in der Weiterentwicklung der
Software voranzutreiben.
Interessante neue
semantischeErweiterungen
gibt es zu Breadcrumbs, Zitaten, Sprachenlinks und
Metatags:
Semantic Breadcrumb
Links – mittels Attributen können Breadcrumbs
erstellt werden, die eine Hierarchie erzeugen, ohne Unterseiten
erstellen zu müssen.
Semantic Cite –
unabhängig von der Cite
Erweiterung, ermöglicht das seitenübergreifende Verwenden
von Zitaten und eine automatische/manuelle Quellenliste.
Semantic
Interlanguage Links – automatische Sprachanzeigen
(gibt es diese Seite in anderen Sprachen?) in Wikis mit
Interwikis.
Und warum „eine Konferenz mit Folgen“? Diese
Konferenz hat Folgen auf mehreren Ebenen: Wir haben
persönliche Kontakte für Zusammenarbeit und Austausch
geknüpft, es wurden Ideen beflügelt und
Inspirationen für neue Projekte ausgetauscht, die Motivation
wieder gestärkt, das Projekt MediaWiki als Ganzes
voranzubringen und nicht zuletzt viele Features und
Software-Änderungen besprochen, die in der Regel meist
recht schnell umgesetzt werden. Die Konferenz war somit ein
voller Erfolg.
Die Konferenz fand von 28.–30.10.2015 in Barcelona statt,
in der schönen Fabra i
Coats Kunstfabrik im Stadtteil Sant Andreu. Knappe 40
Teilnehmer nahmen an einem Tutorial- und zwei Konferenztagen
teil.
Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal,
die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema
wabert ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch
dieses Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg
ist noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die
Komposition eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum,
Cembalo und Spottdrossel.
Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das
Nächstbeste: ein Gedicht.
Wikipredia
Die Regeln existieren und doch
nicht nach Mondstand
Die Ethik absolut seit
Anbeginn nein denn ja
Die Praxis gesperrt verworfen
gelöscht freigeschaltet
Wikipredia Darwinismus der
Agenturen Überleben des
Dreistesten
Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch
Hall)
Wikipedia-KNORKEerwähnte ich ja an
dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und
Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen
unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es
etwas besonderes: Auf ins Museum!
In Berlin gastiert gerade die Darmstädter
Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim
dem Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und
Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde
des 16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre
faszinieren. Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung
der Autorin des exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.
Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner
Gruppe vor dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden
über eine Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna
und zur Sonderausstellung "Holbein
in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die
Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber
engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in
dessen Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige
Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von
Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen,
sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der
besseren Kunstausstellungen.
Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten
Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des
Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage
des Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der
Reformation war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und
seine Falte. Wir staunten über die Eigentümlichkeit, dass
sich niemand auf dem Gemälde eigentlich anschaut und wurden
über dden Unterschied zwischen Schutzmantelmadonnen und
Stifterbildern aufgeklärt. Vermutungen tauchten auf, wo das
Bild wohl im Original hing - vermutlich in der Martinskirche
als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus
Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis
hin zum Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin
zum spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth.
Die Meinungen über die Sammlung Würth in der Gruppe waren
durchaus geteilt, ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist
es nun eher die Darmstädter Madonna oder eher die
Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?
Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner
Madonna und einem der prägenden Momente deutscher
Kunstgeschichte: dem Dresdner
Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen
bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur
eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter
lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten
der Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich
für das Darmstädter Gemälde. Eine Sensation,
da die Kunstkennerschaft vorher felsenhaft von der
Originalität des Dresdner Gemäldes ausging. Hier zeigte
sich erstmals das Bemühen, um eine rein sachlich, objektive
Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der Dresdner
Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die Kunstwissenschaft
als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich später
herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem ihren
Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen
naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die
originale der beiden bestätigten.
Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes
(beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus
unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in
das Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".
Hans Holbein der
Jüngere: Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze
in London, 1532. Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm.
Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen Museen zu Berlin –
Preussischer Kulturbesitz
Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die
beiden Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren
der Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in
der Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp
einer Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist
Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise
fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch
noch mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich
begleitete wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und
London. Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt.
Nachdem wir dann noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie
immer im Bodemuseum nicht ganz einfach und jedes mal findet man
zwischendurch neue Säle) folgte noch ein erschöpfter
Abschlusskaffee.
Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu
entdecken.
Über den Dächern, Türmen und Gasometern
Westberlins senkte sich die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen
des Ullstein Castles und sinnierte. Direkt unter mir
Straßentreiben, Sirenen, betrunkene Jugendliche, ein
Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde Ausflügler
überquerten die Stubenrauchbrücke.
In der Ferne betrachtete ich die Türme des
Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der
Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen
Wasserturm im Naturpark Schöneberger Südgelände.
Heute Nacht auf dem Heinweg: Welchen Weg sollte ich wählen?
Unten, im Süden, über den Prellerweg vorbei am Sommerbad
am Insulaner? Die Nordvariante über den Tempelhofer Damm und
durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder die Mittelweg, mit
Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später über
den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.
Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die
Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die
Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich,
unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein
einzelnes Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge
stellt, richtig ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.
Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte
ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der
Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit
der Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team
Tödenhöfer über Volt bis zur Tierschutzpartei. Und
so sehr es mich schmerzte das zu sagen: Das Plakatgame gewannen
bisher die CDU und ihr Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl
optisch – als auch damit, überhaupt inhaltliche Aussagen
fern von Plattitüden zu machen.
Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl.
Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf
Deutsch das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung.
Die Wikipedia steht meinem Herzen näher als der Bundestag und
selbst als der Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern
merh Gedanken. Diese Gedanken bedurften des Kontextes.
Was ist die Wikimedia Foundation?
Die Wikimedia
Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie
zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und
Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik,
ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den
Wikipedien passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450
Angestellte, ein Endowment von 90
Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen
US-Dollar.
Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia
Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich
kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten.
Sie ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere
schreiben keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit
Artikel oder legen Inhalte in den Projekten an.
Die Foundation ist eine Organisation eigener
selbstgenügsamer Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und
ist – rechtlich – niemand rechenschaftspflichtig. Das
Board besetzt sich prinzipiell aus sich selbst heraus. Es hat
entschieden die Hälfte der Sitze Wahlen der weltweiten
Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu lassen.
Das Board of Trustees ist das
ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16
Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben
Sitze besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine
weltweite Communitywahl bestimmt.
Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und
„weltweit / 450 Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar
Einnahmen“ klar, dass das Board eine abstrakte
Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick über
so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe. Dieser
Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine bestimmte
Richtung zu lenken, eine Herausforderung.
Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich
hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß.
Seiner Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die
Vollzeitkräfte machen und besetzt die
Geschäftsführung.
Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die
Geschäftsführerin der Foundation Catherine Maher
verschwand im April 2021 überraschend. Der Posten ist seitdem
unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief Operations Officer im Jahr
2021 verabschiedete, die Abteilungen Communication und Technology
auch niemand im Vorstand haben. Auf dem Schiff besetzt nur eine
Notbesatzung an Offizier*innen die Brücke. Dem Board obliegt
es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell und kompetent zu
beenden.
Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei
Kriterien erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele
teilen. Und sie sollte in der Lage sein, sich in einem
ehrenamtlichen Job gegen eine komplette Organisation aus
Vollzeitangestellten zu behaupten. Oft genug stehen bei solch
ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur Wahl, bei denen ich denke
„Will Schlechtes, aber wird das erreichen“ und
„Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die
Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt
Chaos.“
Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts
der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit,
möchte ich Kandidat*innen, die sich durchsetzen können.
Kandidat*innen, die nach Möglichkeit die US-Zentrik der
Foundation aufbrechen können. Ich möchte Kandidat*innen,
die verstehen, dass Wikip/media keine allgemeine
Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr spezifische
Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt
nicht kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine
Weltbeglückungsziele zu stürzen, die weder die Foundation
noch die Communities umsetzen können.
Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier
Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie
Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele
Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die
fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.
Die Urgesteine
Dariusz
Jemielniak – Professor of Management,
daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der
intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.
Rosie
Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup,
Women in red, you name it. Bei überraschend vielen der
Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie
Stephenson-Goodknight beteiligt.
Gerard Meijssen –
gefühlt war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab.
Vielleicht der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein
Chaot.
Mike Peel –
langjähriges Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC)
Hat bei mir in der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck
hinterlassen.
Ravishankar Ayyakkannu
– Mr. Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005
in der Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero,
Google) zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte,
weil er nicht nur aus dem Global South stammt, sondern auch
Ausbildung und Berufstätigkeit dort durchführte.
Lorenzo Losa –
Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.
Farah Jack Mustaklem – Software
Engineer, einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software.
Aktiv bei den Wikimedians of the Levant und der Arabic language
User Group. Mir persönlich zu sehr USA-sozialisiert für
eine Board-Mitgliedschaft, andererseits sicher in jeder Hinsicht
kompetent.
Douglas Ian Scott –
Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der
Wikimania 2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen
Wartepause am Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens
persönlich besser kennenlernte – und begeistert
war.
Iván Martínez
– langjährig engagiert bei Wikimedia Mexiko,
LGBTQ+-Aktivist und soweit ich hörte, das Wikiversum
Lateinamerika ist begeistert von ihm.
Pavan Santhosh Surampudi
– Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich
professionell etwas von Communities.
Adam Wight –
Programmierer, Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard
der Vertreter des Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und
Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen
Movements.
Vinicius Siqueira – in
Wiki Movimento Brasil
Newbies
Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene
Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte
oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit
größeren Organisationen im Wikiversum fehlt
vollkommen.
Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur
Wen werde ich wählen?
Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die
Grenzen des Wikiversums sinnvoll einschätzen können.
Perspektiven auf das Leben, anders aussehen als „in US-NGOs
sozialisiert“ werden bevorzugt.
Die Top 4
Douglas Ian Scott
Iván Martínez
Adam Wight
Dariusz Jemielniak
Top 8
Rosie Stephenson-Goodknight
Lorenzo Losa
Farah Jack Mustaklem
Gerard Meijssen
Wählbar
Reda Kerbouche
Pavan Santhosh Surampudi
Ravishankar Ayyakkannu
Wer wird wählen
Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem
Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig
angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen
zu haben, kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt
gesperrt zu sein. Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind
somit einfacher zu erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in
der deutschen Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021
erfüllt sein. Es hilft nicht, jetzt noch schnell zu
editieren.
Das Wahlsystem
Es gilt das Präferenzwahlsystem.
Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als
besonders fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen
weniger als viele andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings
nur selten eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl
in letzter Zeit war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New
York.
Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen
nach Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der
Kandidat danach eine zwei und so weiter. Hält man keine
Kandidatin mehr für geeignet, hört man auf zu
nummerieren.
Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen
mit „1“ gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten
davon. Dieser scheidet aus. Von allen
„1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die
„2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf
die entsprechenden weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis
nur noch so viele Kandidatinnen übrig sind, wie es
Plätze zu besetzen gilt.
Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das
Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die
Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts
geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den
Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die
Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im
Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am
Bahnsteig.
Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels
seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren. Eine Frau
entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die
falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken
„Also 22 statt der angezeigten 32.“
Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die
ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den
gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch
zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im
Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den
relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch
deutscher?
Illustration aus
dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de
Neuville & Léon Benett
Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils
Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon
auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was
Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche
Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte
Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar
erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:
„Meine Mutter nannte dann immer
eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les
ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze
frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les
ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch
festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte
ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren
zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei
ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der
Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die
sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken,
Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven
Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre
spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude
an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt.
Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer
fanden sich kulturell kaum zurecht.“
Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in
Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und
Musicaldarsteller?
Forschung Maschinenbau Braunschweig
Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht
normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt
schlägt mir „Deutscher Ingenieur“ rechts und links
um die Ohren. Braunschweig hebt das Thema "autogerechte Stadt" in
Höhen, die selbst mir als gebürtigem Hannoveraner
unerreichbar schienen.
Braunschweig.
Bahnhofsvorplatz.
VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich
wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem
Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle
und wurde prompt begrüßt mit „Tag des
Maschinenbaus. Herzlich Willkommen.“
Vor allem aber fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie
unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte
keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle,
über die irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel
verwunderlicher war, dass selbst die in Braunschweig reichlich
vorhandenen 1970er-Großbauten gepflegt und sorgsam
hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber, offensichtlicher
spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser gepflegt als
Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen darum
herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie frisch
aus der Packung genommen.
Wegbier. In
Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber
stilgerecht,
Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben
gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen
gesperrt. Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement
eine Rolle, sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.
Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und
hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch
schon ins Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7
Geräte) nachlesend, wie das nun ist mit Braunschweig.
Bekanntes taucht beim Nachlesen auf: Die physikalische-technische
Bundesanstalt mit der Atomuhr; geahntes lese ich (Volkswagen
– hey, das ist Niedersachsen und die Technische
Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:
„Im gesamten Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) verfügt die Region Braunschweig
über die höchste Wissenschaftlerdichte,[103] im
bundesweiten Vergleich über eine hohe Ingenieurquote[104]
sowie über die höchste Intensität auf dem Gebiet der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region
Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus
über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie
20.000 Beschäftigte in 250 Unternehmen der
Hochtechnologie[106]“
Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten
Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren
EU-Rangliste ist Braunschweig die innovationsfreudigste
Region der EU vor Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der
deutsche Ingenieur. Hier lebt die deutsche Technik. Was für
ein passender Ort für Jules Verne.
Jules Verne
Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts
und vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem
vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller
wie Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von
der Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der
Erde bekannt. Wikipedia und die Deutsche
Jules-Verne-Gesellschaft hatten ein gemeinsames Wochenende
organisiert mit einer Tagung zu Jules Verne und Gesprächen zu
Wikipedia.
Volker Dehs
bestreitet das halbe Programm
Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den
1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen
blau eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so
anders war als die großen mir bekannten Abenteuerromane von
Jules Verne. Warum ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich
hätte nur schwerlich begründen können, was genau
mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in die Veranstalter,
Science Fiction und Neugier auf diese andere niedersächsische
Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.
Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt
er als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans,
Ingenieure und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene
Bibliographen waren Thema und Anwesend, ebenso wie die
phantastische Bibliothek in Wetzlar – die Mischung der
Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich gar nicht so sehr von der
Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die Perspektiven, aus denen Verne
hier unter die Lupe genommen wurden, waren vielgestaltiger als sie
es in der Literatur sonst sind. Faszinierend hier war die Neigung
unterschiedlicher und leicht besessener Menschen sich zu einem
Thema auseinanderzusetzen.
Haus der
Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.
Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor
Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder
eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen
Büchern durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein,
während auf Verne eher zurückgeht, dass alles menschliche
Streben gegenüber der göttlichen Macht sinnlos bleibt?
Wen inspirierte er? Ist es eine sinnvolle Frage, dem nachzugehen,
welche seiner Voraussagen, sich bewahrheiten? Dazu kamen dann noch
Exkursionen zu Friedrich Gerstäcker, Fenimore Cooper, die
Ingenieure, die ihre U-Boote dann nach Jules Verne
„Nautilus“ nannten – und stark von diesem
beeinflusst waren
Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie
die Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent
werden wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken
beeinflusste. Romancier war er eher gezwungenermaßen –
und verdiente mit seinen zwei erfolgreichen Theaterstücken in
seinem Leben ein Viertel so viel Geld wie mit etwa 80 bis 100
Romanen.
Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman
"der Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was
niemand der Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine
Dreiviertelstunde später kam die Bemerkung in einem
anderen Zusammenhang, dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes
einziges Buch mit einer weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen
Zusammenhang,Update: Es kam wie es kommen musst.
Da denke ich mal, ich habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas
falsch verstanden. Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht
das einzige Werk mit einer Protagonistin. Das prägnanteste
Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur
die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in
anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser
Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews
darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr.
(*Affiliate Links)
Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von
Vernes Werk gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört,
sondern es (fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo
Verne Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet,
dienen diese vor allem dem Zweck zu reisen.
Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen
Strahl.
Die Phantastische Bibliothek
Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur
mittelbar mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen
Bibliothek Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le
Blanc auf Wolfgang Thadewald. Den großen Phantastik- und
Jules-Verne-Sammler. Thadewald verstarb 2014. Er
lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch
persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner
Sammlertätigkeit, seiner Liebe zu Büchern und zu
Menschen, aber auch die Besessenheit mit der Thadewald an ein Thema
heranging und auch von Krankheit schon schwer gekennzeichnet das
Arbeiten an Bibliographien nicht lassen konnte – es ließ
sich nicht anders beschreiben als bewegend. Sicher war dieser
Vortrag mein emotionaler Vortrag des Programms.
Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia
Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei
hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen:
Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der
Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers
zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die
Berichte werden manchmal von öffentlichen Stellen,
öfter von Großunternehmen bestellt, die damit selber
zukunftsfähig werden wollen und in die Zukunft denken.
Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten
Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist
gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die
Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.
Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes
Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die
größte Bibliothek ihrer Art im Hintergrund und seit
mittlerweile einigen Jahren eine große Datenbank aufgebaut,
was Autoren zu verschiedenen Themen schreiben.
Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich
durch gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen
Büchern im Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen
muss, dass ein Roman nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass
es nichts gibt, was so sehr Denkprozesse auslösen und
Kreativität triggern kann, wie Romane. Der befreit das Hirn
gerade vom strikt logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die
Perspektive etwas nach links oder oben, und schon öffnen sich
vollkommen neue Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es
überraschend ist, dass sie wirklich angenommen wird.
Anscheinend wird sie das.
Mensch Maschine Normal
Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste
Handy-Ticket meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder.
Ist diese Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so
unfassbar „normal“ vorkommt, vielleicht die große
Ausnahme? Sind die Musicaldarsteller, die mit „dem
Alex“ [Alexander Klaws] telefonieren, normal? Die Menschen im
Ministerium? Die größten Jules-Verne-Experten des Landes,
die alle noch einen anderen Brotjob haben? Oder eher die
Normalität vieler Menschen, die darin besteht, am Ende des
Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10 Tage mit dem
leeren Konto noch überbrückt werden können?
Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In
seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in
Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer
Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.
Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem
Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:
„Nichts gegen das große Geld
und die wenigen, die es genießen können, aber die
Stärke mitteleuropäischer Gesellschaften liegt gerade in
der Mischung. Für Reiche ist es in Singapur, Russland und
Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping Malls gibt
es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter Wasser und auf
dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder
Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und
Dunkle, Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und
drängeln, gibt es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich,
dass es in Algerien beispielsweise keine öffentlichen
Schwimmbäder gibt oder dass man in den USA oder in Brasilien
Mitglied in einem Club werden muss. Das ist eine teure und in
vieler Hinsicht sozial sehr voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur
um mit den Kindern mal schwimmen zu gehen, es sei denn
natürlich, jeder hat seinen eigenen Pool im Garten, was,
für mich zumindest, wie eine Definition von struktureller
Langeweile klingt.“ (s. 104)
*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es
handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision,
wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten
bestellt.
I still remember the time when real life meetings for
Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one
really want to meet these strange other people from the Internet?
How would they be? Could they even talk in real life or would they
just sit behind a laptop screen staring on it for hours?
My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in
Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!)
sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen.
These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and
personal in nature and no talk about projects, collaborations,
“the movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians
having a nice evening.
So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the
old school way. Half improvised, organized by our dearest local
troll user:Schlesinger
on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come
and what would happen except some people having a good time.
And so It was. In the “Matzbach” in the heart of
Berlin-Kreuzberg seven people promised to come, in the end we were
almost twenty. Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians,
a Wikipedian active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies
and two and a half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from
Wikimedia Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake,
and we just talked and laughed, talked about history and
future. Actually, mostly we talked about future.
About the Wikipedian above 30, who has just started a new a
university degree in archaeology, the question whether the Berlin
community should have its own independent space, industrial beer,
craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the
temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the
vending machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in
the future, who should come to the open editing events, how to work
better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t
there, looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or
rather not when planning something for Wikipedians, explaining
Wikipedia to the newbie, the difficulties of cake-cutting and
whatsoever.
No frustration, almost no talk about meta and politics, just
Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be
active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old
school. So good.
Crossposting eines Posts von mir aus demWikipedia
Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja
doch andere Menschen.
Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal
weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten
Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen
spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren
und Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen
sind und gearbeitet haben.
Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias
kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren.
Wie armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka
Wikifanten - fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die
entschwanden. Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es
um lauter einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben,
Arbeitsstilen und Interessen geht, die in Wikipedia tätig
waren und sind. Es gibt vor allem diejenigen, die kommen, einen
Beitrag leisten und dann wieder verschwinden. Der größte
Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von Menschen und
Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im Artikelnamensraum
aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie unermütlich über
viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an einen oder zwei
Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass sich fast nichts
über sie sagen lässt. Vielleicht sind die Beitragenden
per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr
fleißige Autorin? Wer weiß?
Viele Wikipedianerinnen und
Wikipedianer sind derzeit inaktiv.
Anlässlich des Projektes
WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele
Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele
Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher
fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer
sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir
bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat,
musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir
unbekannter Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten
Wikipedistas waren dort vor allem mir unbekannte Accounts.
Accounts, die oft aufgehört haben zu editieren. Meist sind sie
still und leise gegangen. Ihre Edits und Kommentare geben keinen
Hinweis warum. Aber anscheinend war es anderswo schöner. Oder
sie hatten den Einruck, alles in Wikipedia geschrieben zu haben,
was sie beitragen wollten. Um diesen Autorinnen und Autoren
zumindest nachträglich etwas Aufmerksamkeit zu geben, um ihre
Namen kurz aus den Tiefen der Versionsgeschichten zu retten, sollen
hier einfach einige Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt
werden, die sich um den Wedding in Wikpedia bemühten bevor sie
verschwanden.
Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße.
Ein Mammutwerk von Gtelloke,
dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast
ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.
Bild: Die Chausseestraße 114-118 in
Richtung Invalidenstraße von Gtelloke
Da ist der Artikel zum Wedding selber.
Angelegt 2002 von Otto, dessen
letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann
maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich
auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu
Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und
Schlafgängern waren Teil seines kurzen Werks, das im
Wesentlichen nur zwei Wochen im November 2004 dauerte, aber die
Grundlagen wichtiger Artikel zur Berliner Sozialgeschichte legte.
Ein Blick auf seine Benutzerseite zeigt auch den Geist der
Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König ist tod, lang
lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes! Licht und
Liebe''
Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64,
auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und
acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier,
mal die Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort,
Hinzufügen und Löschen von berühmten
Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute noch
aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin
freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen
Artikel etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.
Der Leopoldplatz;
angelegt von Frerix, der in
den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie
auch nur eine Benutzerseite für nötig hielt und
anscheinend auch in keine Diskussion verwickelt wurde. Zu
seinen wenigen Beiträgen gehören neben der Anlage des
Leopoldplatzes auch noch die Anlage der englischen Stadt Sandhurst,
die Anlage des Kreuzviertels in Münster und des Three Horses
Biers. Dann war er/sie wieder weg. Mutter des Artikels ist hier
aber 44Pinguine,
die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute
noch aktiv ist.
Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so
entscheidend wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte
in seiner Frühzeit von WHell,
engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher
Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ.
Der letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo
WHell, ich möchte Dich als den Hauptautor darüber
informieren, dass ich den Artikel John Bull (Lokomotive) in die
Wiederwahl zum Exzellenten Artikel gestellt habe,“
Größere Beiträge zur WEG folgten in den
späteren Jahren durch Peterobst
– aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit
Beiträgen zur Berliner Industriegeschichte, nach seiner
Benutzerseite AEG-Kenner und in Arbeit an einem Buch über den
Konzern. Es folgten
80.226.238.197, von Georg
Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht
unregelmäßig), Flibbertigibbet
2006 ,
79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen
44Pinguine. Weiter ausgebaut von Onkel
Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und
vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit
der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben
!“ und hielt sich im Wesentlichen daran.
Da ist der Volkspark
Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005,
aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich
ausgebaut, umfassend überarbeitet 2007 von
84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka.
Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009
und 2014, die Edits waren wenige, aber die Qualität war
hoch.
Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin
Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in
Berlin, Wedding (Mitte). Von:
Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch
heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und
Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv,
Magadan,
Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.
Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur
einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen.
Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts
und IPs an den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren
deutlich weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in
den von mir angesehenen Artikeln verteilen sich auf
44Pinguine, Fridolin freudenfett und Definitiv. Wikipedia
wird kleiner und noch lebt sie. Aber wir können all‘ den
Verschwundenen danken, die vor uns kamen.
Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder
über Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad
auch der serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt
übernommen haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer
Meinung sind, rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.
Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah
sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon
zumindest ein Admin gebannt.
Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht;
oder genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit
gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp
behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil
Polen einen Genozid an Deutschen verübt hätten.
Der ganze Bericht kann
hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl
traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es
geht aufklären und nicht Propaganda verbreiten!
Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen,
sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es
nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir
Glück 🙂.
Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die
Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry
und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche:
Viel Erfolg!
Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die
Seite zur
Auskunft. Dort können Menschen mögliche und
unmögliche Fragen stellen, die dann mal launisch, mal
larmoyant, mal ernsthaft oder auch gar nicht beantwortet werden.
Wie im wahren Leben und eine ewige Fundgrube obskuren Wissens,
seltsamer Fragestellungen und logischen Extremsports.
Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad
(1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo:
102.
Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:
"Warum
gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit
Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach
Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und
ist mir auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden
Verwandtschaft bestätigt worden. Warum?"
Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige
Diskussion, die immerhin folgendes ergab:
* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten
sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli,
darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der
DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere
Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR
ähnelte in vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als
dies für die westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als
Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war
Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die
mangelnde Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter,
Italienreisen, Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes
sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce
Carbonara!
Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild:
Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von:
Brian
Ammon, Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an
exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti,
Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika
des geteilten Deutschlands.
Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber?
Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?
Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die
dortige Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das
heimische "Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des
Badischen Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in
Karlsruhe, kennt sowohl Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt
für heute: die Makkaroni werden in "halbfingerlange
Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30 Minuten gekocht.
Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal
Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden
erklärt als "Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte.
Beim Einkauf achte man darauf, daß sie nicht hohl
sind"
Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur
bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine
Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar
schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.
Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine
Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch
Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das
frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren
"Macronen" waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18.
Jahrhunderts entstanden in Prag und Wien echte
Makkaroni-Fabriken.
Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus
Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours
für junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und
klassische europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf
der Tour aber anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen
kennenlernten, sondern auch Pasta.
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild:
Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade,
1773.
In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni
für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow
who dressed and even spoke in an outlandishly affected and epicene
manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch:
"Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl
auch die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.
Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen
Männern ist nun wiederum im Englischen der Macaroni
penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.
Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil,
nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South
Georgia von Liam Quinn,
Lizenz: CC-BY-SA
2.0
Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit
wann? Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia
of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen
Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge
unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert.
Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich
relativ problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende
’ngegno da maccarun anschließen lies, die es den
Neapolitanern ersparte stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu
kneten: im Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer,
je nach Form des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und
damit unter anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen
Fäden zum trocknen in die süditalienische Sonne
gehängt.
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild:
Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di
maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo:
6204.
Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR
zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern
plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum
die Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die
Tomatensauce in der Schweiz ließen? Warum gibt es in
Deutschland kein Äquivalent zu "Macaroni and cheese" (mehr)?
Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der DDR, bei dem es Pasta,
Sauce und Käse schon in einer Packung gab? Warum sind
Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in vielen
anderen Ländern aber dicker und
hörnchenförmig-gebogen? Es ist hochspannend. Und ein
Grund, noch viel mehr zu recherchieren.
Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die
besten Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken.
Eines davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.
Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer
Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich
ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so
fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger
vereisen ließ.
Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener,
Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter
verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen
gezeichnet. Der Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht
blies, trieb die Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles
war geschlossen und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht
mehr sehen. Über der Szene kreiste ein hungriger
Taubenschwarm.
„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ
Hüpfburg. „So viel Platz! Fast das ganze
Hafengelände gehört uns. Und wir können uns
problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“
– Sie antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt.
Ich bibbere. Das letzte Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im
Rozbrat mit meiner ehemaligen Band aufgetreten:
„Pierdzące Zakonnice“.
Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein
sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette
wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das
Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir
Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu
erfrieren.
Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am
Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der
Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im
Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße
Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es
nur scheißkalt. Ich gehe.“
Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an
ein Video erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte:
„Wikimedia
Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ
Hüpfburg für die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern,
postete ich ihr den Link.
Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen.
Fast nur Technik und kreative Sachen.
Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll
gehen?
Southgeist: Schau doch mal.
Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang
Berliner Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine
Lautsprecher wären kaputt.
Hüpfburg: I like the music.
Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.
Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia
schauen? In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen
Priester vom Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage
mir lieber, was für Tools vorkommen.
Die coolest Tools
Ich erzählte.
Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser
(Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“),
SDZeroBot
generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder
Benutzer noch ihre Seiten“), Proofread
Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch
spießiger?“), Listen to Wikipedia
(„Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei
Wikipedianer kommen und einander heiraten wollen, werde ich das
Tool in den Event integrieren“), AbuseFilter
(„Zu sehr Polizei“), LinguaLibre
(„I like“), und Pywikibot – ein Tool zum
Erstellen weiterer Tools. („Das klingt spannend –
erzähle mir mehr.“)
Pywikibot
Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders
gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit
überschaubarem Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an
einem der bereits auf dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen.
Die Bots können prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von
MediaWiki-Wikis auch können – nur schneller.
Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich
bedeutet: jemensch muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das
dauert länger als ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel,
wo es eine hohe Zahl gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben
ist das wenig – zum Anpassen von Formalien ist es super. Und
dazwischen liegt ein Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht
alles ist erlaubt – und um die Kontrolle zu wahren, hat der
Pywikibot einen automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot
absichtlich ausbremst.
Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus
dem Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die
aktuelle Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die
Community, die sich um das Framework kümmert, hat eine
dreistellige Zahl von Mitgliedern und ist so international, wie es
die frühe Wikipedia war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus
würde ich auch sagen, was Charaktertypen und Soziodemographie
angeht, ist die Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der
Ur-Wikipedia als die heutigen Wikipedistas.
DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese
Tool-Awards sind solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework
gibt es seit fast 20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast
15 Jahren. Ist der Award so langsam oder gibt es so wenig
Neues?“
Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert
erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten
Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden.
Wie bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit
gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft
aber nur selten fundamental Neues.
Change Musiker to Musiker*innen
„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video
nach zu urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine
wichtige Aufgabe erfüllt.
DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot
alle ‚Musiker‘ in Wikipedia durch
‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene
Hindernisse. Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“
DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so
strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch,
würde sie einen beigen Pullunder über weißem Hemd
tragen und Leserbriefe an die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber
ich kann mein eigenes Wiki aufsetzen und da noch Herzenslust alles
bot-mäßig umbauen?“
Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel
zu tun und die sind superfreundlich dort.“
DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in
Wikidata! Das wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der
Kutsche, die dann doch nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends
spielten wir Mozart. Da haben die Squatter angefangen mit
Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter dem Gong geduckt und ich ein
Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich noch an den einen Tänzer,
der allein Stand und Luft-Küchenmaschine gespielt hat. Ein Arm
angwickelt am Körper als würde er die Maschine an sich
drücken, mit dem anderen weit ausholende Bewegungen, um dann
auf dem Einschaltknopf zu laden.“
„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock
versetzt und die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir
alle Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris,
Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer
Studentinnen“ sagte mal eine Professorin. Kasia wäre
fast dieses Jahr in der Philharmonie aufgetreten. Aber Deine
komische Wikipedia hat immer noch keinen Artikel von
ihr.“
Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“
Ruhe. Hüpfburg dachte.
„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle
Personen auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in
Wikipedia anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das
müsste doch gehen. Vielleicht ist es einen Versuch
wert.“
SPARQL ist wie SQL, nur mit mehr Kontext. SPARQL ist eine
Datenbanksprache, die es erlaubt, das Semantic Web zu befragen.
Eine Sprache, die nicht nur Daten liefert. Sie ergründet auch
das logische Verhältnis zwischen diesen Daten. Zumindest in
der Theorie. In der Praxis ist es schwieriger. Ein Selbstversuch
mit SPARQL, Wikidata und Schwimmbädern.
Es nieselregnet. Auf dem „Street Food Market“ am
Tempelhofer Hafen versucht Schlagermusik die Trostlosigkeit zu
vertreiben. Hinter DJ Hüpfburg und mir steht der „Irish
Pub“-Wagen, ein Fleischer-Wagen und Curry Paule.
Streetfood is coming home.
Street Food kam zurück von den Hipstern, die nach dem
Thailandurlaub ihre Liebe zu Street Food entdeckt haben, zu den
Leuten, die schon seit Jahrzehnten Essen an Deutschlands
Straßen zubereiten. Die einzigen Gäste bei Curry Paule
sind die Mitarbeiter vom Irish Pub. Am Irish Pub Wagen steht
niemand. Ein eisiger Herbstwind verleidet den Aufenthalt
draußen. Curry Paule bietet als große Attraktion vegane
Wurst. Das hätte es 1985 nicht gegeben.
DJ Hüpfburg heuchelt Interesse gegenüber meinen Rede.
Wir sitzen auf den Stufen am Hafen, betrachten die wöchentlich
kleiner werdende Gruppe der Freizeitboote dort. Ich erzähle
die letzten Züge einer Anekdote. Es geht um Mund-Nasen-Masken
und Kommunikation:
„Ich stehe also mit Madame im IKEA. Wir hoffen auf die
letzten Karlhugo-Stühle. Die sind quasi immer
ausverkauft. Schaust du auf die Website bei unserem Laden, siehst
Du einen oder zwei. Dann wieder null. Dann einen halben Tag lang
acht Stühle, dann wieder null. Wir fürchten, bald gibt es
sie gar nicht mehr. Wir fürchten, IKEA nimmt sie aus dem
Programm. Also online geschaut, ob sie im IKEA Schöneberg
vorhanden sind. Schnell die Gelegenheit ergriffen. Wir fuhren zum
Bestellschalter, natürlich brav mit Maske, wie die Dame hinter
der Plexiglasscheibe auch. Die Sprache wird durch die Masken
vernuschelt.
Madame: Wir würden gerne einen Karlhugo
abholen.
Verkäuferin schaut skeptisch: Karlhugo? Nie
gehört. Sicher, dass es Karlhugo ist?
Madame: Doch, sicher: Karlhugo.
Verkäuferin tippt zweifelnd in ihren Rechner:
„Ne, nichts.“
Madame: „Sicher, im Internet stand hier sind noch
wir.“
Verkäuferin tippt weiter, kopfschüttelnd:
„Kein. Karlhugo. Gar nicht.“
Madame hat mittlerweile die Website aufgerufen, zeigt sie
der Dame in Blau-Gelb: „Hier. Acht Exemplare Karlhugo im IKEA
Schöneberg.“
Verkäuferin: „Ach, Karlhugo! Gar nicht
Karlhugo!“ Sie tippt energisch.
„Hätten sie doch gleich Karlhugo
gesagt!“
Sie druckt den Zettel für die Kasse aus. Madame fragt
mich: Hast du verstanden, was sie gesagt hat? Ich:
„Karlhugo“.
DJ Hüpfburg ist beeindruckt. Ich bilde mir ein, einen
Mundwinkel zucken zu sehen. „Du solltest Stand-Up-Comedy
machen. Am besten mit Maske. Dann verstehen die Leute Dich
schlechter.“
Ihre Gedanken werden düsterer: Weißt Du, wo man
schnell einen Corona-Test herbekommt? Eine Freundin, Schneiderin,
hatte einen Kunden, der jetzt positiv getestet ist. Das war ein
schöner Auftrag: Dark Academia meets Southern Gothic, dunkle
Mäntel, Cardigans, Wollpullover und künstliche
Spinnenweben. Sie hatten vier Treffen in der letzten Woche zur
Absprache. Mich hat sie gefragt, ob ich eine Quelle für
schicke Brillen dazu habe. Hat Spaß gemacht. Also schön,
bis der Kunde anrief mit dem Testergebnis. Nun ist alles
Grütze.
Sie will gar nicht den Laden zumachen und schnell einen
negativen Test. Aber dafür muss sie überhaupt an einen
Test kommen. Und jeder geschlossene Tag schmerzt. Ich
überlege: „Ich glaube, ich kenne eine Ärztin mit
Corona-Sprechstunde. Müsste ich zu Hause suchen.“
Wir schweigen. Nieselregen und Herbststurm werden durch Gedanken
an überfüllte Intensivstationen ergänzt. Eine
Lachmöwe mit einem Pommes im Schnabel fliegt vorbei. Dj
Hüpfburg steht wortlos auf, vegane Currywurst kaufen.
Sie kommt mit einer Wurst und einem Prospekt zurück.
Große gelbe Buchstaben fordern mich auf: „Curryspargel!
Freu Dich auf den Sommer!“
„Dirk, du hast mir Unsinn erzählt. Sparkel spricht
sich gar nicht Spargel aus.“ Ich: „???“ Diese
Datenbanksprache: SPARQL. Die wird „Sparkel“
ausgesprochen, wie im Englischen to sparcle
leuchtend/blinkend. Sterne sparclen. Nicht wie im
deutschen „Spargel.“
„Okay. Aber wie kommst du darauf?“
Ich spielte im Internet herum. Mir war langweilig. Hochzeiten im
Oktober bei Corona ist kein Business. Also dachte ich, ich nutze
die Zeit und beschreite innovative Recherchewege nach
Eventlocations. Schlösser, Burgen, Industrieruinen. Als du mir
wieder mit Wikipedia auf die Nerven gegangen bist, hast du von
Wikidata erzählt. Ich dachte, Zahlen kann ich. Ich schaue wie
das geht. Jetzt schaue ich Videos und ich teste.
Wikidata
Wikidata ist eine offene Datenbank. Das heißt: eine
große Datenbank, in der Daten über alles stehen. Von der
vagen Grundidee her so wie Wikipedia, aber mit weniger Gelaber.
Wobei die Inhalte nicht einfach in der Datenbank stehen. Sie sind
logisch verknüpft.
Es stehen nicht nur A, B und C in der Datenbank, sondern ihre
Beziehung. Wenn dort steht „A ist Kind von B“. Und dort
steht: „B ist Kind von C“. Dann kann man Abfragen, dass
A das Enkelkind von C ist, ohne dass dies so explizit vorher
eingegeben werden muss. Steht dort auch noch „D ist Kind von
B“, kann man Abfragen, dass A und D Geschwister sind, ohne
dass dies explizit in der Datenbank steht.
Bei Wikidata kann jede auf die Daten zugreifen, und etwas mit
ihnen machen. So als einfache Idee: in Wikidata stehen immer die
aktuellen Einwohnerzahlen jeder Stadt. Dann muss Wikipedia diese
nicht mehr in jeder Sprachversion nachtragen, sondern kann diese
aus Wikidata ziehen. Aber auch externe Anbieter.
Es ist möglich, Wikidata, direkt als Mensch aus quasi
ocioell per Auge zu lesen. Hier zum Beispiel der Eintrag für das
Stadtbad Mitte in Berlin: Aber das ist ehrlich gesagt,
hässlich, unübersichtlich und keinerlei Gewinn
gegenüber Wikipedia. Da gefällt mir die Quartettkarte
besser:
Besser für Wikidata ist eine Abfrage, die die gesuchten
Daten hübsch arrangiert. Man befrage die Datenbank. Da man mit
einem Computer Computersprech reden muss, gibt es SPARQL.
SPARQL
SPARQL ist eine Sprache zum Abfragen solcher semantischer
Datenbanken. Sie existiert als offizielle Empfehlung des
W3C-Konsortiums seit 2008. Inspiriert wurde sie durch SQL, hat aber
Features, die ihr das logische Denken ermöglichen.
SELECT?item ?itemLabel WHERE { ?itemwdt:P31 wd:Q357380.
SERVICE wikibase:label { bd:serviceParam
wikibase:language „[AUTO_LANGUAGE],de“.
} }
Ich: Aha?
Hüpfburg: Also von Anfang an. SELECT
– sagt, zeige mir Folgendes an: ?item und ?itemlabel
?item – ist jeder
Gegenstand mit seiner Nummer in der Datenbank. SELECT?item sagt „Zeige mir
Gegenstände an, wie sie in der Datenbank stehen.“ Also
zum Beispiel Q1292740.
SELECT?itemlabel sagt „Zeige mir
Gegenstände an, mit dem Namen, mit dem Menschen sie
benennen.“ Also zum Beispiel „Stadtbad
Mitte“.
Okay. Aber noch zeigt SELECT?item
?itemLabel ja ALLE Gegenstände an. Nicht nur die
Schwimmbäder.
Genau. Deshalb kommt ein Filter. Der wird gesetzt mit
WHERE{ }. Also zeige mir alle Gegenstände
und ihre Bezeichnung, die folgende Bedingung erfüllen:
?itemwdt:P31 wd:Q357380.
Total klar.
Okay: ?item –
heißt für jeden Gegenstand muss eine Bedingung
gelten. wdt:P31 – jeder der
Gegenstand muss zu einer bestimmten Klasse gehören, die im
nächsten Wert steht. wd:Q357380 – Das ist die
Klasse, zu der der Gegenstand gehören muss. Hier:
Hallenbad.
In Worten steht dort: Zeige mir alle Gegenstände, wenn
diese Gegenstände zur Klasse Hallenbad gehören.
Die letzte Zeile – SERVICE wikibase:label… –
sagt nur, dass wir nur die deutsche Bezeichnung haben wollen, nicht
auch die englische, finnische und japanische
Hier we go!
Ich „109 Bäder. Weltweit. Ich bin nicht beeindruckt.
Das sind weniger Bäder als Berlin und Brandenburg
haben.“
Alle Schwimmbäder mit Bild
Hüpfburg: Aber es geht noch mehr. Die kannst dir jedes Bad
mit einem Bild anzeigen lassen.
#defaultView:Map SELECT * WHERE { ?itemwdt:P31/wdt:P279* wd:Q357380; wdt:P625?geo . }
SELECT: Wie vorher auch,
nur dass du dieses Mal nichts angeben musst oder kannst, was
gezeigt wird. Das macht #defaultView:Map
Der Filter, also WHERE hat
nun noch wdt:P625?geo – es zeigt die nur
Gegenstände an, die auch einen Platz auf der Karte haben.
Karte als Ergebnis der Abfrage „Schwimmbäder mit
Karte“
Okay. Und wenn ich darauf gehe, sehe ich, dass es in den USA
wd:Q15263936 gibt. Erstaunlich! Ich weise Hüpfburg darauf hin:
Aber du kennst schon den Bäderatlas? Da gibt es alle
deutschen Bäder – mehrere tausend, nicht einige Dutzend.
Auf einer Karte. Mit allen wichtigen Infos. Und ich muss vorher
nicht rumspargeln, um an die Infos zu kommen. Da reicht es, auf die
Seite zu gehen.
So viele Möglichkeiten
Und wo sind die logischen Verknüpfungen in diesen
Wikidata-Abfragen? – Die müssen erst in der Datenbank
stehen. Wenn bei den Bädern der Architekt stünde,
könntest du eine Abfrage bauen: „Zeige mir alle
Gebäude von Schwimmbadarchitekten, die vor 1900 geboren
wurden.“
Oder zeige mir alle verschollenen Filme, die als Handlungsort
ein Schwimmbad haben. Oder zeige mir Schwimmbäder in
Deutschland, die nach 1970 eröffneten und schon wieder
außer Funktion genommen wurden. Nur fehlen dafür die
Daten in der Datenbank. Daten, die nicht vorhanden sind, kannst Du
nicht abfragen.
Ich stelle fest: „Als Schwimmbadsuchmaschine bin ich
enttäuscht.“
„Ja“, wendet DJ Hüpfburg ein. „Aber ich
suche keine Bäder. Ich suche Schlösser, Burgen und
Industrieruinen. Für die gibt es keinen Atlas. Und Dirk, wie
immer. Du denkst zu kurzfristig. Irgendwann stehen in Wikidata die
Bahnlängen und die Gastro und die Beckentiefe und der
Architekt und alles in der Nähe. Dann kannst du alle
Bäder in der Nähe eines Bahnhofs suchen. Oder
Hallenbäder mit 50-Meter-Bahnen. Oder alle historischen
Bäder Italiens.“
„Okay, und wann? Bei dem Tempo dauert das bis 2050 oder
so.“
Kann es sein, dass eine Datenbank da wirklich anders
funktioniert als ein Lexikon? Wikidate andere Bedingungen
erfüllen muss, um zu funktionieren als Wikipedia? Wenn das
Lexikon große Lücken hat, freut man sich halt, über
die Teile, die da sind. Da hat jeder Eintrag für den Leser
einen Wert an sich. Wenn eine Datenbank große Lücken hat,
ist sie nicht nutzbar, weil die Ergebnisse zufällig wirken.
Dort bekommen die Einträge ihren Wert erst durch ihre
Menge.
Sie gibt sie nicht geschlagen: „Denke an die
Möglichkeiten. Du kannst es in deine Website integrieren.
Stell dir vor du hast exklusive Schwimmbadvideos. Oder machst eine
Seite über den Architekten Ludwig Hoffmann. Oder über
Bahnhöfe in der Nähe von Sportstätten. Dann musst du
dafür keine eigene Datenbank pflegen, sondern kannst ganz
einfach die Daten aus Wikidata importieren.“
„Ganz einfach“, klar, lästere
ich.„Einfacher als selber pflegen. Wenn ihr drei Leute
findet, die das für ihre eigene Website machen, ist das
Ergebnis besser, als wenn jeder seine eigene Datenbank
hat.“
Da sage ich „das kenne ich“. Am Ende greifen Google
und Facebook die ganzen Daten ab, bauen die in ihre Oberfläche
ein – und das war es dann mit meinem Schwimmbadblog. Aber ich
bin versucht. Mag die Hoffnung nicht fahren lassen.
„Okay. Ich trage jetzt ein, dass das Stadtbad Mitte eine
50-Meter-Bahn hat!“ Aber wie mache ich das?
„Bahnlänge“ finde ich nicht als Kategorie. Muss
ich die jetzt erfinden. Sinnvollerweise ja beim Oberbegriff
„Hallenbad“? Aber wie lege ich das da an? Und was
passiert mit Bädern, die mehrere Becken mit verschiedenen
Bahnlängen haben? Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun.
Oder ich stelle Wohnzimmerstühle ein. Vielleicht sind die
weniger komplex. Aber gibt es Kriterien für Relevanz in
Wikidata? Fragen über Fragen.
Die Brockhaus Enzyklopädie ist ein mehrbändiges
Nachschlagewerk in deutscher Sprache, das zuletzt von dem zum
Bertelsmann-Konzern gehörenden Wissen Media Verlag
herausgegeben wurde. Ist es ein Nachschlagewerk? War es ein
Nachschlagewerk? Seit einigen Jahren befindet sich der Brockhaus in
einer Art Limbo des Untotseins. Irgendwie existiert er noch. So
richtig aber auch nicht mehr. Ohne jetzt die Irrungen und Wirrungen
des ehemaligen Goldstandards der deutschen Nachschlagewerke
nachzuerzählen, reicht es mir zu erwähnen, dass noch vor
10 Jahren der Brockhaus quasi das unerreichbare Ziel, die
große Messlatte und die ferne Vision dessen war, was Wikipedia
werden sollte. Genau wie Wikipedia den Brockhaus anscheinend
maßlos überschätzte, so war und ist der Brockhaus
selbst ratlos wie er mit der Wikipedia umgehen sollte. Man
weiß nicht, ob man von vertanen Chancen reden soll. Denn hatte
der Brockhaus je Chancen?
Chiara Ohoven ist ein deutsches It-Girl. Viel mehr wissen
wir nicht, da Wikipedia den zu Chiara gehörigen Artikel
permanent löscht. Vor einigen Jahren erlangte sie kurzzeitig
deutschlandweite Berühmtheit durch eine Do-it-Yourself
Schönheits-OPs mit Schlauchbootlippen als Ergebnis, fand aber
vor den Do-it-Yourself-Enzyklopädisten damit keine Gnade.
Ansonsten folgt Chiara ihrer Mutter und ihrem Vater auf das Parkett
der High Society und des Glamours. Und da kein Wikipedianer je zur
High Society gehörte oder gehören wird, gilt sie in
Wikipedia weiterhin als nicht-relevant.
Donauturm
Der Donauturm ist ein Aussichtsturm[4] inmitten des
Donauparks im 22. Wiener Gemeindebezirk Donaustadt.
Darüberhinaus sieht der Donauturm aus wie ein Fernsehturm, was
zu einem der erbittertsten Editwars in der Wikipedia-Geschichte
führte. Dort der Fachmensch für Fernsehtürme, der
sich sehr sicher war, dass Fernsehturm die Bezeichnung eines
bestimmten architektonischen Typs ist, dort eine Gruppe Wiener und
Österreicher, die darauf verwiesen, dass von diesem Turm kein
Fernsehsignal übertragen wird, noch nie ein Fernsehsignal
übertragen wurde und niemand je plante von diesem Turm aus ein
Fernsehsignal zu übertragen. Beide Seiten standen fester zu
ihrem Standpunkt als der Donauturm im Wiener Boden.
Schlußendlich führte der Editwar zu einem mehrseitigem
Artikel im Spiegel, gebrochenen Herzen, frustrierten Wikipedianern
und der Tatsache, dass jeder Wikipedianer weiß wie der
Donauturm aussieht.
Elian
Elian ist ein in den 1980er Jahren aus dem
Französischen entlehnter männlicher Vorname. Er geht auf
den Beinamen Aelianus, eine Ableitung des römischen
Geschlechternamens Aelius, zurück. elian (klein
geschrieben und gesprochen eher wie Alien) kann auch als weiblicher
Internetnickname genutzt werden. Ohne elian keine Wikipedia so wie
wir sie kennen.
Danzig (polnisch Gdańsk Zum Anhören bitte
klicken! [ɡdaɲsk],[3] kaschubisch Gduńsk), die
Hauptstadt der Woiwodschaft Pommern im Norden von Polen, liegt an
der Ostsee rund 350 km nordwestlich von Warschau und steht mit
über 460.000 Einwohnern auf der Liste der
bevölkerungsreichsten Städte Polens auf Platz sechs.
Außerdem ist Gdansk Anlass des ersten Edit Wars, den ich
persönlich mitbekommen habe. Es war 2003. Es war in der
englischen Wikipedia. Deutsche und polnische Nationalisten
ähnlicher Angestrengtheit konnten sich nicht einigen, ob die
Stadt nun Danzig oder Gdansk heißt. Hilflos naive und
offensichtlich überforderte Amerikaner versuchten zu
vermitteln. Der interessante Moment kam, als der Edit-War zur Frage
überging, ob die Band Danzig nun "benannt ist nach der Stadt
Gdansk, ehemals Danzig" oder "benannt ist nach der Stadt Danzig,
heute Gdansk".
Hubertus
Hubertus ist ein männlicher Vorname. Er wird NICHT Atze
abgekürzt.
Das Kreuz ist ein weltweit verbreitetes Symbol, das
insbesondere religiöse und kulturelle Bedeutung hat. In
diesen Bedeutungen hat sich Wikipedia unentrinnbar verheddert.
Einerseits ist das Kreuz-Symbol ein wunderbares Beispiel
dafür, welche Probleme das Internetprojekt mit Ambivalenzen
und Mehrdeutigkeiten jeder Art hat. Andererseits ist der Streit
darum ein tragischer Fall epischen Ausmaßes, der die
Wikipedia-Community über Jahre in Aufregung hielt, die Nerven
dutzender Wikipedianer verschliss und für Verzweiflung und
Frustration allüberall sorgte. Um eine lange Geschichte kurz
zu machen: das Kreuz ist natürlich DAS Symbol des Christentums
und symbolisiert Jesu Tod. Daraus folgend wurde † zum Symbol
für den Tod. Das † kommt in der Wikipedia in Lebensdaten
vor. (Beispiel: * 1600 †1666). Nun waren und sind sich die
Wikipedianer nicht einig, ob †ein Symbol ohne jede Bedeutung
ist, die einfach Standard ist, oder ob es immer noch christlich
konnotiert ist. Bei Artikeln zu Menschen nicht-christlichen
Glaubens kam und kommt es zum Streit. Ist das Kreuz nun eine
christliche Usurpation von Nicht-Christen oder ist der Versuch
deren Tod anders darzustellen - beispielsweise durch "gestorben
1666" ein Verbrechen an enzyklopädischer Neutralität und
verstößt gegen die Einheitlichkeit der Form, die
anzustreben ist?
Lutz Heilmann
Siehe → Streisand-Effekt
Narrenschiff
Das Narrenschiff (alternativ: Daß Narrenschyff ad
Narragoniam) des Sebastian Brant (1457–1521), 1494 gedruckt
von Johann Bergmann von Olpe in Basel, wurde das erfolgreichste
deutschsprachige Buch vor der Reformation. Es handelt sich um eine
spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von
über 100 Narren bei einer Schifffahrt mit Kurs auf das fiktive
Land Narragonien entwirft und so der Welt durch eine unterhaltsame
Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch und satirisch den
Spiegel vorhält. Im Wikipedianischen Zusammenhang war das
Narrenschiff eine Art Mitteilungsblatt des Hans Bug, in dem er die
Wikipedianer und ihre Laster und Untaten kritisierte. Bugs
Narrenschiff war inhaltlich und qualitativ von Sebastian Brants
Narrenschiff entfernt, wie es heutige Nachwuchswikipediakritiker
von Bugs Narrenschiff sind. Wenn etwas in den letzten Jahren extrem
gelitten hat, dann das Niveau der internen Wikipedia-Kritik.
München?/i [ˈmʏnçn̩] (
bairisch Minga?/i) ist die Landeshauptstadt des Freistaates
Bayern. Sie ist mit ca. 1,45 Millionen Einwohnern die
einwohnerstärkste und flächengrößte Stadt
Bayerns und, nach Berlin und Hamburg, die nach Einwohnern
drittgrößte Kommune Deutschlands und die
zwölftgrößte der Europäischen Union.
Wikipedia-historisch ist München wichtig, da hier am 28.
Oktober 2003, organisiert von → elian, das allerallererste
Wikipedia-Treffen überhaupt stattfand. Und nachdem sich die
Münchner einmal getroffen hatten und feststellen, dass es gar
nicht so schlimm ist, folgten Treffen in Hamburg, Berlin,
Köln, Frankfurt, Boston, Taipeh, Alexandria bis es dann 2014
zum bisher größten Treffen in London mit knapp 2.000
Teilnehmern kam. Siehe auch → Wikimania, Stammtisch.
Nordsee
Die Nordsee ist ein Mehr, ein teil der Atlant, zwischen
Grossbritannien, Skandinavien, und Friesland. Siehe auch Kattegatt,
die Niederlanden, Deutschland.
Polymerase-Kettenreaktion
Der Artikel zur Polymerase-Kettenreaktion war im Mai 2001 der erste
Artikel der deutschsprachigen Wikipedia. Vielleicht war es aber
auch der Artikel zu Vergil. Oder der zur -> Nordsee. Die
frühen Anfänge der Wikipedia liegen im Nebel. Mehr dazu:
Wikipedia Manske Polymerase-Kettenreaktion.
Relevanz
Relevanz (lat./ital.: re-levare „[den Waagebalken,
eine Sache] wieder bzw. erneut in die Höhe heben“) ist
eine Bezeichnung für die Bedeutsamkeit und damit sekundär
auch eine situationsbezogene Wichtigkeit, die jemand etwas in einem
bestimmten Zusammenhang beimisst. Das Wort ist der Bildungssprache
zugeordnet[1] und bezieht sich auf Einschätzungen und
Vergleiche innerhalb eines Sach- oder Fachgebietes. Das Antonym
Irrelevanz (Adjektiv: irrelevant) ist entsprechend eine Bezeichnung
für Bedeutungslosigkeit im gegebenen Zusammenhang,
umgangssprachlich vereinfacht auch für allgemeine
Sinnlosigkeit oder Unwichtigkeit. Das Fremdwort für eine
allgemeine, qualitativ messbare Wichtigkeit ist Importanz.
Siehe auch → Löschkandidaten, Relevanzkriterien,
Inklusionismus, Exklusionismus, Tschunk.
Eisenbahnstrecke wird die Verbindung von Orten mit einem
Schienenweg genannt. Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff
(Eisen-)Bahnlinie den auf diesen Strecken regelmäßig
stattfindenden Verkehr. So können auf einer Strecke mehrere
Bahnlinien oder eine Bahnlinie auf mehreren Strecken verkehren.
Nach herrschender Meinung in der Wikipedia sind Strecken relevant
und Linien irrelevant. Oder umgekehrt. Ich kann es mir nicht
wirklich merken. Wobei die Regel zwar grundsätzlich gilt, bei
Wiener Straßenbahnlinien gelten allerdings Sonderregeln und es
ist andersrum. Und da wundert man sich, warum sich niemand mehr an
Artikel zu Eisenbahnen herantraut.
Volker Grassmuck
Volker Grassmuck (* 1961 in Hannover) ist ein deutscher
Publizist und Soziologe. Er ist assoziierter Professor für
Mediensoziologie an der Leuphana Universität
Lüneburg. Wikipediahistorisch ist Grassmuck gleich zweimal
wichtig. Zum einen war er auf der Gründungsversammlung von
→ Wikimedia Deutschland anwesend, was uns
ein wunderbares Video bescherte.
Zum anderen veröffentlichte er 2002 ein Buch über Freie
Software. Dieses Buch enthielt eine Fußnote, in der Wikipedia
erwähnt wurde. Diese Fußnote brachte nicht nur den
Verfasser dieser Zeilen zur Wikipedia, sondern auch → elian
zur Wikipedia brachte.
Ich sitze am Teltowkanal. An mir ziehen die
Mittagspausenspaziergänger aus Finanzamt, Arbeitsamt,
Ufa-Fabrik und Ullstein Castle vorbei. Ich schaue sie nur aus den
Augenwinkeln heraus an. Ich lerne italienisch. Dazu wähle ich
Kacheln in der Sprachlern-App „Duolingo“ aus. Duolingo
gibt Sätze vor, ich klicke auf dem Handy die entsprechenden
Wörter aus einer kleinen Auswahl an.
„Ich trinke den Tee“ – Ich wähle
die Kacheln „Io“ und
„bevo“, „il“ und
„té“. „Io bevo il
té.“
„Das schwarze Pferd kauft rosa Hosen“ – Il
cavallo nero compra i pantaloni rosa.
„Die Vögel spielen Flöte“ – Gli
uccelli sounano il flauto.
„Mario und Luigi sind Klempner“ – Mario e
Luigi sono idraulici.
Ich erreiche den fortgeschrittenen Teil oder Übung. Ich
darf keine Kästchen mehr anklicken. Die Wörter sind nicht
vorgegeben. Ich muss selber den Text schreiben, die entsprechende
grammatikalische Form kennen. In die nächste Runde komme ich
erst, wenn ich den ganzen Satz fehlerfrei auf der Handytastatur
tippe. Duolingo gibt vor:
„Du hast mir gesagt, dass er jeden Montag im Sommer zu
ihr kommen würde, damit sie nachmittags die Kaninchen auf dem
Hügel in der Stadt mit dem rohen Gemüse füttern
können.“ – WHAT?
Zum Glück erlösen mich Schritte. Ich höre DJ
Hüpfburg den Kiesweg am Kanal entlang laufen. Hüpfburg
war kurz beim Asia-Streetfood-Wagen und hat sich die Nummer 9
gekauft (Reis mit Huhn). Sie läuft den Weg hinunter, grinsend.
„Ich hoffe wir werden die PiS endlich los.“ Sie freut
sich über die
polnischen Präsidentschaftswahlen.
„Ist Dir aufgefallen, dass ich tiefer deutsch rede als
polnisch. Hat meine Freundin letztens bemerkt. Mit der Freundin
rede ich in beiden Sprachen. Habe ich nie gemerkt. Aber sie hat
recht. Wenn ich deutsch rede, rutsche ich nach unten. Oder nach
oben wenn ich polnisch rede.“
Ich: „Nein“.
Sie: „Du hast doch letztens von den Wildbienen und dem
Befruchten erzählt. Ich hab‘ jetzt von Z gehört,
dass in Japan Befruchtung per Seifenblasen getestet wird. Nicht
so effektiv wie Bienen aber besser als Befruchtung von Hand. Die
Seifenblasen werden mit Pollen bestäubt und dann über die
Pflanzen geblasen. Stand wohl in der New York Times. Fiel mir
wieder ein, als ich letztens vor dem Rathaus Schöneberg eine
Hochzeit mit vielen Seifenblasen gesehen hab. Vielleicht steht ja
in Deiner Wikipedia was dazu.“
„Es ist nicht meine Wikipedia!“
„Seifenblasenpflanzenbefruchtung finde ich ich nicht. Aber
sag: Warum ist Deine Wikipedia so hässlich. Und sie sieht so
aus als wäre sie 2004 stehen geblieben.“ Ich ringe um
Worte.
„Es ist nicht meine Wikipedia. Und sie ist nicht..“
Oder doch? Ob Wikipedia schön ist? Ich wohne seit 2004
gedanklich in der Wikipedia und im Wikipedia-Layout. Jegliche
Fähigkeit, die „Schönheit“ des Layouts von
Außen zu erkennen, ist mir vor Jahren abhandengekommen.
Aber die Wikipedia sieht altbacken aus. Dem stimme ich zu. Sie
erscheint, wie das Internet 2005 aussah, nicht wie das Internet von
2020 wirkt. Gerade will ich zu längeren Erklärungen und
Entschuldigungen ansetzen.
Wieder rettet mich ein Geräusch. Hufgetrappel. Auf einem
Schimmel reitet Lukas von Gnom den Kiesweg hinab. Das Hemd
geöffnet, das wallende blonde Haar wehend im Wind. Er spielt
die Klarinette der Erkenntnis.
Reading/Web/Desktop Improvements
Die Töne dringen in mein Hirn hinein. Aus dem Nebel heraus
formt sich in meinem Kopf die Erkenntnis:
Reading/Web/Desktop Improvements (Lesen / Web / Computer) Es
gibt ein Projekt Wikipedia schöner zu gestalten. Und es hat
Chancen auf Umsetzung!
Ich versuche, den Vorwurf der Wikipedia-Altbackenheit zu
kontern. „Aber es gibt das Projekt Reading/Web/Desktop
Improvements zum Zusammenklappen der Seitenleiste in der
Wikipedia.“
Hüpfburg wirkt nicht beeindruckt.
Ich versuche das Projekt zu erklären. Leider hat es keinen
Namen, was das Sprechen und Schreiben über das Projekt
verkompliziert. Deshalb werde ich es Projekt Desktop
Improvements oder kurz Projekt DImp nennen.
DImp möchte Wikipedia leserfreundlicher machen. Dies soll
geschehen, indem die linke Seitenleiste versteckt wird. Diese wird
ausklappbar. Im Normalfall sieht man dort nur einen kleinen Pfeil.
Erst man auf den Pfeil klickt, kommen alle Menüs zum
Vorschein.
Dem fragenden Blick von Hüpfburg sehe ich an, dass sie
denkt „Welche Seitenleiste?“ Sie bestätigt damit,
dass man gedanklich verdrängt, was man nicht braucht.
Welche Seitenleiste?
In der Seitenleiste stehen links auf verschiedene
Wikipedia-Funktionen. Sie sind inhaltlich wild gemischt. Warum sie
dort in dieser Anordnung auftauchen: „Das ist in 15 Jahren
historisch gewachsen und logisch kaum erklärbar.“
Seitenleiste in einem
Wikipedia-Artikel
Links finden sich dort für die Leser. Die Links in der
Leiste lenken zu Hinweisen für Neulinge oder
Gelegenheitsautoren. Langjährige Hardcore-Autoren können
in der Leiste Spezial-Werkzeuge finden. Alle sind bunt gemischt.
Die Links haben sich über die Jahre angesammelt. Sie wurden
umgetauft und inhaltlich umgewandelt. In seltenen
Ausnahmefällen ist sogar ein Link verschwunden.
Die ganze Leiste zu erklären wäre müßig. Zu
verschieden sind die Zielgruppen, so dass es niemand gibt, der alle
Funktionen benötigt.
Für Leser am spannendsten sind die Links unten: die
Sprachversionen. Dort können sich die Leser Wikipedia-Artikel
zum selben Thema in anderen Sprachen finden. Es handelt sich bei
den Artikeln in anderen Sprachen um eigenständige Artikel. Es
sind keine Übersetzungen. Sie unterscheiden sich oft
inhaltlich. Auf jeden Fall bieten sie eine andere Sichtweise auf
dasselbe Thema.
Ein Teil der Sprachlinks zur
„Benutzerschnittstelle“
Ein Hinweis auf die Sprachlinks soll in den Kopfbereich der
Seite wandern, sichtbarer werden. Alles andere soll unsichtbarer
werden. So will es das DImp-Team.
Das, dessen Namen nicht genannt werden kann
Der Prozess ist schwierig zu finden. Denn er hat keinen Namen.
Selbst der Behelfsbezeichnung Reading/Web/Desktop Improvements ist
kaum zu entnehmen: Ist es die Bezeichnung für den Prozess? Ist
es die Bezeichnung für das Team in der Wikimedia
Foundation?
Kann man über etwas reden, dass keinen Namen hat? Ist
jemand das Problem aufgefallen? Ist es Absicht? In den Tiefen der
Wikimedia-Diskussion lassen sich Vorschläge finden, dem Kind
einen Namen zu geben. Da bleibt es bei der ausufernden
Umständlichkeit. Oder halt bei Projekt DImp.
Das Team
Das Team hinter DImp ist das „Readers Web
Team“ aus Angestellten der Wikimedia Foundation. Das
wiederum gehört zur „Abteilung“(?)
Readers oder Reading. Die Wikimedia Foundation
ist sich nicht sicher, wie die Abteilung heißt. Diese
Reading-Abteilung wiederum gehört zur Gruppe
„Product“. Product ist eine der zwei technischen
Gruppen in der Wikimedia Foundation. Die wiederum..
DJ Hüpfburg ignoriert mich und schaut dem Mann mit der
Bierflasche in der rechten Hand zu, der vollkommen in sich gekehrt
mit links sein T-Shirt bis zur Schulter hochzieht. Ich bin so in
Wikipedia-Inside-Detailtum verfallen, dass ich mir selbst nicht
mehr zuhöre.
..Auf jeden Fall: Es geht nicht um die App oder die
Mobilansicht, sondern die Ansicht am PC. Das Desktop-Ansichts-Team
will am PC die linke Seitenleiste einklappbar machen.
Ausgangslage
Es begann im Mai 2019 ausgehend von der Prämisse: Wikipedia
ist unübersichtlich.
Das DImp-Team brach die Prämisse herunter in drei
Leitsätze: Kein Leser versteht, wie das Wiki funktioniert. Die
Bedienung ist unnötig umständlich. Es sieht nicht
einladend aus.
Daraus folgten die Ziele des Teams: 1) Die Oberfläche der
Wikipedia soll übersichtlicher werden. 2) Die Oberfläche
soll die Blicke auf den Inhalt der Artikel lenken. 3) Die wichtigen
Bedienelemente sollen schneller zu finden sein.
Um die Verwerfungen mit der Community klein zu halten, gab es
von Beginn an Bedingungen. Die Verbesserung sollte nicht in Chaos
und Streit enden. Deshalb gab es Einschränkungen an der
Reichweite von Projekt DImp: 1) Keine drastischen Änderungen
am Layout. 2) Der eigentliche Inhalt aller Bedienelemente bleibt
bestehen.
Anders gesagt: Alles sollte besser werden, aber nichts sollte
sich ändern.
Der Prozess
Es begann mit Mai 2019 mit ersten Gedanken. Es dauerte bis
September des Jahres mit Vorüberlegungen. Bereits im Juli 2019
entstanden programmierte Gedankenspiele. Auf der Wikimania im
August 2019 gab es längere Diskussionen und Tests mit
anwesenden Teilnehmern.
Nach weiteren Tests wurde es im Mai 2020 ernst: Die ersten
beiden Prototypen für echte Features entstanden: zum Beispiel
die zusammenklappbare Seitenleiste. Die wurden zuerst in internen,
semiöffentlichen Wikis eingesetzt.
Es gibt das Feature im Officewiki, das die Wikimedia intern
nutzt. Und es gibt das Feature im Testwiki. Ursprünglich
sollte das Feature bis jetzt schon in „echten“
Wikipedias wie der hebräischen oder französischen
getestet werden. Aber Corona.
Normalnutzer können dennoch etwas sehen: Das Feature
lässt sich in jeder Wikipedia anzeigen. Einfach
?useskinversion=2 an den URL hängen. Also wenn der
Link zum Artikel UI (User Interface) in Wikipedia lautet:
Zugriffstatistik auf alle Wikimedia-Projekte nach
Zugriffsmethode.
Hüpfburg staunt: „Ich dachte, Wikipedia ändert
sich nie. Aber es ist ja noch schlimmer! 30 Angestellte, ein Jahr
mit Gerede und Fragen und wieder Gerede und wieder machen und am
Ende kommt ein elender Balken zum Zusammenklappen raus?“ Da
war ja der Kommunismus effizienter.
Jein, wende ich ein. Es mag ein kleiner Schritt für den
Sidebar sein. Aber es geht um Millionen Menschen. Bei 12 Milliarden
Schritten im Monat führen auch kleine Schritte sehr weit. Bei
den Autoren, die jeden Tag mit dem Anblick umgehen müssen,
für die die Wikipedia-Oberfläche oft ein wichtiger Teil
ihres Lebens ist, geht es um zehntausende Menschen. Angesichts der
Auswirkungen, die selbst eine kleine Änderung der
Wikipedia-Oberfläche in der Welt hat, ist der Aufwand
klein.
„Wenn du meinst? Ich bleib lieber bei meinen
Hochzeitswebsites. Dort muss ich nur den Geschmack der Braut
treffen. Das geht einfacher.“
Wikipedia ist nicht nur eine Enzyklopädie mit dem Anspruch
auf Ewigkeit, sondern auch ein Nachschlagewerk für Ephemeres
und zeitgemäß Aktuelles. In der Wikipedia stehen nicht
nur Artikel über Themen von Bach und Barock bis zu Bismarck
oder zur Binomialverteilung. Im Bastelbrockhaus stehen auch
Einträge über lebende Künstler, Sänger,
Sportler, Unternehmen, Vereine und Stiftungen.
Nun können diese Künstler, Sänger und andere diese
Einträge auch lesen und sind – mal zu Recht mal zu
Unrecht – nicht glücklich mit diesen Artikeln. Mal sind
die Artikel eigenwillig gewichtet, mal lassen sie das Wesentliche
aus, mal sind Daten veraltet und ab und an enthalten die Artikel
auch echte inhaltliche Fehler.
Artikel über sich selbst oder seine Organisation zu
ändern, ist nicht einfach. Manchmal ist es aber für
Wikipedia und die Betroffenen hilfreich. Deshalb hier einige Regeln
zum Umgang mit dem eigenen Wikipedia-Artikel.
Die Grundregeln für den Umgang mit der eigenen Person oder
Organisation in Wikipedia ist einfach: existiert noch kein Artikel,
so ist das gut. Wikipedianer schätzen es gar nicht, wenn
Betroffene über sich selbst Artikel anlegen. Die geschriebenen
Regeln verbieten die Artikelanlage in eigener Sache nicht explizit.
Die - wichtigeren - ungeschriebenen Regeln sprechen sich stark
dagegen aus. Umso kritischer werden Wikipedianer die neuen Artikel
begutachten, nach Schwächen und Fehlern suchen. Umso schlimmer
wird das Spießrutenlaufen für denjenigen, der diesen
Artikel anlegt.
Selbst wenn der Artikel durchrutscht, zumindest am Anfang keine
Kritik erfährt: Viele der Ersteller und Objekte von Artikeln
rechnen nicht damit, was für eine eindrückliche Erfahrung
es sein kann, die Kontrolle aus der Hand zu geben, einer anonymen
Gruppe von Menschen eine große Bühne zu geben, das eigene
Leben oder die eigene Organisation darzustellen. Eine eigene
Website oder ein Facebookauftritt kann dasselbe wie ein
Wikipedia-Artikel. Aber man behält die Kontrolle.
Wenn eine Person oder Organisation keinen Wikipedia-Artikel hat,
dann sollte sie eine Flasche Sekt öffnen, dankbar sein und
sich auf andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit verlegen. In
vielen Fällen allerdings existiert der Artikel schon, oftmals
nicht zur Zufriedenheit der betroffenen Person. Manchmal muss die
Person oder Organisation halt damit leben, dass die eigene Existenz
nicht nur Feiernswertes enthält. Manchmal hat sie aber auch
legitime Gründe zur Kritik: Veraltetes, Unvollständiges,
Fehlerhaftes oder eigentümlich Gewichtetes findet sich in
vielen Wikipedia-Artikel. Es gibt die Möglichkeit, etwas daran
zu ändern.
(1) Transparenz
Wikipedia ist überaus kritisch gegenüber Bearbeitungen in
eigener Sache. Jeder, der Artikel über sich selbst bearbeitet,
muss Grundmisstrauen überwinden und Vertrauen gewinnen.
Vertrauen gewinnt man durch Offenheit.
(2) Verifizierung
Speziell für Bearbeiter in eigener Sache und ganz speziell
für Menschen, die professionell unterwegs sind, existiert in
der deutschen Wikipedia das Mittel der Verifizierung. Bearbeiter
melden sich unter dem Namen ihrer Organisation/ ihrer Person an und
stellen damit eine Grundtransparenz her. Danach schicken Sie eine
Mail an info-de-v@wikimedia.org und werden dann von
Freiwilligen verifiziert. Weitere Details finden sich unter:
Wikipedia:Benutzerverifizierung
(3) Diskussionsseiten
Zu jedem Eintrag in der Wikipedia gehört eine
Diskussionsseite, auf der dieser Eintrag diskutiert wird. Um
Konflikte und Konfrontationen zu vermeiden, empfiehlt es sich, jede
größere Änderung erst auf der Diskussionsseite mit
einigen Tagen Vorlaufzeit anzusprechen. Erst wenn dort kein
Widerspruch, oder gar Zustimmung, gekommen ist, sollte der Artikel
selbst geändert werden. Taucht auf der Diskussionsseite
Widerstand auf, so ist die Diskussionsseite zur Diskussion zu
nutzen.
(4) Belegen
Wikipedia ist eine Enzyklopädie, die verlässlich sein
will, die aber jeder anonym bearbeiten kann. Zum Ausgleich legt die
Community starken Wert darauf, dass jeder inhaltliche Beitrag
belegt wird. Als Belege gelten nur Fakten, die anderswo
veröffentlicht sind. Sei es in Büchern, Zeitschriften
oder Websites. Diese Pflicht geht so weit, dass selbst Aussagen der
Person selbst oder amtliche Dokumente nicht akzeptiert werden
– sofern diese nicht an einer externen Stelle
veröffentlicht wurden.
Belege im
Artikel zur Wikipedia (kleiner Ausschnitt)
Dies klingt auf den ersten Blick aufwendiger als es ist. Zumindest
in heutiger Zeit. So gut wie jede Wikipedia-relevante Person oder
Organisation wird Zugriff auf eine Website haben, auf der sie etwas
veröffentlichen kann. Im Zweifel besitzt zwar eine externe
Veröffentlichung eine höhere Reputation.
Aber gültig sind auch Inhalte auf eigenen Websites. Wenn also
Wikipedia ihren zweiten Vornamen falsch schreibt: beginnen Sie
keine Diskussion mit der Community, sondern schreiben Sie ihn
richtig auf der eigenen Website. Wenn die Community nicht glaubt,
dass die Rolling Stones ihr größter literarischer
Einfluss sind - schreiben Sie es auf der eigenen Website.
(5) Klare, harte Fakten. Keine Adjektive
Artikel über sich selbst zu ändern, ist selbst unter den
besten Umständen ein Drahtseilakt. Die Gefahr besteht, auf
andere Autoren zu treffen, die dies aus Prinzip ablehnen und
versuchen gegen die Edits zu arbeiten. Aber auch diese Autoren sind
an Regeln gebunden. Je besser eine Bearbeitung nachgeprüft
werden kann und je eindeutiger diese ist, desto höher sind die
Chancen, dass sie bestehen bleibt.
Am besten hierfür eigenen sich unstreitige Zahlen und Fakten.
Während Fakten einfach und erwünscht sind, ist dies mit
Interpretationen schwierig. Diese sind generell in der Wikipedia
verpönt. Je niedriger das Vertrauen ist, das ein Autor
genießt, desto schwieriger wird es, Text einzubauen, der auch
nur entfernt nach Interpretation aussieht. Adjektive sehen immer
nach Interpretation und Wertung aus. Sie haben in einem Artikel
über einen selbst nichts verloren.
(6) Verständlich bleiben
Nun gibt es nicht nur die Community, für die ein Text
geschrieben wird, sondern auch die Leser. Leser lieben Wikipedia,
weil er hier klare, verständliche Informationen gibt, die sich
beim ersten Lesen erschließen. Buzzwords,
unverständliches, aber auch Fachsprache und Insiderlingo sind
verpönt. Die Community achtet darauf dies durchzusetzen.
„Geschwurbel“ ist einer der liebsten Begründungen
innerhalb der Community um Text zu streichen.
Gerade professionelle PR-Personen stellt dies oft vor besondere
Herausforderungen. So ist nicht ratsam zu schreiben, dass ein
Unternehmen "Verbindungen herstellt zwischen den Grundbestandteilen
der Industrieproduktion", sondern es stellt Schrauben her. Jemand
"entführt nicht in Welten der zwei Sonnen", sondern schreibt
Fantasy-Romane. Am besten haben Leserin oder Leser bereits beim
ersten Lesen eine klare Vorstellung davon, um was es
geht.
(7) Mit der Community zusammen
Wikipedia ist ein grundsätzlich offenes System, das von
zahlreichen Vandalen, Trollen und Manipulatoren heimgesucht wird.
Dementsprechend ausgebildet und etabliert sind mittlerweile die
Mechanismen, unerwünschte Bearbeitungen fernzuhalten. Die
etablierte Community hat die informellen, formalen und technischen
Mittel Text zu verhindern, kann aber auch unglaublich
Großartiges vollbringen. Jede Mitarbeit in Wikipedia, die von
Erfolg gekrönt sein soll, funktioniert nur im gegenseitigen
Vertrauen mit der Community.
Leider hat die Community die Eigenschaft die unkooperativsten und
unfreundlichsten Mitarbeiter vorzuschicken, wenn es um das Sichten
neuer Artikel geht. Oder anders gesagt: Die unfreundlichsten
Mitarbeiter sind besonders motiviert darin, sich auf Neulinge zu
werfen. Warum das so ist, darüber kann ich spekulieren,
möchte es aber nicht. Aber nicht aufgeben: es gibt nette und
freundliche Wikipedianerinnen und Wikipedianer. Mit etwas Ausdauer
lassen sie sich finden.
(8) Zu vermeiden: Freunde holen
Manche Autoren fühlen sich von der Wikipedia-Community
übermannt oder ungerecht behandelt und versuchen, Freunde zu
motivieren, ihnen beizustehen. Kaum etwas ist schlimmer. Die reine
Anzahl von Teilnehmenden in der Diskussion hat kaum ein Gewicht.
Wesentlich bedeutender ist das Vertrauen, dass den einzelnen
Beteiligten in der Community beigebracht wird.
Die Community hat ein eingebautes internes Vertrauenssystem, das
maßgeblich auf bisherigen Beiträgen beruht. Wenn aus
heiterem Himmel plötzlich eine größere Anzahl neuer
Nutzer bei einem Thema auftaucht, lässt das bei vielen
erfahrenen Wikipedianern Alarmglocken schrillen. Sie reagieren
skeptischer und aggressiver. Dabei gilt: gegen eine skeptisch und
aggressive Community zu agieren, hat nie Erfolg. Der Versuch,
Freunde zu mobilisieren ist bisher immer nach hinten
losgegangen.
(9) Das Sichtungsproblem
Speziell die deutsche Wikipedia hat das Instrument der Sichtungen
eingeführt. Das bedeutet: Änderungen an Artikeln werden
sofort gespeichert. Wenn diese Änderungen von einem neuen
Autor stammen, sind sie aber nicht sofort für die
Öffentlichkeit sichtbar. Dafür muss erst ein erfahrener
Wikipedianer sein OK geben. Je einfacher die Edits sind und je
einfacher sich ihr Inhalt extern überprüfen lässt,
desto schneller wird die Freigabe erfolgen.
Übersicht
über die Seiten, die am längsten nicht gesichtet
wurden.
(10) Fotos unter freier Lizenz
Ein einfacher Weg, das Vertrauen der Community zu gewinnen, Inhalte
beizutragen und es Wikipedia zu ermöglichen eigene Inhalte zu
nutzen, ist das Bereitstellen von Fotos unter freier Lizenz. Das
bedeutet, dass diese Fotos im Nachhinein genutzt, verändert
und eingebaut werden können. Allerdings muss dabei der Autor
genannt werden ebenso wie der Titel des Fotos. So in Wikipedia und
von dort aus dann viral durch das halbe Netz.
Der Wikipedia mangelt es nicht an Seiten mit Regeln, Vorschriften
und Anleitungen. Auch zu diesem Themenkomplex gibt es eher zuviel
als zu wenig zu lesen. Als Einstieg empfiehlt sich: Wikipedia:Interessenkonflikt
und die dortigen Links.
Bei Rückfragen zu bestimmten Einzelfällen, gerne auch
eine Mail an mich, dirkingofranke@gmail.com